Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 6

Hus Und Hieronymus

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Das Evangelium fand schon im 9. Jahrhundert Eingang in Böhmen. Die Bibel war übersetzt worden und der Gottesdienst fand in der Sprache des Volkes statt. Als jedoch die Macht des Papstes zunahm, verlor das Wort Gottes mehr und mehr an Bedeutung. Gregor VII., der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Stolz der Könige zu demütigen, war nicht weniger darauf bedacht, das Volk zu unterjochen. Dementsprechend verfasste er eine Bulle, die den Gottesdienst in böhmischer Sprache verbot. Der Papst erklärte, dass "es dem Allmächtigen gefällt, wenn der Gottesdienst in einer unbekannten Sprache durchgeführt wird, und dass viele Übel und Ketzereien durch Missachtung dieser Regel entstanden sind" (WHP, III, 1; vgl. CHB, 16). So beschloss Rom, das Licht des Wortes auszulöschen und das Volk in Finsternis zu halten. Aber der Himmel hatte andere Vorkehrungen getroffen, um die Gemeinde am Leben zu erhalten. Viele Waldenser und Albigenser, die aus ihrer Heimat in Frankreich und Italien vertrieben worden waren, siedelten sich in Böhmen an. Auch wenn sie es nicht wagten, öffentlich zu lehren, arbeiteten sie doch eifrig im Verborgenen. Auf diese Weise blieb der wahre Glaube über Jahrhunderte erhalten.

Schon vor Hus gab es Männer in Böhmen, die sich gegen den Sittenverfall in der Kirche und die Lasterhaftigkeit des Volks stellten. Ihre Arbeit erregte breites Interesse. Die Befürchtungen der Hierarchie wurden geweckt und eine Verfolgung der Jünger des Evangeliums begann. Sie führten ihre Gottesdienste in den Wäldern und Bergen durch, wurden von Soldaten gejagt, und viele wurden umgebracht. Später beschlossen die Kirchenführer, dass jeder, der vom römischen Gottesdienst abwich, verbrannt werden sollte. Doch während Christen ihr Leben ließen, blickten sie nach vorn auf den Sieg ihrer Sache. Einer von denen, die "lehrten, dass das Heil nur durch den Glauben an den gekreuzigten Erlöser zu finden" sei, erklärte im Sterben: "Jetzt hat die Wut der Feinde die Oberhand über uns, aber es wird nicht für immer sein; es wird sich einer aus dem gemeinen Volk erheben, ohne Schwert und Autorität, gegen den sie nichts vermögen werden." (WHP, III, 1; vgl. CHB, 20) Luthers Zeit war noch weit entfernt; aber schon trat einer auf, dessen Zeugnis gegen Rom die Völker bewegen sollte.

Akademiker Und Priester

Jan Hus war von bescheidener Herkunft und wurde durch den Tod seines Vaters Halbwaise. Seine gläubige Mutter23, die Bildung und Gottesfurcht als eines der wertvollsten Besitztümer ansah, wollte ihrem Sohn dieses Erbe weitergeben. Hus besuchte erst eine örtliche Schule und begab sich dann auf die Universität nach Prag, wo er einen Freiplatz erhielt. Seine Mutter begleitete ihn dorthin, eine arme Witwe, die ihrem Sohn keine irdischen Güter geben konnte; doch als sie sich der großen Stadt näherten, kniete sie neben dem vaterlosen Sohn nieder und erbat für ihn den Segen des himmlischen Vaters. Die Mutter konnte nicht ahnen, wie umfassend ihr Gebet erhört werden sollte.

An der Universität zeichnete sich Hus bald durch unermüdlichen Fleiß und große Fortschritte im Studium aus, während sein tadelloser Lebenswandel und sein liebenswürdiges, gewinnendes Benehmen ihm allgemeine Achtung einbrachte. Er war ein aufrichtiger Anhänger der römischen Kirche und ein ernster Sucher nach den geistlichen Segnungen, die diese versprach. Anlässlich einer Jubiläumsfeier ging er zur Beichte, spendete seine letzten Geldstücke als Opfer und schloss sich der Prozession an, damit er die versprochene Absolution bekäme. Nach Beendigung seiner Studien wurde er Priester, bald darauf kirchlicher Würdenträger mit Zugang zum königlichen Hof. Er wurde auch Professor und später Rektor24 der Universität, an der er studiert hatte. Nach wenigen Jahren war der bescheidene ehemalige Stipendiat der Stolz seines Vaterlandes, und sein Name wurde in ganz Europa berühmt.

Sein Erneuerungswerk begann aber auf einem anderen Gebiet. Mehrere Jahre nach seiner Priesterweihe wurde er zum Prediger der Bethlehemskapelle ernannt. Der Stifter dieser Kapelle hatte seinerzeit durchgesetzt, dass die Schrift in der Volkssprache gepredigt werden sollte, was für ihn einen hohen Stellenwert hatte. Trotz der Gegnerschaft Roms wurde diese Gepflogenheit in Böhmen nie ganz abgeschafft. Doch man kannte die Bibel kaum und in allen Bevölkerungsschichten hatten sich große Laster verbreitet. Schonungslos trat Hus diesen Missständen entgegen und benutzte das Wort Gottes, um daraus die Grundsätze der Wahrheit und Reinheit zu betonen, die er ihnen einprägte.

Hieronymus, ein Bürger Prags und späterer Weggefährte von Jan Hus, brachte bei seiner Rückkehr aus England Wycliffs Schriften mit. Die Königin von England, eine böhmische Prinzessin, hatte sich zu Wycliffs Lehren bekannt, und durch ihren Einfluss wurden die Werke des Reformators auch in ihrem Heimatland weit verbreitet. Hus las diese Werke mit großem Interesse. Er hielt den Verfasser für einen aufrichtigen Christen und war geneigt, die Reformen, die Wycliff vertrat, mit Wohlwollen zu betrachten. Hus wusste noch nicht, dass er zu diesem Zeitpunkt schon einen Pfad betreten hatte, der ihn weit weg von Rom führen sollte.

Um diese Zeit trafen zwei Fremde aus England in Prag ein, Gelehrte, die das Licht empfangen hatten und gekommen waren, um es in fremden Ländern zu verbreiten. Sie begannen mit einem offenen Angriff auf die Vorrangstellung des Papstes und wurden bald von den Behörden zum Schweigen gebracht. Sie ließen sich jedoch von ihrem Vorhaben nicht abhalten und nahmen Zuflucht zu anderen Mitteln. Da sie nicht nur Prediger sondern auch Künstler waren, stellten sie von nun an diese Gaben in den Dienst der Verkündigung. An einem öffentlichen Ort zeichneten sie zwei Bilder. Eines stellte den Einzug Jesu nach Jerusalem dar, "auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers" reitend (Matthäus 21,5), gefolgt von seinen Jüngern in abgetragenen Kleidern und barfuß. Das andere Bild zeigte eine päpstliche Prozession, wobei der Papst in reiche Gewänder gekleidet und mit dreifacher Krone auf dem Haupt auf einem großen, prächtig geschmückten Pferd saß, mit Trompetern vorweg und gefolgt von Kardinälen und Prälaten in blendender Pracht.

Dies war eine Predigt, die die Aufmerksamkeit aller Bevölkerungsschichten erregte. Ganze Scharen kamen, um sich die Bilder anzusehen. Alle erkannten die Moral in diesen Zeichnungen. Viele waren vom Gegensatz zwischen der Barmherzigkeit und Demut Christi und dem arroganten Prunk des Papstes, des angeblichen Dieners Christi, beeindruckt. In Prag entstand daraufhin eine große Aufregung, und nach einer gewissen Zeit fanden die Fremdlinge, dass es für ihre Sicherheit besser wäre, wenn sie weiterzögen. Die Lehre aber, die sie verkündigt hatten, wurde nicht vergessen. Die Bilder machten einen großen Eindruck auf Hus und hatten zur Folge, dass er die Bibel und Wycliffs Schriften gründlicher studierte. Obwohl er auch jetzt noch nicht bereit war, alle Reformen Wycliffs anzunehmen, sah er doch den wahren Charakter des Papsttums deutlicher, und mit noch größerem Eifer brandmarkte er nun den Stolz, den Ehrgeiz und die Korruption der Hierarchie.

Erste Auseinandersetzungen

Von Böhmen breitete sich das Licht nach Deutschland aus, denn Unruhen an der Prager Universität verursachten, dass Hunderte deutscher Studenten die Stadt verließen. Viele von ihnen hatten von Hus ihre ersten Kenntnisse über die Bibel erhalten, und nach ihrer Rückkehr verbreiteten sie das Evangelium in ihrer Heimat.

Die Nachricht von den Geschehnissen in Prag erreichte Rom, und Hus wurde umgehend aufgefordert, vor dem Papst zu erscheinen. Dieser Aufforderung nachzukommen, hätte für ihn den sicheren Tod bedeutet. Der König und die Königin von Böhmen, die Universität, Mitglieder des Adels und Regierungsbeamte richteten vereint eine Bittschrift an den Pontifex, es Hus doch zu gestatten, in Prag zu bleiben und einem Bevollmächtigten aus Rom Rede und Antwort zu stehen (PGB, III, 6, 257 f). Statt dieser Bitte nachzukommen, trieb der Papst das Verfahren voran und erwirkte die Verurteilung von Hus. Dann verhängte er über die Stadt Prag den Kirchenbann.

Wenn in jener Zeit ein solches Urteil ausgesprochen wurde, rief dies große Bestürzung hervor. Die Rituale, die es begleiteten, waren so angelegt, dass sie ein Volk erzittern ließen, das den Papst ja als den Stellvertreter Gottes betrachtete, der die Schlüssel von Himmel und Hölle in den Händen hielt und die Macht besaß, weltliche sowie geistliche Urteile zu fällen. Man glaubte, dass die Tore des Himmels für jene Gebiete verschlossen waren, die mit dem Bann belegt wurden, und dass ihre Toten von den Orten der Glückseligkeit ausgeschlossen blieben, bis es dem Papst gefiel, den Bann aufzuheben. Als Zeichen dieser schrecklichen Katastrophe wurden alle Gottesdienste in Prag eingestellt und die Kirchen geschlossen. Hochzeiten wurden auf Friedhöfen abgehalten, die Toten, denen das Begräbnis auf geweihtem Grund untersagt wurde, verscharrte man ohne Feierlichkeit in Gräben oder auf Feldern. Solche Maßnahmen übten einen enormen Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen aus. Damit versuchte Rom ihre Gewissen zu kontrollieren.

In Prag herrschte Aufruhr. Von vielen wurde Hus als Urheber dieser Katastrophe angesehen, und sie verlangten, dass Hus der Rache Roms übergeben werde. Um den Sturm zu stillen, zog sich der Reformator für eine Zeit in sein Heimatdorf zurück (nach Ziegenburg [Kozi Hradek] in Südböhmen). An seine Freunde, die er in Prag zurückgelassen hatte, schrieb er: "Wisset also, dass ich, durch diese Ermahnung Christi und sein Beispiel geleitet, mich zurückgezogen habe, um nicht den Bösen Gelegenheit zur ewigen Verdammnis und den Guten zur Bedrückung und Betrübnis Ursache zu werden; und dann auch, damit nicht die gottlosen Priester die Predigt des göttlichen Wortes ganz verhindern sollten. Ich bin also nicht deshalb gewichen, damit durch mich die göttliche Wahrheit verleugnet würde, für welche ich mit Gottes Beistand zu sterben hoffe." (BRAR, I, 94/95; vgl. NKG, VI, 2, § 47) Hus gab seine Tätigkeit nicht auf, sondern bereiste das umliegende Land und predigte zur lernbegierigen Menge. Die Maßnahmen, die der Papst zur Unterdrückung des Evangeliums ergriff, trugen dazu bei, dass das Evangelium weiter verbreitet wurde. "Denn wir vermögen nichts wider die Wahrheit, sondern nur etwas für die Wahrheit." (2. Korinther 13,8)

"Hus muss in dieser Zeit seiner Laufbahn einen schmerzlichen Kampf durchgemacht haben. Obgleich die Kirche ihn durch ihren Blitzstrahl zu überwältigen suchte, hatte er sich nicht von ihrer Autorität losgesagt. Die römische Kirche war für ihn nach wie vor die Braut Christi und der Papst Gottes Stellvertreter und Statthalter. Hus wollte gegen den Missbrauch der Autorität und nicht gegen das Prinzip selbst kämpfen. Dadurch entstand ein fürchterlicher Kampf zwischen den Überzeugungen seiner Vernunft und den Forderungen seines Gewissens. Wenn die Autorität gerecht und unfehlbar war, wie er doch glaubte, wie kam es, dass er sich gezwungen fühlte, ihr ungehorsam zu sein? Gehorchen hieß für ihn sündigen; aber warum sollte der Gehorsam gegen eine unfehlbare Kirche solche Folgen haben? Das war ein Problem, das er nicht lösen konnte; das war der Zweifel, der ihn von Stunde zu Stunde quälte. Die naheliegendste Antwort fand er schließlich in der Überlegung, dass sich hier wiederholte, was sich bereits in den Tagen Christi abgespielt hatte; die Priester der Kirche waren korrupt geworden und missbrauchten ihre rechtmäßige Autorität zur Erlangung unrechtmäßiger Ziele. Dies veranlasste ihn dazu, als Leitlinie für sich selbst das Prinzip zu übernehmen, dass nur die bewusst verstandenen Weisungen der Heiligen Schrift unser Gewissen bestimmen sollten. Dies empfahl er in seinen Predigten den Zuhörern. Damit vertrat er den Grundsatz, dass es eine unfehlbare Wegweisung nur bei Gott gibt, der in der Bibel spricht, und nicht in der Kirche, die durch die Priesterschaft redet. (WHP, III, 2)

Polarisierung

Als sich die Nervosität in Prag etwas gelegt hatte, kehrte Hus zu seiner Bethlehemskapelle zurück und predigte das Wort mit noch größerem Mut und Eifer. Seine Feinde waren aktiv und mächtig, aber die Königin und viele Adlige waren seine Freunde, und große Teile des Volkes hielten zu ihm. Viele, die seine reinen und erhabenen Lehren und sein heiliges Leben mit den erniedrigenden Dogmen der Priesterschaft verglichen und sich Gedanken über deren Habsucht und Prasserei machten, erachteten es als eine Ehre, auf seiner Seite zu stehen.

Bisher war Hus auf sich allein gestellt. Nun aber schloss sich Hieronymus seinem Erneuerungswerk an, der während seines Aufenthalts in England die Lehren Wycliffs angenommen hatte. Von nun an arbeiteten die beiden zusammen und sollten auch im Tod nicht getrennt werden. Hieronymus war scharfsinnig, redegewandt und gebildet. Diese Fähigkeiten, durch welche man die Gunst der Öffentlichkeit gewinnen kann, besaß er in besonderem Maß. Aber in jenen Eigenschaften, die wahre Charakterstärke ausmachen, war Hus die bedeutendere Persönlichkeit. Sein besonnenes Urteil zügelte den ungestümen Hieronymus. Dieser respektierte Hus und nahm seinen Rat demütig an. Dank dieser Zusammenarbeit konnte sich die Erneuerung schneller ausbreiten.

Gott schenkte diesen auserwählten Männern viel Licht und offenbarte ihnen viele Irrtümer Roms. Doch sie empfingen nicht das ganze Licht, das der Welt gegeben werden sollte. Durch diese seine Diener begann Gott die Menschen aus der Dunkelheit der mittelalterlichen Papstkirche herauszuführen. Doch viele und mächtige Hindernisse mussten noch überwunden werden. Gott führte seine Diener Schritt für Schritt, immer nur so weit, wie sie es fassen konnten. Sie waren nicht imstande, alles Licht auf einmal zu empfangen. So wie die volle Mittagssonne jene blendet, die lange im Dunkeln waren, so hätten sich auch diese Erneuerer abgewendet, wenn ihnen die ganze Erkenntnis auf einmal offenbart worden wäre. Deshalb schenkte Gott ihnen nach und nach das Licht, so wie es auch das Volk aufzunehmen vermochte. In den folgenden Jahrhunderten sollten weitere gewissenhafte Arbeiter folgen, um die Menschen auf dem Weg der Erneuerung weiter voranzubringen.

Die Kirchenspaltung25 dauerte weiter an. Drei Päpste stritten mittlerweile um die Vorherrschaft, und ihre Kämpfe bescherten der Christenheit Verbrechen und Aufruhr. Die Päpste begnügten sich nicht mehr damit, Bannflüche gegeneinander zu schleudern. Sie griffen jetzt zu den weltlichen Waffen und begannen Kriegswerkzeug zu kaufen und Söldner einzustellen. Dazu musste natürlich Geld beschafft werden. Zu diesem Zweck wurden Gaben, Ämter und Segnungen der Kirche zum Verkauf angeboten. 26 Die Priester folgten dem Beispiel ihrer Vorgesetzten und griffen ebenfalls zu Simonie und Militärgewalt, um ihre Gegner zu demütigen und die eigene Macht zu stärken. Hus wurde täglich mutiger in seinen Angriffen auf die Gräuel, die im Namen der Religion geduldet wurden, und das Volk klagte die römischen Führer offen an, die Ursache dieses Elends zu sein, das über die Christenheit hereinbrach.

Wieder schien die Stadt Prag an der Schwelle einer blutigen Auseinandersetzung zu stehen. Wie in früherer Zeit wurde ein Diener Gottes angeklagt, "Israel ins Unglück" zu stürzen (1. Könige 18,17). Über die Stadt wurde wieder der Bann verhängt, und Hus zog sich in sein Heimatdorf zurück. So endete die Zeit, in der er von seiner geliebten Bethlehemskapelle aus die Wahrheit bezeugen konnte. Er sollte auf einer größeren Bühne auftreten und zur ganzen Christenheit sprechen, bevor er sein Leben zum Zeugnis der Wahrheit niederlegen musste.

Einladung Und Reise Nach Konstanz

Um die Missstände und Wirren zu beseitigen, die ganz Europa verunsicherten, fand ein allgemeines Konzil in Konstanz27 statt. Dieses Konzil wurde auf Wunsch Kaiser Sigismunds durch einen der drei einander bekämpfenden Päpste, Papst Johannes XXIII., einberufen. Der Wunsch nach diesem Konzil war Papst Johannes, dessen Charakter und Praktiken eine Untersuchung schlecht vertrugen, alles andere als willkommen, auch nicht den Prälaten mit ihrer ebenso lockeren Moral, wie sie bei den Kirchenmännern jener Zeit vorherrschte. Er wagte es aber nicht, dem Willen Sigismunds zu widersprechen.

Das Hauptanliegen dieses Konzils war die Beseitigung der Kirchenspaltung und die Ausrottung der Ketzerei. Aus diesem Grund wurden auch die anderen beiden Gegenpäpste sowie der führende Vertreter der neuen Ansichten, Jan Hus, aufgefordert zu erscheinen. Die Ersteren erschienen aus Gründen der eigenen Sicherheit nicht persönlich, sondern ließen sich durch ihre Gesandten vertreten. Papst Johannes, der das Konzil einberufen hatte, kam mit vielen bösen Ahnungen und dem Verdacht dorthin, dass es das heimliche Ziel des Kaisers wäre, ihn abzusetzen. Außerdem befürchtete er, für seine Unsittlichkeiten, mit denen er den Heiligen Stuhl beschmutzte, sowie für die Verbrechen, durch die er an die Macht gekommen war, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch er hielt mit großem Gepränge Einzug in die Stadt Konstanz. Er war von kirchlichen Würdenträgern höchsten Ranges umgeben, und ihm folgte ein Zug von Höflingen. Der gesamte Klerus, die Würdenträger der Stadt und eine riesige Volksmenge strömten ihm entgegen, um ihn willkommen zu heißen. Vier hohe Beamte hielten einen goldenen Baldachin über ihn. Vor ihm wurde die Hostie getragen, und die reichen Gewänder der Kardinäle und des Adels ergaben ein eindrucksvolles Bild.

Unterdessen näherte sich ein anderer Reisender der Stadt Konstanz. Hus war sich der Gefahren bewusst, die ihm drohten. Er verabschiedete sich von seinen Freunden, als ob er sie nie wiedersehen würde, und machte sich mit dem Gefühl auf den Weg, dass dieser ihn auf den Scheiterhaufen bringen würde. Trotz des freien Geleits, das ihm vom böhmischen König und ebenso von Kaiser Sigismund während der Reise zugesichert worden war, bereitete er sich auf einen möglichen Tod vor.

An seine Freunde in Prag schrieb er: "Meine Brüder ... ich gehe von hier mit einem freien Geleit vom König, um meinen zahllosen und moralischen Feinden zu begegnen. ... Ich verlasse mich völlig auf den allmächtigen Gott, meinen Heiland; ich vertraue darauf, dass er auf unsere innigen Gebete hören wird und mir seine Klugheit und Weisheit in meinen Mund legt, damit ich ihnen widerstehen kann, und dass er mir seinen Heiligen Geist verleiht, mich in der Wahrheit zu stärken, damit ich mit Mut den Versuchungen, dem Kerker und wenn notwendig, einem grausamen Tod entgegen gehen kann. Jesus Christus litt um seiner Auserwählten willen, und sollten wir daher überrascht sein, dass er uns ein Beispiel gab, für ihn und unser Heil alles zu erdulden? Er ist Gott und wir seine Geschöpfe; er ist der Herr und wir sind seine Diener; er ist der Herr der Welt und wir sind verachtenswerte Sterbliche und doch litt er! Warum sollten wir nicht auch leiden, besonders wenn Leid zu unserer Reinigung dient? Daher, meine Geliebten, wenn mein Tod zu seiner Herrlichkeit beitragen sollte, betet darum, dass er schnell kommen möge, und dass der Herr mich befähigt, all meiner Not mit Standhaftigkeit zu begegnen. Doch wenn es besser sein sollte, dass ich zu euch zurückkehre, so wollen wir Gott darum bitten, dass ich ohne Befleckung wieder zu euch komme; das heißt, dass ich nicht einen Tüttel der Wahrheit des Evangeliums unterdrücke, damit ich meinen Brüdern ein ausgezeichnetes Beispiel liefere, dem sie nachfolgen können. Vielleicht werdet ihr mein Antlitz in Prag nie wieder sehen; wenn es aber der Wille des allmächtigen Gottes ist, mich euch wiederzugeben, lasst uns mit festerem Herzen in der Erkenntnis und Liebe zu seinem Gesetz vorangehen." (BRAR, I, 150; vgl. NKG, 6, 2, 2, § 49)

In einem anderen Brief an einen Priester, der ein Jünger des Evangeliums geworden war, sprach Hus in tiefer Demut über seine Irrtümer und klagte sich selbst an, dass er "Freude daran hatte, reiche Gewänder zu tragen und Stunden mit leichtfertigen Dingen zu vergeuden." Er fügte die rührenden Ermahnungen hinzu: "Möge die Herrlichkeit Gottes und das Heil von Seelen dein Gemüt in Anspruch nehmen und nicht der Besitz von Pfründen und Vermögen. Hüte dich davor, dein Haus mehr zu schmücken als deine Seele, und verwende deine größte Sorgfalt auf das geistliche Gebäude. Sei liebevoll und demütig zu den Armen und verschwende deine Habe nicht durch Festgelage. Solltest du dein Leben nicht bessern und dich vom Überflüssigen fernhalten, so fürchte ich, wirst du hart gezüchtigt werden, wie ich selbst. ... Du kennst meine Lehre, denn du hast meine Unterweisungen von deiner Kindheit an empfangen, deshalb ist es unnütz für mich, dir weiter zu schreiben. Aber ich beschwöre dich bei der Gnade unseres Herrn, mich nicht in irgendeiner der Eitelkeiten nachzuahmen, in welche du mich fallen sahest." Auf dem Umschlag des Briefes fügte er hinzu: "Ich beschwöre dich, mein Freund, diese Siegel nicht zu brechen, bis du die Gewissheit erlangt hast, dass ich tot bin." (BRAR, I, 163/164)

Auf seiner Reise bemerkte Hus überall Anzeichen der Verbreitung seiner Lehren und das Wohlwollen, mit der sie aufgenommen wurden. Die Menschen kamen zusammen, um ihn zu sehen, und in einigen Städten begleiteten ihn Beamte durch die Straßen.

Schauprozesse

Nach seiner Ankunft in Konstanz wurde Hus völlige Freiheit gewährt. Zu dem Geleitschutz des Kaisers kam noch eine persönliche Zusicherung des Schutzes durch den Papst. Doch entgegen wiederholter feierlicher Zusicherungen wurde er bald danach auf Befehl des Papstes und der Kardinäle verhaftet und in einen dumpfen Kerker geworfen. Später wurde er in eine befestigte Burg (Burg Gottlieben) am südlichen Ufer des Rheins gebracht und dort gefangen gehalten. Der Papst hatte aus seiner Niedertracht keinen Nutzen gezogen, denn bald danach wurde er in demselben Gefängnis eingekerkert (BRAR, 269). Vor dem Konzil wurde er zuvor der gemeinsten Verbrechen schuldig gesprochen; neben Mord, Simonie und Ehebruch für "Sünden, die unpassend sind, genannt zu werden." So erklärte es das Konzil selbst, und schließlich wurde ihm die Tiara abgenommen und er selbst ins Gefängnis geworfen (HK, VII, 139-141). Die Gegenpäpste setzte man ebenfalls ab und ein neuer Papst wurde gewählt.

Obwohl sich der Papst größerer Verbrechen schuldig gemacht hatte, als Hus den Priestern je zur Last legte und wofür er eine Reform verlangte, machte sich dasselbe Konzil, das den Papst abgesetzt hatte, nun daran, den Reformator zu vernichten. Die Gefangennahme von Hus rief in Böhmen große Entrüstung hervor. Mächtige Adlige richteten scharfe Proteste wegen dieses Frevels an das Konzil (HGHB, 179 ff). Der Kaiser, der der Verletzung des freien Geleits nur zögernd zustimmte, widersetzte sich dem Vorgehen gegen Hus. Doch die Feinde des Reformators waren bösartig und entschieden. Sie nutzten die Vorurteile des Kaisers, seine Befürchtungen und seinen Eifer für die Kirche. Sie brachten umfangreiche Argumente vor, um zu beweisen, dass niemand "Ketzern Vertrauen schenken sollte, noch Leuten, die unter dem Verdacht der Ketzerei stünden, selbst wenn sie mit einem Sicherheitsgeleit von Kaisern und Königen versehen seien" (PGB, VI, 327 ff.). Damit setzten sie sich durch.

Durch Krankheit und Einkerkerung geschwächt - die schlechte und feuchte Luft in seinem Kerker brachte ihm ein Fieber, das ihn fast das Leben kostete - wurde Hus endlich vor das Konzil geführt. In Ketten gefesselt stand er vor dem Kaiser, der ihm sein Ehrenwort28 gegeben hatte, für seinen Schutz zu sorgen. Während seines langen Verhörs vertrat er standhaft die Wahrheit, und in Gegenwart der Würdenträger von Staat und Kirche protestierte er ernst und gewissenhaft gegen den Sittenverfall der Hierarchie. Als er gefragt wurde, ob er lieber abschwören oder den Tod auf sich nehmen wolle, wählte er das Schicksal des Märtyrers.

Die Gnade Gottes hielt ihn aufrecht. In den Wochen des Leidens vor seiner endgültigen Verurteilung erfüllte der Friede des Himmels seine Seele. "Ich schreibe diesen Brief", teilte er einem Freund mit, "in meinem Kerker und mit meinen Händen in Ketten, und morgen erwarte ich mein Todesurteil. ... Wenn wir uns mit der Hilfe Jesu Christi wieder treffen in dem köstlichen Frieden des zukünftigen Lebens, wirst du lernen, wie gnädig Gott mir gegenüber war, wie wirksam er mich inmitten meiner Versuchungen und Not getragen hat." (LHC, I, 516; vgl. RWG, XIII, 131/132; OAG, dort: PSA, II, 377/ 378; BRAR, II, 67)

In der Dunkelheit seines Kerkers sah er den Sieg des wahren Glaubens voraus. In seinen Träumen kehrte er zu seiner Kapelle in Prag zurück, wo er das Evangelium gepredigt hatte, und sah dort den Papst und die Bischöfe, wie sie die Bilder von Christus übertünchten, die er an die Wände hatte malen lassen. Dieses Traumbild betrübte ihn; aber "am nächsten Tag sah er viele Maler, die damit beschäftigt waren, die Figuren in größerer Anzahl und leuchtenderen Farben zu restaurieren. Sobald ihre Aufgabe fertig war, riefen sie, von einer unzählbaren Menge umgeben: ›Nun lasst die Päpste und Bischöfe kommen, sie werden sie nie mehr übermalen!‹" Der Reformator berichtete von seinem Traum: "Ich weiß mit Sicherheit, dass das Bild Christi niemals vernichtet werden wird. Sie wollten es zerstören, aber es wird frisch in alle Herzen gemalt werden von besseren Predigern, als ich es bin." (DAGR, I, 6; vgl. NKG, VI, 2, 2, § 73)

Zum letzten Mal wurde Hus vor das Konzil geführt. Es war eine große und glanzvolle Versammlung. Der Kaiser, die Reichsfürsten, königliche Abgeordnete, Kardinäle, Bischöfe, Priester und eine riesige Volksmenge waren gekommen, um dem Ereignis des Tages beizuwohnen. Leute aus allen Teilen der Christenheit hatten sich als Zeugen dieses ersten großen Opfers in dem anhaltenden Kampf versammelt, durch den die Glaubensfreiheit gesichert werden sollte.

Als er zu einer letzten Aussage aufgefordert wurde, lehnte Hus es ab, seine Lehren zu widerrufen. Er richtete einen durchdringenden Blick auf den Monarchen, der sein Wort so schamlos gebrochen hatte, und erklärte: "Ich bin aus eigenem freiem Entschluss vor dem Konzil erschienen, unter dem öffentlichen Schutz und dem Ehrenwort des hier anwesenden Kaisers." (RAR, II, 84; vgl. PGB, 364) Tiefe Röte überzog Sigismunds Gesicht, als sich die Augen der ganzen Versammlung auf ihn richteten.

Gedemutigt Wie Christus

Als das Urteil gefällt worden war, begann die Zeremonie der Amtsenthebung. Die Bischöfe kleideten ihren Gefangenen in das priesterliche Gewand, und als er es anlegte, sagte er: "Unser Herr Jesus Christus wurde zum Zeichen der Schmähung mit einem weißen Mantel bedeckt, als Herodes ihn vor Pilatus bringen ließ." (BRAR, III, 95/96) Als er abermals zum Widerruf ermahnt wurde, antwortete er und wandte sich an das Volk: "Mit welchem Antlitz könnte ich den Himmel anblicken? Wie sollte ich jene Menge von Menschen ansehen, denen ich das reine Evangelium gepredigt habe? Nein, ich erachte ihre Seligkeit höher als diesen armseligen Leib, der nun zum Tode bestimmt ist." Dann wurde ihm ein Teil des Priesterornats nach dem anderen abgenommen, wobei jeder Bischof einen Fluch über ihn aussprach, während er seinen Teil der Zeremonie durchführte. "Schließlich wurde ihm eine pyramidenförmige Mitra aus Papier aufgesetzt, die mit schrecklichen dämonischen Figuren bemalt war und vorn die Inschrift ›Haeresiarcha‹ (Erzketzer) trug. ›Mit größter Freude‹, sagte Hus, ›will ich diese Krone der Schmach um deinetwillen tragen, o Jesus, der du für mich die Dornenkrone getragen hast.‹"

Als er so hergerichtet war, "sprachen die Prälaten: ›Nun übergeben wir deine Seele dem Teufel.‹ Aber Hus hob seine Augen zum Himmel und sprach: ›Ich befehle meinen Geist in deine Hände, o Herr Jesus, denn du hast mich erlöst.‹" (WHP, III, 7)

Nun wurde er den weltlichen Behörden übergeben und zum Richtplatz geführt. Ein riesiger Zug folgte nach; Hunderte Waffenträger, Priester und Bischöfe in ihren kostbaren Gewändern und die Bevölkerung von Konstanz. Als er auf dem Scheiterhaufen an den Marterpfahl gebunden wurde und alles bereit war, das Feuer anzuzünden, wurde der Märtyrer nochmals aufgefordert, seine Irrtümer zu widerrufen und sein Leben zu retten. "Welche Irrtümer", sagte Hus, "sollte ich widerrufen? Ich bin mir keines Irrtums bewusst. Ich rufe Gott zum Zeugen an, dass alles, was ich geschrieben und gepredigt habe, geschehen ist, um Menschen von Sünde und Verderben wegzubringen; und daher bestätige ich freudig mit meinem Blut die Wahrheit, die ich geschrieben und gepredigt habe." (WHP, III, 7; vgl. NGK.) Als das Feuer um ihn aufflammte, begann er zu singen: "Christe, du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!" (NGK, VI, 2, 2, § 69; vgl. HK, VI, 209 ff.) Er sang so lange, bis seine Stimme für immer verstummte.

Selbst seine Feinde waren betroffen über dieses heroische Verhalten. Ein eifriger Anhänger des Papsttums, der den Märtyrertod von Hus und Hieronymus aufzeichnete und ein Jahr später starb, schrieb: "Beide ertrugen alles mit standhaftem Gemüt, als ihre letzte Stunde geschlagen hatte. Sie bereiteten sich auf das Feuer vor, als ob sie zu einem Hochzeitsfest gingen. Sie gaben keinen Schmerzenslaut von sich. Als die Flammen emporschlugen, fingen sie an, Loblieder zu singen, und kaum vermochte die Heftigkeit des Feuers ihrem Gesang Einhalt zu gebieten." (WHP, III, 7; vgl. SHB)

Als Hus' Körper vollständig verbrannt war, wurde seine Asche samt der Erde, auf der sie lag, gesammelt, in den Rhein geworfen und so ins Meer gespült. Seine Verfolger bildeten sich vergeblich ein, sie hätten die Wahrheiten nun ausgerottet, die er gepredigt hatte. Sie konnten nicht ahnen, dass die Asche, die an jenem Tag dem Meer zuströmte, wie eine Saat war, die in alle Länder der Welt ausgestreut wurde und dass sie in noch unbekannten Ländern eine reiche Ernte an Zeugen für die Wahrheit einbringen würde. Die Stimme, die in der Konzilshalle in Konstanz gesprochen hatte, brachte ein Echo hervor, das in allen kommenden Zeiten gehört werden sollte. Hus lebte nicht mehr, aber die Wahrheit, für die er gestorben war, konnte nicht untergehen. Sein Beispiel an Glauben und Standhaftigkeit würde noch viele ermutigen, fest zur Wahrheit zu stehen, auch angesichts von Folter und Tod. Sein Flammentod rückte der ganzen Welt die hinterhältige Grausamkeit Roms ins Bewusstsein. Die Feinde der Wahrheit förderten dadurch unwissentlich eine Sache, die sie vergebens zu vernichten suchten.

Folter Und Widerruf

In Konstanz sollte aber noch ein zweiter Scheiterhaufen errichtet werden. Das Blut eines weiteren Märtyrers musste für die Wahrheit Zeugnis ablegen. Als sich Hus vor seiner Abreise zum Konzil verabschiedete, wurde er von Hieronymus ermahnt, mutig und standhaft zu bleiben, und wenn er in irgendeine Not geraten sollte, würde er ihm zu Hilfe eilen. Als er dann von der Gefangennahme des Reformators hörte, machte sich der treue Jünger sofort auf, um sein Versprechen einzulösen. Mit einem einzigen Begleiter und ohne Sicherheitsgeleit machte er sich auf den Weg nach Konstanz. Nach seiner Ankunft wurde ihm klar, dass er sich nur selbst in Gefahr brachte, ohne etwas für die Befreiung von Hus tun zu können. Er floh aus der Stadt, wurde aber auf seinem Heimweg verhaftet und von einer Gruppe Soldaten in Ketten in die Stadt zurückgebracht. Bei seinem ersten Auftritt vor dem Konzil wurden seine Versuche, auf die vorgebrachten Anklagen zu antworten, von Zwischenrufen übertönt: "In die Flammen mit ihm, in die Flammen!" (BRAR, II, 256) Er wurde in ein Verließ geworfen und in einer Körperhaltung angekettet, die ihm große Schmerzen bereitete. Man hielt ihn dort bei Wasser und Brot fest. Unter diesen grausamen Haftbedingungen holte sich Hieronymus nach einigen Monaten eine lebensgefährliche Krankheit. Seine Feinde befürchteten, er könnte ihnen wegsterben, deshalb behandelten sie ihn etwas weniger hart. Dennoch blieb er ein weiteres Jahr in Haft.

Hus' Tod hatte nicht die Wirkung, die sich die Anhänger des Papsttums erhofft hatten. Die Verletzung der Zusicherung des freien Geleits hatte einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Das Konzil hielt es für besser, einen sichereren Weg einzuschlagen, und beschloss, Hieronymus nicht zu verbrennen, sondern ihn, wenn möglich, zum Widerruf zu zwingen (BRAR, III, 156; vgl. PGB, VI, 312). Man brachte ihn vor die Versammlung und bot ihm die Alternative an, abzuschwören oder auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Zu Beginn seiner Kerkerhaft wäre der Tod für ihn eine Gnade gewesen, verglichen mit den schrecklichen Leiden, die er erdulden musste. Nun aber war er durch Krankheit, die strengen Haftbedingungen, die Qualen der Angst und der Ungewissheit, durch die Trennung von seinen Freunden und durch den Tod von Hus so sehr verzagt, dass seine Kraft nachgab und er sich der Forderung des Konzils unterwarf. Er gelobte, sich an den katholischen Glauben zu halten, und stimmte dem Beschluss des Konzils zur Verdammung der Lehren von Wycliff und Hus zu, ausgenommen die "heiligen Wahrheiten", die beide gelehrt hatten (VHH, I, 173-175; HK, VII, 235; SCK, XXXIV, 662 ff.).

Durch dieses Mittel glaubte Hieronymus, die Stimme seines Gewissens ersticken zu können und seinem Schicksal zu entkommen. Aber in der Abgeschiedenheit seines Verlieses sah er klarer, was er getan hatte. Er dachte über den Mut und die Treue von Hus nach und erkannte im Gegensatz dazu, dass er die Wahrheit verleugnet hatte. Er dachte an seinen göttlichen Meister, der für ihn den Kreuzestod erduldete und dem zu dienen er sich verpflichtet hatte. Vor seinem Widerruf hatte er inmitten aller Leiden stets Trost in der Gewissheit der Gnade Gottes gefunden. Nun aber quälten ihn Gewissensbisse und Zweifel. Er wusste, dass er noch viel mehr abschwören musste, um mit Rom in Frieden zu leben. Der Pfad, auf den er sich begeben hatte, konnte nur in den völligen Abfall führen. Sein Entschluss war gefasst: Nur um einer kurzen Zeit des Leidens zu entgehen, wollte er seinen Herrn nicht verleugnen.

Neuer Mut

Bald wurde er wieder vor das Konzil geladen. Seine Unterwerfung hatte seine Richter nicht befriedigt. Ihre Blutrünstigkeit, die durch den Tod von Hus entfacht worden war, verlangte nach weiteren Opfern. Hieronymus konnte sein Leben nur durch Preisgabe der Wahrheit retten. Aber er hatte sich entschlossen, seinen Glauben zu bekennen und seinem Leidensbruder in den Flammentod zu folgen.

Er nahm seinen früheren Widerruf zurück und verlangte als Sterbender eine Gelegenheit, sich zu verteidigen. Die Prälaten fürchteten die Folgen seiner Worte und bestanden auf einer einfachen Zustimmung oder Ablehnung der Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden. Hieronymus wehrte sich gegen eine solche Grausamkeit und Ungerechtigkeit: "Ganze 340 Tage habt ihr mich in dem schwersten, schrecklichsten Gefängnis, da nichts als Unflat, Gestank, Kot und Fußfesseln neben höchstem Mangel aller notwendigsten Dinge, gehalten. Meinen Feinden gewährt ihr gnädige Audienz, mich aber wollt ihr nicht eine Stunde hören. ... Ihr werdet Lichter der Welt und verständige Männer genannt, so sehet zu, dass ihr nichts unbedachtsam wider die Gerechtigkeit tut. Ich bin zwar nur ein armer Mensch, welches Haut es gilt. Ich sage auch dies nicht, der ich sterblich bin, meinetwegen. Es verdrießt mich, dass ihr als weise, verständige Männer wider alle Billigkeit ein Urteil fällt." (TH, 158)

Seinem Gesuch wurde schließlich stattgegeben. In Gegenwart seiner Richter kniete Hieronymus nieder und betete, dass der göttliche Geist seine Gedanken und Worte leiten möge und er nichts Unwahres oder Unwürdiges über seinen Meister sagen werde. An ihm erfüllte sich an diesem Tag das Versprechen Gottes an die ersten Jünger: "Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen. ... Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet." (Matthäus 10,18-20)

Hieronymus' Worte riefen selbst bei seinen Feinden Staunen und Bewunderung hervor. Ein ganzes Jahr lang war er in einem Verlies eingemauert gewesen, weder in der Lage zu lesen noch etwas zu sehen, unter körperlichen Leiden und seelischen Ängsten. Doch trug er seine Argumente in großer Klarheit und Macht vor, als ob er ungestört Gelegenheit zu deren Formulierung gehabt hätte. Er wies auf eine Reihe heiliger Männer hin, die durch ungerechte Richter verurteilt worden waren. In fast jeder Generation hat es Männer gegeben, die das Volk ihrer Zeit aufrichten wollten, und deshalb getadelt und ausgestoßen wurden, denen man aber in späterer Zeit die notwendige Ehre erwies. Christus selbst sei von einem ungerechten Gericht als Übeltäter verdammt worden.

Standhaft Wie Christus

Bei seinem Widerruf hatte Hieronymus dem Urteil der Justiz über Hus zugestimmt. Jetzt bereute er das und bezeugte die Unschuld und Heiligkeit des Märtyrers. "Ich kannte ihn von seiner Kindheit an", sagte er, "er war ein großartiger Mann, gerecht und heilig; er wurde trotz seiner Unschuld verurteilt. . Ich bin ebenfalls bereit zu sterben. Ich schrecke nicht vor der Folter zurück, die mir von meinen Feinden und falschen Zeugen bereitet wird. Sie müssen eines Tages vor dem großen Gott, den niemand täuschen kann, für ihre Verleumdungen Rechenschaft ablegen." (BRAR, II, 151)

Er klagte sich wegen seiner Verleugnung der Wahrheit an und fuhr fort: "Darüber hinaus nagt und plagt mich keine Sünde, die ich von Jugend an getan habe, so hart, als die an diesem todbringenden Ort begangene, da ich dem unbilligen Urteil, so über Wycliff und den heiligen Märtyrer Hus, meinen getreuen Lehrer, verhängt wurde, beistimmte und aus Zaghaftigkeit und Todesfurcht sie verfluchte. Deshalb ich an derselben Stelle dagegen durch Hilfe, Trost und Beistand Gottes und des Heiligen Geistes frei öffentlich mit Herz und Mund und Stimme bekenne, dass ich meinen Feinden zu Gefallen sehr viel Übles getan habe. Ich bitte Gott, mir solches aus Gnaden zu verzeihen und aller meiner Missetaten, worunter diese die größte ist, nicht zu gedenken." (TH, 162; vgl. VHCC, 183)

Dann zeigte er auf die Richter und sagte standhaft: "Ihr habt Wycliff und Hus verdammt, nicht etwa, weil sie an den Lehren der Kirche gerüttelt, sondern weil sie die Schandtaten der Geistlichkeit, ihren Aufwand, Stolz und all die Laster gebrandmarkt hatten. Ihre Behauptungen sind unwiderlegbar, auch ich halte daran fest gleichwie sie."

Dann wurde er unterbrochen, und wütend vor Zorn schrien die Prälaten: "Was bedarf es weiterer Beweise? Wir sehen mit unseren eigenen Augen den halsstarrigsten Ketzer!"

Von ihrem Rasen unberührt, rief Hieronymus aus: "Was! Meint ihr, ich fürchte mich zu sterben? Ihr habt mich ein ganzes Jahr in einem fürchterlichen Verlies gehalten, schrecklicher als der Tod selbst. Ihr habt mich grausamer behandelt als einen Türken, Juden oder Heiden, und mein Fleisch ist mir buchstäblich auf meinen Knochen bei lebendigem Leibe verfault, und dennoch beklage ich mich nicht, denn Klagen ziemen sich nicht für einen Mann von Herz und Mut; doch ich kann nur mein Erstaunen über eine solche Barbarei an einem Christen ausdrücken." (BRAR, III, 168/169)

Abermals brach ein Sturm los, und Hieronymus wurde auf schnellstem Weg wieder ins Gefängnis gesteckt. Doch unter den Zuschauern waren etliche, auf die seine Worte einen tiefen Eindruck machten und die sein Leben retten wollten. Die höchsten kirchlichen Würdenträger besuchten ihn im Gefängnis und baten ihn innigst, sich dem Konzil zu unterwerfen. Es wurden ihm die großartigsten Belohnungen versprochen, falls er seinen Widerstand gegen Rom aufgeben würde. Aber Hieronymus blieb standhaft wie sein Meister, als diesem die ganze Herrlichkeit dieser Welt angeboten wurde.

"Kann ich aus der Heiligen Schrift überführt werden", sagte er, "will ich von Herzen um Vergebung bitten; wo nicht, will ich nicht weichen, auch nicht einen Schritt." Darauf sagte einer von denen, die ihn versuchen wollten: "Muss alles aus der Schrift beurteilt werden? Wer kann sie verstehen? Muss man nicht die Kirchenväter zu ihrer Auslegung heranziehen?"

Hieronymus erwiderte: "Was höre ich da? Soll das Wort falsch sein oder beurteilt werden? Soll es nicht allein gehört werden? Sollen die Menschen mehr gelten als das heilige Wort Gottes? ... Warum hat Paulus seine Bischöfe nicht ermahnt, auf die Ältesten zu hören, sondern gesagt, die Heilige Schrift kann dich unterweisen?", antwortete Hieronymus. "Nein, das nehme ich nicht an, es koste mein Leben. Gott kann es wiedergeben."

"Du Ketzer", war die Antwort, "es reut mich, dass ich so viel deinetwegen getan habe. Ich sehe wohl, dass der Teufel dich regiert." (TH, 162-164)

Bald darauf fällte man das Todesurteil über ihn. Er wurde an denselben Ort geführt, an dem Hus sein Leben gelassen hatte. Singend ging er seinen Weg, sein Antlitz strahlte Frieden und Freude aus. Sein Blick war auf Christus gerichtet, und der Tod hatte für ihn seine Schrecken verloren. Als der Scharfrichter hinter seinem Rücken den Scheiterhaufen anzünden wollte, rief der Märtyrer: "Kommt mutig nach vorn und zündet ihn vor meinen Augen an. Wenn ich mich gefürchtet hätte, wäre ich nicht hier."

Als die Flammen um ihn herum aufstiegen, sprach er ein letztes Gebet: "Herr, allmächtiger Vater, erbarme dich mein und vergib mir meine Sünden; denn du weißt, dass ich deine Wahrheit allezeit geliebt habe." (BRAR, III, 185/186) Seine Stimme versagte, doch seine Lippen bewegten sich weiter im Gebet. Als das Feuer sein Werk getan hatte, wurde die Asche des Märtyrers samt der Erde, auf der sie lag, aufgenommen und gleich der von Hus in den Rhein gestreut (TH, 168).

So kamen Gottes Lichtträger um. Aber das Licht der Wahrheit, das sie verbreiteten, das Licht ihres heldenhaften Beispiels, konnte nicht ausgelöscht werden. Ebenso gut hätten Menschen versuchen können, die Sonne in ihrem Lauf zu hindern oder die Morgendämmerung aufzuhalten, die soeben begonnen hatte, die Erde zu erleuchten.

Krieg In Böhmen

In Böhmen entfachte Hus' Hinrichtung eine Flamme der Entrüstung und des Schreckens. Die ganze Nation empfand, dass er der Arglist der Priester und dem Treuebruch des Kaisers zum Opfer gefallen war. Er wurde als treuer Lehrer der Wahrheit angesehen, und das Konzil, das ihn zum Tod verurteilt hatte, wurde des Mordes beschuldigt. Seine Lehren gewannen nun größere Aufmerksamkeit als je zuvor. Durch päpstliche Erlasse waren die Schriften Wycliffs verdammt und dem Feuer übergeben worden. Was vor der Vernichtung verschont geblieben war, wurde jetzt aus Verstecken hervorgeholt und zusammen mit der Bibel oder mit erworbenen Bibelteilen studiert. Viele kamen so zum reformierten Glauben.

Die Mörder von Hus jedoch sahen nicht tatenlos dem Sieg seiner Lehre zu. Papst und Kaiser schlossen sich zusammen, um die Bewegung zu vernichten, und Sigismunds Heere fielen in Böhmen ein.

Doch ein Befreier erhob sich. Jan Ziska, der bald nach Ausbruch des Krieges völlig erblindete, jedoch einer der tüchtigsten Feldherren des Landes war, wurde der Führer der Böhmen. Sein Volk verließ sich auf die Hilfe Gottes und widerstand den mächtigsten Heeren, die gegen sie geführt wurden. Immer wieder fiel der Kaiser mit frischen Truppen in Böhmen ein, und immer wieder wurde er schmählich zurückgeschlagen. Die Hussiten überwanden die Furcht vor dem Tode und niemand konnte sie schlagen. Einige Jahre nach Kriegsbeginn starb der tapfere Ziska, doch sein Platz wurde von Andreas Prokop eingenommen, der ein ebenso tapferer General und in mancher Beziehung sogar ein fähigerer Anführer war.

Als die Feinde erfuhren, dass der blinde Kriegsmann tot war, meinten sie, dies sei eine günstige Gelegenheit, um alles zurückzuerobern, was sie verloren hatten. Der Papst rief nun zu einem Kreuzzug auf, und wiederum drang eine ungeheure Streitmacht in Böhmen ein, und abermals wurde sie vernichtend geschlagen. Ein weiterer Kreuzzug wurde ausgerufen, und in allen päpstlichen Ländern Europas sammelte man Männer, Geld und Waffen. Ganze Volksmengen scharten sich unter das Banner des Papstes und waren überzeugt, der hussitischen Ketzerei endlich ein Ende zu bereiten. Siegesgewiss drang das Riesenheer in Böhmen ein. Das Volk versammelte sich, um es zurückzutreiben. Beide Heere marschierten aufeinander zu, bis sie nur noch durch einen Fluss voneinander getrennt waren. "Die Kreuzfahrer waren ihren Gegnern an Zahl weit überlegen, doch statt über den Fluss zu setzen und die Hussiten anzugreifen, gegen die zu kämpfen sie doch von so weit gekommen waren, starrten sie schweigend auf diese Krieger." (WHP, III, 17; vgl. OAG, dort: PSA, II, 397-408) Dann befiel das Heer des Kaisers plötzlich ein geheimnisvoller Schrecken. Ohne einen Schwertstreich getan zu haben und wie von einer unsichtbaren Macht vertrieben, brach die ganze Heeresmacht auseinander. Viele wurden durch das hussitische Heer niedergemetzelt, das die Flüchtenden verfolgte. Eine ungeheure Beute fiel den Siegern in die Hände, sodass der Krieg den Böhmen Reichtum statt Armut einbrachte. (WHP, III, 17)

Einige Jahre später rief ein neuer Papst zu einem weiteren Kreuzzug auf. Wie vorher schaffte man aus allen päpstlichen Ländern Europas Menschen und Mittel herbei. Groß waren die Anreize für jene, die zu diesem gefährlichen Unternehmen bereit waren. Volle Vergebung für abscheulichste Verbrechen wurde jedem Kreuzfahrer zugesichert. Allen, die im Krieg umkommen sollten, wurde eine reiche Belohnung im Himmel versprochen, und wer auf dem Schlachtfeld überlebte, sollte Reichtum und Ehre ernten. Erneut wurde ein großes Heer zusammengezogen und wiederum drang man in Böhmen ein. Die hussitischen Streitkräfte zogen sich vor den Invasoren weit ins Landesinnere zurück und verleiteten diese zur Annahme, den Sieg bereits in der Tasche zu haben. Schließlich hielt das Heer Prokops an, wandte sich gegen den Feind um und ging zum Angriff über. Jetzt entdeckten die Kreuzfahrer ihren Irrtum, blieben in ihrem Lager und warteten auf den Angriff. Als sie das Getöse des herannahenden Heeres vernahmen, wurden sie vom Schrecken29 ergriffen, noch ehe sie die Hussiten zu Gesicht bekamen. Fürsten, Generäle und einfache Soldaten warfen ihre Rüstungen weg und flohen in alle Richtungen. Umsonst versuchte der päpstliche Legat als Anführer der Invasion seine erschreckten und durcheinander geratenen Truppen zu sammeln. Trotz großer Bemühungen wurde er vom Strom seines flüchtenden Heeres weggefegt. Wiederum war die Niederlage vollkommen, und den Siegern fiel eine große Beute in die Hände.

Zum zweiten Mal floh nun ein gewaltiges Heer, das aus mutigen und für Schlachten ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten aus den mächtigsten Nationen Europas bestand, ohne Schwertstreich vor den Verteidigern eines kleinen und bis dahin schwachen Volkes. Hier konnte man eine göttliche Macht erkennen. Die Invasoren wurden durch eine übernatürliche Kraft geschlagen. Derjenige, der die Heere des Pharaos am Roten Meer vernichtete, die Midianiter vor Gideon mit seinen dreihundert Mann in die Flucht schlug, der in einer Nacht die Streitkräfte der stolzen Assyrer ausschaltete, hatte abermals seine Hand ausgestreckt und der Macht dieses Unterdrückers ein Ende bereitet. "Sie fürchten sich da, wo nichts zu fürchten ist; doch Gott zerstreut die Gebeine derer, die dich bedrängen. Du machst sie zuschanden, denn Gott hat sie verworfen." (Psalm 53,6)

Kompromisse, Spaltungen Und Neue Gemeinschaften

Als die päpstlichen Führer an der Eroberung durch Gewalt verzweifelten, schlugen sie den Verhandlungsweg ein. Es kam zu einem Vergleich, der den Böhmen zwar die Gewissensfreiheit gewährte, sie in Wirklichkeit jedoch unter die Gewalt Roms brachte. Die Böhmen stellten für einen Frieden mit Rom vier Bedingungen: die freie Predigt der Wahrheit, das Recht der ganzen Gemeinde auf Brot und Wein beim Abendmahl, den Gebrauch der Muttersprache beim Gottesdienst und den Ausschluss der Geistlichen von weltlichen Ämtern und Rechten; und im Fall von Verbrechen eine Strafgerichtsbarkeit der bürgerlichen Gerichte über Geistliche wie Laien. Die päpstlichen Machthaber "stimmten schließlich zu, dass die vier Artikel der Hussiten angenommen werden; aber das Recht ihrer Auslegung, also die Bestimmung ihrer genauen Bedeutung sollte dem Konzil vorbehalten bleiben, das heißt dem Papst und dem Kaiser" (WHP, III, 18; vgl. CGKB, I, 197). Auf dieser Grundlage wurde ein Abkommen geschlossen, und Rom erhielt durch Heuchelei und Betrug, was es durch Waffengewalt vergebens zu erreichen versuchte. Wie bei der Auslegung der Bibel wurde den hussitischen Artikeln30 eine eigene Interpretation gegeben. Ihr Sinn wurde verdreht, damit sie mit den eigenen Absichten übereinstimmten.

Große Kreise in Böhmen konnten diesem Pakt nicht zustimmen, da sie sich in ihrer Freiheit betrogen fühlten. Es entstanden Uneinigkeit und Spaltungen, die zu Streit und Blutvergießen unter ihnen selbst führten. In einem solchen Streit fiel der edle Prokop, und die Freiheit Böhmens war dahin.

Sigismund, der Verräter von Hus und Hieronymus, wurde nun König von Böhmen, und ungeachtet seines Eides, die Rechte der Böhmen zu unterstützen, ging er dazu über, dem Papsttum wieder Einfluss zu verschaffen. Doch durch seine Unterwerfung unter Rom hatte er wenig gewonnen. Sein Leben war von zwanzig langen Jahren der Mühen und Gefahren gezeichnet. Seine Heere wurden durch den langen und unnützen Kampf aufgerieben, seine Schätze verbraucht. Und nun, ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Böhmen, starb er. Zurück blieb ein Land am Rand eines Bürgerkriegs, und der Nachwelt hinterließ er einen Namen, der von Schande geprägt war.

Es folgte eine Zeit voller Aufruhr, Streit und Blutvergießen. Wieder drangen fremde Heere in Böhmen ein, und die innere Uneinigkeit zerrüttete das Volk. Wer dem Evangelium treu blieb, wurde blutig verfolgt.

Während ihre früheren Brüder einen Pakt mit Rom schlossen und dessen Irrtümer annahmen, bildeten die Gottesfürchtigen, die an ihrem Glauben festhielten, unter dem Namen "Unitas Fratrum" oder "Brüder-Unität" eine neue Gemeinschaft. 31 Dieser Schritt brachte ihnen die Verwünschungen aller Gesellschaftsschichten. Doch sie ließen sich nicht erschüttern. Sie waren gezwungen, in Wäldern und Höhlen Zuflucht zu suchen, und versammelten sich trotzdem, um Gottes Wort zu lesen und Gottesdienste abzuhalten.

Durch Boten, die sie heimlich in verschiedene Länder aussandten, erfuhren sie, dass hier und da "vereinzelte Bekenner der Wahrheit lebten, etliche in dieser, etliche in jener Stadt, die wie sie verfolgt wurden, und dass es in den Alpen eine alte Gemeinde gab, die auf der Grundlage der Schrift stand und gegen die abgöttischen Verderbnisse Roms protestierte" (WHP, III, 19). Diese Nachricht wurde mit großer Freude aufgenommen, und es entstand ein Schriftverkehr mit den Waldensern.

Standfest im Glauben an das Evangelium verharrten diese Böhmen durch die Nacht ihrer Verfolgung und hielten in dieser dunkelsten Stunde ihre Augen stets dem Horizont zugewandt, wie Menschen, die auf den Morgen warten. "Ihr Los fiel in böse Tage; aber ... sie erinnerten sich der Worte, die zuerst von Hus ausgesprochen und dann von Hieronymus wiederholt worden waren, dass ein Jahrhundert verstreichen müsse, ehe der Tag anbrechen könne. Diese Worte waren für die Taboriten32 das, was Josefs Worte für die Stämme im Hause der Knechtschaft waren: ›Ich sterbe; aber Gott wird euch heimsuchen und aus diesem Lande führen.‹" (WHP, III, 19)

"Die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts bezeugen den langsamen, aber sicheren Zuwachs der Brüdergemeinden. Obgleich sie durchaus nicht unbelästigt blieben, erfreuten sie sich verhältnismäßiger Ruhe. Am Anfang des 16. Jahrhunderts zählten sie in Böhmen und Mähren über zweihundert Gemeinden." (GLTH, 3. Aufl., II, 570) "So groß war die Zahl der Übriggebliebenen, die der verheerenden Wut des Feuers und des Schwertes entgangen waren und die die Dämmerung jenes Tages sehen durften, den Hus vorhergesagt hatte." (WHP, III, 19)