Gute Nachricht Für Alle

Kapitel 53

Johannes, Der Geliebte Jünger

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Matthäus 20,20-28; Markus 9,38-41; Lukas 9,52-56; Johannes 19,26-27.

Johannes wird unter den Aposteln hervorgehoben als der Jünger, »den Jesus lieb hatte« (Johannes 13,23; 20,2; 21,7.20). Er genoss offenbar in besonderer Weise die Freundschaft Christi und erhielt von ihm viele Zeichen des Vertrauens und der Liebe. So war er einer von den drei Jüngern, die Jesus als Zeugen seiner Verherrlichung auf dem Verklärungsberg und seines Todeskampfes in Gethsemane werden ließ. Johannes übertrug der Herr in den letzten Stunden seines Leidens am Kreuz die Aufgabe, für seine Mutter zu sorgen (vgl. Johannes 19,26-27).

Johannes erwiderte die freundschaftliche Zuneigung von Jesus mit der ganzen Kraft einer begeisterten Hingabe. Er hing so dicht an Jesus, wie sich eine Weinrebe um ihren Stützpfahl rankt. Um seines Herrn willen trotzte er allen Gefahren und hielt sich sogar beim Prozess gegen Jesus in der Gerichtshalle auf. Danach war er unter dem Kreuz zu finden. Und als die Frauen die Nachricht brachten, dass Christus auferstanden war, rannte er schnell zum Grab und überholte dabei selbst den ungestümen Petrus.

Die vertrauensvolle Liebe und die selbstlose Hingabe, die sich im Leben und Charakter des Johannes zeigten, bieten der christlichen Gemeinde Lehren von unschätzbarem Wert. Von Natur aus besaß Johannes keinen so liebenswürdigen Charakter, wie wir ihn aus seinem späteren Leben kennen. Er hatte erhebliche Charaktermängel. Er war nicht nur stolz, selbstbewusst und ehrsüchtig, sondern auch ungestüm und bei erlittenem Unrecht nachtragend. Er und sein Bruder Jakobus wurden deshalb »Donnerssöhne« genannt (Markus 3,17).

Der geliebte Jünger war aufbrausend, rachsüchtig und kritisierte gern. Aber hinter all diesen Charaktermängeln sah Jesus ein leidenschaftliches, aufrichtiges und liebevolles Herz. Jesus tadelte die Selbstsucht des Johannes, enttäuschte dessen Ehrgeiz und stellte dessen Glauben auf die Probe. Doch offenbarte er dem Jünger auch das, wonach sich dessen Herz sehnte: die Schönheit eines geheiligten Charakters und die umwandelnde Macht der Liebe.

Keine Rachsucht Empfinden

Während Johannes mit Jesus zusammen war, traten die Mängel in seinem Charakter bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich hervor. Einmal schickte Jesus Boten in ein Dorf in Samaria und bat die Einwohner, ihm und seinen Jüngern eine Unterkunft bereitzumachen. Aber als er in die Nähe des Ortes kam, merkten sie, dass er nach Jerusalem weiterziehen wollte. Das erregte den Widerwillen der Samaritaner. Anstatt Jesus zu einem Aufenthalt einzuladen, versagten sie ihm die Gastfreundschaft, die sie sonst jedem Fremden entgegenbrachten. Da er seine Gegenwart niemandem aufdrängte, entging den Samaritanern der Segen, den sie erhalten hätten, wenn sie Jesus als Gast willkommen geheißen hätten.

Die Jünger wussten, dass Christus den Wunsch hatte, die Samaritaner durch seine Gegenwart zu segnen. Deren Kälte, Eifersucht und Respektlosigkeit gegenüber Jesus überraschte und empörte sie. Jakobus und Johannes waren besonders verärgert. Eine so schlechte Behandlung ihres Meisters, den sie so sehr verehrten, war für sie ein zu großes Unrecht, das nicht ohne umgehende Strafe übergangen werden sollte. In ihrem Eifer fragten sie Jesus: »Herr, das brauchst du dir doch nicht gefallen zu lassen! Wenn du willst, lassen wir Feuer vom Himmel fallen wie damals Elia, damit sie alle verbrennen!« (Lukas 9,54 Hfa) Dabei spielten sie auf die Vernichtung des samaritanischen Hauptmanns und seiner Soldaten an, die seinerzeit ausgesandt worden waren, um den Propheten Elia festzunehmen (vgl. 2. Könige 1,9-10). Erstaunt stellten die Jünger fest, dass ihre Worte Jesus weh taten. Noch mehr überrascht waren sie, als sie seinen Tadel einstecken mussten: »Ihr wisst nicht, was für ein Geist da aus euch spricht! Der Menschensohn ist nicht gekommen, um Menschenleben zu vernichten, sondern um sie zu retten!« (Lukas 9,55-56 Anm. GNB)

Es gehört nicht zur Mission Christi, Menschen zum Glauben an ihn zu zwingen. Nur Satan und Menschen, die von ihm beherrscht werden, wollen Gewissenszwang ausüben. Unter dem Vorwand, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, fügen Menschen, die mit satanischen Engeln im Bund stehen, ihren Mitmenschen Leid zu, um sie dadurch zu ihren religiösen Anschauungen zu bekehren. Christus dagegen erweist sich immer als gnädig, er möchte die Mensehen allein durch die Offenbarung seiner Liebe für sich gewinnen. Er duldet weder einen Rivalen in unseren Herzen, noch gibt er sich mit einem halbherzigen Glauben zufrieden. Er wünscht sich nur einen freiwilligen Dienst, die willige Übergabe des Herzens unter dem sanften Werben seiner Liebe.

Ehrgeiz Zügeln

Bei einer anderen Gelegenheit traten Jakobus und Johannes durch ihre Mutter mit einer besonderen Bitte an Jesus heran. Sie forderte ihn dazu auf, ihren Söhnen in seinem Reich die höchsten Ehrenämter zu übertragen. Ungeachtet seiner wiederholten Aussagen über die Art seines Königreichs hegten diese Jünger noch immer die Hoffnung auf einen Messias, der nach ihren menschlichen Vorstellungen einen irdischen Thron besteigen und königliche Macht ausüben würde. Ihre Mutter, die einen Ehrenplatz für ihre Söhne in diesem Königreich begehrte, bat Jesus: »Lass diese meine beiden Söhne sitzen in deinem Reich einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken.« (Matthäus 20,21)

Jesus erwiderte darauf: »Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?« (Markus 10,38) Sie erinnerten sich an seine geheimnisvollen Worte, die auf sein Leiden und Sterben hinwiesen, antworteten aber voller Zuversicht: »Ja, das können wir.« (Matthäus 20,22) Sie würden es als ihre größte Ehre ansehen, ihm ihre Treue zu beweisen. Bei allem, was ihm zustoßen sollte, wollten sie an seiner Seite stehen.

»Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde«, erklärte ihnen Jesus daraufhin (Markus 10,39), denn nicht ein Thron, sondern ein Kreuz erwartete ihn - mit zwei Verbrechern als Gefährten, einer zu seiner Rechten und einer zu seiner Linken. Jakobus und Johannes sollten wie ihr Meister durch Leiden gehen: Den einen sollte schon bald der Tod durch das Schwert ereilen (vgl. Apostelgeschichte 12,1-2), der andere sollte am längsten von allen Jüngern seinem Herrn in Schmach und Verfolgung dienen. Jesus fuhr fort: »Aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater.« (Matthäus 20,23)

Jesus kannte die Gründe, die die Jünger zu dieser Bitte veranlasst hatten. Er tadelte deshalb ihren Stolz und Ehrgeiz mit den Worten: »Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.« (Matthäus 20,25-28)

Im Reich Gottes werden ehrenvolle Stellungen nicht durch Begünstigung erlangt. Man kann sie weder verdienen, noch werden sie willkürlich verliehen; sie sind vielmehr die Frucht des Charakters. Krone und Thron sind Zeichen eines erreichten Zieles, Zeichen der Selbstüberwindung durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus.

Lange Zeit später, als Johannes mehr Mitgefühl für Christus durch die Gemeinschaft mit dessen Leiden entwickelt hatte, offenbarte ihm der Herr, unter welchen Voraussetzungen man Teilhaber seines Reiches werden kann: »Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.« (Offenbarung 3,21) Wer Christus am nächsten steht, hat am meisten von dessen Geist der selbstaufopfernden Liebe in sich aufgenommen. Diese Liebe »prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie tut nichts Unschickliches, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht an« (1. Korinther 13,5). Diese Liebe spornt den echten Christen an, wie sie auch unseren Herrn angespornt hat - für die Rettung von Menschen zu leben, alles zu geben, zu arbeiten und sich sogar bis in den Tod aufzuopfern.

Eifersucht Uberwinden

Bei einer anderen Begebenheit zu Beginn ihrer evangelistischen Tätigkeit trafen Jakobus und Johannes auf einen Mann, der kein anerkannter Jünger Christi war und trotzdem in dessen Namen Teufel austrieb. Die beiden Jünger untersagten ihm das und meinten, ein Recht dazu zu besitzen. Als sie die Begebenheit aber Christus berichteten, wies er sie zurecht und sagte: »Ihr sollt's ihm nicht verbieten. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden.« (Markus 9,39) Niemand, der auf irgendeine Art eine freundliche Einstellung gegenüber Christus zeigt, darf zurückgewiesen werden. Die Jünger dürfen keine engstirnige, exklusive oder elitäre Haltung einnehmen. Sie müssen dasselbe weitreichende Mitgefühl zeigen, das sie bei ihrem Meister kennen gelernt hatten. Jakobus und Johannes aber meinten, die Ehre ihres Herrn hochhalten zu müssen, indem sie diesem Mann entgegentraten. Nun aber begannen sie zu erkennen, dass sie wegen ihrer eigenen Ehre eifersüchtig gewesen waren. Sie sahen ihren Irrtum ein und nahmen die Zurechtweisung an.

Die Lehren von Jesus, dass Sanftmut, Demut und Liebe für das Wachstum in der Gnade und zur Tauglichkeit für das Werk Gottes wesentlich sind, waren für Johannes von höchstem Wert. Er hütete jede Lektion wie einen Schatz und versuchte ständig, sein Leben mit dem göttlichen Vorbild in Übereinstimmung zu bringen. Er hatte allmählich erkannt, worin die Herrlichkeit von Jesus wirklich besteht - nicht in Prunk und weltlicher Macht, auf die er gehofft hatte, sondern in der »Gnade und Wahrheit ... der Herrlichkeit, die der Vater ihm, seinem einzigen Sohn, gegeben hat« (Johannes 1,14 NLB).

Christus Ähnlicher Werden

Die tiefe und innige Zuneigung des Johannes zu seinem Herrn und Meister war nicht die Ursache der Liebe Christi zu ihm, sondern die Auswirkung dessen Liebe zu ihm. Johannes wünschte sich, wie Jesus zu werden. Unter dem umwandelnden Einfluss der Liebe Christi wurde er sanftmütig und demütig. Sein Ich war nun in Jesus verborgen. Mehr als alle seine Mitjünger lieferte sich Johannes der Macht dieses wunderbaren Lebens aus. Er bezeugte: »Das Leben ist erschienen, und wir haben [es] gesehen.« (1. Johannes 1,2) »Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt, uns alle mit grenzenloser Güte überschüttet.« (Johannes 1,16 GNB) Johannes kannte den Erlöser, weil er mit ihm persönliche Erfahrungen gemacht hatte. Die Lehren seines Meisters waren ihm ins Herz eingegraben. Wenn er von der Gnade Christi berichtete, war seine einfache Sprache beredt von der Liebe, die sein ganzes Wesen durchdrang.

Diese innige Liebe zu Christus weckte in ihm den starken Wunsch, ständig an der Seite seines Herrn zu sein. Jesus liebte alle seine zwölf Jünger, aber keiner war innerlich so aufgeschlossen wie Johannes. Er war jünger als die anderen, und mit kindlichem Vertrauen öffnete er Jesus sein Herz. So kam es zwischen den beiden zu einer immer größer werdenden Übereinstimmung. So wurde Johannes befähigt, die tiefsinnigsten geistlichen Lehren des Erlösers an die Menschen weiterzugeben.

Jesus liebt alle, die seinen Vater recht darstellen, und Johannes konnte wie kein anderer Jünger von der Liebe des Vaters erzählen. Er gab an seine Mitmenschen weiter, was er in seinem Innern empfand. Dabei zeigten sich in seinen Charakterzügen die Eigenschaften Gottes. Die Herrlichkeit des Herrn drückte sich in seinem Gesicht aus. Die Schönheit der Heiligkeit, die sein Inneres verwandelt hatte, ließ sein Angesicht wie Christi Antlitz strahlen. In Anbetung und Liebe schaute er zu Jesus auf, bis er nur noch einen Wunsch hatte, Jesus ähnlich zu sein, Gemeinschaft mit ihm zu pflegen und den Charakter seines Meisters widerzuspiegeln.

»Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen«, schrieb er, »dass wir Gottes Kinder heißen sollen ... Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.« (1. Johannes 3,1-2)