Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 16

Zuflucht In Der Neuen Welt

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Obwohl die englischen Reformatoren die Lehren der römischen Kirche abgelehnt hatten, behielten sie ihre Formen weitgehend bei. Auch wenn der Herrschaftsanspruch und das Glaubensbekenntnis Roms verworfen wurden, blieben doch viele ihrer Gebräuche und Zeremonien in der anglikanischen Kirche erhalten. Man machte geltend, dass es sich bei diesen Dingen nicht um Gewissensfragen handelte, weil sie in der Schrift nicht geboten werden. Sie seien von untergeordneter Bedeutung und weil sie von der Bibel nicht verboten werden, seien sie auch nicht prinzipiell schlecht. Wenn man sie beachte, helfe es, die Kluft zwischen den reformierten Kirchen und Rom zu verringern. Gleichzeitig betonte man, dass dies den Anhängern Roms die Annahme des protestantischen Glaubens erleichtern würde.

Konservativen wie kompromissbereiten Kräften schienen diese Argumente überzeugend. Aber es gab andere, die das nicht so sahen. Die Tatsache, dass diese Gebräuche "dahin zielten, die Kluft zwischen Rom und der Reformation zu überbrücken" (MLTL, V, 22), war in ihren Augen ein einleuchtendes Argument gegen ihre Beibehaltung. Sie betrachteten diese Bräuche als ein Kennzeichen der Sklaverei, von der sie befreit worden waren und zu der sie nicht wieder zurückkehren wollten. Sie argumentierten, Gott habe in seinem Wort Regeln für den Gottesdienst festgelegt, und es sei den Menschen nicht freigestellt, neue Ordnungen hinzuzufügen und bestehende abzulegen. Der große Abfall habe mit dem Ersatz der Autorität Gottes durch die der Kirche begonnen. Rom hatte damit angefangen, das aufzuerlegen, was Gott nicht ausdrücklich verboten hatte, und endete damit, das zu verbieten, was Gott unmissverständlich angeordnet hatte.

Viele Gläubige wünschten sich aufrichtig, zur Reinheit und Schlichtheit der ersten Gemeinde zurückzukehren. Sie betrachteten viele der gängigen Gebräuche in der Kirche von England als Zeichen des Götzendienstes, und daher konnten sie nicht mit gutem Gewissen an den Gottesdiensten teilnehmen. Doch die Kirche, die von den zivilen Behörden unterstützt wurde, duldete keine Abweichungen von ihren Formen. Der Besuch des Gottesdienstes war gesetzlich angeordnet, und auf die Teilnahme an unerlaubten religiösen Zusammenkünften standen Gefängnis, Verbannung und Todesstrafe.

Die Vertreibung Der Puritaner

Der neue englische König, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Thron bestiegen hatte, erklärte seine Entschlossenheit, gegen die Puritaner vorzugehen und drohte: "Entweder passen sie sich an, oder ... sie werden aus dem Land vertrieben, oder es passiert ihnen Schlimmeres." (BHUS, I, 12, § 6) Sie wurden gejagt, verfolgt und eingekerkert, und die Zukunft sah für sie wenig verheißungsvoll aus. So waren viele überzeugt, dass für Menschen, die Gott nach ihrem Gewissen dienen wollten, "England für immer aufgehört hatte, ein Wohnort zu sein" (PHNE, III, § 43). Einige entschlossen sich daraufhin, in Holland Zuflucht zu suchen. Sie mussten Schwierigkeiten, Verluste und Gefangenschaft erleben. Ihre Pläne wurden durchkreuzt, und man verriet sie an ihre Feinde. Aber ihre Standfestigkeit siegte, und an den Küsten der holländischen Republik fanden sie schließlich freundliche Aufnahme.

Durch ihre Flucht hatten sie ihre Häuser, ihr Eigentum und die Mittel für ihren Lebensunterhalt verloren. Sie waren Fremdlinge in einem fremden Land unter einem Volk mit einer anderen Sprache und anderen Sitten. Um ihr Brot zu verdienen, mussten sie neuen und ungewohnten Beschäftigungen nachgehen. Männer mittleren Alters, die bisher Ackerbau betrieben hatten, mussten nun handwerkliche Berufe erlernen. Doch sie fanden sich mit diesen Umständen freudig ab und verloren keine Zeit mit Untätigkeit oder Unzufriedenheit. Obwohl sie immer wieder unter Armut litten, dankten sie Gott für jeden Segen, den sie empfingen und freuten sich an der ungestörten geistlichen Gemeinschaft. "Sie wussten, dass sie Pilger waren, und schauten nicht viel auf irdische Dinge, sondern hoben ihre Augen auf gen Himmel, ihrem liebsten Heimatland, und beruhigten ihr Gemüt." (BHUS, I, 12, § 15)

Mitten in Verbannung und Schwierigkeiten wurden ihre Liebe und ihr Glaube gestärkt. Sie vertrauten den Verheißungen Gottes, und er ließ sie in der Not nicht im Stich. Seine Engel standen ihnen ermutigend und unterstützend zur Seite. Und als ihnen Gott den Weg über das Meer in ein Land auftat, in dem sie einen eigenen Staat gründen und ihren Kindern das kostbare Erbe der Religionsfreiheit hinterlassen konnten, zögerten sie nicht und gingen auf dem Weg der Vorsehung voran.

Gott hatte die Prüfungen für sein Volk zugelassen, um es auf die Vollendung seiner gnädigen Absichten vorzubereiten. Bevor die Gemeinde erhöht werden konnte, musste sie demütig werden. Gott wollte seine Macht für sie entfalten und bewies der Welt einmal mehr, dass er die nicht verlässt, die ihm vertrauen. Er hatte die Ereignisse so gelenkt, dass sie den Zorn Satans heraufbeschworen und die Anschläge gottloser Menschen seine Ehre fördern und sein Volk an einen Ort der Sicherheit bringen würden. Verfolgung und Verbannung bahnten den Weg in die Freiheit.

Als die Puritaner erstmals gezwungen waren, die anglikanische Kirche zu verlassen, schlossen sie als freies Volk des Herrn einen feierlichen Bund miteinander und versprachen, in "allen seinen Wegen, die ihnen bekannt waren oder noch bekannt gemacht würden, gemeinsam zu wandeln" (BPF, 74). Dies war der wahre Geist der Reformation, das lebendige Prinzip des Protestantismus. Mit diesem Vorsatz verließen die Pilger Holland und fanden in der Neuen Welt eine Heimat. Ihr Prediger, John Robinson, der durch göttliche Vorsehung verhindert war, sie zu begleiten, richtete in seiner Abschiedsrede folgende Worte an die Auswanderer:

"Geschwister, wir gehen nun voneinander, und der Herr weiß, ob ich so lange leben werde, um euch wiederzusehen. Ob der Herr es nun zulässt oder nicht, ich fordere euch vor Gott und seinen heiligen Engeln auf, mir nicht weiter zu folgen, als ich Christus gefolgt bin. Falls Gott euch durch ein anderes Werkzeug irgendetwas offenbaren sollte, so seid ebenso bereit, es anzunehmen wie zu der Zeit, da ihr die Wahrheit durch meinen Dienst annahmt; denn ich bin sehr zuversichtlich, dass der Herr noch mehr Wahrheit und Licht aus seinem heiligen Wort hervorbrechen lassen wird." (MLTL, V, 70 ff.)

"Was mich betrifft, so kann ich den Zustand der reformierten Kirchen nicht genug beklagen, die in der Religion bis zu einer gewissen Stufe gelangt sind und nicht weitergehen wollen, als die Werkzeuge ihrer Reformation gegangen sind. Die Lutheraner sind nicht zu veranlassen, über das hinauszugehen, was Luther sah ... und die Calvinisten bleiben, wie ihr seht, da stehen, wo sie von jenem großen Gottesmann, der noch nicht alle Dinge sah, zurückgelassen wurden. Dies ist ein sehr beklagenswertes Elend; denn wenn jene Männer in ihrer Zeit auch brennende und leuchtende Lichter waren, so erkannten sie doch nicht alle Ratschläge Gottes; lebten sie aber jetzt, würden sie auch bereit sein, weiteres Licht anzunehmen, wie sie damals bereit waren, das erste zu empfangen." (NHP, I, 269)

"Denkt an euer Gemeindegelöbnis, in dem ihr euch verpflichtet habt, in allen Wegen des Herrn zu wandeln, wie sie euch bekannt geworden sind oder noch bekannt werden. Denkt an euer Versprechen und euren Bund mit Gott und miteinander, alles Licht und alle Wahrheit anzunehmen, die euch noch aus seinem geschriebenen Wort bekannt gemacht werden. Doch achtet darauf, ich flehe euch an, was ihr als Wahrheit annehmt, vergleicht es, prüft es an anderen Schriftstellen der Wahrheit, ehe ihr es annehmt, denn es ist nicht möglich, dass die christliche Welt schließlich aus solch einer dichten antichristlichen Finsternis herauskommt und ihr dann auf einmal die vollkommene Erkenntnis aufgeht." (MLTL, V, 70 ff.)

Ein Zufluchtsort

Das Verlangen nach Gewissensfreiheit trieb die Pilger dazu, die Risiken der langen Seereise und die Gefahren und Nöte der Wildnis auf sich zu nehmen und dann unter Gottes Segen an der Küste Amerikas den Grundstein zu einer mächtigen Nation zu legen. Die Pilger waren wohl ehrliche und gottesfürchtige Leute, aber das große Prinzip der religiösen Freiheit49 erkannten sie noch nicht. Die Freiheit, für die sie so große Opfer gebracht hatten, gewährten sie anderen nicht genauso. "Sehr wenige selbst der hervorragendsten Denker und Sittenlehrer des 17. Jahrhunderts hatten einen richtigen Begriff von jenem herrlichen, dem Neuen Testament entstammenden Grundsatz, der Gott als den einzigen Richter des menschlichen Glaubens anerkennt." (MLTL, V, 297) Die Auffassung, dass Gott der Kirche das Recht gegeben habe, das menschliche Gewissen zu kontrollieren und festzulegen, was Ketzerei ist und sie zu bestrafen, ist einer der am tiefsten verwurzelten Irrtümer des Papsttums. Die Reformatoren verwarfen zwar das römische Glaubensbekenntnis, aber sie waren nicht völlig frei von seinem Geist der Unduldsamkeit. Die undurchdringliche Finsternis, die durch die lange Zeit der päpstlichen Herrschaft die ganze Christenheit eingehüllt hatte, war noch nicht völlig von ihr gewichen. Ein führender Prediger aus der Kolonie in der Bucht von Massachusetts sagte einmal: "Duldung machte die Welt antichristlich, und die Kirche fühlte sich nie schuldig bei der Bestrafung der Ketzer." (MLTL. V, 335) In der Kolonie wurde festgelegt, dass nur Kirchenmitglieder in der zivilen Leitung stimmberechtigt waren. Man gründete eine Art Staatskirche, und alle Leute mussten für den Unterhalt der Geistlichkeit aufkommen. Die Verwaltung wurde beauftragt, Ketzerei zu bekämpfen. Damit lag die zivile Gewalt in der Hand der Kirche. Es dauerte nicht lange, bis dieser Zustand das Unvermeidliche zur Folge hatte - Verfolgungen.

Elf Jahre nach der Gründung der ersten Kolonie kam Roger Williams in die Neue Welt. Wie die ersten Pilgerväter erfreute er sich der religiösen Freiheit, doch im Gegensatz zu ihnen erkannte er, was nur wenige seiner Zeit einsahen, dass nämlich diese Freiheit ein unverzichtbares Recht aller Menschen ist, wie auch immer ihr Glaubensbekenntnis aussieht. Er war ein aufrichtiger Wahrheitssucher und glaubte wie Robinson nicht, dass die Gläubigen schon das ganze Licht aus Gottes Wort empfangen hatten. Williams "war der erste Mensch im modernen Christentum, der die zivile Staatsordnung auf die Lehre der Gewissensfreiheit aufbaute, wobei alle Auffassungen vor dem Gesetz gleich waren" (BHUS, I, 15, § 16). Er erklärte, es sei die Aufgabe der Verwaltung, Verbrechen zu bekämpfen, aber nie das Gewissen zu beherrschen. "Das Volk oder die Behörden", sagte er, "mögen entscheiden, was der Mensch dem Menschen schuldig ist, wenn sie aber versuchen, die Pflichten des Menschen gegenüber Gott vorzuschreiben, sind sie dazu nicht berechtigt. So gibt es keine Sicherheit, denn es ist klar, wenn der Verwaltungsbeamte die Macht dazu hat, er heute diese und morgen jene Meinung oder jenes Bekenntnis vorschreiben mag, wie es in England von den verschiedenen Königen und Königinnen und von etlichen Päpsten und Konzilien in der römischen Kirche getan wurde, sodass der Glaube zu einem einzigen Chaos würde" (MLTL, V, 340).

Unter Androhung von Geldoder Gefängnisstrafe wurde von jedermann verlangt, die Gottesdienste der Staatskirche zu besuchen. "Williams verwarf dieses Gesetz, denn die schlimmste Satzung im englischen Gesetzbuch war, den Besuch der Kirche zu verlangen. Leute zu zwingen, sich mit Andersgläubigen zusammenzutun, betrachtete er als eine offene Verletzung ihrer natürlichen Rechte; Unreligiöse und Unwillige zum öffentlichen Gottesdienst zu schleppen, hieß Heuchelei zu verlangen. ... ›Niemand sollte zur Anbetung oder Unterstützung eines Gottesdienstes gezwungen werden‹, fügte er hinzu. ›Was‹, riefen seine Gegner aus, die über seine Grundsätze erstaunt waren, ›ist nicht der Arbeiter seines Lohnes wert?‹ ›Ja‹, erwiderte er, ›von denen, die ihn einstellen.‹" (BHUS, I, 15, § 2)

Roger Williams war als treuer Prediger geachtet und geliebt, ein Mann von seltener Begabung, unbeugsamer Rechtschaffenheit und echter Güte. Doch seine standhafte Weigerung, der zivilen Verwaltung die Aufsicht über die Kirche zu überlassen und sein Verlangen nach religiöser Freiheit konnten nicht geduldet werden. Die Anwendung dieser neuen Lehre, wurde behauptet, würde "die Grundlage der Regierung des Landes untergraben" (BHUS, I, 15, § 10). Er wurde zum Verlassen der Kolonien verurteilt und flüchtete schließlich, um einer Gefangennahme zu entgehen, mitten im Winter und bei Sturm in die unberührten Wälder.

"Vierzehn Wochen lang", so schrieb er, "musste ich mich allein in einer bitteren Jahreszeit herumschlagen und wusste nicht, was Brot oder Bett heißt." Doch "die Raben speisten mich in der Wüste" (MLTL, V, 349 f.), und ein hohler Baum diente ihm oft als Obdach. So setzte er seine mühevolle Flucht durch Schnee und weglose Wälder fort, bis er bei einem Indianerstamm Zuflucht fand, dessen Vertrauen und Zuneigung er gewann, als er versuchte, ihnen die Wahrheiten des Evangeliums zu zeigen.

Nach wechselvollen Monaten der Wanderschaft erreichte er schließlich die Küste der Narragansett-Bucht, wo er das Fundament für den ersten modernen Staat legte, der das Recht auf vollständige Religionsfreiheit anerkannte. Das grundlegende Prinzip der Kolonie von Roger Williams war, "dass jeder das Recht hat, Gott nach seinem eigenen Gewissen zu verehren" (MLTL, V, 354). Sein kleiner Staat Rhode Island wurde zum Zufluchtsort für die Verfolgten. Er wuchs und gedieh, und seine Grundprinzipien zur bürgerlichen und religiösen Freiheit sollten schließlich Eckpfeiler in der amerikanischen Republik werden.

Recht Auf Glaubens-Und Gewissensfreiheit

In der Unabhängigkeitserklärung, jener großartigen alten Freiheitsurkunde, legten die amerikanischen Gründerväter Folgendes fest: "Wir anerkennen diese Wahrheiten als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass ihnen ihr Schöpfer gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat; dass zu diesen Leben, Freiheit und die Erlangung des Glückes gehören." Ausdrücklich und unmissverständlich garantiert die amerikanische Verfassung die Unverletzlichkeit des Gewissens: "Keine Religionsprüfung soll je erforderlich sein zur Bekleidung irgendeines öffentlichen Amtes in den Vereinigten Staaten. ... Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Religion bezweckt oder deren freie Ausübung verbietet.

Die Verfasser der Konstitution anerkannten den ewigen Grundsatz, dass die Beziehung des Menschen zu seinem Gott über der menschlichen Gesetzgebung steht und die Rechte seines Gewissens unveräußerlich sind. Eine Begründung dieser Tatsachen war nicht erforderlich; wir sind uns ihrer in unserem eigenen Herzen bewusst. Es ist dies Bewusstsein, das den menschlichen Gesetzen Trotz bietet, das so viele Märtyrer in Qualen und Flammen standhaft gemacht hat. Sie fühlten, dass ihre Pflicht Gott gegenüber menschlichen Verordnungen überlegen ist und dass der Mensch keine Autorität über ihr Gewissen hat. Es ist ein angeborener Grundsatz, den nichts austilgen kann." (DUSK, Serien-Nr. 200, Urkunden-Nr. 271)

Als die Neuigkeit von einem Land, wo jeder Mensch die Früchte seiner Arbeit ernten und nach seiner Überzeugung leben könne, in den Ländern Europas verbreitet wurde, machten sich Tausende zu den Küsten der Neuen Welt auf. Die Kolonien vervielfachten sich. "Massachusetts bot durch eine besondere Verordnung den Christen jeder Nation freundliche Aufnahme und unentgeltliche Hilfe an, die über den Atlantik flüchteten, ›um Kriegen, Hungersnot oder der Unterdrückung ihrer Verfolger zu entgehen‹. Somit wurden Flüchtlinge und Unterdrückte durch gesetzliche Verordnungen Gäste des Staates." (MLTL, V, 417) Zwanzig Jahre nach der ersten Landung in Plymouth siedelten sich viele tausend Pilger in Neuengland an.

Um das zu sichern, wonach sie gesucht hatten, "waren sie mit einem bescheidenen Auskommen und einem Leben der Genügsamkeit und der harten Arbeit zufrieden. Sie verlangten von dem Boden nur einen leidlichen Ertrag ihrer Arbeit. Keine goldenen Aussichten warfen einen trügerischen Schein auf ihren Weg. ... Sie waren mit dem langsamen, aber beständigen Fortschritt ihres gesellschaftlichen Gemeinwesens zufrieden. Sie ertrugen geduldig die Entbehrungen der Wildnis, wässerten den Baum der Freiheit mit ihren Tränen und mit dem Schweiß ihres Angesichts, bis er im Lande tiefe Wurzeln geschlagen hatte."

Die Bibel war für sie die Grundlage ihres Glaubens, Quelle der Weisheit und Freiheitsbrief. Ihre Prinzipien wurden zu Hause, in der Schule und in der Kirche fleißig studiert, und ihre Früchte zeigten sich in Wohlstand, Bildung, Reinheit und Mäßigkeit. Man konnte jahrelang in puritanischen Siedlungen wohnen, ohne je "einen Trunkenbold zu sehen, einen Fluch zu hören oder einem Bettler zu begegnen" (BHUS, I, 19, § 25). Der Beweis wurde geliefert, dass die Lehren der Heiligen Schrift der beste Schutz der nationalen Größe sind. Die schwachen und isolierten Kolonien wuchsen zu einem Bund von mächtigen Staaten zusammen, und die Welt nahm mit Bewunderung den Frieden und Wohlstand "einer Kirche ohne Papst und eines Staates ohne König" zur Kenntnis.

Erneute Kompromisse

Immer mehr Menschen zog es an die Küsten Amerikas. Ihre Beweggründe waren jedoch ganz anders als jene der ersten Pilgerväter. Der einfache Glaube und der saubere Lebenswandel hatten vielerorts eine sehr prägende Wirkung entfaltet. Doch durch die Zunahme jener Menschen, die nur weltliche Vorteile suchten, wurde dieser Einfluss immer schwächer.

Die Verordnung der ersten Kolonisten, nur Kirchenmitgliedern das aktive und passive Stimmrecht zu gewähren, hatte äußerst schädliche Auswirkungen. Diese Maßnahme sollte ein Mittel sein, um die Reinheit des Staats zu bewahren, doch der Kirche brachte sie den Verfall. Als nämlich das Religionsbekenntnis zu einer Vorbedingung für das Stimmrecht und die Bekleidung eines öffentlichen Amtes wurde, führte dies dazu, dass sich viele Menschen aus rein weltlichen Überlegungen, aber ohne verändertes Herz, einer Kirche anschlossen. So bestanden die Kirchen zu einem beträchtlichen Teil aus unbekehrten Menschen. Selbst unter den Pastoren gab es solche, die nicht nur Irrtümer lehrten, sondern von der erneuernden Kraft des Heiligen Geistes nichts wussten. Damit zeigten sich einmal mehr die bösen Folgen, die seit den Tagen Konstantins durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch bis heute immer wieder dort zu Tage treten, wo versucht wird, die Kirche mit Hilfe des Staates zu bauen und die weltliche Macht zu rufen, um das Evangelium Jesu Christi zu unterstützen. Dieser hatte eindeutig erklärt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." (Johannes 18,36) Die Verbindung der Kirche mit dem Staat, mag sie auch noch so unbedeutend sein, kann zwar den Schein erwecken, die Welt würde dadurch näher zur Kirche kommen, in Wirklichkeit aber bringt sie die Kirche näher zur Welt.

Den von John Robinson und Roger Williams auf so edle Weise vertretenen Grundsatz, wonach die Erkenntnis der Wahrheit stets fortschreite und sich Christen deshalb immer darauf einstellen müssten, alles Licht anzunehmen, das ihnen aus Gottes heiligem Wort entgegen strahlt, verloren ihre Nachkommen aus den Augen. Die protestantischen Kirchen Amerikas, und auch diejenigen in Europa, die durch den Segen der Reformation so sehr begünstigt worden waren, verpassten es, auf dem Weg der Reform weiter voranzuschreiten. Obwohl von Zeit zu Zeit einige treue Männer auftraten, um neue Wahrheiten zu verkündigen und lange gehegte Irrtümer bloßzustellen, war die Mehrheit, wie die Juden zur Zeit Christi oder die Papsttreuen zur Zeit Luthers, damit zufrieden, das zu glauben, was schon die Väter geglaubt hatten und so zu leben, wie schon die Väter gelebt hatten. So verkam die Religion einmal mehr zu bloßem Formalismus. Irrtum und Aberglaube wurden gehegt und gepflegt. Sie wären beseitigt worden, wenn die Kirche dem Licht des Wortes Gottes weiter gefolgt wäre. So aber erlosch das geistliche Feuer allmählich, das von der Reformation entfacht worden war. Schließlich hatten die protestantischen Kirchen eine Reform fast ebenso nötig wie die römische Kirche zur Zeit Luthers. Man war genauso weltlich gesinnt und geistlich abgestumpft und hatte genauso große Ehrfurcht vor menschlichen Ansichten. Gottes Lehren wurden einmal mehr durch menschliche Theorien ersetzt.

Auf die weite Verbreitung der Bibel zu Beginn des 19. Jahrhunderts und das große Licht, das die Welt daraufhin erhellte, folgte kein entsprechender Fortschritt in der Erkenntnis der offenbarten Wahrheit oder im praktischen Glauben. Satan konnte dem Volk das Wort aber nicht mehr wie in früheren Zeiten vorenthalten, denn es war für alle erreichbar. Um aber sein Ziel trotzdem zu erreichen, brachte er viele dazu, der Bibel keine Beachtung mehr zu schenken. Die Menschen erforschten die Schrift nicht mehr und akzeptierten weiterhin falsche Auslegungen und Lehren, die mit der Schrift nicht übereinstimmten.

Nachdem Satan erkannt hatte, dass sein Bemühen, die Wahrheit durch Verfolgung auszulöschen, ein Fehlschlag war, verführte er die Menschen wieder zu Kompromissen, was schon früher zum großen Abfall und zur Entwicklung der römisch-katholischen Kirche geführt hatte. Diesmal verleitete er die Christen jedoch nicht mehr dazu, sich mit Heiden zu verbinden, sondern mit solchen, die durch Verehrung alles Weltlichen genauso sehr Götzendiener waren wie ehemals die Heiden. Die Folgen waren ebenso vernichtend wie in früheren Zeiten. Stolz und Verschwendung wurden unter dem Deckmantel der Religion gepflegt und die Kirchen wurden korrupt. Satan verdrehte weiterhin die Lehren der Bibel, und Traditionen, die Millionen zugrunde richten sollten, schlugen tiefe Wurzeln. Die Kirche hielt an diesen Traditionen fest und verteidigte sie, statt um den Glauben zu ringen, "der ein für alle Mal den Heiligen überliefert ist" (Judas 3). Auf diese Weise wurden jene Grundsätze herabgewürdigt, für die die Reformatoren so viel eingesetzt und so stark gelitten hatten.