Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 4

Die Waldenser

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Selbst inmitten der Finsternis, die sich während der langen päpstlichen Vorherrschaft auf die Erde senkte, konnte das Licht der Wahrheit nicht völlig ausgelöscht werden. Zu jeder Zeit gab es Zeugen für Gott - Menschen, die den Glauben an Christus als den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen bewahrten, die an der Bibel als einziger Richtschnur des Lebens festhielten und die auch den wahren Sabbat beachteten. Wie viel die Welt diesen Menschen verdankt, wird die Nachwelt nie erkennen. Sie wurden als Ketzer gebrandmarkt, ihre Motive verkannt, ihr Charakter verunglimpft, ihre Schriften unterdrückt, missdeutet oder vernichtet. Dennoch blieben sie standhaft und bewahrten die Reinheit ihres Glaubens über Jahrhunderte als heiliges Vermächtnis für kommende Generationen.

Die Gemeinde "In Der Wüste"

Die Geschichte des Volkes Gottes während der finsteren Zeit der päpstlichen Vorherrschaft ist im Himmel aufgezeichnet, in irdischen Akten hingegen fanden sie nur wenig Platz. Nur in Anklageschriften ihrer Verfolger sind spärliche Hinweise zu finden. Es war die Politik Roms, jede Spur von Abweichungen gegenüber seinen Lehren und Verordnungen zu vernichten. Alles Ketzerische, gleichgültig, ob es sich um Menschen oder Schriften handelte, versuchte man auszurotten. Äußerungen von Zweifel oder Fragen über die Autorität der päpstlichen Lehren genügten, dass Arme wie Reiche, Hohe wie Niedrige ihr Leben verloren. Rom versuchte auch, jeden Bericht über seine Grausamkeiten an Abweichlern zu vernichten. Auf päpstlichen Konzilien wurde beschlossen, dass Bücher und Schriften mit solchen Inhalten verbrannt werden mussten. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst existierten nur wenige Bücher, die zudem nicht sehr dauerhaft waren. Es gab also nur wenig, um Rom von der Ausführung seiner Absichten abzuhalten.

Keine Gemeinde innerhalb des römischen Herrschaftsbereiches blieb lange unbehelligt oder erfreute sich ungestörter Gewissensfreiheit. Sobald das Papsttum Macht erlangte, streckte es seine Arme aus, um alles zu vernichten, was seine Oberherrschaft nicht anerkannte. Eine Kirche nach der anderen unterwarf sich seiner Befehlsgewalt.

In Großbritannien15 hatte der ursprüngliche christliche Glaube schon früh Fuß gefasst. Das Evangelium, das die Briten in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung angenommen hatten, war anfänglich frei von römischem Abfall. Die Verfolgung durch heidnische Kaiser, die sich bis zu diesen entfernten Küsten ausdehnte, war die einzige "Gabe", die Rom diesen Urgemeinden überbrachte. Viele Christen, die vor der Verfolgung in England fliehen mussten, fanden in Schottland eine Zuflucht. Von dort wurde die Wahrheit nach Irland gebracht. In diesen Ländern nahm man sie mit Freuden auf.

Als die Angelsachsen Britannien eroberten, gewann das Heidentum die Kontrolle zurück. Die Eroberer lehnten es ab, durch ihre Sklaven unterrichtet zu werden, und die Christen waren gezwungen, sich in Berge und wilde Moore zurückzuziehen. Das Licht wurde zwar eine Zeitlang verborgen, es brannte aber weiter. Ein Jahrhundert später schien es in Schottland mit einer Helligkeit, die bis in weit entfernte Länder reichte. Aus Irland kam der gläubige Kolumban mit seinen Mitarbeitern. Sie führten die verstreuten Christen auf der einsamen Insel Iona zusammen, die das Zentrum ihrer missionarischen Arbeit wurde. Unter diesen Evangelisten gab es einen, der den biblischen Sabbat hielt. So wurde auch diese Wahrheit unter dem Volk verbreitet. Auf Iona wurde eine Schule gegründet, die Missionare aussandte, nicht nur nach Schottland und England, sondern auch nach Deutschland, in die Schweiz und sogar bis nach Italien.

Aber Rom hatte seine Augen auf Britannien gerichtet und war entschlossen, es unter seine Vorherrschaft zu bringen. Im 6. Jahrhundert begannen römische Missionare mit der Bekehrung der heidnischen Angelsachsen. Diese wurden von den stolzen Barbaren freundlich aufgenommen und führten Tausende zum römischen Glauben. Beim Fortschritt ihres Werkes trafen die päpstlichen Führer mit ihren Neubekehrten auf Gläubige, die ein anderes ganz ursprüngliches Christentum lebten. Dabei zeigte sich ein augenfälliger Gegensatz. Diese waren einfache und demütige Menschen, die in Charakter, Lehre und Verhalten nach der Bibel lebten. Die anderen hingegen hatten den Aberglauben, den Pomp und die Arroganz Roms übernommen. Der römische Gesandte verlangte nun, dass auch diese Christen die Vormachtstellung des fürstlichen Pontifex anerkannten. Die Briten antworteten freundlich, dass sie zwar allen Menschen in Nächstenliebe begegnen wollten, dass der Papst aber nicht das Recht habe, die kirchliche Oberhoheit zu beanspruchen. Deshalb könnten sie ihm nur jene Ehre erweisen, die auch jedem anderen Nachfolger Jesu zusteht. Wiederholt wurde versucht, ihre Ergebenheit gegenüber Rom zu gewinnen, doch diese bescheidenen Christen waren ob dem Stolz der römischen Boten erstaunt und antworteten standhaft, dass sie keinen anderen Herrn als Christus kennen. Nun offenbarte sich der wahre Geist des Papsttums. Der Vertreter Roms erklärte: "Wenn ihr die Brüder nicht aufnehmt, die euch Frieden bringen, so sollt ihr Feinde bekommen, die euch den Krieg bringen. Wenn ihr euch nicht mit uns vereint, um den Angelsachsen den Weg des Lebens zu bringen, so sollt ihr von ihrer Hand den Todesstreich empfangen." (BHE, II, 2, 4; vgl. NGR, III, 9) Das waren keine leeren Drohungen. Krieg, Intrigen und Betrügereien wurden gegen diese Zeugen des biblischen Glaubens angewandt, bis die Kirchen Britanniens zerstört waren oder gezwungen wurden, sich der Herrschaft des Papstes zu unterstellen.

In den Ländern, die sich außerhalb der Gerichtsbarkeit Roms befanden, gab es viele Jahrhunderte christliche Gruppen, die von den päpstlichen Irrlehren fast unberührt blieben. Sie waren zwar von Heiden umgeben und wurden im Laufe der Zeit durch deren Irrtümer beeinflusst, doch sie betrachteten weiterhin die Bibel als die einzige Richtschnur ihres Glaubens und hielten an vielen Wahrheiten fest. Diese Christen glaubten an die dauerhafte Gültigkeit des Gesetzes Gottes und hielten den Sabbat des vierten Gebots. Solche Gemeinden, die an diesem Glauben festhielten, gab es in Afrika und unter den Armeniern in Kleinasien.

Die Flucht Der Treuen

Doch unter denen, die sich den Übergriffen des Papsttums am stärksten widersetzten, standen die Waldenser an vorderster Front. Gerade in dem Land, wo das Papsttum seinen Sitz aufgeschlagen hatte, wurde seiner Falschheit und seiner Verdorbenheit der entschlossenste Widerstand entgegengebracht. Über Jahrhunderte hinweg behielten diese piemontesischen Christen ihre Unabhängigkeit. Doch auch hier kam die Zeit, wo Rom ihre Unterwerfung forderte. Nach glücklosen Kämpfen gegen den römischen Machtanspruch anerkannten die Leiter dieser Gemeinden zögernd die Vorherrschaft dieser Macht, der sich scheinbar die ganze Welt unterwarf. Es gab aber Einzelne, die es ablehnten, der Autorität des Papstes und seiner Prälaten Gehorsam zu leisten. Sie waren entschlossen, Gott die Treue zu halten und die Reinheit und Einfachheit ihres Glaubens zu bewahren. Es gab eine Trennung in der Gemeinde. Jene, die dem alten Glauben treu blieben, zogen sich zurück. Einige von ihnen verließen ihre heimatlichen Alpen und richteten das Banner der Wahrheit in fremden Ländern auf. Andere zogen sich in felsige Schluchten der Berge zurück und bewahrten dort ihre Freiheit, Gott zu dienen.

Der Glaube, der von den Waldensern bewahrt und gelehrt wurde, stand in scharfem Gegensatz zu den falschen Lehren, die Rom vertrat. Ihr Glaube war gegründet auf das geschriebene Wort Gottes, die wahre Grundlage des Christentums. Doch diese einfachen Bauern in ihren verborgenen Zufluchtsorten, abgeschieden von der Welt und treu in ihrer täglichen Arbeit bei ihren Herden und in ihren Weinbergen, waren nicht von sich aus auf die Wahrheiten gestoßen, die den Dogmen und Irrlehren Roms widersprachen. Ihre Überzeugung hatten sie nicht neu empfangen, sondern von ihren Vätern geerbt. Sie kämpften für den Glauben der apostolischen Gemeinde, "der ein für alle Mal den Heiligen überliefert" war (Judas 3). "Die Gemeinde in der Wüste" (vgl. Offenbarung 12,6) und nicht die stolze Hierarchie auf dem Thron der römischen Weltmetropole war die wahre Gemeinde Christi, die Hüterin der Schätze der Wahrheit, die Gott seinem Volk anvertraut hatte, um sie der Welt mitzuteilen.

Unter den Hauptursachen, die zur Trennung der wahren Gemeinde von Rom geführt hatten, war der Hass Roms gegen den Sabbat. Wie die Prophezeiung vorhersagte, würde die päpstliche Macht die Wahrheit zu Boden werfen. Das Gesetz Gottes wurde mit Füßen getreten, während menschliche Überlieferungen betont wurden. Die Gemeinden, die unter der Herrschaft des Papsttums standen, wurden schon früh gezwungen, den Sonntag als heiligen Tag zu ehren. Inmitten von Irrtum und Aberglauben, die allgemein vorherrschten, wurde sogar das wahre Volk Gottes so verwirrt, dass sie den Sabbat hielten, jedoch auch am Sonntag nicht arbeiteten. Doch das genügte den päpstlichen Würdenträgern nicht. Sie verlangten nicht nur, dass der Sonntag geheiligt, sondern auch dass der Sabbat entweiht werde, und sie klagten in scharfer Sprache die an, die es wagten, ihn zu ehren. Nur wer der römischen Macht entfloh, konnte dem Gesetz Gottes in Frieden gehorchen.

Die Waldenser gehörten mit zu den ersten Völkern Europas, die eine Übersetzung der Heiligen Schrift16 besaßen. Jahrhunderte vor der Reformation verfügten sie über Abschriften der Bibel in ihrer Muttersprache. Sie besaßen die unverfälschte Wahrheit, was ihnen Hass und Verfolgung einbrachte. Sie bezeichneten die Kirche von Rom als das abtrünnige Babylon aus der Offenbarung, und unter Einsatz ihres Lebens erhoben sie sich und widerstanden der kirchlichen Korruption. (HGW, 80-88). Während ei nige unter dem Druck lang anhaltender Verfolgung Zugeständnisse machten und nach und nach von ihren Glaubensgrundsätzen abwichen, die sie von den anderen unterschieden, hielten andere an der Wahrheit fest. Im dunklen Mittelalter des Abfalls gab es Waldenser, die Rom die Gefolgschaft verweigerten, Bilderverehrung als Götzendienst verwarfen und am wahren Sabbat17 festhielten. In den heftigsten Stürmen der Gegner blieben sie ihrem Glauben treu. Obgleich sie von den Speeren der Savoyer durchbohrt und von Brandfackeln der Anhänger Roms versengt wurden, verteidigten sie unerschrocken Gottes Wort und seine Ehre.

Hinter den erhabenen Bollwerken der Berge, die zu allen Zeiten Zufluchtsorte Verfolgter und Unterdrückter waren, fanden die Waldenser eine Unterkunft. Hier brannte das Licht der Wahrheit inmitten der Finsternis des Mittelalters. Hier wurde das Zeugnis des alten Glaubens tausend Jahre lang hochgehalten.

Zuhause In Der Abgeschiedenheit

Gott hielt für sein Volk einen Zufluchtsort von erhabener Würde bereit, der den gewaltigen Wahrheiten entsprach, die ihnen anvertraut waren. Diesen getreuen Verbannten wurden die Berge zum Symbol der ewigen Gerechtigkeit Jahwes. Sie zeigten ihren Kindern die Gipfel, die sich in unwandelbarer Majestät vor ihnen auftürmten, und erzählten ihnen von dem, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis (Jakobus 1,17), dessen Wort so dauerhaft ist wie die ewigen Gipfel. Gott festigte die Berge und umgürtete sie mit Stärke, die nur der Arm der unendlichen Kraft von ihrem Ort bewegen kann. Genauso hatte er sein Gesetz geschaffen, das die Grundlage seiner Herrschaft im Himmel und auf Erden ist. Der Arm des Menschen kann zwar seine Mitmenschen erreichen und ihr Leben zerstören, doch genauso wenig, wie dieser Arm die Berge aus ihren Grundfesten heben und sie ins Meer werfen kann, könnte er auch nur ein Gebot Jahwes verändern oder eine einzige Verheißung austilgen, die Gott denen gegeben hat, die seinen Willen tun. Gottes Diener sollten in ihrer Treue zu seinem Gesetz ebenso fest bleiben wie die ewigen Berge.

Hohe Gebirge und tiefe Täler waren eine ständige Erinnerung an Gottes Schöpfermacht. Sie standen für die feste Gewissheit, dass Gottes Fürsorge und Schutz nie enden würden. Diese Pilger lernten die stummen Symbole der Gegenwart Jahwes zu lieben. Sie jammerten nicht über die Härte ihres Schicksals, denn inmitten der Einsamkeit waren sie nie allein. Sie dankten Gott, dass er ihnen vor dem Zorn und der Grausamkeit der Menschen einen Zufluchtsort bereitet hatte. Sie freuten sich über ihre Freiheit, Gott anzubeten. Wenn sie von ihren Feinden verfolgt wurden, gaben ihnen die Bergeshöhen einen sicheren Schutz. Von manch einem erhabenen Felsen stimmten sie Gott ihren Lobgesang an, und die Heere Roms konnten ihre Dankeslieder nicht zum Schweigen bringen.

Rein, einfach und brennend war die Frömmigkeit dieser Nachfolger Christi. Die Grundsätze der Wahrheit bedeuteten ihnen mehr als ihr Zuhause, ihre Ländereien, ihre Freunde, ihre Familienangehörigen, ja mehr als ihr eigenes Leben. Diese Grundsätze versuchten sie gewissenhaft in die Herzen ihrer Kinder einzuprägen. Von frühester Kindheit an wurde die Jugend in der Schrift unterrichtet und gelehrt, die Forderungen des Gesetzes Gottes heilig zu halten. Da es nur wenige Abschriften der Bibel gab, lernten sie ihre kostbaren Worte auswendig. Viele konnten lange Abschnitte aus dem Alten wie auch dem Neuen Testament aus dem Gedächtnis aufsagen. Bilder aus der majestätischen Natur und den bescheidenen Segnungen im täglichen Leben wurden mit den Bildern aus der Bibel verglichen. Kleine Kinder lernten, mit Dankbarkeit auf Gott als den Geber aller guten Dinge zu schauen.

Liebevolle und zärtliche Eltern hatten eine zu große Zuneigung zu ihren Kindern, als dass sie diese dem Streben nach Genuss überließen. Vor ihnen lag ein Leben voller Mühsal und Prüfungen, vielleicht sogar der Märtyrertod. Von Kindheit an wurden sie angehalten, Schwierigkeiten zu erdulden, sich Prüfungen zu unterziehen und doch selbstständig zu denken und zu handeln. Sehr früh wurde ihnen beigebracht, Verantwortung zu übernehmen, Worte abzuwägen und die Weisheit des Schweigens zu verstehen. Ein einziges unbedachtes Wort bei einer Anhörung durch Feinde hätte nicht nur das Leben des Sprechers, sondern auch das von Hunderten seiner Brüder gefährdet; denn wie Wölfe ihre Beute jagen, so verfolgten die Feinde der Wahrheit diejenigen, die es wagten, sich zur Glaubensfreiheit zu bekennen.

Um der Wahrheit willen hatten die Waldenser ihren irdischen Wohlstand aufgegeben und arbeiteten mit beharrlicher Geduld für ihr tägliches Brot. Jeder Fleck anbaufähigen Bodens in den Bergen wurde sorgfältig bewirtschaftet, und die Täler und weniger fruchtbare Hänge wurden urbar gemacht. Sparsamkeit und Selbstverleugnung bildeten einen Teil der Erziehung, die die Kinder als ihr einziges Vermächtnis erhielten. Man lehrte sie, dass ihr Leben nach dem Willen Gottes eine Schule sei und ihre Lebensbedürfnisse nur durch persönliche Arbeit, Vorsorge, Umsicht und Glauben befriedigt werden könnten. Eine solche Erziehung war mühsam und beschwerlich, aber heilsam. Sie gab dem Menschen genau das, was er in seinem gefallenen Zustand benötigt: die Schule, die Gott für die Erziehung und Entwicklung des Menschen vorgesehen hat. Während die Jugend an Mühsal und harte Arbeit gewöhnt wurde, vernachlässigten die Eltern auch die Entwicklung der Bildung nicht. Sie brachten ihren Kindern bei, dass all ihre Kräfte Gott gehören und für seinen Dienst gefördert und entfaltet werden müssen.

Die Schrift Im Mittelpunkt

In ihrer Reinheit und Schlichtheit glichen die Gemeinden der Waldenser der Gemeinde aus der Zeit der Apostel. Sie lehnten die Vorherrschaft des Papstes und der Prälaten ab und beriefen sich auf die Bibel als die einzige, überragende, unfehlbare Autorität. Anders als die gebieterischen Priester Roms folgten ihre Pastoren dem Beispiel ihres Meisters, der nicht gekommen war, "dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene" (Matthäus 20,28). Sie versorgten die Herde Gottes und führten sie zu den grünen Auen und zur lebendigen Quelle seines heiligen Wortes. Weitab von den Monumenten weltlicher Pracht und menschlichem Stolz versammelte sich das Volk nicht in prunkvollen Kirchen oder großartigen Kathedralen, sondern im Schatten der Berge und in den Tälern der Alpen. In Zeiten der Gefahr versammelten sie sich in Felsenfestungen, um das Wort der Wahrheit von den Dienern Christi zu hören. Die Pastoren predigten nicht nur das Evangelium, sondern besuchten die Kranken, unterrichteten die Kinder, ermahnten Irrende, schlichteten Streitigkeiten und arbeiteten dafür, dass Harmonie und brüderliche Liebe herrschten. In Friedenszeiten wurden sie durch freiwillige Gaben der Menschen unterhalten, doch wie Paulus der Zeltmacher erlernte jeder einen Beruf oder ein Handwerk, womit er sich nötigenfalls ernähren konnte.

Von ihren Predigern erhielten die Jugendlichen ihre Bildung. Obwohl auch Fächer der Allgemeinbildung unterrichtet wurden, studierte man doch in erster Linie die Bibel. Das Matthäus und das Johannesevangelium sowie viele der Briefe der Apostel mussten auswendig gelernt werden. Sie fertigten auch Abschriften der Heiligen Schrift an. Einige Handschriften enthielten die ganze Bibel, andere nur einzelne Auszüge, denen einige einfache Texterklärungen von denen hinzugefügt wurden, die dazu in der Lage waren. So wurden die Schätze der Wahrheit ans Licht gebracht, welche von denen, die sich über Gott erhoben hatten, so lange verborgen worden waren.

Oft wurde die Heilige Schrift Vers für Vers, Kapitel für Kapitel, in dumpfen, finsteren Höhlen, im Schein von Fackeln und in geduldiger, mühevoller Arbeit abgeschrieben. So schritt das Werk voran, und der offenbarte Wille Gottes leuchtete wie reines Gold. Und denjenigen, die in dieser Arbeit standen, erschien das Leuchten noch viel heller, klarer und beeindruckender, weil sie gerade deswegen große Schwierigkeiten durchlitten hatten. Engel des Himmels umgaben diese treuen Diener.

Satan hatte die päpstlichen Priester und Prälaten gedrängt, das Wort der Wahrheit unter dem Schutt des Irrtums, der Irrlehren und des Aberglaubens zu begraben. Doch auf höchst wunderbare Weise überdauerte es doch unverfälscht die Zeiten größter Finsternis. Es trug nicht den Stempel des Menschen, sondern das Siegel Gottes. Beharrlich haben Menschen immer wieder versucht, die klare und einfache Bedeutung der Schrift zu verschleiern und ihrem Zeugnis Widersprüche zu unterstellen. Aber wie die Arche auf den wogenden Wassern hat das Wort Gottes die Stürme stets überstanden, die es zu vernichten drohten. Es ist wie bei einer Mine, die den Zugang zu reichen Gold und Silberadern verschafft, die unter der Erdoberfläche verborgen liegen. Um sie zu entdecken, muss nach den kostbaren Vorkommnissen geschürft werden. Auch die Heilige Schrift birgt Schätze der Wahrheit, die sich nur denjenigen erschließen, die ernsthaft, demütig und unter Gebet danach suchen. Nach Gottes Plan ist die Bibel ein Lehrbuch für alle Menschen, das immer wieder studiert werden sollte - in der Kindheit, in der Jugendzeit und im Erwachsenenalter. Er gab den Menschen sein Wort als eine Offenbarung von sich selbst. Jede neu entdeckte Wahrheit ist eine erweiterte Offenbarung des Charakters seines Urhebers. Das Studium der Schrift ist das von Gott bestimmte Mittel, um den Menschen in eine engere Beziehung zu seinem Schöpfer zu bringen und ihm dadurch eine klarere Erkenntnis des göttlichen Willens zu schenken. Es ist das Mittel der Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen.

Unterwegs Mit Dem Wort

Die Waldenser wussten: "Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang." (Psalm 111,10) Doch sie waren nicht blind für die Bedeutung des Kontakts zur Welt, der Notwendigkeit von Menschenkenntnis und eines aktiven Lebens, um den Horizont zu erweitern und den Verstand zu schärfen. Aus ihren Schulen in den Bergen wurden einige Jugendliche an Lehrinstitute in Frankreich und Italien gesandt, wo größere Möglichkeiten zum Studium, zum Nachdenken und für Beobachtungen bestanden als in den heimatlichen Alpen. Diese Jugendlichen waren hierbei Versuchungen ausgesetzt, wurden mit Lastern konfrontiert und begegneten verschlagenen Mittelsmännern Satans, die sie mit raffiniertesten Irrlehren und gefährlichem Schwindel bedrängten. Doch ihre Erziehung hatte sie von Kindheit an gegen solche Gefahren gewappnet.

An den Schulen, die sie besuchten, durften sie niemanden ins Vertrauen ziehen. Ihre Kleider waren so gefertigt, dass sie darin ihren größten Schatz verbergen konnten, die kostbaren Handschriften der Bibel. Diese Produkte harter, monate und jahrelanger Arbeit trugen sie bei sich, um Teile davon, möglichst ohne Argwohn zu erregen, denen weiterzugeben, deren Herzen offen schienen, um die Wahrheit anzunehmen. Von klein auf waren diese waldensischen Jugendlichen für dieses Ziel erzogen worden. Sie verstanden ihre Aufgabe und führten sie gewissenhaft aus. In diesen Schulen wurden manche bekehrt, und oft durchdrangen ihre Prinzipien die gesamte Institution, und die päpstlichen Schulleiter konnten selbst durch beharrliche Befragung nicht die so genannte verderbliche Ketzerei bis zur Quelle hin zurückverfolgen.

Der Geist Christi ist ein missionarischer Geist. Das erste Anliegen eines erneuerten Herzens ist, auch andere zum Erlöser zu bringen. Von einem solchen Geist waren die Waldenser erfüllt. Sie fühlten, dass Gott mehr von ihnen verlangte, als nur die Wahrheit in den Reihen ihrer Gemeinden in Reinheit zu bewahren, sondern dass sie die großartige Pflicht hatten, das Licht an diejenigen weiterzugeben, die in der Finsternis waren. Die Gewalt des Wortes Gottes sollte die Knechtschaft, die Rom ihnen auferlegte, durchbrechen. Die Prediger der Waldenser waren ausgebildete Missionare, wobei jeder, der in das Predigtamt eintreten wollte, zuerst Erfahrungen als Evangelist sammeln musste. Jeder hatte drei Jahre in einem Missionsfeld zu dienen, bevor er eine Aufgabe in einer Heimatgemeinde übernehmen konnte. Dieser Missionsdienst verlangte von Anfang an Selbstverleugnung und Opferbereitschaft und war die beste Vorbereitung auf das Leben eines Predigers in jener Prüfungszeit. Die jungen Menschen, die zu dem heiligen Amt eingesegnet wurden, hatten keine Aussicht auf irdischen Reichtum und Ehre, eher auf ein Leben voller Mühen und Gefahren und möglicherweise den Märtyrertod. Die Missionare wurden zu zweit ausgesandt, wie Jesus dies mit seinen Jüngern getan hatte. Jedem jüngeren Mann wurde für gewöhnlich ein älterer und erfahrener mitgegeben, wobei der Jüngere unter der Führung seines Begleiters stand, der auch die Verantwortung für die Ausbildung übernahm und dessen Anweisungen befolgt werden mussten. Diese beiden Mitarbeiter blieben nicht ständig zusammen, trafen sich aber öfter zum Gebet und zur Beratung und stärkten sich so gegenseitig im Glauben.

Hätten die Waldenser die Absicht ihrer Mission verraten, wäre dies für sie verhängnisvoll gewesen, daher verbargen sie sorgfältig ihre eigentliche Aufgabe. Jeder Prediger hatte ein Gewerbe oder einen Beruf. Unter diesem Deckmantel einer weltlichen Tätigkeit ging er seiner Arbeit als Missionar nach. Meistens wählten sie den Beruf eines Händlers oder Hausierers. "Sie boten Seide, Schmucksachen und andere Gegenstände an, die zu jener Zeit nur von weit entfernten Märkten zu beziehen waren, und wurden dort als Händler willkommen geheißen, wo sie als Missionare zurückgewiesen worden wären." (WHP, I, 4). In der ganzen Zeit schauten sie zu Gott auf und baten um Weisheit, damit sie einen Schatz anbieten konnten, der kostbarer war als Gold oder Edelsteine. Heimlich trugen sie Handschriften der Bibel oder Teile davon bei sich, und wann immer sich eine Gelegenheit bot, lenkten sie die Aufmerksamkeit ihrer Kunden auf diese Schriften. Oft wurde so das Interesse geweckt, das Wort Gottes zu lesen, und einzelne Schriftstücke wurden gerne den Leuten überlassen, die Verlangen danach zeigten.

Lichter In Der Finsternis

Die Arbeit dieser Missionare begann in den Ebenen und Tälern am Fuß ihrer eigenen Berge, sie erstreckte sich aber auch weit über diese Grenzen hinaus. Barfuß und in Kleidern, die auf ihrer Reise so schmutzig wurden wie seinerzeit die ihres Herrn, gingen sie durch große Städte und drangen in entlegene Länder vor. Überall streuten sie die kostbare Saat aus. Auf ihrem Weg entstanden Gemeinden, und das Blut der Märtyrer war Zeuge für die Wahrheit. Am Tag des Herrn wird eine reiche Ernte aus der Arbeit dieser treuen Männer eingesammelt werden. Im Versteckten und still bahnte sich das Wort Gottes seinen Weg durch die Christenheit und wurde in den Heimen und Herzen der Menschen gut aufgenommen.

Für die Waldenser war die Schrift nicht nur ein Bericht über Gottes Handeln in der Vergangenheit und eine Darstellung der Verantwortung und Pflichten für die Gegenwart, sondern eine Enthüllung zukünftiger Gefahren und Herrlichkeiten. Sie glaubten, dass das Ende aller Dinge nicht mehr fern sei, und studierten die Bibel unter Gebet und Tränen. Umso mehr waren sie von ihren kostbaren Lehren beeindruckt und umso deutlicher erkannten sie ihre Pflicht, die heilsbringenden Wahrheiten anderen bekannt zu machen. Auf den heiligen Blättern erkannten sie, dass der Heilsplan klar offenbart war, und im Glauben an Jesus fanden sie Trost, Hoffnung und Frieden. Wenn das Licht ihren Verstand erleuchtete und ihr Herz befreite, sehnten sie sich danach, diese Strahlen auf Menschen scheinen zu lassen, die in der Finsternis des päpstlichen Irrtums gefangen waren.

Sie sahen, wie sich unzählige Menschen unter der Leitung von Papst und Priestern vergeblich bemühten, durch körperliche Qualen für ihre sündenbeladenen Seelen Gnade zu erlangen. Ihnen wurde gesagt, sie sollten zu ihrem Heil auf ihre guten Werke vertrauen, und so waren sie stets mit sich selbst beschäftigt. In ihren Gedanken verweilten sie bei ihrem sündigen Zustand, sie sahen sich dem Zorn Gottes ausgesetzt, sie kasteiten Seele und Leib und fanden doch keine Erleichterung. Gewissenhafte Menschen wurden so an die Lehren Roms gefesselt. Tausende verließen ihre Familien und Freunde und fristeten ihr Leben in Klosterzellen. Durch häufiges Fasten, grausame Geißelungen, nächtliche Mahnwachen, stundenlanges Liegen auf dem Bauch auf den kalten und feuchten Steinböden ihrer armseligen Behausungen, durch lange Pilgerfahrten, erniedrigende Bußübungen und furchtbare Folterqualen versuchten Tausende vergebens, Frieden im Gewissen zu finden. Von Schuldgefühlen geplagt, vom Zorn eines rachsüchtigen Gottes verfolgt, litten viele Menschen so lange, bis sie erschöpft zusammenbrachen und ohne einen Lichtstrahl der Hoffnung ins Grab sanken.

Die Waldenser sehnten sich danach, diesen hungernden Menschen das Brot des Lebens zu brechen, ihnen in den Verheißungen Gottes die Botschaft des Friedens zu zeigen und sie auf Christus als ihre einzige Hoffnung zur Erlösung hinzuweisen. Die Auffassung, dass gute Werke Übertretungen des Gesetzes Gottes sühnen könnten, entlarvten sie als Lüge. Vertrauen auf menschliche Verdienste versperrt den Blick auf die unendliche Liebe Christi. Jesus starb als Sühnopfer für den Menschen, weil die gefallene Menschheit nichts tun kann, um sich vor Gott zu rechtfertigen. Die Verdienste eines gekreuzigten und auferstandenen Heilands sind die Grundlage des christlichen Glaubens. Die Seele ist von Christus genauso abhängig und durch den Glauben so sehr mit ihm verbunden wie ein Glied mit dem Leib und eine Rebe mit dem Weinstock.

Die Lehren der Päpste und Priester führten die Menschen dahin, den Charakter Gottes und sogar den von Christus als streng, düster und abschreckend wahrzunehmen. Vom Erlöser wurde gesagt, er habe so wenig Sympathie für den Menschen im gefallenen Zustand, dass ein Mittlerdienst von Priestern und Heiligen nötig sei. Diejenigen, deren Geist durch das Wort Gottes erleuchtet worden war, sehnten sich danach, diese irregeleiteten Menschen auf Jesus als ihren mitfühlenden und liebevollen Erlöser hinzuweisen. Alle, die mit ihrer Sündenlast, ihren Sorgen und erschöpft zu ihm kommen, empfängt er mit offenen Armen. Sie sehnten sich auch danach, die Hindernisse zu beseitigen, die Satan vor den Menschen aufgebaut hatte. Diese versperrten den Blick auf die Zusagen, dass sie direkt zu Gott kommen und ihm ihre Sünden bekennen konnten, um Vergebung und Frieden zu empfangen.

Hoffnung Für Suchende

Der waldensische Missionar breitete vor den Suchenden bereitwillig die wertvollen Wahrheiten des Evangeliums aus. Vorsichtig zog er die abgeschriebenen Teile der Bibel aus seiner Tasche. Seine größte Freude war es, dem aufrichtig suchenden und von Sünden geplagten Menschen, der nur einen Gott der Rache und der Vergeltung kannte, einen, der darauf wartete, das Gericht durchzuführen, Hoffnung zu vermitteln. Mit bebenden Lippen und Tränen in den Augen, nicht selten auf den Knien liegend, entfaltete er vor seinen Geschwistern die kostbaren Verheißungen, welche die einzige Hoffnung für den Sünder offenbaren. So drang das Licht in manch verfinsterten Geist und vertrieb die Wolke der Schwermut, bis die Sonne der Gerechtigkeit mit ihren heilenden Strahlen das Herz erhellte. Es geschah oft, dass Teile der Schrift immer wieder aufs Neue gelesen werden mussten, weil ein Hörer dies so wünschte, als ob er sich vergewissern wollte, dass er recht gehört hatte. Besonders wollten die Menschen diese Worte immer wieder hören: "Das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde." (1. Johannes 1,7) "Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden." (Johannes 3,14.15)

Vielen ging nun ein Licht auf, welche Ansprüche Rom eigentlich geltend machte. Sie erkannten die Nutzlosigkeit einer Vermittlung von Menschen oder Engeln zugunsten eines Sünders. Als das wahre Licht ihnen aufging, riefen sie mit Freuden aus: "Christus, mein Priester, sein Blut ist mein Opfer und sein Altar mein Beichtstuhl." Sie stützten sich völlig auf die Verdienste Jesu und wiederholten die Worte: "Ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen." (Hebräer 11,6) "Und in keinem anderen ist das Heil; denn uns Menschen ist kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen." (Apostelgeschichte 4,12 ZÜ)

Die Gewissheit, dass es einen liebevollen Erlöser gibt, schien für einige dieser armen, seelisch aufgewühlten Menschen, zu schön, um wahr zu sein. Sie glaubten sich in den Himmel versetzt, so groß war ihre Erleichterung und so hell das Licht, das auf sie schien. Sie legten ihre Hände vertrauensvoll in die Hand Christi und setzten ihre Füße auf den Fels des Heils. Alle Todesfurcht war vertrieben. Gefängnis und Scheiterhaufen schreckten sie nicht mehr, wenn dadurch nur der Name ihres Erlösers geehrt wurde.

Das Wort Gottes wurde an geheimen Orten hervorgeholt und vorgelesen, manchmal einem einzigen Menschen, manchmal einer kleinen Gruppe, die sich nach Licht und Wahrheit sehnte. Oft verbrachte man ganze Nächte auf diese Weise. Die Zuhörer waren hin und wieder so verwundert und erstaunt, dass der Bote der Barmherzigkeit mit seiner Lesung innehalten musste, bis die Heilsbotschaft wirklich erfasst werden konnte. Häufig wurden Worte wie diese geäußert: "Wird Gott mein Opfer wirklich annehmen? Wird er gnädig auf mich herabschauen? Wird er mir vergeben?" Die Antwort wurde vorgelesen: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." (Matthäus 11,28)

Man begann an die Verheißungen zu glauben und reagierte darauf freudig: "Keine langen Pilgerfahrten mehr; keine beschwerlichen Reisen mehr zu heiligen Reliquienschreinen. Ich kann zu Jesus kommen, so wie ich bin, sündhaft und unheilig, und er wird das bußfertige Gebet nicht verachten. ›Deine Sünden sind dir vergeben‹ (Matthäus 9,2). Meine, sogar meine können vergeben werden!"

Heilige Freude erfüllte die Herzen, und der Name Jesu wurde durch Lobgesänge und Danksagungen erhöht. Diese Befreiten kehrten glücklich in ihre Häuser zurück, um das Licht weiterzugeben. Sie berichteten, so gut sie es konnten, von ihrer neuen Erfahrung, und dass sie den wahren und lebendigen Weg gefunden hatten. Eine seltsame und heilige Macht lag in den Worten der Schrift, die unmittelbar zu den Menschen sprach, die sich nach der Wahrheit sehnten. Es war die Stimme Gottes, und sie überzeugte alle, die zuhörten.

Der Bote der Wahrheit ging seinen Weg weiter, doch über seine Demut, seine Aufrichtigkeit und seinen Eifer wurde oft gesprochen. In vielen Fällen fragten seine Hörer nicht, woher er kam und wohin er ging. Sie waren zuerst überrascht, dann von Dankbarkeit und Freude überwältigt, sodass sie gar nicht daran dachten, ihn danach zu fragen. Wenn sie ihn dringend baten, ihr Heim zu besuchen, antwortete er, dass er die verlorenen Schafe der Herde besuchen müsse. Sie fragten sich dann: Könnte dieser Bote ein Engel vom Himmel gewesen sein?

In vielen Fällen wurde der Bote der Wahrheit nicht wieder gesehen. Er hatte sich vielleicht in andere Länder begeben oder verbrachte sein Leben in einem unbekannten Kerker, möglicherweise verblichen seine Gebeine sogar an der Stelle, wo er die Wahrheit bezeugt hatte. Doch die Worte, die er hinterließ, konnten nicht zerstört werden. Sie taten ihr Werk an den Herzen der Menschen, deren segensreiche Ergebnisse erst am Tag des Gerichts vollständig bekannt sein werden.

Die Missionare der Waldenser drangen in das Reich Satans ein, und die Mächte der Finsternis wurden zu größerer Wachsamkeit aufgerüttelt. Der Fürst des Bösen beobachtete jedes Bemühen, die Wahrheit zu verbreiten, und es erweckte die Furcht seiner Mittelsmänner. Die Kirchenführer sahen im Wirken dieser demütigen Wanderprediger eine Gefahr für ihre Sache. Wenn man das Licht der Wahrheit ungehindert scheinen ließe, würden die schwarzen Wolken des Irrtums, in die das Volk eingehüllt war, weggeblasen. Die Gedanken der Menschen würden allein auf Gott gelenkt, und die Vorherrschaft Roms würde schließlich fallen.

Standhaft In Der Verfolgung

Allein die Existenz dieses Volkes, das den Glauben der Urgemeinde aufrechterhielt, offenbarte beständig den Abfall Roms und erregte daher den bittersten Hass und brachte Verfolgungen. Die Weigerung der Waldenser, die Heilige Schrift aufzugeben, bedeutete eine Beleidigung, die Rom nicht tolerieren konnte. Man beschloss daher, sie auszurotten. Nun begannen die schlimmsten Kreuzzüge gegen das Volk Gottes in ihren alpinen Behausungen. Inquisitoren spürten sie auf, und der Brudermord Kains an dem unschuldigen Abel von einst wurde zigmal wiederholt.

Immer wieder wurden die fruchtbaren Äcker der Waldenser verwüstet, ihre Häuser und Kapellen niedergerissen, sodass eine Wüste übrig blieb, wo es einst blühende Felder und Behausungen von unschuldigen und fleißigen Leuten gab. Wie ausgehungerte Bestien durch den Geruch von Blut immer wilder werden, so wurde die Wut der Anhänger des Papsttums stets größer, je größer das Leiden ihrer Opfer war. Viele dieser Zeugen eines reinen Glaubens verfolgte man über die Berge und hetzte sie in die Täler, wo sie sich im Schutz von mächtigen Wäldern und Felsklippen versteckt hielten.

Es konnte keine Anklage gegen das moralische Verhalten dieser gesitteten und doch geächteten Gruppe erhoben werden. Sogar ihre Feinde bezeichneten sie als ein friedfertiges, stilles und frommes Volk. Das große Vergehen dieser Menschen bestand darin, dass sie Gott nicht im Sinne des Papstes dienen wollten. Für dieses Verbrechen wurden die schlimmsten Demütigungen, Beschimpfungen und Folter über sie gebracht, die sich Menschen oder Teufel je ersinnen konnten. Als Rom eines Tages beschloss, diese verhasste Sekte auszurotten, beschuldigte man sie durch eine päpstliche Bulle der Ketzerei und gab sie zum Abschlachten frei. 18 Sie wurden nicht als Müßiggänger verklagt oder weil sie unehrlich und liederlich seien, sondern ihnen wurde vorgeworfen, sie besäßen eine Art von Frömmigkeit und Heiligkeit, die "die Schafe der wahren Herde" verführen würde. Deshalb ordnete der Papst an, "dass diese arglistige und abscheuliche Sekte von Bösewichtern", wenn sie "sich weigern abzuschwören, wie giftige Schlangen zertreten werden" sollten (WHP, XVI, 1; vgl. BGW, 81 u. 125; HGW, 744 ff.). Hat dieser hochmütige Machthaber etwa nicht damit gerechnet, diesen Worten nochmals zu begegnen? Wusste er denn nicht, dass sie in den Büchern des Himmels aufgezeichnet sind und ihm im Gericht vorgehalten werden? Jesus sagte: "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Matthäus 25,40)

Eine Bulle forderte alle Kirchenglieder auf, sich dem Kreuzzug gegen die Ketzer anzuschließen. Als Ansporn, an diesen grausamen Taten teilzunehmen, sprach sie "von allen kirchlichen Schmerzen und Strafen frei. Die Bulle entband alle, die an dem Kreuzzug teilnahmen, von sämtlichen geleisteten Eiden. Sie legitimierte deren Anspruch auf jedes Eigentum, das sie unrechtmäßig erworben hatten, und versprach den Erlass aller ihrer Sünden, auch die, einen Ketzer getötet zu haben. Alle Verträge wurden als nichtig erklärt, die zugunsten von Waldensern abgeschlossen worden waren, sie forderte Dienstboten auf, sie zu verlassen, verbot allen Menschen, ihnen irgendeine Hilfe zu geben, und ermächtigte jedermann, sich ihres Eigentums zu bemächtigen" (WHP, XVI, 1). Dieses Schriftstück offenbart deutlich, wer die Fäden zu diesen Taten in Händen hielt: Das Brüllen des Drachens und nicht die Stimme Christi war darin zu hören.

Die päpstlichen Führer wollten sich nicht den Richtlinien des göttlichen Gesetzes anpassen, sondern stellten Regeln auf, die ihnen behagten, und bestimmten, dass alle gezwungen werden sollten, ihnen Folge zu leisten, weil Rom es wollte. Die schrecklichsten Tragödien spielten sich ab. Charakterlose und gotteslästerliche Priester und Päpste taten das Werk, das Satan entsprach. Barmherzigkeit fand keinen Raum in ihrem Wesen. Der gleiche Geist, der Christus kreuzigte und die Apostel tötete, der den blutrünstigen Nero gegen die Gläubigen seiner Zeit aufhetzte, war auch jetzt am Werk, um die Erde von denen zu säubern, die Gott liebte.

Die Verfolgungen, die viele Jahrhunderte über das gottesfürchtige Volk hereinbrachen, wurden von diesem mit Geduld und Ausdauer ertragen. Das ehrte ihren Erlöser. Ungeachtet der Kreuzzüge und des Gemetzels, die sie ertragen mussten, sandten sie weiterhin ihre Missionare aus, um die kostbare Wahrheit zu verbreiten. Sie wurden zu Tode gehetzt, doch ihr Blut tränkte die ausgestreute Saat, und gute Frucht blieb nicht aus. So legten die Waldenser Jahrhunderte vor der Geburt Luthers von Gott Zeugnis ab. Sie waren in viele Länder zerstreut und pflanzten die Saat der Reformation, welche mit Wycliff begann, sich in den Tagen Luthers stark ausbreitete und bis zum Ende der Zeit von Menschen fortgeführt wird, die zum Leiden bereit sind "um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus" (Offenbarung 1,9).