Bilder vom Reiche Gottes

Kapitel 7

"Einem Sauerteig gleich"

[AUDIO]

Viele gebildete und einflussreiche Männer waren gekommen, um den Propheten aus Galiläa zu hören. Einige von ihnen musterten neugierig die große Menge, die sich um Christus versammelt hatte, als er am See predigte. Da waren alle Gesellschaftsschichten vertreten: Arme, Ungebildete, in Lumpen gehüllte Bettler, Räuber, deren Gesichtsausdruck ihr schuldiges Gewissen widerspiegelte, Krüppel, Verschwender, Kaufleute und Müßiggänger, Vornehme und Verachtete. Arme und Reiche -- alle drängten sich zusammen, um einen günstigen Platz zu haben und Jesus hören zu können.

Als die Gebildeten diese seltsame Versammlung betrachteten, fragten sie sich, ob das Reich Gottes wohl wirklich aus solchen Menschen bestünde. Wieder gab der Heiland ihnen seine Antwort mit einem Gleichnis: "Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war." Matthäus 13,33.

Ein Sinnbild für die Gnade Gottes

Bei den Juden galt der Sauerteig mitunter als ein Symbol der Sünde. So mussten sie zur Zeit des Passahfestes allen Sauerteig aus ihren Häusern, wie die Sünde aus ihren Herzen, entfernen. Christus warnte seine Jünger: "Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heuchelei." Lukas 12,1. Und der Apostel Paulus spricht von dem "Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit". 1.Korinther 5,8. Im Gleichnis des Heilandes jedoch soll der Sauerteig das Reich Gottes darstellen. Er ist dort ein Bild für die erneuernde, umgestaltende Kraft der göttlichen Gnade.

Niemand ist zu niederträchtig, niemand zu tief gesunken, als dass diese mächtige Kraft ihn nicht mehr erreichen könnte: Jedem, der sich der Führung des Heiligen Geistes anvertraut, wird ein neuer Lebenskeim eingepflanzt. Gott möchte die Menschen ja wieder zu seinem Ebenbild machen.

Der Mensch ist nicht im Stande, sich aus eigener Willensanstrengung heraus von Grund auf zu ändern, denn dazu reicht seine Kraft nicht aus. Bevor das Mehl in der gewünschten Weise verändert werden kann, muss man Sauerteig hinzufügen -- also etwas, das völlig von außen kommt. Genauso muss der Sünder die Gnade Gottes in sich aufnehmen, wenn er für das Reich der Herrlichkeit geeignet werden möchte. Alle Erziehung und Bildung, die die Welt vermitteln kann, wird versagen, wenn es darum geht, einen in Sünde verstrickten Menschen in ein Kind Gottes umzugestalten. Die erneuernde Kraft muss von Gott ausgehen. Nur der Heilige Geist kann eine derartige Wandlung vollbringen. Jeder, der gerettet werden will -- er sei vornehm oder verachtet, arm oder reich --, muss sich dem Wirken dieser Macht aussetzen.

Die Wandlung des Herzens

Wenn der Sauerteig mit dem Mehl vermengt ist, wirkt er von innen nach außen. So beginnt auch die Gnade Gottes unser Leben zu verändern, indem sie das Herz erneuert. Eine rein äußerliche Wandlung genügt nicht, wenn wir wieder in Harmonie mit Gott kommen möchten. Viele versuchen sich zu ändern, indem sie die eine oder andere schlechte Gewohnheit ablegen, in der Hoffnung, auf diese Weise Christen zu werden. Doch sie setzen an der falschen Stelle an: Man muss damit am Herzen beginnen.

Es ist ein Unterschied, ob man sich nur mit schönen Worten zu Christus bekennt oder ob man die Wahrheit mit ganzer Seele aufgenommen hat. Es genügt nicht, die Wahrheit nur zu kennen. Wir können sie besitzen, ohne dass sich dadurch unser Denken ändert. Das Herz selbst muss bekehrt und geheiligt werden.

Wer versucht, die Gebote nur aus Pflichtgefühl zu halten, weil es eben von ihm verlangt wird, der wird nie die Freude erleben, die rechter Gehorsam mit sich bringt. In Wirklichkeit gehorcht er ja gar nicht. Solange wir die Forderungen Gottes als eine Last empfinden, weil sie unseren menschlichen Neigungen zuwiderlaufen, sind wir noch keine echten Christen. Wahrer Gehorsam ist das äußerliche Zeichen für einen inneren Zustand. Er entspringt der Liebe zur Gerechtigkeit und zum Gesetz Gottes. Wahre Gerechtigkeit zeigt sich in der Treue zu unserem Erlöser. Sie wird uns dazu veranlassen, das Rechte um seiner selbst willen zu tun, weil Gott Freude daran hat.

Die großartige Wahrheit, dass der Heilige Geist das Herz bekehren kann, hat Christus im Gespräch mit Nikodemus so ausgedrückt: "Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist." Johannes 3,6-8.

Der Apostel Paulus sagte, vom Heiligen Geist erfüllt: "Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht -- aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es." Epheser 2,4-8.

Der im Mehl verborgene Sauerteig wirkt unsichtbar, um schließlich den ganzen Teig zu durchsäuern. Genauso unmerklich, still und stetig formt der Sauerteig der Wahrheit das Innere des Menschen um. Unter seinem Einfluss werden die natürlichen Neigungen abgeschwächt und bezwungen, werden neue Gedanken, neue Empfindungen und neue Beweggründe eingepflanzt. Das Leben Christi ist von nun an Vorbild für die eigene Charakterbildung. Eine veränderte Denkweise setzt sich durch; unsere Fähigkeiten werden in neue Bahnen gelenkt. Wir erhalten zwar keine neuen Fähigkeiten, doch werden die vorhandenen geheiligt. Das Gewissen erwacht. Wir bekommen Charakterkräfte, die uns befähigen, Gott in der rechten Weise zu dienen.

Oft wird die Frage laut: Warum gibt es so viele Menschen, die sich zu Gottes Wort bekennen und dennoch in ihrem Reden, ihrer Geisteshaltung und ihrem Charakter keine umgestaltende Kraft erkennen lassen? Warum können so viele es nicht ertragen, wenn ihren Absichten und Plänen widersprochen wird? Warum legen so viele eine ganz und gar unheilige Gereiztheit an den Tag und gebrauchen verletzende, unüberlegt gesprochene Worte? In ihrem Leben offenbart sich der gleiche Egoismus, der gleiche vorherrschende Drang nach eigener Bedürfnisbefriedigung, die gleiche aufbrausende und unüberlegte Art zu sprechen wie bei den Menschen, die ohne Gott leben. Sie sind genauso empfindlich stolz und lassen ihren natürlichen Neigungen genauso freien Lauf, als hätten sie die Wahrheit noch nie gehört. Die Antwort darauf kann nur lauten: Diese Menschen sind nicht bekehrt. Sie haben den Sauerteig der Wahrheit nicht in ihr Herz aufgenommen, ihm keine Gelegenheit zu wirken gegeben und erst recht nicht ihre angeborenen und durch Gewohnheit erworbenen schlechten Neigungen seiner umformenden Kraft unterworfen. In ihrem Leben fehlt ganz offensichtlich das Wirken der Gnade Christi und der Glaube an die göttliche Macht, den Charakter zu erneuern.

"So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi." Römer 10,17. Das Studium der Heiligen Schrift ist eine entscheidende Hilfe für die Umwandlung des Charakters. Christus betete: "Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit." Johannes 17,17. Wenn das Wort Gottes recht gelesen und auch befolgt wird, kann es am menschlichen Herzen arbeiten und alle Eigenschaften in den Griff bekommen, die in unheiliger Weise entartet sind. Dann macht uns der Heilige Geist auf unsere Sünden aufmerksam, und Glaube keimt im Herzen auf, der uns -- durch die Liebe zu Christus -- unserem Herrn in unserer ganzen Lebensart immer ähnlicher werden lässt. Nun kann Gott uns dazu benutzen, seinen Willen zu tun. Die Kraft, die wir empfangen, wirkt von innen nach außen und veranlasst uns, die Wahrheit, die wir erfahren haben, anderen mitzuteilen.

Die Wahrheiten, die das Wort Gottes enthält, geben Antwort auf die Frage, was der Mensch wirklich braucht: Bekehrung durch den Glauben. Diese großartigen Grundwahrheiten sind keineswegs zu rein oder zu heilig, um sich im Alltag verwirklichen zu lassen. Zwar sind sie so hoch wie der Himmel und führen uns zum ewigen Leben, doch sollen wir ihren überaus wichtigen Einfluss gerade im Alltag erfahren lernen und alle großen und kleinen Dinge unseres Lebens von ihnen durchdringen lassen.

Ist der Sauerteig der Wahrheit ins Herz gelangt, dann lenkt er die Wünsche, läutert die Gedanken und veredelt das Wesen. Geisteskraft und Seelenstärke werden belebt, und die Fähigkeit wächst, mitzufühlen und zu lieben.

Für ungläubige Menschen ist jemand, den solche Kraft erfüllt, ein Rätsel. Der geldgierige Ich-Mensch sieht seinen Lebensinhalt nur darin, sich möglichst viel an Reichtum, Ehre und weltlichem Genuss zu sichern. An die Ewigkeit denkt er dabei nicht. Ein Nachfolger Christi hingegen geht nicht vollkommen im Irdischen auf. Er arbeitet für Christus und stellt seine eigenen Interessen zurück, denn er möchte mithelfen, Menschen zu retten, die ohne Christus und ohne Hoffnung leben. Die Ungläubigen können ihn nicht verstehen, weil er den Blick auf die ewige Wirklichkeit gerichtet hält. Die Liebe Christi mit ihrer erlösenden Kraft ist in sein Herz eingedrungen, beherrscht alle seine Beweggründe und hebt ihn hoch über den verderblichen Einfluss der Welt.

Wandlung auch nach außen hin

Das Studium des Wortes Gottes soll sich auch positiv auf den Umgang mit unseren Mitmenschen auswirken. Der Sauerteig der Wahrheit wird keine Eifersucht, kein Streben nach Ehre und Macht erzeugen. Wahre, von Gott geschenkte Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil; sie ist weder von Launen noch von menschlichem Lob abhängig. Wer die Gnade Gottes annimmt, dessen Herz fließt über von Liebe zu Gott und zu denen, für die Christus starb. Er zeigt kein übertriebenes Geltungsbedürfnis mehr. Seine Mitmenschen liebt er nicht nur, weil sie ihn lieben und ihm gefallen oder weil sie große Stücke auf ihn halten, sondern weil Christus sie zu seinem erkauften Eigentum gemacht hat. Er ist nicht beleidigt, wenn seine Beweggründe und das, was er sagt oder tut, missverstanden oder falsch dargestellt werden, sondern geht unbeirrt seinen Weg. Er hat ein freundliches und rücksichtsvolles Wesen, denkt bescheiden von sich und ist doch voller Hoffnung, weil er auf die Gnade und Liebe Gottes vertraut.

Der Apostel ermahnt uns: "Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem Wandel. Denn es steht geschrieben: ‚Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.'" 1.Petrus 1,15.16. Die Gnade Christi soll in unserem Wesen und in dem, was wir sagen, zum Ausdruck kommen: Sie zeigt sich in Höflichkeit und Rücksichtnahme gegenüber unseren Mitmenschen, in freundlichen Worten der Ermutigung. Mit ihr sind Engel im Haus, und unser ganzes Leben wird zu einem Dankopfer für Gott werden. Unsere Liebe zu ihm zeigt sich in Freundlichkeit, Güte, Nachsicht und Geduld gegenüber unseren Mitmenschen.

Auch die äußere Erscheinung des Menschen ändert sich: Wer Christus im Herzen hat, ihn liebt und seine Gebote hält, dessen Gesicht strahlt einen tiefen Glauben aus. Es ist geprägt von Aufrichtigkeit, Frieden mit Gott, einer selbstverständlichen Güte und von Liebe, die keinen menschlichen Ursprung hat.

Der Sauerteig der Wahrheit verändert den ganzen Menschen: Er veredelt das Wesen des Grobschlächtigen, macht den Schroffen freundlich, den Egoisten freigebig und veranlasst jeden, der mit Sünde befleckt ist, sich im Blut des Lammes reinzuwaschen. Sein Leben spendendes Wirken bringt Geist, Seele und alle Kräfte des Leibes in Einklang mit dem Göttlichen. Der Mensch erhält Anteil am göttlichen Wesen und entwickelt zur Ehre Christi einen vortrefflichen, vollkommenen Charakter. Angesichts solcher Veränderungen stimmen die Engel ein Loblied an. Gott und Christus freuen sich über alle Menschen, die sich nach dem göttlichen Ebenbild umgestalten lassen.