Gute Nachricht Für Alle

Kapitel 48

Paulus Vor Nero

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2. Timotheus 4,16-18.

Als Paulus zur Gerichtsverhandlung vor Kaiser Nero geladen wurde, musste er mit ziemlicher Sicherheit mit seinem baldigen Tod rechnen. Die Schwere des Verbrechens, dessen man ihn beschuldigte, und die allgemeine Feindseligkeit den Christen gegenüber ließen nur wenig Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Prozesses zu.

Bei Griechen und Römern wurde üblicherweise jedem Angeklagten das Recht eingeräumt, sich einen Verteidiger zu nehmen, der ihn vor Gericht vertrat. Durch geschickte Beweisführung und Redegewandtheit, aber auch mit Flehen, Bitten und Tränen konnte ein Verteidiger oft ein Urteil zugunsten des Angeklagten erwirken. Falls dies nicht gelang, erreichte er oft wenigstens eine Strafmilderung. Als Paulus vor Nero geladen wurde, wagte es aber niemand, ihm als Berater beizustehen oder seine Verteidigung zu übernehmen. Es war auch kein Freund zur Stelle, der den Wortlaut der Anklage oder die Argumente hätte aufzeichnen können, die der Apostel zu seiner eigenen Verteidigung vorbrachte. Unter den Christen in Rom war niemand, der Paulus in dieser schweren Stunde beistehen wollte.

Den einzig zuverlässigen Bericht über den Prozess hinterließ uns Paulus selbst in seinem zweiten Brief an Timotheus: »Bei meinem ersten Verhör stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle. Es sei ihnen nicht zugerechnet. Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Botschaft ausgebreitet würde und alle Heiden sie hörten, so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen.« (2. Timotheus 4,16.17)

Welch Ein Gegensatz!

Paulus vor Nero - welch ein auffälliger Gegensatz! Der hochmütige Monarch, vor dem der Gottesmann Rechenschaft über seinen Glauben ablegen musste, hatte den Höhepunkt seiner weltlichen Macht, seines Ansehens und seines Reichtums erreicht. Gleichzeitig war er aber auf der tiefsten Stufe in Bezug auf seine Verbrechen und Abscheulichkeit angelangt. An Macht und Größe war ihm keiner gleich. Niemand stellte seine Autorität in Frage, niemand widersetzte sich seinem Willen. Könige legten ihm ihre Kronen zu Füßen, mächtige Heere setzten sich auf seinen Befehl in Bewegung, und die Flaggen seiner Flotten verkündeten seine Siege. Sein Standbild war in den Gerichtssälen aufgestellt. Sowohl die Erlasse der Senatoren als auch die Urteile der Richter waren nichts anderes als das Echo seines Willens. Millionen befolgten gehorsam seine Befehle. Der Name Nero versetzte die Welt in Angst und Schrecken. Sein Missfallen zu erregen bedeutete den Verlust von Eigentum, Freiheit oder Leben. Sein finsterer Blick flößte mehr Angst ein als die Pest.

Ohne Geld, ohne Freunde, auch ohne Anwalt stand der alt gewordene Gefangene vor Nero. Die Gesichtszüge des Kaisers verrieten die beschämende Geschichte der Leidenschaften, die in ihm tobten. Das Gesicht des Angeklagten dagegen erzählte von einem Herzen voller Frieden mit Gott. Das Leben des Paulus war von Armut, Selbstverleugnung und Leiden geprägt gewesen. Seine Feinde hatten ihn mit ihren ständigen Vorwürfen, Beschimpfungen und Verleumdungen einschüchtern wollen. Trotzdem hatte er die Kreuzesfahne stets furchtlos hochgehalten. Er war wie sein Herr ein heimatloser Wanderer gewesen, und wie Jesus hatte er zum Segen der Menschheit gelebt. Wie konnte ein launenhafter, jähzorniger und zügelloser Tyrann wie Nero den Charakter und die Beweggründe dieses Gottessohnes verstehen, geschweige denn schätzen?

Der riesige Saal war mit einer neugierigen, unruhigen Menge gefüllt, die sich möglichst weit nach vorne schob und drängte, um ja alles sehen und hören zu können, was da vor sich gehen würde. Hochstehende und niedrige, reiche und arme, gebildete wie ungebildete, stolze wie einfache Bewohner Roms waren anwesend. Allen miteinander fehlte es an der wahren Erkenntnis über den Weg zum Leben und zur Erlösung.

Die Juden erhoben ihre alten Vorwürfe und beschuldigten Paulus des Aufruhrs und der Verbreitung von Irrlehren. Juden und Römer warfen ihm gleichermaßen vor, die Stadt in Brand gesteckt zu haben. Als man diese Anschuldigungen gegen ihn vorbrachte, bewahrte Paulus eine unerschütterliche Gelassenheit. Richter und Anwesende blickten erstaunt auf ihn. Sie hatten schon vielen Gerichtsverhandlungen beigewohnt und viele Verbrecher beobachtet; aber nie zuvor hatten sie einen Menschen gesehen, der eine derart heilige Ruhe ausstrahlte wie dieser Angeklagte. Die scharfen Augen der Richter waren es gewohnt, in den Gesichtszügen der Angeklagten Hinweise auf eine Schuld zu erkennen; aber bei Paulus fanden sie nichts dergleichen. Als man ihm gestattete, selbst zu den Anklagepunkten Stellung zu nehmen, hörten ihm alle gespannt zu.

Letzte Verkündigung Der Botschaft

Noch einmal hat Paulus die Gelegenheit, das Banner des Kreuzes vor einer staunenden Menge hochzuhalten. Als er über diese Menge blickt - über Juden, Griechen, Römer und Besucher aus verschiedensten Ländern -, überkommt ihn das starke Verlangen, sie alle gerettet zu sehen. Da vergisst er die Anklage, die Umgebung, die drohenden Gefahren und das schreckliche Schicksal, das anscheinend auf ihn wartet. Er sieht nur noch Jesus, den Mittler, der vor Gott für diese sündigen Menschen eintritt. Es ist mehr als menschliche Beredsamkeit und Macht, mit der Paulus nun die Wahrheiten des Evangeliums darlegt. Er weist seine Zuhörer auf das große Opfer hin, das Gott für die gefallene Menschheit gebracht hat. Er erklärt, dass für die Erlösung der Menschen ein unendlich hoher Preis bezahlt worden ist. Gott hat alles dafür vorbereitet, damit Menschen an seiner Herrschaft teilhaben können. Er spricht davon, dass die Erde durch Engelsboten mit dem Himmel verbunden ist und alle Taten, die ein Mensch begeht - ob gut oder böse - vor dem Auge des ewigen und gerechten Gottes und Richters offen liegen.

So plädiert der Verteidiger der Wahrheit. Als Stellvertreter Gottes steht Paulus da - gläubig unter Ungläubigen und treu unter Treulosen. Seine Stimme klingt wie eine Stimme vom Himmel. In seinen Worten und in seinem Blick liegt keine Spur von Angst oder Traurigkeit, auch kein Anzeichen von Entmutigung. Stark im Bewusstsein seiner Unschuld und angetan mit der Waffenrüstung der Wahrheit erfüllt ihn nur die tiefe Freude, ein Sohn Gottes zu sein. Seine Worte klingen wie ein Siegesruf, der das Schlachtgetöse übertönt. Er erklärt, dass die Sache, der er sein Leben geweiht hat, die einzige Sache in der Welt ist, die niemals fehlschlagen kann. Auch wenn er umkommen würde, werde das Evangelium nicht vergehen. Weil Gott lebt, wird auch seine Wahrheit triumphieren.

Viele, die in diesem Augenblick auf Paulus schauten, »sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht« (Apostelgeschichte 6,15). Nie zuvor hatten die Anwesenden Worte wie diese gehört. Sie schlugen Saiten an, die selbst in den Herzen der Verhärtetsten unter ihnen in Schwingung gerieten. Die klare und überzeugende Wahrheit deckte den Irrtum auf. Ein helles Licht schien in die Herzen vieler, die später dankbar dessen Strahlen folgten. Die Wahrheiten, die damals ausgesprochen wurden, waren dazu bestimmt, ganze Nationen zu erschüttern und alle Zeiten zu überdauern. Sie würden das Herz von Menschen beeinflussen, auch wenn die Lippen, die sie ausgesprochen haben, im Grab eines Märtyrers schweigen würden.

Auch Nero hatte die Wahrheit noch nie so gehört wie bei dieser Gelegenheit. Noch nie war ihm die enorme Schuld seines Lebens so deutlich offenbart worden. Das Licht des Himmels durchdrang sein sündenbeflecktes Gewissen. Er zitterte bei dem Gedanken, dass er - der Herrscher der Welt - einmal als Angeklagter vor einem Gericht stehen würde, bei dem er für seine Taten den gerechten Lohn empfangen sollte. Er fürchtete den Gott des Apostels und wagte nicht, Paulus zu verurteilen, gegen den keine Anklage untermauert werden konnte. Eine Art Ehrfurcht hielt seinen blutrünstigen Geist eine Zeit lang zurück.

Einen Augenblick lang tat sich dem schuldbeladenen und verhärteten Kaiser der Himmel auf, und dessen Frieden und Reinheit erschienen ihm begehrenswert. In diesem Augenblick richtete sich die gnadenvolle Einladung Gottes auch an ihn. Doch nur einen Augenblick hieß er den Gedanken an Vergebung willkommen. Dann gab er den Befehl, Paulus in seinen Kerker zurückzuführen. Als sich dessen Tür hinter dem Boten Gottes schloss, schlug auch das Tor zur Umkehr für den römischen Kaiser für immer zu. Kein Strahl himmlischen Lichts drang je wieder in die Finsternis, die ihn umgab. Bald schon sollten die vergeltenden Gerichte Gottes über ihn hereinbrechen.

Neros Ende

Nicht lange danach brach Nero mit Schiffen zu seiner schändlichen Reise nach Griechenland auf, wo er durch verachtenswerte und erniedrigende Frivolität Schande über sich und über sein Reich brachte. Nachdem er mit großem Pomp nach Rom zurückgekehrt war, gab er sich mit seinen Höflingen hemmungslosen Orgien hin. Inmitten eines solchen Gelages waren von den Straßen Krawalle zu hören. Ein Bote, den man zur Erkundung ausgesandt hatte, überbrachte die schreckliche Nachricht, dass Galba an der Spitze eines Heeres schnell nach Rom vorrückte. In der Stadt war bereits ein Aufstand ausgebrochen. Eine aufgebrachte Volksmenge, die die Straßen füllte, bewegte sich auf den Palast zu und drohte, den Kaiser und seine Getreuen umzubringen.

Im Gegensatz zu dem treuen Paulus konnte sich Nero in dieser verhängnisvollen Lage nicht auf einen mächtigen und barmherzigen Gott stützen. Aus Angst vor Schmerzen und möglichen Folterungen, die er von der wütenden Menge zu erwarten hatte, dachte der elende Tyrann daran, seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten. Doch im entscheidenden Augenblick fehlte ihm dazu der Mut. Von seinen Wachen verlassen, floh er wie ein Dieb aus der Stadt. Nur wenige Kilometer außerhalb suchte er Zuflucht auf einem Landsitz. Dies nützte ihm aber nichts mehr, denn sein Versteck wurde bald entdeckt. Als die Reiter, die ihn verfolgten, in die Nähe kamen, rief er einen Sklaven herbei, mit dessen Hilfe er sich eine tödliche Wunde beibrachte. So endete das Leben des Tyrannen Nero im Alter von nur 32 Jahren.