Gute Nachricht für alle

Kapitel 43

In Rom

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Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 28,11-31; Brief an Philemon Philemon.

Als die Schifffahrt wieder aufgenommen werden konnte, setzten der Hauptmann und seine Gefangenen ihre Seereise nach Rom fort. Ein Schiff aus Alexandria, das "das Zeichen der Zwillinge führte" (Apostelgeschichte 28,11) und auf seiner Fahrt nach Westen bei Melite überwintert hatte, nahm die Reisegruppe an Bord. Zwar wurde man verschiedentlich durch widrige Winde aufgehalten; dennoch konnte die Seereise sicher beendet werden. Das Schiff ging in dem schönen Hafen von Puteoli an der Küste Italiens vor Anker.

Dort lebten einige Christen, die den Apostel eindringlich baten, sieben Tage lang bei ihnen zu bleiben. Diese Vergünstigung wurde vom Hauptmann freundlich gewährt. Seitdem die Christen in Italien den Brief des Paulus an die Römer erhalten hatten, lebten sie in der freudigen Erwartung auf einen Besuch des Apostels. Sie hatten nicht erwartet, ihn als einen Gefangenen kommen zu sehen, doch seine Leiden ließen ihre Zuneigung zu ihm noch größer werden. Da die Entfernung von Puteoli nach Rom nur etwa 220 km betrug und die Hafenstadt in ständiger Verbindung mit der Hauptstadt stand, waren die Christen in Rom schon bald über die Ankunft des Paulus informiert. Einige von ihnen machten sich auf den Weg, um ihm entgegenzugehen und ihn willkommen zu heißen.

Zuspruch und neuer Mut

Am achten Tage nach der Ankunft machten sich der Hauptmann und seine Gefangenen auf den Weg nach Rom. Julius gestattete dem Apostel jede Gunst, die zu gewähren in seiner Macht lag; doch konnte er seinen Status als Gefangener nicht ändern noch ihn von der Kette befreien, die ihn an seine Wache band. Mit schwerem Herzen schritt Paulus seinem lang erwarteten Besuch in der Hauptstadt der Welt entgegen. Wie anders waren doch die Umstände als jene, die er sich erhofft hatte! Wie sollte er, in Fesseln und als Übeltäter gebrandmarkt, das Evangelium verkündigen? Seine Hoffnung, in Rom viele Menschen für die Wahrheit zu gewinnen, schien zum Scheitern verurteilt zu sein.

Schließlich erreichen die Reisenden Forum Appii, etwa 60 Kilometer von Rom entfernt. Während sie sich einen Weg durch die Menschenmassen auf der großen Verkehrsstraße bahnen, wird dem alten, grauhaarigen Mann, der mit einer Gruppe hartgesottener Verbrecher zusammengekettet ist, manch verächtlicher Blick zugeworfen. Er muss es sich gefallen lassen, Zielscheibe roher Scherze und spöttischer Bemerkungen zu sein.

Plötzlich aber ist ein Freudenschrei zu hören. Aus der Schar der Vorbeidrängenden bricht ein Mann hervor, fällt dem Gefangenen um den Hals und umarmt ihn unter Freudentränen, so wie ein Sohn seinen Vater begrüßt, der lange Zeit abwesend war. Solche Szenen wiederholen sich mehrmals, denn viele erkennen mit einem von liebevoller Erwartung geschärften Blick in dem angeketteten Gefangenen den Mann, der ihnen in Korinth, Philippi und Ephesus die Worte des Lebens verkündigt hatte.

In herzlicher Liebe scharen sich die warmherzigen Jünger um ihren Vater im Glauben, sodass der ganze Zug zum Stehen kommt. Zwar werden die Kriegsknechte wegen der Verzögerung ungeduldig; dennoch bringen sie es nicht übers Herz, diese freudigen Begegnungen zu unterbinden, haben doch auch sie ihren Gefangenen achten und schätzen gelernt. Die Gläubigen sehen in dem müden, von Leid zerfurchten Gesicht den Widerschein des Bildes Christi. Sie versichern Paulus, sie hätten ihn nicht vergessen, nicht aufgehört, ihn zu lieben und seien ihm dankbar für die freudige Hoffnung, die ihr Leben durchdringe und ihnen Frieden mit Gott verleihe. Im Überschwang ihrer Liebe hätten sie Paulus am liebsten auf ihren Schultern bis zur Hauptstadt getragen, wenn es ihnen gestattet worden wäre.

Als der Apostel seine Glaubensbrüder sah, "dankte er Gott und gewann Zuversicht." (Apostelgeschichte 28,15). Wenige nur mögen ermessen, welche Bedeutung diesen Worten des Lukas zukommt. Inmitten der weinenden, mitfühlenden Gläubigen, die sich seiner Fesseln nicht schämten, pries der Apostel Gott mit lauter Stimme. Die Wolke der Traurigkeit, die sein Gemüt bedrückt hatte, war hinweggefegt. Wohl war sein Christenleben eine ununterbrochene Folge von Anfechtungen, Leid und Enttäuschungen gewesen, doch in dieser Stunde fühlte er sich für alles reichlich entschädigt. Mit festerem Schritt und freudigem Herzen setzte er seinen Weg fort. Er wollte weder über die Vergangenheit klagen noch sich vor der Zukunft fürchten. Gefängnis und Trübsal warteten auf ihn, das wusste er. Doch er wusste auch, dass durch ihn Menschen von einer viel schrecklicheren Knechtschaft befreit worden waren. Deshalb freute er sich seiner Leiden um Christi willen.

Frohe Botschaft für die Juden Roms

In Rom übergab der Hauptmann Julius seine Gefangenen an den Befehlshaber der kaiserlichen Wache. Der gute Bericht, den er über Paulus erstattete, sowie der Brief des Festus bewirkten, dass der Oberhauptmann Paulus Wohlwollen entgegenbrachte. Anstatt ihn ins Gefängnis legen zu lassen, erlaubte er ihm, in einem Mietshaus zu wohnen. Obwohl er weiterhin beständig an einen Kriegsknecht gekettet blieb, durfte er doch jederzeit seine Freunde empfangen und für den Fortgang der Sache Christi wirken.

Viele der Juden, die einige Jahre zuvor aus Rom verbannt worden waren, hatten die Erlaubnis erhalten, wieder zurückzukehren und lebten dort nun wieder in großer Zahl. Diese beschloss Paulus zuallererst über seine Person und über sein Wirken zu unterrichten, ehe seine Feinde Gelegenheit fänden, sie gegen ihn aufzuwiegeln. So rief er drei Tage nach seiner Ankunft in Rom die leitenden Männer der Juden zusammen und berichtete ihnen schlicht und sachlich, weshalb er als Gefangener nach Rom gekommen war.

"Ihr Männer, liebe Brüder", sagte er, "ich habe nichts getan gegen unser Volk und die Ordnungen der Väter und bin doch als Gefangener aus Jerusalem überantwortet in die Hände der Römer. Diese wollten mich losgeben, nachdem sie mich verhört hatten, weil nichts gegen mich vorlag, das den Tod verdient hätte. Da aber die Juden widersprachen, war ich genötigt, mich auf den Kaiser zu berufen, nicht als hätte ich mein Volk wegen etwas zu verklagen. Aus diesem Grund habe ich darum gebeten, dass ich euch sehen und zu euch sprechen könnte; denn um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Ketten." (Apostelgeschichte 28,17-20).

Er sagte nichts über die Misshandlungen, die er von den Juden erlitten hatte, auch nichts über ihre wiederholten Anschläge gegen sein Leben; seine Worte waren vielmehr umsichtig und freundlich. Ihm lag es fern, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder Mitgefühl zu erregen. Es ging ihm allein darum, die Wahrheit zu verteidigen und für die Ehre des Evangeliums einzustehen.

Seine Zuhörer erwiderten, dass weder durch öffentliche noch private Briefe irgendwelche Klagen gegen ihn eingegangen seien und dass ihn keiner der nach Rom gekommenen Juden irgendeines Verbrechens bezichtigt habe. Sie erwähnten aber auch, dass sie sehr gern den Grund für seinen Glauben an Christus erfahren wollten. "Denn von dieser Sekte", so erklärten sie, "ist uns bekannt, dass ihr an allen Enden widersprochen wird." (Apostelgeschichte 28,22).

Da sie es selbst wünschten, vereinbarte Paulus mit ihnen einen Tag, an dem er ihnen die Wahrheit des Evangeliums darlegen könnte. Zur vorgesehenen Zeit "kamen viele zu ihm in die Herberge. Da erklärte und bezeugte er ihnen das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten vom frühen Morgen bis zum Abend." (Apostelgeschichte 28,23). Er erzählte seine eigenen Erfahrungen und legte schlicht, aufrichtig und eindringlich Argumente aus dem Alten Testament vor.

Paulus wies darauf hin, dass wahrer Glaube nicht in Riten und Zeremonien, Lehrsätzen und Theorien bestehe. Wenn dies so wäre, könnte ihn der natürliche Mensch durch intensives Studium ergründen, so wie er das auch mit anderen irdischen Dingen tut. Paulus lehrte, dass wahrer Glaube eine reale, errettende Kraft sei, eine Wirkung, die ausschließlich von Gott ausgeht, eine persönliche Erfahrung von Gottes Macht, die den Menschen erneuert.

Er zeigte, dass bereits Mose die Israeliten im Voraus auf Christus hingewiesen habe als auf jenen Propheten, den sie hören sollten, und dass alle Propheten ihn bezeugt hätten als Gottes großartiges Heilmittel gegen die Sünde, als den Einen, der als Schuldloser die Sünden der Schuldigen tragen sollte.

Er tadelte sie nicht wegen ihrer Beachtung äußerer Formen und Zeremonien, wies aber darauf hin, dass sie, während sie zwar die rituellen Dienste mit großer Genauigkeit beibehielten, doch zugleich im Begriff seien, gerade den zu verwerfen, der das Zentrum des gesamten Zeremonialdienstes sei.

Paulus erklärte, er habe vor seiner Bekehrung Christus nicht persönlich kennen gelernt, sondern er habe sich -- wie alle anderen -- seine eigenen Vorstellungen von dem Wesen und Wirken des kommenden Messias gemacht. Weil Jesus von Nazareth diesen Vorstellungen nicht entsprach, habe er ihn als einen Betrüger verworfen. Nun aber sei sein Verständnis von Christus und Christi Sendung viel geistlicher und tiefer, weil er selbst eine Bekehrung erlebt habe. Der Apostel betonte, es gehe ihm nicht darum, Christus in seiner menschlichen Gestalt darzustellen. Wohl habe Herodes Christus leiblich sehen können, ebenso Hannas, Pilatus, die Priester und Obersten sowie die römischen Kriegsknechte, aber sie hätten ihn nicht mit den Augen des Glaubens und nicht als den verherrlichten Erlöser gesehen. Christus im Glauben zu erfassen und eine geistliche Erkenntnis über ihn zu haben, sei viel erstrebenswerter als eine persönliche Bekanntschaft mit ihm während seines Erdenlebens. Die Gemeinschaft mit Christus, die Paulus jetzt so froh mache, sei inniger und dauerhafter als eine bloße irdische und menschliche Freundschaft.

Als Paulus von dem sprach, was er von Jesus von Nazareth als der Hoffnung Israels wusste, und als er bekundete, was er gesehen hatte, ließen sich alle überzeugen, die aufrichtig nach Wahrheit suchten. Auf einige zumindest machten seine Worte einen unauslöschlichen Eindruck. Andere jedoch weigerten sich hartnäckig, das klare Zeugnis der Schrift anzunehmen, obwohl es ihnen von einem gegeben wurde, der vom Heiligen Geist besonders erleuchtet war. Sie konnten seine Ausführungen nicht widerlegen, weigerten sich aber, dieselben Schlussfolgerungen wie er daraus zu ziehen.

Nach der Ankunft des Paulus in Rom verstrichen viele Monate, bevor die Jerusalemer Juden persönlich erschienen, um ihre Anklagen gegen den Gefangenen vorzubringen. Ihre Absichten waren bereits mehrmals durchkreuzt worden, und nun, da Paulus vor das höchste Gericht des Römischen Reiches gestellt werden sollte, wollten sie nicht das Risiko einer weiteren Niederlage eingehen. Lysias, Felix, Festus und Agrippa hatten alle ihren Glauben an seine Unschuld erklärt. Seine Feinde konnten nur dadurch auf Erfolg hoffen, dass sie versuchten, den Kaiser durch Intrigen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Ein Aufschub würde ihre Absichten fördern, da ihnen dies Zeit gewähren würde, ihre Pläne zu verbessern und auszuführen. Deshalb warteten sie eine Zeitlang, bevor sie ihre Anklagen gegen den Apostel persönlich vortrugen.

Nach Gottes Vorsehung diente dieser Aufschub jedoch zur Förderung des Evangeliums. Durch das Wohlwollen derer, die Paulus in ihrem Gewahrsam hatten, durfte er in einem geräumigen Hause wohnen, wo er ohne jede Behinderung mit seinen Freunden zusammenkommen konnte, um täglich denen, die es hören wollten, die Wahrheit auszulegen. So konnte er zwei Jahre hindurch seine Arbeit fortsetzen. Er "predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert." (Apostelgeschichte 28,31).

Ein Stab begnadeter Mitarbeiter

Während dieser Zeit wurden die Gemeinden, die Paulus in vielen Ländern ins Leben gerufen hatte, nicht vergessen. Im Bewusstsein der Gefahren, die den zum neuen Glauben Bekehrten drohten, suchte der Apostel so weit wie möglich auf ihre Bedürfnisse und Nöte durch Briefe einzugehen. Sie enthielten Mahnungen, Warnungen und praktische Unterweisungen. Und von Rom sandte er Gott geweihte Mitarbeiter aus, die nicht nur für diese Gemeinden wirken sollten, sondern auch in Gebieten, die er selbst noch nicht besucht hatte. Als verständige Hirten festigten sie das Werk, das Paulus so gut angefangen hatte. So blieb der Apostel mit ihnen in ständiger Verbindung und wurde über den Zustand der Gemeinden und die ihnen drohenden Gefahren unterrichtet. So war er in der Lage, eine weise Aufsicht über alle auszuüben.

Obwohl es so schien, als sei aktive Arbeit am Werk Gottes für Paulus nicht mehr möglich, übte er auf diese Weise einen noch weitreichenderen und nachhaltigeren Einfluss aus als wenn er, so wie in früheren Jahren, die Gemeinden hätte ungehindert besuchen können. Dass er ein "Gefangener in dem Herrn" war (vgl. Epheser 4,1), brachte ihn den Herzen seiner Glaubensgeschwister nur noch näher. Und seine Worte, die er ihnen als Gebundener um Christi willen schrieb, fanden größere Beachtung und Respekt als in jenen Tagen, als er noch persönlich bei ihnen war. Erst als Paulus ihnen genommen war, erkannten die Gläubigen, wie schwer die Lasten waren, die er um ihretwillen auf dem Herzen getragen hatte. Bisher hatten sie sich aller Verantwortlichkeit und aller Lasten großteils mit der Begründung entzogen, ihnen fehle seine Weisheit, sein Taktgefühl und seine unbezwingbare Tatkraft. Jetzt aber, da sie in ihrer Unerfahrenheit lernen mussten, was sie bisher von sich gewiesen hatten, schätzten sie seine Warnungen, Mahnungen, Ratschläge und Unterweisungen in einem Maße, wie sie sein persönliches Wirken vorher nie geschätzt hatten. Als sie von seinem Mut und Glauben während seiner langen Gefangenschaft erfuhren, wurden sie zu noch größerer Treue und zu noch größerem Eifer für die Sache Christi angespornt.

Zu den Gehilfen des Apostels Paulus in Rom gehörten viele seiner früheren Gefährten und Mitarbeiter. Lukas, "der Arzt, der Geliebte" (Kolosser 4,14), der ihn schon auf seiner Reise nach Jerusalem begleitet hatte, der während der zweijährigen Gefangenschaft in Cäsarea bei ihm gewesen war und der ihm auch während der gefahrvollen Reise nach Rom treu zur Seite gestanden hatte, war noch immer bei ihm. Auch Timotheus diente ihm zum Trost (vgl. Kolosser 1,1). Desgleichen stand Tychikus, "der liebe Bruder und treue Diener und Mitknecht in dem Herrn" (Kolosser 4,7), dem Apostel selbstlos bei. Ferner waren Demas und Markus bei ihm (vgl. Kolosser 4,10.14). Aristarch und Epaphras waren sogar seine Mitgefangenen (vgl. Kolosser 4,10.12; Philemon 23).

Markus hatte sich schon in jüngeren Jahren zum Glauben bekannt. Inzwischen hatte sich seine Erfahrung als Christ vertieft. Nachdem er sich eingehender mit dem Leben und Sterben Christi befasst hatte, hatte er ein klareres Verständnis für die Sendung des Erlösers gewonnen sowie für die damit verbundenen Mühen und Kämpfe. Als er in den Wundmalen der Hände und Füße Christi die Spuren seines Dienstes für die Menschheit las und erfasste, wie weit Selbstverleugnung zu gehen bereit ist, um die Verlorenen und Zugrundegehenden zu retten, war er bereit, dem Meister auf dem Pfad der Selbsthingabe zu folgen. Nun, da er dem gefangenen Paulus zur Seite stand, begriff er besser als je zuvor, dass es unendlichen Gewinn bedeutet, zu Christus zu gehören, unendlichen Verlust jedoch, die Welt zu gewinnen und dabei Schaden an seiner Seele zu nehmen, für deren Erlösung Christus sein Blut vergossen hat. Markus blieb auch angesichts harter Anfechtungen und Nöte weiterhin standhaft und war dem Apostel ein verständiger und geliebter Helfer.

Demas hingegen, der eine Zeitlang standhaft gewesen war, kehrte später der Sache Christi den Rücken. Darüber schrieb Paulus: "Demas hat mich verlassen und diese Welt lieb gewonnen." (2.Timotheus 4,10). Für weltlichen Gewinn hatte Demas alles, was edel und erhaben war, dahingegeben. Was für ein kurzsichtiger Tauschhandel! Indem er lediglich weltlichen Reichtum und weltliche Ehre besaß, war Demas im Grunde ein armer Mensch, mochte er auch noch so vieles stolz sein Eigen nennen. Markus hingegen, der sich entschieden hatte, um Christi willen zu leiden, besaß ewigen Reichtum, denn im Himmel wurde er als Gottes Erbe und Miterbe Christi (vgl. Römer 8,17). eingeschrieben.

Nicht mehr Sklave, sondern Bruder

Einer von denen, die durch das Wirken des Paulus in Rom ihr Herz Gott übergaben, war Onesimus, ein heidnischer Sklave, der seinem Herrn Philemon, einem christlichen Gläubigen in Kolossä, Schaden zugefügt hatte und nach Rom entflohen war. In seiner Herzensgüte suchte Paulus zunächst die Armut und das Leid dieses unglücklichen Flüchtlings zu lindern, und dann bemühte er sich, sein verfinstertes Gemüt durch das Licht der Wahrheit zu erhellen. Onesimus schenkte dem Wort des Lebens Gehör, bekannte seine Sünden und bekehrte sich zum Glauben an Christus.

Durch seine Frömmigkeit und Aufrichtigkeit, durch seine freundliche Fürsorge für Paulus und durch seinen Eifer, das Evangelium zu fördern, erwarb sich Onesimus die Zuneigung des Apostels. Paulus entdeckte in ihm Wesenszüge, die erhoffen ließen, dass aus ihm ein nützlicher Helfer in der Missionsarbeit werden könnte. Er riet ihm, ohne Zögern zu Philemon zurückzukehren, ihn um Vergebung zu bitten und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Der Apostel versprach ihm auch, für den Betrag aufzukommen, den er Philemon entwendet hatte. Da er gerade Tychikus mit Briefen zu verschiedenen Gemeinden in Kleinasien senden wollte, schickte er Onesimus mit ihm. Es war eine schwere Probe für den Sklaven, sich auf diese Weise selbst seinem Herrn zu stellen, den er geschädigt hatte. Doch da er wirklich bekehrt war, entzog er sich nicht seiner Pflicht.

Paulus machte Onesimus zum Überbringer eines Briefes an Philemon, in dem er sich mit dem ihm eigenen Takt und Wohlwollen für den reumütigen Sklaven einsetzte und den Wunsch äußerte, Onesimus möge ihm selbst künftig zum Dienst zur Verfügung stehen. Der Brief begann mit einem herzlichen Gruß an Philemon als einem Freund und Mitarbeiter:

"Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Ich danke meinem Gott allezeit, wenn ich deiner gedenke in meinen Gebeten -- denn ich höre von der Liebe und dem Glauben, die du hast an den Herrn Jesus und gegenüber allen Heiligen --, dass der Glaube, den wir miteinander haben, in dir kräftig werde in Erkenntnis all des Guten, das wir haben, in Christus." (Philemon 3-6). Der Apostel erinnerte Philemon daran, dass er jeden guten Vorsatz und jede gute Charaktereigenschaft, die er besaß, der Gnade Christi verdanke und dass allein dies ihn von den verderbten und sündhaften Menschen unterscheide. Dieselbe Gnade könne selbst aus einem verkommenen Verbrecher ein Gotteskind und einen nützlichen Arbeiter am Evangelium machen.

Paulus hätte Philemon drängen können, an seine Christenpflicht zu denken, doch er wählte lieber die Sprache des Bittenden: "Ich, Paulus, als ein Mann von ­Alter und Autorität, dazu jetzt auch noch ein Gefangener für Jesus Christus, ich bitte dich für meinen Sohn, den ich hier im Gefängnis gezeugt, das heißt zum Glauben geführt habe: für Onesimus! Früher hattest du an ihm nur einen Nichtsnutz, aber jetzt kann er dir und mir von Nutzen sein." (Philemon 9-11 GNB)

Der Apostel bat Philemon, da Onesimus sich bekehrt habe, den reumütigen Sklaven wie sein eigenes Kind anzunehmen. Er solle ihm solche Liebe erweisen, dass er gern bei seinem ehemaligen Herrn bliebe, er möge ihn annehmen, "nun nicht mehr als einen Sklaven, sondern als einen, der mehr ist als ein Sklave: ein geliebter Bruder." (Philemon 16). Paulus brachte zum Ausdruck, dass er Onesimus gerne selbst behalten wollte, damit er ihm in seiner Gefangenschaft dienen könnte, so wie es Philemon sicher auch selbst gern getan hätte; allerdings wünschte er diese Dienste nur, wenn Philemon den Sklaven aus eigenem Antrieb freigäbe.

Der Apostel wusste sehr wohl, mit welcher Strenge die Herren damals ihre Sklaven behandelten, und er wusste auch, dass Philemon über das Verhalten seines Knechtes höchst ungehalten war. Deshalb bemühte er sich, sein Schreiben so abzufassen, dass die tiefsten und zartesten christlichen Empfindungen in ihm wachgerufen würden. Durch die Bekehrung war Onesimus ein Glaubensbruder geworden. Jede Strafe, die man diesem Neubekehrten zufügte, würde Paulus als ihm persönlich angetan betrachten.

Der Apostel erklärte sich aus freien Stücken bereit, für die Schuld des Onesimus aufzukommen, damit dem Schuldigen die Schande der Bestrafung erspart bliebe und er sich wieder der Vorrechte erfreuen dürfe, die er verwirkt hatte. "Wenn du mich nun", so schrieb Paulus an Philemon, "für deinen Freund hältst, so nimm ihn auf wie mich selbst. Wenn er dir aber Schaden angetan hat oder etwas schuldig ist, das rechne mir an. Ich, Paulus, schreibe es mit eigener Hand: Ich will's bezahlen." (Philemon 17-19).

Die Schuld wird bezahlt

Welch ein passendes Bild für die Liebe Christi zu einem reumütigen Sünder! Der Knecht, der seinen Herrn betrogen hatte, besaß nichts, womit er Entschädigung hätte leisten können. Der Sünder, der Gott jahrelang den Dienst verweigert hat, hat keine Möglichkeit, seine Schuld zu begleichen. Jesus stellt sich zwischen den Sünder und Gott und sagt: Ich will die Schuld bezahlen. Verschone den Sünder; ich will an seiner Stelle leiden.

Nachdem Paulus sich anerboten hatte, die Schuld des Onesimus zu begleichen, erinnerte er Philemon daran, wie sehr dieser selbst dem Apostel gegenüber verpflichtet sei. Er selbst stand ja in der Schuld des Apostels, da Gott Paulus zum Werkzeug seiner Bekehrung gemacht hatte. Dann appellierte er feinfühlig und ernsthaft an Philemon, so wie er durch seine Freigebigkeit die Heiligen erquickt habe, so möge er nun auch das Herz des Apostels erquicken und ihm diesen Grund zur Freude gewähren.

"Im Vertrauen auf deinen Gehorsam schreibe ich dir", fügte er hinzu, "denn ich weiß, du wirst mehr tun, als ich sage." (Philemon 21).

Der Brief des Apostels an Philemon zeigt den Einfluss des Evangeliums auf das Verhältnis zwischen Herr und Knecht. Die Sklaverei war im ganzen Römischen Reich eine anerkannte Einrichtung, und zu den meisten Gemeinden, in denen Paulus arbeitete, gehörten Herren und Sklaven. In den Städten, wo es oft viel mehr Sklaven als freie Bürger gab, hielt man extrem harte Gesetze für notwendig, um die Sklaven in der Gewalt ihrer Herren zu halten. Einem wohlhabenden Römer gehörten mitunter Hunderte von Sklaven aus den verschiedensten Ständen, Völkern und Berufen. Da ein Herr volle Gewalt über Leib und Leben dieser Hilflosen besaß, konnte er ihnen willkürlich jede beliebige Art von Leid zufügen. Wenn es sich einer von ihnen als Vergeltung oder auch nur in Notwehr erlauben sollte, die Hand gegen seinen Besitzer zu erheben, konnte es sein, dass die ganze Familie des Missetäters in unmenschlicher Weise dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Schon geringe Versehen, Unfälle oder Unachtsamkeiten wurden oft unbarmherzig bestraft.

Es gab auch Herren, die menschlicher empfanden und ihre Sklaven nachsichtiger behandelten, doch die meisten Wohlhabenden und Reichen frönten uneingeschränkt ihren Lüsten, Leidenschaften und Begierden und erniedrigten ihre Sklaven zu bedauernswerten Opfern ihrer Launen und ihrer Tyrannei. Die ganze Gesellschaftsordnung befand sich auf dem Weg zu einem hoffnungslosen Niedergang.

Es war nicht die Aufgabe des Apostels, eigenmächtig oder plötzlich die bestehende gesellschaftliche Ordnung umzustürzen. Ein solcher Versuch hätte den Erfolg der Evangeliumsverkündigung in Frage gestellt. Er lehrte aber Grundsätze, die die Sklaverei an ihren Grundfesten trafen; und wo man diese Lehren verwirklichte, musste die ganze Gesellschaftsordnung erschüttert werden. "Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2.Korinther 3,17), erklärte er. Durch seine Bekehrung wurde der Sklave ein Glied am Leib Christi. Als solches musste er wie ein Bruder geliebt und behandelt werden. Wie sein Herr war er Miterbe der Segnungen Gottes und der Gnadengaben des Evangeliums. Andererseits sollten die Sklaven ihren Pflichten nachkommen, "nicht mit Dienst allein vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern als Knechte Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen." (Epheser 6,6).

Das Christentum bildet ein starkes einigendes Band zwischen dem Herrn und dem Sklaven, dem König und dem Untertan, dem Prediger des Evangeliums und dem tief gefallenen Sünder, der in Christus die Reinigung von der Sünde gefunden hat. Sie sind alle in demselben Blut gewaschen, von demselben Geist belebt und in Christus Jesus eins geworden.

"Wir wollen an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen, und wollen nicht schwanken; denn Gott, der die Zusagen gegeben hat, steht zu seinem Wort." Hebräer 10,23.