Erziehung

Kapitel 7

Vorbilder

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"Wer Gott gehorcht, verhilft anderen zum Leben; ein weiser Mensch gewinnt die Herzen." Sprüche 11,30.

Wer sich mit der biblischen Geschichte befaßt, stößt auf eine Fülle von Beispielen, wie sich gottgewollte Erziehung auf den Charakter junger Menschen ausgewirkt hat, die später anderen zum Segen wurden. Josef und Daniel gehörten zu ihnen, auch Mose und Elisa, nicht zuletzt Paulus. Manche waren bedeutende Staatsmänner oder weise Gesetzgeber, andere wirkten erfolgreich als Reformatoren oder waren begnadete Lehrer.

Josef

Josef wurde wie Daniel schon sehr früh aus seiner Familie herausgerissen und als Sklave in ein heidnisches Land verschleppt. Er war Versuchungen ausgesetzt, wie so radikale Veränderungen der Lebensbedingungen sie nun einmal mit sich bringen.

Daheim vom Vater liebevoll umsorgt, fand er sich plötzlich als Sklave im Hause eines hochgestellten Ägypters wieder. Er erlebte, wie dieser Mann ihn zu achten begann und ihm schließlich uneingeschränkt vertraute. Seine Wißbegier, seine rasche Auffassungsgabe und sein Fleiß machten Josef sehr schnell zu einem gebildeten und einflußreichen Mann. Doch dann stürzte ihn eine böse Intrige unverschuldet ins Elend. Weil er der leichtfertigen Frau seines Herrn nicht zu Willen war, verschwand er in einem Gefängnis -- ohne sich rechtfertigen zu können und ohne Hoffnung, jemals wieder das Licht der Freiheit zu sehen. Doch wieder wendete sich das Blatt. Der angebliche Verbrecher wurde aufgrund einer Notlage zum höchsten Staatsbeamten Ägyptens erhoben. Wie war es möglich, daß dieser Mann seinen Weg trotz allem gerade und rechtschaffen gehen konnte?

Je höher ein Mensch aufsteigt, desto größer die Versuchungen und die Gefahr des Absturzes. Sturmböen, die selbst zarten Pflanzen im Tal kaum etwas anhaben können, sind sehr wohl in der Lage, einen Baum auf dem Berge zu entwurzeln. Im menschlichen Leben ist es ähnlich. Die meisten von uns haben nie etwas mit solchen Versuchungen zu tun, denen Menschen, denen Erfolg beschieden ist und die Ansehen genießen -- also ganz oben stehen -- ausgesetzt sind.

Von Josef wissen wir, daß er Gott treu blieb in bösen wie in guten Tagen -- als Sklave und im Gefängnis nicht anders als an den Schalthebeln der Macht. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß er im Elternhaus gelernt hatte, Gott zu achten und zu lieben. Wie oft mochte Jakob, sein Vater, ihm erzählt haben, was er als junger Mann mit Gott erlebt hatte: die nächtliche Begegnung mit Gott bei Bethel, wo Engel eine Himmelsleiter auf- und niederstiegen und ihm versicherten, daß der Herr bei ihm sein werde; der Kampf mit Gott am Jabbok, wo er vom "Betrüger" zum "Überwinder" geworden war, nachdem er sich zu seinen Sünden bekannt und von ihnen losgesagt hatte. Das einfache und naturnahe Leben als Hirtenjunge trug wesentlich dazu bei, daß sich Josefs geistige und körperliche Kräfte ungehindert entwickeln konnten. Die Wahrheiten, die ihm sein Vater als heiliges Vermächtnis weitergegeben hatte, und die eigenen Erfahrungen, die er mit Gott in der Natur und in der Auseinandersetzung mit Gottes Wort gemacht hatte, ließen Josef zu einer starken Persönlichkeit mit festen Grundsätzen heranreifen.

Ohne den festen Glauben an den Gott seiner Väter, der auch sein Gott geworden war, hätte er die größte Krise seines Lebens -- den Verkauf als Sklave durch die eigenen Brüder -- nicht unbeschadet überstehen können. Aus dem, was er als Kind gelernt hatte, schöpfte er die seelische Kraft zu dem Entschluß, Gott unter allen Umständen treu zu bleiben. Und nichts konnte ihn dazu bewegen, von diesem Weg abzuweichen. Weder das bittere Los, das er als Sklave und Fremder tragen mußte, noch das lasterhafte Leben der Kreise, in denen er lebte. Auch nicht die Verlockungen des Götzendienstes oder die Annehmlichkeiten eines Lebens in Reichtum und Überfluß.

Josef hatte gelernt, seine Pflicht zu tun, und er fragte nicht danach, ob er einen unbedeutenden oder wichtigen Auftrag zu erfüllen hatte. Er war immer bemüht, seine Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen. Auf diese Weise eignete er sich nach und nach Fähigkeiten an, die ihn bis in höchste Positionen aufsteigen ließen.

Zu der Zeit, als Josef an den Hof Pharaos berufen wurde, war Ägypten die Führungsmacht im Mittelmeerraum. In keinem anderen Land standen Kultur, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft in solcher Blüte wie dort. Trotzdem wurde Josef, ein Sklave aus Kanaan, zum Innenminister berufen, weil er durch Gottes Fügung eine drohende Katastrophe erkannt und ein schlüssiges Konzept für deren Bewältigung vorgelegt hatte. Das und seine spätere Amtsführung gewannen ihm das Vertrauen des Königs und des ägyptischen Volkes. Im biblischen Bericht heißt es: Pharao "berief ihn an die höchste Stelle seiner Regierung und machte ihn zum Verwalter seines Vermögens. Die hohen Beamten wurden ihm unterstellt, und die Ratgeber des Königs sollten bei ihm lernen, wie man weise entscheidet."1

Die prophetischen Segensworte, die Jakob am Ende seines Lebens über Josef aussprach, zeigen, woher dieser Gottesmann die Kraft für sein bemerkenswertes Leben nahm:

"Du, Josef bist dem Weinstock gleich, der an der Quelle üppig treibt und seine Mauern überwuchert. Die Feinde fordern dich zum Kampf, beschießen dich mit Pfeilen; doch du bleibst unerschüttert stehen und schießt mit rascher Hand zurück. Bei dir ist Jakobs starker Gott; deswegen führst du Israel und bist des Volkes Schutz und Stärke. Der Gott, der alle Macht hat, hilft dir; dich segnet deines Vaters Gott [...] Er gibt dir Regen aus dem Himmel und Wasser von der Flut der Tiefe ganz unten bei dem Grund der Erde. All deine Felder macht er fruchtbar, auch deine Frauen und die Tiere. Du siehst die Berge, fest und ewig, die hoch bis in die Wolken ragen; dein Reichtum überragt sie alle. Dies alles ist dir vorbehalten, weil du den Segen erben sollst, den ich, dein Vater, einst empfing. Du, Josef, bist der Auserwählte inmitten aller deiner Brüder."1

Josefs Leben war fest verankert in der Treue zu Gott und im Glauben an den Unsichtbaren, dem er vertraute als sähe er ihn. Das war das Geheimnis seiner Kraft.

Daniel

Daniel und seine Freunde hatten es in Babylon zweifellos besser getroffen als Josef in Ägypten. Doch schweren Versuchungen waren auch sie ausgesetzt, obwohl die etwas anderer Art waren.

Die vier jungen Männer waren mit anderen jüdischen Geiseln von Jerusalem, wo sie trotz ihrer adligen Herkunft recht einfach aufgewachsen waren, nach Babylon verschleppt worden. Sie kamen sozusagen aus der Provinz in das Machtzentrum der damaligen Welt. Dort sollten sie im Sinne eines heidnischen Königs erzogen werden, um später einmal wichtige Ämter in Babylon oder den besetzten Gebieten übernehmen zu können. Die jungen Männer merkten ziemlich schnell, daß Babel auch ein Ort der Intrigen, der Korruption, der Verschwendung und des Lasters war. Die Gefahr, sich dem um des Überlebens oder der Karriere willen anzupassen, war groß. Bei jeder Gelegenheit mußten sie den Spott der Babylonier über sich ergehen lassen. Denen galt die Tatsache, daß ihr König Juda besiegt hatte, daß die heiligen Tempelgeräte aus Jerusalem nun die Schatzkammer Nebukadnezars zierten und daß der besiegte König Israels als Gefangener in Babylon schmachtete, als Beweis dafür, wie weit ihre Götter dem Gott Israels überlegen waren. Doch dann erlebten die vier jungen Hebräer, wie Jahwe gerade sie benutzte, um den Babyloniern zu zeigen, wie es um die angebliche Macht ihrer Götter wirklich stand. Dazu waren sie allerdings nur deshalb fähig, weil sie sich von Beginn an für kompromißlose Treue Gott gegenüber entschieden hatten.

Schon gleich nach ihrer Ankunft hatten sie sich einer schweren Prüfung zu stellen. Die Anweisung, daß die ihnen zugedachten Speisen aus der königlichen Küche kommen sollten, war einerseits ein großes Vorrecht, andererseits aber auch ein gefährlicher Fallstrick. Damals war es üblich, jede Speise den Göttern zu weihen, indem man einen kleinen Teil davon als Opfergabe darbrachte. Ein Hebräer versündigte sich an Jahwe, wenn er solche geweihten Speisen oder Getränke zu sich nahm. Aus dieser Sicht verbot ihnen die Treue zu ihrem Gott, sich der Anordnung des Königs zu fügen. Darüber hinaus wollten sie sich wohl nicht den Gefahren aussetzen, die die ausschweifende Lebensweise am babylonischen Hof zwangsläufig für ihre körperliche, seelische und geistige Entwicklung mit sich bringen würde. Deshalb bekannten sie von Anfang an Farbe.

Daniel und seine Freunde waren in ihrer Kindheit sorgfältig mit den heiligen Schriften vertraut gemacht worden und hatten gelernt, geistliche Werte über irdische Dinge zu stellen. In Babylon zahlte sich das aus. Ihr Vertrauen auf Gott, die gesunde Lebensweise und ihr Verantwortungsbewußtsein als Botschafter Gottes sorgten dafür, daß sie den anderen Studenten haushoch überlegen waren. "Nach Ablauf der drei Jahre befahl Nebukadnezar, ihm alle jungen Israeliten vorzustellen. Der oberste Hofbeamte brachte sie zum König, und dieser sprach mit ihnen. Dabei wurde ihm klar, daß Daniel, Hananja, Mischaël und Asarja alle anderen in den Schatten stellten. Von nun an waren sie seine Berater."1

Obwohl Daniel in Glaubensdingen keine Zugeständnisse kannte, trat er doch nie herausfordernd oder verletzend auf, sondern blieb freundlich und entgegenkommend. Kein Wunder, daß ihm ein steiler beruflicher Aufstieg beschieden war. Innerhalb kurzer Zeit war er erster Minister des Königs. Er diente nacheinander mehreren babylonischen Königen, erlebte den Fall Babylons mit und saß auch unter der Herrschaft der Perser an den Schalthebeln der Macht. Seine Weisheit und seine staatsmännische Begabung, sein hervorragendes Taktgefühl, seine Höflichkeit, seine natürliche Herzensbildung und seine Grundsatztreue mußten sogar seine Feinde anerkennen. Im biblischen Bericht heißt es: "... Da suchten die anderen führenden Männer nach einem Grund, um Daniel anklagen zu können. Er übte sein Amt jedoch so gewissenhaft aus, daß sie ihm nicht das kleinste Vergehen nachweisen konnten; er war weder nachlässig noch bestechlich."1

Diesen zuverlässigen Mann machte Gott auch zu seinem Sprecher, indem er ihm die Gabe der Prophetie verlieh. Von Menschen wurde Daniel dadurch geehrt, daß sie ihm große Verantwortung übertrugen und ihm Staatsgeheimnisse anvertrauten. Gott ehrte ihn, indem er ihm Geheimnisse offenbarte, die noch in ferner Zukunft lagen. Mehrere Male diente er Gott als Vermittler von Botschaften an heidnische Könige. Obwohl das, was der Prophet ihnen zu sagen hatte, den Königen nicht immer gefiel, mußten sie doch wie Nebukadnezar bekennen: "Es gibt keinen Zweifel: Euer Gott ist der größte aller Götter und der Herr über alle Könige! Er bringt Verborgenes ans Licht, sonst hättest du dieses Geheimnis nie aufdecken können."2 Und Darius ehrte den Gott Daniels in einem Dekret: "Hiermit ordne ich an, in meinem ganzen Reich dem Gott Daniels Ehrfurcht zu erweisen! Denn er ist ein lebendiger Gott, der in alle Ewigkeit regiert. Sein Reich geht niemals unter, seine Herrschaft bleibt für immer bestehen. Er rettet und befreit, er vollbringt Wunder und zeigt seine große Macht im Himmel und auf Erden."3

Durch ihr kluges Handeln, ihren Gerechtigkeitssinn, ihre moralische Lauterkeit und ihr Eintreten für andere -- nicht zuletzt für solche, die anderen Glaubens waren -- blieben Josef und Daniel sich selbst, ihrer Erziehung und ihrer Glaubensüberzeugung treu. Beide standen deswegen in hohem Ansehen -- Josef in Ägypten und Daniel in Babylon. Ihr Werdegang, ihr beispielhaftes Leben und ihr Glaube waren für alle, die mit ihnen in Berührung kamen, ein Bezeugen der Güte Gottes und der Liebe Christi.

Als sie aus ihren Familien herausgerissen wurden, ahnte niemand, zu welch hohen Aufgaben Gott sie bestimmt hatte. Im Blick auf die Zukunft waren ihnen die Hände gebunden, deshalb vertrauten sie sich bedingungslos der Führung Gottes an. So wurden sie zu einem lebendigen Zeugnis dafür, was Gott mit Menschen erreichen will und kann, die sich ihm übergeben und von ganzem Herzen seinen Willen erfüllen wollen.

Was damals möglich war, sollte heute nicht unmöglich sein. Auch in unseren Tagen und in unserer Welt hält Gott Ausschau nach jungen Menschen, die sich ihm zur Verfügung stellen.

Was die Welt heute am nötigsten braucht, sind Menschen, die sich um keinen Preis kaufen lassen, die absolut aufrichtig und wahrhaftig sind, Menschen, die sich nicht scheuen, Sünde beim Namen zu nennen, deren Gewissen so auf ihre Pflicht ausgerichtet ist, wie die Magnetnadel zum Pol, Menschen, die auch dann noch für das Recht eintreten, wenn darüber der Himmel einzustürzen droht.

Solche Charaktere sind kein Zufallsprodukt und auch kein Glücksfall, sondern die Frucht guter Erziehung. Wahre Charakterbildung hat etwas zu tun mit Selbstbeherrschung, mit der Bereitschaft, sich unter Gottes Willen zu beugen, und mit Liebe, die sich um Gottes und der Menschen willen selbst vergißt.

Eltern und Erzieher müssen jungen Leuten immer wieder klar machen, daß sie ihre Gaben und Fähigkeiten nicht nur zur Befriedigung eigener Bedürfnisse und zum Erreichen persönlicher Ziele empfangen haben. Kraft, Zeit, Intelligenz, musische oder künstlerische Fähigkeiten sind nur Leihgaben. Gott vertraut sie uns an, damit wir sie nutzbringend und im Sinne Gottes anwenden. Jeder, dem Gott Gaben verliehen hat, ist wie ein Zweig, von dem der Schöpfer Frucht erwartet; er ist wie Kapital, das Zinsen bringt, oder wie ein Licht, das die Dunkelheit erhellt.

Niemand ist nur für sich selbst da, sondern jeder trägt ein Stück Verantwortung für das Wohl aller Menschen.

Elisa

Der Prophet Elisa wuchs in ländlicher Umgebung auf, wo Gott und die Natur seine Lehrmeister waren. Obwohl er vermutlich aus einer begüterten Familie stammte, lebte er nicht als Müßiggänger, sondern wurde früh zu nützlicher Arbeit angehalten.

Zu jener Zeit gab es in Israel kaum jemanden, der nicht in den Götzendienst verwickelt war. Elisas Eltern gehörten zu den wenigen Israeliten, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt hatten. Zwei Dinge waren in dieser Familie wichtig: Glaube an Gott und Pflichterfüllung.

Als Bauernsohn tat Elisa das Nächstliegende, er wurde ebenfalls Bauer. Obwohl er über Führungsqualitäten verfügte, wurde er zunächst für die einfachen Pflichten des Lebens ausgebildet. Um später einmal anderen befehlen zu können, mußte er erst selber gehorchen lernen. Er hätte keine verantwortungsvollen Aufgaben übernehmen können, ohne durch gewissenhafte Pflichterfüllung darauf vorbereitet worden zu sein.

Elisa war weichherzig und bescheiden, verfügte andererseits aber auch über Tatkraft und Ausdauer. Vor allem verehrte und liebte er Gott. Das alles formte seinen Charakter positiv und ließ ihn in der Gnade und Erkenntnis Gottes wachsen.

Der Ruf zum Prophetenamt erging an Elisa beim Pflügen auf dem Feld. Gott hatte dem alternden Elia aufgetragen, einen Nachfolger zu suchen. Als der Gottesmann ihm den Prophetenmantel umlegte, begriff Elisa, daß Gott ihn zu seinem Sprecher erwählt hatte. Im biblischen Text heißt es: "Da eilte Elisa nach Hause und bereitete für seine Familie ein Abschiedsessen [...] Danach schloß er sich Elia an und wurde sein Diener."1 Wie er "von der Pieke auf" den Beruf des Landwirts gelernt hatte, so wurde er nun auch auf seinen Dienst als zukünftiger Prophet vorbereitet. Das begann ganz klein mit den täglich anfallenden Handreichungen, die ein Diener damals zu leisten hatte. Aber indem Elisa dem Mann Gottes diente, wuchs er mehr und mehr in die Aufgaben des Prophetenamts hinein, zu dem der Herr ihn erwählt hatte.

Die Berufungsgeschichte macht deutlich, wie wichtig es Elia war, daß sich sein Nachfolger ohne äußeren Druck für diesen Dienst entschied. Er schickte Elisa erst noch einmal nach Hause, damit er diese grundlegende Entscheidung im Kreise seiner Familie bedenken konnte. Doch für den war von Anfang an klar, daß er diese Berufung um keinen Preis der Welt ausschlagen würde.

Als abzusehen war, daß der Herr Elia bald abberufen würde, wollte der Prophet sich noch einmal vergewissern, wie es um den Glauben Elisas und um seine Bereitschaft, das Prophetenamt auf sich zu nehmen, stand. Am Tag seiner Entrückung zu Gott sagte Elia: "Willst du nicht hier bleiben? Ich muß nach Bethel, denn der Herr hat mich dorthin geschickt." Doch Elisa ging nicht auf dieses Angebot ein, denn er hatte als Landwirt gelernt, nicht zurückzuschauen, wenn er einmal die Hand an den Pflug gelegt hatte. Und in gewissem Sinne hatte er immer noch die Hand am Pflug, wenn auch anders als damals, als er noch Äcker bestellte. Deshalb antwortete Elisa: "So gewiß der Herr lebt und so gewiß du lebst -- ich verlasse dich nicht!"1

Und weiter heißt es: "So wanderten sie zusammen hinunter nach Bethel. Dort kamen ihnen einige Prophetenjünger entgegen, die in Bethel zusammen lebten. Sie nahmen Elisa beiseite und fragten ihn: ‚Weißt du es schon? Der Herr wird heute deinen Lehrer zu sich holen!' ‚Ja, ich weiß es', antwortete Elisa, ‚redet bitte nicht darüber.' Wieder sagte Elia zu seinem Begleiter: ‚Elisa, willst du nicht hier bleiben? Ich muß weiter nach Jericho, denn der Herr hat mich dorthin geschickt.' Elisa antwortete: ‚So gewiß der Herr lebt und so gewiß du lebst -- ich verlasse dich nicht!' Sie wanderten gemeinsam weiter [...] Fünfzig Prophetenjünger aus Jericho folgten ihnen. Als Elia und Elisa den Jordan erreichten, blieben ihre Begleiter in einiger Entfernung stehen. Elia zog seinen Mantel aus, rollte ihn zusammen und schlug damit auf das Wasser. Da teilte es sich, und die beiden konnten trockenen Fußes das Flußbett durchqueren. Am andern Ufer sagte Elia zu Elisa: ‚Ich möchte noch etwas für dich tun, bevor ich von dir genommen werde. Hast du einen Wunsch?' Da antwortete Elisa: ‚Ich möchte als dein Schüler und Nachfolger doppelt soviel von deinem Geist bekommen wie die anderen Propheten!' Elia wandte ein: ‚Das liegt nicht in meiner Macht. Aber wenn der Herr dich sehen läßt, wie ich von hier weggeholt werde, dann wirst du erhalten, worum du gebeten hast. Wenn nicht, dann geht auch dein Wunsch nicht in Erfüllung.'

Während die beiden so in ihr Gespräch vertieft weitergingen, erschien plötzlich ein Wagen aus Feuer, gezogen von Pferden aus Feuer und trennte die Männer voneinander. Und dann wurde Elia in einem Wirbelsturm zum Himmel hinaufgetragen. Elisa sah es und schrie: ‚Mein Vater, mein Vater! Du Beschützer und Führer Israels!' Doch schon war alles vorbei. Aufgewühlt packte Elisa sein Gewand und riß es entzwei. Dann hob er den Mantel des Elia auf, der zu Boden gefallen war, und ging zum Jordan zurück. Wie vorher sein Lehrer Elia schlug jetzt er mit dem Mantel auf das Wasser und rief: ‚Wo ist der Herr, der Gott Elias?' Da teilte sich das Wasser, und Elisa konnte den Fluß wieder durchqueren. Als die Prophetenjünger, die den beiden Männern gefolgt waren, Elisa zurückkommen sahen, sagten sie zueinander: ‚Der Geist Elias ist nun auf Elisa übergegangen!' Sie liefen zu ihm und warfen sich ehrfürchtig vor ihm zu Boden."1

Von da an übernahm Elisa die Aufgaben des Elia. Und wie er sich in den kleinen Dingen als treu erwiesen hatte, so blieb er es auch jetzt, da Gott ihm eine große Verantwortung auferlegt hatte.

Elia war eine von jenen starken Persönlichkeiten gewesen, die nicht eher ruhen, bevor sie die ihnen übertragene Aufgabe erfüllt haben. Er war dem Abfall Israels mutig und kompromißlos entgegengetreten. Ihm gelang es, den von König Ahab und seiner gottlosen Frau Isebel eingeführten Götzendienst zu zerschlagen. Keiner der heidnischen Priester war am Leben geblieben, und Israel wandte sich von den falschen Göttern ab. Nun wurde jemand gebraucht, der das Volk mit Feingefühl und großer Geduld zur wahren Gottesanbetung zurückführte. Und da war Elisa dank seiner Erziehung und der Erfahrung, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hatte, genau der richtige Mann.

Aus dieser alten Geschichte läßt sich manches lernen. Niemand weiß, was Gott mit ihm vorhat, wenn er ihn in seine Schule nimmt. Aber eins ist sicher: Wer in den kleinen Dingen treu ist, zeigt dadurch, daß er geeignet ist, auch größere Verantwortung zu übernehmen.

Mose

Mose war noch jünger als Josef und Daniel, als er die behütete Umgebung seines Elternhauses verlassen mußte. Doch auch sein Leben wurde wie bei jenen von den biblischen Grundsätzen geprägt, nach denen er erzogen worden war.

In den zwölf Jahren, die er in seiner hebräischen Familie verbringen durfte, wurde der Grund für seine spätere Größe gelegt. Wesentlichen Anteil daran hatte eine Frau, deren Namen man vergeblich auf den Ehrentafeln der Geschichte suchen würde: seine Mutter.

Jochebed war eine hebräische Frau und zugleich Sklavin in Ägypten. Vom Leben konnte sie nicht viel mehr als Mühe und Last erwarten. Dennoch erfuhr die Welt durch keine andere Frau, ausgenommen Maria von Nazareth, größeren Segen als durch sie. Sie wußte, daß ihr Sohn nur für wenige Jahre in seiner israelitischen Familie bleiben würde, um dann in einer Umgebung zu leben, in der man nichts von Gott hielt. Deshalb war es ihr wichtigstes Ziel, in Mose die Liebe zu Gott zu wecken und in seinem Herzen die Treue zum Herrn fest zu verankern. Und sie hatte Erfolg. Später zeigte sich nämlich, daß Mose durch nichts dazu zu bewegen war, den Grundsätzen untreu zu werden, die seine Mutter ihm eingeprägt und vorgelebt hatte.

Mit zwölf Jahren wurde Mose aus seinem einfachen Zuhause in Goschen herausgerissen und mußte fortan als Adoptivsohn einer ägyptischen Prinzessin am Pharaonenhof leben. Dort erhielt er die beste zivile und militärische Ausbildung, die es zur damaligen Zeit gab. Und Mose lernte schnell, sah gut aus und hatte eine starke persönliche Ausstrahlung. Er war gebildet, wußte sich in der Hofgesellschaft zu bewegen und bewährte sich als militärischer Befehlshaber. Wer Augen im Kopf hatte, prophezeite ihm eine glänzende Karriere bis hin zur Herrschaft über ganz Ägypten.

Die Pharaonen waren nicht nur Könige, das heißt weltliche Herrscher über das Land am Nil, sondern zugleich auch Mitglieder der Priesterkaste. Deshalb wurden Thronfolger nicht nur in Politik und Staatskunst eingeführt, sondern auch in die Geheimnisse der ägyptischen Religion eingeweiht. Ägypten war zu jener Zeit die mächtigste und kultivierteste Nation. Einem zukünftigen Pharao Mose hätte die ganze Welt zu Füßen gelegen. Doch Jochebeds Sohn traf eine andere Wahl. Um der Ehre Jahwes und der Befreiung seines geknechteten Volks willen verzichtete er auf seine politische Karriere in Ägypten. Und nun übernahm Gott selbst in ganz spezieller Weise Moses Erziehung, um ihn auf die Aufgaben vorzubereiten, die er später zu erfüllen haben würde.

Mose hatte sich zwar eindeutig auf Gottes Seite gestellt, aber für sein eigentliches Lebenswerk war er noch nicht genügend befähigt. Vor allem mußte er lernen, sich ganz auf Gott zu verlassen. Offensichtlich fühlte er sich dazu berufen, sein versklavtes Volk zu befreien, hatte aber Gott völlig mißverstanden, indem er meinte, das könne und müsse mit Gewalt geschehen. Um dieses Zieles willen setzte er alles auf eine Karte -- und verlor! Statt Israel zu befreien, verschlimmerte er nur die Lage der Hebräer und wurde selbst zum Flüchtling, der in einem fremden Land leben mußte.

Welch ein Abstieg! Der ehemalige ägyptische Thronfolger verbrachte vierzig Jahre als Schafhirte in der Einöde von Midian. Nach menschlichem Ermessen mußte es heißen: Karriere zu Ende, Lebensaufgabe verfehlt! In Wirklichkeit aber war das Gegenteil der Fall. Mose erhielt von Gott gerade in dieser Zeit die Lektionen, die ihn zu seinem zukünftigen Lebenswerk erst befähigten. Die Weisheit, Besonnenheit und Geduld, die notwendig waren, einen Haufen ungebildeter und undisziplinierter Sklaven zu einem Volk zu machen, ließen sich offenbar nicht am Pharaonenhof erwerben, sondern nur durch das harte Leben als Hirte in der Einöde Midians. Ehe Mose Hirte Israels werden konnte, mußte er lernen, was es heißt, für eine Herde verantwortlich zu sein. Sein Verhalten in Ägypten hatte gezeigt, wie sehr es ihm an Selbstbeherrschung fehlte. Aber gerade die würde er als Führer Israels brauchen. Damit er ein Botschafter Gottes werden konnte, mußte er erst von Jahwe lernen. Und ehe er als Vermittler zwischen Gott und Israel auftreten konnte, mußte er erst einmal selber erleben, wer Gott wirklich ist.

Zwar hatte Mose die wichtigste charakterliche Prägung in früher Jugend in seinem hebräischen Elternhaus empfangen, aber das Leben am Pharaonenhof hatte selbstverständlich ebenfalls prägende Wirkung gehabt. Seine Pflegemutter vergötterte ihn. Seine Stellung als Enkel des Pharao verlieh ihm Ansehen und Macht. Luxus, Verschwendung und Laster am Königshof lockten in tausenderlei Gestalt. Und auch die religiösen Riten und die Geheimnisse der Priesterschaft waren nicht ohne Einfluß auf sein Denken und seine Seele geblieben. All diese belastenden Eindrücke verwischten sich erst durch das jahrzehntelange Leben in der Abgeschiedenheit Midians.

In der majestätischen Einsamkeit der Berge war Mose mit Gott allein. Überall stieß er auf die Spuren des Schöpfers. Es schien ihm, als ob er sich in Gottes Gegenwart befände und ihm ganz nahe sei. In dieser Umgebung kamen ihm seine frühere Selbstherrlichkeit, sein Dünkel und sein eigenwilliges Handeln ziemlich töricht vor. Denn in der Gegenwart des ewigen Gottes wurde ihm bewußt, wie schwach, machtlos und kurzsichtig der Mensch in Wirklichkeit ist.

Hier erlangte Mose das, was ihn die schier übermenschlichen Belastungen der folgenden Jahrzehnte durchstehen ließ: die Gewißheit der Gegenwart Gottes. Wenn man ihn später als Führer des Volkes mißverstand, verleumdete, anfeindete, beleidigte und bekämpfte, rechnete er "so fest mit Gott, als könnte er ihn sehen. Deshalb gab er nicht auf".1 Mose dachte nicht nur hin und wieder an Gott, sondern hatte ihn stets vor Augen. Er sah ihn gleichsam mit dem inneren Auge und lebte deshalb praktisch immer in der Gegenwart seines Herrn. Der Glaube war für ihn kein bloßes Mutmaßen, sondern eine unumstößliche Gewißheit. Weil er sein Leben generell Gott übergeben hatte, verstand er auch das, was ihm im Einzelfall begegnete, als göttliche Fügung. Er vertraute darauf, daß der Herr ihm die Kraft geben würde, allen Versuchungen zu widerstehen.

Nachdem er Gottes Auftrag angenommen hatte, tat er alles, um ihn so gewissenhaft wie möglich zu erfüllen. Aber nun verließ er sich nicht mehr auf seine eigene Kraft, sondern vertraute auf Gottes Macht.

Auf diese Weise hatte Mose in den vierzig scheinbar verlorenen Jahren in der Einöde mehr gelernt als es in Ägypten je möglich gewesen wäre. Und noch etwas zeigt diese Geschichte: Gott ist kein Preis zu hoch und keine Zeit zu lang, wenn es darum geht, Menschen für den Dienst auszurüsten, den er ihnen zugedacht hat.

Die Auswirkung solcher Erziehung und der dabei erteilten Lehren ist nicht nur unauflösbar mit der Geschichte Israels verbunden, sondern zugleich wegweisend bis in unsere Zeit. Welche Bedeutung Mose zukommt, läßt sich aus der abschließenden Beurteilung dieses Gottesmannes ablesen: "Nach Mose hat es keinen Propheten mehr gegeben, dem der Herr von Angesicht zu Angesicht begegnet ist. Nie wieder sind so große Wunder durch einen Menschen geschehen ..."1

Paulus

Gott wollte, daß alle Welt die Frohe Botschaft von Jesus hören sollte. Deshalb fügte er es so, daß die vom Glauben und der persönlichen Erfahrung getragene Verkündigung der Jünger unterstützt wurde von einem hochgebildeten und energischen jungen Rabbi mit Namen Saulus.

Saulus war als Sohn jüdischer Eltern in der kleinasiatischen Stadt Tarsus geboren worden und von Geburt an römischer Bürger. Jude war er nicht nur seiner Abstammung wegen, sondern auch von seiner Erziehung, seiner Ausbildung, seiner patriotischen Gesinnung und seiner strengen religiösen Haltung her. Er hatte in Jerusalem bei einem der angesehensten Gelehrten studiert, so daß er sich bestens auskannte im Gesetz, in den heiligen Schriften und den Überlieferungen der Väter. Sein Stolz auf die jüdische Abstammung war gepaart mit Vorurteilen und mit Geringschätzung derer, die nicht zum auserwählten Volk gehörten. Obwohl er noch sehr jung war, wurde er bald ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates. Er galt als vielversprechender Mann, zumal er sich als eifriger und kompromißloser Verfechter des alten Glaubens hervortat.

Zur Zeit Jesu waren in den theologischen Schulen Judäas die häufig spitzfindigen rabbinischen Auslegungen der heiligen Schriften wichtiger als das Wort Gottes selbst. Treibende Kraft waren nicht selten der Drang der Gelehrten, sich selbst und ihre Erkenntnis ins rechte Licht zu rücken, andere geistig zu beherrschen sowie rechthaberisch und störrisch an rein menschlichen Traditionen festzuhalten.

Die Gesetzeslehrer wachten eifersüchtig über ihre herausgehobene Stellung, viele waren scheinheilig und stolz. Menschen, die nicht ihres Glaubens und ihrer Volkszugehörigkeit waren, verachteten sie, und von ihren einfachen jüdischen Mitbürgern hielten sie nicht viel. Zu diesem religiösen Dünkel kam noch der Haß auf die römische Besatzungsmacht. Viele Juden konnten und wollten sich nicht damit abfinden, daß ihr Land von Rom aus regiert wurde. Sie wollten frei sein und ihre Unabhängigkeit notfalls mit Waffengewalt zurückgewinnen. Kein Wunder, daß sie Jesu Nachfolger, deren Friedensbotschaft ihren Zielen im Wege stand, haßten und verfolgten. Dabei tat sich besonders Saulus durch kompromißlose Härte hervor.

Anderthalb Jahrtausende zuvor waren Mose auf der "Militärakademie" Ägyptens die Gesetze von Macht und Gewalt gelehrt worden. Sie hatten ihn so geprägt, daß vierzig Jahre stiller Gemeinschaft mit Gott in der Natur nötig waren, um ihn auf die Führung des Volkes Israels nach den Gesetzen der Liebe vorzubereiten. Auch Paulus mußte diese andere Sicht erst lernen.

Dieses Umdenken begann vor den Toren von Damaskus, als der gekreuzigte und auferstandene Herr dem Christenverfolger Saulus in einer Vision erschien. Aus Saulus wurde ein Paulus, aus dem Verfolger ein Nachfolger, aus dem Schriftgelehrten ein Lernender. Die dunklen Tage von Damaskus wogen für ihn schwerer als die Erfahrung vieler Jahre. Plötzlich sah er viele der ihm geläufigen Texte aus den heiligen Schriften in einem völlig neuen Licht, denn nun war Christus sein Lehrer.

Auch die Einsamkeit der arabischen Wüste, in die sich Paulus nach seiner Bekehrung für einige Zeit zurückgezogen hatte, um die heiligen Schriften erneut zu studieren, wurde für ihn zur Schule Gottes. Je weiter er zur Quelle der Wahrheit vordrang, desto mehr wurde seine Seele vom Schutt der Vorurteile und Überlieferungen befreit. Hinfort war sein Leben von der Liebe zu Christus geprägt und vom Dienst für ihn bestimmt. Er sagte von sich: "Denn nur allzugern würde ich auch bei euch wie bei anderen Völkern Menschen für Christus gewinnen; fühle ich mich doch allen verpflichtet, ob sie nun eine hohe Kultur haben oder nicht, ob sie gebildet oder ungebildet sind."1 Oder an anderer Stelle: "Die Liebe, die Christus uns erwies, bestimmt mein ganzes Handeln."2

Obwohl Paulus zweifellos zu den größten Lehrern der Menschheit gehörte, war er sich nicht zu schade, auch ganz einfache Dienste zu übernehmen. Er wußte, daß es gut ist, wenn geistiges Schaffen durch körperliches Tätigsein ergänzt wird. Deshalb hielt er es durchweg so, daß er nicht nur predigte und lehrte, sondern auch noch in seinem Beruf arbeitete. Als er sich von den Ältesten in Ephesus verabschiedete, betonte er ausdrücklich: "Ihr wißt selbst, daß ich den Lebensunterhalt für mich und die Leute, die bei mir waren, mit diesen meinen Händen durch eigene Arbeit verdient habe."3

Paulus zeichnete sich nicht nur durch hohe geistige Fähigkeiten aus, sondern besaß auch etwas, was vielen anderen Geistesgrößen abgeht: Weisheit. In dem, was er lehrte, und in seiner Lebensart offenbaren sich Wahrheiten und Leitlinien, von denen selbst große Geister seiner Zeit nicht einmal etwas ahnten. Er konnte Zusammenhänge schnell durchschauen und verfügte über das notwendige Einfühlungsvermögen, um Menschen einander näher zu bringen, das Gute in ihnen zu wecken und sie zu einem besseren Leben anzuregen.

Das zeigte sich beispielsweise in Lystra, wo er die Verkündigung des wahren Gottes mit den Bedürfnissen seiner heidnischen Zuhörer verknüpfte und sie so für das Evangelium interessierte. Den lebendigen Gott beschrieb er so: "Er gibt euch den Regen und läßt die Ernte reifen; er gibt euch zu essen und macht euch froh und glücklich."1

Wie stark sein Einfluß auf andere selbst in kritischen Situationen war, zeigte sich auch in Philippi. Schwer mißhandelt und von Schmerzen gepeinigt, klagte er im Kerker nicht, sondern sang Psalmen und lobte Gott. Und als ausgerechnet in dieser Nacht ein Erdbeben alle Gefängnistüren sprengte, gelang es ihm, alle Mitgefangenen von der Flucht abzuhalten, so daß er dem verzweifelten Gefängnisaufseher zurufen konnte: "Töte dich nicht! [...] Wir sind alle hier!"2

Der Beamte war von der Glaubenshaltung und der Tatkraft des Paulus so beeindruckt, daß er sich auch nach solch einer inneren Sicherheit sehnte, wie sie dieser Mann offenbar hatte. Der Apostel knüpfte an dieser Stelle an und führte ihn samt seiner Familie zu Christus.

Im Bericht vom Zusammentreffen mit Ratsherren und gebildeten Bürgern auf dem Areopag von Athen lernen wir Paulus von einer anderen Seite kennen. Dort begegnete er den Gelehrten mit wissenschaftlichen Argumenten, auf logische Überlegungen reagierte er mit logischen Argumenten, und auf philosophische Einlassungen antwortete er mit philosophischen Gedanken. Die Liebe, die ihren Ursprung in Gott hat, machte es ihm möglich, das Interesse seiner Zuhörer taktvoll auf Jahwe zu lenken, den sie in Gestalt des unbekannten Gottes bereits verehrten, ohne es zu wissen. Er zitierte dabei Verse eines Dichters aus ihren Reihen, um ihnen Gott als Vater darzustellen, dessen Kinder sie waren. Man muß sich wundern, wie Paulus in einer Klassengesellschaft, in der Menschenrechte völlig unbekannt waren, von Brüderlichkeit unter den Menschen sprach und die großartige Wahrheit verkündigte, daß Gott "die Welt erschaffen hat und alles, was darin lebt." Und dann zeigte er den Athenern auf, daß sich durch alles, was den Menschen bestimmt ist, wie ein goldener Faden der Sinn zieht, die Liebe und Gnade Gottes zu erkennen: "Für jedes Volk hat er im Voraus bestimmt, wie lange es bestehen und in welchen Grenzen es leben soll. Er wollte, daß die Menschen ihn suchen und sich bemühen, ihn zu finden. Er ist jedem von uns nahe; denn durch ihn, leben, handeln und sind wir."1

Oder man erinnere sich daran, wie seelsorgerlich und einfühlsam der Apostel auf König Herodes Agrippa einging, der seine Verteidigungsrede vor dem römischen Prokurator Festus mit folgenden Worten kommentiert hatte: "Es fehlt nicht viel, und du überredest mich noch, ein Christ zu werden!" Paulus antwortete: "Wollte Gott [...] daß nicht nur du, sondern alle hier über kurz oder lang Christen würden wie ich -- nur ohne Fesseln!"2

In seinen Briefen an die Christen in Korinth gibt Paulus schlaglichtartig einen Einblick in sein schweres und doch zugleich erfülltes Leben als Apostel: "Auf meinen vielen Reisen haben mich Hochwasser und Räuber bedroht. Juden und Nichtjuden haben mir nachgestellt. Es gab Gefahren in den Städten und in der Wüste, Gefahren auf hoher See und Gefahren bei falschen Brüdern. Ich habe Mühe und Not durchgestanden. Ich habe oft schlaflose Nächte gehabt; ich bin hungrig und durstig gewesen. Oft habe ich überhaupt nichts zu essen gehabt oder ich habe gefroren, weil ich nichts anzuziehen hatte."3 Aber das war nur die eine Seite der Medaille, denn trotz all dieser Beschwernisse bezeugte Paulus: "Wir segnen, wenn man uns flucht, wir ertragen es, wenn man uns verfolgt; wenn man uns beschimpft, antworten wir mit freundlichen Worten [...] Man macht mir Kummer und doch bin ich immer fröhlich. Ich bin arm wie ein Bettler und mache doch viele Menschen reich. Ich besitze nichts und habe doch alles."1

Weil der Dienst für Christus und an den Mitmenschen für Paulus im Mittelpunkt stand, konnte er im Rückblick auf sein an Kämpfen, Niederlagen und Siegen reiches Leben zusammenfassend sagen: "... ich habe mit vollem Einsatz gekämpft; jetzt ist das Ziel erreicht, und ich bin Christus im Glauben treu geblieben."2

Positive Vorbilder sind für uns alle von Bedeutung, besonders natürlich für junge Menschen, die den größten Teil ihres Lebens noch vor sich haben.

Mose beispielsweise verzichtete um der Zukunft seines Volkes willen auf ein Königreich; Paulus war die Verkündigung der Frohen Botschaft wichtiger als Karriere und Reichtum. Beide nahmen die Belastungen, die ein Leben im Dienst für Gott mit sich bringen kann, auf sich, weil sie sich ganz ihrem Auftrag verschrieben hatten. Viele sehen das Leben dieser Männer nur unter dem Aspekt von Verzicht und Opferbereitschaft. Aber war es wirklich nicht mehr als das? Im Hebräerbrief heißt es: Mose "... zog es vor, mit dem Volk Gottes zu leiden, anstatt für kurze Zeit gut zu leben und dabei Schuld auf sich zu laden. Er war sicher, daß alle Schätze Ägyptens nicht so viel wert waren wie die Verachtung, die einer für Christus auf sich nimmt."3 Er hoffte nicht nur, daß es so sei, sondern war davon überzeugt, daß es so ist.

Es ist kaum anzunehmen, daß der Luxus am Pharaonenhof und die Aussicht auf den Königsthron keinen Reiz auf Mose ausgeübt haben. Doch er ließ sich davon nicht blenden, sondern sah auch, wie sehr das Leben bei Hofe -- meist ein Gemisch aus Eitelkeit, Prunksucht, Unmoral, Machtgier und Ränkespiel -- die Seelen vergiftete und die Menschen Gott vergessen ließ. Deshalb wollte er sein Leben nicht mit der Zukunft Ägyptens verbinden, sondern mit der Zukunft des von Gott erwählten Volkes. Anstatt vergängliche Gesetze für Ägypten zu erlassen, wurde er für die ganze Welt zum Verkünder der ewigen Gesetze Gottes. In seinem Auftrag gab er Grundsätze weiter, die gleichermaßen ein Schutz sind für die Familie und für die Gesellschaft; Ordnungen, von denen das Wohlergehen der Menschheit abhängt, und die deshalb bis heute das Fundament bilden, auf dem das Zusammenleben von Menschen und Völkern überhaupt erst möglich ist.

Von der einstigen Macht und Größe Ägyptens zeugen nur noch Ruinenfelder und ein paar Kulturdenkmäler. Die Grundpfeiler der Gerechtigkeit, die Mose aufrichten durfte, stehen noch heute und werden auch in Zukunft gültig bleiben. Im Hebräerbrief heißt es: "Mose vertraute Gott [...] Er wußte, wie reich Gott ihn belohnen würde."1 Er wanderte mit Christus durch die Wüste, war mit ihm auf dem Verklärungsberg und lebt nun mit Christus in der himmlischen Welt. Er führte auf Erden ein gesegnetes und segensreiches Leben, und im Himmel erhält er dafür die Ehre.

Paulus bekannte am Ende seines entbehrungsreichen und ständig bedrohten Lebens: "Aber dies alles, was mir früher als großer Vorzug erschien, habe ich durch Christus als Nachteil und Schaden erkannt. Ich betrachte überhaupt alles andere als Verlust im Vergleich mit dem überwältigenden Gewinn, daß ich Jesus Christus meinen Herrn kenne. Durch ihn hat für mich alles andere seinen Wert verloren, ja ich halte es für bloßen Dreck. Nur noch Christus besitzt für mich einen Wert."2 Und wer wissen möchte, woher der Apostel die Kraft zu einem solchen Leben nahm, dem ruft er zu: "Allem bin ich gewachsen, weil Christus mich stark macht." und: "Kann uns dann noch etwas von Christus und seiner Liebe trennen? Etwa Leiden, Not, Verfolgung, Hunger, Entbehrungen, Gefahr, oder Tod? [...] Nein, mitten in all dem triumphieren wir mit Hilfe dessen, der uns seine Liebe erwiesen hat. Ich bin gewiß, daß uns nichts von dieser Liebe trennen kann: weder Tod noch Leben, weder Engel, noch andere Mächte, weder etwas im Himmel noch etwas in der Hölle. Durch Jesus Christus, unseren Herrn, hat Gott uns seine Liebe geschenkt. Darum gibt es in der ganzen Welt nichts, was uns jemals von Gottes Liebe trennen kann."1

Und auch für Paulus gab es eine Freude und Belohnung, die ihn alle Mühe vergessen ließ. Es waren die gleiche Freude und der gleiche "Lohn", für die Christus die Schande des Kreuzes auf sich nahm: die Frucht seiner Arbeit. Den Christen in Thessalonich schrieb Paulus: "Ihr gehört doch zu denen, die unsere Hoffnung und unsere Freude sind. Ihr seid unser Siegespreis, auf den wir stolz sein können, wenn Jesus, unser Herr, kommt. Ja, ihr seid unsere Ehre und unsere Freude!"2

Einiges von der Frucht seiner Arbeit durfte der Apostel schon zu seinen Lebzeiten sehen, aber welche Auswirkungen sein Lebenswerk für das Christentum und die Geschichte dieser Welt wirklich hat, kann niemand ermessen. Fest steht nur, daß durch die von Paulus und anderen Glaubenszeugen verkündigte Christusbotschaft ein Strom des Segens in die Welt geflossen ist, daß Leid gelindert und Trost gespendet, dem Bösen gewehrt und dem Gutem der Weg bereitet wurde -- und daß Menschen durch den Glauben an Christus wieder Boden unter die Füße bekamen und neue Hoffnung schöpften. Wie glücklich kann sich jeder schätzen, der in ähnlicher Weise wie Paulus und viele andere Werkzeug Gottes sein darf, auch wenn er erst in der Ewigkeit erfahren wird, wieviel Frucht aus seiner Arbeit wirklich gewachsen ist.

Der größte aller Lehrer "Noch nie hat ein Mensch so geredet wie dieser Mann!" Johannes 7,46.