Der Sieg Der Liebe

Kapitel 22

Gefangenschaft Und Tod Des Johannes

[AUDIO]

Matthäus 11,1-11; 14,1-11; Markus 6,14-28; 7Lukas 7,19-28.

Johannes der Täufer war der Erste, der das Reich von Christus verkündigte, und er war auch der Erste, der dafür leiden musste. Nach der Freiheit der Wüste und den riesigen Menschenmengen, die sich um ihn gedrängt hatten, um seine Worte zu hören, war er nun in einer Gefängniszelle eingesperrt - als Gefangener in der Festung des Herodes Antipas. Johannes hatte sehr oft im Gebiet östlich des Jordan gewirkt, das unter der Herrschaft von Antipas stand. Herodes selbst hatte den Predigten des Täufers zugehört. Der lasterhafte König hatte unter dem Aufruf zur Umkehr gezittert. "Herodes fürchtete Johannes, weil er wusste, dass er ein frommer und heiliger Mann war ... und wenn er ihn hörte, wurde er sehr unruhig; doch hörte er ihn gern." (Markus 6,20) Johannes war ehrlich zu ihm und verurteilte dessen unrechtmäßige Verbindung mit Herodias, der Frau seines Bruders. 47 Eine Zeitlang unternahm Herodes den schwachen Versuch, sich von den Ketten der Begierde, die ihn fesselten, zu befreien, doch Herodias band ihn mit aller Kraft noch fester an sich. Sie rächte sich an Johannes dem Täufer, indem sie Herodes dazu bewog, ihn ins Gefängnis zu werfen.

Mutlos Und Verzweifelt

Johannes war ein fleißiger Arbeiter gewesen, doch nun lasteten die Dunkelheit des Kerkers und die Untätigkeit seiner Gefangenschaft schwer auf ihm. Als Woche um Woche verstrich, ohne dass sich etwas änderte, beschlichen ihn Mutlosigkeit und Zweifel. Seine Jünger ließen ihn nicht im Stich. Sie durften ihn im Gefängnis besuchen und berichteten ihm von den Taten, die Jesus vollbrachte. Dabei erzählten sie ihm auch, wie sich das Volk um Jesus scharte. Aber sie fragten sich, warum dieser neue Lehrer, wenn er wirklich der Messias war, nichts unternahm, damit Johannes wieder freigelassen wurde. Wie konnte er es zulassen, dass sein treuer Wegbereiter die Freiheit und vielleicht sogar sein Leben verlor?

Diese Fragen blieben nicht ohne Wirkung. Zweifel, die sonst nie aufgekommen wären, wurden gegenüber Johannes geäußert. Satan freute sich sehr über die Worte der Johannesjünger und sah, wie sie das Innerste des Boten des Herrn verletzten. Wie oft erweisen sich jene, die sich für Freunde eines guten Menschen halten und ihm unbedingt ihre Treue zeigen wollen, als seine gefährlichsten Feinde! Wie oft sind ihre Worte entmutigend und bedrückend, statt glaubensstärkend.

Gleich den Jüngern von Jesus hatte auch Johannes der Täufer das Wesen des Reiches Gottes nicht verstanden. Er wartete darauf, dass Jesus den Thron Davids einnehmen werde. Als die Zeit aber verstrich und Jesus keinen Anspruch auf die königliche Würde geltend machte, war Johannes aufgewühlt und besorgt. Er hatte dem Volk verkündet, dass die Weissagung des Jesaja erfüllt werden müsse, damit dem Herrn der Weg bereitet werde (vgl. Jesaja 40,3). "Alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden." (Jesaja 40,4) Er hatte Ausschau gehalten nach den Gipfeln menschlichen Hochmuts und menschlicher Macht, die erniedrigt werden mussten. Und er hatte auf den Messias als denjenigen hingewiesen, der "seine Worfschaufel in der Hand" hat; "er wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer" (Matthäus 3,12). Wie der Prophet Elia, in dessen Geist und Kraft er zu Israel gekommen war, erwartete Johannes, dass sich der Herr als ein Gott offenbaren würde, der mit Feuer antwortet.

Der Täufer hatte in seiner Mission das Unrecht vor Reichen und Armen furchtlos getadelt. Er hatte es gewagt, König Herodes entgegenzutreten und ihn wegen dessen Sünde zurechtzuweisen. Er hatte sein eigenes Leben nicht geschont, um den Auftrag, zu dem er berufen worden war, treu zu erfüllen. Und nun wartete er in seinem Verlies darauf, dass der "Löwe aus dem Stamm Juda" (Offenbarung 5,5; vgl. 1. Mose 49,8-10) den Hochmut des Unterdrückers demütigen und die Armen, die wie er selbst nach Hilfe schrien, befreien würde. Jesus dagegen schien sich damit zufrieden zu geben, Jünger um sich zu sammeln, zu lehren und Menschen zu heilen. Er aß an den Tischen der Zöllner, während das Joch der Römer jeden Tag schwerer auf dem Volk lastete. König Herodes und seine niederträchtige Geliebte taten, was ihnen gefiel, und die Schreie der Armen und Leidenden stiegen zum Himmel.

Dem verlassenen Propheten erschien dies alles als ein Geheimnis, das er nicht ergründen konnte. Es gab Stunden, in denen die Einflüsterungen satanischer Engel seinen Geist quälten und ihn der Schatten einer schrecklichen Angst beschlich. Könnte es sein, dass der lang ersehnte Erlöser noch gar nicht erschienen war? Doch was würde dann die Botschaft bedeuten, die er hatte ausrichten müssen? Johannes war vom Ergebnis seines Einsatzes bitter enttäuscht. Er hatte erwartet, dass Gottes Botschaft die gleiche Wirkung haben würde wie in den Tagen des Königs Josia und des Schriftgelehrten Esra, als das Gesetz des Mose vor dem versammelten Volk verlesen wurde (vgl. 2. Chronik 34,14-33; Nehemia 8 und 9). Er hoffte, dass es zu einer tiefgehenden Reue und einer Umkehr zum Herrn kommen würde. Sein ganzes Leben hatte er für das Gelingen dieses Auftrags geopfert. Sollte nun alles umsonst gewesen sein?

Johannes war bekümmert, als er sah, dass seine eigenen Jünger aus Liebe zu ihm Unglauben gegenüber Jesus hegten. War sein Wirken für sie vergeblich gewesen? War er in seiner Aufgabe untreu geworden, und wurde ihm deshalb der Auftrag entzogen? Wenn der verheißene Erlöser wirklich erschienen war und Johannes seinen Auftrag treu ausgeführt hatte, müsste Jesus dann nicht den Unterdrücker stürzen und seinen eigenen Wegbereiter befreien?

Doch der Täufer gab seinen Glauben an Christus nicht auf. Er erinnerte sich an die Stimme vom Himmel und an die herabkommende Taube, an die fleckenlose Reinheit von Jesus, an die Kraft des Heiligen Geistes, die Johannes erfüllt hatte, als er in die Nähe von Jesus kam, und an das Zeugnis der prophetischen Schriften (vgl. Matthäus 3,13-17). All dies bestätigte ihm, dass Jesus von Nazareth der Verheißene Gottes war.

"Bist Du Wirklich Der, Der Kommen Soll?"

Johannes sprach mit seinen Jüngern nicht über seine Zweifel und Ängste. Er beschloss, Jesus eine Nachricht zu übermitteln und ihn selbst zu fragen. Er beauftragte damit zwei seiner Jünger und hoffte, dass ihr Gespräch mit Jesus ihren eigenen Glauben stärken und ihren Brüdern neue Gewissheit geben würde. Johannes sehnte sich nach einer persönlichen Nachricht von Jesus.

Die Jünger kamen zu Jesus mit der Frage: "Bist du wirklich der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?" (Matthäus 11,3 NLB) Es war noch nicht viel Zeit vergangen, seitdem der Täufer auf Jesus hingewiesen und ausgerufen hatte: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!" (Johannes 1,29) "Es ist der, der nach mir kommt. Ich bin nicht einmal würdig, ihm die Riemen seiner Sandalen zu öffnen." (Johannes 1,27 NGÜ) Und jetzt stellte er die Frage: "Bist du wirklich der, der kommen soll?" Diese Frage war ein bitteres Armutszeugnis der menschlichen Natur. Wenn selbst Johannes, der treue Wegbereiter, nicht in der Lage war, die Mission von Christus richtig zu verstehen, was war dann von der eigensüchtigen Menge zu erwarten?

Die Sendung Von Jesus Wird Offenbar

Jesus beantwortete die Frage der Jünger nicht sofort. Während sie verwundert über sein Schweigen nachdachten, kamen Kranke und Leidende zu ihm, um geheilt zu werden. Blinde ertasteten sich ihren Weg durch die Menge. Kranke aus allen Schichten drängten sich zu Jesus, manche aus eigener Kraft, andere von Freunden getragen. Die Stimme des großen Arztes drang in das taube Ohr. Ein Wort oder eine Berührung mit seiner Hand öffnete blinde Augen, sodass sie das Licht des Tages, die Schönheit der Natur, die Gesichter ihrer Freunde und das Angesicht des Erlösers sehen konnten. Jesus gebot der Krankheit Einhalt und verbannte das Fieber. Seine Stimme drang an die Ohren der Sterbenden, und sie standen gesund und voller Lebenskraft von ihrem Krankenlager auf. Gelähmte Besessene gehorchten seinem Wort. Ihr Wahnsinn wich von ihnen, und sie beteten ihn an. Während er ihre Krankheiten heilte, lehrte er die Menschen. Die armen Bauern und Arbeiter, die von den Rabbinern als unrein gemieden wurden, drängten sich um ihn, und er richtete Worte des ewigen Lebens an sie.

So verging der Tag. Die Jünger des Johannes sahen zu und hörten alles. Schließlich rief Jesus sie zu sich und gebot ihnen, hinzugehen und Johannes zu berichten, was sie erlebt hatten. Dann fügte er hinzu: "Glückselig ist, wer sich nicht an mir ärgert." (Lukas 7,23 Elb.) Der Beweis seiner Göttlichkeit lag darin, dass er sich der Bedürfnisse der leidenden Menschheit annahm. Seine Herrlichkeit wurde dadurch sichtbar, dass er sich auf die niedrige Stufe der Menschheit herabließ.

Johannes Wird Gestärkt

Die Jünger überbrachten Johannes diese Botschaft, und das genügte ihm. Er erinnerte sich an die Vorhersage, die den Messias betraf: "Der Geist Gottes, des Herrn, ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn." (Jesaja 61,1.2) Die Werke von Christus wiesen ihn nicht nur als den Messias aus, sie zeigten auch, auf welche Art sein Reich errichtet werden sollte. Gott offenbarte Johannes dieselbe Wahrheit wie einst dem Propheten Elia in der Wüste. "Ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Wind. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer." (1. Könige 19,11.12a) Doch nach dem Feuer redete Gott zum Propheten durch "ein sanftes, leises Säuseln" (1. Könige 19,12b EÜ). Genauso sollte auch Jesus sein Werk vollbringen: Nicht durch Waffengewalt oder die Einnahme von Thronen und Königreichen, sondern durch ein Leben der Barmherzigkeit und Selbstaufopferung, das zu den Herzen der Menschen spricht.

Auf dem Prinzip der Selbstverleugnung, das das Leben des Täufers geprägt hatte, beruhte auch das Reich des Messias. Johannes wusste genau, in welchem Widerspruch dies zu den Grundsätzen und Erwartungen der jüdischen Führungsschicht stand. Das, was für ihn ein überzeugender Beweis der Göttlichkeit von Christus war, würde bei ihnen keine Anerkennung finden. Sie erwarteten einen Messias, der so nie verheißen worden war. Johannes sah, dass Jesus von ihnen für sein Wirken nur Hass und Verachtung ernten würde. Er, der Wegbereiter von Jesus, trank aus dem Leidenskelch, den der Messias selbst bis zur Neige leeren würde.

Die Worte von Jesus: "Glückselig ist, wer sich nicht an mir ärgert" (Lukas 7,23 Elb.) waren ein leiser Tadel an Johannes. Sie blieben nicht wirkungslos. Jetzt verstand er das Wesen der Aufgabe von Christus besser, beugte sich vor Gott und war bereit, zu leben oder zu sterben. Er war bereit, das hinzunehmen, was der Sache, die er liebte, am besten diente.

Johannes Bleibt Treu

Nachdem die Boten des Johannes gegangen waren, sprach Jesus zur Menge über den Täufer. Das Herz des Erlösers wandte sich in tiefem Mitgefühl dem treuen Zeugen zu, der im Kerker des Herodes lebendig begraben war. Er wollte nicht, dass die Menschen dachten, Gott habe Johannes verlassen oder dieser sei am Tag der Prüfung im Glauben gescheitert. "Als ihr zu ihm in die Wüste hinausgezogen seid, was habt ihr da erwartet?", fragte er. "Etwa ein Schilfrohr, das jedem Windzug nachgibt?" (Lukas 7,24 GNB)

Das hohe Schilf, das am Jordan wuchs und beim kleinsten Lufthauch schwankte, war ein treffendes Bild für die Rabbiner, die sich als Nörgler und Richter über den Dienst des Johannes erhoben hatten. Bei jedem Wind öffentlicher Meinungen schwankten sie bald in diese, bald in jene Richtung. Sie wollten sich nicht demütigen, um die gewissenerforschende Botschaft des Täufers zu empfangen. Dennoch wagten sie es aus Angst vor den Leuten nicht, sein Werk öffentlich zu bekämpfen. Aber der Bote Gottes war kein solcher Feigling. Die Volksmenge, die sich um Christus versammelt hatte, war Zeuge des Wirkens von Johannes gewesen. Sie hatten gehört, wie furchtlos er die Sünde getadelt hatte. Mit derselben Deutlichkeit hatte Johannes zu den selbstgerechten Pharisäern und priesterlichen Sadduzäern, zu König Herodes und zu dessen Hofstaat, zu den Fürsten und Soldaten, zu Zöllnern und Bauern gesprochen. Er glich nicht einem schwankenden Schilfrohr, das sich durch den Luftzug menschlichen Beifalls oder Vorurteils bewegen ließ. Sogar im Gefängnis war er in seiner Treue zu Gott und seinem Streben nach Gerechtigkeit derselbe geblieben, der er bei der Verkündigung der Botschaft Gottes in der Wüste gewesen war. In seiner Grundsatztreue stand er fest wie ein Fels.

Jesus fuhr fort: "Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen sehen in weichen Kleidern? Seht, die herrliche Kleider tragen und üppig leben, die sind an den königlichen Höfen." (Lukas 7,25) Johannes war berufen worden, die Sünden und Ausschweifungen seiner Zeit zu tadeln. Seine schlichte Kleidung und sein selbstloses Leben stimmten mit dem Wesen seiner Botschaft überein. Reiche Gewänder und ein luxuriöses Leben passen nicht zu Gottes Dienern, sondern zu denen, die "an den königlichen Höfen" leben. Sie passen zu den Herrschern dieser Welt, denen Macht und Reichtum gehören. Jesus hob bewusst den Gegensatz zwischen der Kleidung des Johannes und jener der Priester und Obersten hervor. Diese Würdenträger hüllten sich in prächtige Gewänder und trugen kostbaren Schmuck. Sie stellten sich gern zur Schau und hofften, das Volk zu beeindrucken, um mehr beachtet zu werden. Es ging ihnen eher darum, von den Menschen bewundert zu werden, als ein reines Herz zu erlangen, an dem Gott Wohlgefallen hat. Auf diese Weise zeigten sie, dass sie nicht Gott verehrten, sondern das Reich dieser Welt.

"Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen?", sprach Jesus. "Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Er ist's, von dem geschrieben steht: ›Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.‹ Ich sage euch, dass unter denen, die von einer Frau geboren sind, keiner größer ist als Johannes." (Lukas 7,26-28; vgl. Maleachi 3,1) Bei der Ankündigung der Geburt des Johannes hatte der Engel dem Priester Zacharias erklärt: "Er wird groß sein vor dem Herrn." (Lukas 1,15)

Was aber macht wahre Größe nach himmlischer Beurteilung aus? Es ist nicht das, was vor der Welt als Größe gilt. Reichtum, Rang, vornehme Abstammung oder geistige Gaben: Dies allein zählt nicht. Wenn große geistige Fähigkeiten - ohne ein Blick auf andere Werte - an sich verehrenswert wären, müssten wir Satan verehren, dessen Intelligenz kein Mensch je erreicht hat. Je größer eine Gabe ist, desto größer kann der Fluch sein, der entsteht, wenn sie nur eigennützigen Zwecken dient. Es sind sittliche Werte, die bei Gott zählen. Liebe und Reinheit sind Eigenschaften, die er am höchsten wertet. In den Augen des Herrn war Johannes groß, als er vor den Boten des Hohen Rates, vor dem Volk und vor seinen Jüngern nicht seine eigene Ehre suchte, sondern auf Jesus als den von Gott Verheißenen hinwies. Sein freudiger, selbstloser Dienst für Christus stellt die höchste Ausdrucksform einer edlen Gesinnung dar, die sich jemals in einem Menschen zeigte.

Wahre Grösse

All jene, die das Zeugnis von Johannes über Jesus vernommen hatten, bestätigten nach seinem Tod: "Johannes hat kein Zeichen getan; aber alles, was Johannes von diesem gesagt hat, das ist wahr." (Johannes 10,41) Es war ihm nicht gegeben, wie Elia Feuer vom Himmel fallen zu lassen oder Tote aufzuerwecken. Auch nicht wie Mose, im Namen Gottes den Stab der Macht zu erheben. Er war gesandt worden, um das Kommen des Erlösers anzukündigen und das Volk aufzurufen, sich darauf vorzubereiten. Er erfüllte seinen Auftrag so treu, dass das Volk, das sich an das erinnerte, was er über Jesus gelehrt hatte, bestätigen musste: "Alles, was Johannes von diesem gesagt hat, das ist wahr." Jeder Nachfolger des Meisters ist dazu aufgerufen, ein solches Zeugnis über Jesus abzulegen.

Als Vorläufer des Messias war Johannes viel "mehr als ein Prophet" (Lukas 7,26). Die Propheten hatten das erste Kommen von Christus nur aus der Ferne sehen können; Johannes aber war es bestimmt, ihn zu schauen, die Bestätigung des Himmels, dass Jesus der Messias ist, zu hören und ihn Israel als den von Gott Gesandten vorzustellen. Dennoch erklärte Jesus: "Der aber der Kleinste ist im Reich Gottes, der ist größer als er." (Lukas 7,28)

Der Prophet Johannes war das Bindeglied zwischen den beiden Heilsordnungen. Als Beauftragter Gottes sollte er die Beziehung zwischen dem Gesetz und den Propheten einerseits und der christlichen Heilsordnung andererseits deutlich machen. Er war das kleinere Licht, dem ein größeres folgen sollte. Der Verstand von Johannes war vom Heiligen Geist erleuchtet, damit er dieses Licht an sein Volk weitergeben konnte. Kein anderes Licht schien jemals oder wird jemals so klar über die gefallene Menschheit scheinen wie jenes, das von den Lehren und dem Beispiel von Jesus ausging. Christus und seine Mission, versinnbildet durch die Opfer und Zeremonien des Tempeldienstes, waren nur vage verstanden worden. Nicht einmal Johannes hatte ganz begriffen, was das zukünftige, unvergängliche Leben durch den Erlöser bedeutet.

Abgesehen von der Freude, die Johannes in seiner Aufgabe gefunden hatte, war sein Leben voller Sorgen. Außer in der Wüste wurde seine Stimme selten gehört. Sein Los war die Einsamkeit. Er durfte den Erfolg seiner eigenen Arbeit nicht sehen. Er hatte auch nicht das Vorrecht, Christus - das größere Licht - zu begleiten und Zeuge der Offenbarung göttlicher Macht zu sein. Er konnte nicht miterleben, wie Blinde ihr Augenlicht zurückerhielten, Kranke geheilt und Tote zum Leben erweckt wurden. Er sah das Licht nicht, das aus jedem Wort von Christus hervorleuchtete und die Verheißungen der Prophetie in hellem Glanz erstrahlen ließ. Der geringste Jünger, der die machtvollen Taten von Christus sah und seine Worte hörte, hatte in diesem Sinn das größere Vorrecht als Johannes der Täufer. Deshalb sagte Jesus, dass solch ein Jünger größer sei als Johannes.

Weil große Menschenmengen die Predigten von Johannes gehört hatten, war er im ganzen Land bekannt geworden. Man spürte ein großes Interesse daran, wie seine Gefangenschaft wohl ausgehen würde. Sein unbescholtenes Leben und die öffentliche Meinung, die zu seinen Gunsten ausfiel, ließen sie hoffen, dass man ihm keine Gewalt antun würde.

Das Fest Des Herodes

Herodes hielt Johannes für einen Propheten Gottes und war fest entschlossen, ihn freizulassen. Doch aus Furcht vor Herodias schob er die Freilassung hinaus.

Herodias wusste, dass sie durch eine unmittelbare Einflussnahme ihren Mann niemals dazu bewegen konnte, einer Hinrichtung von Johannes zuzustimmen. Darum beschloss sie, ihr Ziel durch eine List zu erreichen. Am Geburtstag des Königs sollte für die Würdenträger des Staates und die Hofbeamten ein Fest veranstaltet werden. Man würde feiern und sich dabei betrinken. Dadurch würde Herodes unachtsam werden und könnte durch ihren Willen beeinflusst werden.

Als der große Tag kam und der König mit seinen Würdenträgern aß und trank, sandte Herodias ihre Tochter in den Festsaal, um zur Unterhaltung der Gäste zu tanzen. Salome war gerade daran, erwachsen zu werden. Ihre verlockende Schönheit fesselte die Sinne der vornehmen Herrschaften. Es war nicht üblich, dass die Damen des Hofes an solchen Festlichkeiten teilnahmen. Als nun diese Tochter aus priesterlichem und königlichem Geblüt zum Vergnügen der Gäste tanzte, machten sie Herodes schmeichelhafte Komplimente.

Der König war vom Wein benebelt. Die Leidenschaft beherrschte ihn, und die Vernunft war ausgeschaltet. Er sah nur den Festsaal mit den schwelgenden Gästen, die reich gedeckte Tafel, den funkelnden Wein, die blinkenden Lichter und das junge Mädchen, das vor ihm ihre Künste vortrug. In einem leichtsinnigen Moment wollte er mit einer Attraktion aufwarten, mit der er vor den Großen seines Reiches glänzen konnte. Mit einem Schwur gelobte er, Herodias Tochter zu geben, was immer sie von ihm erbitten würde, und sei es die Hälfte seines Königreichs (vgl. Markus 6,21-23).

Salome eilte zu ihrer Mutter, um zu erkunden, was sie sich wünschen sollte. Die Antwort kam schnell: den Kopf von Johannes dem Täufer. Salome wusste nichts vom Rachedurst ihrer Mutter und schrak davor zurück, diese Bitte vorzutragen. Doch die Entschiedenheit von Herodias siegte. Das Mädchen kehrte mit der grausamen Bitte in den Saal zurück: "Ich will den Kopf von Johannes dem Täufer, jetzt gleich, serviert auf einer Schale!" (Markus 6,25 NLB)

Herodes war überrascht, ja bestürzt. Die ausgelassene Fröhlichkeit wich, und unheilvolles Schweigen breitete sich über dem Gelage aus. Entsetzen packte den König bei dem Gedanken, Johannes zu töten. Aber sein Wort war ein Gelübde, und er wollte nicht wankelmütig oder unüberlegt wirken. Den Schwur hatte er zu Ehren seiner Gäste gemacht. Wenn auch nur einer von ihnen ein Wort gegen die Einlösung seines Versprechens gesagt hätte, wäre er gern bereit gewesen, den Propheten zu verschonen. Darum gab er ihnen Gelegenheit, zugunsten des Gefangenen zu sprechen. Sie waren von weit her gekommen, um Johannes predigen zu hören, und sie wussten, dass er kein Verbrechen begangen hatte und ein Diener Gottes war. Obgleich über die Bitte des Mädchens entsetzt, waren sie doch zu betrunken, um Einspruch zu erheben. Es war keine Stimme zu vernehmen, die zur Rettung des von Gott beauftragten Boten aufgerufen hätte. Die Männer bekleideten Vertrauenspositionen in der Nation. Auf ihnen ruhte große Verantwortung. Dennoch hatten sie gefeiert und getrunken, bis ihre Sinne getrübt waren. Durch die Musik und den Tanz war ihnen schwindlig geworden. Ihr Gewissen war stumpf. Durch ihr Schweigen sprachen sie das Todesurteil über den Propheten Gottes aus und stillten den Rachedurst einer lasterhaften Frau.

Herodes wartete vergeblich darauf, von seinem Eid entbunden zu werden. Dann erteilte er widerwillig den Befehl zur Hinrichtung des Propheten. Bald wurde der Kopf des Johannes vor den König und seine Gäste gebracht. Die Lippen, die Herodes eindringlich dazu aufgerufen hatten, sich von seinem sündhaften Leben abzuwenden, waren für immer verstummt. Nie wieder würde man hören, wie diese Stimme Menschen zur Umkehr aufruft. Das Gelage einer einzigen Nacht hatte einem der größten Propheten das Leben gekostet.

Die Stimme Des Gewissens

Wie oft schon wurde das Leben von Unschuldigen durch die Unmäßigkeit jener geopfert, die eigentlich Wächter des Rechts hätten sein sollen! Wer sich betrinkt, ist für alles Unrecht verantwortlich, das er im Rausch begeht. Durch die Betäubung seiner Sinne beraubt er sich der Fähigkeit, besonnen zu urteilen sowie Recht und Unrecht voneinander zu unterscheiden. Er gibt Satan dadurch die Möglichkeit, Unschuldige zu unterdrücken und zu vernichten. "Der Wein macht Spötter, und starkes Getränk macht wild; wer davon taumelt, wird niemals weise." (Sprüche 20,1) Dann kann man sagen: "Das Recht ist zurückgewichen ... und die Wahrheit ist dahin, und wer vom Bösen weicht, muss sich ausplündern lassen." (Jesaja 59,14.15) Menschen, die einerseits über das Leben ihrer Mitmenschen zu Gericht sitzen, sich andererseits aber der Unmäßigkeit hingeben, sollten wie Verbrecher angeklagt werden. Alle, die andere nach dem Gesetz richten, sollten es auch halten. Sie sollten Männer mit Selbstbeherrschung sein und stets die Kontrolle über ihre körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte bewahren, damit sie immer im Besitz von geistiger Spannkraft sind und über einen hohen Gerechtigkeitssinn verfügen.

Der Kopf des Täufers wurde Herodias überbracht, die ihn mit teuflischer Genugtuung entgegennahm. Sie triumphierte in ihrer Rache und gab sich der irrigen Meinung hin, Herodes' Gewissen würde nun Ruhe finden. Doch ihre Sünde brachte ihr kein Glück. Sie geriet in Verruf, und man verabscheute sie. Herodes aber quälten nun noch größere Gewissenbisse als zu der Zeit, als ihn der Prophet gewarnt hatte. Dessen Einfluss war auch weiterhin spürbar. Seine Lehren sollten bis zum Ende der Zeit an jede Generation weitergegeben werden.

Herodes stand seine Sünde täglich vor Augen. Unaufhörlich versuchte er, sich von den Anklagen seines schuldigen Gewissens zu befreien. Sein Vertrauen zu Johannes war noch immer ungebrochen. Wenn er sich dessen Leben der Selbstverleugnung, die ernsten und eindringlichen Ermahnungen sowie das gesunde Urteilsvermögen in Erinnerung rief und daran dachte, unter welchen Umständen er ihn hatte töten lassen, konnte Herodes keine Ruhe finden. Bei Staatsgeschäften oder wenn ihm Menschen Ehre erwiesen, trug er stets ein Lächeln auf seinem Gesicht oder machte eine würdevolle Miene. Aber dahinter verbargen sich ein verängstigtes Herz und die ständige Sorge, unter einem Fluch zu stehen.

Die Worte des Johannes, dass vor Gott nichts verborgen bleibt, hatten Herodes tief beeindruckt. Er war davon überzeugt, dass Gott an jedem Ort gegenwärtig ist, und dass er Zeuge der Ausgelassenheit beim großen Fest gewesen war. Gott hatte auch den Befehl zur Enthauptung des Johannes vernommen und das Frohlocken von Herodias gehört, sowie ihre beleidigenden Worte über den Kopf des Mannes, der sie zurechtgewiesen hatte. Vieles, was Herodes von dem Propheten gehört hatte, sprach nun weit deutlicher zu seinem Gewissen als bei dessen Predigt in der Wüste.

Als Herodes von den Werken hörte, die Jesus vollbrachte, war er äußerst beunruhigt. Er dachte, Gott habe Johannes von den Toten auferweckt und ihn ausgesandt, um mit noch größerer Macht die Sünde zu verurteilen. Er lebte in ständiger Angst, Johannes würde sich für seinen Tod rächen und ihn und sein Haus verfluchen. Herodes erntete genau das, was Gott als Folge eines sündigen Lebenswandels vorausgesagt hatte: "Ein banges Herz, erlöschende Augen und eine verzweifelnde Seele ... dein Leben wird in Gefahr schweben, und bei Nacht und bei Tag wirst du dich fürchten und dich deines Lebens nicht sicher fühlen. Am Morgen wirst du sagen: Wäre es doch Abend!, und am Abend wirst du sagen: Wäre es doch Morgen!, in der Angst deines Herzens, die dich überfällt, und bei dem, was deine Augen sehen." (5. Mose 28,65-67 ZÜ) Den Sünder klagen seine eigenen Gedanken an. Nichts kann quälender sein als Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen, das ihm Tag und Nacht keine Ruhe lässt.

Johannes -- Ein Vorbild

Für viele ist das Schicksal von Johannes dem Täufer ein Geheimnis. Sie fragen sich, warum er im Gefängnis schmachten und sterben musste. Diese unbegreifliche Fügung übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Doch unser Vertrauen zu Gott kann nicht erschüttert werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Johannes damit an den Leiden von Christus teilhatte. Alle, die Christus nachfolgen, werden die Opfer-Krone tragen. Von selbstsüchtigen Menschen werden sie sicher missverstanden werden, und Satan wird sie zum Ziel seiner heftigsten Angriffe machen. Sein Reich wurde gegründet, um genau diesen Grundsatz der Selbstaufopferung zu zerstören. Wo immer dieser sichtbar wird, kämpft Satan dagegen an.

Die Kindheit und Jugend von Johannes sowie sein Leben als Erwachsener waren von Festigkeit und moralischer Kraft geprägt. Als man seine Stimme in der Wüste hörte: "Bereitet den Weg des Herrn und macht gerade seine Pfade!" (Matthäus 3,3 Elb.), fürchtete Satan um die Sicherheit seines Reiches. Die Abscheulichkeit der Sünde wurde auf eine solche Weise offenbart, dass die Menschen zitterten. Satans Macht, mit der er über Viele geherrscht hatte, wurde gebrochen. Unermüdlich hatte er sich bemüht, den Täufer von seiner vorbehaltlosen Hingabe an Gott abzubringen, doch er scheiterte. Auch Jesus konnte er nicht überwinden. Bei dessen Versuchung in der Wüste war Satan besiegt worden. Deshalb war sein Zorn groß. Er war entschlossen, kummervollen Schmerz über Christus zu bringen, indem er Johannes schlug. Dem Einen, den er nicht zur Sünde verleiten konnte, wollte er nun Leid zufügen.

Jesus hatte nichts zur Befreiung seines Dieners unternommen. Er wusste, dass Johannes dieser Prüfung standhalten würde. Gern wäre er zu Johannes geeilt, um das Dunkel des Verlieses durch seine Gegenwart zu erhellen. Doch er durfte sich nicht in die Hand der Feinde begeben und dadurch seine eigene Mission gefährden. Mit Freuden hätte er seinen treuen Diener befreit. Doch um Tausender willen, die in späteren Jahren Gefängnis und Tod erleiden würden, musste Johannes diesen Leidenskelch trinken. Als die Nachfolger von Jesus - von Gott und Menschen scheinbar verlassen - in einsamen Zellen schmachteten oder durch Schwert, Folter und Scheiterhaufen umkamen, wurden sie bei dem Gedanken an Johannes den Täufer gestärkt. Er, dessen Treue Christus selbst bezeugte, hatte ein ähnliches Schicksal erlitten!

Es wurde Satan erlaubt, das irdische Leben des Boten Gottes zu verkürzen. Aber das Leben, welches "verborgen mit Christus in Gott" ist (Kolosser 3,3), konnte der Verderber nicht antasten. Er frohlockte, dass er Christus Leid zufügen konnte, aber es war ihm nicht gelungen, Johannes zu überwinden. Der Tod hatte den Propheten lediglich vor der Macht weiterer Versuchungen bewahrt. In dieser Auseinandersetzung hatte Satan seinen wahren Charakter offenbart. Nun war das ganze Universum Zeuge seiner Feindschaft gegen Gott und die Menschen geworden.

Obgleich nichts Übernatürliches geschah, um Johannes zu befreien, war er doch nicht verlassen. Stets waren Engel bei ihm, die ihm das Verständnis für die Prophezeiungen öffneten, die auf Christus hinwiesen. Er besaß die kostbaren Verheißungen der Heiligen Schrift. Diese waren ihm ein Halt, wie sie es auch dem Volk Gottes künftiger Jahrhunderte sein würden. Johannes dem Täufer wie auch allen, die nach ihm kamen, wurde zugesichert: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Matthäus 28,20)

Gott führt seine Kinder nie anders, als sie geführt werden möchten, könnten sie von Anfang an das Ende sehen und die herrliche Aufgabe erkennen, an der sie als Mitarbeiter Gottes teilhaben dürfen. Weder Henoch, der verwandelt in den Himmel aufgenommen wurde, noch Elia, der im Feuerwagen zum Himmel fuhr, waren größer oder wurden mehr geehrt als Johannes der Täufer, der einsam im Kerker umkam. "Ihr habt die Gnade empfangen, euch für Christus einzusetzen: nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden." (Philipper 1,29 ZÜ) Von allen Geschenken, die der Himmel den Menschen anvertrauen kann, ist die Gemeinschaft mit Christus in seinen Leiden die größte Gabe und die höchste Auszeichnung.