Gute Nachricht für alle

Kapitel 19

Juden und Heiden

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Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 15,1-35.

Bald nachdem Paulus und Barnabas Antiochia in Syrien erreicht hatten, von wo sie zu ihrer Missionsreise ausgesandt worden ­waren, bot sich eine Gelegenheit, die Gläubigen zusammenzurufen, um ihnen zu berichten, "wie viel Gott durch sie getan und wie er den Heiden die Tür des Glaubens aufgetan hätte." (Apostelgeschichte 14,27). Antiochia hatte eine große, wachsende Gemeinde. Sie war ein Zentrum missionarischer Aktivitäten und eine der bedeutendsten Gemeinschaften gläubiger Christen. Ihre Glieder waren sowohl jüdischer als auch heidnischer Herkunft und gehörten den verschiedensten Bevölkerungsschichten an.

Das Ende des Zeremonialgesetzes

Während sich die Apostel zusammen mit den Ältesten und Gemeindegliedern in Antiochia ernsthaft darum bemühten, viele Menschen für Christus zu gewinnen, warfen einige Gläubige aus Judäa, die früher der "Partei der Pharisäer" angehört hatten, eine Frage auf, die bald zu ausgedehnten Streitigkeiten in der Gemeinde führte und Verwirrung unter den Heidenchristen hervorrief. Mit großer Bestimmtheit beteuerten diese judaisierenden Lehrer, man müsse sich beschneiden lassen und das gesamte Zeremonialgesetz halten, um gerettet zu werden.

Paulus und Barnabas wiesen diese falsche Lehre umgehend zurück und lehnten es ab, die Angelegenheit vor die Nichtjuden zu bringen. Andererseits stimmten viele jüdische Gläubige dem Standpunkt der kürzlich aus Judäa gekommenen Brüder zu.

Die jüdischen Gläubigen waren im Allgemeinen nicht geneigt, so schnell mitzuziehen, wie Gottes Vorsehung den Weg bereitete. Weil die Apostel bei ihrer Arbeit unter den Nichtjuden so viel Erfolg hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Bekehrten aus diesen Völkern die jüdischen Bekehrten an Zahl bei Weitem übertreffen würden. Die Juden befürchteten, dass ihre Identität als Volk, die sie bis dahin von allen anderen Menschen unterschieden hatte, bei jenen, die die Evangeliumsbotschaft annähmen, schließlich untergehen würde. Um dies zu vermeiden, müssten die Heiden als Vorbedingung für die Aufnahme in die Gemeinde auf die Einschränkungen und Zeremonien des jüdischen Gesetzes verpflichtet werden.

Die Juden hatten sich stets ihrer göttlich verordneten Opferdienste gerühmt. Viele unter denen, die zum Glauben an Christus bekehrt worden waren, beriefen sich darauf, dass Gott einst klar definierte Formen für die hebräische Art der Anbetung bestimmt hatte. Deshalb sei es doch unwahrscheinlich, dass er jemals eine Änderung in irgendeinem Detail dieser Dienste zulassen würde. Sie beharrten darauf, dass die jüdischen Gesetze und Zeremonien in die Riten der christlichen Religion aufzunehmen seien. Sie brauchten einige Zeit, bis sie erkannten, dass all die Sühnopfer nur vorausweisende Zeichen für den Tod des Gottessohnes gewesen waren. In seinem Sterben aber traf der "Typus" auf den "Antitypus", das vorausweisende Sinnbild auf die erfüllte Wirklichkeit, und danach waren die Riten und Zeremonien der mosaischen Religion nicht mehr bindend.

Vor seiner Bekehrung hatte sich Paulus "nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert", für "untadelig" gehalten (Philipper 3,6). Seit seiner Bekehrung jedoch hatte er eine klare Erkenntnis über das Wirken Christi als des Erlösers der ganzen Menschheit -- der Heiden wie der Juden -- gewonnen, und er hatte den Unterschied zwischen lebendigem Glauben und totem Formalismus begriffen. Im Licht des Evangeliums hatten die den Israeliten anvertrauten alten Riten und Zeremonien eine neue und tiefere Bedeutung erlangt. Was sie vorausweisend bildlich dargestellt hatten, war Wirklichkeit geworden, und die Gläubigen, die unter dem Neuen Bund des Evangeliums lebten, waren von der Einhaltung dieser Zeremonien befreit. Gottes unabänderliches Gesetz der Zehn Gebote jedoch behielt für Paulus weiterhin sowohl nach dem Geist als auch nach dem Buchstaben seine Gültigkeit.

Die eingehende Prüfung der Frage der Beschneidung löste in der Gemeinde Antiochia viele Debatten und Streitgespräche aus. Um zu vermeiden, dass es bei anhaltenden Diskussionen am Ende zu einer Spaltung der Gemeinde käme, entschieden die Gläubigen schließlich, Paulus, Barnabas und einige andere Verantwortungsträger der Gemeinde nach Jerusalem zu senden, um die Angelegenheit den Aposteln und Ältesten zu unterbreiten. Sie sollten dort mit Vertretern der verschiedenen Gemeinden und mit anderen Brüdern sprechen, die zu den bevorstehenden Festtagen nach Jerusalem gekommen waren. In der Zwischenzeit sollte jeder Streit ruhen, bis in einer Gesamtversammlung eine endgültige Entscheidung getroffen war. Diese sollte dann von den verschiedenen Gemeinden überall im Lande angenommen werden.

Auf ihrem Weg nach Jerusalem besuchten die Apostel die Gläubigen in den Städten, durch die sie reisten, und ermutigten sie durch ihre Erfahrungen im Werk Gottes und ihre Berichte von der Bekehrung der Heiden.

Der Wert des Zeremonialgesetzes

In Jerusalem kamen die Abgesandten aus Antiochia mit den Brüdern aus anderen Gemeinden zu einem Konzil zusammen. Sie berichteten ihnen von den Erfolgen, die ihren Dienst unter den Heiden begleiteten. Dann schilderten sie anschaulich die Verwirrung, die dadurch entstanden war, dass einige bekehrte Pharisäer nach Antiochia gekommen waren und gelehrt hatten, dass die Bekehrten aus dem Heidentum beschnitten werden sollten und das Gesetz des Mose einhalten müssten, um gerettet zu werden.

Diese Frage wurde in der Versammlung eingehend erörtert. Eng mit der Frage der Beschneidung waren einige andere Themen verbunden, die ebenfalls nach sorgfältiger Prüfung verlangten. Eines davon war, welche Haltung man zum Genuss von Götzenopferfleisch einnehmen sollte. Viele Heidenchristen lebten unter unwissenden und abergläubischen Menschen, die den Götzen häufig Opfer darbrachten. Die Priester dieser heidnischen Kulte führten einen ausgedehnten Handel mit den Opfergaben, die man ihnen brachte. Die Judenchristen befürchteten nun, dass die bekehrten Heiden das Christentum in Verruf bringen könnten; denn sie würden durch den Kauf von etwas, was den Götzen geopfert worden war, in gewisser Hinsicht götzendienerische Bräuche billigen.

Außerdem waren die Heiden gewöhnt, das Fleisch von erstickten Tieren zu essen, während die Juden von Gott die Anweisung erhalten hatten, beim Schlachten für Nahrungszwecke besonders darauf zu achten, das Blut der geschlachteten Tiere sofort ausfließen zu lassen; sonst würde das Fleisch nicht als gesund angesehen werden. Gott hatte den Juden diese Anordnungen zur Erhaltung ihrer Gesundheit gegeben. Die Juden sahen es als Sünde an, Blut als Nahrungsmittel zu verwenden. Blut war für sie das Leben, und Blutvergießen war eine Folge der Sünde.

Die Heiden dagegen fingen das Blut der Opfertiere auf und verwendeten es, um damit Speisen zuzubereiten. Die Juden konnten nicht glauben, dass sie ihre Bräuche ändern sollten, da sie diese doch auf Gottes besondere Anweisung hin angenommen hatten. So wie die Dinge standen, wäre es für Juden daher schockierend und empörend gewesen, mit Nichtjuden zusammen am gleichen Tisch zu essen.

Die Heiden, besonders die Griechen, führten oft ein ausschweifendes Leben. Da bestand natürlich die Gefahr, dass manche, die in ihrem Innersten noch unbekehrt waren, ein Glaubensbekenntnis ablegten, ohne ihre verwerflichen Praktiken aufzugeben. Judenchristen konnten die Unmoral nicht tolerieren, die bei den Heiden nicht einmal als strafbar galt. Die Judenchristen hielten es deshalb für höchst angebracht, von den bekehrten Nichtjuden Beschneidung und Einhaltung des Zeremonialgesetzes als Beweis ihrer Aufrichtigkeit und Frömmigkeit zu fordern. Sie glaubten, so zu verhindern, dass sich Menschen ohne echte innere Bekehrung der Gemeinde anschlössen und durch Unmoral und Ausschweifung der Sache Christi schadeten.

Die verschiedenen Punkte, die mit der strittigen Hauptfrage eng verknüpft waren, schienen der beratenden Versammlung unüberwindbare Schwierigkeiten zu bereiten. Der Heilige Geist hatte die Frage jedoch schon lange geregelt, von der das Gedeihen, wenn nicht sogar das Bestehen der christlichen Gemeinde abzuhängen schien.

Die Erfahrungen des Petrus

"Als man sich aber lange gestritten hatte, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisst, dass Gott vor langer Zeit unter euch bestimmt hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten." (Apostelgeschichte 15,7). Er argumentierte, dass der Heilige Geist diese strittige Angelegenheit schon gelöst habe, als er mit gleicher Kraft auf die unbeschnittenen Heiden und die beschnittenen Juden herabkam. Er erwähnte nochmals seine Vision, in der Gott vor ihm ein Tuch mit allerlei vierfüßigen Tieren ausgebreitet und ihn dann aufgefordert hatte, sie zu schlachten und zu essen. Als er sich weigerte und bekräftigte, er habe noch nie etwas Gemeines oder Unreines gegessen, sei die Antwort gewesen: "Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten." (Apostelgeschichte 10,15).

Petrus berichtete von der unmissverständlichen Bedeutung dieser Worte, die ihm beinahe unmittelbar danach in der Aufforderung gegeben worden war, zu dem römischen Hauptmann zu gehen und ihn im Glauben an Christus zu unterweisen. Diese Botschaft habe gezeigt, dass vor Gott kein Ansehen der Person gelte, sondern dass er alle Menschen annehme und anerkenne, die ihn fürchten. Petrus erzählte auch von seiner eigenen Überraschung im Hause des Kornelius: Noch während er selbst den dort Versammelten die Worte der Wahrheit verkündete, wurde er Zeuge davon, wie der Heilige Geist seine Zuhörer ergriff, Nichtjuden genauso wie Juden. Das gleiche Licht und dieselbe Herrlichkeit, welche beschnittene Juden erleuchtet hatte, erstrahlte nun auch über dem Angesicht der unbeschnittenen Heiden. Dies sei Gottes Warnung an Petrus gewesen, er solle keinen Menschen geringer achten als einen anderen, denn das Blut Christi könne von aller Unreinheit rein machen.

Schon früher einmal hatte sich Petrus mit seinen Glaubensbrüdern über die Bekehrung des Kornelius und seiner Freunde sowie über seinen Umgang mit ihnen ausgesprochen. Als er bei jener Gelegenheit erzählt hatte, wie damals der Heilige Geist über die Heiden kam, sagte er: "Wenn nun Gott ihnen die gleiche Gabe gegeben hat wie auch uns, die wir zum Glauben gekommen sind an den Herrn Jesus Christus: wer war ich, dass ich Gott wehren konnte?" (Apostelgeschichte 11,17). Mit gleichem Eifer und Nachdruck sagte er jetzt: "Gott, der die Herzen kennt, hat es bezeugt und ihnen den Heiligen Geist gegeben wie auch uns, und er hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen, nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben. Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Väter noch wir haben tragen können?" (Apostelgeschichte 15,8-10). Dieses Joch war nicht das Gesetz der Zehn Gebote, wie einige Gegner der verbindlichen Forderungen des Gesetzes behaupten. Petrus bezog sich hier auf das Zeremonialgesetz, das durch die Kreuzigung Jesu null und nichtig geworden ist.

Gemeinsame Entscheidung

Die Ansprache des Petrus hatte zur Folge, dass die Versammelten nun mit Geduld Paulus und Barnabas zuhören konnten, die von ihren Erfahrungen bei der Arbeit für die Nichtjuden erzählten. "Da schwieg die ganze Menge still und hörte Paulus und Barnabas zu, die erzählten, wie große Zeichen und Wunder Gott durch sie getan hatte unter den Heiden." (Apostelgeschichte 15,12). Auch Jakobus trug mit Entschiedenheit sein Zeugnis vor und erklärte, dass es Gottes Absicht sei, den Heiden die gleichen Rechte und Segnungen zu schenken, wie sie den Juden gewährt worden waren.

Dem Heiligen Geist "gefiel es" (Apostelgeschichte 15,28), den Bekehrten aus den Heiden das Zeremonialgesetz nicht aufzuerlegen, und die Gesinnung der Apostel stimmte mit dem Geist Gottes überein. Jakobus führte den Vorsitz der Beratung, und seine endgültige Entscheidung lautete: "Darum meine ich, dass man denen von den Heiden, die sich zu Gott bekehren, nicht Unruhe mache." (Apostelgeschichte 15,19).

Mit diesen Worten wurde die Diskussion beendet. Dieses Beispiel widerlegt die römisch-katholische Lehrmeinung, Petrus sei das Haupt der Kirche gewesen. Diejenigen, die behauptet haben, als Päpste seine Nachfolger zu sein, besitzen für ihre Ansprüche keine biblische Grundlage. Nichts im Leben des Petrus bestätigt die Behauptung, er sei als Stellvertreter des Allerhöchsten über seine Brüder gestellt worden. Wenn diejenigen, die man als Nachfolger Petri bezeichnet, seinem Beispiel gefolgt wären, hätten sie sich stets damit begnügt, ihren Brüdern gleich zu sein.

In diesem Falle war es wohl Jakobus gewesen, den man dazu ausersehen hatte, den von der Ratsversammlung gefassten Beschluss zu verkündigen. Es war auch sein Entscheid, dass das Zeremonialgesetz und insbesondere der Ritus der Beschneidung den Nichtjuden weder dringend nahegelegt noch auch nur empfohlen werden sollte. Jakobus bemühte sich, seinen Glaubensbrüdern verständlich zu machen, dass die Nichtjuden bereits durch die Hinwendung zu Gott eine große Veränderung in ihrem Leben vollzogen hätten. Deshalb müsse man mit großer Behutsamkeit vorgehen, um sie nicht mit verwirrenden und zweifelnden Fragen von geringerer Bedeutung zu beunruhigen, damit sie in ihrer Christusnachfolge nicht entmutigt würden.

Die Bekehrten aus den Heiden jedoch sollten diejenigen Bräuche aufgeben, die sich mit den Grundsätzen des Christentums nicht vereinbaren ließen. Die Apostel und Ältesten kamen deshalb überein, die Heiden brieflich anzuweisen, sich zu enthalten "von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut." (Apostelgeschichte 15,20). Sie sollten aufgefordert werden, die Gebote zu halten und ein Leben nach den Maßstäben Gottes zu führen. Außerdem sollte ihnen versichert werden, dass die Männer, welche die Beschneidung für verbindlich erklärt hatten, nicht von den Aposteln zu dieser Erklärung ermächtigt gewesen seien.

Paulus und Barnabas wurden ihnen als Männer empfohlen, die ihr Leben für den Herrn aufs Spiel gesetzt hatten. Judas und Silas wurden mit diesen Aposteln zu den "Brüdern aus den Heiden" (Apostelgeschichte 15,23) gesandt, um ihnen

die Entscheidung der Ratsversammlung münd­lich mitzuteilen. "Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch weiter keine Last aufzuerlegen als nur diese notwendigen Dinge: dass ihr euch enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht. Wenn ihr euch davor bewahrt, tut ihr recht." (Apostelgeschichte 15,28.29). Die vier Diener Gottes wurden mit einem Sendschreiben nach Antiochia gesandt, dessen Inhalt alle Streitigkeiten beenden sollte -- hier sprach die höchste Autorität auf Erden.

Die Entscheidung schafft Klarheit

Die Versammlung, die über diese Angelegenheit entschied, setzte sich aus Aposteln und Lehrern zusammen, die bei der Gründung der jüdischen und nichtjüdischen Christengemeinden führend gewesen waren. Dazu kamen gewählte Vertreter aus verschiedenen Gegenden. Älteste aus Jerusalem und Abgesandte aus Antiochia waren zugegen -- Vertreter der einflussreichsten Gemeinden. Die Versammlung handelte in Übereinstimmung mit den Prinzipien eines erleuchteten Urteilsvermögens und mit der Würde einer von Gott gegründeten Gemeinde. Als Ergebnis ihrer Beratungen erkannten sie alle, dass Gott selbst die zur Debatte stehende Frage damit beantwortet hatte, dass er den Nichtjuden den Heiligen Geist verliehen hatte. Gleichzeitig erkannten sie, dass es ihre Aufgabe war, der Leitung des Geistes zu folgen.

Nicht die Christenheit als Ganzes wurde aufgefordert, über diese Frage abzustimmen, sondern die "Apostel und Ältesten", Männer von Einfluss und Urteilskraft. Sie erließen und formulierten den Beschluss, der daraufhin von allen christlichen Gemeinden angenommen wurde. Allerdings freuten sich nicht alle über diese Entscheidung. Eine Gruppe ehrgeiziger und selbstgerechter Brüder war anderer Meinung. Diese Männer nahmen sich das Recht heraus, in eigener Verantwortung im Werk tätig zu sein. Sie murrten und nörgelten und legten neue Pläne vor, um das Werk der Männer niederzureißen, die Gott zur Verkündigung der Evangeliumsbotschaft berufen hatte. Von Anfang an gab es in der Gemeinde solche Hindernisse, und bis zum Ende der Zeit wird es so bleiben.

Jerusalem war die Hauptstadt der ­Juden, und gerade dort waren Ausschließlichkeitsdenken und religiöse Engstirnigkeit am meisten verbreitet. Die Judenchristen, die dort in Sichtweite des Tempels wohnten, beschäftigten sich gedanklich natürlich oft mit den besonderen ­Vorrechten der Juden als Nation. Als sie ­bemerkten, wie sich die christliche ­Gemeinde von den Zeremonien und Überlieferungen des Judentums entfernte, und als sie spürten, dass die besondere Heiligkeit, mit der die jüdischen Bräuche gepflegt worden waren, im Licht des neuen Glaubens bald aus dem Blickfeld verschwinden würde, wurden viele über Paulus ungehalten, der ihrer Ansicht nach diese Veränderung vor allem veranlasst hatte. Nicht einmal alle Jünger waren geneigt, die Entscheidung des Konzils bereitwillig anzunehmen. Manche eiferten dem Zeremonialgesetz nach und betrachteten Paulus mit Missfallen, weil sie fanden, dass er in seiner Prinzipientreue gegenüber den Forderungen des jüdischen Gesetzes nach­lässig geworden sei.

Die klaren und weitreichenden Entscheidungen des allgemeinen Konzils brachte Vertrauen in die Reihen der Gläubigen aus dem Heidentum, und das Werk Gottes gedieh. Die Gemeinde in Antiochia hatte den Vorteil, dass Judas und Silas anwesend waren, die Sonderbotschafter, die mit den Aposteln von der Konferenz in Jerusalem nach Antiochia zurückgekehrt waren. Sie, "die selbst Propheten waren, ermahnten die Brüder mit vielen Reden und stärkten sie." (Apostelgeschichte 15,32). Einige Zeit hielten sich diese gottesfürchtigen Männer noch in Antiochia auf. "Paulus und Barnabas aber blieben in Antiochia, lehrten und predigten mit vielen andern das Wort des Herrn." (Apostelgeschichte 15,35).

Fehlbare Leiter

Als Petrus zu einem späteren Zeitpunkt Antiochia besuchte, ging er sehr besonnen mit den bekehrten Nichtjuden um und gewann damit das Zutrauen vieler. Eine Zeitlang handelte er in Übereinstimmung mit der Erkenntnis, die Gott ihm geschenkt hatte. Er überwand sogar sein natürliches Vorurteil und setzte sich mit bekehrten Heiden an einen Tisch. Als aber gewisse jüdische Eiferer für das Zeremonialgesetz aus Jerusalem kamen, änderte Petrus in unkluger Weise sein Verhalten gegenüber den Bekehrten aus dem Heidentum. "Mit ihm heuchelten auch die andern Juden, sodass selbst Barnabas verführt wurde, mit ihnen zu heucheln." (Galater 2,13). Dieser offensichtliche Mangel an Standfestigkeit bei denen, die man als Leiter geehrt und geliebt hatte, hinterließ bei den Heidenchristen einen äußerst schmerzlichen Eindruck. Der Gemeinde drohte eine Spaltung. Als Paulus die zerrüttende Wirkung des Unrechts sah, das der Gemeinde durch das Doppelspiel des Petrus angetan wurde, tadelte er ihn frei heraus, weil er damit seine wahre Gesinnung verberge. In Gegenwart der Gemeinde fragte er ihn: "Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du dann die Heiden, jüdisch zu leben?" (Galater 2,14).

Petrus sah seinen Irrtum ein und setzte umgehend alles daran, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Gott, der das Ende schon von Anfang an kennt, hatte es zugelassen, dass Petrus eine solche ­Charakterschwäche zeigte. Der erfahrene Apostel sollte erkennen, dass es in ihm nichts gab, dessen er sich rühmen könnte. Sogar die besten Menschen können irren, wenn sie sich selbst überlassen sind. Gott sah auch voraus, dass sich in späterer Zeit manche verleiten lassen würden, für Petrus und seine angeblichen Nachfolger Rechte zu beanspruchen, die allein Gott zustehen. Dieser Bericht von der Schwäche des Apostels sollte ein bleibender Nachweis seiner Fehlbarkeit sein und belegen, dass er keineswegs über den anderen Aposteln stand.

Dieser Bericht über das Abweichen von richtigen Grundsätzen ist eine ernste Warnung für Menschen in Vertrauensstellungen im Werk Gottes. Ihre moralische Integrität muss außer Zweifel stehen, sie müssen prinzipientreu sein. Je größer die Verantwortungen sind, die einem Menschen übertragen werden, und je mehr Kompetenzen er hat, Weisungen zu erteilen und Macht auszuüben, desto größeren Schaden wird er anrichten, wenn er nicht sorgfältig dem Weg des Herrn folgt. Auch wenn er nicht im Einklang mit den Entscheidungen handelt, die ein allgemeines Gremium von Gläubigen in gemeinsamer Beratung getroffen hat, ist er ein Hindernis für das Werk Gottes.

Petrus hatte mehrmals versagt. Er war gefallen und wieder angenommen worden. Er hatte viele Jahre gedient. Er war wohlvertraut mit Christus und wusste, wie gradlinig der Erlöser Rechtschaffenheit praktizierte. Trotz aller Unterweisung, die Petrus erhalten hatte, trotz aller Gaben und Kenntnisse, die ihm geschenkt worden waren, und trotz allen Einflusses, den er durch seine Predigt und sein Lehramt erwerben durfte -- ist es da nicht seltsam, dass er sich verstellte und von den Prinzipien der Evangeliumswahrheit abwich, sei es aus Menschenfurcht oder um Ansehen zu erlangen? Ist es nicht ebenfalls verwunderlich, dass er in seinem Festhalten an dem, was recht ist, wankte? Möge Gott jedem Menschen ein Bewusstsein seiner Hilflosigkeit schenken! Wie unfähig sind wir doch, unser Lebensschiff geradewegs und sicher in den Hafen zu steuern.

Eigenständigkeit und Gemeinsinn

In seinem Missionsdienst stand Paulus gezwungenermaßen oft allein. Er war durch Gott besonders geschult worden und wagte es nicht, Kompromisse in seiner Grundsatztreue einzugehen. Oft war die Last schwer, trotzdem trat Paulus entschlossen für das Recht ein. Er war sich darüber im Klaren, dass die Gemeinde niemals menschlicher Macht anvertraut werden durfte. Traditionen und menschliche Auffassungen dürfen nie den Platz göttlicher Offenbarung einnehmen. Der Fortschritt der Evangeliumsbotschaft darf niemals durch Vorurteile und Neigungen von Menschen behindert werden, welche Stellung sie auch immer in der Gemeinde bekleiden mögen.

Paulus hatte sich selbst und all seine Kräfte dem Dienst des Herrn geweiht. Er hatte die Evangeliumswahrheiten direkt vom Himmel erhalten. Während seines ganzen Missionsdienstes unterhielt er eine lebendige Verbindung mit dem Himmel. Gott selbst hatte ihn angewiesen, den Heidenchristen nicht unnötige Lasten aufzuerlegen. Als die judaisierenden Gläubigen die Frage der Beschneidung in der Gemeinde von Antiochia aufwarfen, kannte Paulus den Willen des Geistes Gottes, was solche Lehren betraf, und er nahm einen festen und unnachgiebigen Standpunkt ein. Dies verschaffte den Gemeinden Freiheit von jüdischen Riten und Zeremonien.

Obwohl Paulus persönlich von Gott unterwiesen worden war, hatte er keine überzogenen Auffassungen von persönlicher Verantwortlichkeit. Ihn verlangte stets nach Gottes direkter Führung, er anerkannte aber auch bereitwillig die Autorität, die der Gemeinschaft der Gläubigen als Gesamtheit übertragen worden war. Paulus wusste, dass er Rat brauchte. Wenn es um wichtige Angelegenheiten ging, legte er sie der Gemeinde bereitwillig vor und bat Gott zusammen mit seinen Brüdern um Weisheit für die richtigen Entscheidungen. Selbst "die Geister der Propheten sind" nach seinen Worten "den Propheten untertan. Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens." (1.Korinther 14,32.33). Wie Petrus lehrte er alle, gemeinsam die Verantwortung in der Gemeinde zu tragen: "Alle seien einander untertan!" (Vgl. 1.Petrus 5,5.)