Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 7

Martin Luther Bricht Mit Rom

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Unter denen, die berufen wurden, die Gemeinde aus der Finsternis der Papstkirche in das Licht eines reineren Glaubens zu führen, stand Martin Luther an vorderster Stelle. Er war eifrig, feurig und hingebungsvoll und kannte keine Furcht außer der Ehrfurcht vor Gott. Als Grundlage für den Glauben anerkannte er allein die Heilige Schrift. Luther war der Mann der Stunde. Durch ihn verwirklichte Gott ein großes Werk für die Reformation der Kirche und die Erleuchtung der Welt.

Schul Und Studienzeit

Wie die ersten Verkündiger des Evangeliums kam Luther aus den Reihen der Armen. Seine frühe Kindheit verbrachte er im bescheidenen Heim eines deutschen Bauern. Durch die tägliche harte Arbeit als Bergmann verdiente sein Vater die Mittel, damit sein Sohn studieren konnte. Er wollte aus ihm einen Juristen machen. Aber Gottes Absicht war es, aus ihm einen Baumeister an jenem großen Tempel zu machen, der sich im Laufe der Jahrhunderte langsam erhob. Die Schule, in der Luther durch die göttliche Vorsehung auf diese wichtige Lebensaufgabe vorbereitet wurde, bestand aus Mühsal, Entbehrung und strenger Disziplin.

Luthers Vater war willensstark, geistig rege, charakterfest, ehrlich, bestimmt und geradlinig. Er blieb seinen Überzeugungen stets treu, egal was es kostete. Sein gesunder Menschenverstand führte ihn dazu, dem Mönchtum mit Misstrauen zu begegnen. Er war daher äußerst verärgert, als sein Sohn ohne väterliche Zustimmung in ein Kloster eintrat. Es dauerte zwei Jahre, bis er sich mit seinem Sohn versöhnte, doch seine Grundhaltung gegenüber dem Mönchtum blieb dieselbe.

Luthers Eltern legten großen Wert auf die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder. Sie bemühten sich, ihnen eine gute Kenntnis über Gott und praktische christliche Tugenden zu vermitteln. Oft hörte der Sohn, wie sein Vater zu Gott betete, das Kind möge sich doch stets an den Namen des Herrn erinnern und eines Tages zur Förderung der Wahrheit beitragen. Soweit es ihr arbeitsreiches Leben zuließ, nutzten die Eltern jede Möglichkeit, sich sittlich und geistig weiterzubilden. Sie bemühten sich ernsthaft und beharrlich, ihre Kinder auf ein frommes und nützliches Leben vorzubereiten. Zuweilen waren sie in ihrer Entschiedenheit und Charakterfestigkeit mit ihren Kindern etwas zu streng, doch der Reformator fand für ihre Erziehung mehr lobende als tadelnde Worte, obwohl ihm bewusst war, dass sie sich in manchen Bereichen geirrt hatten.

In der Schule, die er schon in jungen Jahren besuchte, bekam Luther Härte und sogar Gewalt zu spüren. Seine Eltern waren sehr arm, und als Luther sein Zuhause verließ, um die Schule in einer anderen Stadt zu besuchen, musste er eine Zeit lang als Kurrendesänger von Haus zu Haus gehen, um sein Brot zu verdienen. Häufig litt er Hunger. Die damals vorherrschenden finsteren und abergläubischen Vorstellungen von Religion machten ihm Angst. Abends legte er sich sorgenbeladen zu Bett, blickte bedrückt in die dunkle Zukunft und hatte dauernd Angst beim Gedanken an Gott, den er sich als harten, unerbittlichen Richter und grausamen Tyrannen vorstellte und nicht als liebevollen himmlischen Vater.

Obwohl Luther oft mit sehr entmutigenden Umständen zu kämpfen hatte, strebte er entschlossen vorwärts. Er fühlte sich zu hohen moralischen Werten und zu geistiger Höchstleistung hingezogen. Er war wissensdurstig und seine Ernsthaftigkeit sowie sein praktischer Sinn strebten nach dem Beständigen und Nützlichen und nicht nach Aufsehenerregendem und Oberflächlichem.

Als er mit achtzehn in die Universität Erfurt eintrat, hatte sich seine Lage ein wenig verbessert und seine Aussichten waren etwas erfreulicher als in früheren Jahren. Sparsamkeit und Fleiß ermöglichten es seinen Eltern, ihn mit allem zu unterstützen, was er nötig hatte und der Einfluss verständnisvoller Freunde milderte die belastenden Folgen seiner früheren Erziehung. Nun studierte er eifrig die Schriften der besten Autoren, behielt ihre wichtigsten Gedanken in Erinnerung und machte sich ihre Weisheit zu Eigen. Schon unter der harten Disziplin seiner früheren Lehrer hatte er sich ausgezeichnet. Unter den weitaus günstigeren Bedingungen entwickelte sich sein Geist nun schnell. Sein gutes Gedächtnis, seine lebhafte Fantasie, sein Scharfsinn und sein unermüdlicher Einsatz machten ihn bald zu einem der besten unter seinen Kollegen. Diszipliniertes Denken förderte sein Auffassungsvermögen, sein Geist wurde belebt und seine Wahrnehmung geschärft. Auf diese Weise wurde er auf die Auseinandersetzungen seines Lebens vorbereitet.

Luthers Herz war von Ehrfurcht gegenüber Gott erfüllt. Diese befähigte ihn, grundsatztreu zu bleiben und in Demut vor seinem Herrn zu leben. Ständig war ihm seine Abhängigkeit von Gottes Hilfe bewusst. Es gab keinen Tag, den er nicht im Gebet begann, und in seinem Herzen bat er Gott unablässig um Führung und Beistand. Oft sagte er: "Fleißig gebetet ist über die Hälfte studiert." (AGR, II, 2; vgl. MLH, 3)

Die Entdeckung Im Kloster

Als Luther eines Tages in der Universitätsbibliothek in Büchern stöberte, entdeckte er eine lateinische Bibel. Noch nie hatte er ein solches Buch gesehen. Er selbst bezeugte: "Da ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich noch keine gesehen. Ich meinte, es wären keine Evangelien noch Episteln mehr, denn die in den Postillen sind." (LEA LX, 255) Nun blickte er zum ersten Mal auf das ganze Wort Gottes. Mit Ehrfurcht und Bewunderung blätterte er die heiligen Seiten um. Mit beschleunigtem Puls und klopfendem Herzen las er ganz allein die Worte des Lebens, hielt hin und wieder inne und rief: "Oh, dass Gott mir solch ein Buch als mein Eigentum geben wollte!" (DAGR, II, 2). Himmlische Engel standen ihm zur Seite, und Strahlen von Gottes Thron offenbarten seinem Verstand die Schätze der Wahrheit. Stets hatte er sich gefürchtet, Gott zu beleidigen. Nun aber wurde er von seiner Sündhaftigkeit so fest überzeugt wie nie zuvor.

Das aufrichtige Verlangen, von Sünden befreit zu sein und mit Gott in Frieden zu leben, hatte ihn veranlasst, in ein Kloster einzutreten und als Mönch zu leben. Hier musste er die niedrigsten Fronarbeiten leisten und von Haus zu Haus betteln gehen. Er war in einem Alter, in dem man sich am meisten nach Achtung und Anerkennung sehnt. Durch solche Sklavenarbeit fühlte er sich jedoch zutiefst gedemütigt. Dennoch ertrug er diese Erniedrigung geduldig, weil er glaubte, dass sie um seiner Sünden willen notwendig sei.

Jeden Augenblick, den er von seinen täglichen Pflichten erübrigen konnte, benutzte er zum Studium. Er gönnte sich wenig Schlaf und nahm sich kaum Zeit für seine kärglichen Mahlzeiten. Das Studium der Heiligen Schrift befriedigte ihn am meisten. Im Kloster hatte er eine Bibel gefunden, die an eine Mauer gekettet war, und an diesen Ort zog er sich oft zurück. Je mehr er von seinen Sünden überzeugt wurde, desto stärker versuchte er, Vergebung und Frieden durch eigene Werke zu finden. Er führte ein äußerst hartes Leben und bemühte sich, durch Fasten, Wachen und Kasteien das Böse in seinem Wesen zu besiegen, von dem ihm das Leben als Mönch keine Befreiung brachte. Er schreckte vor keinem Opfer zurück, das ihm jene Reinheit des Herzens bringen könnte, die ihm vor Gott Anerkennung brächte. Er sagte später: "Wahr ist's, ein frommer Mönch bin ich gewesen, und habe so gestrenge meinen Orden gehalten, dass ich's sagen darf: Ist je ein Mönch gen Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein; denn ich hätte mich (wo es länger gewährt hätte) zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit." (DAGR, II, 3; vgl. LEA, XXXI, 273) Diese belastende Disziplin schwächte ihn und er erlitt Ohnmachtsanfälle, von denen er sich nie richtig erholte. Doch trotz all seiner Bemühungen fand seine schuldbeladene Seele keine Befreiung. So trieb es ihn an den Rand der Verzweiflung.

Als es schien, dass für Luther alles verloren war, sandte ihm Gott einen Freund und Helfer. Der gottergebene Staupitz öffnete ihm das Wort Gottes und forderte ihn auf, von sich selbst wegzuschauen, aufzuhören mit dem Nachdenken über die ewige Qual für die Übertretung des Gesetzes Gottes und auf Jesus zu schauen, seinen die Sünden vergebenden Befreier. "Statt dich wegen deiner Sünden zu kasteien, wirf dich in die Arme des Erlösers. Vertraue auf ihn, auf die Gerechtigkeit seines Lebens, auf die Versöhnung in seinem Tode. Horch auf den Sohn Gottes. Er ist Mensch geworden, um dir die Gewissheit seiner göttlichen Gunst zu geben. ... Liebe ihn, der dich zuerst geliebt hat." (DAGR, II, 3; vgl. WLS, II, 264) So sprach dieser Botschafter der Gnade. Seine Worte machten auf Luther einen nachhaltigen Eindruck. Nach vielen Kämpfen mit lang gehegten Irrtümern konnte er endlich die Wahrheit erfassen und seine aufgewühlte Seele fand Frieden.

Enttäuschung In Rom

Luther wurde zum Priester geweiht und aus dem Kloster als Professor an die Universität Wittenberg berufen. Hier widmete er sich dem Studium der Heiligen Schrift in den Ursprachen und begann Vorlesungen über die Bibel zu halten. So wurden die Psalmen, die Evangelien und die neutestamentlichen Briefe Scharen von begeisterten Zuhörern zugänglich und verständlich gemacht. Staupitz, sein Freund und Vorgesetzter, drängte ihn, auf die Kanzel zu gehen und das Wort Gottes zu predigen. Luther zögerte, denn er fühlte sich unwürdig, an Christi Statt zum Volk zu reden. Nach langem inneren Kampf gab er dem Drängen seiner Freunde nach. Er war mit der Schrift bereits sehr gut vertraut und die Gnade Gottes war mit ihm. Seine Wortgewandtheit fesselte die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Die Klarheit und Vollmacht, mit der er die Wahrheit darlegte, überzeugte ihren Verstand, und sein glühender Eifer rührte ihr Herz an.

Luther war nach wie vor ein treuer Sohn der päpstlichen Kirche, und es fiel ihm nicht im Entferntesten ein, je etwas anderes zu sein. Durch die Vorsehung Gottes konnte er Rom besuchen. Zu Fuß machte er sich auf die Reise und übernachtete in Klöstern, die am Weg lagen. In einem italienischen Kloster war er über den Reichtum, die Pracht und den Luxus erstaunt. Mit einem fürstlichen Einkommen ausgestattet, wohnten die Mönche in prächtigen Gemächern, kleideten sich in die reichsten und kostbarsten Gewänder und aßen an einem reich gedeckten Tisch. Eine böse Vorahnung beschlich ihn, als er diese Zustände mit der Selbstverleugnung und Härte seines eigenen Lebens verglich und seine Gedanken wurden zunehmend verwirrt.

Endlich erblickte er in der Ferne die Stadt der sieben Hügel. Tief bewegt warf er sich zu Boden und rief: "Sei mir gegrüßt, du heiliges Rom!" (DAGR, II, 6) Er betrat die Stadt, besuchte die Kirchen, hörte den Wundererzählungen der Priester und Mönche zu und befolgte alle vorgeschriebenen Zeremonien. Wohin er auch blickte, immer wieder wurde er in Staunen aber auch in Schrecken versetzt. Er sah, dass es in allen Klassen der Geistlichkeit Ungerechtigkeit gab. Von Prälaten hörte er unanständige Witze, und ihre schlimme Respektlosigkeit, die sich sogar in der Messe zeigte, erfüllte ihn mit Schrecken. Als er sich unter die Mönche und das Volk begab, fand er überall Prasserei und Ausschweifung. Wohin er sich auch wandte, an den heiligen Stätten sah er nur Unheiliges. "Niemand glaube", schrieb er, "was zu Rom für Büberei und gräulich Sünde und Schande gehen ... er sehe, höre und erfahre es denn. Daher sagt man: ›Ist irgendeine Hölle, so muss Rom drauf gebaut sein; denn da gehen alle Sünden im Schwang.‹" (DAGR, II, 6; vgl. LEA, LXII, 441)

Durch einen kurz zuvor veröffentlichten Erlass hatte der Papst all jenen Ablass versprochen, die auf den Knien die "Pilatusstiege" hinaufrutschen würden. Von dieser Treppe wurde gesagt, dass unser Erlöser auf ihr hinuntergegangen sei, als er das römische Gerichtshaus verließ, und dass sie durch ein Wunder von Jerusalem nach Rom gelangt sei (siehe RDG, 8. Aufl., I, 200). Andächtig erklomm Luther eines Tages diese Treppe, als plötzlich eine donnerähnliche Stimme ihm zu sagen schien: "Der Gerechte wird aus Glauben leben." (Römer 1,17) Er sprang auf und verließ beschämt, entsetzt und in Eile diese Stätte. Jene Bibelstelle aber verlor bei ihm nie ihre Wirkung. Von nun an erkannte er deutlicher als je zuvor den Irrtum, sich für die Erlösung auf Menschenwerke zu verlassen, und er begriff die Notwendigkeit, ständig auf die Verdienste Christi zu vertrauen. Seine Augen waren geöffnet worden und sie sollten sich vor der Irreführung des Papsttums nie mehr verschließen. Als er der Stadt Rom den Rücken kehrte, wandte sich auch sein Herz ab, und von da an wurde die Kluft immer tiefer, bis er sich ganz von der päpstlichen Kirche trennte.

Zwischen Licht Und Finsternis

Nach seiner Rückkehr aus Rom wurde Luther von der Universität Wittenberg der Titel eines Doktors der Theologie verliehen. Damit erhielt er die Freiheit, sich wie nie zuvor dem Studium der Heiligen Schrift zu widmen, die er so liebte. Er hatte feierlich gelobt, während seines ganzen Lebens das Wort sorgfältig zu erforschen und zu predigen und nicht auf Aussagen und Lehren der Päpste zu achten. Luther war nicht mehr nur Mönch oder Professor, sondern der bevollmächtigte Verkünder der Bibel und als Hirte berufen, die Herde zu weiden, die nach Wahrheit hungerte und dürstete. Er erklärte mit Nachdruck, dass Christen keine anderen Lehren annehmen sollten als die, welche auf der Autorität der Heiligen Schrift beruhen. Diese Worte erschütterten das Fundament des päpstlichen Lehrgebäudes. Sie enthielten die wesentlichen Grundprinzipien der Reformation.

Luther erkannte die Gefahr, menschliche Theorien über das Wort Gottes zu erheben. Furchtlos griff er den spitzfindigen Unglauben der Schulgelehrten an und trat der Philosophie und Theologie entgegen, die schon so lange ihren herrschenden Einfluss auf das Volk ausgeübt hatten. Er verurteilte solche Lehren nicht nur als wertlos, sondern als verderblich. Luther bemühte sich, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer von den Spitzfindigkeiten der Philosophen und Theologen abzuwenden, und auf die ewigen Wahrheiten zu lenken, welche die Propheten und Apostel verkündigt hatten.

Wie kostbar war die Botschaft, die er einer erwartungsvollen Zuhörerschaft bringen durfte. Nie zuvor waren den Menschen solche Lehren zu Ohren gekommen. Die frohe Botschaft von der Liebe des Erlösers und von der Gewissheit der Vergebung durch das versöhnende Blut Christi erfreute die Herzen und erfüllte sie mit unvergänglicher Hoffnung. In Wittenberg wurde ein Licht entfacht, dessen Strahlen die hintersten Winkel der Erde erreichen und das bis zum Ende der Zeit immer heller leuchten sollte.

Doch Licht und Finsternis lassen sich nicht vereinen. Zwischen Wahrheit und Irrtum tobt ein unvermeidbarer Kampf. Das eine aufrecht zu erhalten und zu verteidigen heißt, das andere anzugreifen und zu stürzen. Christus selbst sagte: "Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Matthäus 10,34) Luther sagte einige Jahre nach Beginn der Reformation: "Gott reißt, treibt und führt mich; ich bin meiner nicht mächtig; ich will stille sein und werde mitten in den Tumult hineingerissen." (DAGR, V, 2; vgl. EMLB, 430, 20.2.1519) Von jetzt an wurde er in die Auseinandersetzung hineingedrängt.

Die römische Kirche hatte die Gnade Gottes zu einem Handelsgut herabgewürdigt. Die Tische der Geldwechsler (Matthäus 21,12) waren neben ihren Altären aufgestellt und die Luft war erfüllt vom Geschrei der Verkäufer und Käufer. Unter dem Vorwand, für den Bau der Peterskirche in Rom Mittel zu beschaffen, wurde der Ablass für Sünden öffentlich und mit der Autorisierung des Papstes angeboten. Mit Frevelgeld sollte ein Tempel für den Gottesdienst gebaut werden, und der Eckstein wurde mit dem Lösegeld der Bosheit gelegt. Doch gerade diese Geldmittel, die für die Verherrlichung Roms verwendet wurden, versetzten der römischen Macht und Größe den vernichtenden Schlag. Dieses Vorgehen rief den entschiedensten und erfolgreichsten Feind des Papsttums auf den Plan und führte zu einem Kampf, der den päpstlichen Thron erschüttern und die dreifache Krone des Papstes ins Wanken bringen sollte.

Gekaufte Vergebung

Johann Tetzel, der römische Gesandte, der mit dem Ablassverkauf33 in Deutschland beauftragt wurde, war früher wegen gemeinster Vergehen gegen die Menschlichkeit und gegen das Gesetz Gottes verurteilt worden. Doch nachdem er sich der Strafe für seine Verbrechen entzogen hatte, wurde ihm die Förderung des finanziell einträglichen und gewissenlosen Vorhabens des Papsttums übertragen. Mit großer Unverfrorenheit wiederholte er die krassesten Lügen und erzählte einem unwissenden, einfältigen und abergläubischen Volk Wundergeschichten. Hätte es das Wort Gottes gekannt, wäre es nicht so betrogen worden. Damit das Volk unter der Kontrolle des Papstes blieb und die ehrgeizigen Führer ihre Macht und ihren Reichtum vergrößern konnten, wurde ihm die Bibel vorenthalten (siehe GCEH, 4, I, § 5).

Wenn Tetzel eine Stadt betrat, ging ein Bote vor ihm her und verkündigte: "Die Gnade Gottes und des heiligen Vaters ist vor den Toren." (DAGR, III, 1) Das Volk hieß den gotteslästerlichen Betrüger willkommen, und "man hätte nicht wohl Gott selber schöner empfangen und halten können", wäre er vom Himmel herabgekommen. (DAGR, III, 1; vgl. DML, 102) Der schändliche Handel wickelte sich in der Kirche ab. Tetzel stieg auf die Kanzel und bot die Ablassbriefe als die kostbarste Gabe Gottes zum Kauf an. Er erklärte dem Käufer, dass durch seine Ablassbriefe alle Sünden, "auch noch so ungeheuerliche, welche der Mensch erst in der Zukunft begehen möchte", verziehen würden. "Es wäre nicht Not, Reue noch Leid oder Buße für die Sünde zu haben." Darüber hinaus versicherte er seinen Zuhörern, dass der Ablass nicht nur die Macht hätte, die Lebendigen, sondern auch die Toten zu erlösen. Von dem Augenblick an, wo das Geld im Kasten klingt, würde die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel gehen (siehe HHR, I, 96; vgl. LEA, XXVI, 69 ff.).

Als Simon der Magier den Aposteln die Macht abkaufen wollte, Wunder zu wirken, antwortete ihm Petrus: "Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt." (Apostelgeschichte 8,20) Aber bei Tetzels Angebot griffen Tausende zu. Gold und Silber flossen in seine Schatztruhe. Eine Erlösung, die für Geld zu haben war, konnte leichter erlangt werden, als eine, die Reue, Glaube und fleißigen Einsatz forderte. Nur so jedoch kann der Sünde Widerstand geleistet und sie überwunden werden.

Viele gelehrte und gottergebene Männer der römischen Kirche hatten der Ablasslehre schon widersprochen, und viele glaubten den Behauptungen nicht, die jeder Vernunft und der göttlichen Offenbarung so sehr widersprachen. Kein Geistlicher wagte es, seine Stimme gegen diesen schändlichen Handel zu erheben. Die Menschen jedoch wurden verwirrt und unruhig. Viele fragten sich ernsthaft, ob Gott seine Kirche nicht durch irgendein Werkzeug reinigen könnte.

Obwohl Luther noch immer ein sehr eifriger Anhänger des Papstes war, entsetzten ihn doch die frevlerischen Anmaßungen der Ablasskrämer. Viele aus seiner eigenen Gemeinde hatten solche Ablassbriefe gekauft und kamen nun mit ihnen zu ihrem Pastor. Sie beichteten ihm ihre verschiedenen Sünden und erwarteten Absolution, nicht weil sie bereuten und sich bessern wollten, sondern aufgrund des Ablasses. Luther verweigerte ihnen die Absolution und warnte sie, dass sie in ihren Sünden enden würden, falls sie sie nicht bereuten und ihr Leben änderten. In großer Bestürzung eilten die Abgewiesenen zu Tetzel und beklagten sich, dass ihr Beichtvater die Zertifikate nicht anerkenne, und einige verlangten mutig ihr Geld zurück. Der Mönch wurde zornig und sprach die schlimmsten Verwünschungen aus. Er ließ auf öffentlichen Plätzen Feuer anzünden und erklärte, dass er "vom Papste Befehl hätte, die Ketzer, die sich wider den Allerheiligsten, den Papst und seinen allerheiligsten Ablass, legten, zu verbrennen" (DAGR, III, 1; vgl. WLS, XV, 471).

Der Thesenanschlag

Luther begann nun mutig sein Werk als Kämpfer für die Wahrheit. Von der Kanzel herab verkündete er seine ernsten Warnungen. Er zeigte dem Volk den abscheulichen Charakter der Sünde und machte deutlich, dass es dem Menschen unmöglich sei, seine Schuld durch eigene Werke zu verringern oder der Strafe zu entgehen. Nur Reue vor Gott und Glaube an Christus könnten den Sünder retten. Die Gnade Christi könne nicht gekauft werden, denn sie sei ein freies Geschenk. Er riet dem Volk, keine Ablässe mehr zu kaufen, sondern im Glauben auf den gekreuzigten Erlöser zu schauen. Er berichtete über seine eigene schmerzliche Erfahrung, als er vergeblich versucht hatte, durch Demütigung und Buße Erlösung zu erreichen, und versicherte seinen Zuhörern, dass sie erst Friede und Freude finden würden, wenn sie von sich weg auf Christus schauten.

Tetzel führte seinen Handel fort und erhob weiterhin seine verwerflichen Ansprüche. Da entschloss sich Luther, diesen himmelschreienden Missbräuchen wirksamer zu widerstehen. Bald schon bot sich ihm dazu eine Gelegenheit. Die Schlosskirche zu Wittenberg besaß viele Reliquien, die an bestimmten Festtagen für das Volk ausgestellt wurden. Allen, die an diesen Tagen die Kirche besuchten und zur Beichte kamen, wurde ein vollständiger Sündenerlass versprochen. Daher kamen zu solchen Zeiten viele Menschen dorthin. Ein ganz besonderer Anlass dieser Art war das nahe bevorstehende Fest Allerheiligen. Am Tag zuvor schloss sich Luther der Menschenmenge an, die auf dem Weg zur Kirche war, und schlug ein Plakat mit 95 Thesen gegen die Ablasslehre an die Kirchentür. Er erklärte sich bereit, diese Thesen am folgenden Tag in der Universität gegen all jene zu verteidigen, die den Mut hätten, ihnen zu widersprechen.

Seine Thesen zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurden wieder und wieder gelesen und überall verbreitet. An der Universität und in der ganzen Stadt entstand eine große Aufregung. Diese Thesen machten deutlich, dass die Vollmacht zur Vergebung von Sünden und zum Erlass von Sündenstrafen niemals dem Papst oder einem anderen Menschen übergeben worden war. Das ganze System sei ein Hohn, eine Masche der Kirche, die aus dem Aberglauben des Volkes finanziellen Gewinn schlug; eine Einrichtung Satans um die Seelen all jener zu verderben, die seinen lügenhaften Ansprüchen Glauben schenkten. Es wurde auch deutlich gezeigt, dass das Evangelium von Christus der kostbarste Schatz der Kirche ist. Darin offenbart sich die Gnade Gottes, die allen Menschen, die sie in Reue und im Glauben suchen, frei geschenkt wird.

Luthers Thesen forderten zur Diskussion heraus, aber niemand wagte es, die Herausforderung anzunehmen. In wenigen Tagen waren die gestellten Fragen in ganz Deutschland bekannt, und in wenigen Wochen erschollen sie durch die ganze Christenheit. Viele gläubige Katholiken, die die schreckliche Ungerechtigkeit in ihrer Kirche sahen und beklagten, jedoch nicht wussten, wie ihr zu begegnen sei, lasen die Lehrsätze mit großer Freude. Sie erkannten darin die Stimme Gottes und fühlten, dass er seine Hand gnädig ausstreckte, um die anschwellende Flut des Verderbens aufzuhalten, die vom römischen Stuhl ausging. Fürsten und Beamte freuten sich insgeheim, dass einer überheblichen Macht, die keine Einwände gegen ihre Beschlüsse erlaubte, so immer mehr ein Riegel vorgeschoben wurde.

Die Folgen Der Mutigen Tat

Aber die abergläubische Menge, die ihr sündhaftes Leben liebte, war entsetzt, als die Spitzfindigkeiten hinweggefegt wurden, die ihre Ängste besänftigt hatten. Durchtriebene Geistliche, die das Verbrechen gebilligt hatten, wurden aufgeschreckt und mussten um ihren Gewinn fürchten. Sie wurden wütend und schlossen sich zusammen, um ihre Ansprüche zu verteidigen. Der Reformator musste sich mit erbitterten Anklägern auseinandersetzen. Einige beschuldigten ihn, übereilt und impulsiv gehandelt zu haben. Andere warfen ihm Vermessenheit vor und erklärten, er werde nicht von Gott geführt, sondern handle aus Stolz und Dreistigkeit. "Wer kann eine neue Idee vorbringen", antwortete Luther, "ohne einen Anschein von Hochmut, ohne Beschuldigung der Streitlust? Weshalb sind Christus und alle Märtyrer getötet worden? Weil sie stolze Verächter der Wahrheit ihrer Zeit zu sein schienen und neue Ansichten aussprachen, ohne die Vertreter der alten Meinung demütig um Rat zu fragen."

Und er erklärte weiter: "Ich will nicht, dass nach Menschen Rat, sondern nach Gottes Rat geschehe, was ich tue; ist das Werk von Gott, wer möcht's hindern, ist's nicht aus Gott, wer möcht's fördern? Es geschehe nicht mein, noch ihr, noch euer, sondern Dein Wille, heiliger Vater im Himmel!" (DAGR, III, 6; vgl. EMLB, I, 126, an Lang, 11.10.1517)

Obwohl Luther durch den Geist Gottes dazu bewegt worden war, sein Werk zu beginnen, sollte er es nicht ohne schwere Kämpfe weiterführen. Die Vorwürfe seiner Feinde, die Missdeutungen seiner Argumente und ihre ungerechten und boshaften Bemerkungen über seinen Charakter und seine Beweggründe ergossen sich wie eine Flut über ihn und blieben nicht ohne Wirkung. Er war zuversichtlich, dass sich ihm die Führer des Volkes in der Kirche sowie in den Schulen freudig anschließen und seine Reform unterstützen würden. Ermutigende Worte von hochgestellten Persönlichkeiten hatten ihm Freude und Hoffnung geschenkt. Im Geist hatte er für die Kirche schon einen neuen Tag anbrechen sehen. Doch die Ermutigung schlug in Vorwürfe und Verurteilungen um. Viele kirchliche und staatliche Würdenträger waren von der Wahrheit seiner Thesen überzeugt. Aber bald sahen sie, dass die Annahme dieser Wahrheiten große Umwälzungen zur Folge haben würde. Das Volk zu erleuchten und zu reformieren hieße ganz offensichtlich, die Autorität Roms zu untergraben, auf Unsummen von Geld, das in ihre Schatzkammern floss, zu verzichten und damit die Extravaganzen und den Luxus der päpstlichen Führer zu unterbinden. Weiterhin bedeutete es, das Volk zu selbstständigem Denken und Handeln zu erziehen und für die Erlösung nur auf Christus zu blicken. Das wiederum würde bedeuten, den Thron des Pontifex zu stürzen und am Ende sogar die eigene Autorität zu untergraben. Aus diesem Grund wiesen sie die Erkenntnis, die Gott ihnen anbot, zurück. Indem sie dem Mann widerstanden, den Gott ihnen zu ihrer Erleuchtung gesandt hatte, stellten sie sich gegen Christus und die Wahrheit.

Luther zitterte, als er auf sich schaute: Allein stand er den größten Mächten der Welt gegenüber. Manchmal zweifelte er, ob ihn Gott wirklich in seinem Widerstand gegen die Autorität der Kirche leitete. "Wer war ich", schrieb er, "der sich sollte wider des Papstes Majestät setzen, vor welcher die Könige auf Erden und der ganze Erdboden sich entsetzten ...? Was mein Herz in jenen zwei Jahren ausgestanden und erlitten hat und in welcherlei Demut, ja Verzweiflung ich da schwebte, ach! Davon wissen die sichern Geister wenig, die hernach des Papstes Majestät mit großem Stolz und Vermessenheit angriffen" (DAGR, III, 9; vgl. SCL, I, 119 ff.). Doch er wurde nicht gänzlich der Verzweiflung überlassen. Als menschliche Unterstützung fehlte, schaute er auf Gott allein und lernte, dass man sich vollkommen auf dessen allmächtigen Arm verlassen kann.

Argumentation Mit Der Heiligen Schrift

Einem Freund der Reformation schrieb Luther: "Es ist vor allem gewiss, dass man die Heilige Schrift weder durch Studium noch mit dem Verstand erfassen kann. Deshalb ist es zuerst Pflicht, dass du mit dem Gebet beginnst und den Herrn bittest, er möge dir zu seiner Ehre, nicht zu deiner, in seiner großen Barmherzigkeit das wahre Verständnis seiner Worte schenken. Das Wort Gottes wird uns von seinem Urheber ausgelegt, wie er selbst sagt, alle werden sie von Gott gelehrt. Hoffe deshalb nichts von deinem Studium und Verstand, vertraue allein auf den Einfluss des Geistes. Glaube meiner Erfahrung." (DAGR, III, 7; vgl. EMLB, I, 142, 18.01.1518) Diese Lehre ist von entscheidender Bedeutung für alle, die sich von Gott berufen fühlen, anderen die ernsten Wahrheiten für die heutige Zeit zu verkündigen. Diese Wahrheit ruft die Feindschaft Satans und derer auf den Plan, die seine Fabeln lieben. Bei der Auseinandersetzung mit den Mächten des Bösen ist mehr nötig als Verstandeskraft und menschliche Weisheit.

Wenn sich die Feinde auf Gebräuche und Traditionen, auf päpstliche Erklärungen oder auf die Autorität des Papstes beriefen, trat Luther ihnen mit der Bibel - ja allein mit der Bibel - entgegen. Diese Argumente konnten sie nicht widerlegen, deshalb schrien diese Sklaven des Formalismus und des Aberglaubens nach seinem Blut, wie seinerzeit die Juden nach dem Blut Christi. "Er ist ein Ketzer!", riefen die Eiferer Roms. "Es ist Hochverrat gegen die Kirche, wenn ein so schändlicher Ketzer noch eine Stunde länger lebt. Auf den Scheiterhaufen mit ihm!" (DAGR, III, 9; vgl. SCL, 104) Aber Luther fiel ihrer Wut nicht zum Opfer. Nach dem Willen Gottes hatte er ein Werk auszuführen und himmlische Engel wurden zu seinem Schutz geschickt. Viele jedoch, die von Luther das kostbare Licht empfangen hatten, setzten sich der Wut Satans aus und erlitten um der Wahrheit willen furchtlos Folter und Tod.

Luthers Lehren zogen die Aufmerksamkeit denkender Geister in ganz Deutschland auf sich. Seine Predigten und Schriften verbreiteten Lichtstrahlen, die Tausende erweckten und erleuchteten. Ein lebendiger Glaube trat an die Stelle eines toten Formalismus, der so lange in der Kirche vorgeherrscht hatte. Die Leute verloren mehr und mehr das Vertrauen in die abergläubischen Lehren Roms. Die Schranken des Vorurteils gaben langsam nach. Das Wort Gottes, wodurch Luther jede Lehre und jede Behauptung prüfte, war wie ein zweischneidiges Schwert, das sich seinen Weg in die Herzen der Menschen bahnte. Überall erwachte ein Verlangen nach geistlichem Wachstum. Überall gab es einen solchen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, wie man ihn seit Jahrhunderten nicht mehr gekannt hatte. Die Blicke der Menschen, die so lange auf menschliche Riten und irdische Mittler gerichtet waren, wandten sich jetzt reuevoll und im Glauben Christus, dem Gekreuzigten, zu.

Päpstliche Vorladung

Das weit verbreitete Interesse an Luthers Lehren erhöhte die Ängste der päpstlichen Behörden. Luther wurde nach Rom vorgeladen, um sich gegen die Anklage der Ketzerei zu verantworten. Die Aufforderung erfüllte seine Freunde mit Schrecken. Sie kannten die Gefahr nur zu gut, die ihm in dieser verworfenen Stadt drohte, die vom Blut der Märtyrer, der Zeugen Jesu schon berauscht war. Sie erhoben Einspruch gegen diese Reise nach Rom und baten darum, dass er in Deutschland verhört werde.

Man konnte sich schließlich einigen und der päpstliche Legat, Kardinal Thomas Cajetan, erhielt den Auftrag, den Fall anzuhören. In den Anweisungen, die der Papst seinem Legaten übermittelt hatte, war aber schon vermerkt, dass Luther zum Ketzer erklärt worden sei. Der römische Gesandte wurde deshalb beauftragt, "ihn zu verfolgen und unverzüglich in Haft zu nehmen". Für den Fall, dass Luther standhaft bleiben sollte und der Legat seiner nicht habhaft werden konnte, hatte er die Vollmacht, "ihn in ganz Deutschland zu ächten, zu verbannen, zu verfluchen und über all seine Freunde den Bann auszusprechen" (DAGR, IV, 2; vgl. LEA, XXXIII, 354 ff.). Um die Pest dieser Ketzerei auszurotten, befahl der Papst seinem Gesandten zudem, all jene zu exkommunizieren, die es unterließen, Luther und seine Anhänger zu ergreifen und sie der Rache Roms auszuliefern, ohne Rücksicht auf deren Amt in Kirche oder Staat, außer dem Kaiser.

Hier zeigte sich der wahre Geist des Papsttums. Keine Spur von christlichen Grundsätzen, nicht einmal von allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden war in diesem Dokument zu finden. Luther hielt sich weit von Rom entfernt auf. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, seinen Standpunkt zu erklären oder zu verteidigen, und schon bevor man seinen Fall untersucht hatte, war er kurzerhand zum Ketzer abgestempelt worden. Am selben Tag wurde er bedroht, beschuldigt, verurteilt und verdammt, und das alles durch einen selbst ernannten "Heiligen Vater", die alleinige, höchste und unfehlbare Autorität in Kirche und Staat!

Genau zu dieser Zeit, als Luther die Zuneigung und den Rat eines wahren Freundes benötigte, sandte ihm Gott in seiner Vorsehung Philipp Melanchthon nach Wittenberg. Jung an Jahren, bescheiden und zurückhaltend in seinem Benehmen, mit gesundem Urteilsvermögen, umfassendem Wissen und gewinnender Beredsamkeit, zusammen mit einem reinen und aufrichtigen Charakter erwarb er sich allgemeine Bewunderung und Achtung. Seine genialen Talente waren genauso ausgeprägt wie seine Liebenswürdigkeit. Bald wurde er ein eifriger Jünger des Evangeliums und Luthers vertrautester Freund und wertvollster Helfer. Seine Freundlichkeit, seine Vorsicht und Genauigkeit ergänzten den Mut und die Tatkraft Luthers. Ihr gemeinsames Wirken gab der Reformation die erforderliche Kraft und war für den Reformator eine Quelle großer Ermutigung.

Augsburg wurde als Ort des Verhörs bestimmt, und Luther machte sich zu Fuß auf den Weg in diese Stadt. Man hegte seinetwegen ernste Befürchtungen. Es gab Drohungen, dass er auf dem Weg aufgegriffen und ermordet werden sollte. Deshalb rieten ihm seine Freunde, sich dieser Gefahr nicht auszusetzen. Ja, sie baten ihn sogar flehentlich, Wittenberg eine Zeit lang zu verlassen und sich denen anzuvertrauen, die ihn bereitwillig beschützen würden. Er wollte aber die Stellung nicht verlassen, die Gott ihm anvertraut hatte. Ungeachtet der Stürme, die auf ihn hereinbrechen würden, musste er weiterhin getreulich die Wahrheit verteidigen. Er sagte sich: "Ich bin mit Jeremia gänzlich der Mann des Haders und der Zwietracht ... je mehr sie drohen, desto freudiger bin ich ... mein Name und Ehre muss auch jetzt gut herhalten; also ist mein schwacher und elender Körper noch übrig, wollen sie den hinnehmen, so werden sie mich etwa um ein paar Stunden Leben ärmer machen, aber die Seele werden sie mir doch nicht nehmen. ... Wer Christi Wort in die Welt tragen will, muss mit den Aposteln stündlich gewärtig sein, den Tod zu erleiden." (DAGR, IV, 4; vgl. EMLB, I, 211 ff., 10.07.1518)

Das Verhör Vor Cajetan

Die Nachricht von Luthers Ankunft in Augsburg erfüllte den päpstlichen Gesandten mit großer Genugtuung. Der lästige Ketzer, der die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zog, schien nun in der Gewalt Roms zu sein, und der Legat war fest entschlossen, Luther nicht entwischen zu lassen. Der Reformator versäumte es, ein freies Geleit zu beantragen. Seine Freunde bedrängten ihn, nicht ohne ein solches vor Cajetan zu erscheinen, und sie selbst nahmen es auf sich, ein solches vom Kaiser zu erbitten. Der Legat suchte nach einer Möglichkeit, Luther zum Widerruf zu zwingen. Sollte ihm dies nicht gelingen, wollte er ihn nach Rom bringen, wo er das Schicksal von Hus und Hieronymus teilen sollte. Deshalb bemühte sich Cajetan über seine Repräsentanten, Luther dazu zu bewegen, auf die Sicherheit eines freien Geleits zu verzichten und sich ganz seiner Gunst anzuvertrauen. Der Reformator lehnte dies jedoch strikt ab und erschien erst vor dem päpstlichen Gesandten, als er den Brief, der ihm den kaiserlichen Schutz garantierte, in seinen Händen hatte.

Die Gesandten Roms verfolgten die Strategie, Luther durch angebliches Wohlwollen für sich zu gewinnen. In seinen Aussprachen gab sich der Legat sehr zuvorkommend, doch er verlangte von Luther, sich bedingungslos der kirchlichen Autorität zu unterwerfen und in jedem Punkt ohne Diskussion oder Frage nachzugeben. Der Kardinal hatte aber den Charakter des Mannes, mit dem er sich befassen musste, nicht richtig eingeschätzt. In seiner Antwort drückte Luther seine Achtung vor der Kirche, sein Verlangen nach der Wahrheit und seine Bereitschaft aus, alle Einwände gegen seine Lehre zu beantworten und diese der Entscheidung bestimmter führender Universitäten zu unterbreiten. Gleichzeitig protestierte er gegen die Verfahrensweise des Kardinals, der von ihm einen Widerruf verlangte, ohne ihm seinen Irrtum nachgewiesen zu haben.

Die einzige Antwort war: "Widerrufe, widerrufe!" Der Reformator zeigte auf, dass seine Haltung durch die Heilige Schrift bestätigt sei, und erklärte entschlossen, er könne der Wahrheit nicht abschwören. Cajetan war nicht in der Lage, die Argumente Luthers zu widerlegen. Deshalb überhäufte er ihn mit Vorwürfen, Spott und Schmeicheleien. Dazwischen zitierte er die kirchliche Tradition und die Kirchenväter, sodass Luther gar nicht zu Wort kommen konnte. Luther erkannte, dass die Versammlung auf diese Weise völlig nutzlos verlaufen würde. Nur widerwillig erlaubte man ihm schließlich, seine Verteidigung schriftlich einzureichen.

"Dadurch", schrieb er an einen Freund, "erhielt der Unterdrückte einen doppelten Gewinn. Erstens kann etwas Geschriebenes der Beurteilung anderer unterbreitet werden, und zweitens ist die Möglichkeit größer, auf die Ängste, aber auch auf das Gewissen eines geschwätzigen Despoten einzuwirken, der ihn sonst mit seinem stets befehlshaberischen Ton gar nicht zu Wort kommen ließe." (MLTL, 271.272; vgl. LEA, XVII, 209 / LIII, 3 ff.)

Bei der nächsten Unterredung legte Luther eine klare, gedrängte und aufrichtige Erklärung seiner Ansichten vor, die er durch viele Schriftstellen begründete. Dieses Papier las er dem Kardinal laut vor und händigte es ihm danach aus. Dieser schob es jedoch verächtlich zur Seite und bezeichnete es als eine Ansammlung unnützer Worte und bedeutungsloser Zitate. Luther, dem nun die Augen aufgingen, begegnete dem hochmütigen Prälaten auf seinem eigenen Feld, den Überlieferungen und Lehren der Kirche, und widerlegte seine Auffassungen vollständig.

Als der Prälat sah, dass Luthers Gründe unwiderlegbar waren, verlor er seine Selbstbeherrschung und rief zornig: "Widerrufe! Oder ich werde dich nach Rom vor die Richter schicken, die für diesen Fall zuständig sind. Ich werde dich und all deine Anhänger sowie alle, die dich unterstützen, exkommunizieren und sie aus der Kirche werfen." Schließlich erklärte er in überheblichem und ärgerlichem Ton: "Widerrufe oder komm mir nicht wieder vor die Augen." (DAGR, IV, 8; vgl. LEA, LXIV, 361-365 / LXII, 71 ff.)

Der Reformator zog sich sofort mit seinen Freunden zurück und gab deutlich zu verstehen, dass man von ihm keinen Widerruf erwarten könne. Dies entsprach keineswegs der Absicht des Kardinals. Er hatte sich eingebildet, er könne Luther einschüchtern und ihn so zur Unterwerfung zwingen. Cajetans Pläne waren unerwartet gescheitert. Allein gelassen mit seinen Helfern blickte er höchst verärgert von einem zum andern.

Die Macht Des Wortes

Luthers Bemühungen bei diesem Anlass hatten durchaus positive Folgen. Die große Versammlung hatte Gelegenheit, die beiden Männer zu vergleichen und sich über deren Geist wie auch die Stärken und Schwächen der jeweiligen Standpunkte selbst ein Urteil zu bilden. Welch ein Kontrast war das! Der Reformator, einfach und bescheiden, aber entschieden, stand in der Kraft Gottes dort und hatte die Wahrheit auf seiner Seite. Der Vertreter des Papstes war selbstgefällig, anmaßend, hochmütig und unverschämt und ohne einen einzigen Beweis aus der Heiligen Schrift, und doch schrie er ungestüm: "Widerrufe, oder du wirst zur Bestrafung nach Rom gesandt."

Ungeachtet des freien Geleits planten die Vertreter Roms, Luther zu ergreifen und einzukerkern. Da es zwecklos war, den Aufenthalt zu verlängern, bedrängten die Freunde Luther, unverzüglich nach Wittenberg zurückzukehren und beschworen ihn, äußerste Vorsicht walten zu lassen, um sein Vorhaben zu verheimlichen. Er verließ daher Augsburg vor Tagesanbruch zu Pferd und wurde nur von einem Reiseführer begleitet, den ihm die Stadtbehörde zur Verfügung gestellt hatte. Unter düsteren Vorahnungen machte er sich heimlich auf den Weg durch die dunklen und stillen Straßen der Stadt. Wachsame und grausame Feinde planten seinen Untergang. Würde er den gestellten Fallen entkommen? Dies waren Momente der Furcht und des ernsten Gebets. Er erreichte ein kleines Tor in der Stadtmauer. Man öffnete ihm und ließ ihn mit seinem Führer ungehindert hindurch. Als die Flüchtenden außerhalb der Stadt waren, beschleunigten sie ihren Ritt. Ehe der Legat erfuhr, dass Luther abgereist war, befand sich dieser außer Reichweite seiner Verfolger. Satan und seine Helfer waren überlistet. Der Mann, den sie in ihrer Gewalt glaubten, war wie ein Vogel den Schlingen seines Fängers entkommen.

Der päpstliche Legat war überwältigt, bestürzt und ärgerlich, als er von Luthers Flucht erfuhr. Er hatte gehofft, für seine Klugheit und Entschiedenheit beim Vorgehen gegen diesen Unruhestifter große Ehre zu erhalten. Nun wurde seine Hoffnung enttäuscht. In einem Brief an Friedrich den Weisen, den Kurfürsten von Sachsen, drückte er seinen bitteren Zorn aus, indem er Luther heftig beschuldigte und von dem Monarchen verlangte, dass dieser den Reformator nach Rom sende oder ihn aus Sachsen verbanne.

Bei seiner Verteidigung verlangte Luther vom Legaten oder vom Papst, dass sie ihm seine Irrtümer anhand der Bibel beweisen sollten, und gelobte in feierlichster Weise, seine Lehren zu widerrufen, falls nachgewiesen werde, dass sie dem Wort Gottes widersprachen. Er dankte Gott, ihn für würdig befunden zu haben, für eine so heilige Sache zu leiden.

Der Kurfürst wusste bis dahin nur wenig von den Lehren der Reformation, aber er war zutiefst beeindruckt von der Aufrichtigkeit, Kraft und Klarheit der Worte Luthers. Friedrich beschloss, Luther so lange zu schützen, bis der Reformator des Irrtums überführt werden würde. Als Erwiderung auf die Forderung des Legaten schrieb er: "›Weil der Doktor Martinus vor euch zu Augsburg erschienen ist, so könnt ihr zufrieden sein. Wir haben nicht erwartet, dass ihr ihn, ohne ihn widerlegt zu haben, zum Widerruf zwingen wollt. Kein Gelehrter in unserem Fürstentum hat behauptet, dass die Lehre Martins gottlos, antichristlich oder ketzerisch sei.‹ Der Fürst weigerte sich weiterhin, Luther nach Rom zu schicken oder ihn aus seinem Lande zu vertreiben." (DAGR, IV, 10; vgl. LEA, XXXIII, 409 ff.)

Der Kurfürst erkannte, dass die sittlichen Schranken der Gesellschaft allgemein zusammenbrachen. Eine große Erneuerung war nötig. All die aufwändigen und kostspieligen Einrichtungen, um Verbrechen einzudämmen und zu bestrafen, wären unnötig, wenn die Menschen den Vorschriften Gottes und der Stimme eines erleuchteten Gewissens gehorchten. Er sah, dass Luther daran arbeitete, dieses Ziel zu erreichen, und freute sich heimlich, dass in der Kirche ein besserer Einfluss spürbar wurde.

Er sah auch, dass Luther als Professor an der Universität sehr erfolgreich war. Erst vor einem Jahr hatte der Reformator seine Thesen an die Schlosskirche geschlagen, und bereits war die Zahl der Pilger, die aus Anlass von Allerheiligen die Kirche besuchte, sehr viel geringer geworden. Rom musste auf Gottesdienstbesucher und Opfergaben verzichten. Nun kam eine andere Gruppe nach Wittenberg, keine Pilger, die Reliquien verehrten, sondern Studenten, welche die Hörsäle füllten. Luthers Schriften hatten überall ein neues Interesse an der Heiligen Schrift geweckt. Nicht nur aus ganz Deutschland, auch aus anderen Ländern strömten Studenten zur Universität. Junge Männer, die zum ersten Mal nach Wittenberg kamen, "erhoben die Hände gen Himmel, lobten Gott, dass er wie einst in Zion das Licht der Wahrheit" von dieser Stadt aus "leuchten lasse und es in die fernsten Lande schicke" (DAGR, IV, 10).

Luther war bis jetzt erst teilweise von den Irrtümern Roms bekehrt. Er schrieb: "Ich sah damals noch sehr wenige Irrtümer des Papstes." (LEA, LXII, 73) Doch als er Gottes Wort mit den päpstlichen Erlassen und Konstitutionen verglich, schrieb er voll Erstaunen: "Ich gehe die Dekrete der Päpste für meine Disputation durch und bin - ich sage dir's ins Ohr - ungewiss, ob der Papst der Antichrist selbst ist oder ein Apostel des Antichrist; elendiglich wird Christus, d. h. die Wahrheit von ihm, in den Dekreten gekreuzigt." (DAGR, V, 1; vgl. EMLB, I, 450, 13.3. 1519) Noch aber war Luther ein Anhänger der römischen Kirche, und er dachte nicht daran, die Verbindung mit ihr zu lösen.

Auf Den Spuren Der Hussiten

Die Schriften Luthers und seine Lehren wurden in der ganzen Christenheit bekannt gemacht. Das Werk breitete sich bis in die Schweiz und nach Holland aus. Exemplare seiner Schriften fanden ihren Weg nach Frankreich und Spanien. In England wurden seine Lehren als Worte des Lebens empfangen. Die Wahrheit kam auch nach Belgien und Italien. Tausende erwachten aus ihrer Lethargie zu einem freudigen und hoffnungsvollen Glaubensleben.

Rom wurde immer ungehaltener über die Angriffe Luthers. Einige seiner fanatischen Widersacher, sogar Doktoren an katholischen Universitäten, erklärten, dass jemand, der diesen aufrührerischen Mönch ermorde, ohne Sünde wäre. Eines Tages näherte sich dem Reformator ein Fremder, der eine Pistole unter dem Mantel verborgen hatte, und fragte ihn, warum er so allein gehe. "Ich stehe in Gottes Hand", antwortete Luther, "er ist meine Kraft und mein Schild. Was kann mir ein Mensch tun?" (DAGR, VI, 2; vgl. LEA, LXIV, 365 ff.) Als der Fremde diese Worte hörte, wurde er blass und floh vor der Gegenwart himmlischer Engel.

Rom war zur Vernichtung Luthers entschlossen, aber Gott blieb sein Schutz. Seine Lehren drangen überall hin, "in Hütten und Klöster, in Ritterburgen, in Akademien und königliche Paläste", und edle und aufrichtige Männer erhoben sich überall, um seine Bemühungen zu unterstützen (DAGR, VI, 2).

Um diese Zeit las Luther die Werke von Jan Hus und erkannte, dass bereits der böhmische Reformator die große Wahrheit der Rechtfertigung durch den Glauben genauso hochgehalten hatte wie er: "Wir sind alle", schrieb Luther, "Paulus, Augustin und ich selbst Hussiten gewesen, ohne es zu wissen! ... Gott wird sicherlich die Welt heimsuchen", setzte er fort, "weil die Wahrheit vor einem Jahrhundert gepredigt und verbrannt wurde!" (WHP, VI, 1)

In seinem Sendbrief "An den christlichen Adel deutscher Nation: Von des christlichen Standes Besserung" schrieb Luther über den Papst: "Es ist gräulich und erschrecklich anzusehen, dass der Oberste in der Christenheit, der sich Christi Statthalter und Petri Nachfolger zu sein rühmt, so weltlich und prächtig fährt, dass ihn darin kein König, kein Kaiser mag erlangen und gleich werden. ... Gleicht sich das mit dem armen Christus und St. Peter, so ist's ein neues Gleichen. ... Sie sprechen, er sei ein Herr der Welt; das ist erlogen, denn Christus, des Statthalter und Amtmann er sich rühmet zu sein, sprach vor Pilatus: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Es kann doch kein Statthalter weiter regieren denn sein Herr." (DAGR, VI, 3, 77/81; vgl. LAW, II)

Über die Universitäten schrieb er: "Ich habe große Sorge, die hohen Schulen seien große Pforten der Hölle, so sie nicht emsig die Heilige Schrift üben und treiben ins junge Volk. ... Wo aber die Heilige Schrift nicht regiert, da rate ich fürwahr niemand, dass er sein Kind hintue. Es muss verderben alles, was nicht Gottes Wort ohne Unterlass treibt." (DAGR, VI, 3, 77.81)

Dieser Aufruf verbreitete sich in Windeseile über ganz Deutschland und übte einen mächtigen Einfluss auf das Volk aus. In der ganzen Nation gärte es, und massenweise erwachten Leute und scharten sich um das Banner der Reformation. Luthers Widersacher brannten vor Rache und drangen auf den Papst ein, er möge doch entschiedene Maßnahmen gegen ihn ergreifen. Es wurde verfügt, dass Luthers Lehren unverzüglich geächtet werden sollten. Sechzig Tage wurden dem Reformator und seinen Anhängern gewährt. Wenn sie nach dieser Zeit nicht widerriefen, würden sie alle exkommuniziert.

Trennung Von Rom

Das war eine schreckliche Krise für die Reformation. Jahrhundertelang hatte Rom durch Verhängung des Kirchenbanns mächtigen Monarchen Furcht eingeflößt. Gewaltige Reiche litten unter Elend und Verwüstung. Allen, die von Rom unter den Bann gestellt wurden, begegnete man durchwegs mit Angst und Schrecken. Sie wurden aus der Gemeinschaft ihrer Gefährten verstoßen und als Geächtete behandelt, die bis zur Vernichtung gejagt werden sollten. Luther war nicht blind gegen den Sturm, der nun über ihn hereinbrechen sollte, aber er blieb standfest und vertraute auf Christus, seinen Schutz und Schild. Mit dem Glauben und dem Mut eines Märtyrers schrieb er: "Wie soll es werden? Ich bin blind für die Zukunft und nicht darum besorgt, sie zu wissen. ... Wohin der Schlag fällt, wird mich ruhig lassen. ... Kein Baumblatt fällt auf die Erde ohne den Willen des Vaters, wie viel weniger wir. ... Es ist ein Geringes, dass wir um des Wortes willen sterben oder umkommen, da er selbst im Fleisch erst für uns gestorben ist. Also werden wir mit demselben aufstehen, mit welchem wir umkommen, und mit ihm durchgehen, wo er zuerst durchgegangen ist, dass wir endlich dahin kommen, wohin er auch gekommen ist, und bei ihm bleiben ewiglich." (DAGR, VI, 1, 113; vgl. EMLB, II, 484/485, 1.10.1520)

Als die päpstliche Bulle eintraf, sagte Luther: "Ich verlache sie nur und greife sie jetzt als gottlos und lügenhaft ganz eckianisch an. Ihr sehet, dass Christus selbst darin verdammt werde. ... Ich freue mich aber doch recht herzlich, dass mir um der besten Sache willen Böses widerfahre. ... Ich bin nun viel freier, nachdem ich gewiss weiß, dass der Papst als der Antichrist und des Satans Stuhl offenbarlich erfunden sei." (DAGR, VI, 9; vgl. EMLB, II, 491, 12.10.1520)

Doch der Erlass aus Rom blieb nicht ohne Wirkung. Gefängnis, Folter und Schwert waren mächtige Waffen, um Gehorsam zu erzwingen. Die Schwachen und Abergläubischen zitterten vor dem Erlass des Papstes. Während man allgemein viel Sympathie für Luther bekundete, hielten manche ihr Leben für zu kostbar, um es für die Reformation aufs Spiel zu setzen. Alles schien darauf hinzudeuten, dass das Werk des Reformators scheitern würde.

Doch Luther war immer noch furchtlos. Rom hatte seine Bannflüche gegen ihn geschleudert, die Welt schaute zu, und niemand zweifelte, dass es mit ihm nun zu Ende sein würde, es sei denn, er schwöre ab. Aber mit ungeheurer Macht schleuderte er das Verdammungsurteil auf seinen Urheber zurück und erklärte öffentlich, dass er mit Rom für immer gebrochen habe. In Gegenwart einer Anzahl Studenten, Gelehrter und Bürger jeden Standes verbrannte er die päpstliche Bulle, zusammen mit den kanonischen Gesetzen sowie den Dekretalen und bestimmten Schriftstücken seiner Gegner, die das Papsttum unterstützten. "Meine Feinde sind in der Lage gewesen", sagte er, "durch das Verbrennen meiner Bücher der Sache des Glaubens im Denken des allgemeinen Volks zu schaden und ihre Seelen zu vernichten. Aus diesem Grunde habe ich daraufhin ihre Bücher verbrannt. Ein schwerer Kampf hat gerade angefangen. Bisher habe ich nur mit dem Papst gespielt. Ich habe dieses Werk in Gottes Namen angefangen, es wird durch seine Macht ohne mich beendet werden." (DAGR, VI, 10; vgl. LEA, XXIV, 155 u. 164)

Auf die Vorwürfe seiner Feinde, die wegen der Schwäche seiner Sache stichelten, erwiderte Luther: "Wer weiß, ob mich Gott dazu berufen und erweckt hat und ihnen zu fürchten ist, dass sie nicht Gott in mir verachten. ... Mose war allein im Ausgang von Ägypten, Elia allein zu König Ahabs Zeiten, Elisa auch allein nach ihm; Jesaja war allein in Jerusalem. ... Hesekiel allein zu Babylon. ... Dazu hat er noch nie den obersten Priester oder andere hohe Stände zu Propheten gemacht; sondern gemeiniglich niedrige, verachtete Personen auferweckt, auch zuletzt den Hirten Amos. ... Also haben die lieben Heiligen allezeit wider die Obersten, Könige, Fürsten, Priester, Gelehrten predigen und schelten müssen, den Hals daran wagen und lassen. . Ich sage nicht, dass ich ein Prophet sei; ich sage aber, dass ihnen so viel mehr zu fürchten ist, ich sei einer, so viel mehr sie mich verachten und sich selbst achten ... So bin ich jedoch gewiss für mich selbst, dass das Wort Gottes bei mir und nicht bei ihnen ist." (DAGR, VI, 10; vgl. LEA, XXIV, 58/59)

Sein endgültiger Entschluss, sich von der römischen Kirche zu trennen, lief nicht ohne gewaltige innere Kämpfe ab. Etwa um diese Zeit schrieb er: "Ich empfinde täglich bei mir, wie gar schwer es ist, langwährige Gewissen, und mit menschlichen Satzungen gefangen, abzulegen. Oh, mit wie viel großer Mühe und Arbeit, auch durch gegründete Heilige Schrift, habe ich mein eigen Gewissen kaum können rechtfertigen, dass ich einer allein wider den Papst habe dürfen auftreten, ihn für den Antichrist halten. ... Wie oft hat mein Herz gezappelt, mich gestraft und mir vorgeworfen ihr einig stärkstes Argument: Du bist allein klug? Sollten die andern alle irren und so eine lange Zeit geirrt haben? Wie, wenn du irrest und so viele Leute in den Irrtum verführest, welche alle ewiglich verdammt würden? Bis so lang, dass mich Christus mit seinem einigen gewissen Wort befestigt und bestätigt hat, dass mein Herz nicht mehr zappelt." (MLTL, 372.373; vgl. LEA, LIII, 93/94)

Exkommunikation

Der Papst hatte Luther mit Exkommunikation gedroht, falls er nicht widerrufen sollte, und diese Drohung wurde jetzt wahr gemacht. Eine neue Bulle wurde veröffentlicht, die eine endgültige Trennung Luthers von der römischen Kirche verkündigte, ihn vom Himmel für verflucht erklärte und alle in denselben Fluch einschloss, die seine Lehren annahmen. Die große Auseinandersetzung hatte nun mit voller Wucht begonnen.

Alle, die Gott benützt, um Wahrheiten zu verkünden, die für ihre Zeit besonders wichtig sind, müssen mit Widerstand rechnen. In den Tagen Luthers gab es eine gegenwärtige Wahrheit, die von besonderer Bedeutung war. Gott, der alle Dinge nach dem Rat seines Willens ausführt, hat es gefallen, Menschen in unterschiedliche Lebenslagen zu bringen. Er teilt ihnen dort Aufgaben zu, die der Zeit und den Umständen entsprechen, in denen sie leben. Wenn sie das Licht beachteten, das ihnen verliehen wird, würden Sie die Wahrheit noch besser verstehen lernen. Aber heute ist die Wahrheit von den meisten Leuten genauso wenig erwünscht, wie von den Anhängern des Papsttums, die Luther widerstanden. Es besteht heute wie in früheren Jahrhunderten dieselbe Bereitschaft, an Stelle von Gottes Wort, Theorien und Traditionen von Menschen anzunehmen. Wer Wahrheit für die heutige Zeit verkündigt, darf keine günstigere Aufnahme erwarten, als dies zur Zeit der Reformatoren der Fall war. Der große Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Christus und Satan wird bis zum Abschluss der Geschichte der Welt an Heftigkeit zunehmen.

Jesus sagte zu seinen Jüngern: "Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten." (Johannes 15,19.20) Andererseits erklärte unser Erlöser deutlich: "Weh euch, wenn euch jedermann wohl redet! Denn das Gleiche haben ihre Väter den falschen Propheten getan." (Lukas 6,26) Der Geist der Welt verträgt sich mit dem Geist Christi heute genauso wenig wie in früheren Zeiten. Wer das Wort Gottes unverfälscht verkündigt, wird heute nicht mit größerem Vorzug empfangen als damals. Die Formen des Widerstands gegen die Wahrheit mögen sich ändern, die Feindschaft mag weniger offen sein, weil raffinierter, doch der Gegensatz zwischen beiden besteht noch immer und wird bis zum Ende der Zeit immer klarer sichtbar werden.