Gute Nachricht Für Alle

Kapitel 38

Paulus In Gefangenschaft

[AUDIO]

Apostelgeschichte 21,17 bis 23,35.

»Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf. Am nächsten Tag aber ging Paulus mit uns zu Jakobus, und es kamen die Ältesten alle dorthin.« (Apostelgeschichte 21,17.18)

Bei dieser Gelegenheit überreichten Paulus und seine Begleiter den Leitern des Werks in Jerusalem feierlich die Spenden, die heidenchristliche Gemeinden für die Unterstützung der Armen unter ihren jüdischen Geschwistern gesandt hatten. Die Sammlung dieser Beträge hatte den Apostel und seine Mitarbeiter viel Zeit, sorgfältige Überlegung und ermüdende Arbeit gekostet. Die Summe, welche die Erwartungen der Ältesten in Jerusalem bei weitem übertraf, stand für viel Opferbereitschaft und sogar ernsthafte Entbehrungen seitens der nichtjüdischen Christen.

Diese freiwilligen Gaben waren ein Zeichen der Treue dieser Bekehrten zum organisierten Werk Gottes in aller Welt und hätten von allen mit dankbarer Anerkennung entgegengenommen werden sollen. Doch es war für Paulus und seine Gefährten offensichtlich, dass sogar einige unter denen, vor denen sie jetzt standen, unfähig waren, den Geist der Bruderliebe recht zu würdigen, der diese Gaben hervorgebracht hatte.

Traditionalismus Und Vorurteile

In den Anfangsjahren der Evangeliumsarbeit unter den Nichtjuden hatten einige der leitenden Brüder in Jerusalem, die noch an früheren Vorurteilen und Denkweisen festhielten, mit Paulus und seinen Gefährten nicht von Herzen zusammengearbeitet. In ihrem Bestreben, einige bedeutungslos gewordene Formen und Zeremonien zu bewahren, hatten sie den Segen aus den Augen verloren, der ihnen und der von ihnen geliebten Sache zuteil werden würde, wenn sie sich bemühen würden, alle Teile des Werkes des Herrn zu vereinen. Obgleich sie darauf bedacht waren, das Wohl der christlichen Gemeinde zu sichern, hatten sie es versäumt, mit den zukunftsweisenden Plänen Gottes Schritt zu halten. Sie hatten in ihrer menschlichen Weisheit versucht, den Evangeliumsarbeitern viele unnötige Einschränkungen aufzuerlegen. So bildete sich eine Gruppe von Männern heraus, die persönlich mit den wechselnden Umständen und speziellen Bedürfnissen, denen sich die Missionare in fernen Gebieten stellen mussten, nicht vertraut waren. Sie pochten jedoch darauf, die Vollmacht zu besitzen, ihren Brüdern in jenen Regionen bestimmte Arbeitsweisen vorzuschreiben. Sie meinten, die Verkündigung des Evangeliums müsste in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Auffassung vorangetrieben werden.

Mehrere Jahre waren bereits vergangen, seit die Brüder in Jerusalem gemeinsam mit Vertretern anderer führender Gemeinden sorgfältig über die schwierigen Fragen beraten hatten, die sich bezüglich der Arbeitsweise jener ergeben hatten, die für die Heiden wirkten (siehe Apostelgeschichte 15 und Kapitel 19 dieses Buches). Als Ergebnis dieses Konzils waren die Brüder übereingekommen, den Gemeinden definitive Empfehlungen bezüglich gewisser jüdischer Riten und Gebräuche einschließlich der Beschneidung zu geben. Bei dieser allgemeinen Ratsversammlung hatten die Brüder auch einmütig beschlossen, den christlichen Gemeinden Barnabas und Paulus als Mitarbeiter zu empfehlen, die das volle Vertrauen eines jeden Christen verdienten.

Unter den Teilnehmern an dieser Versammlung hatten einige die Arbeitsweise der Apostel, auf deren Schultern die Hauptlast der Evangeliumsverkündigung außerhalb Palästinas ruhte, scharf kritisiert. Doch im Laufe des Konzils hatte sich ihr Blick für die Absichten Gottes geweitet, und sie hatten gemeinsam mit ihren Brüdern einen weisen Beschluss gefasst, die die Vereinigung aller Gläubigen zu einer großen Gemeinschaft möglich machten (vgl. Apostelgeschichte 15,28-29).

Später, als ersichtlich wurde, dass die Bekehrten aus den Heiden rasch an Zahl zunahmen, gab es unter den leitenden Brüdern in Jerusalem einige, die sich erneut von ihren früheren Vorurteilen gegen die Arbeitsweise von Paulus und seinen Gefährten einnehmen ließen. Diese Vorurteile verstärkten sich im Laufe der Jahre, bis einige der leitenden Männer beschlossen, dass künftig die Evangeliumsverkündigung im Einklang mit ihren eigenen Vorstellungen zu geschehen habe. Falls Paulus bereit wäre, sein Wirken bestimmten Richtlinien anzupassen, die sie befürworteten, würden sie seinen Einsatz anerkennen und unterstützen; andernfalls könnten sie es nicht länger mit Wohlwollen betrachten oder ihm ihre Unterstützung gewähren.

Diese Männer hatten die Tatsache aus den Augen verloren, dass Gott selbst der Lehrer seines Volkes ist und jeder Mitarbeiter in seinem Werk eine persönliche Erfahrung in der Nachfolge des göttlichen Führers erlangen und nicht eine direkte Anleitung durch Menschen erwarten soll. Gottes Mitarbeiter sollen nicht nach menschlichen Vorstellungen, sondern nach dem Bild des Göttlichen geformt und gestaltet werden.

Der Apostel Paulus hatte in seinem Predigtdienst die Menschen »nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft« belehrt (1. Korinther 2,4). Der Heilige Geist hatte ihm die Wahrheiten offenbart, die er verkündigte, »denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes« (1. Korinther 2,10.11). Paulus erklärte: »Davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.« (1. Korinther 2,13)

Während seines Missionsdienstes hatte Paulus die direkte Führung Gottes gesucht. Zugleich war er aber auch sorgfältig darauf bedacht gewesen, in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Konzils in Jerusalem zu wirken, und als Ergebnis »wurden die Gemeinden im Glauben gefestigt und nahmen täglich zu an Zahl« (Apostelgeschichte 16,5). Und nun, ungeachtet des Mangels an Verständnis, den ihm einige entgegenbrachten, fand er doch Trost in dem Bewusstsein, dass er seine Pflicht getan hatte. Er hatte in den durch ihn Bekehrten einen Geist der Treue, der Freigebigkeit und Bruderliebe entfacht, wie er sich bei dieser Gelegenheit in den großzügigen Spenden offenbarte, die er vor die jüdischen Ältesten legen konnte.

Änderung Der Meinung Über Paulus

Nachdem die Gemeinde die Spenden in Empfang genommen hatte, erzählte Paulus »eins nach dem andern, was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst getan hatte« (Apostelgeschichte 21,19). Dieser Tatsachenbericht brachte in die Herzen aller, selbst derer, die gezweifelt hatten, die Überzeugung, dass der Segen des Himmels seine Bemühungen begleitet hatte. »Als sie aber das hörten, lobten sie Gott.« (Apostelgeschichte 21,20) Sie empfanden, dass die Arbeitsweise des Apostels das Siegel des Himmels trug. Die vor ihnen liegenden großzügigen Spenden verliehen dem Zeugnis des Apostels über die Glaubenstreue der unter den Heiden gegründeten neuen Gemeinden noch stärkeres Gewicht. Die Männer, die zu den Verantwortlichen des Werkes in Jerusalem zählten und willkürliche Kontrollmaßnahmen gefordert hatten, sahen nun den Dienst von Paulus in einem neuen Licht. Sie erkannten ihr falsches Vorgehen und dass sie Gefangene jüdischer Bräuche und Traditionen gewesen waren. Ihre Einstellung hatte das Evangeliumswerk stark behindert, weil sie nicht beachtet hatten, dass die Scheidewand zwischen Juden und Heiden durch Christi Tod niedergerissen worden war (vgl. Epheser 2,14).

Dies war für alle leitenden Brüder die goldene Gelegenheit, offen zu bekennen, dass Gott durch Paulus gewirkt hatte und sie selbst zeitweilig falsch gehandelt hatten, als sie es zuließen, dass die Berichte seiner Feinde ihren Neid und ihr Vorurteil weckten. Doch anstatt sich vereint zu bemühen, dem, den sie gekränkt hatten, Gerechtigkeit zukommen zu lassen, erteilten sie ihm Ratschläge, die zeigten, dass sie immer noch meinten, größtenteils sei Paulus doch selbst für das bestehende Vorurteil verantwortlich. Sie standen nicht edelmütig zu seiner Verteidigung auf und bemühten sich nicht, den Unzufriedenen zu zeigen, wo sie im Unrecht waren, sondern sie bemühten sich um einen Kompromiss, indem sie dem Apostel zu einem Vorgehen rieten, das ihrer Meinung nach jeden Grund für Missverständnisse ausräumen würde.

Ein Unbedachter Vorschlag

»Bruder, du siehst«, erwiderten sie auf seinen Bericht hin, »wie viel tausend Juden gläubig geworden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz. Ihnen ist aber berichtet worden über dich, dass du alle Juden, die unter den Heiden wohnen, den Abfall von Mose lehrst und sagst, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den Ordnungen leben. Was nun? Auf jeden Fall werden sie hören, dass du gekommen bist. So tu nun das, was wir dir sagen. Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich genommen; die nimm zu dir und lass dich reinigen mit ihnen und trage die Kosten für sie, dass sie ihr Haupt scheren können; so werden alle erkennen, dass es nicht so ist, wie man ihnen über dich berichtet hat, sondern dass du selber auch nach dem Gesetz lebst und es hältst. Wegen der gläubig gewordenen Heiden aber haben wir beschlossen und geschrieben, dass sie sich hüten sollen vor dem Götzenopfer, vor Blut, vor Ersticktem und vor Unzucht.« (Apostelgeschichte 21,20-25)

Die Brüder hofften, dass Paulus, indem er den vorgeschlagenen Weg ging, die falschen Berichte über ihn entscheidend widerlegen würde. Sie versicherten ihm, dass der Beschluss des früheren Konzils über die Nichtverbindlichkeit des Zeremonialgesetzes für bekehrte Nichtjuden weiterhin gültig sei. Doch der nun gegebene Rat war mit jenem Beschluss nicht vereinbar. Diese Anweisung wurde nicht vom Heiligen Geist eingegeben; sie war die Frucht der Feigheit.

Die Leiter der Gemeinde in Jerusalem wussten, dass sich Christen durch Nichtbeachtung des Zeremonialgesetzes den Hass der Juden zuzogen und sich selbst der Verfolgung aussetzten. Der jüdische Hohe Rat tat das Äußerste, um den Fortschritt des Evangeliums aufzuhalten. Dieses Gremium wählte Männer aus, die den Aposteln, insbesondere Paulus, auf den Fersen folgen und auf jede mögliche Weise gegen deren Wirken angehen sollten. Würden die Christusgläubigen vor dem Hohen Rat als Gesetzesbrecher verurteilt, würden sie als Abtrünnige vom jüdischen Glauben eine schnelle und strenge Strafe erleiden.

Viele der Juden, die das Evangelium angenommen hatten, hegten noch eine hohe Achtung vor dem Zeremonialgesetz und waren nur allzu bereit, unkluge Zugeständnisse zu machen. Sie hofften, so das Vertrauen ihrer Landsleute zu erlangen, deren Vorurteile zu entkräften und sie für den Glauben an Christus als den Erlöser der Welt zu gewinnen. Paulus erkannte: Solange viele der leitenden Leute der Gemeinde in Jerusalem gegen ihn weiterhin voreingenommen wären, würden sie nicht aufhören, seinem Einfluss entgegenzuwirken. Er meinte, wenn er sie durch irgendein zumutbares Zugeständnis für die Wahrheit gewinnen könnte, würde er ein großes Hindernis für den Erfolg des Evangeliums anderenorts aus dem Wege räumen. Doch er war nicht von Gott autorisiert worden, so viel zuzugestehen, wie sie verlangten.

Wenn wir an den Herzenswunsch des Paulus denken, mit seinen Brüdern im Einklang zu sein, an seine Behutsamkeit mit den Schwachen im Glauben, an seine Hochachtung vor den Aposteln, die mit Christus gewesen waren, und vor Jakobus, dem Bruder des Herrn, und an seinen Vorsatz, jedem so weit wie möglich entgegenzukommen, ohne dabei Prinzipien aufzugeben - wenn wir all das bedenken, ist es weniger verwunderlich, dass er sich drängen ließ, von dem festen, entschiedenen Kurs abzuweichen, den er bis dahin verfolgt hatte. Doch statt das ersehnte Ziel zu erreichen, beschleunigte sein Bemühen um Ausgleich nur die Krise, brachte die vorhergesagten Leiden nur umso schneller über ihn und führte dazu, ihn von seinen Brüdern zu trennen, die Gemeinde eines ihrer stärksten Pfeiler zu berauben und die Herzen der Christen in allen Landen mit Kummer zu erfüllen.

Paulus‚ Handlungsweise Verursacht Einen Aufruhr

Am folgenden Tag begann Paulus damit, den Rat der Ältesten auszuführen. Er nahm die vier Männer, die das Nasiräergelübde der Gottgeweihten (vgl. 4. Mose 6,13-21) auf sich genommen hatten, dessen Frist fast abgelaufen war, mit sich »in den Tempel und zeigte an, dass die Tage der Reinigung beendet sein sollten, sobald für jeden von ihnen das Opfer dargebracht wäre« (Apostelgeschichte 21,26). Einige kostspielige Reinigungsopfer standen noch aus.

Diejenigen, die Paulus zu diesem Schritt rieten, hatten nicht die große Gefahr bedacht, der er dadurch ausgesetzt würde. Zu dieser Jahreszeit war Jerusalem voller Pilger aus vielen Ländern. Als Paulus in Erfüllung seines Gottesauftrags das Evangelium den Heiden gebracht hatte, hatte er viele der größten Städte der Welt besucht. Tausende von denen, die aus fernen Ländern nach Jerusalem zum Fest gepilgert waren, kannten ihn gut. Unter ihnen gab es Leute, deren Herz voller Hass auf ihn war. Wenn er den Tempel bei einem solchen öffentlichen Anlass betrat, begab er sich in Lebensgefahr. Einige Tage lang ging er jedoch anscheinend unbemerkt von den Pilgern im Tempel ein und aus. Doch kurz bevor die bestimmte Frist abgelaufen war und er gerade mit einem Priester über das darzubringende Opfer sprach, wurde er von einigen Juden aus der Provinz Asia erkannt.

Mit teuflischer Wut stürzten sie sich auf ihn und schrien: »Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen unser Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte.« Als die Leute diesem Hilferuf folgten, fügten sie eine weitere Anklage hinzu: »Dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht.« (Apostelgeschichte 21,28)

Nach dem jüdischen Gesetz war es für einen Unbeschnittenen ein todeswürdiges Verbrechen, die inneren Vorhöfe des heiligen Gebäudes zu betreten. Paulus war in Begleitung von Trophimus, einem Epheser, in der Stadt gesehen worden, und man schloss daraus, dass er ihn in den Tempel mitgebracht hätte. Dies hatte er aber nicht getan; und wenn er selbst den Tempel betrat, war das keine Gesetzesübertretung, da er ja ein Israelit war. Doch obwohl die Anklage völlig falsch war, genügte sie doch, das Vorurteil der Leute zu erregen. Als der Ruf aufgenommen und durch die Vorhöfe des Tempels getragen wurde, geriet die dort versammelte Menge in helle Aufregung. Schnell verbreitete sich die Nachricht durch Jerusalem. »Die ganze Stadt wurde erregt, und es entstand ein Auflauf des Volkes.« (Apostelgeschichte 21,30a)

Die Vorstellung, dass ein abgefallener Israelit sich anmaßte, den Tempel ausgerechnet zu einer Zeit zu entweihen, da Tausende aus allen Teilen der Welt dahin gekommen waren, um Gott anzubeten, entfachte die heftigsten Leidenschaften der Volksmasse. »Sie ergriffen aber Paulus und zogen ihn zum Tempel hinaus. Und sogleich wurden die Tore zugeschlossen.« (Apostelgeschichte 21,30b)

»Als sie ihn aber töten wollten, kam die Nachricht hinauf vor den Oberst der Abteilung, dass ganz Jerusalem in Aufruhr sei.« (Apostelgeschichte 21,31) Klaudius Lysias, der die aufrührerischen Elemente, mit denen er es zu tun hatte, sehr wohl kannte, »nahm sogleich Soldaten und Hauptleute und lief hinunter zu ihnen. Als sie aber den Oberst und die Soldaten sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen« (Apostelgeschichte 21,32). Dem römischen Oberst war die Ursache des Aufruhrs nicht bekannt; aber als er sah, dass sich die Wut der Menge gegen Paulus richtete, nahm er an, dass es sich um einen ägyptischen Aufrührer handeln müsse, von dem er gehört hatte und der sich bisher der Gefangennahme entziehen konnte. So »nahm er ihn fest und ließ ihn fesseln mit zwei Ketten und fragte, wer er wäre und was er getan hätte« (Apostelgeschichte 21,33). Sogleich erhoben sich viele Stimmen in lauter, zorniger Anklage. »Einer aber rief dies, der andre das im Volk. Da er aber nichts Gewisses erfahren konnte wegen des Getümmels, ließ er ihn in die Burg führen. Und als er an die Stufen kam, mussten ihn die Soldaten tragen wegen des Ungestüms des Volkes; denn die Menge folgte und schrie: Weg mit ihm!« (Apostelgeschichte 21,34-36)

Das Zeugnis Von Paulus Vor Dem Volk

Inmitten des Tumultes blieb der Apostel ruhig und gefasst. Sein Verstand war auf Gott ausgerichtet und er wusste, dass ihn Engel vom Himmel umgaben. Er wollte den Tempel nicht verlassen, ohne den Versuch gemacht zu haben, seinen Landsleuten die Wahrheit darzulegen. Gerade, als er in die Burg geführt werden sollte, fragte er den Oberhauptmann: »Darf ich mit dir reden?« Lysias erwiderte: »Kannst du Griechisch? Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht und viertausend von den Aufrührern in die Wüste hinausgeführt hat?« Paulus antwortete: »Ich bin ein jüdischer Mann aus Tarsus in Zilizien, Bürger einer namhaften Stadt. Ich bitte dich, erlaube mir, zu dem Volk zu reden.« (Apostelgeschichte 21,37-39)

Die Bitte wurde ihm gewährt, und so »trat Paulus auf die Stufen und winkte dem Volk mit der Hand« (Apostelgeschichte 21,40). Diese Geste zog die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihn, und seine Haltung gebot Respekt. »Da entstand eine große Stille, und er redete zu ihnen auf Hebräisch und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mir zu, wenn ich mich jetzt vor euch verantworte.« (Apostelgeschichte 21,40; 22,1) Als sie vertraute hebräische Worte hörten, »wurden sie noch stiller« (Apostelgeschichte 22,2).

In das allgemeine Schweigen hinein sprach er nun weiter: »Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien, aufgewachsen aber in dieser Stadt und mit aller Sorgfalt unterwiesen im väterlichen Gesetz zu Füßen Gamaliels, und war ein Eiferer für Gott, wie ihr es heute alle seid.« (Apostelgeschichte 22,3) Den Darlegungen des Apostels konnte niemand widersprechen; denn die Tatsachen, auf die er hinwies, waren vielen, die noch in Jerusalem wohnten, gut bekannt. Er sprach auch davon, mit welchem Eifer er einst die Anhänger von Jesus bis in den Tod verfolgt hatte. Ausführlich schilderte er seinen Zuhörern die Vorgänge bei seiner Bekehrung, und wie sein stolzes Herz sich schließlich vor dem gekreuzigten Nazarener gebeugt hatte. Hätte er versucht, sich mit seinen Gegnern in eine Diskussion einzulassen, so hätten sie sich hartnäckig geweigert, seinen Worten zuzuhören. Aus dem Bericht seiner Erfahrung aber klang eine überzeugende Kraft, die zunächst ihre Herzen zu besänftigen und zu überwinden schien.

Dann versuchte er ihnen zu erklären, dass er seinen Dienst unter den Heiden nicht aus eigener Entscheidung aufgenommen habe. Sein Wunsch sei es gewesen, für sein eigenes Volk zu wirken, aber gerade hier im Tempel habe Gott in einer heiligen Vision mit ihm geredet und ihn angewiesen: »Ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden.« (Apostelgeschichte 22,21)

Bis dahin hatten die Menschen mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Als aber Paulus den Punkt in seiner Lebensgeschichte erreichte, als Christus ihn zu seinem Botschafter unter den Heiden bestimmt hatte, brach ihre Wut von neuem los. Sie waren es gewohnt, sich als das einzige von Gott auserwählte Volk zu sehen, und nicht bereit, den verachteten Heiden einen Anteil an den Privilegien zuzugestehen, die sie bisher für sich allein beansprucht hatten. Mit lautem Geschrei übertönten sie die Stimme von Paulus und riefen: »Schaff diesen aus der Welt; so einer darf nicht leben!« (Apostelgeschichte 22,22 ZÜ)

»Und sie schrien laut, rissen sich die Kleider vom Leib und wirbelten Staub auf. Da befahl der Oberst, ihn in die Kaserne zu führen, und ordnete an, ihn zu geißeln und ins Verhör zu nehmen. So wollte er herausfinden, weshalb sie seinetwegen ein solches Geschrei erhoben.« (Apostelgeschichte 22,23.24 ZÜ)

»Als sie ihn aber zur Geißelung vornüberstreckten, sagte Paulus zu dem Hauptmann, der dabeistand: Dürft ihr einen römischen Bürger geißeln, ohne Gerichtsurteil? Als der Hauptmann das hörte, ging er zum Oberst, erstattete Meldung und sagte: Was hast du vor? Dieser Mann ist ein römischer Bürger! Da kam der Oberst und sagte zu ihm: Sag mir, bist du ein römischer Bürger? Er sagte: Ja. Da erwiderte der Oberst: Ich habe dieses Bürgerrecht für eine hohe Summe erworben. Paulus sagte: Ich besitze es durch Geburt. Sogleich ließen die, welche ihn verhören sollten, von ihm ab; der Oberst aber bekam es mit der Angst zu tun, als ihm bewusst wurde, dass er einen römischen Bürger hatte fesseln lassen.« (Apostelgeschichte 22,25-29 ZÜ)

Paulus Vor Dem Hohen Rat

»Da er aber genau in Erfahrung bringen wollte, weshalb dieser von den Juden angeklagt wurde, ließ er ihm anderntags die Fesseln lösen und befahl den Hohenpriestern und dem ganzen Hohen Rat, sich zu versammeln. Und er ließ Paulus hinunterführen und vor sie treten.« (Apostelgeschichte 22,30 ZÜ)

Der Apostel sollte nun von dem gleichen Gericht verhört werden, dem er vor seiner Bekehrung selbst angehört hatte. Innerlich ruhig stand er vor den jüdischen Obersten; seine Gesichtszüge zeugten von dem Frieden Christi. »Paulus schaute sie an und sagte zum Hohen Rat: Brüder, mit reinem Gewissen habe ich mein Leben vor Gott geführt bis auf den heutigen Tag.« (Apostelgeschichte 23,1 ZÜ) Als sie diese Worte hörten, entbrannte ihr Hass aufs Neue, und der Hohepriester Hananias befahl »denen, die bei ihm standen, ihn auf den Mund zu schlagen« (Apostelgeschichte 23,2 ZÜ). Auf diesen rohen Befehl hin erwiderte Paulus: »Dich wird Gott schlagen, du getünchte Wand! Du sitzt hier, um über mich zu richten nach dem Gesetz, und wider das Gesetz befiehlst du, mich zu schlagen? Die Umstehenden sagten: Du willst den Hohen Priester Gottes schmähen?« (Apostelgeschichte 23,3.4 ZÜ) Mit gewohnter Höflichkeit antwortete Paulus: »Ich wusste nicht, Brüder, dass er Hoherpriester ist; es steht ja geschrieben : ›Einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht fluchen.‹« (Apostelgeschichte 23,5 ZÜ; vgl. 2. Mose 22,27)

»Weil Paulus aber in den Sinn kam, dass der eine Teil zu den Sadduzäern, der andere zu den Pharisäern gehörte, rief er in den Hohen Rat hinein: ›Brüder, ich bin Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern. Wegen der Hoffnung und wegen der Auferstehung der Toten stehe ich vor Gericht!‹« (Apostelgeschichte 23,6)

»Kaum hatte er das gesagt, gab es Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern, und die Versammlung spaltete sich in zwei Lager. Die Sadduzäer sagen nämlich, es gebe weder eine Auferstehung noch Engel noch einen Geist, die Pharisäer dagegen bejahen dies alles.« (Apostelgeschichte 23,7.8 ZÜ) Die beiden Parteien stritten sich nun untereinander, und damit war die Macht ihres Widerstandes gegen Paulus gebrochen. »Einige Schriftgelehrte von der Partei der Pharisäer erhoben sich, legten sich ins Zeug und sagten: Wir können an diesem Menschen nichts Böses finden. Wenn nun doch ein Geist oder ein Engel zu ihm gesprochen hat?« (Apostelgeschichte 23,9 ZÜ)

In dem nun folgenden Durcheinander setzten die Sadduzäer alles daran, den Apostel in ihre Gewalt zu bekommen, um ihn zu töten. Ebenso sehr bemühten sich die Pharisäer, ihn zu schützen. »Der Oberst befürchtete schließlich, Paulus könnte von ihnen in Stücke gerissen werden, und befahl der Wachabteilung, herunterzukommen, ihn aus ihrer Mitte herauszuholen und in die Kaserne zu bringen.« (Apostelgeschichte 23,10)

War Alles Verkehrt Gewesen?

Als Paulus später über die bedrückenden Erlebnisse des Tages nachdachte, überkam ihn die Befürchtung, seine Handlungsweise könnte Gott missfallen haben. War es vielleicht falsch gewesen, überhaupt Jerusalem zu besuchen? Hatte sein sehnlicher Wunsch nach Eintracht mit seinen Brüdern zu diesem unheilvollen Ergebnis geführt?

Es tat dem Apostel in der Seele weh, wie sich die Juden als Gottes auserwähltes Volk vor einer ungläubigen Welt zeigten. Was mochten die römischen Offiziere nur über sie denken? Sind das die Anbeter Jahwes - so ihr Anspruch -, die zum heiligen Dienst berufen sind, die sich nun aber von blinder, vernunftloser Wut und bestimmen lassen? Selbst ihre Brüder wollten sie vernichten, nur weil diese es wagten, in religiösen Dingen eine abweichende Meinung zu vertreten, und machten ihre ehrwürdige Ratsversammlung zu einem Schauplatz des Streites und wüsten Durcheinanders. Paulus empfand, dass der Name seines Gottes in den Augen der Römer Schmach erlitten hatte.

Und er selbst lag nun im Gefängnis und wusste, dass seine Feinde in ihrer zum Äußersten entschlossenen Bosheit nichts unversucht lassen würden, um ihn zu töten. Konnte es sein, dass sein Wirken für die Gemeinden zu Ende war und jetzt reißende Wölfe bei ihnen eindringen würden? Die Sache Christi lag Paulus sehr am Herzen, und mit tiefer Besorgnis dachte er an die Gefahren für die verstreuten Gemeinden. Sie waren der Verfolgung durch ebensolche Männer ausgesetzt, wie sie ihm im Hohen Rat begegnet waren. Bekümmert und entmutigt weinte und betete er.

Doch auch in dieser dunklen Stunde hatte der Herr seinen Diener nicht vergessen. Er hatte ihn in den Vorhöfen des Tempels vor der mörderischen Menge beschützt; er war vor dem Hohen Rat bei ihm gewesen; er war auch in der römischen Festung bei ihm; und er offenbarte sich seinem treuen Zeugen auf dessen ernstes Flehen um Führung hin: »In der folgenden Nacht aber trat der Herr zu ihm und sprach: Fasse Mut! Wie du in Jerusalem für mich Zeugnis abgelegt hast, so sollst du auch in Rom mein Zeuge sein.« (Apostelgeschichte 23,11 ZÜ)

Schon lange hatte Paulus gehofft, Rom besuchen zu können. Auch dort wollte er gern Zeuge für Christus sein, hatte aber den Eindruck gewonnen, dass seine Absichten durch die Feindseligkeit der Juden vereitelt wurden. Dass er ausgerechnet als Gefangener dorthin kommen würde, konnte er jetzt noch kaum glauben.

Ein Anschlag Auf Paulus

Während der Herr seinem Diener Mut zusprach, planten die Feinde des Paulus eifrig dessen Ermordung. »Als es Tag wurde, taten sich die Juden heimlich zusammen und schworen sich, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus getötet hätten. Es waren mehr als 40 Männer an dieser Verschwörung beteiligt.« (Apostelgeschichte 23,12.13 ZÜ) Das war ein Fasten, wie es der Herr durch Jesaja verurteilt hatte: »Wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.« (Jesaja 58,4)

Die Verschwörer »gingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und sagten: Wir wollen verflucht sein, wenn wir Speise zu uns nehmen, bevor wir Paulus getötet haben. Ihr aber sollt jetzt mit dem Hohen Rat zusammen beim Oberst vorstellig werden mit der Bitte, ihn zu euch hinunterzuführen, weil ihr seinen Fall genauer untersuchen möchtet. Wir aber halten uns bereit, ihn zu töten, bevor er sich dem Ort nähert« (Apostelgeschichte 23,14.15 ZÜ). Anstatt diesen grausamen Anschlag entschieden zu verurteilen, stimmten ihm die Hohenpriester und Obersten sofort zu. Paulus hatte die Wahrheit gesprochen, als er Hananias mit einer getünchten Wand verglich.

Doch Gott griff ein, um das Leben seines Dieners zu retten. »Der Sohn der Schwester des Paulus aber hörte von dem geplanten Anschlag; er kam, verschaffte sich Zutritt zur Kaserne und berichtete Paulus davon. Paulus ließ einen der Hauptleute zu sich rufen und sagte zu ihm: Führe diesen jungen Mann zum Oberst, denn er hat ihm etwas mitzuteilen. Der nahm ihn mit, führte ihn zum Oberst und sagte: Der Gefangene Paulus hat mich zu sich rufen lassen und mich gebeten, diesen jungen Mann zu dir zu führen, er habe dir etwas zu sagen.« (Apostelgeschichte 23,16-18 ZÜ)

Freundlich empfing Klaudius Lysias den jungen Mann, nahm ihn zur Seite und fragte ihn: »Was hast du mir mitzuteilen?« Der Jüngling erwiderte: »Die Juden sind übereingekommen, dich zu bitten, Paulus morgen zum Hohen Rat hinunterführen zu lassen, man wolle dort Genaueres über ihn erfahren. Du aber traue ihnen nicht! Denn unter ihnen sind mehr als vierzig Männer, die ihm auflauern; sie haben sich geschworen, weder zu essen noch zu trinken, bis sie ihn getötet haben. Sie stehen jetzt bereit und warten auf die Zusage von deiner Seite. Da entließ der Oberst den jungen Mann und schärfte ihm ein: Sag niemandem, dass du mir dies hinterbracht hast.« (Apostelgeschichte 23,19-22 ZÜ)

In Schutzhaft

Lysias beschloss sofort, Paulus aus seiner eigenen Gerichtsbarkeit an die des Statthalters Felix zu überstellen. Das jüdische Volk befand sich in einem Zustand der Erregung und Gereiztheit, und Aufruhr war an der Tagesordnung. Die weitere Anwesenheit des Apostels in Jerusalem konnte gefährliche Folgen für die Stadt und sogar für den Kommandanten selbst haben. Deshalb rief er »zwei Hauptleute zu sich und sagte: Stellt für die dritte Stunde der Nacht 200 Soldaten bereit zum Abmarsch nach Cäsarea, ebenso 70 Reiter und 200 Leichtbewaffnete. Auch Reittiere soll man bereithalten, damit Paulus aufsitzen und man ihn wohlbehalten zum Statthalter Felix bringen kann« (Apostelgeschichte 23,23.24 ZÜ).

Wollte man Paulus wegbringen, so durfte man keine Zeit verlieren. »Die Soldaten übernahmen Paulus, wie ihnen befohlen war, und brachten ihn in der Nacht nach Antipatris.« (Apostelgeschichte 23,31 ZÜ) Von dort zogen die Reiter mit dem Gefangenen weiter nach Cäsarea, während die 400 Soldaten nach Jerusalem zurückkehrten.

Der Befehlshaber der Abteilung übergab den Gefangenen an Felix und überreichte ihm gleichzeitig einen Brief, den der Oberst ihm anvertraut hatte: »Claudius Lysias an den edlen Statthalter Felix: Sei gegrüßt! Dieser Mann wurde von den Juden in ihre Gewalt gebracht und sollte von ihnen umgebracht werden. Da bin ich mit der Wachmannschaft eingeschritten und habe ihn befreit; ich hatte nämlich vernommen, dass er römischer Bürger ist. Und da ich den Grund für ihre Anschuldigungen erfahren wollte, ließ ich ihn vor ihren Hohen Rat führen. Dabei habe ich festgestellt, dass er nur wegen strittiger Fragen, die ihr Gesetz betreffen, angeklagt wird, dass ihm aber nichts vorgeworfen wird, worauf Tod oder Haft steht. Da mir aber angezeigt wurde, auf den Mann sei ein Anschlag geplant, habe ich ihn sogleich zu dir geschickt; auch habe ich die Kläger angewiesen, sie sollten bei dir vorbringen, was sie ihm vorzuwerfen haben.« (Apostelgeschichte 23,2630 ZÜ)

Als Felix die Mitteilung gelesen hatte, fragte er, aus welcher Provinz der Gefangene stamme. »Als er erfuhr, dass er aus Zilizien sei, sagte er zu ihm: ›Ich werde dich verhören, sobald deine Ankläger eingetroffen sind.‹ Und er gab Befehl, ihn im Prätorium des Herodes gefangen zu halten.« (Apostelgeschichte 23,34.35)

Im Fall von Paulus war es nicht das erste Mal, dass ein Diener Gottes bei Nichtjuden vor der Bosheit derer Schutz gefunden hatte, die sich als Volk des Herrn ausgaben. In ihrer Wut gegen Paulus hatten die Juden der dunklen Liste, die die Geschichte dieses Volkes kennzeichnete, ein weiteres Verbrechen hinzugefügt. Sie hatten ihre Herzen noch mehr gegen die Wahrheit verhärtet und damit ihren eigenen Untergang noch gewisser gemacht.

Nur wenige erfassen die volle Bedeutung der Worte, die Jesus in der Synagoge von Nazareth sagte, als er sich selbst als den Gesalbten zu erkennen gab. Er bezeichnete es als seine Aufgabe, die Betrübten und Sündenbeladenen zu trösten, glücklich zu machen und zu erretten. Als er dann aber sah, wie Stolz und Unglauben das Herz seiner Zuhörer beherrschten, erinnerte er sie daran, dass Gott sich in vergangenen Zeiten von seinem auserwählten Volk abgewandt hatte, weil es voll Unglaubens und Empörung war, und sich in den Heidenländern denen offenbarte, die das göttliche Licht nicht zurückwiesen. Die Witwe von Sarepta und Naaman, der Syrer, hatten nach dem ganzen ihnen zuteil gewordenen Licht gelebt und wurden deshalb gerechter erfunden als Gottes auserwähltes Volk, das von ihm abgefallen war und um Bequemlichkeit und irdischer Ehre willen seine Grundsätze preisgegeben hatte.

Jesus sagte den Juden in Nazareth eine erschreckende Wahrheit, als er ihnen erklärte, dass der treue Gottesbote im abgefallenen Israel nicht sicher leben könne. Sie würden weder seinen Wert erkennen noch sein Wirken recht schätzen. Während die jüdischen Leiter vorgaben, sich mit großem Eifer für Gottes Ehre und das Wohl des Volkes einzusetzen, waren sie beider Feinde. Durch ihre Satzungen und ihr Beispiel führten sie das Volk immer weiter vom Gehorsam Gott gegenüber ab und dahin, wo Gott am Tag der Trübsal nicht ihr Schutz sein konnte.

Die Gemeinde Beraubt Sich Ihrer Diener

Die tadelnden Worte des Erlösers an die Menschen in Nazareth galten im Fall des Paulus nicht nur den ungläubigen Juden, sondern seinen eigenen Brüdern im Glauben. Hätten die Leiter der Gemeinde ihren Groll dem Apostel gegenüber völlig abgelegt und ihn als den anerkannt, der von Gott speziell berufen war, das Evangelium zu den Heiden zu bringen, dann hätte ihn der Herr ihnen erhalten. Dass das Wirken des Paulus so bald enden sollte, hatte Gott nicht verfügt; doch hat er auch kein Wunder bewirkt, um den Ablauf der Umstände aufzuhalten, den die Handlungsweise der Leiter der Jerusalemer Gemeinde verursacht hatte.

Dieselbe Gesinnung führt immer noch zu denselben Folgen. Die Gemeinde hat sich selbst schon mancher Segnung beraubt, weil sie versäumte, die durch Gottes Gnade geschenkten Gelegenheiten recht zu schätzen und zu nutzen. Gar oft hätte der Herr die Wirksamkeit manch eines treuen Dieners verlängert, wenn dessen Arbeit gewürdigt worden wäre. Lassen die Gemeindeleiter es aber zu, dass der Feind der Menschen das Verständnis verdreht, sodass sie die Worte und Taten eines Dieners Christi entstellen und missdeuten, und wagen sie es, sich ihm hindernd in den Weg zu stellen und sein Wirken zu beeinträchtigen, dann entzieht der Herr ihnen zuweilen den verliehenen Segen.

Satan wirkt dauernd durch seine Werkzeuge, um diejenigen zu entmutigen und zu verderben, die Gott erwählt hat, ein großartiges und gutes Werk zu tun. Selbst wenn diese bereit sind, für die Förderung der Sache Christi ihr Leben hinzugeben, wird der Erzbetrüger doch versuchen, bei ihren Brüdern gegen sie Zweifel zu erwecken. Wird diesen Zweifeln Raum gegeben, dann werden sie das Vertrauen in die Rechtschaffenheit der Erwählten untergraben und so ihr Wirken beeinträchtigen. Nur zu oft gelingt es Satan, ihnen durch ihre eigenen Brüder solche Herzensnot zu bereiten, dass Gott in seiner Barmherzigkeit eingreifen muss, um seinen verfolgten Dienern Ruhe zu geben. Erst wenn deren Hände über der regungslosen Brust gefaltet liegen und ihre warnende und ermutigende Stimme verstummt ist, mögen die Verstockten schließlich aufgerüttelt werden und erkennen, welch wertvolle Segnungen sie von sich gewiesen haben. Der Tod dieser Gottesdiener mag vielleicht bewirken, was ihrem Leben versagt geblieben ist.