Erziehung

Kapitel 11

Lehren aus dem täglichen Leben

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"Du kannst die Tiere und die Vögel fragen, du würdest einiges von ihnen lernen. Die Erde sagt es dir, wenn du sie fragst, die Fische wüßten vieles zu erzählen." Hiob 12,7.8 (GN).

Wenn Christus lehrte oder predigte, bezog er sich häufig auf Vorkommnisse des täglichen Lebens oder auf Vorgänge in der Natur, also auf Dinge, die den Zuhörern geläufig waren. Damit weckte er ihr Interesse und bereitete sie auf die geistlichen Lehren vor, die er ihnen vermitteln wollte. Diese Art der Verkündigung zeigt, wie stark er selbst mit der Natur und dem täglichen Leben der Menschen um ihn herum vertraut war.

Es gab kaum etwas in der Natur, was ihm nicht als Anknüpfungspunkt für eine geistliche Wahrheit diente. Seien es die Vögel am Himmel, die Lilien auf dem Feld, die Saat auf dem Acker, der Hirte mit seinen Schafen und vieles andere mehr. Häufig benutzte er Vergleiche aus dem täglichen Leben und dem Erfahrungsbereich des einfachen Volkes. In seinen Gleichnissen ging es beispielsweise um Sauerteig, verborgene Schätze, verlorenes Geld, kostbare Perlen, Fischernetze oder sturmgeschüttelte Häuser.

Weil sich Jesu Zuhörer in seiner Verkündigung wiederfanden und spürten, daß er ihren Alltag ernst nahm, waren sie auch bereit, über die geistlichen Lehren nachzudenken. Und noch etwas: Durch die Verknüpfung des Alltagsgeschehens mit einer geistlichen Botschaft wurden die Menschen im täglichen Leben immer wieder neu an Jesu Botschaft erinnert.

Das ist eine Methode, die sich auch in der Kindererziehung bewährt hat. Lehrt eure Kinder an Beispielen aus der Natur, Gottes Weisheit und Liebe zu erkennen. Wenn zum Beispiel Gott in Verbindung gebracht werden kann mit Vögeln, Blumen oder Bäumen, gibt es im täglichen Leben unzählige Situationen, die ihn ganz selbstverständlich ins Blickfeld der Kinder rücken. Ganz abgesehen davon, daß Ungegenständliches um so besser verstanden wird, je anschaulicher es dargestellt wird.

Wenn Kinder an Beispielen sehen, daß in der Natur alles geordnet und nach bestimmten Regeln abläuft, werden sie leichter begreifen, daß Gottes Wille und seine Gebote auch für ihr Leben von Bedeutung sind.

Das Gesetz des Dienens

Im Himmel und auf Erden scheint eine der wichtigsten Gesetzmäßigkeiten die des Dienens zu sein. Das läßt sich an vielen Beispielen festmachen.

Gott dient seinen Geschöpfen, indem er fortlaufend dafür sorgt, daß ihre Bedürfnisse gestillt werden. Christus sagte von sich: "Ich aber bin unter euch wie ein Diener."1 Von den Engeln heißt es im Hebräerbrief: Sie "... sind nur Wesen, die Gott dienen. Er sendet sie aus, damit sie allen helfen, denen er Rettung und Erlösung schenken will."2 Auch in der Natur ist das Prinzip des Dienens zu erkennen. Die Vögel unter dem Himmel, die Tiere auf den Feldern, die Bäume im Wald, die Blätter, das Gras und die Blumen, die Sonne und die Sterne am Firmament -- alle sind nicht nur um ihrer selbst willen da, sondern haben ihre Aufgabe. Der See und das Meer, der Fluß und die Quelle -- sie alle nehmen voneinander, um zu geben.

Indem jeder Teil der Natur dem Ganzen dient, sichert er zugleich das eigene Leben. Kein Wunder, daß sich dieses Prinzip des Gebens und Nehmens auch in der Heiligen Schrift wiederfindet. Dort heißt es beispielsweise: "Gebt, was ihr habt, dann wird Gott euch so reich beschenken, daß ihr gar nicht alles aufnehmen könnt."3 Wenn sich Hügel und Täler für den Fluß öffnen, erhalten sie das, was sie geben, hundertfach zurück. Auf seinem Weg zum Meer spendet der Strom das lebensnotwendige Wasser und läßt an seinen Ufern blühende Landschaften entstehen. Selbst wenn die Sommerhitze Felder und Wiesen braun werden läßt, bleiben die Flußufer frisch und grün. Dort zeugt scheinbar jeder Baum und jede Blüte davon, daß die belohnt werden, die weitergeben, was sie selbst empfangen haben.

Im Glauben säen

Jesus hat sich in mehreren Gleichnissen mit dem Säen, Wachsen und Reifen befaßt und darin Wahrheiten dargestellt, die weit über die Geschehnisse in der Natur hinausweisen. Eins der schönsten Beispiele ist das vom Wachsen der Saat.

"Dann sagte Jesus: ‚Mit der neuen Welt Gottes ist es wie mit der Saat und dem Bauern: Hat der Bauer gesät, so geht er nach Hause, legt sich nachts schlafen, steht morgens wieder auf -- und das viele Tage lang. Inzwischen geht die Saat auf und wächst; wie, das versteht der Bauer selber nicht. Ganz von selbst läßt der Boden die Pflanzen wachsen und Frucht bringen. Zuerst kommen die Halme, dann bilden sich die Ähren, und schließlich füllen sie sich mit Körnern. Sobald das Korn reif ist, fängt der Bauer an zu mähen; dann ist Erntezeit.'"1

Jedem Samenkorn ist von Natur aus die Fähigkeit des Keimens und Wachsens mitgegeben, doch die würde ihm nicht viel nützen, wenn es sich selbst überlassen bliebe. Wenn aus dem Saatgut Frucht werden soll, muß der Mensch seinen Teil beitragen. Allerdings kann auch er nur Hilfsarbeiten verrichten, indem er sät und allenfalls die wachsende Saat pflegt. Der eigentliche Vorgang des Wachsens und Reifens vollzieht sich ohne sein Zutun. Da muß sich der Mensch bis heute auf die geheimnisvolle Schöpferkraft verlassen, die das Samenkorn zur Frucht werden läßt.

Für manche Vorgänge des Wachstumsprozesses gibt es einleuchtende Erklärungen: Der Boden enthält die nötigen Nährstoffe; Tau und Regen sorgen für die erforderliche Feuchtigkeit; das Sonnenlicht spendet Wärme und Energie. Aber die eigentliche Lebenskraft, die in jedem Samenkorn steckt, ist nach wie vor ein Geheimnis -- Gottes Geheimnis! Deshalb kann mit Fug und Recht gesagt werden, daß sich jede Pflanze durch die Kraft Gottes entwickelt.

Wie in der Natur, so ist es auch im übertragenen Sinn mit dem geistlichen Samen, der in die Welt ausgestreut wird. Auch er lebt von der Kraft, die Gott selbst in ihn hineingelegt hat. Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: "Das Gleichnis ist so zu verstehen: Der Samen ist die Botschaft Gottes."1 Und an anderer Stelle: "Denn wie aus dem Boden die Saat keimt und wächst, so läßt der Herr unser Glück wachsen."2

Im Grunde ist jede Aussaat ein Akt des Glaubens. Der Bauer wirft die Saat aufs Land und hofft auf eine gute Ernte, ohne den eigentlichen Wachstumsprozeß ergründen und entscheidend beeinflussen zu können. Auf dem Feld der Erziehung ist es nicht anders. Auch Eltern und Lehrer streuen Samen aus -- geistigen, ethischen und geistlichen Samen -- und hoffen, daß der Samen Frucht trägt.

Manchmal sieht es lange Zeit so aus, als läge dieser gute Same im Herzen eines Menschen, ohne je zu keimen und Wurzel zu schlagen. Doch dann berührt Gottes Geist die Seele und erweckt das scheinbar tote Samenkorn zum Leben. Es geht auf, schlägt Wurzeln, wächst und bringt Frucht. Niemand von uns weiß, wieviel von dem guten Samen aufgeht, den wir im Laufe unseres Lebens in die Welt oder in das Herz anderer Menschen gestreut haben. Deshalb sollten wir uns an den Rat der Bibel halten: "Arbeite am Morgen oder am Abend, ganz wie du willst; denn du kannst nicht voraussehen, welches von beiden Erfolg bringt -- vielleicht sogar beides."3

Auf eins kann sich der Säende jedenfalls verlassen, ob er seinen Samen nun auf den Acker oder in das Herz von Menschen ausstreut: "Solange die Erde besteht, folgen im steten Wechsel Aussaat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Diese Ordnung ist unumstößlich."1 Der Bauer pflügt das Land und sät im Vertrauen auf diese göttliche Zusage den Samen.

Im Blick auf die geistliche Aussaat können wir uns wie er darauf verlassen, daß Gott seine Verheißung auch im übertragenen Sinne erfüllt. Der Herr läßt uns sagen: "Genauso ist es mit dem Wort, das ich spreche. Es kehrt nicht erfolglos zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und führt aus, was ich ihm auftrage."2 Und: "Weinend gehen sie hinaus und streuen die Saat, jubelnd kommen sie heim und tragen ihre Garben."3

Wenn wir die Wachstumsvorgänge in der Natur auf das Leben des Menschen anwenden wollten, hieße das: Dem Keimen der Saat entspräche das Aufkeimen geistlichen Lebens -- das Wachsen und Reifen der Pflanze wäre ein Bild für die charakterliche und geistliche Entwicklung des Menschen. Es gibt kein Leben ohne Wachstum. Wenn ein Samenkorn keimt und Wurzeln geschlagen hat, bleiben ihm zwei Möglichkeiten: entweder wächst das Pflänzchen oder es geht ein. Das Wachstum vollzieht sich fortschreitend über verschiedene Entwicklungsstufen. Im Leben des Menschen ist es ähnlich. Wenn alles normal verläuft, wächst er stetig dem Ziel charakterlicher und geistlicher Reife entgegen.

Dieses Wachstum vollzieht sich in verschiedenen Phasen und bewirkt, daß der Mensch zu der Reife gelangt, die der jeweiligen Entwicklungsstufe entspricht -- auch wenn das eigentliche Ziel noch nicht erreicht ist. Dieses Wachstum ist allerdings nur möglich, wenn sich der Mensch dem Wirken Gottes voll und ganz öffnet. Wie die Pflanze im Boden Wurzeln schlägt, so sollen auch wir in Christus verwurzelt sein. Wie die Pflanze zum Gedeihen Sonnenschein, Tau und Regen braucht, so benötigen wir den Heiligen Geist.

Wenn wir Christus unser Herz öffnen, wird er zu uns kommen, "wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet." Er wird über uns aufgehen, wie "die Sonne der Gerechtigkeit", mit "Heil unter ihren Flügeln". Wir werden "blühen wie eine Rose" und vom "Korn" werden wir uns "ernähren" und "blühen wie ein Weinstock."1

Beim Getreide wachsen "zuerst die Halme, dann bilden sich die Ähren, und schließlich füllen sie sich mit Körnern."2 Kein Bauer sät nur um des Säens willen, und er pflegt die Kulturen auch nicht aus reiner Freude an der Arbeit.

Wer sät und pflegt, will Frucht: das heißt Korn, das den Hunger stillt und im nächsten Jahr als Aussaat für eine neue Ernte dienen kann. Auch Gott, der in unserem Leben Wachstum und Gedeihen schenkt, erwartet eine Ernte. Er möchte in den Herzen seiner Nachfolger wiedergeboren werden, damit andere durch sie erkennen können, wie Gott wirklich ist.

Die verschiedenen Wachstumsphasen der Pflanzen lassen sich auch auf die Kindererziehung übertragen. Aus dem zarten Grün entwickelt sich der Halm, dann die Ähre mit den Körnern.

Natürlich heranwachsen

Im Prinzip wächst ein Mensch nach den gleichen Prinzipien heran, die der Schöpfer auch in jedes Samenkorn hineingelegt hat. Das war im Leben Jesu nicht anders als es bei jedem von uns auch ist.

Gottes Sohn trat nicht als erwachsener Mann in unsere irdische Welt ein, sondern wurde wie jeder andere Erdenbürger als Säugling geboren. Er sah nicht nur so aus, sondern war es auch. Und zwar mit allen Konsequenzen: der völligen Abhängigkeit von seiner Mutter und dem Angewiesensein auf die Familie. Als Kind lernte, redete und handelte er wie ein Kind, liebte und achtete seine Eltern und fügte sich in seine irdische Familie ein. Aber dabei blieb es nicht.

Das Kind Jesus wuchs über die verschiedenen Phasen des Menschseins bis zu der Reife heran, die nötig war, damit er seinen Erlösungsauftrag erfüllen konnte. Der biblische Bericht faßt diesen Werdegang in wenigen Sätzen zusammen: "Das Kind wuchs heran, erfüllt mit göttlicher Weisheit. Alle konnten sehen, daß Gottes Segen auf ihm ruhte ... Sein Wissen und sein Verständnis nahmen zu. Die Menschen liebten ihn und erkannten: Gott hat etwas Besonderes mit ihm vor."1

Aufgabe der Eltern und Erzieher ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß sich die Kinder ungehindert entwickeln und ihre Fähigkeiten sich der jeweiligen Phase entsprechend entfalten können. Die Kleinen sollen so einfach und natürlich wie möglich erzogen werden. Sie sollten an Freuden und Erlebnisse herangeführt werden, die ihrem Alter gemäß sind, zugleich aber auch Pflichten und Aufgaben übernehmen, die ihren Möglichkeiten entsprechen.

Die Kinderzeit läßt sich mit dem aufsprießenden Grün der Getreidepflanze vergleichen, das seine eigene Schönheit hat, obwohl es noch lange dauert, bis es zur Frucht herangereift ist. Kindern sollte man so lange wie möglich die Natürlichkeit und Unbefangenheit ihrer frühen Jahre erhalten. Je ruhiger und naturnaher ihr Leben verläuft, je weniger sie künstlichem Nervenkitzel ausgesetzt sind, desto mehr körperliche und seelische Stabilität sowie geistliche Kraft werden sie entwickeln. Sind Kinder zu früh zum Erwachsenwerden gezwungen, wirkt sich das höchst nachteilig auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung aus.

Das Wunder der Vermehrung

Eines Tages machte Jesus mehr als fünftausend Zuhörer mit nur fünf Brotfladen und zwei Fischen satt.2 Für uns unbegreiflich, aber dennoch nur ein Wunder, das in geballter Form das zeigte, was in der Natur täglich geschieht. Daß sich ein einzelnes Samenkorn bis zur Ernte vervielfacht, ist kein geringeres Wunder als die erstaunliche Brotvermehrung. Beides zeugt von der schöpferischen Energie, die ständig zu unserem Wohl wirkt.

Ist das etwa kein Wunder, wenn aus der Erde Tag für Tag Nahrung für Abermillionen Menschen hervorwächst? Wir nehmen es nur nicht mehr wahr, weil wir uns einbilden, das alles sei unser Verdienst und Folge unserer fleißigen Arbeit. Oft verleitet uns das sogar dazu, Gottes gute Gaben leichtfertig zu mißbrauchen, so daß sie uns zum Fluch werden, anstatt Segen zu wirken. Gott möchte uns wieder das Auge dafür öffnen, daß wir all die Segnungen der Natur seiner Güte zu verdanken haben. Sein schöpferisches Wort macht den Samen lebendig und läßt ihn zur Frucht heranreifen. Indem wir davon essen, geht die lebenspendende Kraft Gottes auch auf uns über.

Ursache und Wirkung

Eins der offensichtlichsten Naturgesetze ist das von Ursache und Wirkung. Wo kein Korn gesät wird, kann auch kein Getreide wachsen. Oder anders herum: Wogende Getreidefelder sind ein Beweis dafür, daß Monate zuvor gesät worden ist. Wer ernten will, muß wirklich säen, denn hier genügt es nicht, nur so zu tun als ob.

Menschen mag man mitunter hinters Licht führen und Lob einheimsen für Leistungen, die man gar nicht erbracht hat. In der Natur sind solche Täuschungen nicht möglich. Spätestens zur Zeit der Ernte zeigt sich, ob der Bauer faul war oder fleißig. Und das trifft nicht nur auf die natürlichen Vorgänge in dieser Welt zu, sondern in übertragenem Sinne auch auf jeden anderen menschlichen Bereich -- einschließlich des geistlichen Lebens. Trägheit, Eigennutz und Unrecht führen nur scheinbar zum Erfolg und zahlen sich letztlich nicht aus.

Mag sein, daß sich jemand etwas davon verspricht, wenn er die Schule schwänzt, sein Studium vernachlässigt, Pfuscharbeit leistet, dem Arbeitgeber die Zeit stiehlt oder fragwürdige Geschäfte macht. Solange das nicht ans Tageslicht kommt, mag es ja so aussehen, als brächte es ihm Vorteile, aber in Wirklichkeit betrügt er sich selbst. Wie alle anderen Verhaltensweisen, so prägen auch solche den Charakter des Menschen. Man könnte geradezu sagen, daß der Charakter die Ernte des Lebens ist. Und von der Beschaffenheit unseres Charakters hängt unser irdisches und ewiges Leben ab.

Ernte ist immer das Vielfache von dem, was gesät wurde, und jede Saat bringt Frucht nach ihrer Art. Wer Selbstsucht, Eigenliebe, Überheblichkeit und Genußsucht sät und pflegt, schafft damit die Voraussetzungen für eine Ernte, die ihm ganz und gar nicht gefallen wird. Liebe, Mitgefühl und Freundlichkeit dagegen tragen Früchte des Segens, sozusagen eine Ernte, die unvergänglich ist.

Der Apostel Paulus sagt: "Wer sich von seiner Selbstsucht leiten läßt, wird den Tod ernten. Wer sich vom Geist Gottes leiten läßt, wird unvergängliches Leben ernten."1

Ein in den Acker gelegtes Weizenkorn vermehrt sich zu vielen Körnern. Und wenn auch die wieder ausgesät werden, vervielfacht sich die Ernte, so daß aus einem einzigen Korn am Ende ein wogendes Weizenfeld entsteht. Dieses Prinzip gilt auch im übertragenen Sinn. Der Einfluß, den ein einzelner Mensch ausübt, oder der von einer einzigen Tat ausgeht, kann unübersehbare Folgen haben -- sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht.

Niemand kann sagen, für wie viele Taten der Liebe das zerbrochene Gefäß mit dem kostbaren Salböl zum Anlaß geworden ist.2 Wie viele Gaben für Gottes Sache wurden wohl gegeben, weil sich Menschen an dem Vorbild der armen Witwe orientierten, die ihre letzten beiden Geldstücke in den Opferkasten warf!3

Wie die Saat, so die Ernte

Wenn Jesus gleichnishaft von Saat und Ernte sprach, dann häufig in dem Sinne, daß er uns Freigebigkeit und Großzügigkeit lehren wollte. Ähnlich hat sich auch Paulus geäußert: "Denkt daran: Wer spärlich sät, wird nur wenig ernten. Aber wer mit vollen Händen sät, auf den wartet eine reiche Ernte."4

Auch im Alten Testament gibt es eine Reihe von Texten, die in diese Richtung weisen. Beispielsweise erinnerte der Prophet Jesaja sein Volk daran: "Wohl euch, die ihr säen könnt an allen Wassern ..."5 Im übertragenen Sinne würde "an allen Wassern säen" bedeuten, dort zu handeln oder zu geben, wo es nötig und möglich ist, ohne dadurch selbst arm zu werden. Im Gegenteil, wer freizügig gibt, empfängt selbst letztlich mehr als er weggibt. Wer Samen ausstreut, vermehrt ihn -- sowohl im natürlichen wie im geistlichen Bereich.

Wenn Menschen Liebe und Mitgefühl erfahren oder praktische Hilfe erleben, weckt das nicht nur Dankbarkeit, sondern hat auch schon so manches Herz für geistliche Wahrheiten geöffnet. Da wächst dann eine Ernte, die Frucht für die Ewigkeit bringt.

Leben aus dem Tod

Um seinen Jüngern klar zu machen, welche Bedeutung sein Leiden und Sterben für sie und die Menschheit haben würde, bediente sich Jesus eines Vergleichs aus der Natur. Er sagte zu ihnen:

"Die Stunde ist gekommen. Jetzt soll der Menschensohn verherrlicht werden. Hört mir genau zu: Ein Weizenkorn, das nicht in den Boden kommt und stirbt, kann keine Frucht bringen, sondern bleibt ein einzelnes Korn. In der Erde aber keimt es und bringt viel Frucht, obwohl es selbst dabei stirbt."1 So gesehen kann das Sterben und Auferstehen in der Natur auch zum Sinnbild für das Leben des Menschen und seinen Dienst für Gottes Reich werden.

Wer für Christus geistliche Frucht bringen will, muß zuvor in gewissem Sinne sterben. Das heißt zum Beispiel, Ehrgeiz, Eigenliebe oder Selbstsucht in den Tod zu schicken, damit Demut, Mitgefühl und Selbstverleugnung wachsen können. Dabei zeigt es sich, daß das Gesetz der Selbsthingabe zugleich ein Gesetz der Selbsterhaltung ist. Indem der Bauer das Weizenkorn in den Acker wirft, erhält er es in Form der reifen Ähre am Leben. In diesem Sinne sagte Jesus: "Wer sein Leben über alles liebt, der wird es verlieren. Wer aber bereit ist, sein Leben vorbehaltlos für Gott einzusetzen, wird es für alle Ewigkeit erhalten."2

Darüber hinaus ist die Gesetzmäßigkeit des Vergehens und Neuwerdens in der Natur auch ein Hinweis auf die Auferstehung. Rein menschlich gesehen gibt es aus dem Tod keine Wiederkehr. Wer stirbt, wird wieder zu dem, was er ursprünglich einmal war: tote Materie. Aus und vorbei! Das jedenfalls ist die Erfahrung über unzählige Generationen hinweg. Und doch heißt es im Neuen Testament: "Genauso könnt ihr euch die Auferstehung der Toten vorstellen. Unser irdischer Leib ist wie ein Samenkorn, das einmal vergeht. Wenn er aber auferstehen wird, ist er unvergänglich. Was begraben wird, ist unansehnlich und schwach, was aufersteht, läßt Gottes Herrlichkeit und Kraft erkennen. Begraben wird ein irdischer Leib; aber auferstehen werden wir mit einem Leib, der von göttlichem Leben erfüllt ist."1

Hier bieten sich für Eltern und Lehrer großartige Möglichkeiten, geistliche Lehren und Sachverhalte an praktischen Beispielen zu veranschaulichen. Laßt die Kinder ein Stück Land für die Saat vorbereiten, selbst Samenkörner in die Erde legen und das Wachsen beobachten. Erklärt ihnen das natürliche Zusammenspiel von Saat und Ernte. Und dabei könnt ihr ihnen erzählen, daß unser Herz einem Garten ähnelt, in den Samenkörner gestreut werden, aus denen Gutes wachsen kann, aber auch Böses. Wenn sie den Samen in den Boden legen, kann man mit den Kindern über Jesu Tod reden, und wenn die Saat aufgeht, über das Wunder der Auferstehung. Sie sollten auch erfahren, daß sich die Prinzipien des natürlichen und geistlichen Wachstums ähneln.

Vom Bestellen des Ackers lassen sich übrigens noch eine ganze Reihe anderer geistlicher Wahrheiten ableiten. Niemand wird von einem Stück Brachland Frucht erwarten. Wer ernten will, muß vorher den Boden bearbeiten, Samen säen und später die Pflanzen pflegen. Auch geistliches Wachstum geschieht nicht von selbst. Zunächst muß der Boden aufgebrochen werden -- das geschieht durch Reue und Bekehrung. Unkraut und Gestrüpp -- das heißt: die bösen Neigungen des Herzens --, die den zarten Trieben Licht und Nahrung wegnehmen, müssen gejätet werden. Das alles verlangt fleißige Arbeit, Umsicht und Ausdauer.

Ackerbau und Gartenarbeit lehren uns, die Naturgesetze zu erkennen und richtig anzuwenden. Jede Pflanze hat spezielle Bedürfnisse, die es zu beachten gilt. Manche Pflanzenarten wachsen gut in sandigem Boden, andere brauchen schwere, lehmhaltige Erde. Auch die Pflege ist nicht für alle Gewächse gleich, sondern muß den spezifischen Bedürfnissen angepaßt sein. Müssen junge Pflanzen umgesetzt werden, dürfen ihre Wurzeln nicht beschädigt werden. Manche brauchen viel Sonne, andere gedeihen besser im Halbschatten. Wichtig ist auch, sie vor Nachtfrost und Schädlingen zu schützen. Es gibt Arten, die sich von selbst ausbreiten, andere brauchen Stützvorrichtungen und Wachstumshilfen. Nur wer das alles berücksichtigt, kann mit einer guten Ernte rechnen.

Dieser praktische Umgang mit der Natur und die Arbeit, die damit verbunden ist, sind für die Charakterbildung wichtig -- ganz abgesehen davon, daß sich viele dieser Prinzipien auch auf die seelische, geistige und geistliche Entwicklung des Menschen übertragen lassen. Die Erziehung zu Sorgfalt, Geduld, Beachtung von Kleinigkeiten und Gehorsam ist außerordentlich wichtig. Die ständige Berührung mit den Geheimnissen des Lebens und der Schönheit der Natur sowie die Sorgfalt, die der Umgang mit Gottes Schöpfung erfordert, hilft dem Menschen, Tugenden wie Fürsorge, Geduld, Pflichtgefühl, Ausdauer und manches andere zu entwickeln. Das trägt nicht nur zur eigenen Charakterbildung bei, sondern hilft auch, ein gutes Verhältnis zu anderen Menschen auszubauen.