Erziehung

Kapitel 17

Dichtkunst und Gesang

[AUDIO]

"Singt und musiziert zu seiner Ehre, macht alle seine Wunder bekannt!" 1.Chronik 16,9.

Die biblische Poesie gehört zu den ältesten und bedeutendsten Dichtungen der Weltgeschichte. Das läßt sich am besten an konkreten Beispielen zeigen; etwa am Buch Hiob.1

"Wo warst du, als ich die Fundamente der Erde legte? Sage es doch, wenn du so viel weißt! ... Wer schloß die Schleusentore, um das Meer zurückzuhalten, als es hervorbrach aus dem Mutterschoß der Erde? Ich hüllte es in Wolken und in dichtes Dunkel wie in Windeln; ich setzte dem Meer eine Grenze, schloß seine Tore und Riegel und sprach: ‚Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter! Hier müssen sich deine mächtigen Wogen legen!' Sag, hast du je das Tageslicht herbeigerufen und der Morgenröte ihren Weg gewiesen? ... Bist du hinab zu den Quellen des Meeres gereist, hast du den Abgrund des Ozeans durchwandert? Haben sich dir die Tore des Todes geöffnet, die den Eingang ins dunkle Land verschließen? Hast du die Weiten der Erde überblickt? Sag es mir, wenn du das alles weißt! Woher kommt das Licht, und wie gelangt es dorthin? Woher kommt die Finsternis? Kannst du Licht und Dunkelheit an ihre Orte bringen, kennst du den Weg zu ihrem Land? Hast du die Vorratskammern gesehen, in denen ich Schnee und Hagel aufbewahre? ... Weißt du, wo das Licht herkommt und wo der Ostwind loszieht? Wie gelangt man dorthin? Wer schafft den Regenfluten eine Bahn, wer ebnet Blitz und Donner den Weg, damit Gewitterregen niedergehn auf unbewohntes Land, über unwegsamen Wüsten, damit die ausgedörrte Steppe durchtränkt wird und frisches Gras aus dem Boden sprießt? ... Knüpfst du die Bänder des Siebengestirns, kannst du den Gürtel des Orion öffnen? Läßt du die Sternbilder erscheinen, je nach Jahreszeit, bringst du den großen und den kleinen Wagen herauf? Hast du die Gesetze des Himmels entdeckt, und kannst du sie auf die Erde übertragen?"1

Wunderschön nach Form2 und Inhalt auch die Beschreibung des Frühlings im Hohenlied.

"Der Winter ist vorbei mit seinem Regen. Es grünt und blüht, soweit das Auge reicht. Im ganzen Land hört man die Vögel singen; nun ist die Zeit der Lieder wieder da! Sieh doch, die ersten Feigen werden reif; die Reben blühn, verströmen ihren Duft. Mach schnell mein Liebes! Komm heraus, geh mit!"3

Nicht weniger schön sind Bileams unfreiwillige Segenssprüche über Israel. Auch sie sind ein Stück hebräische Dichtkunst.

"Vom Osten her, vom Aramäerland und seinen Bergen, rief mich König Balak, und er befahl: ‚Du sollst das Jakobsvolk mit einem schweren Fluch belegen! Verwünschen sollst du dieses Israel!' Wie kann ich dieses Volk verwünschen, wenn Gott, der Herr, es nicht verwünschen will? Wie soll ich es verfluchen können, solange er nicht selbst den Fluch ausspricht? Hier von der Höhe aus kann ich sie sehen, von diesem Felsengipfel aus erkenne ich: Sie sind ein Volk von ganz besondrer Art, das sich mit anderen Völkern nicht vermischt ... ‚Hör mir gut zu jetzt, Balak, Zippors Sohn! Du darfst nicht meinen, Gott sei wie ein Mensch! Er lügt nicht, und er ändert niemals seinen Sinn. Denn alles, was er sagt, das tut er auch. Verspricht er etwas, hält er es gewiß. Er gab mir Weisung, dieses Volk zu segnen; und wenn er segnen will, kann ichs nicht ändern. Es bleibt dabei: Kein Unglück wird sie treffen, kein Unheil wird in Israel zu sehen sein. Der Herr steht ihnen bei, er ist ihr Gott; er ist ihr König, dem ihr Jubel gilt.' ... Mit Zauberei und mit Beschwörungsformeln ist gegen dieses Volk nichts auszurichten. Darum zeigt man auf Israel und sagt: ‚Sieh doch, was Gott für sie getan hat!'"1

"Ich höre, was der Herr verkündet. Ich sehe, was der Mächtige mir zeigt. Ich liege da -- die Augen sind geschlossen --, ich schaue, was Gott vorgezeichnet hat: Wie schön sind deine Zelte, Israel! Wie blühend sehen deine Dörfer aus! In allen Tälern dehnen sie sich weit, wie frisches Grün, wie Gärten an den Bächen, wie starke Bäume, die der Herr gepflanzt hat, wie Zedern an den Wasserläufen."1

"Ich höre, was der Herr verkündet. Ich sehe, was der Mächtige mir zeigt. Ich liege da -- die Augen sind geschlossen --, ich schaue, was Gott vorgezeichnet hat: Ich sehe einen, noch ist er nicht da; ganz fern erblick ich ihn, er kommt bestimmt! Ein Stern geht auf im Volk der Jakobssöhne, ein König steigt empor in Israel ... Der König, der von Jakob abstammt, wird über alle seine Feinde siegen."2

Die himmlische Welt ist geprägt von Lob, Dank und Anbetung. Und wenn die Erde mit dem Himmel in Berührung kommt, äußert sich das häufig so, wie es der Prophet Jesaja beschreibt: "Freudenschreie und lauten Jubel wird man dort hören und Lieder, mit denen die Menschen mir danken."3 Als die Erde schön und makellos aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen war, "sangen alle Morgensterne, und die Engel jubelten vor Freude".4

Ähnlich haben auch später Menschen im Einklang mit der himmlischen Welt Gottes Güte in Lobliedern und mit Musik gepriesen. Viele große Ereignisse in der Geschichte der Menschheit sind mit Liedern und Gesängen verknüpft, die bis heute nachklingen. Das erste in der Heiligen Schrift überlieferte geistliche Lied war jener triumphale Lobgesang der Israeliten am Roten Meer:

"Mit meinem Lied will ich den Herrn besingen, der seine große Macht erwiesen und Roß und Mann ins Meer geworfen hat! Mit meinem Lied will ich ihn preisen, ihn, meinen Herrn, der mir zu Hilfe kam! Mein Gott ist er, ich rühme seine Macht; ich preise ihn, den schon mein Vater ehrte ... Herr, deine Hand erringt den Sieg, sie ist voll von ungeheurer Macht, und sie zerschmettert jeden Feind ... Wer von den Göttern kann sich dir vergleichen? Wer ist so heilig, Herr, und so gewaltig? Wer sonst weckt Furcht und Staunen durch sein Tun? ... Herr, du bist König, jetzt und allezeit! ... Singt, singt dem Herrn, der seine große Macht erwiesen und Roß und Mann ins Meer geworfen hat!"1

Viele segensreiche Erfahrungen, die Israel in der Zeit der Wüstenwanderung mit Gott gemacht hatte, mündeten ein in Lobpreis und Gesang. Eines Tages "zogen die Israeliten zum Beerbrunnen. Hier sprach der Herr zu Mose: ‚Ruf das Volk zusammen! Ich will euch Wasser geben.' Damals entstand dieses Lied:

‚Brunnen, fülle dich mit Wasser! Dich besingen wir. Fürsten haben dich gegraben, Herrscher haben hier mit dem Zepter in der Hand dich gebohrt durch Stein und Sand.'"2

Wie oft hat sich diese Erfahrung auch später in übertragenem Sinne auf geistlicher Ebene im Leben von Menschen wiederholt! Da wurde die Seele durch ein Lied oder Gedicht berührt, und wie aus einer Quelle stieg das belebende Wasser der Reue und des Glaubens auf -- Hoffnung, Liebe und Freude auslösend.

Mit Lobgesängen zog das Heer der Israeliten unter Joschafat aus, um das Volk zu befreien. Dem König war die Nachricht überbracht worden, daß ein feindlicher Überfall drohe: "‚Ein riesiges Heer zieht von der Ostseite des Toten Meeres von Edom her gegen uns heran.' ... Diese Nachricht jagte Joschafat Angst ein. Er wandte sich an den Herrn um Hilfe und rief ganz Juda zum Fasten auf. Aus allen Städten Judas kamen die Menschen nach Jerusalem, um zum Herrn um Hilfe zu beten. Sie versammelten sich im neuen Vorhof beim Tempel des Herrn. Joschafat trat nach vorne und betete: ‚Herr, du Gott unserer Vorfahren! Du bist Gott im Himmel, du bist Herr über alle Könige. In deiner Hand sind Macht und Stärke ... Wir selbst können nichts ausrichten gegen dieses riesige Heer, das gegen uns heranzieht. Wir sehen keinen Ausweg mehr, doch wir vertrauen auf dich!' ... Plötzlich kam der Geist des Herrn über Jahasiël ... [der] rief: Hört, ihr Leute von Juda, ihr Einwohner Jerusalems und du, König Joschafat! So spricht der Herr: ‚Habt keine Angst! Fürchtet euch nicht vor diesem großen Heer! Ich werde gegen sie kämpfen, nicht ihr ... und dann werdet ihr sehen wie ich, der Herr, euch rette.'"1

Früh am nächsten Morgen machte sich das israelitische Heer auf den Weg. Vor den Soldaten marschierten Sänger, die Gott priesen, weil er Israel den Sieg zugesagt hatte. Und Gott kämpfte für sein Volk! Im biblischen Bericht heißt es: "Voller Freude darüber, daß der Herr ihre Feinde besiegt hatte, kehrten die Männer von Juda und Jerusalem mit Joschafat an ihrer Spitze nach Hause zurück. Begleitet von der Musik der Harfen, Lauten und Trompeten zogen sie in Jerusalem ein und gingen zum Tempel des Herrn."2

Besonders im Leben Davids hatten Gesang und Musik große Bedeutung. Es scheint so, als seien sie für ihn ein Teil seiner Verbindung zum Himmel gewesen. Wie unnachahmlich hat er seine Erfahrungen als Hirtenjunge beschrieben:

"Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er weidet mich auf saftigen Wiesen und führt mich zu frischen Quellen. Er gibt mir neue Kraft. Er leitet mich auf sicheren Wegen, weil er der gute Hirte ist. Und geht es auch durch dunkle Täler, fürchte ich mich nicht, denn du, Herr, bist bei mir. Du beschützt mich mit deinem Hirtenstab. Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du begrüßt mich wie der Hausherr seinen Gast und gibst mir mehr als genug. Deine Güte und Liebe werden mich begleiten mein Leben lang; in deinem Haus darf ich für immer bleiben."1

Später, als Saul ihn durchs Land hetzte, und er froh sein mußte, wenn er irgendwo in den Bergen einen Zufluchtsort fand, schrieb David:

"Gott! Du bist mein Gott, dich suche ich! Ich sehne mich nach dir mit Leib und Seele; ich dürste nach dir wie ausgedörrtes, wasserloses Land. Im Heiligtum schaue ich nach dir aus, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen. Deine Liebe bedeutet mir mehr als das Leben, darum will ich dich preisen. Mein Leben lang will ich dir danken und dir meine Hände im Gebet entgegenstrecken. Du machst mich satt und glücklich wie bei einem Festmahl; mit jubelnden Lippen preise ich dich. In nächtlichen Stunden, auf meinem Bett, gehen meine Gedanken zu dir, und betend sinne ich über dich nach."2

"Warum bin ich so verstört? Muß ich denn verzweifeln? Auf Gott will ich hoffen! Ich weiß, ich werde ihn noch einmal preisen, ihn, meinen Gott, der mir hilft."1

"Der Herr ist mein Licht, er befreit mich und hilft mir; darum habe ich keine Angst. Bei ihm bin ich sicher wie in einer Burg; darum zittere ich vor niemand."2

Dasselbe Vertrauen atmen die Worte, die David niederschrieb, als er -- ein der Krone beraubter König -- vor seinem Sohn Absalom aus Jerusalem floh. Von den Strapazen der Flucht erschöpft und vom seelischen Kummer niedergedrückt, ruhte er sich mit seiner Familie und seinen Getreuen für einige Stunden am Jordan aus. Plötzlich wurden sie aufgeschreckt, weil der abtrünnige Sohn mit seinen Kriegern den Flüchtlingen gefährlich nahe gekommen war. In der Dunkelheit mußten Männer, Frauen und Kinder eilig den Fluß überqueren, um sich in Sicherheit zu bringen. Aus dieser schweren Zeit im Leben Davids stammt ein Psalm, der trotz allem Zuversicht verspüren läßt:

"O Herr, überall bedrängen mich Feinde! So viele haben sich gegen mich verschworen. Sie spotten: ‚Der ist erledigt! Selbst Gott kann ihm nicht mehr helfen!' Aber du, Herr, nimmst mich in Schutz. Du stellst meine Ehre wieder her und verhilfst mir zu meinem Recht. Ich schreie zum Herrn: ‚Hilf mir doch!' Er hört mich in seinem Heiligtum und antwortet mir. Darum kann ich beruhigt schlafen, denn ich weiß: Gott beschützt mich ... Ja, der Herr läßt uns niemals im Stich."3

Und auch nach einer seiner schlimmsten Sünden, als er sich selbst verachtete und die Schuld ihn niederdrückte, war es ein Lied, mit dem David sich wieder Gott zuwandte:

"Du großer, barmherziger Gott, sei mir gnädig, hab Erbarmen mit mir! Lösche mein Vergehen aus! Du großer, barmherziger Gott, sei mir gnädig, hab Erbarmen mit mir! Lösche mein Vergehen aus! Meine schwere Schuld -- wasche sie ab, und reinige mich von meiner Sünde!"1

David wußte aus eigener Erfahrung, wie unsicher und gefährdet unser Leben ist -- "vergänglich wie ein Schatten". Dennoch dichtete er:

"Gott ist unsere sichere Zuflucht, ein bewährter Helfer in aller Not. Darum haben wir keine Angst, auch wenn die Erde bebt und die Berge ins Meer versinken, wenn die Fluten toben und tosen und die Berge davon erzittern: Der Herr der Welt ist bei uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz! Frisches Wasser strömt durch die Gottesstadt, in der die heilige Wohnung des Höchsten ist. Gott selbst ist in ihren Mauern, nichts kann sie erschüttern. Er bringt ihr Hilfe, bevor der Morgen graut. Seht doch, so mächtig ist Gott! Er ist unser Gott für alle Zeiten und wird uns immer führen."2

Als Jesus -- seine Gefangennahme und den Tod vor Augen -- mit den Jüngern das letzte Passamahl aß, sang er zum Abschluß gemeinsam mit ihnen Texte aus den Psalmen:

"Dankt dem Herr, denn er ist gut, und seine Gnade hört niemals auf! ... In auswegloser Lage schrie ich zum Herrn: ‚Hilf mir!' Er holte mich aus der Bedrängnis heraus und schenkte mir Freiheit. Der Herr ist auf meiner Seite, und ich brauche mich vor nichts und niemandem zu fürchten. Was kann mir ein Mensch schon antun? ... Ich danke dir, Herr, denn du hast mich erhört! Du selbst hast mich gerettet. Der Stein, den die Bauleute wegwarfen, weil sie ihn für unbrauchbar hielten, ist zum Grundstein des ganzen Hauses geworden! Was keiner für möglich gehalten hat, das tut Gott vor unseren Augen! ... Du bist mein Gott, dir will ich danken. Mein Gott, dich allein will ich ehren! Dankt dem Herrn, denn er ist gut zu uns, und seine Gnade hört niemals auf!"1

Mögen die Schatten der letzten großen Krise dieser Welt auch immer länger und dunkler werden, das wunderbare Licht der Hoffnung und des Vertrauens, das aus den Gesängen der Bibel aufstrahlt, wird niemals verlöschen. Dann wird es heißen:

"Alle, die der Herr befreit hat, kehren jubelnd aus der Gefangenschaft zum Berg Zion zurück. Von Freude ergriffen, jubelnd vor Glück, kommen sie heim. Trauer und Sorge sind für immer vorbei."2

"Sie werden auf den Berg Zion kommen und jubeln vor Freude; dann genießen sie die guten Gaben die ich ihnen schenke ... Mein Volk wird einem gut bewässerten Garten gleichen."1

Die Macht des Gesangs

Die Geschichte des Liedes in der Bibel bietet eine Fülle von Hinweisen auf den Wert und die Bedeutung von Gesang und Musik.

Selbstverständlich kann Musik auch mißbraucht werden, so daß sie sich ins Gegenteil verkehrt und zur Versuchung und Bedrohung wird. Richtig eingesetzt ist sie jedoch eine Gabe Gottes, die sich sehr gut dazu eignet, die Gedanken auf gute, wertvolle Dinge zu lenken und die Seele positiv zu beeinflussen und aufzubauen. Geistliche Texte, die mit einer Melodie verbunden sind, haften viel schneller und länger im Gedächtnis als wenn sie nur gelesen oder gesprochen werden. Lieder können beruhigen, trösten und zum Nachdenken anregen, trübe Gedanken verscheuchen, Hoffnung vermitteln und Mut machen.

Vergeßt nicht, daß Gesang und Musik unverzichtbare Erziehungsmittel sind. Singt in der Familie fröhliche Lieder mit guten Texten, dann wird es weniger Zank und Streit geben, dafür aber mehr Freude, Hoffnung und Frohsinn.

Als Teil des Gottesdienstes ist das Singen ebenso Anbetung wie das Gebet selbst. Viele Lieder sind im Grunde gesungene Gebete. Wenn man den Kindern das bewußt machen kann, werden sie mehr auf den Sinn der Worte achten. Sie sind für den guten Einfluß besonders empfänglich.

Wenn Christus uns einst in die Ewigkeit aufnehmen wird, werden wir beglückt den Dankgesängen der Engelchöre am Thron Gottes lauschen. Diese Gemeinschaft kann und soll schon auf Erden beginnen. Gott möchte nämlich, daß wir schon jetzt und hier in das Gotteslob einstimmen.