Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 14

Späte Englische Reformatoren

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Während Martin Luther den Menschen in Deutschland die bisher verschlossene Bibel zugänglich machte, wurde William Tyndale in England vom Geist Gottes gedrängt, dasselbe auch für sein Land zu tun. Wycliffs Bibel war seinerzeit aus einem lateinischen Text übersetzt worden, der viele Fehler enthielt. Sie wurde nie gedruckt, und ein handgeschriebenes Exemplar war so teuer, dass es sich nur Adlige oder Reiche leisten konnten. Außerdem war sie verhältnismäßig wenig verbreitet, weil die Kirche den Besitz strengstens verboten hatte. 1516, ein Jahr vor Luthers Thesenanschlag, veröffentlichte Erasmus von Rotterdam seine griechische und lateinische Ausgabe des Neuen Testaments. Nun wurde zum ersten Mal das Wort Gottes in der Originalsprache gedruckt. Viele Fehler früherer Fassungen konnten in diesem Werk berichtigt werden, und der Sinn wurde klarer wiedergegeben. Das führte in Gelehrtenkreisen zu einem besseren Verständnis der Wahrheit und verlieh der Reformation neuen Auftrieb. Doch der größte Teil der allgemeinen Bevölkerung hatte nach wie vor keinen Zugang zu Gottes Wort. Tyndale sollte das Werk Wycliffs vollenden und seinen Landsleuten die Bibel zugänglich machen.

Tyndale-Prediger, Übersetzer Und Märtyrer

Tyndale war ein eifriger Schüler und ernsthafter Wahrheitssucher, der das Evangelium aus dem griechischen Neuen Testament von Erasmus kennen lernte. Er verkündigte seine Überzeugungen furchtlos und verlangte, dass alle Lehren anhand der Schrift geprüft würden. Auf die päpstliche Behauptung, die Kirche sei Urheberin der Bibel und allein die Kirche könne sie auslegen, erwiderte Tyndale: "Wer hat denn den Adler gelehrt, seine Beute zu finden? Derselbe Gott lehrt seine hungrigen Kinder ihren Vater in seinem Worte finden. Nicht ihr habt uns die Schrift gegeben, vielmehr habt ihr sie uns vorenthalten; ihr seid es, die solche verbrennen, die sie predigen, ja ihr würdet die Schrift selbst verbrennen, wenn ihr könntet." (DAGR, XVIII, 4)

Tyndales Predigten weckten großes Interesse, und viele nahmen die Wahrheit an. Die Priester waren jedoch wachsam, denn kaum hatte er sein Arbeitsfeld verlassen, versuchten sie durch Drohungen und Entstellungen sein Werk zu zerstören. Dies gelang ihnen nur allzu oft. "Was soll ich tun?", rief Tyndale aus, "während ich hier säe, reißt der Feind dort alles aus, wo ich gerade herkomme. Ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Oh, dass die Christen die Heilige Schrift in ihrer Sprache besäßen, dann könnten sie den Verdrehungen selbst widerstehen! Ohne die Bibel ist es unmöglich, die Laien in der Wahrheit zu gründen" (DAGR, XVIII, 4).

Dieser Gedanke ließ ihn von nun an nicht mehr los. Er sagte: "In Israels eigener Sprache erschollen die Psalmen im Tempel des Herrn, und das Evangelium sollte unter uns nicht reden dürfen in der Sprache Englands? Die Kirche sollte weniger Licht haben jetzt im hohen Mittag als ehemals in den ersten Stunden der Dämmerung? Das Neue Testament muss in der Volkssprache gelesen werden können." Die Kirchengelehrten waren sich nicht einig. Nur mit Hilfe der Bibel konnte das Volk die Wahrheit erkennen. "Einer hält zu diesem Gelehrten, der andere zu jenem und alle widersprechen sich. Wie sollen wir da das Wahre vom Falschen unterscheiden? Allein durch das Wort Gottes!" (DAGR, XVIII, 4)

Nicht lange danach erklärte ein katholischer Gelehrter in einem Streitgespräch mit Tyndale: "Wir wären besser dran ohne Gottes Gesetz als ohne das Gesetz des Papstes." Tyndale antwortete: "Ich trotze dem Papst samt all seinen Gesetzen. Wenn Gott mir das Leben schenkt, so soll in wenigen Jahren ein Bauernknecht, der den Pflug führt, die Schrift noch besser verstehen als du." (AEB, 19; vgl. DAGR, XVIII, 4)

Nun war er in seiner Absicht bestärkt, dem Volk in seiner eigenen Sprache das Neue Testament zu geben, und er machte sich sofort an die Arbeit. Als er aus seinem Heimatort in Gloucestershire vertrieben wurde, ließ er sich in London nieder, wo er eine Zeit lang ungestört arbeiten konnte. Aber wiederum zwang ihn die Gewalt der Anhänger Roms in die Flucht. Als ihm ganz England verschlossen schien, suchte er in Deutschland Zuflucht. Hier begann er das englische Neue Testament zu drucken. Zweimal musste er seine Arbeit einstellen, doch wenn es ihm in einer Stadt verboten wurde zu drucken, ging er in eine andere. Schließlich kam er nach Worms, wo Luther einige Jahre zuvor das Evangelium vor dem Reichstag verteidigt hatte. In dieser alten Stadt lebten viele Freunde der Reformation, und Tyndale konnte ohne weitere Behinderungen sein Werk fortsetzen. Eine erste Auflage von 3.000 Exemplaren war bald fertig, und noch im selben Jahr folgte eine zweite.

Ernsthaft und beharrlich führte er seine Arbeit fort. Obwohl die englischen Behörden ihre Häfen strengstens überwacht hatten, gelangte das Wort auf verschiedenen Wegen heimlich nach London und verbreitete sich von dort aus über das ganze Land. Die Anhänger des Papsttums versuchten vergeblich, die Wahrheit zu unterdrücken. Der Bischof von Durham kaufte einem Buchhändler, der ein Freund Tyndales war, den ganzen Vorrat an Bibeln mit der Absicht ab, diese zu vernichten, und meinte, damit das Werk stark zu behindern. Aber das Gegenteil war der Fall. Das eingenommene Geld wurde in eine neue und bessere Auflage investiert, die sonst gar nicht hätte erscheinen können. Als Tyndale später gefangen genommen wurde, bot man ihm die Freiheit an, wenn er die Namen derer verrate, die ihm die Kosten zum Druck seiner Bibeln finanzierten. Er antwortete, dass der Bischof von Durham mehr denn sonst jemand dazu beigetragen habe. Da dieser für den Büchervorrat einen hohen Preis bezahlt hatte, war Tyndale in der Lage, guten Mutes weiterzumachen.

Tyndale wurde an seine Feinde verraten und musste viele Monate im Kerker zubringen. Schließlich bezeugte er seinen Glauben durch den Märtyrertod. Doch die Waffen, die er schmiedete, befähigten andere, den Kampf durch die Jahrhunderte bis in unsere Zeit weiterzuführen.

Weitere Märtyrer In England

Hugh Latimer predigte von der Kanzel, dass das Volk die Bibel in seiner Sprache lesen sollte. "Der Urheber der Heiligen Schrift", sagte er, "ist Gott selbst, und diese Schrift hat einen Anteil an der Macht und Ewigkeit ihres Urhebers. Es gibt weder Könige, Kaiser, Obrigkeiten noch Herrscher ... die nicht gebunden wären ... seinem heiligen Wort zu gehorchen. ... Lasst uns keine Nebenwege einschlagen, sondern lasst uns vom Wort Gottes geleitet werden; lasst uns nicht ... unsern Vätern nachfolgen und auf das sehen, was sie getan haben, sondern auf das, was sie hätten tun sollen." (LFS)

Robert Barnes und John Frith, treue Freunde Tyndales, waren nun die neuen Kämpfer für die Wahrheit. Ihnen folgten die Gebrüder Ridley und Thomas Cranmer. Diese Führer der englischen Reformation waren gelehrte Männer, die meisten von ihnen für ihren Eifer und ihre Frömmigkeit in der römischen Kirche hoch geachtet. Sie wurden zu Gegnern des Papsttums, weil sie die Irrtümer des "Heiligen Stuhls" erkannten. Sie waren mit dem Geheimnis um Babylon bestens vertraut, was ihrem Zeugnis gegen diese Macht ein umso größeres Gewicht verlieh.

"Ich muss euch jetzt eine seltsame Frage stellen", sagte Latimer, "wer ist der eifrigste Bischof und Prälat in England? ... Ich sehe, ihr horcht und wartet, dass ich seinen Namen nenne. ... Ich will ihn nennen: Es ist der Teufel. ... Er entfernt sich nie aus seinem Kirchsprengel; sucht ihn, wann ihr wollt, er ist immer zu Hause ... er ist stets bei der Arbeit. ... Ihr werdet ihn nie träge finden, dafür verbürge ich mich. ... Wo der Teufel wohnt ... tut mir die Bücher weg und holt Kerzen herbei; tut die Bibeln weg und holt die Rosenkränze herbei; tut weg das Licht des Evangeliums und holt das Licht der Kerzen, ja sogar am hellen Mittag. ... Nieder mit dem Kreuz Christi, es lebe das Fegefeuer, das die Tasche leert . hinweg mit dem Bekleiden der Nackten, Armen und Lahmen; herbei mit der Verzierung von Bildern und dem bunten Schmücken von Stock und Stein; herbei mit menschlichen Überlieferungen und Gesetzen; nieder mit Gottes Überlieferungen und seinem allerheiligsten Wort. ... Oh, dass unsere Prälaten so eifrig wären, die Körner guter Lehre auszustreuen, wie Satan fleißig ist, allerlei Unkraut zu säen!" (LSP)

Diese Reformatoren hielten alle an dem gleichen Prinzip fest, wie dies schon die Waldenser, Wycliff, Hus, Luther, Zwingli und ihre Verbündeten getan hatten: an den unfehlbaren Aussagen der Heiligen Schrift als Norm für Glauben und Leben. Sie sprachen den Päpsten, Konzilien, Kirchenvätern und Königen das Recht ab, in Fragen der Religion das menschliche Gewissen zu kontrollieren. Die Bibel war ihre Richtschnur, und an ihren Aussagen prüften sie alle Lehren und Behauptungen. Der Glaube an Gott und an sein Wort stärkte diese heiligen Männer, als sie auf dem Scheiterhaufen ihr Leben hingaben. "Sei guten Mutes", rief Latimer seinem Leidensgefährten zu, als die Flammen begannen, ihre Stimmen zum Schweigen zu bringen, "wir werden heute durch Gottes Gnade ein Licht in England anzünden, und ich vertraue darauf, dass es nie ausgelöscht werden wird." (WL, I, 13)

John Knox, Der Unerschrockene Reformator Schottlands

In Schottland wurde die Wahrheit, die einst Columba und seine Mitstreiter ausgesät hatten, nie völlig ausgerottet. Jahrhunderte, nachdem sich die Kirchen Englands Rom unterworfen hatten, hielten die Kirchen Schottlands noch an ihrer Freiheit fest. Aber im zwölften Jahrhundert fasste das Papsttum auch hier Fuß und übte seine Gewaltherrschaft uneingeschränkter aus als in jedem anderen Land. Nirgendwo war die Finsternis größer. Dennoch durchbrachen Strahlen des Lichts die Dunkelheit und verkündeten den kommenden Tag. Die Lollarden, die von England mit der Bibel und den Schriften Wycliffs kamen, taten viel, damit das Evangelium erhalten blieb, und jedes Jahrhundert hatte seine Zeugen und Märtyrer.

Zu Beginn der großen Reformation erschienen Luthers Schriften und wenig später das Neue Testament Tyndales in englischer Sprache. Von der römischen Hierarchie unbemerkt, zogen die stillen Boten über Berg und Tal und zündeten überall die Fackel der Wahrheit wieder neu an. In Schottland war sie schon nahezu erloschen. Damit machten sie das rückgängig, was Rom in vier Jahrhunderten der Unterdrückung erreicht hatte.

Dann gab das Blut der Märtyrer der Bewegung frischen Auftrieb. Die Anführer des Papsttums erkannten plötzlich die Gefahr, die ihnen drohte, und brachten einige der edelsten und geehrtesten Söhne Schottlands auf den Scheiterhaufen. Sie errichteten damit jedoch Kanzeln, von denen die Worte sterbender Zeugen im ganzen Land zu hören waren. So wurden die Menschen ermutigt, die Fesseln der römischen Herrschaft abzuschütteln.

Patrick Hamilton und George Wishart, von adligem Geschlecht und Charakter, gaben ihr Leben mit vielen weniger bekannten Jüngern auf dem Scheiterhaufen hin. Aber bei den Flammen Wisharts stand einer, den kein Feuer zum Schweigen bringen sollte und der unter Gottes Führung dem Papsttum in Schottland die Totenglocke läuten sollte.

John Knox wandte sich von den Überlieferungen und dem Wunderglauben der Kirche ab, um sich nur noch von den Wahrheiten des Wortes Gottes zu nähren. Wisharts Lehren bestärkten ihn in seinem Entschluss, die Verbindung mit Rom zu lösen und sich den verfolgten Reformatoren anzuschließen.

Als Freunde ihn bedrängten, doch das Amt eines Predigers anzunehmen, zauderte er vor dieser Verantwortung. Nach Tagen der Abgeschiedenheit und langen Ringens willigte er ein. Als er die Stellung erst einmal angenommen hatte, ging er mit unerschütterlicher Entschlossenheit voran. Furchtlos und mutig kämpfte er ein Leben lang. Dieser unerschrockene Reformator fürchtete nicht die Auseinandersetzung mit Menschen. Die Feuer der Märtyrer, die um ihn herum aufloderten, regten seinen Eifer nur zu noch größerer Entschlossenheit an. Das Beil des Henkers schwebte drohend über seinem Haupt, aber dessen ungeachtet teilte er nach links wie nach rechts kräftige Hiebe aus und zertrümmerte so den Götzendienst.

Mancher führende Protestant verstummte, wenn er in die Gegenwart der Königin von Schottland geführt wurde, doch John Knox bezeugte vor ihr standhaft die Wahrheit. Durch Schmeicheleien war er nicht zu gewinnen und keine Drohung machte ihn verzagt. Die Königin beschuldigte ihn der Ketzerei. Er habe dem Volk eine Religion gepredigt, die der Staat verboten hatte, erklärte sie. Damit habe er Gottes Gesetz übertreten, das dem Volk gebiete, seinen Fürsten zu gehorchen. Knox antwortete unbeirrt:

"Da die richtige Religion weder ihren Ursprung noch ihre Autorität von weltlichen Fürsten erhielt, sondern von dem ewigen Gott allein, sind die Untertanen nicht gezwungen, ihren Glauben nach dem Geschmack ihrer Fürsten zu richten. Denn oft sind die Fürsten am allerunwissendsten in Gottes wahrer Religion. ... Hätte aller Same Abrahams die Religion Pharaos angenommen, dessen Untertanen sie lange waren, welche Religion, ich bitte Sie, Madame, hätte die Welt damals gehabt? Oder wenn in den Tagen der Apostel alle Menschen die Religion der römischen Kaiser gehabt hätten, welche Religion würde dann auf Erden geherrscht haben? . Und so, Madame, können Sie sehen, dass Untertanen nicht an die Religion ihrer Fürsten gebunden sind, wenn ihnen auch geboten wird, ihnen Gehorsam zu leisten."

Darauf erwiderte Königin Maria: "Ihr legt die Heilige Schrift auf diese Weise aus, sie [die katholischen Lehrer] auf eine andere; wem soll ich glauben und wer soll Richter sein?"

"Sie sollen Gott glauben, der deutlich in seinem Wort spricht", antwortete der Reformator, "und weiter als das Wort lehrt, brauchen Sie weder das eine noch das andere zu glauben. Das Wort Gottes ist in sich klar, und wenn irgendeine Stelle dunkel ist, so erklärt der Heilige Geist, der sich nie widerspricht, sie deutlicher an anderen Stellen, sodass kein Zweifel sein kann, es sei denn für die, welche sich hartnäckig verschließen" (LWK, II, 281.284).

Unter Lebensgefahr verkündete der furchtlose Reformator diese Wahrheiten in der Gegenwart der Königin. Mit demselben unerschrockenen Mut hielt er an seinem Vorhaben fest und kämpfte betend so lange für den Herrn, bis Schottland vom Papsttum befreit war.

Verbreitung Durch Verfolgung

In England wurde die Verfolgung durch die Einführung des Protestantismus als Staatsreligion zwar abgeschwächt, aber nicht völlig beendet. Viele Lehren Roms wurden zwar verworfen, aber nicht wenige Zeremonien blieben erhalten. Die Vorherrschaft des Papstes wurde zwar abgelehnt, aber an dessen Stelle wurde der Monarch als Haupt der Kirche eingesetzt. Der Gottesdienst war immer noch weit von der Reinheit und Einfachheit des Evangeliums entfernt. Der große Grundgedanke der religiösen Freiheit wurde noch nicht verstanden. Allerdings griffen die protestantischen Herrscher höchst selten zu solch schrecklichen Grausamkeiten, wie sie Rom gegen die Ketzer anwandte. Doch das Recht eines jeden, Gott so anzubeten, wie es sein Gewissen verlangte, wurde nicht gewährt. Alle mussten sich an die Lehren und Liturgien halten, die von der Staatskirche vorgeschrieben wurden. Andersdenkende litten noch jahrhundertelang mehr oder weniger unter Verfolgung.

Im 17. Jahrhundert wurden tausende Prediger aus ihren Ämtern vertrieben. Den Menschen war unter Androhung schwerer Geldbußen, Gefängnis oder Verbannung verboten, religiöse Veranstaltungen zu besuchen, die von der Kirche nicht genehmigt waren. Die Gläubigen, die nicht auf ihren Gottesdienst verzichten wollten, waren gezwungen, sich in dunklen Gassen, düsteren Dachkammern oder je nach Jahreszeit nachts in Wäldern zu versammeln. In den schützenden Tiefen des Waldes, einem besonderen Tempel Gottes, versammelten sich zerstreute und verfolgte Gotteskinder zum Gebet und zum Lobpreis Gottes. Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen mussten viele für ihren Glauben leiden. Gefängnisse waren überfüllt, Familien wurden auseinandergerissen, viele aus dem Land verbannt. Doch Gott war bei seinem Volk, und die Verfolgung konnte sein Zeugnis nicht zum Schweigen bringen. Viele wurden über das Meer nach Amerika vertrieben. Dort legten sie den Grundstein für bürgerliche und religiöse Freiheit, das Bollwerk und der Stolz dieses Landes.

Wie zur Zeit der Apostel trug auch hier die Verfolgung zur Verbreitung des Evangeliums bei. In einem widerlichen Kerker, in Gesellschaft von Ausgestoßenen und Verbrechern, atmete John Bunyan Himmelsluft. Dort schrieb er seine wundervolle Allegorie von der Reise eines Pilgers aus dem Land des Verderbens zur Himmelsstadt. Mehr als zwei Jahrhunderte lang sprach jene Stimme aus dem Gefängnis von Bedford mit durchdringender Macht zu den Herzen der Menschen. Bunyans Bücher "Die Pilgerreise" und "Überschwängliche Gnade für den größten der Sünder" haben unzählige Menschen auf den Weg des Lebens geführt.

Richard Baxter, John Flavel, Joseph Alleine und andere begabte und gebildete Männer mit tiefer christlicher Erfahrung wurden tapfere Verteidiger des Glaubens, "der ein für alle Mal den Heiligen überliefert ist" (Judas 3). Das Werk, das diese Männer schufen, obschon sie von den Herrschern dieser Welt verpönt und geächtet wurden, kann niemals untergehen. Flavels "Brunnquell des Lebens" und "Die Wirkung der Gnade" haben Tausenden gezeigt, wie sie ihr Leben Christus übergeben können. Baxters Buch "Der umgewandelte Pfarrer" hat sich für viele, die eine Wiederbelebung des Werkes Gottes wünschten, als Segen erwiesen. Sein Buch "Die ewige Ruhe der Heiligen" hat viele Suchende zu der "Ruhe" geführt, die noch für das Volk Gottes vorhanden ist. (Hebräer 4,9)

Whitefield Und Die Gebrüder Wesley

Etwa einhundert Jahre später, in einer Zeit großer geistlicher Finsternis, wurden George Whitefield und die Gebrüder John und Charles Wesley zu Gottes Lichtträgern. Unter der Führung der Staatskirche waren die Menschen in England so weit vom wahren Glauben abgewichen, dass sie sich kaum noch von Heiden unterschieden. Der Vernunftglaube des Deismus41 dominierte das Denken der Geistlichkeit und durchdrang fast ihre ganze Theologie. Die Oberschicht verachtete den Glauben und brüstete sich damit, über solche Schwärmereien, wie sie ihn nannten, erhaben zu sein. Die Unterschicht war völlig ungebildet und der Unmoral ergeben, während es der Kirche an Mut oder Glaubenskraft fehlte, den Niedergang der Wahrheit aufzuhalten.

Die großartige Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, die Luther so klar und deutlich verkündigt hatte, verlor man fast gänzlich aus den Augen. An ihre Stelle trat wieder das römische Prinzip vom Vertrauen in gute Werke zur Erlangung des Heils. Whitefield und die Gebrüder Wesley, die Glieder der Staatskirche waren, suchten aufrichtig nach Gottes Gnade. Man hatte sie gelehrt, dass man diese durch ein tugendhaftes Leben und die Einhaltung religiöser Ordnungen erhalten könne.

Als Charles Wesley einmal schwer erkrankte und mit dem Tod rechnen musste, wurde er gefragt, worauf er seine Hoffnung auf ewiges Leben stütze. Seine Antwort lautete: "Ich habe mich nach Kräften bemüht, Gott zu dienen." Als der Freund mit der Antwort nicht völlig zufrieden schien, dachte Wesley: "Sind meine Bemühungen nicht genügend Grund für die Hoffnung? Will er mir meinen Erfolg rauben? Ich habe nichts anderes, worauf ich vertrauen könnte." (WLCW, 102) Eine solch dichte Finsternis hatte sich auf die Kirche gesenkt, dass die Versöhnung nicht mehr bekannt war. Christus war seiner Herrlichkeit beraubt worden und die Menschen hatten sich von ihrer einzigen Hoffnung auf Erlösung, dem Blut des Gekreuzigten, abgewandt.

Wesley und seine Mitarbeiter wurden zu der Erkenntnis geführt, dass wahre Religion Herzenssache und das Gesetz Gottes auf Gedanken wie auch auf Worte und Handlungen anzuwenden ist. Überzeugt von der Notwendigkeit eines reinen Herzens wie auch der Rechtschaffenheit des äußeren Wandels begannen sie ernsthaft, ihr Leben zu erneuern. Durch fleißiges Beten überwanden sie das Böse ihres natürlichen Herzens. Sie führten ein Leben der Selbstverleugnung, Liebe und Demut. Strengstens und peinlich genau hielten sie sich an jede Regel, von der sie glaubten, sie könne zu dem führen, was sie sich am meisten wünschten, zur Heiligkeit, die vor Gott angenehm ist. Aber sie erreichten nicht, was sie wollten. Ihre Bemühungen, sich von der Verdammnis durch die Sünde selbst zu befreien oder deren Macht zu brechen, waren vergebens. Es war derselbe Kampf, den Luther in seiner Zelle in Erfurt geführt hatte. Es war dieselbe Frage, die seine Seele gequält hatte: "Wie könnte ein Mensch vor Gott gerecht sein?" (Hiob 9,2 Elb.)

Das Feuer der göttlichen Wahrheit, das auf den Altären des Protestantismus nahezu erloschen war, sollte durch die alte Fackel wieder zum Lodern gebracht werden, die durch Jahrhunderte hindurch von den böhmischen Christen weitergereicht worden war. Nach der Reformationszeit wurde der Protestantismus in Böhmen durch römische Horden niedergetreten. Wer die Wahrheit nicht verleugnen wollte, wurde zur Flucht gezwungen. Einige fanden Zuflucht in Sachsen, wo sie ihren Glauben lebendig erhielten. Nachkommen dieser Christen brachten das Licht zu Wesley und seinen Gefährten.

Schlusselereignisse Im Leben John Wesleys

John und Charles Wesley wurden nach ihrer Einsegnung zum Predigtamt mit einem Missionsauftrag nach Amerika geschickt. An Bord des Schiffes befand sich eine Gruppe von mährischen Brüdern. Während der Überfahrt kamen heftige Stürme auf, und John Wesley sah schon den Tod vor Augen, ohne die Gewissheit des Friedens mit Gott zu haben. Die mährischen Brüder hingegen strahlten eine Ruhe und ein Gottvertrauen aus, das Wesley fremd war.

Er sagte: "Ich hatte lange vorher den großen Ernst ihres Benehmens beobachtet. Ihre Demut war ständig daran erkennbar, dass sie für die andern Reisenden niedrige Dienstleistungen verrichteten, die keiner der Engländer durchführen würde, wofür sie keine Bezahlung verlangten, sondern sie ausschlugen und sagten, es sei gut für ihre stolzen Herzen, und ihr geliebter Heiland habe noch mehr für sie getan. Jeder Tag hatte ihnen Gelegenheit geboten, eine Sanftmut zu zeigen, die keine Beleidigung beseitigen konnte. Wurden sie gestoßen, geschlagen oder niedergeworfen, so erhoben sie sich wieder und gingen weg, aber keine Klage wurde in ihrem Munde gefunden. Jetzt sollten sie geprüft werden, ob sie von dem Geist der Furcht ebenso frei waren wie von dem des Stolzes, des Zornes und der Rachsucht. Während sie gerade einen Psalm sangen, mit dem ihr Gottesdienst begann, brach eine Sturzwelle herein, zerriss das Hauptsegel, bedeckte das Schiff und ergoss sich zwischen die Decks, sodass es schien, als ob die große Tiefe uns bereits verschlungen hätte. Unter den Engländern erhob sich ein furchtbares Angstgeschrei. Die Brüder aber sangen ruhig weiter. Ich fragte nachher einen von ihnen: ›Waren Sie nicht erschrocken?‹ Er antwortete: ›Gott sei Dank nicht.‹ ›Aber‹, fragte ich, ›waren Ihre Frauen und Ihre Kinder nicht ängstlich?‹ Er erwiderte mild: ›Nein, unsere Frauen und Kinder fürchten sich nicht zu sterben.‹" (WLCW, 10)

Nach der Ankunft in Savannah blieb Wesley kurze Zeit bei den mährischen Brüdern und war tief beeindruckt von ihrer christlichen Haltung. Über einen ihrer Gottesdienste, die in so auffallendem Gegensatz zu dem leblosen Formalismus der anglikanischen Kirche standen, schrieb er: "Die große Einfachheit als auch die Feierlichkeit des Ganzen ließen mich die dazwischenliegenden 1.700 Jahre beinahe vergessen und versetzten mich in eine Versammlung, wo Form und Staat nicht galten, sondern wo Paulus der Zeltmacher oder Petrus der Fischer unter Bekundung des Geistes und der Kraft den Vorsitz hatten." (WLCW, 11 f.)

Auf seiner Rückreise nach England verhalf ihm ein mährischer Prediger zu einem klareren Verständnis des biblischen Glaubens. Wesley wurde überzeugt, dass er jede Abhängigkeit von seinen eigenen Werken für seine Errettung aufgeben und sich gänzlich auf "Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt" (Johannes 1,29), verlassen musste. Bei einer Tagung der Mährischen Gesellschaft in London wurde eine Schrift Luthers vorgelesen, die von den Veränderungen sprach, die der Geist Gottes im Herzen eines Gläubigen bewirkt (es handelte sich hierbei um Luthers Vorrede zum Römerbrief). Als Wesley dies hörte, wurde auch in seiner Seele der Glaube entzündet. "Ich fühlte, dass sich mein Herz seltsam erwärmte", sagte er. "Ich fühlte, dass ich mein ganzes Vertrauen für mein Seelenheil auf Christus, ja auf Christus allein, setzte, und ich erhielt die Zusicherung, dass er meine, ja meine Sünden weggenommen und mich von dem Gesetz der Sünde und des Todes erlöst hatte." (WLCW, 52)

In jahrelangem schwerem und verzweifeltem Kampf, strenger Selbstverleugnung, Schmach und Erniedrigung hielt Wesley beharrlich an seinem Ziel fest, nach Gott zu suchen. Nun hatte er Gott gefunden. Er hatte erkannt, dass die Gnade, die er sich durch Beten, Fasten, Almosengeben und Selbstverleugnung erarbeiten wollte, ein Geschenk war, "ohne Geld und umsonst".

Nachdem er im Glauben an Christus gefestigt war, brannte in ihm das Verlangen, die einzigartige Botschaft von Gottes freier Gnade zu verkündigen. "Ich betrachte die ganze Welt als mein Kirchspiel", sagte er, "und wo ich auch immer sein mag, erachte ich es als passend, recht und meine Pflicht und Schuldigkeit, allen, die bereit sind zuzuhören, die frohe Botschaft des Heils zu verkündigen" (WLCW, 74).

Er setzte sein diszipliniertes und selbstloses Leben fort, aber nun nicht mehr als Grund, sondern als Folge seines Glaubens. Es war nicht mehr die Wurzel, sondern die Frucht der Heiligkeit. Gottes Gnade, die uns in Christus begegnet, ist die Grundlage der christlichen Hoffnung, und diese Gnade bekundet sich im Gehorsam. Wesley widmete nun sein ganzes Leben der Verkündigung dieser großartigen Wahrheit, die er angenommen hatte: Gerechtigkeit durch den Glauben an das versöhnende Blut Christi und die Kraft des Heiligen Geistes, der das Herz erneuert und als Frucht ein Leben hervorbringt, das sich am Vorbild Christi ausrichtet.

Erweckung In Demut

Whitefield und die Brüder Wesley waren für ihren Dienst durch einen langen und harten Weg vorbereitet worden, der zur persönlichen Überzeugung ihres eigenen verlorenen Zustands führte. Dadurch waren sie in der Lage, schwere Situationen als Streiter Christi zu ertragen, wenn ihnen Spott, Hohn und Verfolgung begegneten, sowohl an der Universität als auch zu Beginn ihrer Verkündigung. Sie und einige ihrer Mitstreiter wurden von ihren gottlosen Kommilitonen verächtlich "Methodisten" genannt. Heute trägt eine der größten und ehrenvollsten Glaubensgemeinschaften in Großbritannien und den USA diesen Namen.

Als Glieder der anglikanischen Kirche fühlten sie sich mit deren Gottesdienstformen sehr verbunden. Aber der Herr hatte ihnen in seinem Wort einen höheren Maßstab vorgestellt. Durch den Heiligen Geist wurden sie beauftragt, Christus, den Gekreuzigten, zu predigen. Die Macht des Höchsten begleitete ihre Arbeit. Tausende wurden überzeugt und erlebten eine echte Bekehrung. Diese Schafe mussten vor den reißenden Wölfen geschützt werden. Wesley hatte nicht die Absicht, eine neue Glaubensgemeinschaft zu gründen, doch er organisierte die Gläubigen in der sogenannten "Methodist Connection".

Der Widerstand der anglikanischen Kirche gegen diese Prediger war unverständlich und hart. In seiner Weisheit hatte Gott die Ereignisse jedoch so gelenkt, dass die Erneuerung innerhalb der Kirche selbst beginnen konnte. Wäre sie von außen gekommen, hätte sie nicht bis dort hinein dringen können, wo sie so sehr nötig war. Weil aber die Erweckungsprediger Kirchenmitglieder waren, konnten sie innerhalb der Kirche überall dort wirken, wo sie die Gelegenheit dazu fanden. So erhielt die Wahrheit Zutritt zu Orten, wo ihr die Türen sonst verschlossen geblieben wären. Einige Kirchenführer wurden aus ihrem geistlichen Schlaf wachgerüttelt und begannen, ihren Pfarreien als eifrige Prediger zu dienen. So erwachten im Formalismus erstarrte Kirchgemeinden zu neuem Leben.

Zu Wesleys Zeit wie zu allen Zeiten der Kirchengeschichte erfüllten Menschen mit verschiedenen Begabungen den Auftrag, der ihnen übergeben wurde. Sie waren sich nicht in allen Lehrfragen einig, doch sie waren alle vom Geist Gottes ergriffen und gemeinsam von dem Wunsch erfüllt, Menschen für Christus zu gewinnen. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten hätte sich Whitefield einst beinahe von den Gebrüdern Wesley getrennt, doch als sie in der Schule Christi Demut gelernt hatten, versöhnten sie sich durch gegenseitige Nachsicht und Nächstenliebe. Sie hatten keine Zeit für Streitgespräche, während Irrtum und Ungerechtigkeit überall wucherten und Sünder in ihr Verderben liefen.

Wunder Wahrend Der Verfolgung

Die Diener Gottes mussten einen schwierigen Weg gehen. Einflussreiche Männer und Gelehrte benutzten ihre Macht gegen sie. Nach einiger Zeit zeigten viele Geistliche offene Feindschaft. Kirchentüren blieben dem reinen Glauben und denen, die ihn verkündigten, verschlossen. Die Methode der Geistlichen, von der Kanzel herab zu denunzieren, rief die Mächte der Finsternis, der Unwissenheit und der Ungerechtigkeit auf den Plan. Wieder und wieder entging John Wesley dem Tod nur durch ein Wunder göttlicher Gnade. Als der Zorn des Pöbels gegen ihn entbrannte und es keinen Ausweg mehr zu geben schien, trat ein Engel in menschlicher Gestalt an seine Seite, die Menge wich zurück und der Diener Gottes verließ unbehelligt die Stätte der Gefahr.

Über seine Errettung von dem aufgebrachten Pöbel bei einem solchen Anlass sagte Wesley: "Viele versuchten mich hinzuwerfen, während wir auf einem schlüpfrigen Weg bergab zur Stadt gingen, weil sie meinten, wenn ich einmal zu Fall gebracht wäre, würde ich wohl kaum wieder aufstehen. Aber ich stolperte nicht, glitt nicht einmal im Geringsten aus, bis ich gänzlich aus ihren Händen entronnen war. ... Obgleich sich viele Feinde Mühe gaben, mich am Kragen oder Rock zu fassen, um mich niederzureißen, konnten sie doch keinen Halt gewinnen; nur einem gelang es, einen Zipfel meines Rockschoßes festzuhalten, der bald in seiner Hand blieb, während die andere Hälfte, in der sich eine Tasche mit einer Banknote befand, nur halb abgerissen wurde. ... Ein derber Mensch unmittelbar hinter mir schlug mehrmals mit einem langen Eichenstock nach mir, hätte er mich nur einmal damit auf den Hinterkopf getroffen, hätte er sich jede weitere Mühe sparen können. Aber jedes Mal wurde der Schlag abgewendet, ich weiß nicht wie, denn ich konnte mich weder zur Rechten noch zur Linken bewegen. ... Ein anderer stürzte sich durch das Gedränge, erhob seinen Arm zum Schlag, ließ ihn aber plötzlich sinken und streichelte mir den Kopf mit den Worten: ›Was für weiches Haar er hat!‹ ... Bei allen Anlässen waren es die Herzen der Gassenhelden und der Rädelsführer, die zuerst verwandelt wurden. Einer von ihnen war sogar ein Ringkämpfer, der im Bärengarten auftrat. ...

Wie sanft bereitet Gott uns darauf vor, seinen Willen zu tun! Vor zwei Jahren streifte ein Stück von einem Ziegelstein meine Schultern, ein Jahr später traf mich ein Stein zwischen die Augen. Im letzten Monat erhielt ich einen Schlag und heute Abend zwei, einen, ehe wir in die Stadt kamen, und einen, nachdem wir hinausgegangen waren, doch beide waren wie nichts, denn obgleich mich ein Mann mit aller Gewalt auf die Brust schlug und der andere mit solcher Wucht auf den Mund, dass das Blut sofort spritzte, fühlte ich doch nicht mehr Schmerz von beiden Schlägen, als wenn sie mich mit einem Strohhalm berührt hätten." (WW, III, 297.298)

Die Anhänger und Prediger der Methodisten jener Zeit mussten Spott und Verfolgung sowohl von Kirchengliedern als auch von offenbar Ungläubigen ertragen, die durch Verdrehungen in Rage gebracht wurden. Man zog sie vor Gericht. Von Gerechtigkeit konnte aber keine Rede sein, denn in den Gerichtshöfen jener Zeit wurde selten Recht gesprochen. Oft wurde den Gläubigen von ihren Verfolgern Gewalt angetan. Der Pöbel ging von Haus zu Haus, zerstörte Möbel und Eigentum, plünderte, was ihm in die Hände fiel, und misshandelte Männer, Frauen und Kinder brutal. Es gab auch Fälle, bei denen die Bevölkerung auf Plakaten aufgerufen wurde, sich zu einer gegebenen Zeit an einem bestimmten Ort einzufinden und mitzuhelfen, Häuser von Methodisten auszurauben und deren Fenster einzuschlagen. Solch öffentliche Verstöße gegen menschliche und göttliche Gesetze wurden toleriert und blieben ungesühnt. Menschen, deren einziger Fehler es war, Sünder vom Pfad des Verderbens auf den Weg der Heiligkeit zu lenken, wurden systematisch verfolgt.

Zu den Anschuldigungen gegen ihn und seine Anhänger sagte John Wesley: "Manche behaupten, dass die Lehren dieser Männer falsch, irrig und fanatisch, dass sie neu und bis vor Kurzem unbekannt gewesen und dass sie quäkerisch, schwärmerisch und päpstlich seien. All diese Behauptungen waren bereits im Ansatz falsch, da ausführlich gezeigt werden konnte, dass jeder Zweig dieser Lehre auf die Heilige Schrift gründete, wie sie von unserer eigenen Kirche ausgelegt wird. Daher kann sie nicht falsch oder irrtümlich sein, vorausgesetzt, dass die Heilige Schrift wahr ist. ... Andere behaupteten: ›Ihre Lehre ist zu streng, sie machen den Weg zum Himmel zu schmal.‹ Und dies ist wirklich der ursprüngliche Einwand (der eine Zeit lang der einzige war) und liegt insgeheim tausend andern zugrunde, die in verschiedener Gestalt aufkommen. Aber machen sie den Weg himmelwärts schmaler, als unser Herr und seine Apostel ihn beschrieben hatten? Ist ihre Lehre strenger als die der Bibel? Betrachtet nur einige deutliche Bibelstellen: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt.‹ (Lukas 10,27) ›Die Menschen müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben, Rechenschaft ablegen.‹ (Matthäus 12,36) ›Ob ihr nun esst oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles zu Gottes Ehre.‹ (1. Korinther 10,31)

Wenn ihre Lehre strenger ist als diese, so sind sie zu tadeln; ihr wisst aber in eurem Gewissen, dass dem nicht so ist. Und wer kann um ein Jota weniger genau sein, ohne das Wort Gottes zu verdrehen? Kann ein Haushalter des Geheimnisses Gottes treu erfunden werden, wenn er irgendeinen Teil jenes heiligen Unterpfands verändert? Nein, er kann nichts umstoßen, er kann nichts abmildern, er ist gezwungen, allen Menschen zu erklären: ›Ich darf die Heilige Schrift nicht eurem Geschmack anpassen. Ihr müsst euch nach ihr richten oder auf ewig zugrunde gehen.‹ Das ist der wirkliche Grund zum volkstümlichen Geschrei: ›Diese Menschen sind lieblos!‹ Sind sie wirklich lieblos? In welcher Beziehung? Speisen sie nicht die Hungrigen und kleiden sie nicht die Nackten? ›Ja, aber das ist es nicht; daran mangelt es ihnen nicht; aber sie sind lieblos im Urteil; sie denken, es könne niemand gerettet werden außer denen, die auf ihrem Weg sind.‹" (WW, III, 152.153)

Gottes Gesetz Bleibt

Der geistliche Niedergang, der unmittelbar vor der Zeit Wesleys so offensichtlich wurde, war in hohem Maß die Folge gesetzloser Lehren (Antinomismus). Viele behaupteten, dass Christus das Sittengesetz abgeschafft habe und Christen daher dieses Gesetz nicht mehr einhalten müssten, dass also ein Gläubiger von der "Knechtschaft guter Werke" befreit sei. Andere anerkannten zwar die Beständigkeit des Gesetzes, erachteten es aber nicht für nötig, dass Prediger das Volk zur Einhaltung seiner Vorschriften anhielten, da diejenigen, die von Gott zum Heil bestimmt worden seien, "durch die göttliche Gnade unwiderstehlich zu Frömmigkeit und Tugend angetrieben würden", während diejenigen, die zur ewigen Verdammnis bestimmt wären, "nicht die Kraft hätten, das göttliche Gesetz zu halten."

Andere, die geltend machten, dass "die Auserwählten weder vom Glauben abfallen noch der göttlichen Gnade verlustig gehen können", vertraten eine noch ungebührlichere Überzeugung. "Die bösen Handlungen, die sie begehen, sind in Wirklichkeit nicht sündhaft, noch können sie als Übertretung des göttlichen Gesetzes betrachtet werden. Folglich gibt es für sie keinen Anlass, ihre Sünden zu bekennen, noch sich von ihnen durch Buße abzuwenden." (CSE, Stichwort: Antinomians) Deshalb erklärten sie, dass selbst eine der gröbsten Sünden, "die allgemein als eine schreckliche Übertretung des Gesetzes Gottes betrachtet werde, in Gottes Augen keine Sünde ist", wenn sie von einem seiner Auserwählten begangen werde. "Denn es ist eines der wesentlichen und besonderen Merkmale der Auserwählten des Herrn, nichts tun zu können, was entweder nicht wohlgefällig vor Gott oder durch das Gesetz verboten ist."

Solche ungeheuerlichen Lehren sind im Wesentlichen dieselben wie sie auch später von populären Erziehern und Theologen vertreten wurden, nämlich dass es kein unveränderliches göttliches Gesetz als Maß für das Recht gebe, sondern dass die Gesellschaft den Maßstab der Moral bestimme und dieser sich ständig verändere. All diese Ideen entspringen ein und demselben führenden Geist, der bereits unter den sündlosen Bewohnern des Himmels sein Werk begann, als er versuchte, die gerechten Schranken des Gesetzes Gottes zu durchbrechen.

Die Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung (Prädestination), wonach der Charakter des Menschen unabänderlich festgelegt sei, hatte viele dazu verleitet, das Gesetz Gottes praktisch zu verwerfen. Wesley trat den Irrtümern der gesetzesfeindlichen Lehren entschieden entgegen und wies nach, dass Gesetzesfeindlichkeit schriftwidrig ist. "Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen." (Titus 2,11) "Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung." (1.Timotheus 2,3-6) Der Geist Gottes wird jedem Menschen reichlich gegeben, damit jedermann die Möglichkeit hat, seine Errettung anzunehmen. So erleuchtet Christus, "das wahre Licht ... alle Menschen ... die in diese Welt kommen" (Johannes 1,9). Die Menschen verlieren ihre Errettung durch ihre eigene vorsätzliche Zurückweisung der Gabe des Lebens.

Zur Behauptung, Jesu Tod habe die Zehn Gebote zusammen mit dem Zeremonialgesetz aufgehoben, sagte Wesley: "Das Sittengesetz, wie es in den Zehn Geboten enthalten und von den Propheten eingeschärft worden ist, hat er nicht abgetan. Es war nicht der Zweck seines Kommens, irgendeinen Teil davon abzuschaffen. Es ist dies ein Gesetz, das nie gebrochen werden kann, das feststeht ›wie der treue Zeuge in den Wolken.‹ (Psalm 89,38) ... Das war so von Anbeginn der Welt und wurde ›nicht auf steinerne Tafeln‹ (2. Korinther 3,3), sondern in die Herzen aller Menschenkinder geschrieben, als sie aus der Hand des Schöpfers hervorgingen. Und wie sehr auch die einst von Gottes Finger geschriebenen Buchstaben jetzt durch die Sünde verwischt sein mögen, können sie doch nicht gänzlich ausgetilgt werden, solange wir noch ein Bewusstsein von Gut und Böse haben. Jeder Teil dieses Gesetzes muss für alle Menschen und in allen Zeitaltern in Kraft bleiben, da es nicht von Zeit oder Ort noch von irgendwelchen anderen Umständen abhängig ist, die dem Wechsel unterworfen sind, sondern von der Natur Gottes und der Natur der Menschen und ihren unveränderlichen Beziehungen zueinander.

›Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllend (Matthäus 5,17) ... Fraglos ist seine Meinung an dieser Stelle (in Übereinstimmung mit all dem, was vorangeht und folgt): Ich bin gekommen, es in seiner Vollkommenheit aufzurichten, trotz aller menschlichen Deutungen; ich bin gekommen, alles, was in ihm dunkel und undeutlich war, in ein volles und klares Licht zu stellen; ich bin gekommen, die wahre und volle Bedeutung jedes Teils bekannt zu machen, die Länge und Breite zu zeigen und die ganze Tragweite eines jeglichen darin enthaltenen Gebots sowie die Höhe und Tiefe, dessen unbegreifliche Reinheit und Geistlichkeit in allen seinen Zweigen." (WP, 25)

Gesetz Und Evangelium

Wesley macht deutlich, dass Gesetz und Evangelium vollkommen übereinstimmen. "Es besteht deshalb die denkbar innigste Verbindung zwischen Gesetz und Evangelium. Auf der einen Seite bahnt das Gesetz beständig den Weg für das Evangelium und weist uns darauf hin, auf der anderen führt uns das Evangelium beständig zu einer genaueren Erfüllung des Gesetzes. Das Gesetz zum Beispiel verlangt von uns, Gott und den Nächsten zu lieben und sanftmütig, demütig oder heilig zu sein. Wir merken, dass wir hierzu nicht in der Lage sind, ja ›bei den Menschen ist's unmögliche (Matthäus 19,26) Aber wir sehen eine Verheißung Gottes, uns diese Liebe zu geben und uns demütig, sanftmütig und heilig zu machen. Wir ergreifen dies Evangelium, diese frohe Botschaft; uns geschieht nach unserem Glauben, damit ›die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde‹ (Römer 8,4) durch den Glauben an Christus Jesus. ...

Die größten Feinde des Evangeliums Christi sind die, welche offen und ausdrücklich ›das Gesetz richten‹ und ›übel davon reden‹. Sie lehren die Menschen, das ganze Gesetz, nicht nur eins seiner Gebote, sei es das geringste oder das größte, sondern sämtliche Gebote zu brechen (aufzuheben, zu lösen, ihre Verbindlichkeit zu beseitigen). ... Höchst erstaunlich ist, dass die, welche sich dieser starken Täuschung ergeben haben, wirklich glauben, Christus dadurch zu ehren, dass sie sein Gesetz umstoßen, und meinen, sein Amt zu verherrlichen, indem sie seine Lehre zerstören! Ach, sie ehren ihn gerade wie Judas es tat, als er sagte: ›Sei gegrüßt, Rabbi! und küsste ihn.‹ (Matthäus 26,49) Und Jesus könnte ebenso zu einem jeglichen von ihnen sagen: ›Verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?‹ (Lukas 22,48) Es ist nichts anderes, als Christus mit einem Kuss zu verraten, über sein Blut zu sprechen und ihm seine Krone zu nehmen, irgendeinen Teil seines Gesetzes auf leichtfertige Weise beiseite zu setzen unter dem Vorwand, sein Evangelium zu fördern. In der Tat kann keiner dieser Anschuldigung entgehen, der den Glauben in einer Weise verkündigt, die direkt oder indirekt dazu führt, irgendeinen Teil des Gehorsams beiseite zu setzen - keiner, der Jesus Christus so predigt, dass dadurch selbst das geringste der heiligen Gebote Gottes ungültig gemacht, geschwächt oder aufgehoben werde." (WP, 25)

Denen, die vorgaben, dass "die Predigt des Evangeliums die Ziele des Gesetzes erfüllt", erwiderte Wesley: "Dies lehnen wir gänzlich ab. Es kommt schon dem allerersten Endzweck des Gesetzes nicht nach, nämlich die Menschen der Sünde zu überführen und die aufzurütteln, die noch immer am Rande der Hölle schlafen." Der Apostel Paulus erklärt: "Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" (Römer 3,20), "und ehe sich der Mensch nicht der Schuld bewusst ist, wird er nicht wirklich die Notwendigkeit des versöhnenden Blutes Christi fühlen. ... Wie unser Heiland auch selbst sagt: ›Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.‹ (Lukas 5,31) Es ist deshalb töricht, den Gesunden oder denen, die sich gesund wähnen, einen Arzt aufzudrängen. Ihr müsst sie erst davon überzeugen, dass sie krank sind, sonst werden sie keine Hilfe verlangen. Ebenso töricht ist es, demjenigen Christus anzubieten, dessen Herz noch ganz und unzerbrochen ist." (WP, 35)

So bemühte sich Wesley wie sein Herr, als er das Evangelium von der Gnade Gottes predigte, "sein Gesetz herrlich und groß" (Jesaja 42,21) zu machen. Gewissenhaft führte er das Werk durch, das ihm Gott anvertraut hatte, und die Auswirkungen, die er sehen durfte, waren großartig. Am Ende eines Lebens von über 80 Jahren, von denen er mehr als ein halbes Jahrhundert als Wanderprediger zugebracht hatte, betrug die Zahl seiner erklärten Anhänger über eine halbe Million. Aber die Anzahl derer, die durch sein Wirken aus dem Verderben und der Schmach der Sünde zu einem edleren und reineren Leben fanden, und derer, die durch seine Lehren eine tiefere und reichere Erfahrung erleben durften, wird man erst erkennen, wenn die ganze Familie der Erlösten im Reich Gottes vereint sein wird. Sein Leben ist für jeden Christen eine Unterweisung von unschätzbarem Wert. Mögen der Glaube, die Bescheidenheit, der unermüdliche Eifer, die Opferbereitschaft und die Hingabe dieses Dieners Christi auch die heutigen Kirchen erfassen.