Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 9

Zwingli, Der Reformator Der Schweiz

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Bei der Wahl der Werkzeuge für die Erneuerung der Kirche wird der gleiche göttliche Plan sichtbar wie bei ihrer Gründung. Der himmlische Lehrer ging an den Großen der Welt, die Titel und Reichtum besaßen und es gewohnt waren als Anführer des Volkes Lob und Ehre zu empfangen, einfach vorüber. Diese waren in ihrer eingebildeten Überlegenheit nämlich so stolz und selbstsicher, dass sie gar nicht mehr dazu bewegt werden konnten, ihren Mitmenschen Anteilnahme zu zeigen und Mitarbeiter des demütigen Mannes von Nazareth zu werden. An die ungelernten, hart arbeitenden Fischer von Galiläa war der Ruf ergangen: "Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen." (Matthäus 4,19) Diese Jünger waren demütig und ließen sich unterweisen. Je weniger sie von den Irrtümern ihrer Zeit beeinflusst waren, desto erfolgreicher konnte Christus sie unterrichten und für seinen Dienst ausbilden. So war es auch in den Tagen der großen Reformation. Die führenden Reformatoren stammten aus bescheidenen Verhältnissen. Es waren Männer, die einerseits ganz frei waren vom Stolz über ihre soziale Stellung und andererseits vom Einfluss der Frömmelei und den Machenschaften der Priesterklasse. Es liegt in Gottes Plan, durch den Einsatz bescheidener Werkzeuge große Ergebnisse zu erzielen. Auf diese Weise fällt die Ehre nicht den Menschen zu, sondern dem, der in ihnen "das Wollen und das Vollbringen bewirkt, zu seinem eigenen Wohlgefallen" (Philipper 2,13 ZÜ).

Schulzeit Und Studium

Wenige Wochen nachdem Luther in der Hütte eines sächsischen Bergmanns zur Welt gekommen war, wurde Ulrich Zwingli am Fuß der Alpen im Haus eines Bergbauern (in Wildhaus im Toggenburg) geboren. Die Umgebung, in der Zwingli aufwuchs und seine erste Bildung waren eine gute Vorbereitung für seine künftige Aufgabe. Er wuchs inmitten einer Bergwelt von natürlicher Schönheit und würdevoller Erhabenheit auf und erhielt schon früh einen Sinn für die Größe, Macht und Majestät Gottes. Die Berichte über die Heldentaten, die in seinen heimatlichen Bergen vollbracht wurden, entfachten in ihm jugendliche Sehnsüchte. Zu Füßen seiner frommen Großmutter lauschte er den wenigen kostbaren Erzählungen aus der Bibel, die ihr aus Legenden und Überlieferungen der Kirche zu Ohren gekommen waren. Gespannt hörte er von den großen Taten der Patriarchen und Propheten, von den Hirten, die ihre Herden auf den Hügeln von Palästina weideten, wo Engel mit ihnen sprachen, vom Kind zu Bethlehem und dem Mann auf Golgatha.

Wie Hans Luther wollte auch Zwinglis Vater seinem Sohn eine gute Ausbildung ermöglichen. Der Knabe musste daher sein heimatliches Tal schon bald verlassen. Sein Geist entwickelte sich rasch und schon bald stellte sich die Frage, wo es Lehrer gab, die sachkundig genug waren, um ihn auszubilden. So kam er mit 13 Jahren nach Bern, wo sich damals die bedeutendste Schule der Schweiz befand. Hier geriet er jedoch in eine Gefahr, die seine vielversprechende Zukunft bedrohte. Mönche bemühten sich beharrlich, ihn zum Eintritt in ein Kloster zu bewegen. Die Dominikaner und Franziskanermönche konkurrierten um die Gunst des Volks. Mit glänzendem Schmuck in ihren Kirchen, prunkvollen Zeremonien und dem Zauber berühmter Reliquien und Wunder wirkender Bilder wetteiferten sie miteinander.

Die Berner Dominikaner erkannten, dass ihnen Profit und Ehre winkten, wenn sie diesen talentierten jungen Studenten für sich gewinnen könnten. Er war noch sehr jung, besaß eine natürliche Schreib und Redegabe und hatte einzigartige musikalische und dichterische Fähigkeiten. Das würde ihre Gottesdienste für das Volk weit anziehender machen als all ihr Pomp und ihre Zurschaustellung und die Einnahmen für ihren Orden würden steigen. Mit List und Schmeichelei versuchten sie Zwingli zum Eintritt in ihr Kloster zu verleiten. Luther hatte sich während seiner Studienzeit in eine Klosterzelle zurückgezogen. Hätte ihn Gottes Vorsehung nicht dort herausgeholt, wäre er der Welt verloren gegangen. Doch Zwingli sollte gar nicht erst in diese Gefahr geraten. Glücklicherweise kamen seinem Vater die Absichten der Klosterbrüder zu Ohren. Er dachte nicht daran, seinem Sohn zu erlauben, das untätige und nutzlose Leben der Mönche zu teilen. Weil er erkannte, dass hier die zukünftige Brauchbarkeit seines Sohnes auf dem Spiel stand, wies er ihn an, unverzüglich nach Hause zurückzukehren.

Der junge Mann gehorchte, blieb jedoch nicht sehr lange in seinem heimatlichen Tal. Er nahm seine Studien wieder auf und begab sich wenig später nach Basel. Hier hörte Zwingli zum ersten Mal die gute Nachricht von der freien Gnade Gottes. Thomas Wyttenbach (1472-1526, Reformator von Biel), ein Lehrer der alten Sprachen, wurde durch das Studium des Griechischen und Hebräischen zur Heiligen Schrift geführt, und Strahlen göttlichen Lichts fielen durch seine Lehrtätigkeit auch auf seine Studenten. Er erklärte, es gebe eine ältere und wertvollere Wahrheit als die Theorien der Lehrer und Philosophen. (SZLW, I, 41) "Er widerlegte den päpstlichen Ablass und die Verdienstlichkeit der sogenannten guten Werke und behauptete, der Tod Christi sei die einzige Genugtuung für unsere Sünden." (WHK, XXI, 452) Für Zwingli waren diese Worte der erste Lichtstrahl in der Morgendämmerung.

Ahnliche Erkenntnisse Wie Luther

Zwingli wurde bald von Basel abberufen, um sein Lebenswerk zu beginnen. Seine erste Pfarrstelle trat er im gebirgigen Kanton Glarus an, unweit seiner toggenburgischen Heimat. Nach seiner Priesterweihe "widmete er sich mit ganzer Kraft der Erforschung der göttlichen Wahrheit, denn er wusste", sagte ein Mitreformator (Oswald Myconius [1488-1552]), "wie vieles derjenige zu wissen nötig hat, welchem das Amt anvertraut ist, die Herde Christi zu lehren" (WHP, VIII, 5; vgl. SZLW, 45). Je mehr er in der Heiligen Schrift forschte, desto deutlicher erkannte er den Gegensatz zwischen ihrer Wahrheit und den Irrlehren Roms. Er nahm die Bibel als das einzig wahre und unfehlbare Wort Gottes an. Zwingli erkannte, dass sie ihr eigener Ausleger sein musste, und wagte es deshalb nicht, vorgefasste Ansichten oder Lehren anhand der Bibel beweisen zu wollen, sondern hielt es für seine Pflicht, ihre klaren und offensichtlichen Lehren zu erforschen. Jedes Hilfsmittel versuchte er einzusetzen, um ein volles und richtiges Verständnis ihrer Aussagen zu bekommen. Er flehte um den Beistand des Heiligen Geistes, der sich nach seiner Überzeugung allen offenbart, die ihn ernsthaft und unter Gebet suchen.

Zwingli sagte: "Die Schrift kommt von Gott, nicht von Menschen, und eben Gott, der Gott, der erleuchtet, der wird auch dir zu verstehen geben, dass seine Rede von Gott kommt. ... Das Wort Gottes fehlt nicht, es ist klar, es erklärt sich selbst, und erleuchtet die menschliche Seele mit allem Heil und Gnaden, tröstet sie in Gott, demütigt sie, sodass sie sich selbst vergisst und Gott ergreift." Zwingli hatte die Wahrheit dieser Worte an sich selbst erfahren. Später spricht er noch einmal von dieser Erfahrung: "Als ich vor sieben oder acht Jahren anfing, mich ganz auf die Heilige Schrift zu verlassen, wollte mir die Philosophie und Theologie der Zänker immerdar ihre Einwürfe machen. Da kam ich zuletzt dahin, dass ich dachte: ›Du musst alle Lüge lassen und die Meinung Gottes lauter aus seinem eigenen einfachen Wort lernen‹. Da fing ich an, Gott um sein Licht zu bitten, und die Schrift begann, für mich viel heller zu werden." (WHP, VIII, 6; vgl. SSZ, I, 81.79) Die Lehre, die Zwingli verkündigte, hatte er nicht von Luther übernommen. Es war die Lehre Christi. "Predigt Luther Christus", schrieb der schweizerische Reformator, "so tut er eben dasselbe, was ich tue. Wenn er auch viel mehr Menschen zu Christus gebracht hat als ich. Das ist unwichtig. Ich will keinen anderen Namen tragen als den von Christus, dessen Kriegsmann ich bin und der allein mein Hauptmann ist. ... Nie habe ich einen Buchstaben an Luther geschrieben, noch Luther mir. Und warum? ... Damit klar würde, dass der Geist Gottes mit sich selbst im Reinen ist, da wir beide, ohne Kontakt zu haben, die Lehre Christi in solcher Übereinstimmung lehren." (DAGR, VII, 9; vgl. SSZ, I, 256 ff.)

Einsicht In Das Klosterleben

1516 wurde Zwingli eine Pfarrstelle im Kloster Einsiedeln angeboten. Hier erhielt er einen klareren Einblick in die Verdorbenheit Roms, und von hier aus reichte sein reformatorischer Einfluss weit über sein heimatliches Alpenland hinaus. Ein angeblich Wunder wirkendes Bildnis der Jungfrau Maria war eine der Hauptattraktionen von Einsiedeln. Über der Eingangspforte des Klosters war zu lesen: "Hier findet man volle Vergebung der Sünden." (DAGR, VIII, 142; WHKG, IV, 142) Das ganze Jahr hindurch kamen Pilger zum Gnadenbild der Jungfrau. Doch zum jährlichen Fest ihrer Weihe strömten große Menschenmengen aus allen Gegenden der Schweiz und sogar aus Frankreich und Deutschland herbei. Dieser Anblick betrübte Zwingli sehr, und er nutzte die Gelegenheit, diesen im Aberglauben gefangenen Menschen die Freiheit durch das Evangelium zu verkünden.

"Meint nicht", sagte er, "dass Gott in diesem Tempel eher ist als an irgendeinem Ort der Schöpfung. Wo auch immer das Land liegt, in dem ihr wohnt, Gott ist unter euch und hört euch. ... Können unnütze Werke, lange Wallfahrten, Geschenke und Bitten an die Jungfrau oder die Heiligen euch die Gnade Gottes sichern? ... Was hilft das Plappern von Worten, mit denen wir unsere Gebete schmücken? Welchen Wert haben eine glänzende Kapuze, eine säuberlich geschorene Glatze, mit Gold geschmückte Schuhe? . Gott schaut das Herz an, aber unsere Herzen sind fern von ihm ..." "Christus", sagte er, "der einmal für uns am Kreuz geopfert wurde, ist das Opfer, das Sühne gebracht hat für die Gläubigen bis in alle Ewigkeit." (DAGR, VIII, 5; vgl. SSZ, I, 216.232)

Vielen Hörern waren solche Lehren unangenehm. Für sie war es eine bittere Enttäuschung, zu hören, dass sie ihre mühsame Reise vergeblich unternommen hatten. Sie konnten nicht fassen, dass ihnen die Vergebung durch Christus frei angeboten wurde. Sie waren mit dem alten Weg zum Himmel, den Rom für sie ausgesucht hatte, zufrieden und schreckten vor einer Suche nach etwas Besserem zurück. Es war leichter, ihre Seligkeit den Priestern und dem Papst anzuvertrauen als nach der Reinheit des Herzens zu trachten.

Andere hingegen freuten sich über die frohe Nachricht von der Erlösung durch Christus. Die Einhaltung von Regeln, die ihnen Rom auferlegte, brachte ihnen keinen Seelenfrieden, und sie nahmen im Glauben das Blut ihres Erlösers zu ihrer Versöhnung an. Zu Hause erzählten sie anderen von dem kostbaren Licht, das sie empfangen hatten. So verbreitete sich die Wahrheit von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt und die Zahl der Pilger, die zum Gnadenbild der Jungfrau kamen, nahm drastisch ab. Die Opfergaben gingen zurück und damit verringerte sich auch Zwinglis Gehalt, welches aus diesen Einkünften bezahlt wurde. Das löste bei ihm jedoch nur Freude aus, denn er erkannte, dass die Macht des Fanatismus und des Aberglaubens gebrochen wurde.

Leutpriester Am Grossmunster In Zurich

Die Kirchenführer sahen sehr wohl, was Zwingli bewirkte, doch vorerst warteten sie ab und schritten nicht ein. Noch hofften sie, ihn für ihre Sache gewinnen zu können und umwarben ihn mit Schmeichelei. Unterdessen gewann jedoch die Wahrheit die Herzen des Volkes.

In Einsiedeln wurde Zwingli auf eine größere Aufgabe vorbereitet und schon bald sollte er sie in Angriff nehmen. Nach drei Jahren wurde er im Dezember 1518 als Leutpriester an das Großmünster nach Zürich berufen. Zürich war damals die bedeutendste Stadt der Schweizerischen Eidgenossenschaft und ihr Einfluss war weit herum spürbar. Die Chorherren, auf deren Einladung Zwingli nach Zürich kam, hielten aber nichts von Neuerungen und gaben ihm die folgenden Anweisungen:

"Du musst nicht versäumen", sagten sie, "für die Einkünfte des Domkapitels zu sorgen und auch das Geringste nicht verachten. Ermahne die Gläubigen von der Kanzel und dem Beichtstühle, alle Abgaben und Zehnten zu entrichten und durch Gaben ihre Anhänglichkeit an die Kirche zu bewähren. Auch die Einkünfte von Kranken, von Opfern und jeder andern kirchlichen Handlung musst du zu mehren suchen. Auch gehört zu deinen Pflichten die Verwaltung des Sakramentes, die Predigt und die Seelsorge. In mancher Hinsicht, besonders in der Predigt, kannst du dich durch einen Vikar ersetzen lassen. Die Sakramente brauchst du nur den Vornehmen, wenn sie dich auffordern, reichen; du darfst es sonst ohne Unterschied der Personen nicht tun." (DAGR, VIII, 6; vgl. SSZ, 227; HHE, IV, 63-85)

Zwingli hörte dieser Dienstanweisung ruhig zu. Dann dankte er für die Ehre, in ein so hohes Amt berufen worden zu sein, und erklärte, wie er dieses auszuführen gedenke: "Das Leben Christi, des Erlösers", sagte er, "ist zu lange den Leuten vorenthalten worden. Ich werde vom ganzen Evangelium des Matthäus predigen ... und nur aus der Quelle der Schrift nehmen und ihre Tiefen ergründen, einen Abschnitt mit dem anderen vergleichen und nach Verständnis durch dauerndes und ernstes Gebet suchen. Zur Ehre Gottes, seines eingeborenen Sohnes, der wahren Erlösung der Menschen und der Erbauung im wahren Glauben, dem ich meinen Dienst weihen werde." (DAGR, VIII, 6; vgl. MZ, 6; BRGE, I, 12) Obwohl etliche der Chorherren diesen Plan nicht billigten und versuchten, Zwingli davon abzubringen, blieb er standhaft und erklärte, er wolle keine neue Methode einführen, sondern die alte Methode fortsetzen, welche die Kirche in früheren und reineren Zeiten benutzt hatte.

Es war bereits Interesse an der Wahrheit, die er lehrte, erwacht, und das Volk strömte in großer Zahl zu seinen Predigten. Unter den Zuhörern waren viele, die schon lange keinen Gottesdienst mehr besucht hatten. Zwingli begann seinen Gottesdienst, indem er die Evangelien öffnete und seinen Zuhörern die inspirierten Berichte über das Leben, die Lehren und den Tod Christi erklärte. Wie schon in Einsiedeln stellte er hier das Wort Gottes als die einzig unfehlbare Autorität und den Tod Christi als das einzig vollkommene Opfer dar. "Zu Christus", sagte er, "möchte ich euch führen - zu Christus, der wahren Quelle der Erlösung." (DAGR, VIII, 6; SSZ, VII, 142 ff.) Leute aus allen Volksschichten - vom Staatsmann und Gelehrten bis zum Handwerker und Bauern - scharten sich um diesen Prediger. Seine Worte wurden mit großem Interesse aufgenommen. Er verkündigte nicht nur das Geschenk der Erlösung, sondern tadelte auch furchtlos die Missstände seiner Zeit. Nach einem Predigtbesuch im Großmünster priesen manche Gott. "Dieser ist ein rechter Prediger der Wahrheit, der wird sagen, wie die Sachen stehn, und als ein Mose uns aus Ägypten führen." (DAGR, VIII, 6; HHK, IV, 40)

Am Anfang waren die Leute begeistert von seinen Auftritten, doch mit der Zeit regte sich Widerstand. Die Mönche begannen sein Werk zu behindern und seine Lehren zu verurteilen. Viele überschütteten ihn mit Hohn und Spott, andere wurden frech und drohten ihm. Aber Zwingli ertrug all dies mit Geduld und sagte: "Wenn man die Bösen zu Christus führen will, so muss man bei manchem die Augen zudrücken." (DAGR, VIII, 6; vgl. SCR, 155)

Gute Saat Und Unkraut

Um diese Zeit kam ein neues Instrument zur Förderung der Reformation ins Spiel. Ein Freund des evangelischen Glaubens aus Basel, der Humanist Beatus Rhenanus, sandte einen gewissen Lucian mit einigen Schriften Luthers nach Zürich. Er sah im Verkauf dieser Bücher ein mächtiges Mittel zur Verbreitung des geistlichen Lichtes. An Zwingli schrieb er: "Mach sicher, ob dieser Mann genügend Klugheit und Geschick besitzt, wenn ja, lass ihn Luthers Schriften, vor allem die für Laien gedruckte Auslegung des Gebets des Herrn, in allen Städten, Flecken, Dörfern, auch von Haus zu Haus verbreiten. Je mehr sie bekannt sind, desto mehr Käufer werden sie finden." (DAGR, VIII, 6; SSZ, VII, 81, 02. Juli 1519) Auf diese Weise fand das Licht Eingang in die Herzen vieler Menschen.

Doch wenn Gott sich anschickt, die Stricke der Unwissenheit und des Aberglaubens zu lösen, hält Satan die Menschen mit großer Macht in der Dunkelheit fest und zieht die Fesseln noch stärker an. In den verschiedensten Ländern machten sich Männer auf, dem Volk Vergebung und Rechtfertigung durch das Blut Christi zu verkündigen. Gleichzeitig verstärkte Rom seine Anstrengungen, allen Christen die Möglichkeit zu bieten, für Geld Vergebung zu erhalten.

Jede Sünde hatte ihren Preis und den Menschen wurde die Genehmigung zur Ausübung eines jeden Verbrechens erteilt, wenn nur die Schatztruhe der Kirche gefüllt blieb. So gingen beide Bewegungen voran - die eine bot Vergebung der Sünden durch Geld an, die andere Vergebung durch Christus. Rom erlaubte die Sünde und machte sie zur Quelle seiner Einkünfte; die Reformatoren verurteilten sie und wiesen auf Christus als Versöhner und Befreier.

In Deutschland wurde der Ablassverkauf den Dominikanermönchen anvertraut, wobei der berüchtigte Tetzel die führende Rolle spielte. In der Schweiz lag er in Händen der Franziskaner unter dem italienischen Mönch Bernardin Samson. Samson hatte der Kirche bereits gute Dienste geleistet und in Deutschland und der Schweiz große Geldbeträge gesammelt, welche die päpstlichen Schatzkammern füllten. Nun durchquerte er die Schweiz und zog große Menschenmassen an. Arme Bauern beraubte er ihres dürftigen Einkommens und bei den Reichen holte er kostbare Geschenke. Doch der Einfluss der Reformation machte sich bemerkbar. Obwohl der Ablasshandel nicht gänzlich versiegte, gingen die Einnahmen deutlich zurück. Zwingli war zu dieser Zeit noch in Einsiedeln. Kurz nach seiner Einreise in die Schweiz bot Samson seine Ablassbriefe in einem benachbarten Ort an. Als der Reformator von Samsons Mission hörte, widersetzte er sich ihm unverzüglich. Die beiden begegneten sich zwar nicht, aber Zwingli stellte die Anmaßungen des Mönchs mit einem solchen Erfolg bloß, dass Samson die Gegend verlassen musste.

Auch in Zürich predigte Zwingli eifrig gegen die Ablasskrämer, und als sich Samson der Stadt näherte, gab ihm ein Ratsbote die Anweisung, er solle weiterziehen. Durch eine List gelang es ihm zwar, in die Stadt zu gelangen, er wurde jedoch fortgeschickt, ohne einen einzigen Ablasszettel verkauft zu haben. Kurz darauf verließ er die Schweiz. (SZ, I, 144 ff.)

Im Angesicht Des Schwarzen Todes

1519 wurde die Schweiz von der Pest, dem Schwarzen Tod, heimgesucht. Diese Seuche gab der Reformation starken Auftrieb. Als die Menschen der Seuche unmittelbar gegenüberstanden, erkannten viele, wie nutzlos die Ablasszettel waren, die sie kürzlich gekauft hatten, und suchten nach einem sichereren Grund für ihren Glauben. In Zürich wurde auch Zwingli auf das Krankenlager geworfen. Die Hoffnung auf seine Genesung war so klein, dass bald das Gerücht umging, er sei tot. In dieser schweren Stunde blieben sein Mut und seine Hoffnung unerschütterlich. Im Glauben schaute er auf das Kreuz von Golgatha und vertraute dem großen Versöhnungsangebot für die Sünde. Nachdem er dem Tod entronnen war, predigte er das Evangelium mit größerem Eifer als jemals zuvor und in seinen Worten lag eine ungewohnte Vollmacht. Mit großer Freude hießen die Menschen ihren geliebten Pfarrer willkommen, der dem Grab so nahe gewesen war. Auch sie hatten Kranke und Sterbende begleitet und schätzten nun die Gute Nachricht wie nie zuvor.

Die Wahrheiten des Evangeliums wurden für Zwingli noch klarer und er erlebte dessen erneuernde Kraft noch tiefgreifender. Nun befasste er sich mit dem Sündenfall und dem Erlösungsplan. Er sagte: "In Adam sind wir alle tot und in Verderbnis und Verdammnis versunken." (WHP, VIII, 6; SSZ, IX, 9) "Christus ... hat für uns eine ewige Erlösung erkauft. ... Sein Leiden ist ewig gut und fruchtbar, tut der göttlichen Gerechtigkeit in Ewigkeit für die Sünden aller Menschen genug, die sich sicher und gläubig darauf verlassen." Doch er lehrte deutlich, dass es den Menschen unter der Gnade Christi nicht freistehe, weiterhin zu sündigen. "Siehe, wo der wahre Glaube ist, da ist Gott. Wo aber Gott ist, da geschieht nichts Arges ... da fehlt es nicht an guten Werken." (DAGR, VIII, 9; SSZ, I, 5, 182 ff.)

Das Interesse an Zwinglis Predigten war enorm. Um ihn zu hören strömten so viele Menschen ins Großmünster, dass die Kirche bis zum Bersten voll war. Schrittweise entfaltete er die Wahrheit vor seinen Zuhörern. Er behandelte dabei immer nur so viel, wie sie fassen konnten und achtete sorgfältig darauf, nicht schon zu Beginn Themen zu wählen, die sie aufschreckten und Vorurteile weckten. Seine Kernaufgabe bestand darin, ihre Herzen für die Lehren Christi zu gewinnen, sie durch die Liebe Christi sanftmütig zu machen und ihnen das Beispiel Jesu vor Augen zu malen. Sobald die Menschen die Grundsätze des Evangeliums annahmen, verwarfen sie folgerichtig ihre abergläubischen Vorstellungen und Praktiken.

Die Früchte Des Evangeliums: Friede In Der Stadt

Langsam machte die Reformation in Zürich Fortschritte, was ihre Gegner alarmierte und zu aktivem Widerstand anregte. In Worms hatte ein Jahr zuvor der Mönch aus Wittenberg Papst und Kaiser mit seinem Nein widerstanden. Nun deutete alles darauf hin, dass sich in Zürich ein ähnlicher Widerstand gegen die päpstlichen Machtansprüche aufbaute. Zwingli wurde wiederholt angegriffen. In den katholischen Kantonen war es hin und wieder vorgekommen, dass Nachfolger des Evangeliums auf dem Scheiterhaufen endeten. Doch das genügte nicht. Der Lehrer der Ketzerei selbst musste zum Schweigen gebracht werden. Daher sandte der Bischof von Konstanz drei Abgesandte zum Stadtrat von Zürich, die Zwingli beschuldigen sollten, er lehre das Volk, die Gesetze der Kirche zu übertreten und gefährde damit den Frieden sowie Recht und Ordnung in der Gesellschaft. Sollte die Autorität der Kirche nicht beachtet werden, so argumentierte man, wäre das Ergebnis allgemeine Gesetzlosigkeit. Zwingli antwortete: "Ich habe schon beinahe vier Jahre lang das Evangelium Jesu mit saurer Mühe und Arbeit gepredigt. Zürich ist ruhiger und friedlicher als jeder andere Ort der Eidgenossenschaft, und dies schreiben alle guten Bürger dem Evangelium zu." (DAGR, VIII, 11; vgl. WHKG, IV, 226/227)

Die Abgesandten des Bischofs hatten die Stadträte ermahnt, Rom treu zu bleiben, denn außerhalb dieser Kirche gäbe es kein Heil. Zwingli erwiderte: "Lasst euch, liebe Herrn und Bürger, durch diese Ermahnung nicht auf den Gedanken bringen, dass ihr euch jemals von der Kirche Christi gesondert habt. Ich glaube zuversichtlich, dass ihr euch noch wohl zu erinnern wisst, was ich euch in meiner Erklärung über Matthäus gesagt habe, dass jener Fels, welcher dem ihn redlich bekennenden Jünger den Namen Petrus gab, das Fundament der Kirche sei. In jeglichem Volk, an jedem Ort, wer mit seinem Munde Jesum bekennt und im Herzen glaubt, Gott habe ihn von den Toten auferweckt, wird selig werden. Es ist gewiss, dass niemand außer derjenigen Kirche selig werden kann." (DAGR, VIII, 11; WHKG, IV, 233) Die Folge dieser Verhandlung war, dass sich bald darauf einer der drei Abgesandten des Bischofs zum reformierten Glauben bekannte (Johannes Wanner [SZ I, 212]).

Der Stadtrat lehnte es ab, Maßnahmen gegen Zwingli zu ergreifen, und Rom rüstete sich zu einem neuen Angriff. Als der Reformator von den Plänen der Anhänger des Papsttums hörte, erklärte er: Lasst sie nur kommen; ich fürchte sie weniger "wie ein hohes Ufer die Wellen drohender Flüsse" (WHP, VIII, 6; vgl. SSZ, VII, 202, 22. Mai 1522). Die Anstrengungen der Geistlichkeit förderten nur noch die Sache, die sie vernichten wollten. Die Wahrheit breitete sich weiter aus, und in Deutschland fassten ihre Anhänger nach dem Verschwinden Luthers neuen Mut, als sie vom Fortschritt des Evangeliums in der Schweiz hörten.

Als sich die Reformation in Zürich festigte, wurden auch ihre Früchte immer deutlicher sichtbar: die Sittenlosigkeit ging zurück und Ordnung und friedliches Zusammenleben wurden gefördert. Zwingli konnte schreiben: "Der Friede weilt in unserer Stadt. ... Zwischen uns gibt es keine Spannung, keine Zwietracht, keinen Neid, keine Zänkereien und Streitigkeiten. Wem könnte man aber diese Übereinstimmung der Gemüter mehr zuschreiben als wie dem höchsten, besten Gott?" (WHP, VIII, 6; vgl. SSZ, VII, 389, 5. April 1525)

Die Erfolge, welche die Reformation vorzuweisen hatte, reizte die Anhängerschaft Roms noch mehr, sie zu vernichten. Nachdem sie eingesehen hatten, dass eine Verfolgung Luthers in Deutschland wenig brachte, entschloss man sich, der Reformation mit ihren eigenen Waffen zu begegnen. Es sollte ein Streitgespräch mit Zwingli stattfinden. Rom nahm die Sache selbst in die Hand, und weil man sich den Sieg sichern wollte, bestimmte man nicht nur den Ort der Auseinandersetzung, sondern auch die Richter, die zwischen den streitenden Parteien urteilen sollten. Konnte man Zwingli erst einmal in die Hand bekommen, würde man schon dafür sorgen, dass er ihnen nicht entwischte. Wenn der Anführer erst einmal zum Schweigen gebracht würde, könnte die Bewegung rasch zerschlagen werden. Diese Absicht wurde jedoch sorgfältig geheim gehalten.

Die Disputation Zu Baden

Das Streitgespräch sollte in Baden (Kanton Aargau) stattfinden, aber Zwingli war nicht zugegen. Der Stadtrat von Zürich misstraute den Absichten der Anhänger Roms. Gewarnt durch das Verbrennen evangelischer Zeugen auf Scheiterhaufen in den päpstlich gesinnten Kantonen, verbot er seinem Prediger, sich der Gefahr auszusetzen. In Zürich war er bereit, sich allen Vertretern Roms zu stellen. Aber in Baden, wo erst kürzlich das Blut von Märtyrern der Wahrheit geflossen war, hätte er den sicheren Tod gefunden. Ökolampad, der Reformator Basels, und Berchtold Haller, der Reformator Berns, wurden ausgewählt, den Reformator zu vertreten, während der bekannte Dr. Johannes Eck mit einer Schar päpstlicher Gelehrter die Seite Roms vertrat.

Wenn auch Zwingli bei dieser "Badener Disputation" fehlte, war sein Einfluss doch spürbar. Die Schreiber wurden durch die Vertreter des Papsttums bestimmt, und allen anderen Teilnehmern war jede Art von Aufzeichnung bei Todesstrafe verboten. Dennoch wurde Zwingli täglich über die Reden, die in Baden gehalten wurden, genauestens informiert. Ein Student, der den Verhandlungen beiwohnte, schrieb abends die vorgebrachten Argumente auf. Zwei weitere Studenten trugen die Verhandlungsberichte sowie die täglichen Briefe Ökolampads an Zwingli nach Zürich. Die Antworten des Reformators enthielten Ratschläge und Anregungen. Sie wurden nachts geschrieben und frühmorgens durch die beiden Kuriere nach Baden zurückgebracht. Um der Wachsamkeit der Torhüter an den Stadttoren zu entgehen, trugen diese Boten Körbe mit Federvieh auf ihren Köpfen und konnten so ungehindert die Stadt betreten.

So stellte sich Zwingli seinen verschlagenen Gegnern zum Kampf. "Er hat", schreibt Myconius, "während des Gesprächs durch Nachdenken, Wachen, Raten, Ermahnen und Schreiben mehr gearbeitet, als wenn er der Disputation selbst beigewohnt hätte" (DAGR, XI, 13; vgl. SSZ, VII, 517; MZ, 10).

Siegesgewiss waren die Vertreter Roms in ihren kostbarsten Gewändern und mit funkelnden Juwelen nach Baden gekommen. Sie lebten in Saus und Braus und ihre Tafeln waren mit den köstlichsten Leckerbissen und ausgesuchtesten Weinen gedeckt. Als Ausgleich zu ihren geistlichen Pflichten wurde gefeiert und gezecht. In auffallendem Gegensatz dazu stand der Auftritt der Reformatoren, die vom Volk kaum höher eingeschätzt wurden als eine Gruppe von Bettlern, deren anspruchslose Mahlzeiten sie nur kurze Zeit bei Tisch hielten. Der Hauswirt Ökolampads nahm die Gelegenheit wahr, ihn in seinem Zimmer zu beobachten, und fand ihn regelmäßig entweder beim Studium oder im Gebet. Deshalb sagte er sehr verwundert: "Man muss gestehen, das ist ein sehr frommer Ketzer." (DAGR, XI, 13, 271; vgl. BRGE, I, 351)

Bei der Versammlung betrat Eck überheblich "eine prächtig verzierte Kanzel; der einfach gekleidete Ökolampad musste ihm gegenüber auf ein grob gearbeitetes Gerüst treten" (DAGR, XI, 13, 270). Ecks schallende Stimme und seine grenzenlose Zuversicht waren unverkennbar. Die Aussicht auf Gold und Ruhm belebte seinen Eifer, denn dem Verteidiger der Tradition war eine ansehnliche Belohnung zugesichert worden. Wenn er keine Argumente hatte, benutzte er Beleidigungen und sogar Flüche.

Ökolampad war ein bescheidener Mann mit wenig Selbstvertrauen. Vom Streit eingeschüchtert brachte er sich mit der feierlichen Erklärung ein: "Ich akzeptiere keine andere Regel zur Beurteilung als das Wort Gottes." (DAGR, XI, 13) Obwohl sein Auftreten bescheiden und geduldig war, erwies er sich als fähig und tapfer. "Eck, der mit der Schrift nicht zurechtkommen konnte, berief sich immer wieder auf Überlieferung und Herkommen. Ökolampad antwortete, auf die Heilige Schrift hinweisend: Über allen Übungen steht in unserem Schweizerlande das Landrecht. Unser Landbuch aber ist [in Glaubenssachen] die Bibel." (DAGR, XI, 13; vgl. HLSV, II, 94)

Der Kontrast zwischen den beiden Gegnern blieb nicht ohne Wirkung. Die ruhige und klare Argumentation und die behutsame und bescheidene Darlegung des Reformators gewannen die Gemüter der Zuhörer. Aber von den prahlerisch und lautstark vorgetragenen Thesen Ecks wandten sie sich mit Entsetzen ab.

Die Disputation dauerte achtzehn Tage. Mit großer Zuversicht beanspruchten die Vertreter des Papsttums am Ende den Sieg für sich. Die meisten Abgesandten ergriffen Partei für Rom und die Tagung ließ verlauten, dass die Reformatoren besiegt worden wären und zusammen mit ihrem Anführer Zwingli aus der Kirche ausgeschlossen seien. Doch die Früchte dieser Tagung offenbarten, welche Seite tatsächlich überlegen war, denn die Streitgespräche verliehen der protestantischen Sache starken Auftrieb. Nur wenig später bekannten sich die wichtigen Städte Bern und Basel zur Reformation.