Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 8

Luther Vor Dem Reichstag

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Mit Karl V. hatte ein neuer Kaiser den deutschen Thron bestiegen. Die römischen Gesandten beeilten sich, ihre Glückwünsche zu überbringen und den Monarchen zu bewegen, seine Macht gegen die Reformation einzusetzen. Auf der anderen Seite wurde Karl vom Kurfürst von Sachsen, dem er zu einem großen Teil seine Krone verdankte, eindringlich gebeten, keine Maßnahmen gegen Luther einzuleiten, bevor er diesen nicht angehört hätte. Damit kam der Kaiser in eine schwierige Lage, die ihn in Verlegenheit brachte. Die Vertreter des Papstes würden sich nicht mit weniger zufrieden geben, als mit einem kaiserlichen Erlass, der Luther zum Tod verurteilte. Der Kurfürst hingegen hatte mit Nachdruck erklärt, dass weder Seine Kaiserliche Majestät noch jemand anderes bisher nachgewiesen hätten, dass Luthers Schriften widerlegt seien. Deshalb bat er um "freies Geleit für Dr. Luther, um ihn vor einem Tribunal von gelehrten, frommen und unparteiischen Richtern erscheinen zu lassen" (DAGR, IV, 11; vgl. KML, I, 367 u. 384).

Schwere Anklagen In Worms

Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms stattfand. Wichtige politische Fragen von nationalem Interesse standen bei diesem Reichstag auf der Tagesordnung, und zum ersten Mal sollten die deutschen Fürsten ihren jugendlichen Monarchen an einer Reichsversammlung erleben. Aus allen Gebieten des Vaterlands waren kirchliche und staatliche Würdenträger gekommen. Weltliche Adlige, von edler Geburt, mächtig und eifersüchtig auf ihre ererbten Rechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz auf ihre überragende Würde und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge und Gesandte aus fernen Ländern; sie alle kamen nach Worms. Doch das Hauptinteresse dieser großen Versammlung galt der Sache des sächsischen Reformators.

Karl hatte den Kurfürsten zuvor angewiesen, Luther auf den Reichstag mitzubringen, ihm seinen Schutz zugesichert, freies Geleit versprochen und eine offene Diskussion der strittigen Punkte mit fachkundigen Personen zugesagt. Luther selbst sah seinem Erscheinen vor dem Kaiser mit Spannung entgegen. Mit seiner Gesundheit stand es in jener Zeit nicht zum Besten, doch er schrieb dem Kurfürsten: "Ich werde, wenn man mich ruft, kommen, soweit an mir liegt, ob ich mich auch krank müsste hinfahren lassen, denn man darf nicht zweifeln, dass ich von dem Herrn gerufen werde, wenn der Kaiser mich ruft. Greifen sie zur Gewalt, wie es wahrscheinlich ist - denn um belehrt zu werden, lassen sie mich nicht rufen -, so muss man dem Herrn die Sache befehlen; dennoch lebt und regiert derselbige, der die drei Knaben im Feuerofen des Königs von Babylon erhalten hat. Will er mich nicht erhalten, so ist's um meinen Kopf eine geringe Sache. ... Man muss nur dafür sorgen, dass wir das Evangelium, das wir begonnen, den Gottlosen nicht zum Spott werden lassen. ... Wir wollen lieber unser Blut dafür vergießen. Wir können nicht wissen, ob durch unser Leben oder unseren Tod dem allgemeinen Wohle mehr genützt werde. ... Nimm von mir alles, nur nicht, dass ich fliehe oder widerrufe: Fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger." (DAGR, IV, 11; vgl. EMLB, XXI, 24, 21.12.1520)

Die Nachricht, dass Luther vor dem Reichstag erscheinen würde, rief in Worms allgemeine Aufregung hervor. Der päpstliche Nuntius, Hieronymus Aleander, dem man die Sache insbesondere anvertraut hatte, war beunruhigt und wütend. Er sah einen verheerenden Ausgang für die Sache des Papsttums voraus. Eine Untersuchung für einen Fall einzuleiten, bei dem der Papst bereits seine Verurteilung ausgesprochen hatte, war eine Schande für die Autorität des Pontifex Maximus. Zudem war er besorgt, dass die wortgewaltige Darstellung der Beweise dieses Mannes viele Fürsten veranlassen könnte, sich von der Sache des Papstes abzuwenden. Er protestierte deshalb bei Karl in schärfster Form, dass Luther vor dem Reichstag erscheinen sollte. Um diese Zeit wurde die Bulle über Luthers Exkommunikation veröffentlicht. Zusammen mit den Einsprüchen des Legaten, veranlasste dies den Kaiser nachzugeben. Er schrieb dem Kurfürsten von Sachsen, dass Luther in Wittenberg bleiben müsse, wenn er nicht widerrufen wollte.

Aleander gab sich mit diesem Sieg nicht zufrieden, sondern arbeitete mit aller Macht und Schlauheit daran, dass Luther verurteilt würde. Mit einer Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, lenkte er die Aufmerksamkeit der Fürsten, Prälaten und der anderen Mitglieder der Versammlung darauf, den Reformator der "Aufwiegelung, Rebellion, Gottlosigkeit und Gotteslästerung" zu beschuldigen. Doch die Wucht und Leidenschaft, die der Legat an den Tag legte, zeigten nur allzu deutlich den Geist, der ihn trieb. Es war die allgemeine Meinung, "es sei mehr Neid und Rachelust als Eifer der Frömmigkeit, die ihn aufreizten" (DAGR, VII, 1; vgl. CCL, 54 ff.). Die Mehrheit im Reichstag war mehr denn je geneigt, die Sache Luthers günstig zu beurteilen.

Mit doppeltem Eifer drängte Aleander den Kaiser zu seiner Pflicht, die päpstlichen Erlasse durchzusetzen, doch nach deutschem Gesetz war dies nicht ohne die Zustimmung der Fürsten möglich. Als der Kaiser letztlich der Aufdringlichkeit des Legaten nachgab, wurde dem päpstlichen Gesandten erlaubt, vor dem Reichstag zu sprechen. "Es war ein großer Tag für den Nuntius. Die Versammlung war groß, noch größer war die Sache. Aleander sollte für Rom, die Mutter und Herrin aller Kirchen, das Wort führen." Er sollte vor den versammelten Machthabern der Christenheit das Fürstentum von Petrus verteidigen. "Er hatte die Gabe der Beredsamkeit und zeigte sich der Erhabenheit des Anlasses gewachsen. Die Vorsehung wollte es, dass Rom vor dem erlauchtesten Tribunal erscheinen und dass seine Sache durch den begabtesten seiner Redner vertreten werden sollte, bevor die Verdammung ausgesprochen würde." (WHP, VI, 4) Mit Besorgnis blickten die Fürsten, die auf der Seite Luthers standen, auf die Folgen der Rede Aleanders. Der Kurfürst von Sachsen war nicht zugegen, er sandte aber zwei Vertrauensleute nach Worms, um Notizen von der Ansprache des Nuntius zu machen.

Mit aller Macht der Gelehrsamkeit und Redekunst versuchte Aleander, die Wahrheit zu Fall zu bringen. Er schleuderte eine Beschuldigung nach der anderen auf Luther und nannte ihn einen Feind der Kirche und des Staates, der Lebenden und der Toten, der Geistlichkeit und der Laien, der Konzilien und der einzelnen Christen. "Die Irrtümer Luthers genügten", sagte er, "um hunderttausend Ketzer zu verbrennen."

Abschließend versuchte er, die Anhänger der Reformation zu verdächtigen. "Was sind all die Lutheraner? Eine Bande frecher Schulmeister, verdorbener Priester, liederlicher Mönche, unwissender Advokaten und herabgekommener Adliger, zusammen mit dem Pöbel, den sie fehlgeleitet und verdorben haben. Wie viel überlegener ist ihnen gegenüber die katholische Partei an Zahl, Fähigkeit und Macht! Ein einstimmiger Beschluss dieser erlauchten Versammlung wird die Einfältigen erleuchten, die Unklugen warnen, die Wankelmütigen entschieden machen und die Schwachen stärken." (DAGR, VI, 3)

Mit solchen Waffen wurden die Verteidiger der Wahrheit in jedem Zeitalter angegriffen. Dieselben Argumente werden bis heute gegen all jene vorgebracht, die es wagen, etablierten Irrtümern mit den klaren und deutlichen Lehren des Wortes Gottes entgegenzutreten. "Wer sind diese Prediger neuer Lehren?", rufen jene aus, die eine volkstümliche Religion wünschen. "Es sind Ungebildete, gering an Zahl und aus den unteren Volksschichten. Und doch behaupten sie, die Wahrheit zu besitzen und das auserwählte Volk Gottes zu sein. Sie sind Unwissende und Getäuschte. Wie sehr ist ihnen unsere Kirche doch an Zahl und Einfluss überlegen. Wie viele große und gelehrte Männer sind doch auf unserer Seite und wie viel größer ist doch unsere Macht!" Solche Argumente haben ein bemerkenswertes Gewicht in der Welt, sind aber heute nicht beweiskräftiger als in den Tagen der Reformatoren.

Die Reformation wurde durch Luther nicht vollendet, wie viele annehmen. Sie muss bis zum Ende der Geschichte fortgeführt werden. Luthers großes Werk bestand darin, das Licht, das Gott auf ihn hatte scheinen lassen, anderen weiterzugeben. Er empfing jedoch noch nicht das volle Licht, das der Welt gegeben werden sollte. Von jener Zeit bis heute fiel fortwährend neues Licht auf die Heilige Schrift und ständig wurden neue Wahrheiten entdeckt.

Missstande Werden Aufgedeckt

Die Ansprache des Legaten beeindruckte den Reichstag zutiefst (siehe HK, IX, 202). Luther, der den päpstlichen Vertreter mit den klaren und überzeugenden Wahrheiten des Wortes Gottes hätte widerlegen können, war nicht anwesend. Kein Versuch wurde unternommen, den Reformator zu verteidigen. Man war allgemein geneigt, nicht nur ihn und seine Lehren zu verdammen, sondern möglichst alle Ketzerei auszurotten. Rom hatte die günstigste Gelegenheit erhalten, die eigene Sache zu verteidigen. Alles, was zu ihrer Rechtfertigung gesagt werden konnte, wurde gesagt. Doch der vermeintliche Sieg war der Anfang der Niederlage. Von nun an sollte der Gegensatz zwischen Wahrheit und Irrtum noch deutlicher sichtbar werden, denn jetzt begann ein offener Kampf. Von jenem Tag an würde Rom nie wieder so sicher stehen, wie zuvor.

Während die meisten Mitglieder des Reichstags nicht gezögert hätten, Luther der Rache Roms auszuliefern, sahen und beklagten doch viele unter ihnen die große Verdorbenheit in der Kirche und wünschten, dass die Missbräuche beseitigt würden, unter denen das deutsche Volk durch den Sittenverfall und die Geldgier der Priesterherrschaft leiden musste. Der Legat hatte die päpstliche Rolle ins günstigste Licht gerückt. Doch nun bewegte Gott ein Mitglied des Reichstages dazu, die Auswirkungen der päpstlichen Gewaltherrschaft treffend zu beschreiben. Mit edler Entschlossenheit erhob sich Herzog Georg von Sachsen in jener fürstlichen Versammlung und beschrieb mit schrecklicher Genauigkeit den Betrug und die Gräuel des Papsttums und deren schlimme Folgen. Zum Schluss sagte er:

"Dies sind einige der Missbräuche, die laut gegen Rom zeugen. Alle Scham ist beiseite gelegt und sein einziges Ziel ist ... Geld, Geld, Geld ... sodass die Priester, die die Wahrheit lehren sollten, nichts als Lügen äußern, und sie werden nicht nur geduldet, sondern belohnt, denn je größer ihre Lügen, desto größer der Gewinn. Aus diesem verderbten Brunnen fließt vergiftetes Wasser. Die Ausschweifung reicht der Habsucht die Hand. ... Das ist leider der Skandal, der von der Priesterschaft verursacht wird, der so viele arme Seelen in die ewige Verdammnis reißt. Eine allgemeine Reform muss durchgeführt werden" (DAGR, VII, 4; vgl. SCL, 328-330).

Luther selbst hätte die päpstlichen Missbräuche nicht fähiger und kompetenter und kräftiger anprangern können. Die Tatsache, dass der Redner ein ausgesprochener Feind des Reformators war, verlieh seinen Worten umso mehr Gewicht.

Wären den Versammelten die Augen geöffnet worden, hätten sie Engel in ihrer Mitte erblicken können, die ihre Lichtstrahlen durch die Dunkelheit des Irrtums sandten und die Herzen und Gemüter bereit machten, die Wahrheit zu empfangen. Selbst die Gegner der Reformation standen unter der Kontrolle des mächtigen Gottes der Wahrheit und der Weisheit. Auch durch sie bereitete er dem großen Werk, das jetzt ausgeführt werden sollte, den Weg. Martin Luther selbst war nicht anwesend, aber die Stimme eines Größeren, der mächtiger war als Luther, wurde in jener Versammlung vernommen.

Sofort ernannte der Reichstag einen Ausschuss, der eine Liste dieser päpstlichen Unterdrückungen aufstellen sollte, die so schwer auf dem deutschen Volk lasteten. Dieser Katalog enthielt 101 Anklagepunkte und wurde dem Kaiser mit der Bitte vorgelegt, unverzüglich Maßnahmen zur Beseitigung dieser Missstände zu ergreifen. "Es gehen so viele Seelen verloren", sagten die Bittsteller, "so viele Räubereien, Bestechungen finden statt, weil das geistliche Oberhaupt der Christenheit sie gestattet. Es muss dem Untergang und der Schande unseres Volkes vorgebeugt werden. Wir bitten Euch untertänigst und inständigst, dahin zu wirken, dass eine Besserung und gemeine Reformation geschehe" (DAGR, VII, 4; vgl. KNRU, XXI, 275).

Luther Wird Vorgeladen

Der Reichstag verlangte nun, dass Luther vor der Versammlung erscheinen sollte. Ungeachtet der Bitten, Proteste und Drohungen Aleanders sagte der Kaiser endlich zu und Luther wurde aufgefordert, vor dem Reichstag zu erscheinen. Mit der Aufforderung wurde ihm freies Geleit zugesichert, das ihm die Rückkehr an einen sicheren Ort garantierte. Ein Herold brachte diese Zusicherung nach Wittenberg und erhielt den Auftrag, Luther nach Worms zu geleiten.

Luthers Freunde waren bestürzt und erschrocken. Sie kannten das Vorurteil und die Feindschaft gegen ihn und befürchteten, dass selbst das freie Geleit nicht beachtet würde, darum bedrängten sie ihn, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Er antwortete: "Die Anhänger des Papstes wollen gar nicht, dass ich nach Worms komme, sie wollen nur meine Verurteilung und meinen Tod. Aber das alles ist unbedeutend. Betet nicht für mich, sondern für das Wort Gottes. ... Christus wird mir seinen Geist geben, dass ich diese Diener des Irrtums überwinde. Ich verachte sie im Leben, ich werde sie durch meinen Tod besiegen. Sie arbeiten daran, mich zu zwingen, dass ich widerrufe; aber mein Widerruf wird also lauten: Ich habe früher gesagt, der Papst sei der Statthalter Christi, jetzt bestehe ich darauf, dass der Papst der Widersacher unseres Herrn ist und der Apostel des Satans." (DAGR, VII, 6)

Eine Bewegte Reise

Luther musste seine gefahrvolle Reise nicht alleine machen. Drei seiner besten Freunde entschlossen sich, ihn an der Seite des kaiserlichen Boten zu begleiten. Auch Melanchthon hätte sich ihnen gerne angeschlossen. Sein Herz war mit Luther verbunden, und er sehnte sich danach, ihm zu folgen, wenn nötig, auch ins Gefängnis oder in den Tod. Aber seinen Bitten wurde nicht entsprochen. Sollte Luther etwas zustoßen, so läge die Hoffnung der Reformation auf dem jungen Mitarbeiter. Als sich der Reformator von Melanchthon verabschiedete, sagte er: "Wenn ich nicht zurückkomme und meine Feinde mich töten, lehre du weiter und bleibe in der Wahrheit. Arbeite du an meiner Stelle. . Wenn du überlebst, wird mein Tod wenig Auswirkung haben." (DAGR, VII, 7) Studenten und Bürger waren bei Luthers Abreise sichtlich gerührt. Viele, die das Evangelium angenommen hatten, weinten bei seinem Abschied. So machten sich der Reformator und seine Gefährten von Wittenberg aus auf den Weg.

Unterwegs nahmen sie wahr, dass düstere Vorahnungen das Volk bedrückten. In einigen Städten wurde ihnen keine Ehre erwiesen. Als sie an einem Ort übernachteten, drückte ein freundlich gesinnter Priester seine Befürchtungen aus und zeigte ihnen das Bild eines italienischen Reformators, der als Märtyrer gestorben war. Am folgenden Tag erfuhren sie, dass Luthers Werke in Worms bereits verworfen worden waren. Offizielle Boten verkündeten den Beschluss des Kaisers und forderten das Volk auf, die geächteten Bücher den Behörden abzuliefern. Der kaiserliche Begleiter fürchtete um Luthers Sicherheit auf dem Reichstag, und da er meinte, dass Luther bereits unsicher geworden sei, fragte er ihn, ob er weiterreisen wollte. Dieser antwortete: "Ja, obwohl geächtet in allen Städten, werde ich doch fortziehen." (DAGR, VII, 7; vgl. LEA, LXIV, 367)

In Erfurt wurde Luther mit allen Ehren empfangen. Auf den Straßen, die er oft mit einem Bettelsack durchschritten hatte, bewunderte ihn jetzt die Menge. Er besuchte seine Klosterzelle und erinnerte sich an seine inneren Kämpfe. Das Licht, das seine Seele dort erleuchtet hatte, durchflutete nun ganz Deutschland. Man drängte ihn zum Predigen, was ihm eigentlich verboten worden war. Doch der kaiserliche Begleiter erlaubte es ihm und nun bestieg jener Mönch, der seinerzeit ein Klosterknecht war, die Kanzel.

Einer überfüllten Versammlung predigte er die Worte Christi: "Friede sei mit euch! ... Ihr wisset auch, dass alle Philosophen, Doktoren und Skribenten sich beflissen zu lehren und schreiben, wie sich der Mensch zur Frömmigkeit halten soll, haben sich des sehr bemüht, aber wie man sieht, wenig ausgerichtet Denn Gott, der hat auserwählet einen Menschen, den Herrn Jesum Christ, dass der soll den Tod zerknirschen, die Sünden zerstören und die Hölle zerbrechen. Dies ist das Werk der Erlösung. ... Christus hat gesiegt! Dies ist die gute Nachricht, und wir werden durch sein Werk gerettet und nicht durch unsere eigenen. ... Unser Herr Christus hat gesagt: Habt Frieden und sehet meine Hände. Sieh Mensch, ich bin der allein, der deine Sünde hat hinweggenommen, der dich erlöste. Nun habe Frieden."

Er fuhr fort und zeigte auf, dass der wahre Glauben sich in einem heiligen Leben offenbart. "Da uns Gott gerettet hat, lasst uns unsere Werke ordnen, dass sie ihm annehmbar sind. Ist er reich, so soll sein Gut den Armen nutz sein; ist er arm, soll sein Verdienst den Reichen zugute kommen. . Denn wenn du merkst, dass du deinen Nutzen allein schaffst, so ist dein Dienst falsch." (DAGR, VII, 7; vgl. LEA, XVI, 249-257)

Gebannt hörten die Leute zu. Jenen nach Wahrheit hungernden Menschen wurde das Brot des Lebens gebrochen. Christus wurde vor ihnen über Päpste, Legaten, Kaiser und Könige erhoben. Luther machte keinerlei Andeutungen über seine gefährliche Lage. Er wollte sich nicht zum Mittelpunkt der Gefühle oder der Sympathien machen. Im Nachdenken über Christus vergaß er sich selbst. Er verbarg sich hinter dem Mann von Golgatha und wollte nur Jesus als den einzigen Erlöser des Sünders darstellen.

Überall auf seinem weiteren Reiseweg brachte man ihm großes Interesse entgegen. Eine neugierige Menge war stets um ihn und freundliche Stimmen warnten vor den Absichten der Anhänger des Papstes. Einige sagten: "Man wird dich verbrennen wie den Hus". Luther antwortete: "Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis an den Himmel reicht, weil es aber gefordert wäre, so wollte ich doch im Namen des Herrn erscheinen und dem Behemoth zwischen seine großen Zähne treten und Christum bekennen und denselben walten lassen." (DAGR, VII, 7; vgl. WLS, XV, 2172 u. 2173)

Luthers Ankunft In Worms

Die Neuigkeit seiner Ankunft in Worms erregte großes Aufsehen. Seine Freunde zitterten um seine Sicherheit und seine Feinde bangten um den Erfolg ihrer Sache. Man bemühte sich energisch, ihn vom Betreten der Stadt abzuhalten. Auf Betreiben der Anhänger des Papsttums drängte man ihn, sich auf das Schloss eines befreundeten Ritters zu begeben, wo angeblich alle Schwierigkeiten freundschaftlich beigelegt werden könnten. Freunde versuchten, in ihm Angst vor der drohenden Gefahr zu wecken. Doch all ihre Bemühungen waren umsonst. Luther wankte nicht und erklärte: "Ich will gen Worms, wenngleich so viel Teufel drinnen wären als immer Ziegel auf ihren Dächern!" (DAGR, VII, 7)

Bei seiner Ankunft in Worms strömte eine große Menge zu den Stadttoren, um ihn zu begrüßen. Ein so großer Menschenauflauf kam nicht einmal bei der Ankunft des Kaisers zusammen. Die Aufregung war groß, und in der Menge sang jemand mit schriller Stimme ein Beerdigungslied als Warnung für Luther, was für ein Schicksal ihm bevorstünde. "Gott wird mein Schutz sein", sprach dieser mutig beim Verlassen des Wagens.

Die Anhänger des Papsttums hatten nicht geglaubt, dass Luther wirklich nach Worms kommen würde, und seine Ankunft erfüllte sie mit Bestürzung. Der Kaiser rief unverzüglich seine Berater zusammen, um die Vorgehensweise zu besprechen. Einer der Bischöfe, ein unbeugsamer Anhänger des Papsttums, erklärte: "Wir haben uns schon lange darüber beraten. Seine Kaiserliche Majestät möge diesen Mann beiseite tun und ihn umbringen lassen. Sigismund hat den Johann Hus ebenso behandelt; einem Ketzer braucht man kein freies Geleit zu geben oder zu halten." "Nein", entschied der Kaiser, "wir müssen unser Wort halten." (DAGR, VII, 8; vgl. RDG, I, 330 ff) Deshalb wurde entschieden, den Reformator anzuhören.

Die ganze Stadt wollte diesen außergewöhnlichen Mann sehen, und bald war seine Unterkunft voller Besucher. Luther hatte sich kaum von einer kürzlich erlittenen Krankheit erholt. Er war auch noch müde von der Reise, die volle zwei Wochen gedauert hatte. Er musste sich auf die wichtigen Ereignisse des folgenden Tages vorbereiten und brauchte Ruhe und Entspannung. Der Wunsch, ihn zu sehen, war jedoch so groß, dass er sich nur einige Stunden Ruhe gönnen konnte, bevor sich Edelleute, Ritter, Priester und Bürger um ihn scharten. Unter ihnen gab es viele Adlige, die vom Kaiser so mutig eine Abschaffung der kirchlichen Missbräuche verlangt hatten und, wie Luther sich ausdrückte, "alle durch mein Evangelium frei geworden waren" (MLTL, 393). Freund und Feind wollten den unerschrockenen Mönch sehen. Er empfing sie ruhig und beherrscht und beantwortete alle Fragen mit Würde und Weisheit. Er war standhaft und mutig. Sein bleiches und hageres Gesicht war von Mühe und Krankheit gezeichnet, hatte aber einen freundlichen und sogar freudigen Ausdruck. Der feierliche Ernst seiner Worte strahlte eine unwiderstehliche Kraft aus, die selbst seine Feinde nicht unberührt ließ. Freund und Feind wunderten sich über ihn. Manche waren überzeugt, dass er von Gott geleitet war. Andere äußerten ähnliche Bemerkungen wie die Pharisäer über Christus: "Er hat einen Teufel."

Am folgenden Tag wurde Luther aufgefordert, vor dem Reichstag zu erscheinen. Ein kaiserlicher Beamter wurde beauftragt, ihn in den Empfangssaal zu führen. Nur mit Mühe erreichte er aber diesen Ort. An jedem Zugang standen Schaulustige, die jenen Mönch sehen wollten, der es gewagt hatte, der Autorität des Papstes Widerstand zu leisten.

Gerade wollte Luther vor seine Richter treten, als ein alter Feldherr und Sieger mancher Schlacht freundlich zu ihm sagte: "Mönchlein, Mönchlein, du hast jetzt einen Gang zu tun, dergleichen ich und mancher Oberster auch in unsern blutigsten Schlachten nicht getan haben. Aber ist dein Anliegen gerecht und deine Sache sicher, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost, Gott wird dich nicht verlassen." 34 (DAGR, VII, 8; vgl. SAS, III, 54)

Vor Dem Reichstag

Schließlich stand Luther vor dem Reichstag. Der Kaiser saß auf seinem Thron und war umgeben von den erlauchtesten Persönlichkeiten des Reichs. Nie zuvor war ein Mensch einer eindrucksvolleren Versammlung gegenübergetreten. Hier sollte Martin Luther für seinen Glauben Rede und Antwort stehen. "Sein Erscheinen allein war ein außerordentlicher Sieg über das Papsttum. Der Papst hatte diesen Mann verurteilt, und dieser stand jetzt vor einem Gericht, das sich dadurch über den Papst stellte. Der Papst hatte ihn in den Bann getan, von aller menschlichen Gesellschaft ausgestoßen, und dennoch war er mit höflichen Worten vorgeladen und erschien nun vor der erlauchtesten Versammlung der Welt. Der Papst hatte ihn zu ewigem Schweigen verurteilt und jetzt sollte er vor Tausenden aufmerksamer Zuhörer aus den fernsten Ländern der Christenheit reden. So kam durch Luther eine gewaltige Revolution zustande: Rom stieg von seinem Thron herab und das Wort eines Mönches gab die Veranlassung." (DAGR, VII, 8)

Vor dieser mächtigen adligen Versammlung schien der Reformator, der aus einfachen Verhältnissen stammte, eingeschüchtert und verlegen. Mehrere Fürsten bemerkten seine Gefühlsregungen, und einer von denen, die sich ihm genähert hatten, flüsterte ihm zu: "Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten." Ein anderer sagte: "Wenn Ihr vor Fürsten und Könige geführt werdet um meinetwillen, wird es Euch durch den Geist Eures Vaters gegeben werden, was Ihr reden sollt." (Siehe MLL, 53.) Aus dem Mund großer weltlicher Herren stärkten die Worte Christi seinen Diener in der Stunde der Prüfung.

Luther wurde direkt vor den Thron des Kaisers geführt. Es herrschte Totenstille im überfüllten Saal. Dann erhob sich ein kaiserlicher Beamter, zeigte auf einen Stapel Bücher und wollte von Luther zwei Fragen beantwortet haben: ob er dieselben als die seinigen anerkenne und ob er die Ansichten widerrufen wolle, die er darin verbreitet hatte. Nachdem die Buchtitel vorgelesen worden waren, antwortete Luther, indem er die erste Frage bestätigte, diese Bücher geschrieben zu haben. "Was die zweite Frage betrifft", fuhr er fort, "weil dies eine Frage vom Glauben und der Seelen Seligkeit ist und das göttliche Wort betrifft, was das höchste ist im Himmel und auf Erden ... da wäre es vermessen und sehr gefährlich, etwas Unbedachtes auszusprechen. Ich könnte ohne vorherige Überlegung leicht weniger behaupten, als die Sache erfordert, oder mehr als der Wahrheit gemäß wäre, und durch das eine und andere jenem Urteile Christi verfallen: ›Wer mich verleugnet vor den Menschen, den werde ich vor meinem himmlischen Vater auch verleugnen‹ (Matthäus 10,33). Deshalb bitte ich Eure Kaiserliche Majestät aufs Alleruntertänigste um Bedenkzeit, damit ich ohne Nachteil für das göttliche Wort und ohne Gefahr für meine Seele dieser Frage genugtue." (DAGR, VII, 8; vgl. LEA, LXIV, 377 ff; op. lat. XXXVII, 5-8)

Es war klug von Luther, dieses Gesuch zu stellen. Sein Vorgehen überzeugte die Versammlung davon, dass er nicht impulsiv oder unüberlegt handelte. Solche Ruhe und Selbstbeherrschung, die von einem Menschen nicht erwartet wurden, der stets kühn und unnachgiebig war, trug zu seiner Überlegenheit bei und befähigte ihn später, seine Antworten mit Vorsicht, Entschiedenheit, Weisheit und Würde vorzutragen, was seine Gegner überraschte und enttäuschte und ihre Anmaßung und ihren Stolz bändigte.

Unter Dem Schutz Gottes

Am folgenden Tag musste er wieder erscheinen, um seine endgültige Antwort zu geben. Als er darüber nachdachte, welch große Mächte sich gegen die Wahrheit verbündet hatten, verließ ihn für einige Augenblicke der Mut. Sein Glaube schwankte, Furcht und Zittern ergriffen ihn und Schrecken überwältigte ihn. Gefahren türmten sich vor ihm auf, seine Feinde schienen zu siegen, und die Mächte der Finsternis die Oberhand zu gewinnen. Wolken umgaben ihn und schienen ihn von Gott zu trennen. Er sehnte sich nach der Gewissheit, dass der Herr der Heerscharen mit ihm sei. In seiner Seelennot warf er sich auf sein Angesicht und stieß jene gebrochenen und herzzerreißenden Schreie aus, die niemand außer Gott völlig verstehen kann.

Er betete: "Allmächtiger, ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperrt sie den Leuten die Mäuler auf, und ich habe so wenig Vertrauen in dich. ... Wenn es nur die Kraft dieser Welt ist, in die ich mein Vertrauen setze, ist alles vorbei. ... Meine letzte Stunde ist gekommen, meine Verdammung ist ausgesprochen. ... Ach Gott! O du mein Gott, stehe du mir bei wider alle Welt, Vernunft und Weisheit. Tue du es; du musst es tun, du allein. Ist es doch nicht meine, sondern deine Sache. Habe ich doch für meine Person hier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herren der Welt zu tun. . Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer, ewiger Gott! Ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist. ... Hast du mich dazu erwählet? ... Steh mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesu Christi, der mein Schutz und Schirm sein soll, ja meine feste Burg." (DAGR, vgl. LEA, LXIV, 289 ff.)

Eine weise Vorsehung hatte Luther seine Notlage erkennen lassen, damit er nicht auf seine eigene Kraft vertraute und sich selbstsicher in Gefahr stürzte. Es war jedoch keine Furcht vor persönlichem Leiden, keine Angst vor Folter oder Tod, die ihm unmittelbar drohten und ihn nun mit Schrecken erfüllten. Er war an einem Punkt angekommen, wo er alleine nicht mehr weiter wusste. Durch seine Schwäche hätte die Sache der Wahrheit Schaden erleiden können. Er rang mit Gott nicht um seine eigene Sicherheit, sondern um den Sieg des Evangeliums. Seine Angst glich dem Ringen Jakobs an dem einsamen Bach. Wie Israel errang auch er den Sieg vor Gott. In seiner vollkommenen Hilflosigkeit klammerte er sich an Christus, den mächtigen Befreier. Er wurde gestärkt durch die Zusicherung, dass er nicht allein vor den Reichstag treten müsse. Friede kehrte in seine Seele zurück, und er freute sich, dass es ihm vergönnt war, das Wort Gottes vor all den Herrschern dieser Welt hochzuhalten.

In festem Gottvertrauen bereitete sich Luther auf den ihm bevorstehenden Kampf vor. Er überlegte, wie er antworten könnte, sah Stellen in seinen eigenen Schriften durch und suchte in der Heiligen Schrift nach passenden Beweisen, die seine Positionen stützten. Dann legte er seine linke Hand auf die Heilige Schrift, die offen vor ihm lag, hob seine rechte Hand zum Himmel und gelobte, "dem Evangelium treu zu bleiben und seinen Glauben frei zu bekennen, sollte er ihn auch mit seinem Blute besiegeln" (DAGR, VII, 8).

Als er wieder in den Reichstag geführt wurde, zeigte sein Gesicht keine Spuren von Furcht und Verlegenheit. Ruhig und friedvoll, dennoch erhaben, großmütig und edel stand er als Zeuge Gottes vor den Großen dieser Welt. Der Kaiserliche Beamte verlangte nun nach der Entscheidung. War Luther jetzt gewillt, seine Lehren zu widerrufen? In gedämpftem und bescheidenem Ton, maßvoll und ohne Erregung trug Luther seine Antwort vor. Sein Benehmen war zurückhaltend und ehrerbietig, strahlte jedoch zur Überraschung der Versammlung dennoch Zuversicht und Freude aus.

Bescheiden, Aber Deutlich

Seine Antwort lautete: "Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten, gnädigste und gnädige Herren! Auf die Bedenkzeit, mir auf gestrigen Abend ernannt, erscheine ich gehorsam und bitte durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche Majestät um Gnaden, dass sie wollen, wie ich hoffe, diese Sachen der Gerechtigkeit und Wahrheit gnädiglich zuhören, und so ich von wegen meiner Unerfahrenheit ... wider die höfischen Sitten handle, mir solches gnädig zu verzeihen als einem, der nicht an fürstlichen Höfen erzogen, sondern in Mönchswinkeln aufgekommen." (DAGR, VII, 8; vgl. LEA, LXIV, 378)

Dann ging er zu den Fragen über und betonte, dass seine Bücher nicht alle denselben Charakter hätten. Einige handelten vom Glauben und von guten Werken, und auch seine Widersacher hätten diese nicht nur als harmlos sondern auch als nützlich bezeichnet. Diese zu widerrufen hieße Wahrheiten verdammen, zu denen sich alle Seiten bekennen. Die zweite Art bestünde aus Schriften, die die Sittenverderbnis und Machtmissbräuche des Papsttums behandelten. Diese Werke zu widerrufen hieße, die Gewaltherrschaft Roms zu stärken und das Tor zur Gottlosigkeit noch weiter zu öffnen. In der dritten Art von Büchern würden Einzelpersonen angegriffen, die bestehende Übelstände verteidigt hätten. Hier gab er freimütig zu, dass er heftiger gewesen sei als es sich gezieme. Er erhebe keineswegs Anspruch auf Fehlerlosigkeit, doch auch diese Bücher könne er nicht widerrufen, denn sonst würden die Feinde der Wahrheit in ihrer Kühnheit nur noch bestärkt und das Volk mit noch größerer Grausamkeit unterdrückt.

"Dieweil aber ich ein Mensch und nicht Gott bin", setzte er fort, "so mag ich meine Büchlein anders nicht verteidigen, denn mein Herr Jesus Christus seine Lehre unterstützt hat: ›Habe ich übel geredet, so beweise es‹ (vgl. Johannes 18,23). Derhalben bitte ich durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche Majestät und Gnaden, oder aber alle andern Höchsten und Niedrigen mögen mir Zeugnis geben, mich des Irrtums überführen, mich mit prophetischen und evangelischen Schriften überwinden. Ich will auf das Allerwilligste bereit sein, so ich dessen überwiesen werde, alle Irrtümer zu widerrufen und der Allererste sein, meine Bücher in das Feuer zu werfen.

Aus welchem allem ist, meine ich, offenbar, dass ich genügsam bedacht, erwogen und ermessen habe die Gefahr, Zwietracht, Aufruhr und Empörung, so wegen meiner Lehre in der Welt erwachsen ist. ... Wahrlich, mir ist das Liebste zu hören, dass wegen des göttlichen Wortes sich Misshelligkeit und Uneinigkeit erheben wie in früheren Zeiten; denn das ist der Charakter und die Bestimmung des göttlichen Wortes, wie der Herr selbst sagt: ›Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.‹ (Matthäus 10,34) ... Darum müssen wir bedenken, wie wunderbar und schrecklich unser Gott ist in seinen Gerichten, auf dass nicht das, was jetzt unternommen wird, um die Uneinigkeit beizulegen, hernach, so wir den Anfang dazu mit Verdammung des göttlichen Wortes machen, vielmehr zu einer Sintflut unerträglicher Übel ausschlage. ... Ich könnte dafür reichlich Exempel bringen aus der Heiligen Schrift, von Pharao, den Königen zu Babel und von den Königen Israels, welche gerade dann am meisten Verderben sich bereitet haben, wenn sie mit den klügsten Reden und Anschlägen ihr Reich zu befrieden und zu befestigen dachten. Denn der Herr ist's, der die Klugen erhascht in ihrer Klugheit und die Berge umkehrt, ehe sie es innewerden; darum tut's Not, Gott zu fürchten." (DAGR, VII, 8; vgl. LEA, LXIV, 379-382; op. lat. XXXVII, 11-13)

Luther hatte deutsch gesprochen. Nun wurde er aufgefordert, dieselben Worte auf Lateinisch zu wiederholen. Obwohl er durch die bisherigen Ausführungen erschöpft war, willigte er ein und trug seine Rede nochmals mit gleicher Klarheit und Deutlichkeit vor. Gott führte auch hier. Viele Fürsten waren durch Irrtum und Aberglauben so verblendet, dass sie die Kraft der Argumentation bei Luthers erster Rede nicht richtig erfassen konnten, doch durch die Wiederholung waren sie in der Lage, die Ausführungen klar zu verstehen.

So Helfe Mir Gott!

Abgeordnete, die ihre Augen hartnäckig vor dem Licht verschlossen und nicht bereit waren, sich von der Wahrheit überzeugen zu lassen, gerieten durch die vollmächtigen Worte Luthers in Wut. Als er seine Rede beendet hatte, sagte der Sprecher des Reichstags zornig: "Sie haben die Fragen nicht beantwortet, die Ihnen vorgelegt wurden. ... Sie werden hiermit aufgefordert, klar und deutlich zu antworten. ... Wollen Sie widerrufen oder nicht?"

Darauf erwiderte der Reformator: "Weil denn Eure Majestät und die Herrschaften eine einfache Antwort begehren, so will ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne hat, dermaßen: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen." (DAGR, VII, 8; vgl. LEA, LXIV, 382 ff.)

Damit stellte sich dieser rechtschaffene Mann auf das sichere Fundament des Wortes Gottes. Das Licht des Himmels erleuchtete sein Angesicht. Die Größe und Reinheit seines Charakters, sein Friede und seine Herzensfreude wurden jedermann deutlich, als er gegen die Macht des Irrtums aussagte und die Überlegenheit des Glaubens bezeugte, der die Welt überwindet.

Der ganzen Versammlung hatte es vor Verwunderung eine Zeit lang die Sprache verschlagen. Seine erste Antwort hatte Luther in leisem Ton und in ehrerbietiger, fast unterwürfiger Art vorgetragen. Die Anhänger Roms deuteten dies als ein Zeichen, dass ihm der Mut sank. Sein Gesuch um Bedenkzeit betrachteten sie als Vorbereitung zum Widerruf. Kaiser Karl, der halb verächtlich die erschöpfte Gestalt, das schlichte Äußere und das einfache Auftreten des Mönchs betrachtete, hatte selbst erklärt: "Dieser Mönch soll mich nicht zum Ketzer machen." Der Mut und die Festigkeit, die Luther nun an den Tag legte, überraschte die Parteien ebenso wie die Kraft und die Klarheit seiner Argumente. Der Kaiser war vor Bewunderung hingerissen und rief: "Dieser Mönch redet unerschrocken, mit getrostem Mut!" Viele deutsche Fürsten blickten mit Stolz und Freude auf diesen Vertreter ihrer Nation.

Die Anhänger Roms waren geschlagen. Ihre Sache erschien in einem äußerst ungünstigen Licht. Um ihre Macht zu erhalten, beriefen sie sich nicht etwa auf die Heilige Schrift, sondern flüchteten sich in Drohungen, einem stets erfolgreichen Machtmittel Roms. Der Sprecher des Reichstags sagte: "Falls Ihr nicht widerruft, werden der Kaiser und die Fürsten und die Stände miteinander beraten, wie mit einem solch unkorrigierbaren Ketzer verfahren werden müsse."

Luthers Freunde, die freudig seiner vortrefflichen Verteidigungsrede zugehört hatten, zitterten bei diesen Worten. Aber der Doktor selbst bemerkte gelassen: "So helf mir Gott, denn einen Widerruf kann ich nicht tun." (DAGR, VII, 8; vgl. WLS, XV, 2234/2235)

Legat Und Kaiser ...

Luther wurde angewiesen, den Saal zu verlassen, während sich die Fürsten zur Beratung versammelten. Sie erkannten, dass es zu einer großen Krise gekommen war. Luthers beharrliche Weigerung, sich zu fügen, könnte die Geschichte der Kirche für Jahrhunderte beeinflussen. Es wurde beschlossen, ihm nochmals Gelegenheit zum Widerruf zu geben. Er wurde zum letzten Mal vor den Reichstag gebracht. Wiederum wurde ihm die Frage gestellt, ob er seine Lehren widerrufen wolle. Luther wiederholte: "Ich weiß keine andere Antwort zu geben wie die bereits vorgebrachte." (LLA, XVII, 580) Es war offensichtlich, dass er weder durch Versprechungen noch durch Drohungen dazu bewegt werden konnte, den Anweisungen Roms Folge zu leisten.

Die Vertreter Roms ärgerten sich, dass ihre Macht, die Könige und Adlige hatte erzittern lassen, von einem bescheidenen Mönch derart missachtet wurde. Er sollte ihren Zorn zu spüren bekommen, und sie wollten ihn zu Tode foltern. Obwohl Luther die drohende Gefahr erkannte, sprach er alle in christlicher Würde und Gelassenheit an. Seine Worte waren frei von Stolz, Eifer und Verdrehungen. Er hatte sich selbst und die großen Männer um sich herum völlig aus den Augen verloren und fühlte sich in der Gegenwart dessen, der unendlich höher war als Päpste, Prälaten, Könige und Kaiser. Christus hatte durch Luthers Zeugnis mit einer solchen Vollmacht und Erhabenheit gesprochen, dass Freund und Feind vorübergehend in Ehrfurcht und Staunen versetzt wurden. Der Geist Gottes war in jener Versammlung zugegen und ergriff die Herzen der Großen des Reichs. Mehrere Fürsten anerkannten mutig, dass Luthers Sache richtig war. Viele waren von der Wahrheit überzeugt, aber bei einigen währten die Eindrücke nicht lange. Dann gab es eine andere Gruppe, die sich zunächst mit ihrer Meinung zurückhielt, die aber die Schrift durchforschte und später zu furchtlosen Unterstützern der Reformation wurden.

Kurfürst Friedrich von Sachsen war gespannt auf Luthers Auftritt vor dem Reichstag und lauschte seiner Rede tief gerührt. Mit Stolz und Freude verfolgte er den Mut, die Entschlossenheit und Selbstbeherrschung des Gelehrten und war mehr denn je entschlossen, diesen Mann zu verteidigen. Als er die streitenden Parteien miteinander verglich, erkannte er, dass die Weisheit von Päpsten, Königen und Prälaten durch die Macht der Wahrheit zunichte gemacht worden war. Das Papsttum hatte eine Niederlage erlitten, die unter allen Völkern und zu allen Zeiten spürbar bleiben sollte.

Als der Legat erkannte, welche Wirkung Luthers Rede auf die Zuhörer ausgeübt hatte, fürchtete er wie nie zuvor um den Erhalt der römischen Macht. Er war bereit, jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel einzusetzen, um den Reformator zu beseitigen. Mit all seiner Beredsamkeit und seinem diplomatischen Geschick, das ihn in so hohem Maße auszeichnete, warnte er den jungen Kaiser (etwa 21-jährig) vor der Torheit und Gefahr, die Freundschaft und Unterstützung des mächtigen Heiligen Stuhls wegen eines unbedeutenden Mönchs aufs Spiel zu setzen.

Seine Worte blieben nicht ohne Wirkung. Schon am Tag nach Luthers Antwort teilte Karl35 dem Reichstag mit, dass er entschlossen sei, die Politik seiner Vorfahren weiterzuführen, die katholische Religion zu schützen und zu erhalten. Da sich Luther geweigert habe, seinen Irrtümern abzuschwören, müssten nun die schwersten Maßnahmen gegen ihn und seine ketzerischen Lehren ergriffen werden. "Es sei offenkundig, dass ein durch seine eigene Torheit verleiteter Mönch der Lehre der ganzen Christenheit widerstreite ... so bin ich fest entschlossen, alle meine Königreiche, meine Schätze, meine Freunde, meinen Leib, mein Blut, meine Seele und mein Leben daran zu setzen, dass dies gottlose Vornehmen nicht weiter um sich greife. ... Ich gebiete demnach, dass er sogleich nach der Vorschrift des Befehls wieder heimgebracht werde und sich laut des öffentlichen Geleites in Acht nehme, nirgends zu predigen, noch dem Volk seine falschen Lehren weiter vorzutragen. Denn ich habe fest beschlossen, wider ihn als einen offenbaren Ketzer zu verfahren. Und begehre daher von Euch, dass Ihr in dieser Sache dasjenige beschließet, was rechten Christen gebührt und wie Ihr zu tun versprochen habt." (DAGR, VII, 9; vgl. WLS, XIV, 2236/2237) Dennoch erklärte der Kaiser, dass das freie Geleit eingehalten werden und Luther zuerst sicher nach Hause kommen müsse, bevor Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden könnten.

Gegen Deutsche Fürsten

Zwei gegensätzliche Meinungen stießen nun im Reichstag aufeinander. Die Gesandten und Vertreter des Papstes forderten von neuem, das freie Geleit für den Reformator nicht zu beachten. "Der Rhein", sagten sie, "sollte seine Asche aufnehmen, wie dies hundert Jahre zuvor bei Hus der Fall war." (DAGR, VII, 9) Doch die deutschen Fürsten, obwohl päpstlich gesinnt und offene Feinde Luthers, protestierten gegen einen solch offensichtlichen Treuebruch, da er ein Makel für die Ehre der Nation wäre. Sie wiesen auf das Unheil hin, das auf Hus' Tod folgte, und gaben deutlich zu verstehen, dass sie nicht gewillt waren, eine Wiederholung dieser schrecklichen Ereignisse über Deutschland und auf das Haupt ihres jugendlichen Kaisers hereinbrechen zu lassen.

Karl selbst erwiderte auf den niederträchtigen Vorschlag: "Wenn Treue und Glauben nirgends mehr gelitten würden, sollten doch solche an den fürstlichen Höfen ihre Zuflucht finden." (DAGR, VII, 9; vgl. SCL, 357) Die erbittertsten unter den päpstlichen Feinden Luthers drangen noch weiter auf den Kaiser ein. Er sollte mit dem Reformator so verfahren, wie einst König Sigismund mit Jan Hus, als dieser ihn der Ungnade der Kirche überließ. Aber Karl V erinnerte sich an die Begebenheit, als Hus in der öffentlichen Versammlung auf seine Ketten hinwies und den Monarchen an sein abgegebenes Versprechen erinnerte. Deshalb erklärte er: "Ich will nicht wie Sigismund erröten!" (DAGR, VII, 9; vgl. LHC, 1, 3, 404)

Karl hatte die Wahrheiten, die Luther verkündigt hatte, jedoch ganz bewusst verworfen. "Ich bin fest entschlossen", schrieb der Herrscher, "in die Fußstapfen meiner Ahnen zu treten." (SGR, VII, 9) Er hatte entschieden, nicht von dem Pfad der gewohnten Tradition abzuweichen, auch nicht, um auf den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu gehen. Er würde das Papsttum trotz all seiner Grausamkeit und Korruption stützen, weil das schon seine Väter getan hatten. Damit hatte er seinen Standpunkt eingenommen, und so verwarf er alles Licht, das über die Erkenntnis seiner Väter hinausging, und lehnte jede weitergehende Verpflichtung ab.

Mutig Und Standhaft

Heutzutage klammern sich viele in gleicher Weise an die Gewohnheiten und Traditionen ihrer Väter. Wenn der Herr ihnen weiteres Licht übermittelt, lehnen sie es ab, weil sie meinen: Was er den Vätern nicht gezeigt hat, gilt auch nicht für sie. Wir befinden uns jedoch nicht mehr dort, wo unsere Väter waren und deshalb sind auch unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten nicht mehr die gleichen. Gott wird es nicht gutheißen, wenn wir lediglich auf das Beispiel unserer Väter blicken und für die Bestimmung unserer Pflichten das Wort der Wahrheit nicht selbstständig untersuchen. Unsere Verantwortung ist größer als die unserer Vorfahren. Wir sind nicht nur für jenes Licht verantwortlich, welches sie bereits empfangen und uns als Erbe hinterlassen haben, sondern zusätzlich auch für solches, das uns heute aus dem Wort Gottes erleuchtet.

Christus sagte von den ungläubigen Juden: "Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorwenden, um ihre Sünde zu entschuldigen." (Johannes 15,22) Dieselbe göttliche Macht sprach durch Luther zum Kaiser und zu den deutschen Fürsten. Und als das Licht aus Gottes Wort erstrahlte, sprach sein Geist zum letzten Mal zu Vielen der Versammelten. So wie der Stolz und sein Streben nach Beliebtheit Pilatus viele Jahrhunderte zuvor dazu gebracht hatte, sein Herz vor dem Erlöser der Welt zu verschließen; so wie Felix dem Boten der Wahrheit zitternd geboten hatte: "Für diesmal geh! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen" (Apostelgeschichte 24,25), und so wie der stolze Agrippa bekannt hatte: "Es fehlt nicht viel, so wirst du mich noch überreden und einen Christen aus mir machen" (Apostelgeschichte 26,28) und sich von der Botschaft vom Himmel abwandte, so unterwarf sich auch Karl V dem Diktat des weltlichen Stolzes und der Politik und verschmähte das Licht der Wahrheit.

Gerüchte über die Absichten gegen Luther machten die Runde und brachten die ganze Stadt in Aufregung. Der Reformator hatte viele Freunde gewonnen, die die hinterhältigen Grausamkeiten Roms gegen all jene kannten, die es gewagt hatten, die Verdorbenheit der Kirche aufzudecken. Sie beschlossen, dass Luther nicht geopfert werden dürfe. Hunderte von Adligen verpflichteten sich, ihn zu schützen. Nicht wenige rügten die Botschaft des Kaisers öffentlich als ein Zeugnis von Schwäche vor der Vorherrschaft Roms. An Haustüren und auf öffentlichen Plätzen wurden Plakate aufgehängt, von denen einige die Verurteilung, andere die Unterstützung Luthers forderten. Auf einem waren nur die bedeutungsvollen Worte des weisen Salomos geschrieben: "Weh dir, Land, dessen König ein Kind ist!" (Prediger 10,16) In ganz Deutschland war die Begeisterung des Volkes für Luther spürbar. Sowohl dem Kaiser als auch dem Reichstag war damit klar, dass jedes Unrecht, das ihm zugefügt würde, den Frieden im Reich und sogar die Sicherheit des Thrones gefährden würde.

Friedrich von Sachsen hielt sich mit seinen wirklichen Gefühlen für den Reformator wohlweislich zurück, während er gleichzeitig unermüdlich ein Auge auf ihn hatte und seine Wege und die seiner Feinde überwachte. Viele machten jedoch keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Luther. Er wurde von Fürsten, Grafen, Baronen und anderen einflussreichen Persönlichkeiten kirchlichen und weltlichen Standes besucht. "Das kleine Zimmer des Doktors konnte die vielen Besucher, die sich vorstellten, nicht fassen", schrieb Spalatin (MLTL, I; vgl. LEA, op. lat XXXVII, 15/16). Die Leute starrten auf ihn, als wäre er mehr als ein Mensch. Selbst solche, die seinen Lehren nicht glaubten, konnten seine Rechtschaffenheit nur bewundern, die ihm den Mut gab, eher den Tod zu erleiden als sein Gewissen zu verletzen.

Alles wurde unternommen, um Luther zu einem Kompromiss mit Rom zu bewegen. Adlige und Fürsten machten ihm klar, dass er bald aus dem Reich verbannt würde und nicht mehr verteidigt werden könne, falls er gegen die Beschlüsse von Kirche und Reichstag weiterhin sein eigenes Urteil durchsetzen wolle. Auf diese Bitte antwortete Luther: "Das Evangelium Christi kann nicht ohne Widerstand verkündigt werden. ... Warum sollte dann die Furcht oder die Ahnung von Gefahr mich vom Herrn trennen und vom göttlichen Wort, das allein die Wahrheit ist? Nein, ich würde vielmehr meinen Leib, mein Leben und mein Blut dahingeben." (DAGR, VII, 10; vgl. LEA, op. lat. XXXVII, 18)

Erneut wurde er gedrängt, sich dem Urteil des Kaisers zu unterwerfen, denn dann hätte er nichts zu befürchten. Luther erwiderte: "Ich stimme von ganzem Herzen zu, dass der Kaiser, die Fürsten oder der geringste Christ meine Bücher prüfen und mein Werk beurteilen, aber nur unter der Bedingung, dass das Wort Gottes die Grundlage ist. Die Menschen müssen nur diesem allein gehorchen. Tut meinem Gewissen keine Gewalt an, das gebunden ist an die Heilige Schrift." (DAGR, VII, 10) Einem anderen Aufruf entgegnete er: "Ich will eher das sichere Geleit aufgeben. Ich lege meine Person und mein Leben in die Hand des Kaisers, doch niemals Gottes Wort - nie!" (DAGR, VII, 10) Er erklärte seine Bereitschaft, sich der Entscheidung eines allgemeinen Konzils zu unterwerfen, aber nur unter der Bedingung, dass es nach der Schrift entscheide. "Was das Wort Gottes und den Glauben anbelangt", fügte er hinzu, "so kann jeder Christ ebenso gut urteilen wie der Papst es für ihn tun könnte, sollten ihn auch eine Million Konzilien unterstützen." (MLTL, I,; vgl. LHA, II, 107) Freunde und Feinde waren schließlich überzeugt, dass weitere Vermittlungsversuche zwecklos seien.

Hätte der Reformator in nur einem einzigen Punkt nachgegeben, hätten Satan und seine Heere den Sieg errungen. Doch seine standhafte Entschlossenheit brachte der Kirche die Befreiung und führte sie in ein neues und besseres Zeitalter. Der Einfluss dieses einen Mannes, der es gewagt hatte, in religiösen Fragen selbstständig zu denken und zu handeln, sollte die Kirche und die Welt nicht nur zu seiner Zeit verändern, sondern für alle zukünftigen Generationen. Seine Entschlossenheit und Treue sollten bis zum Ende der Zeit ein Vorbild für alle sein, die ähnliche Erfahrungen machen müssen. Die Macht und Majestät Gottes überragten den Rat der Menschen und die mächtige Kraft Satans.

Die Entlassung

Dann wurde Luther mit kaiserlicher Autorität befohlen, nach Hause zurückzukehren, und er wusste, dass dieser Entlassung bald seine Verurteilung folgen würde. Dunkle Wolken hingen über seinem Weg, doch als er Worms verließ, erfüllten Freude und Lobpreis sein Herz. "Der Teufel hat auch wohl verwahret des Papstes Regiment und wollte es verteidigen; aber Christus machte ein Loch darein, und Satan wurde gezwungen, einem Herrn, höher als er selbst, zu gehorchen." (DAGR, VII, 11; vgl. LLA, XVII, 589)

Nach seiner Abreise - noch immer mit dem Wunsch erfüllt, dass man seine Entschlossenheit nicht als Auflehnung missdeuten möchte - schrieb Luther an den Kaiser: "Gott, der ein Herzenskündiger ist, ist mein Zeuge, dass ich in aller Untertänigkeit Eurer Kaiserlichen Majestät Gehorsam zu leisten ganz willig und bereit bin, es sei durch Leben oder Tod, durch Ehre, durch Schande, Gut oder Schaden. Ich habe auch nichts vorbehalten als allein das göttliche Wort, in welchem der Mensch nicht allein lebt. ... In zeitlichen Sachen sind wir schuldig, einander zu vertrauen, weil derselben Dinge Unterwerfung, Gefahr und Verlust der Seligkeit keinen Schaden tut. Aber in Gottes Sache und ewigen Gütern leidet Gott solche Gefahr nicht, dass der Mensch dem Menschen solches unterwerfe. ... Solcher Glaube und Unterwerfung ist das wahre rechte Anbeten und der eigentliche Gottesdienst und sollte nur dem Schöpfer dargebracht werden." (DAGR, VII, 11; vgl. EMLB, XXI, 129-141, 28.04.1521)

Auf seiner Rückreise von Worms war Luthers Empfang in den Städten noch herzlicher als auf seiner Hinreise. Hochstehende Geistliche hießen den exkommunizierten Mönch willkommen, und weltliche Herrscher ehrten den Mann, der vom Kaiser geächtet wurde. Er wurde gebeten zu predigen, und trotz des kaiserlichen Verbots betrat er wiederum die Kanzel. "Ich habe nicht darein gewilligt, dass Gottes Wort gebunden werde", sagte er, "noch will ich es." (MLTL, I, 420; vgl. EMLB XXI, 154, 14.05.1521)

Unter Die Reichsacht Gestellt

Luther war noch nicht lange aus Worms abgereist, als die Vertreter des Papsttums beim Kaiser eine Reichsacht gegen den Reformator durchsetzten. Darin wurde Luther "nicht als ein Mensch, sondern als der böse Feind in Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte" gebrandmarkt (DAGR, VII, 11; vgl. LEA, XXIV, 223-240). Es wurde befohlen, Maßnahmen gegen sein Werk zu ergreifen, sobald das freie Geleit abgelaufen war. Allen wurde verboten, ihn aufzunehmen, ihm Speise und Trank anzubieten, ihm öffentlich oder insgeheim durch Wort oder Tat zu helfen oder ihn zu unterstützen. Wo immer er sich aufhielt, sollte er festgenommen und der Obrigkeit ausgeliefert werden. Auch seine Anhänger sollten gefangen genommen und ihr Eigentum beschlagnahmt werden. Seine Schriften sollten vernichtet werden, und schließlich sollten alle, die es wagen würden, diesem Erlass zuwiderzuhandeln, ebenfalls verhaftet werden. Der Kurfürst von Sachsen und die Fürsten, die Luther wohlgesonnen waren, hatten Worms kurz nach dessen Abreise verlassen, und so konnte der Erlass des Kaisers vom Reichstag bestätigt werden. Nun frohlockte die römische Partei und sah das Schicksal der Reformation als besiegelt an.

Auf Die Wartburg Entfuhrt

Für diese Stunde der Gefahr hatte Gott seinem Diener einen Fluchtweg vorbereitet. Ein wachsames Auge hatte Luthers Wege verfolgt, und ein aufrichtiges und edles Herz hatte sich entschlossen, ihn zu retten. Es war eindeutig, dass Rom nur durch seinen Tod zufrieden gestellt werden konnte. Nur durch ein Versteck konnte Luther aus den Klauen des Löwen in Sicherheit gebracht werden. Gott verlieh Friedrich von Sachsen die Weisheit für einen Plan, wie Luther bewahrt werden konnte. Zusammen mit wahren Freunden wurde dieses Vorhaben ausgeführt und Luther unauffindbar vor Freunden und Feinden versteckt. Auf seiner Heimreise wurde Luther ergriffen, von seinen Begleitern getrennt, in höchster Eile durch einsame Wälder verschleppt und auf eine abgelegene Festung, die Wartburg, gebracht. Seine Entführung geschah unter solch geheimnisvollen Umständen, dass selbst Friedrich lange nicht wusste, wohin der Reformator gebracht worden war. Der Kurfürst wurde mit voller Absicht in Unkenntnis gelassen, denn solange er nichts über Luthers Aufenthaltsort wusste, konnte er dazu keine Auskunft geben. Er begnügte sich mit der Gewissheit, dass der Reformator in Sicherheit war.

Frühling, Sommer und Herbst vergingen, der Winter kam, und Luther war immer noch ein Gefangener. Aleander und seine Freunde frohlockten, denn sie glaubten, das Licht des Evangeliums sei ausgelöscht. Stattdessen füllte der Reformator seine Lampe aus dem Speicher der Wahrheit auf, und das Licht leuchtete umso heller.

In der sicheren Abgeschiedenheit der Wartburg freute sich Luther eine Zeit lang über seine Geborgenheit vor der Hitze des Kampfgetümmels. Aber dann belasteten ihn die Stille und Ruhe. Er war an ein Leben der Tat und des harten Kampfes gewöhnt und konnte es schwer ertragen, untätig zu sein. An diesen einsamen Tagen dachte er oft an den Zustand der Kirche, und verzweifelt rief er: "Aber, es ist niemand, der sich aufmache und zu Gott halte oder sich zur Mauer stelle für das Haus Israel an diesem letzten Tage des Zorns Gottes!" (DAGR, IX, 2; vgl. EMLB, XXI, 148, 12.5. 1521, an Melanchthon) Wiederum waren seine Gedanken nach innen gerichtet, und er fürchtete, der Feigheit beschuldigt zu werden, weil er sich aus dem Zwist zurückgezogen hatte. Dann machte er sich Vorwürfe wegen seiner Passivität und der Behaglichkeit, in der er lebte. Doch er erreichte zu dieser Zeit mehr, als es für einen einzelnen Menschen möglich schien. Nie war seine Feder untätig. Während seine Feinde sich der Illusion hingaben, er sei zum Schweigen gebracht, wurden sie durch den Beweis des Gegenteils in Erstaunen und Verwirrung versetzt. Eine Fülle von Abhandlungen aus seiner Feder36 machten in ganz Deutschland die Runde. Einen ganz besonderen Dienst erwies er seinen Volksgenossen durch die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Von seinem felsigen Patmos verkündigte er fast ein ganzes Jahr lang das Evangelium und tadelte die Sünden und Irrtümer seiner Zeit.

Gott hatte seinen Diener aber nicht nur deswegen aus dem öffentlichen Leben genommen, um ihn vor dem Zorn seiner Feinde zu bewahren und ihm bei seiner wichtigen Aufgabe eine Zeit der Ruhe zu gönnen. Diese Zeit sollte noch weit wertvollere Ergebnisse hervorbringen. In der Einsamkeit und Abgeschiedenheit seines Zufluchtsortes in den Bergen war Luther von irdischen Helfern getrennt und fernab von menschlichem Lob. Das bewahrte ihn vor Stolz und Selbstsicherheit, die Erfolg sonst so oft hervorruft. Leid und Demütigung bereiteten ihn wiederum darauf vor, in der schwindelerregenden Höhe sicher zu gehen, auf die er so plötzlich erhoben worden war.

Wenn sich Menschen der Freiheit erfreuen, die die Wahrheit bringt, sind sie geneigt, jene zu loben, durch die Gott die Ketten ihres Irrtums und ihres Aberglaubens brechen ließ. Satan versucht immer wieder, die Gedanken und Neigungen des Menschen von Gott abzulenken und auf menschliche Mittler zu richten. Er bringt sie dazu, nur das Werkzeug zu ehren und die Hand, die alle Ereignisse durch Vorsehung lenkt, zu missachten. Nur allzu oft werden religiöse Verantwortungsträger gelobt und geehrt, die dann aber ihre Abhängigkeit von Gott vergessen und auf sich selbst vertrauen. Das Endergebnis davon ist, dass sie versuchen werden, das Gewissen und die Sinne der Menschen zu beherrschen, die sich dann der Führung dieser Leute anvertrauen, statt auf das Wort Gottes zu schauen. Das Werk der Erneuerung wird oft durch den Geist gehemmt, dem diese Anhänger unterliegen. Vor dieser Gefahr wollte Gott die Reformation bewahren. Er wollte, dass dieses Werk das Siegel Gottes und nicht das eines Menschen trug. Die Menschen hatten ihren Blick auf Luther, den Ausleger der Wahrheit gerichtet. Er wurde von ihnen genommen, damit sich alle dem ewigen Begründer der Wahrheit selbst zuwenden sollten.