Der Sieg Der Liebe

Kapitel 76

Judas

[AUDIO]

Matthäus 27,3-10.

Die Geschichte von Judas zeigt das traurige Ende eines Lebens, das von Gott hätte anerkannt werden können. Wäre Judas vor seiner letzten Reise nach Jerusalem gestorben, hätte man ihn als einen Mann angesehen, der würdig war, einen Platz unter den Zwölf einzunehmen, und man hätte ihn sehr vermisst. Die Verachtung, die sich über all die Jahrhunderte mit seinem Namen verband, wäre ohne die Charakterzüge, die sich am Ende seines Lebens offenbarten, gar nicht aufgekommen. Doch sein wahres Wesen wurde der Welt zu einem bestimmten Zweck offengelegt: Es sollte all jenen zur Warnung dienen, die wie er heilige Güter in ihrer Verwahrung missbrauchen.

Kurz vor dem Passafest hatte Judas seinen Vertrag mit den Priestern, ihnen Jesus auszuliefern, erneuert. Es wurde vereinbart, dass er an einem seiner Zufluchtsorte, wo er sich gewöhnlich zum Nachdenken und Beten aufhielt, gefangengenommen werden sollte. Seit dem Fest in Simons Haus hatte Judas die Möglichkeit, sein Vorhaben, zu dem er sich verpflichtet hatte, zu überdenken. Doch seine Absicht blieb unverändert. Für 30 Silberlinge - dies war der Preis für einen Sklaven - überantwortete er den Herrn der Herrlichkeit der Schande und dem Tod.

Judas hatte von Natur aus eine besondere Vorliebe für Geld. Doch er war nicht immer so bestechlich gewesen, um eine solche Tat wie diese zu begehen. Er hatte den üblen Geist der Habsucht so lange genährt, bis dieser zur beherrschenden Antriebskraft in seinem Leben wurde. Seine Liebe zum Geld wurde stärker als die Liebe zu Christus. Indem er Sklave eines Lasters wurde, übergab er sich Satan und wurde zu allen möglichen Sünden angestiftet.

Judas hatte sich den Jüngern angeschlossen, als eine große Menge Jesus folgte. Die Lehren des Erlösers bewegten die Herzen der Menschen. Wie gebannt lauschten sie seinen Worten, die er in der Synagoge, am Seeufer und auf dem Berg zu ihnen sprach. Judas sah, wie Kranke, Lahme und Blinde aus den Dörfern und Städten zu Jesus strömten. Er erlebte mit, wie ihm Sterbende zu Füßen gelegt wurden. Er war Zeuge der großartigen Wunder, die Jesus tat - Krankenheilungen, Teufelsaustreibungen und Totenauferweckungen. Er verspürte an sich selbst die Macht von Christus und war sich bewusst, dass die Lehren von Jesus alles übertrafen, was er bisher gehört hatte. Er liebte den großen Lehrer und sehnte sich danach, bei ihm zu sein. Er hatte das Verlangen, dass sein Charakter und sein Leben verändert würden, und er hoffte, dies zu erleben, indem er sich Jesus anschloss. Der Erlöser wies Judas nicht ab. Er gab ihm einen Platz unter den Zwölf, vertraute ihm die Aufgabe eines Evangelisten an und rüstete ihn mit der Kraft aus, Kranke zu heilen und Teufel auszutreiben. Dennoch kam Judas nie an den Punkt, wo er sich völlig Christus übergab. Er gab weder seinen weltlichen Ehrgeiz noch seine Liebe zum Geld auf. Obgleich er die Stellung eines Dieners von Christus annahm, überließ er sich nicht dem göttlichen Einfluss. Er war der Ansicht, er könne sich ein eigenes Urteil und eine eigene Meinung bewahren, und neigte dazu, andere zu tadeln und zu beschuldigen.

Judas Überschätzt Sich

Judas wurde von den Jüngern sehr geschätzt und übte einen großen Einfluss auf sie aus. Er selbst hatte eine hohe Meinung von seinen eigenen Fähigkeiten und glaubte sich seinen Brüdern an Urteilskraft und Können weit überlegen. Er meinte, sie würden die sich ihnen bietenden Möglichkeiten nicht erkennen und die gegebenen Umstände nicht zu ihren Gunsten nutzen. Die Gemeinde werde mit so kurzsichtigen Männern an der Spitze nie Erfolg haben. Petrus war ungestüm. Er handelte oft, ohne zu überlegen. Johannes, der die Lehren von Christus aufnahm und bewahrte, war in den Augen von Judas ein schlechter Haushalter. Matthäus, dessen Ausbildung ihn gelehrt hatte, in allen Dingen sorgfältig und genau zu sein, legte größten Wert auf Ehrlichkeit. Er wog die Worte von Christus stets genau ab und vertiefte sich derart darin, dass ihm - so dachte Judas - keine Aufträge anvertraut werden konnten, die Scharfsinn und Weitblick verlangten. Auf diese Weise nahm sich Judas alle Jünger vor und schmeichelte sich selbst damit, dass die Gemeinde oft ratlos und verlegen gewesen wäre, hätte es ihn als Leiter mit seinem Können nicht gegeben. Judas betrachtete sich selbst als fähig, als jemanden, der nicht überboten werden konnte. Seiner eigenen Einschätzung nach war er eine Ehre für das Werk. Dementsprechend verhielt er sich auch.

Judas war blind für seine eigenen Charakterschwächen. Doch Christus wies ihm einen Platz zu, an dem es ihm möglich gewesen wäre, diese zu erkennen und zu korrigieren. Als Kassenverwalter der Jünger war er dazu aufgerufen, für die Bedürfnisse dieser kleinen Gemeinschaft zu sorgen und die Not der Armen zu lindern. Als ihm Jesus beim Passamahl sagte: "Beeile dich und tu, was du tun musst!" (Johannes 13,27b GNB), dachten die Jünger, Jesus habe ihn gebeten, etwas für das Fest einzukaufen oder den Armen etwas zu geben. Im Dienst für andere hätte Judas eine selbstlose Gesinnung entwickeln können, doch obwohl er täglich den Unterweisungen von Christus zuhörte und Zeuge von dessen selbstlosem Leben war, gab er seiner habgierigen Veranlagung nach. Die kleinen Beträge, die durch seine Hände gingen, waren für ihn eine ständige Versuchung. Wenn er Christus einen kleinen Dienst erwies oder Zeit für religiöse Aufgaben einsetzte, bezahlte er sich oft selbst einen Lohn aus dieser bescheidenen Kasse. Solche Gelegenheiten dienten ihm als Vorwand, um seine Handlungsweise zu entschuldigen. In Gottes Augen aber war er ein Dieb.

Judas Ärgert Sich

Die von Christus oft wiederholten Aussagen, sein Reich sei nicht von dieser Welt, ärgerten Judas. So hatte er bereits einen Plan entworfen und erwartete von Jesus, dass er danach handelte. Er hatte vor, Johannes den Täufer aus dem Gefängnis zu befreien. Doch Johannes blieb eingekerkert und wurde enthauptet. Und Jesus zog sich, statt sein königliches Recht durchzusetzen und den Tod von Johannes zu rächen, mit seinen Jüngern an einen ländlichen Ort zurück. Judas verlangte eine entschlossenere Vorgehensweise. Er glaubte, dass ihre Arbeit erfolgreicher wäre, wenn Jesus sie nicht immer daran hindern würde, ihre eigenen Pläne zu verwirklichen. Er bemerkte die zunehmende Feindseligkeit der jüdischen Obersten und musste miterleben, wie ihr Verlangen, von Christus ein Zeichen vom Himmel zu sehen, keine Beachtung fand. Sein Herz war für den Unglauben offen, und der Feind versorgte ihn mit Gedanken des Zweifels und des Aufruhrs. Warum hielt sich Jesus so lange mit Dingen auf, die entmutigend waren? Warum sagte er für sich und seine Jünger Prüfungen und Verfolgung voraus? Die Aussicht auf eine hohe Stellung im neuen Königreich hatte Judas dazu bewogen, das Werk von Christus zu unterstützen. Sollten seine Hoffnungen enttäuscht werden? Judas war nicht der Meinung, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei, aber er zweifelte und suchte nach Erklärungen für dessen mächtige Taten.

Ungeachtet dessen, was der Erlöser selbst lehrte, verbreitete Judas wiederholt den Gedanken, dass Christus als König in Jerusalem herrschen werde. Bei der Speisung der 5000 versuchte er, dies zu veranlassen. Bei dieser Gelegenheit half er mit, das Essen an die hungrige Menge auszuteilen. Hier hatte er die Gelegenheit mitzuerleben, welcher Segen es war, anderen etwas weitergeben zu können. Er empfand eine Genugtuung, die man im Dienst für Gott immer verspürt. Auch half er mit, die Kranken und Leidenden, die sich in der Menge befanden, zu Christus zu bringen. Er sah, welche Erleichterung, wie viel Freude und welches Glück durch die heilende Kraft des Erlösers in die Herzen der Menschen kamen. Hier hätte Judas die Handlungsweise von Christus verstehen lernen können, doch seine selbstsüchtigen Wünsche verblendeten ihn. Judas war der Erste, der die Begeisterung der Menge über das Speisungswunder ausnutzen wollte. Er war es gewesen, der die ersten Schritte dazu unternahm, um Christus mit Gewalt zum König zu machen. Seine Hoffnungen waren groß. Umso bitterer war seine Enttäuschung.

Die Rede von Christus in der Synagoge von Kapernaum über das Brot des Lebens brachte die Wende in der Geschichte von Judas. Er hörte die Worte: "Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch." (Johannes 6,53b) Da erkannte Judas, dass Christus geistliche und nicht weltliche Güter anbot. Er hielt sich selbst für weitsichtig und glaubte zu erkennen, dass Jesus keine weltliche Ehre erlangen würde und seinen Nachfolgern keine angesehene Stellung verschaffen könnte. Deshalb beschloss er, sich Christus nur ein Stück weit anzuschließen, damit er sich jederzeit wieder zurückziehen konnte. Er nahm sich vor, wachsam zu sein. Und das war er auch!

Unbeachtete Warnungen

Von nun an äußerte er Zweifel, was die Jünger verwirrte. Er warf Streitfragen auf und verbreitete irreführende Ansichten, indem er die von den Schriftgelehrten und Pharisäern gebrauchten Argumente gegen die Ansprüche von Jesus wiederholte. All die kleinen und großen Unannehmlichkeiten, Nöte und Schwierigkeiten und die scheinbaren Hindernisse bei der Ausbreitung des Evangeliums deutete Judas als Beweis gegen die Wahrhaftigkeit der göttlichen Botschaft. Er führte Schriftstellen an, die mit den Wahrheiten, die Christus verkündigte, nichts zu tun hatten. Diese aus dem Zusammenhang gerissenen Texte verunsicherten die Jünger, und die Entmutigung, unter der sie stets litten, wurde noch größer. Doch all das tat Judas in einer Art und Weise, dass es schien, als wäre er äußerst gewissenhaft. Während die Jünger nach Beweisen suchten, um die Worte des großen Lehrers zu bestätigen, führte sie Judas fast unmerklich auf eine andere Bahn. In einer sehr frommen und scheinbar klugen Weise stellte er Dinge in einem anderen Licht dar, als Jesus es getan hatte, und fügte dessen Worten eine Bedeutung hinzu, welche dieser nicht vermittelt hatte. Seine Andeutungen weckten fortwährend ehrgeizige Wünsche nach weltlicher Größe und lenkten die Jünger von den wichtigen Dingen ab, die sie hätten beachten sollen. Der Streit darüber, wer von ihnen der Größte sei, wurde gewöhnlich von Judas angezettelt.

Als Jesus dem reichen, jungen Schriftgelehrten die Bedingung für eine Nachfolge aufzeigte, war Judas unzufrieden und glaubte, man habe einen Fehler gemacht. Würden sich solche Männer wie dieser Oberste mit den Gläubigen verbinden, könnten sie dazu beitragen, das Werk von Christus zu fördern. Hätte man nur ihn als Ratgeber genommen, so dachte Judas, hätte er viele Vorschläge zum Wohl der kleinen Gemeinde machen können. Seine Grundsätze und Methoden würden sich zwar etwas von denen unterscheiden, die Christus vertrat, doch in diesen Angelegenheiten hielt er sich für klüger.

In allem, was Christus seinen Jüngern sagte, gab es etwas, dem Judas innerlich nicht zustimmte. Unter seinem Einfluss begann der Sauerteig der Unzufriedenheit schnell zu wirken. Die Jünger erkannten den wahren Urheber von all dem nicht, doch Jesus sah, dass Satan Judas so sehr beeinflusste, dass dieser dessen Eigenschaften annahm. Dadurch fand Satan einen Weg, auch die anderen Jünger in seinen Bann zu ziehen. Bereits ein Jahr vor dem Verrat hatte Jesus erklärt: "Ich habe euch zwölf auserwählt, aber einer von euch ist ein Teufel." (Johannes 6,70 NLB)

Doch Judas wandte sich nicht offen gegen den Erlöser. Er schien auch dessen Lehren nicht anzuzweifeln. Er murrte nicht nach außen hin - bis zum Fest in Simons Haus. Als Maria die Füße des Erlösers salbte, wurde seine habsüchtige Gesinnung sichtbar. Als ihn Jesus deshalb tadelte, wurde sein Herz sehr verbittert. Verletzter Stolz und das Verlangen nach Rache ließen alle Dämme brechen, und die langgehegte Habgier beherrschte ihn nun ganz. Dies wird die Erfahrung eines jeden werden, der beharrlich mit der Sünde spielt. Schlechte Wesenszüge, die weder bekämpft noch überwunden werden, verleiten dazu, den Versuchungen des Bösen nachzugeben. Auf diese Weise wird der Mensch zum Gefangenen von Satans Willen.

Judas war aber für Gottes Geist noch nicht völlig unempfänglich geworden. Selbst nachdem er sich zweimal vorgenommen hatte, den Erlöser zu verraten, hätte er noch Gelegenheit zur Umkehr gehabt. Beim Abendmahl bewies Christus seine Göttlichkeit, indem er die Absicht des Verräters offenbarte. Er bezog Judas liebevoll in den Dienst mit ein, den er seinen Jüngern erwies. Doch auch der letzte Aufruf der Liebe blieb unbeachtet. Danach war Judas' Fall entschieden. Die Füße, die Jesus gewaschen hatte, eilten hinaus, um den Verrat zu vollenden.

Judas Täuscht Sich

Wenn Jesus dazu bestimmt war, gekreuzigt zu werden, so schlussfolgerte Judas, dann musste es geschehen. Sein eigener Verrat am Erlöser würde nichts an dieser Tatsache ändern. Sollte Jesus jedoch nicht sterben, würde es ihn nur dazu zwingen, sich selbst zu befreien. Auf jeden Fall aber würde Judas durch seinen Verrat etwas gewinnen. Er rechnete damit, dadurch ein gutes Geschäft zu machen.

Judas glaubte allerdings nicht, dass sich Jesus gefangen nehmen lassen würde. Als er ihn auslieferte, wollte er Jesus eine Lektion erteilen und ihn dazu veranlassen, ihn in Zukunft mit gebührender Achtung zu behandeln. Doch Judas wusste nicht, dass er Jesus damit dem Tod überantwortete. Wie oft waren Schriftgelehrte und Pharisäer von den treffenden Bildern gepackt worden, als Jesus in Gleichnissen lehrte! Wie oft hatten sie sich selbst verurteilt! Wenn die Wahrheit ihre Herzen traf, waren sie oftmals zornig geworden. Sie hatten Steine aufgehoben und auf ihn geworfen. Doch immer wieder war er ihnen entkommen. Weil er schon so manchen Anschlägen entgangen war, nahm Judas an, dass er sich gewiss nicht festnehmen lassen werde.

Judas beschloss, es darauf ankommen zu lassen. War Jesus wirklich der Messias, würde sich das Volk, für das er so viel getan hatte, um ihn scharen und ihn zum König ausrufen. Dies würde viele Menschen, die jetzt noch unsicher waren, für immer im Glauben festigen. Judas würde dafür geehrt werden, den König auf Davids Thron gebracht zu haben; und diese Tat würde ihm im neuen Königreich den höchsten Platz neben Christus sichern.

Der unaufrichtige Jünger spielte seine Rolle, indem er Jesus verriet. Als er im Garten Gethsemane zu den Anführern des Pöbels sagte: "Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn fest." (Matthäus 26,48b EÜ), war er fest davon überzeugt, Christus werde ihnen entkommen. Wenn sie ihn dann beschuldigen würden, könnte er sagen: Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt ihn festhalten?

Judas schaute zu, wie die Soldaten auf sein Wort hin Jesus festbanden. Erstaunt sah er, wie sich der Erlöser wegführen ließ. Beunruhigt folgte er ihm vom Garten zum Verhör vor den jüdischen Obersten. Bei jeder Bewegung wartete er darauf, dass Jesus seine Feinde überraschen, vor ihnen als Sohn Gottes erscheinen und all ihre Anschläge und ihre Macht zunichtemachen werde. Als jedoch Stunde um Stunde verging und Jesus alle Misshandlungen über sich ergehen ließ, überkam den Verräter eine schreckliche Angst, dass er seinen Meister tatsächlich verkauft und dem Tod ausgeliefert hatte.

Die Grosse Verzweiflung

Als sich das Verhör dem Ende näherte, konnte Judas die Qual seines schuldbeladenen Gewissens nicht länger ertragen. Plötzlich durchdrang ein heiserer Schrei, der alle Herzen mit Schrecken erschaudern ließ, die Gerichtshalle: Er ist unschuldig! Gib ihn frei, Kaiphas!

Nun sah man, wie sich die hochgewachsene Gestalt von Judas durch die erstaunte Menge drängte. Sein Gesicht war bleich und verstört, und auf seiner Stirn standen große Schweißtropfen. Er stürzte auf den Richterstuhl zu, warf die dreißig Silberlinge - den Preis für seinen Verrat - dem Hohenpriester vor die Füße, ergriff in ungeduldiger Hast das Gewand von Kaiphas und flehte ihn an, Jesus freizugeben. Er erklärte, dass dieser nichts getan habe, was den Tod rechtfertige. Erbost schüttelte ihn Kaiphas ab. Doch er war verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte. Die Heimtücke der Priester war nun klar sichtbar geworden, denn es war offensichtlich, dass sie den Jünger bestochen hatten, um seinen Meister zu verraten.

"Ich habe gesündigt", schrie Judas, "ich habe euch einen unschuldigen Menschen ausgeliefert." Doch der Hohepriester, der seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, erwiderte verächtlich: "Was geht das uns an? Das ist deine Sache." (Matthäus 27,4 EÜ) Die Priester waren bereit gewesen, Judas zu ihrem Werkzeug zu machen, verachteten aber gleichzeitig seine Niederträchtigkeit. Als er sich mit seinem Geständnis an sie wandte, wiesen sie ihn ab.

Nun warf sich Judas Jesus zu Füßen, erkannte ihn als Sohn Gottes an und flehte ihn an, sich selbst zu befreien. Der Erlöser machte seinem Verräter keine Vorwürfe. Er wusste, dass Judas nicht wirklich bereute. Das Geständnis, das sich seiner schuldbeladenen Seele entrang, entsprang der schrecklichen Angst vor der Verdammung und dem kommenden Gericht. Er verspürte jedoch keinen tiefen, herzzerreißenden Schmerz darüber, dass er den schuldlosen Sohn Gottes verraten und den Heiligen Israels verleugnet hatte. Trotzdem verurteilte ihn Jesus mit keinem Wort. Voller Mitleid schaute er auf Judas und sagte: Wegen dieser Stunde bin ich in die Welt gekommen.

Ein überraschtes Raunen ging durch die Versammlung. Verwundert sahen sie, wie nachsichtig Jesus mit seinem Verräter umging. Erneut waren sie überzeugt, dass dieser Mann mehr als ein sterblicher Mensch war. Aber wenn er Gottes Sohn war, so fragten sie sich weiter, warum befreite er sich nicht von seinen Fesseln und triumphierte über seine Ankläger?

Als Judas erkannte, dass sein Bitten und Flehen erfolglos blieb, rannte er aus der Halle und schrie laut: Es ist zu spät! Es ist zu spät! Er spürte, dass er es nicht ertragen konnte, mitanzusehen, wie Jesus gekreuzigt wurde. Verzweifelt ging er hinaus und erhängte sich (vgl. Matthäus 27,5).

Später am selben Tag wurde auf dem Weg vom Palast des Pilatus nach Golgatha das Geschrei und Gespött der bösartigen Menschen, die Jesus zur Kreuzigungsstätte begleiteten, jäh unterbrochen. An einer einsamen Stelle erblickten sie am Fuß eines abgestorbenen Baumes den Leichnam von Judas. Was für ein schrecklicher Anblick! Das schwere Gewicht seines Körpers hatte den Strick, mit dem er sich am Baum erhängt hatte, zerrissen. Durch den Fall war sein Körper schrecklich entstellt worden (vgl. Apostelgeschichte 1,18). Nun fraßen ihn die Hunde auf. Seine Überreste wurden unverzüglich weggeschafft und begraben. Nun ließ der Spott unter der Menge nach, und manches bleiche Gesicht offenbarte die Gedanken des Herzens. Vergeltung schien schon diejenigen heimzusuchen, die am Blut von Jesus schuldig geworden waren.