Christi Gleichnisse

Kapitel 23

Des Herrn Weinberg

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Auf der Grundlage von Matthäus 21,33-44.

Das jüdische Volk

Dem Gleichnis von den zwei Söhnen folgte das Gleichnis vom Weinberge. In dem einen hatte Christus den jüdischen Leitern die Wichtigkeit des Gehorsams vorgeführt. In dem andern wies er auf die Segnungen hin, die Israel zuteil geworden waren, und zeigte dadurch, daß Gott Anspruch auf ihren Gehorsam habe. Er führte ihnen die Herrlichkeit der Absichten Gottes vor, die sie durch Gehorsam hätten erfüllen können. Indem er den Zukunftsschleier lüftete, zeigte er, wie das ganze Volk dadurch, daß es Gottes Absichten nicht erfüllte, seiner Segnungen verloren ging und Verderben über sich selbst brachte.

"Es war ein Hausvater," sagte Christus, "der pflanzte einen Weinberg und führte einen Zaun drum, und grub eine Kelter drinnen, und baute einen Turm, und tat ihn den Weingärtnern aus, und zog über Land."

Eine Beschreibung dieses Weinberges wird vom Propheten Jesaja gegeben: "Wohlan, ich will meinen Lieben singen, ein Lied meines Geliebten von seinem Weinberge: Mein Lieber hat einen Weinberg an einem fetten Ort. Und er hat ihn verzäunet und mit Steinhaufen verwahret und edle Reben drein gesenkt. Er baute auch einen Turm drinnen und grub eine Kelter drein und wartete, daß er Trauben brächte." Jesaja 5,1.2.

Der Landmann wählt ein Stück Land in der Wildnis, er umzäunt dasselbe, reinigt es von Steinen, pflügt es, bepflanzt es dann mit den auserwähltesten Weinreben und erwartet eine reiche Ernte. Er erwartet, daß dieses Stück Land, nachdem es so viel besser ist, als die unbearbeitet daliegende Wildnis, ihm für seine Arbeit und Fürsorge Ehre machen werden. So hatte Gott auch ein Volk aus der Welt erwählt, das von Christo erzogen und ausgebildet werden sollte. Der Prophet sagt: "Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel, und die Männer Judas seine Pflanzung." Jesaja 5,7. Diesem Volke hatte Gott große Vorrechte zuteil werden lassen und es nach dem Reichtum seiner Güte gesegnet. Dann erwartete er aber auch, daß es ihn durch Fruchttragen ehren werde. Es sollte die Grundsätze seines Reiches offenbaren. Inmitten einer gefallenen, gottlosen Welt sollte es den Charakter Gottes darstellen.

Als der Weinberg des Herrn Zebaoth sollte es ganz andere Früchte bringen als die heidnischen Völker. Diese götzendienerischen Völker hatten sich der Gottlosigkeit ganz und gar hingegeben. Gewalttaten und Verbrechen, Habgier, Unterdrückung und die lasterhaftetesten Gebräuche wurden ohne Zurückhaltung ausgeübt. Bosheit, Entartung und Elend waren die Früchte des verderbten Baumes. In einem entschiedenen Gegensatz dazu sollten die Früchte in dem von Gott gepflanzten Weinberge sein.

Es war das Vorrecht des jüdischen Volkes, den Charakter Gottes darzustellen, wie er dem Moses offenbart worden war. In Erhörung des Gebetes Moses: "So laß mich deine Herrlichkeit sehen," verhieß der Herr: "Ich will vor deinem Angesicht alle meine Güte vorübergehen lassen." "Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue! Der da bewahret Gnade in tausend Glieder, und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde." 2.Mose 33,18.19; 2.Mose 34,6.7. Dies war die Frucht, welche Gott von seinem Volke zu bekommen wünschte. In der Reinheit ihres Charakters, in der Heiligkeit ihres Lebens, in ihrer Barmherzigkeit, ihrer Liebe und ihrem Mitleid sollten sie zeigen, daß das Gesetz vollkommen ist, und die Seele erquickt. Psalm 19,8.

Gott beabsichtigte durch das jüdische Volk allen Völkern reiche Segnungen mitzuteilen. Durch Israel sollte der Weg vorbereitet werden, daß sein Licht sich über die ganze Erde ausbreite. Die Völker der Welt hatten infolge ihrer verderblichen Gebräuche die Erkenntnis Gottes verloren. Dennoch raffte Gott in seiner Barmherzigkeit sie nicht hinweg. Er wollte ihnen durch seine Gemeinde eine Gelegenheit geben, mit ihm bekannt zu werden. Er beabsichtigte, daß die durch sein Volk geoffenbarten Grundsätze das Mittel sein sollten, um das moralische Ebenbild Gottes im Menschen wieder herzustellen.

Um diesen Zweck zu erreichen, rief Gott den Abraham aus seiner götzendienerischen Verwandtschaft heraus und gebot ihm, im Lande Kanaan zu wohnen. "Ich will dich zum großen Volk machen," sagte er, "und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein." 1.Mose 12,2.

Die Nachkommen Abrahams, Jakob und seine Söhne wurden nach Ägypten gebracht, damit sie inmitten jenes großen und gottlosen Volkes die Grundsätze des Reiches Gottes offenbaren möchten. Die Treue Josephs und seine wunderbare Einrichtung, durch welche dem ganzen ägyptischen Volke das Leben erhalten wurde, war eine Darstellung des Lebens Christi. Moses und viele andere waren Zeugen für Gott.

Indem der Herr die Kinder Israel aus Ägypten führte, offenbarte er wiederum seine Macht und seine Barmherzigkeit. Seine wunderbaren Taten bei ihrer Erlösung aus der Knechtschaft und sein Verfahren mit ihnen während ihrer Reisen in der Wüste geschah nicht nur ihretwegen. Sie sollten den sie umgebenden Völkern als Anschauungsunterricht dienen. Der Herr offenbarte sich als ein Gott, der höher ist, als alle menschliche Autorität und menschliche Größe. Die Zeichen und Wunder, die er für sein Volk wirkte, offenbarten seine Macht über die Natur und über die Größten von denen, welche die Natur anbeteten. Gott ging durch das stolze Ägypten, wie er in den letzten Tagen durch die ganze Erde gehen wird. Mittels Feuer und Sturm, Erdbeben und Tod erlöste der große "Ich bin" (2.Mose 3,14, EB) sein von den Ägyptern geknechtetes Volk. Er führte sie aus dem Lande der Knechtschaft heraus. Er führte sie "durch die große und grausame Wüste, da feurige Schlangen und Skorpione und eitel Dürre und kein Wasser war". Er ließ "Wasser aus dem harten Felsen gehen" "und gab ihnen Himmelsbrot." 5.Mose 8,15; Psalm 78,24. "Denn," sagt Moses, "des Herrn Teil ist sein Volk, Jakob ist die Schnur seines Erbes. Er fand ihn in der Wüste, in der dürren Einöde, da es heulet. Er umfing ihn und hatte acht auf ihn; er behütete ihn wie seinen Augapfel. Wie ein Adler ausführet seine Jungen und über ihnen schwebet, breitete er seine Fittiche aus und nahm ihn und trug ihn auf seinen Flügeln. Der Herr allein leitete ihn, und war kein fremder Gott mit ihm." 5.Mose 32,9-12. Auf diese Weise zog er die Seinen zu sich, damit sie unter dem Schatten des Höchsten wohnen möchten.

Christus war der Führer der Kinder Israel auf ihren Wanderungen in der Wüste. Eingehüllt in die Wolkensäule bei Tage und die Feuersäule bei Nacht, leitete und führte er sie. Er bewahrte sie vor den Gefahren der Wüste; er brachte sie in das Land der Verheißung; und angesichts aller Völker, die Gott nicht anerkannten, pflanzte er Israel als sein eigenes, erwähltes Besitztum, als des Herrn Weinberg.

Diesem Volke wurde das Wort Gottes anvertraut. Es wurde gleichsam durch die Vorschriften seines Gesetzes, die ewigen Grundsätze der Wahrheit, Gerechtigkeit und Reinheit eingehegt. Im Gehorsam gegen diese Grundsätze sollte sein Schutz liegen, denn der Gehorsam würde es davor bewahren, sich selbst durch sündige Gewohnheiten zu zerstören. Und wie den Turm in den Weinberg, so setzte Gott seinen heiligen Tempel inmitten des Landes.

Christus war der Lehrer der Israeliten. Wie er in der Wüste bei ihnen gewesen war, so sollte er auch ferner ihr Lehrer und Führer sein. In der Stiftshütte und im Tempel thronte seine Herrlichkeit in der Schechinah über der Bundeslade. Um ihretwillen offenbarte er beständig den Reichtum seiner Liebe und Geduld.

Gott wünschte, sein Volk Israel herrlich und lobenswert zu machen. Er gab ihm alle nur möglichen, geistlichen Vorrechte. Er enthielt ihm nichts vor, das zur Bildung des Charakters, durch den er dargestellt würde, dienlich sein könnte.

Infolge ihres Gehorsams gegen das Gesetz Gottes sollten die Kinder Israel so gedeihen, daß sie den Völkern der Welt als ein Wunder dastehen würden. Er, der ihnen Weisheit und Gewandtheit in allerlei künstlichen Arbeiten geben konnte, wollte auch fernerhin ihr Lehrer sein und sie durch Gehorsam gegen seine Gesetze veredeln und erheben. Wenn sie gehorsam waren, sollten sie bewahrt werden vor den Krankheiten, die andere Völker heimsuchten und sollten mit Verstandeskraft gesegnet werden. Die Herrlichkeit Gottes, seine Majestät und Macht sollte sich in ihrem Wohlergehen offenbaren. Sie sollten ein Königreich von Priestern und Fürsten sein. Gott stellte ihnen alle Mittel zur Verfügung, die beitragen konnten, sie zum größten Volk auf Erden zu machen.

Christus hatte ihnen durch Moses in der bestimmtesten Weise Gottes Absicht dargelegt und ihnen die Bedingungen zu ihrem Wohlergehen klar gemacht. "Du bist ein heilig Volk, dem Herrn, deinem Gott," sagte er. "Dich hat der Herr, dein Gott, erwählet zum Volk es Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind." "So sollst du nun wissen, daß der Herr, dein Gott, ein Gott ist, ein treuer Gott, der den Bund und Barmherzigkeit hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, in tausend Glieder." "so halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, daß du darnach tust. Und wenn ihr diese Rechte höret und haltet sie und darnach tut, so wird der Her, dein Gott, auch halten den Bund und Barmherzigkeit, die er deinen Vätern geschworen hat, und wird dich lieben und segnen und mehren; und wird die Frucht deines Leibes segnen, und die Frucht deines Landes, dein Getreide, Most und Öl, die Früchte deiner Kühe und die Früchte deiner Schafe auf dem Lande, das er deinen Vätern geschworen hat dir zu geben. Gesegnet wirst du sein über allen Völkern ... Der Herr wird von dir tun alle Krankheit, und wird keine böse Seuche der Ägypter dir auflegen, die du erfahren hast." 5.Mose 7,6.9.11-15.

Wenn sie seine Gebote halten würden, verhieß Gott, ihnen den schönsten Weizen zu geben und Honig aus dem Felsen zu bringen. Er würde sie sättigen mit langem Leben und ihnen zeigen sein Heil.

Durch den Ungehorsam gegen Gott hatten Adam und Eva Eden verloren, und wegen der Sünde wurde die ganze Erde verflucht. Wenn aber das Volk Gottes seiner Weisung folgen würde, dann sollte ihr Land seine frühere Fruchtbarkeit und Schönheit wieder erlangen. Gott selbst gab ihnen Anweisungen, wie sie den Boden bearbeiten sollten; er wollte, daß sie mit ihm in der Wiederherstellung desselben zusammenwirkten. Auf diese Weise sollte das ganze Land unter der Aufsicht Gottes ein Anschauungsunterricht in geistlicher Wahrheit sein. Wie die Erde im Gehorsam gegen die göttlichen Naturgesetze ihre Schätze hervorbringen sollte, so sollten die Herzen der Menschen im Gehorsam gegen sein Sittengesetz seine Charaktereigenschaften widerstrahlen. Selbst die Heiden würden die Erhabenheit derer anerkennen, die den lebendigen Gott anbeteten und ihm dienen.

"Siehe," sagte Moses, "ich habe euch gelehret Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat, daß ihr also tun sollt im Lande, darein ihr kommen werdet, daß ihr's einnehmet. So behaltet's nun und tut's. Denn das wird eure Weisheit und Verstand sein bei allen Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote, daß sie müssen sagen: Ei, welch weise und verständige Leute sind das und ein herrlich Volk! Denn wo ist so ein herrlich Volk, das so gerechte Sitten und Gebote habe als all dies Gesetz, das ich euch heutigentags vorlege?" 5.Mose 4,5-8.

Die Kinder Israel sollten alles Gebiet einnehmen, welches Gott ihnen anwies. Jenen Völkern, welche die Anbetung und den Dienst des wahren Gottes verwarfen, sollte ihr Land genommen werden. Aber es war Gottes Absicht, daß durch die Offenbarung seines Charakters seitens Israels die Menschen zu ihm gezogen werden sollten. Der ganzen Welt sollte die Evangeliumseinladung gegeben werden. Durch den vorbildlichen Opferdienst sollte Christus vor den Völkern erhöht werden, und alle, die auf ihn blicken würden, sollten leben. Alle, welche sich, wie Rahab, die Kanaanitin, und Ruth, die Moabitin, von dem Götzendienst zur Anbetung des wahren Gottes wandten, sollten sich seinem erwählten Volke anschließen. Wenn im Laufe der Zeit die Gliederzahl Israels zunehmen würde, sollte es seine Grenzen ausdehnen, bis sein Reich die ganze Welt umfassen würde.

Gott wünschte alle Völker unter seine gnädige Regierung zu bringen. Er wünschte, daß die Erde voller Freude und Friede sein möchte. Er schuf den Menschen, damit er glücklich sein möchte, und er sehnt sich darnach, menschliche Herzen mit Himmelsfrieden zu erfüllen. Er wünscht, daß die Familien hier auf Erden ein Sinnbild der großen Familie dort droben sein sollen.

Aber Israel erfüllte Gottes Absicht nicht. Der Herr erklärte: "Ich aber hatte dich gepflanzt zu einem süßen Weinstock, einen ganz rechtschaffenen Samen. Wie bist du mir denn geraten zu einem bittern, wilden Weinstock?" "Israel ist ein ausgebreiteter Weinstock, der seine Frucht trägt; aber so viel Früchte er hatte, so viel Altäre hatte er gemacht; wo das Land am besten war, da stifteten sie die schönsten Bildsäulen." Jeremia 2,21; Hosea 10,1. "Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberge. Was sollte man doch mehr tun an meinem Weinberge, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn Herlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich meinem Weinberge tun will. Seine Wand soll weggenommen werden, daß er verwüstet werde, und sein Zaun soll zerrissen werden, daß er zertreten werde. Ich will ihn wüste liegen lassen, daß er nicht geschnitten, noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen drauf wachsen, und will den Wolken gebieten, daß sie nicht drauf regnen ... (Denn) Er wartet auf Recht, siehe, so ist's Schinderei; auf Gerechtigkeit, siehe, so ist's Klage." Jesaja 5,3-7.

Der Herr hatte durch Moses seinem Volke die Folgen der Untreue vorführen lassen. Würden sie sich weigern, seinen Bund zu halten, so würden sie sich dadurch von dem Leben Gottes abschneiden, und sein Segen könnte nicht über sie kommen. "So hüte dich nun," sagte Moses, "daß du des Herrn, deines Gottes, nicht vergessest, damit daß du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst; daß, wenn du nun gegessen hast und satt bist, und schöne Häuser erbauest und drinnen wohnest, und deine Kinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehret, daß dann dein Herz sich nicht erhebe, und vergessest des Herrn, deines Gottes." "Du möchtest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir dies Vermögen ausgerichtet." "Wirst du aber des Herrn, deines Gottes, vergessen und andern Göttern nachfolgen und ihnen dienen und sie anbeten, so bezeuge ich heute über euch, daß ihr umkommen werdet; eben wie die Heiden, die der Herr umbringet vor eurem Angesicht, so werdet ihr auch umkommen, darum, daß ihr nicht gehorsam seid der Stimme des Herrn, eures Gottes." 5.Mose 8,11-14.17.19.20.

Die Warnung wurde von den Juden mißachtet. Sie vergaßen Gottes und verloren ihr hohes Vorrecht, seine Stellvertreter zu sein, aus den Augen; die Segnungen, die sie erhalten hatten, brachten der Welt keinen Segen. Sie benutzten alle ihre Vorrechte zur Selbstverherrlichung. Sie enthielten Gott den Dienst vor, den er von ihnen forderte und beraubten ihre Mitmenschen der religiösen Leitung und eines heiligen Vorbildes. Gleich den Bewohnern der vorsintflutlichen Welt war das Dichten und Trachten ihres Herzens böse immerdar. Sie ließen heilige Dinge als ein Possenspiel erscheinen und sagten: "Hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn Tempel!" (Jeremia 7,4) während sie gleichzeitig den Charakter Gottes entstellten, seinen Namen entehrten und sein Heiligtum befleckten.

Die Weingärtner, denen der Herr die Aufsicht über seinen Weinberg übertragen hatte, kamen ihrer hehren Pflicht nicht nach. Die Priester und Lehrer unterwiesen das Volk nicht getreulich. Sie zeigten ihm nicht die Güte und Barmherzigkeit Gottes und sein Anrecht auf dessen Liebe und Dienst. Diese Weingärtner suchten ihre eigene Ehre; sie wünschten die Früchte des Weinberges sich selber zuzueignen. Sie dachten beständig darüber nach, wie sie die Aufmerksamkeit und die Ehrenbezeigungen auf sich selbst lenken könnten.

Die Schuld dieser Leiter in Israel war nicht wie die Schuld des gewöhnlichen Sünders. Diese Männer standen unter der heiligsten Verpflichtung Gott gegenüber. Sie hatten gelobt, ein "So spricht der Herr" zu lehren und dem Herrn in ihrem täglichen Leben selbst aufs genaueste zu gehorchen. Anstatt dessen verdrehten sieh die Schrift. Sie legten den Menschen schwere Lasten auf, indem sie Zeremonien einführten, die sich auf jeden Schritt im Leben erstreckten. Die Menschen lebten in beständiger Unruhe, weil sie die von den Rabbinern gestellten Forderungen nicht erfüllen konnten. Als sie dann die Unmöglichkeit sahen, diese Menschensatzungen zu halten, mißachteten sie auch die Gebote Gottes.

Der Herr hatte sein Volk gelehrt, daß er der Eigentümer des Weinbergs sei und daß alle ihre Besitzungen ihnen nur anvertraut worden seien, um sie für den Herrn zu verwerten. Aber die Priester und Lehrer verrichteten die Pflichten ihres heiligen Amts nicht, als ob sie das Eigentum Gottes handhabten. Sie beraubten ihn systematisch der Mittel und Wege, die ihnen zur Förderung seines Werkes anvertraut waren. Ihre Selbstsucht und Habgier verursachten, daß sie selbst von den Heiden verachtet wurden. In dieser Weise wurde der heidnischen Welt Veranlassung gegeben, den Charakter Gottes und die Gesetze seines Reiches falsch auszulegen.

Gott trug sein Volk mit Vaterliebe. Er suchte es zu gewinnen, sei es durch Spenden seiner Gnade oder durch Entziehung derselben. Geduldig hielt er ihm seine Sünden vor und wartete in Langmut, daß es dieselben bekennen möchte. Propheten und Boten wurden gesandt, um den Weingärtnern Gottes Anrechte klar zu machen, aber anstatt sie freundlich aufzunehmen, wurden sie als Feinde behandelt. Die Weingärtner verfolgten und töteten sie. Gott sandte noch andere Boten, aber ihnen wurde dieselbe Behandlung zuteil wie den ersten, nur daß die Weingärtner noch größeren Haß offenbaren.

Als letztes Mittel sandte Gott seinen Sohn und sagte: "Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen." Aber ihr Widerstand hatte sie rachsüchtig gemacht, und sie sprachen untereinander: "Das ist der Erbe, kommt, laßt uns ihn töten, und sein Erbgut an uns bringen!" Dann werden wir uns des Weinberges erfreuen und mit der Frucht tun können, was wir wollen.

Die jüdischen Obersten liebten Gott nicht, deshalb trennten sie sich von ihm und verwarfen alle seine Vorschläge betreffs eines gerechten Ausgleichs. Christus, der Geliebte Gottes, kam, um seine Ansprüche als Eigentümer des Weinbergs zu behaupten; aber die Weingärtner behandelten ihn mit der größten Verachtung und sagten: Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche. Sie beneideten Christum seines edlen Charakters wegen. Seine Art und Weise des Lehrens war der ihrigen weit überlegen und sie fürchteten seinen Erfolg. Er machte ihnen Vorstellungen, legte ihre Heuchelei bloß und zeigte ihnen, was die sichere Folge ihrer Handlungsweise sein werde. Dies erregte ihren Zorn aufs höchste. Seine Zurechtweisungen, deren Richtigkeit sie nicht in Abrede stellen konnten, kränkten sie. Sie haßten den hohen Maßstab der Gerechtigkeit, worauf Christus sie beständig hinwies. Sie sahen, daß seine Lehren ihre Selbstsucht bloßstellten, und sie beschlossen, ihn zu töten. Sie haßten das von ihm gegebene Beispiel der Wahrheitsliebe und Frömmigkeit und jene erhabene geistliche Gesinnung, die in allem, was er tat, offenbar wurde. Sein ganzes Leben war ein Tadel ihrer Selbstsucht, und als die schließliche Prüfung kam, die Prüfung, welche Gehorsam zum ewigen Leben, oder Ungehorsam zum ewigen Tode bedeutete, da verwarfen sie den Heiligen Israels. Als ihnen die Wahl zwischen Christo und Barabbas gestellt wurde, da riefen sie: "Gib uns Barabbas los!" Und als Pilatus fragte: "Was soll ich denn machen mit Jesu?" Da schrien sie: "Laß ihn kreuzigen!" "Soll ich euren König kreuzigen?" fragte Pilatus; und von den Priestern und Obersten kam die Antwort: "Wir haben keinen König denn den Kaiser." Als Pilatus seine Hände wusch und sagte: "Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten," da schlossen sich die Priester der leidenschaftlichen Erklärung der Menge an: "Sein Blut komme über uns und unsre Kinder!" Lukas 23,18; Matthäus 27,22; Johannes 19,15; Matthäus 27,24.25.

{CGl 292.1 Die Juden hegten die Idee, daß sie die Günstlinge des Himmels seien und immer als die Gemeinde Gottes über alle anderen emporragen sollten, Nach ihrer Auffassung waren sie die Kinder Abrahams, und zwar schien ihnen die Grundlage ihres Wohlergehens so fest zu stehen, daß sie Himmel und Erde herausforderten, ihnen ihr Recht streitig zu machen. Indem sie aber so treulos wandelten, bereiteten sie selbst den Tag vor, da der Himmel sie verwarf und Gott sich von ihnen trennte.

Im Gleichnis vom Weinberg veranschaulichte Christus den Priestern die krönende Handlung ihrer Gottlosigkeit und stellte dann die Frage an sie: "Wenn nun der Her des Weinberges kommen wird, was wird er diesen Weingärtnern tun?" Die Priester waren seiner Erzählung mit großem Interesse gefolgt und ohne dieselbe auf sich selbst anzuwenden, schlossen sie sich der Antwort des Volkes an: "Er wird die Bösewichter übel umbringen und seinen Weinberg andern Weingärtnern austun, die ihm die Früchte zu rechter Zeit geben."

Ohne es zu wissen, hatten sie ihr eigenes Urteil gesprochen. Jesus blickte sie an und unter seinem forschenden Blick wußten sie, daß er die Geheimnisse ihres Herzens las. Seine Gottheit strahlte von ihm in unverkennbarer Kraft vor ihnen aus. Sie sahen in den Weingärtnern ihr eigenes Bild und riefen unwillkürlich aus: "Das sei ferne!" Lukas 20,16.

Feierlich und mit Bedauern sagte Christus: "Habt ihr nie gelesen in der Schrift: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein worden. Von dem Herrn ist das geschehen, und es ist wunderbarlich vor unsern Augen? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, das seine Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf welchen aber er fällt, den wird er zermalmen."

Christus würde das Schicksal des jüdischen Volkes abgewandt haben, wenn die Leute ihn angenommen hätten. Aber Neid und Eifersucht machten sie unversöhnlich. Sie beschlossen, Jesum von Nazareth nicht als den Messias anzunehmen. Sie verwarfen das Licht der Welt, und hinfort war ihr Leben von einer Finsternis, so dicht wie die Finsternis der Mitternacht umgeben. Das vorausgesagte Verhängnis kam über die Juden. Ihre eigenen unbezähmten, wilden Leidenschaften hatten ihr Verderben zur Folge. In blinder Wut vernichteten sie einander. Durch den empörerischen, hartnäckigen Stolz zogen sie sich den Zorn der römischen Besieger zu. Jerusalem wurde zerstört, der Tempel zur Ruine gemacht und der Platz, wo er gestanden, wie ein Feld gepflügt. Die Kinder Judas kamen auf die schrecklichsten Weisen um. Millionen wurden verkauft, um in heidnischen Ländern als Sklaven zu dienen.

Als Volk hatten die Juden die Absicht Gottes nicht erfüllt und der Weinberg wurde von ihnen genommen. Die Vorrechte, die sie mißbraucht, das Werk, welches sie vernachlässigt hatten, wurde anderen anvertraut.

Die Gemeinde der Jetztzeit

Das Gleichnis vom Weinberg findet nicht nur auf das jüdische Volk Anwendung; es enthält auch eine Lehre für uns. Der Gemeinde des gegenwärtigen Geschlechts hat Gott große Vorrechte und Segnungen zuteil werden lassen und er erwartet auch, demgemäß Früchte zu sehen.

Wir sind durch ein hohes Lösegeld erlöst worden. Nur wenn wir die Größe dieses Lösegeldes erkennen, können wir uns von dem Ergebnis desselben einen Begriff machen. Auf dieser Erde, der Erde, deren Boden durch die Tränen und das Blut des Sohnes Gottes befeuchtet worden ist, sollen die köstlichen Früchte des Paradieses hervorgebracht werden. Im Leben der Kinder Gottes sollen sich die Wahrheiten seines Wortes in ihrer Herrlichkeit und Vortrefflichkeit offenbaren. Durch seine Gemeinde wird Christus seinen Charakter und die Grundsätze seines Reiches kundtun.

Satan versucht dem Werke Gottes entgegenzuwirken und er dringt beständig auf die Menschen ein, seine Grundsätze anzunehmen. Er stellt das erwählte Volk Gottes als betörte Menschen dar. Er ist ein Verkläger der Brüder und richtet seine Anklagen und Beschuldigungen gegen die, welche Gerechtigkeit wirken. Der Herr will durch die Seinen die Anklagen Satans beantworten, indem er die Folgen des Gehorsams gegen rechte Grundsätze zeigt.

Diese Grundsätze sollen im einzelnen Christen, in der Familie und der Gemeinde und in jeder zur Förderung des Werkes Gottes begründeten Anstalt offenbart werden. Alle sollen Erkennungszeichen sein, was für die Welt getan werden kann. Sie sollen Vorbilder sein von der rettenden Kraft des Evangeliums. Alle sind Werkzeuge zur Erfüllung der großen Absicht Gottes mit dem Menschengeschlecht.

Die jüdischen Leiter blickten mit Stolz auf ihren großartigen herrlichen Tempel und die feierlichen Gebräuche ihres Gottesdienstes; aber Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und die Liebe Gottes mangelten ihnen. Die Herrlichkeit des Tempels und der Glanz ihres Gottesdienstes konnten sie vor Gott nicht angenehm machen, denn das, was in seinen Augen allein von Wert ist, brachten sie ihm nicht dar. Sie brachten ihm nicht das Opfer eines demütigen und zerschlagenen Geistes. Wenn die lebengebenden Grundsätze des Reiches Gottes aus den Augen verloren werden, dann häufen sich die Zeremonien und der Prunk mehrt sich. Wenn wir den Aufbau des Charakters vernachlässigen, wenn der Schmuck der Seele mangelt, wenn die Einfältigkeit der Gottseligkeit aus den Augen verloren wird, dann verlangen der Stolz und die Liebe zu äußerlichem Schaugepränge großartige Kirchen, kostbare Ausschmückungen und Achtung einflößende Zeremonien. Aber durch alles dieses wird Gott nicht geehrt. Eine Religion, die sich dem herrschenden Geschmack anpaßt, die aus Zeremonien, Schein und äußerlichem Gepränge besteht, nimmt er nicht an. An solchen Gottesdiensten nehmen die himmlischen Boten keinen Anteil.

Die Gemeinde ist in den Augen Gottes köstlich geachtet. Er schätzt sie nicht ihrer äußerlichen Vorteile wegen, sondern wegen der aufrichtigen Frömmigkeit, durch welche sie sich von der Welt unterscheidet. Er schätzt sie nach dem Wachstum der Glieder in der Erkenntnis Christi, nach ihrem Fortschritt in geistlicher Erfahrung.

Christus verlangt darnach, von seinem Weinberg die Frucht der Heiligkeit und Selbstlosigkeit zu bekommen. Er sucht nach den Grundsätzen der Liebe und Güte. Alle Schönheit der Kunst hält keinen Vergleich aus mit der Schönheit des Gemüts und des Charakters, die sich in Christi Nachfolger offenbaren soll. Die ganze Umgebung des Gläubigen atmet Gnade, der Heilige Geist wirkt auf Gemüt und Herz, so daß er ein Geruch des Lebens zum Leben wird und Gott sein Wirken segnen kann.

Eine Gemeinde mag die ärmste im Lande sein, sie mag in ihrem Äußeren nichts Anziehendes haben, wenn aber die Glieder die Grundsätze des Charakters Christi besitzen, dann wird auch seine Freude ihre Seelen füllen. Engel werden sich mit ihnen vereinen, wenn sie anbeten. Lob- und Danksagungen von dankerfüllten Herzen werden als ein süßer Weihrauch zu Gott aufsteigen.

Der Herr wünscht, daß wir seiner Güte gedenken und von seiner Macht erzählen. Er wird durch unser Lob und unsern Dank geehrt. Sagt er doch: "Wer Dank opfert, der preiset mich." Psalm 50,23. Als das Volk Israel durch die Wüste zog, pries es Gott in heiligen Liedern. Die Gebote und Verheißungen des Herrn wurden in Musik gesetzt und die ganze Reise hindurch von den Pilgrimen gesungen. Und wenn sie sich in Kanaan zu ihren heiligen Festen versammelten, sollten sie der wunderbaren Werke Gottes gedenken und seinem Namen Dank opfern. Gott wünschte, daß das ganze Leben der Seinen ein Leben des Lobes und Preises sein sollte. Dadurch sollten die Menschen auf Erden seinen Weg erkennen und sein Heil unter allen Heiden oder Völkern gesehen werden. Psalm 67,3.

So sollte es auch jetzt sein. Die Weltmenschen beten falsche Götter an. Sie müssen von ihrer falschen Anbetung abgebracht werden und zwar nicht, indem man gegen ihre Götter spricht, sondern indem sie etwas Besseres sehen. Die Güte und Liebe Gottes soll bekannt gemacht werden. "Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr; so bin ich Gott." Jesaja 43,12.

Der Herr wünscht, daß wir den großen Erlösungsplan recht schätzen und würdigen, das uns als Gottes Kindern angebotene Vorrecht erkennen und mit dankbarem Herzen im Gehorsam vor ihm wandeln. Er wünscht, daß wir ihm in einem neuen Leben jeden Tag mit Freuden dienen. Er sehnt sich darnach, unsere Herzen in Dankbarkeit überwallen zu sehen, weil unsere Namen im Lebensbuch des Lammes geschrieben sind. Und weil wir alle unsere Sorgen auf ihn werfen können, der für uns sorgt. Er will, daß wir uns freuen, weil wir das Erbteil des Herrn sind, weil die Gerechtigkeit Christi das weiße Gewand seiner Heiligen ist, weil wir die selige Hoffnung der baldigen Wiederkunft unseres Heilandes haben.

Gott mit aufrichtigem Herzen zu loben und zu preisen, ist ebensowohl eine Pflicht als das Gebet. Wir sollen der Welt und allen himmlischen Wesen zeigen, daß wir die wunderbare Liebe Gottes zu dem gefallenen Menschengeschlecht schätzen und daß wir größere und wiederum größere Segnungen aus seiner unendlichen Fülle erwarten. Wir müssen viel mehr, als wir es tun, von unsern köstlichen Erfahrungen im Herrn reden. Nach einer besonderen Ausgießung des Heiligen Geistes würde unsere Freude im Herrn und unsere Wirksamkeit in seinem Dienste bedeutend zunehmen, wenn wir von seiner Liebe und seinem wunderbaren Wirken für seine Kinder erzählten.

Dadurch wird die Macht Satans zurückgetrieben. Der Geist des Murrens und Klagens schwindet, der Versucher verliert den Boden unter den Füßen, und Charaktereigenschaften, welche die Erdbewohner für die himmlischen Wohnungen geschickt machen, werden gestärkt.

Ein solches Zeugnis wird einen Einfluß auf andere haben. Es kann kein wirksameres Mittel benutzt werden, um Seelen für Christum zu gewinnen.

Wir sollen Gott durch einen wirklichen Dienst loben, indem wir alles tun, was in unserer Macht steht, um seinen Namen zu verherrlichen. Gott teilt uns seine Gaben mit, damit wir auch anderen geben und dadurch seinen Charakter der Welt bekannt machen können. Unter den göttlichen Einrichtungen für die Juden bildeten Gaben und Opfer einen wesentlichen Teil des Gottesdienstes. Die Israeliten wurden gelehrt, den Zehnten von ihrem ganzen Einkommen dem Dienste im Heiligtum zu weihen. Außerdem mußten sie Sündopfer, freiwillige Gaben und Dankopfer darbringen. Dies waren die Mittel, durch welche zu jener Zeit die Prediger des Evangeliums unterhalten wurden. Gott erwartet nicht weniger von uns, als er vor alters von seinem Volk erwartete. Das große Werk der Seelenrettung muß vorangehen. Durch Anordnung des Zehnten, sowie des Darbringens von Gaben und Opfern, hat er Vorkehrungen zur Förderung diese Werkes getroffen. Er will, daß auf diese Weise das Predigen des Evangeliums unterstützt werden soll. Er beansprucht den Zehnten als sein Eigentum und wir sollten ihn auch als heilig betrachten und ihn zurücklegen in die Schatzkammer des Herrn, um seine Sache zu fördern. Er ersucht uns auch um freiwillige Gaben und Dankopfer. Alles soll dazu verwandt werden, damit das Evangelium nach den entlegensten Teilen der Erde getragen werde.

Dem Herrn dienen, schließt eine persönliche Arbeit ein. Durch persönliches Wirken sollen wir seine Mitarbeiter in der Errettung der Welt sein. Der Auftrag Christi: "Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evangelium aller Kreatur" (Markus 16,15), ist an einen jeden seiner Nachfolger gerichtet. Alle, welche zum Leben in Christo berufen sind, sind auch berufen, für das Heil ihrer Mitmenschen zu wirken. Ihre Herzen werden in Harmonie mit dem Herzen Christi sein. Dasselbe Verlangen, welches er hatte, Seelen gerettet zu sehen, wird auch von ihnen bekundet werden. Nicht alle können dieselbe Stellung im Werke ausfüllen, aber es gibt einen Platz und eine Arbeit für jeden.

Vor alters standen Abraham, Isaak, Jakob, Moses mit seiner Sanftmut und Weisheit und Josua mit seinen verschiedenen Fähigkeiten im Dienste Gottes. Die Musik Mirjams, der Mut und die Frömmigkeit Deboras, die kindliche Anhänglichkeit Ruts, der Gehorsam und die Treue Samuels, die strenge Gewissenhaftigkeit Elias, der besänftigende Einfluß Elisas -- sie alle waren notwendig. So sollten auch jetzt alle, denen der Segen Gottes zuteil geworden ist, ihre Dankbarkeit durch tätiges Dienen bekunden; eine jede empfangene Gabe soll zur Förderung seines Reiches und zur Verherrlichung seines Namens benutzt werden.

Alle, die Christum als einen persönlichen Heiland annehmen, sollen die Wahrheit des Evangeliums und seine errettende Kraft in ihrem Leben offenbaren. Gott stellt keine Forderung, ohne auch Vorkehrungen zu ihrer Erfüllung zu treffen. Durch die Gnade Christi können wir alles ausrichten, was Gott von uns fordert. Alle Schätze des Himmels sollen durch Gottes Volk offenbart werden. "Darinnen wird mein Vater geehret," sagt Christus, "daß ihr viel Frucht bringet und werdet meine Jünger." Johannes 15,8.

Gott beansprucht die ganze Erde als seinen Weinberg. Obgleich sie jetzt in den Händen des Thronräubers ist, gehört sie doch Gott. Sie ist durch die Erlösung nichts weniger sein, als durch die Schöpfung; denn das Opfer Christi wurde für die ganze Welt dargebracht. "Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab." Johannes 3,16. Durch diese eine Gabe werden den Menschen alle anderen Gaben mitgeteilt. Die ganze Welt empfängt täglich Segnungen von Gott. Jeder Regentropfen, jeder Lichtstrahl, der auf unser undankbares Geschlecht fällt, jedes Blatt, jede Blume und eine jede Frucht bezeugt die Langmut Gottes und seine große Liebe.

Welcher Dank aber wird dem großen Geber dafür? Wie nehmen die Menschen die Ansprüche Gottes auf? Wem weihen die großen Massen des Menschengeschlechts ihr ganzes Leben hindurch ihren Dienst? Sie dienen dem Mammon. Reichtum, Stellung, Vergnügen in der Welt ist ihr Ziel. Sie verschaffen sich Reichtum durch Raub, indem sie nicht nur Menschen, sondern auch Gott berauben. Sie benutzen seine Gaben, um ihre selbstsüchtigen Gelüste zu befriedigen. Alles, was sie nur erhaschen können, muß ihrer Habsucht und ihrer selbstsüchtigen Vergnügungsliebe dienen.

Die Sünde der Welt ist heute dieselbe, welche das Verderben über Israel brachte. Undankbarkeit gegen Gott, die Vernachlässigung von Gelegenheiten und Segnungen, die selbstsüchtige Verwendung der Gaben Gottes -- diese alle waren in der Sünde einbegriffen, welche den Zorn Gottes über Israel brachte. Sie bringen auch heute noch Verderben über die Welt.

Die Tränen, welche Christus auf dem Ölberge vergoß, als er auf die erwählte Stadt blickte, wurden nicht über Jerusalem allein vergossen. Im Schicksal Jerusalems schaute er die Zerstörung der Welt.

"Wenn doch auch du erkennetest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen." Lukas 19,42.

"Zu dieser deiner Zeit." Die Zeit nähert sich ihrem Abschluß. Die Zeit der Gnade und der angebotenen Vorrechte ist beinahe dahin. Die Wolken der Rache sammeln sich. Die Verächter der Gnade Gottes stehen im Begriff von dem schnell eilenden, unvermeidlichen Verderben verschlungen zu werden.

Dennoch schläft die Welt. Die Menschen erkennen die Zeit ihrer Heimsuchung nicht.

Wo befindet sich in dieser Zeit der Krisis die Gemeinde? Entsprechen ihre Glieder den Anforderungen Gottes? Erfüllen sie seine Aufträge und stellen sie seinen Charakter der Welt dar? Lenken sie die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen auf die letzte gnadenvolle Botschaft?

Den Menschen droht Gefahr. Große Scharen kommen um. Aber wie wenige derer, die sich für Nachfolger Christi ausgeben, fühlen eine Last für diese Seelen! Das Schicksal einer Welt liegt auf der Waagschale, aber das bewegt selbst diejenigen kaum, welche vorgeben, die weitreichendste Wahrheit, die je an Sterbliche ergangen ist, zu glauben. Es mangelt ihnen jene Liebe, die Christum trieb, sein himmlisches Heim zu verlassen und die Natur des Menschen anzunehmen, auf daß das Menschliche die Menschheit berühren und sie zur Gottheit hinziehen könnte. Es ist eine Lähmung, eine Betäubung über die Kinder Gottes gekommen, wodurch sie gehindert werden, ihre gegenwärtige Pflicht zu erkennen.

Als die Israeliten ins Land Kanaan hineingingen, erfüllten sie nicht die Absicht Gottes, Besitz von dem ganzen Lande zu nehmen; sondern nachdem sie es teilweise eingenommen hatten, ließen sie sich nieder, um die Früchte ihrer Siege zu genießen. In ihrem Unglauben und in ihrer Liebe zur Bequemlichkeit sammelten sie sich in den schon unterworfenen Teilen an, anstatt vorwärts zu dringen und neues Gebiet einzunehmen. Auf diese Weise fingen sie an von Gott abzuweichen und indem sie es unterließen, seine Absicht auszuführen, machten sie es ihm unmöglich, ihnen den verheißenen Segen zu geben. Tut nicht die Gemeinde der Jetztzeit ganz dasselbe? Mit der ganzen Welt, die doch des Evangeliums so dringend bedarf, vor sich, lassen vorgebliche Christen sich da nieder, wo sie sich zusammen des Evangeliums erfreuen können. Sie fühlen nicht die Notwendigkeit, ein neues Gebiet einzunehmen und die Botschaft des Heils nach entfernten Gegenden zu tragen. Sie weigern sich, den Auftrag Christi zu erfüllen: "Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur." Markus 16,15. Sind sie weniger schuldig als die jüdische Gemeinde es war?

Die vorgeblichen Nachfolger Christi werden vor dem ganzen Weltall geprüft, aber ihr Mangel an Eifer und die Lauheit ihrer Bestrebungen im Dienste Gottes, kennzeichnen sie als untreu. Wenn das, was sie tun, das Beste wäre, das sie tun können, dann würde keine Verdammnis auf ihnen ruhen; aber sie könnten viel mehr tun, wenn ihre Herzen im Werke wären. Sie wissen und die Welt weiß es, daß sie in einem hohen Grade den Geist der Selbstverleugnung und des Kreuztragens verloren haben. Es gibt viele, gegenüber deren Namen in den Büchern des Himmels geschrieben steht: Kein Sammler, sondern ein Zerstreuer. Viele, die den Namen Christi tragen, verdunkeln seine Herrlichkeit, verschleiern seine Schönheit und enthalten ihm die ihm gebührende Ehre vor.

Es gibt viele, deren Namen wohl in den Gemeindebüchern, die aber selbst nicht unter der Herrschaft Christi stehen. Sie mißachten seine Lehren und tun seinen Willen nicht. Darum sind sie unter der Herrschaft des Feindes. Sie tun nichts ausdrücklich Gutes und darum tun sie unberechenbaren Schaden. Weil ihr Einfluß kein Geruch des Lebens zum Leben ist. So ist er ein Geruch des Todes zum Tode.

Der Herr sagt: "Und ich sollte sie um solches nicht heimsuchen?" Jeremia 5,9. Weil die Kinder Israel Gottes Absicht nicht ausführten, wurden sie beiseite gesetzt und der Ruf Gottes erging an andere Völker. Wenn diese sich auch als untreu erweisen, werden sie dann nicht in gleicher Weise verworfen werden?

Im Gleichnis vom Weinberg waren es die Weingärtner, die von Christo als schuldig bezeichnet wurden. Sie waren es, die sich geweigert hatten, ihrem Herrn die Frucht seines Weinberges zu geben. Im jüdischen Volke waren es die Priester und Lehrer, welche, indem sie das Volk irreleiteten, Gott des Dienstes beraubt hatten, den er beanspruchte. Sie waren es, die das Volk von Christo abwendig machten.

Das Gesetz Gottes, frei von menschlichen Überlieferungen, wurde von Christo als die große Richtschnur des Gehorsams hingestellt. Dies erregte die Feindschaft der Rabbiner. Sie hatten menschliche Lehren über Gottes Wort gestellt und das Volk von seinen Vorschriften abgebracht. Sie wollten ihre Menschensatzungen nicht aufgeben, um den Forderungen des Wortes Gottes nachzukommen. Sie wollten um der Wahrheit willen den Eigenstolz und das Lob der Menschen nicht preisgeben. Als Christus kam und dem Volke die Ansprüche Gottes vorhielt, da versagten die Priester und Ältesten ihm das Recht, sich zwischen sie und das Volk zu stellen. Sie wollten seine Zurechtweisungen und Warnungen nicht annehmen und bemühten sich, das Volk gegen ihn aufzustacheln und seinen Tod herbeizuführen.

Sie waren verantwortlich für die Verwerfung Christi und die daraus entstandenen Folgen. Die Sünde eines ganzen Volkes und das Verderben eines ganzen Volkes waren den religiösen Leitern zuzuschreiben.

Sind nicht in unserer Zeit dieselben Einflüsse am Wirken? Folgen nicht viele Weingärtner im Weinberge des Herrn den Fußtapfen der jüdischen Leiter? Bringen nicht viele Religionslehrer die Menschen von den klaren Forderungen des Wortes Gottes ab? Veranlassen sie dieselben nicht zur Übertretung, anstatt sie zum Gehorsam gegen das Gesetz Gottes anzuleiten? Von vielen Kanzeln in den Kirchen wird das Volk gelehrt, daß das Gesetz Gottes nicht bindend für sie ist. Menschliche Überlieferungen, Satzungen und Gebräuche werden erhoben. Stolz und Selbstzufriedenheit wegen der Gaben Gottes werden genährt, während Gottes Ansprüche unbeachtet bleiben.

Wenn die Menschen das Gesetz Gottes beiseite setzen, wissen sie nicht, was sie tun. Gottes Gesetz ist der Ausdruck seines Charakters. Es verkörpert die Grundsätze seines Reiches. Wer sich weigert, diese Grundsätze anzunehmen, bringt sich selbst in eine Verfassung, in der ihm der Segen Gottes nicht zufließen kann.

Die großen Herrlichkeiten, die Israel gezeigt wurden, konnten nur durch Gehorsam gegen Gottes Gebote erkannt werden. So können auch wir nur durch Gehorsam denselben edlen Charakter, dieselbe Fülle der Segnungen -- Segen an Seele, Körper und Geist, Segen auf Haus und Feld, Segen für dieses und das zukünftige Leben -- erhalten.

In der geistlichen, wie auch in der natürlichen Welt wird das Hervorsprießen der Frucht durch den Gehorsam gegen die Gesetze Gottes bedingt. Wenn Menschen lehren, Gottes Gebote zu mißachten, so hindern sie andere daran, zu seiner Ehre Frucht zu bringen. Sie laden dann die Schuld auf sich, dem Herrn die Früchte seines Weinberges vorzuenthalten.

Die Boten Gottes kommen auf das Gebot des Meisters zu uns. Sie kommen und fordern, wie Christus es tat, Gehorsam gegen das Wort Gottes. Sie begründen seinen gerechten Anspruch auf die Früchte des Weinberges, Früchte der Liebe und Demut und des selbstaufopfernden Dienstes. Werden nicht viele Weingärtner des Weinberges, wie jene jüdischen Leiter, zornig, und benutzen, wenn die Ansprüche des göttlichen Gesetzes dem Volke vorgelegt werden, ihren Einfluß, um die Menschen zu veranlassen, es zu verwerfen? Solche Lehrer nennt Gott untreue Knechte.

Die Worte Gottes an das alte Israel enthalten eine ernste, feierliche Mahnung an die Gemeinde dieser Zeit und ihre Lehrer. Von Israel sagte der Herr: "Wenn ich ihm gleich viel tausend Gebote meines Gesetzes schreibe, so wird's geachtet wie eine fremde Lehre." Hosea 8,12. Und den Priestern und Lehrern erklärte er: "Mein Volk ist dahin, darum daß es nicht lernen will. Denn du verwirfest Gottes Wort, darum will ich dich auch verwerfen ... Du vergißest des Gesetzes deines Gottes, darum will ich auch deiner Kinder vergessen." Hosea 4,6.

Sollen die Warnungen Gottes unbeachtet bleiben? Sollen die Gelegenheiten, ihm zu dienen, unbenutzt bleiben? Sollen der Hohn der Welt, das Brüsten mit dem eigenen Wissen, das Sichanpassen an die menschlichen Gebräuche und Überlieferungen die bekenntlichen Nachfolger Christi davon abhalten, Gott zu dienen? Werden sie das Wort Gottes verwerfen, wie die jüdischen Leiter Christum verwarfen? Die Folgen der Sünde Israels sind längst offenbar. Wird die Gemeinde der Jetztzeit sich dadurch warnen lassen?

"Ob aber nun etliche von den Zweigen ausgebrochen sind und du, da du ein wilder Ölbaum warest, bist unter sie gepfropfet und teilhaftig worden der Wurzel und des Saftes im Ölbaum, so rühme dich nicht ... Sie sind ausgebrochen um ihres Unglaubens willen; du stehest aber durch den Glauben. Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. Hat Gott der natürlichen Zweige nicht verschonet, daß er vielleicht dein auch nicht verschone." Römer 11,17-21.