Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 18

William Miller Und Das Buch Daniel

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Ein ehrenwerter und rechtschaffener amerikanischer Farmer war dazu verleitet worden, an der göttlichen Autorität der Bibel zu zweifeln. Doch weil er ehrlich nach der Wahrheit suchte, wurde er schließlich von Gott dazu auserwählt, Wegbereiter für die Verkündigung der Wiederkunft Christi zu werden. William Miller51 hatte wie viele andere Reformatoren vor ihm in jungen Jahren mit der Armut zu kämpfen. Dabei hatte er sich so wichtige Eigenschaften wie Fleiß und Selbstüberwindung angeeignet. Die Mitglieder seiner eigenen Familie zeichneten sich durch eine Grundhaltung von Unabhängigkeit und Freiheitsliebe aus. Sie besaßen Durchhaltevermögen und liebten ihr Vaterland. All das prägte auch den Charakter von William. Sein Vater war Hauptmann in der amerikanischen Revolutionsarmee, und die Opfer, die er in den Kämpfen und Leiden jener stürmischen Tage brachte, mögen der Grund für die armseligen Verhältnisse von Millers Kindheit gewesen sein.

William war von kräftiger Natur und zeigte schon in seiner Kindheit eine überdurchschnittliche Verstandeskraft. Diese trat mit zunehmendem Alter noch deutlicher hervor. Er war ein eifriger und gründlicher Denker und er hatte ein starkes Verlangen nach Wissen. Obwohl er sich keine akademische Bildung aneignen konnte, machten ihn seine Liebe zum Studium, seine Kritikfähigkeit und seine Gewohnheit, sorgfältig nachzudenken, zu einem Mann mit gesunder Urteilskraft und umfassendem Wissen. Er war moralisch untadelig, sein Leumund beneidenswert. Seine Rechtschaffenheit, Sparsamkeit und sein wohltätiger Charakter brachten ihm hohe Achtung ein. Durch Fleiß und Tatkraft erwarb er sich schon früh einen großen Sachverstand, wobei er seinen Studiengewohnheiten stets treu blieb. In verschiedenen zivilen und militärischen Ämtern kam er zu Ansehen, und der Weg zu Reichtum und Ruhm schien für ihn geebnet.

William Miller hatte eine tiefgläubige Mutter, und in seiner Kindheit wurde er religiös geprägt. Im frühen Mannesalter geriet er jedoch in die Gesellschaft von Deisten. 52Deren Einfluss auf ihn war besonders groß, da sie meist gute Bürger sowie wohltätige und menschenfreundliche Leute waren. In der Nachbarschaft von christlichen Institutionen war ihr Charakter bis zu einem gewissen Maße durch ihre Umgebung geprägt. Die Achtung und das Vertrauen, die man ihnen entgegenbrachte, hatten sie der Bibel zu verdanken. Doch wurden diese guten Gaben so verdreht, dass dadurch ein Einfluss gegen das Wort Gottes entstand. Die Verbindung zu diesen Männern brachte Miller dazu, auch ihre Weltanschauung zu übernehmen. Die gängige Schriftauslegung schien ihm voll von unüberwindlichen Schwierigkeiten zu sein. Doch sein neuer Glaube, der die Bibel beiseite setzte, bot ihm keine Alternative, und er war damit bei weitem nicht zufrieden. Trotzdem blieb er dieser Ansicht ungefähr zwölf Jahre lang treu. Als er 34 Jahre alt war, überzeugte ihn der Heilige Geist von seinem sündigen Zustand. Seine frühere Weltanschauung gab ihm keine begründete Hoffnung, die über das Grab hinaus reichte. Die Zukunft war düster und unheimlich. Über seine Gefühle jener Zeit schrieb er später:

"Vernichtet zu werden, das war ein kalter, schauriger Gedanke, und Rechenschaft ablegen zu müssen wäre der sichere Untergang aller gewesen. Der Himmel über meinem Haupte war wie Erz und die Erde unter meinen Füßen wie Eisen. Die Ewigkeit - was war sie? Und der Tod - warum gab es ihn? Je mehr ich mit mir kämpfte, desto weiter entfernte ich mich von den Beweisen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto zerfahrener wurden meine Schlussfolgerungen. Ich versuchte, nicht weiter nachzudenken, aber meine Gedanken ließen sich nicht kontrollieren. Ich fühlte mich wahrhaft elend, wusste jedoch nicht warum. Ich murrte und klagte, wusste aber nicht, gegen wen. Ich war überzeugt, dass irgendwo ein Fehler lag, wusste aber nicht, wo oder wie das Richtige zu finden sei. Ich trauerte und war ohne Hoffnung."

Vom Deisten Zum Christen

In dieser Haltung blieb Miller mehrere Monate. "Plötzlich", sagte er, "prägte sich meinem Gemüt lebhaft der Charakter eines Erlösers ein. Es schien mir, als gebe es ein Wesen, das so gut und barmherzig ist, dass es sich für unsere Übertretungen als Sühne anbietet und uns dadurch vor der Strafe für die Sünde rettet. Ich fühlte sofort, wie herzlich ein solches Wesen sein müsste und stellte mir vor, dass ich mich in seine Arme werfen und seiner Gnade vertrauen könnte. Aber es erhob sich die Frage: Wie kann bewiesen werden, dass es ein solches Wesen gibt? Ich fand, dass ich außerhalb der Bibel keinen Beweis für die Existenz eines solchen Erlösers oder gar eines zukünftigen Daseins entdecken konnte. ...

Ich sah, dass die Bibel von einem solchen Erlöser berichtete, wie ich ihn nötig hatte, und ich wunderte mich, wie ein nicht inspiriertes Buch solche Grundsätze entwickeln konnte, die den Bedürfnissen einer gefallenen Welt so vollkommen entsprachen. Ich musste zugeben, dass die Heilige Schrift eine Offenbarung Gottes sein muss. Sie wurde meine Freude, und in Jesus fand ich einen Freund. Der Erlöser wurde für mich der Wichtigste unter vielen Tausenden, und die Heilige Schrift, die zuvor dunkel und voller Widersprüche schien, wurde meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Ruhe und Zufriedenheit zogen in mein Gemüt ein. Ich erkannte Gott, den Herrn, als einen Fels inmitten der Wogen des Lebens. Die Bibel wurde nun zu meinem Hauptstudium, und ich kann wahrlich sagen, dass ich sie mit großer Freude durchforschte. Ich bemerkte, dass man mir nicht einmal die Hälfte ihres Inhalts erzählt hatte. Es wunderte mich, dass ich ihre Schönheit und Herrlichkeit nicht eher gesehen hatte, und ich war erstaunt darüber, wie ich sie je hatte ablehnen können. Ich fand darin alles, was mein Herz sich wünschen konnte - es gab ein Heilmittel für jede Krankheit meiner Seele. Ich verlor jeden Gefallen an anderem Lesestoff und wollte Weisheit von Gott bekommen." (BMM, 65-67)

Miller bekannte sich nun öffentlich zu dem Glauben, den er bis vor kurzem verachtet hatte. Aber seine ungläubigen Kameraden brachten schnell die Argumente vor, die er bisher selbst gegen die göttliche Autorität der Bibel verwandt hatte. Er war noch nicht darauf vorbereitet, ihnen zu antworten, meinte jedoch, wenn die Bibel eine Offenbarung Gottes sei, müssten ihre Aussagen sich harmonisch zusammenfügen lassen, und wenn sie dem Menschen zur Unterweisung gegeben sei, müsste sie für ihn verständlich sein. Er entschloss sich, sie selbst zu durchforschen und herauszufinden, ob sich die scheinbaren Widersprüche nicht lösen ließen.

William Miller bemühte sich, alle Vorurteile abzulegen und auf Kommentare zu verzichten. Darum verglich er Schriftstelle mit Schriftstelle, wobei er sich der angegebenen Parallelstellen und einer Konkordanz bediente. Er studierte regelmäßig und methodisch, fing mit dem ersten Buch Mose an, las Vers um Vers und las erst weiter, wenn sämtliche Unklarheiten der verschiedenen Abschnitte beseitigt waren. Wenn ihm eine Stelle unverständlich war, verglich er sie gewöhnlich mit jedem anderen Text, der mit dem betrachteten Text irgendwie in Zusammenhang zu stehen schien.

Jedes Wort prüfte er bezüglich seiner richtigen Bedeutung zum Thema, und wenn seine Ansicht mit jedem Text übereinstimmte, war für ihn die Schwierigkeit behoben. Wann immer er auf einen Abschnitt stieß, der schwer zu verstehen war, fand er eine Erklärung in einem anderen Teil der Schrift. Wenn er ernstlich im Gebet um göttliche Erleuchtung bat, wurde das klar, was ihm zunächst dunkel erschien. Er erfuhr die Wahrheit der Worte des Psalmisten: "Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Unverständigen." (Psalm 119,130)

Das Studium Der Apokalyptischen Prophetie

Mit großem Interesse studierte Miller das Buch Daniel und die Offenbarung, wobei er die gleichen Auslegungsprinzipien anwandte wie bei den anderen Teilen der Schrift. Er entdeckte mit großer Freude, dass die Symbole der Prophetie verständlich waren. Miller erkannte, dass sich die Weissagungen, sofern sie schon erfüllt waren, wörtlich erfüllt hatten. All die verschiedenen Bilder, Metaphern, Gleichnisse, Ähnlichkeiten usw. konnten entweder in ihrem unmittelbaren Zusammenhang erklärt werden oder die Begriffe, die sie darstellten, wurden an anderen Stellen definiert. Wenn sie erklärt werden sollten, mussten sie wörtlich verstanden werden. Er sagt: "So wurde ich überzeugt, dass die Bibel eine Kette offenbarter Wahrheiten ist, so deutlich und einfach mitgeteilt, dass selbst der einfache Mann nicht zu irren braucht." (BMM, 70) Seine Bemühungen wurden belohnt, als er den großen Linien der Prophetie Schritt für Schritt folgte und dabei Glied um Glied in der Kette der Wahrheit erkannte. Himmlische Engel lenkten seine Gedanken und führten ihn zum Verständnis der Heiligen Schrift.

Er erkannte in der Art und Weise, wie sich Prophezeiungen in der Vergangenheit erfüllt hatten, bestimmte Grundmuster. Diese konnte er für die Beurteilung jener Prophezeiungen heranziehen, die sich erst in der Zukunft erfüllen würden. Dabei kam er zur Einsicht, dass das Wort Gottes die damals populäre Erwartung einer geistigen Regierung Christi in einem zeitlichen Millennium vor dem Ende der Welt gar nicht unterstützt. Diese Lehre, die ein tausendjähriges Reich des Friedens und der Gerechtigkeit vor das persönliche Kommen des Herrn stellte, rückte die Schrecken des Tages Gottes in weite Ferne. Wie anziehend dieser Gedanke auch sein mag, er widerspricht dennoch den Lehren Christi und seiner Apostel, die erklärten, dass Unkraut und Weizen bis zum Tag der Ernte (Matthäus 13,30), dem Ende der Welt, nebeneinander wachsen würden. "Mit den bösen Menschen aber und Betrügern wird's je länger, desto ärger" (2. Timotheus 3,13), "dass in den letzten Tagen schlimme Zeiten kommen werden" (1. Timotheus 3,1) und das Reich der Finsternis fortbestehen müsse bis zur Ankunft des Herrn, wenn es verzehrt werden soll "mit dem Geist seines Mundes" und ihm ein Ende gemacht werde "durch seine Erscheinung, wenn er kommt" (2. Thessalonicher 2,8).

Die apostolische Gemeinde kannte keine Lehre von einer weltweiten Bekehrung und einem geistlichen Königreich Christi. Bis vor Beginn des 18. Jahrhunderts wurde diese auch im Christentum allgemein nicht vertreten. Wie jeder andere Irrtum hatte auch dieser schlimme Folgen. Den Menschen wurde gesagt, dass sie die Erscheinung des Herrn in ferner Zukunft zu erwarten hätten. Sie wurden so davon abgehalten, die Zeichen seiner nahenden Wiederkunft zu beachten. Dies erzeugte ein unbegründetes Gefühl der Sorglosigkeit und Sicherheit und verführte viele dazu, die notwendige Vorbereitung zur Begegnung mit dem Herrn zu vernachlässigen.

Die Wiederkunft Christi Vorhergesagt

Miller fand heraus, dass die buchstäbliche, persönliche Wiederkunft Christi in der Schrift eindeutig gelehrt wird. Paulus sagt: "Er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel." (1. Thessalonicher 4,16) Und der Erlöser erklärt, dass sie "sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit" (Matthäus 24,30). "Denn wie der Blitz ausgeht vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird auch das Kommen des Menschensohns sein." (Matthäus 24,27) Er wird von all den Scharen des Himmels begleitet werden. Der Menschensohn wird kommen "in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm" (Matthäus 25,31). "Und er wird seine Engel senden mit hellen Posaunen, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum anderen." (Matthäus 24,31)

Bei seiner Wiederkunft werden die gerechten Toten auferweckt und die gerechten Lebenden verwandelt. "Wir werden nicht alle entschlafen", sagt Paulus, "wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit." (1. Korinther 15,51-53) Und in seinem Brief an die Thessalonicher schreibt er nach der Schilderung der Wiederkunft Christi: "Zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit." (1. Thessalonicher 4,16.17)

Sein Volk kann vor dem persönlichen Erscheinen seines Herrn nicht in das Reich Christi kommen. Der Erlöser sagte: "Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!" (Matthäus 25,31-34)

Die angeführten Schriftzitate machen deutlich, dass bei der Wiederkunft des Menschensohns die Toten mit einem unverweslichen Körper auferweckt und die Lebenden verwandelt werden. Durch diese großartige Veränderung werden sie für das Reich Gottes vorbereitet, denn Paulus sagt, "dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit" (1. Korinther 15,50). In seinem gegenwärtigen Zustand ist der Mensch sterblich und vergänglich. Das Reich Gottes aber ist unvergänglich und ewig. Deshalb kann der Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in das Reich Gottes kommen. Doch wenn Jesus kommt, wird er seinem Volk die Unsterblichkeit schenken. Dann ruft er sie auf, das Königreich einzunehmen, von dem sie bisher nur Erben waren.

Diese und andere Bibelstellen waren für Miller deutliche Beweise, dass Ereignisse, die allgemein vor der Wiederkunft Christi erwartet wurden, wie ein weltweites Friedensreich und die Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, der Wiederkunft folgen würden. Ferner stimmten alle Zeichen der Zeit und der Zustand der Welt mit den prophetischen Beschreibungen der letzten Tage überein. Allein durch das Studium der Schrift erkannte er, dass sich die Zeit, die der Erde in ihrem gegenwärtigen Zustand noch zur Verfügung stand, dem Ende näherte.

"Ein anderer Beweis, der mich wesentlich beeinflusste", sagte er, "war die Zeitrechnung der Heiligen Schrift. ... Ich fand heraus, dass vorhergesagte Ereignisse, die sich in der Vergangenheit erfüllt hatten, häufig in einem klaren Zeitrahmen stattfanden: die 120 Jahre bis zur Sintflut (1. Mose 6,3), die sieben Tage, die ihr vorangehen sollten, mit 40 Tagen vorhergesagten Regens (1. Mose 7,4), der 400-jährige Aufenthalt der Kinder Abrahams im fremden Land (1. Mose 15,13), die drei Tage der Träume des Mundschenks und des Bäckers (1. Mose 40,12-20), Pharaos sieben Jahre (1. Mose 41,2854), die 40 Jahre in der Wüste (4. Mose 14,34), die dreieinhalb Jahre der Hungersnot (1. Könige 17,1; Jakobus 5,17; Lukas 4,25) ... die 70 Jahre der Gefangenschaft (Jeremia 25,11), Nebukadnezars sieben Zeiten (Daniel 4,1316) und die 7 Wochen, die 62 Wochen und die 1 Woche, welche zusammen 70 Wochen ergeben, die für die Juden bestimmt waren (Daniel 9,24-27). All diese Ereignisse, die durch eine Prophetie zeitlich fixiert waren, erfüllten sich wie vorhergesagt." (BMM, 74.75)

Die Prophezeiung Der 2300 Jahre

Als Miller während seines Bibelstudiums auf Zeitangaben stieß, die nach seinem Verständnis bis zur Wiederkunft Christi reichten, konnte er sie nicht anders "als vorher bestimmte Zeiten" ansehen, die Gott seinen Knechten offenbart hatte. "Was verborgen ist", sagt Mose, "ist des Herrn, unseres Gottes; was aber offenbart ist, das gilt uns und unsern Kindern ewiglich, dass wir tun sollen alle Worte dieses Gesetzes" (5. Mose 29,28), und der Herr erklärt durch den Propheten Amos, dass er nichts tut, "er offenbare denn seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten" (Amos 3,7). Wer im Wort Gottes sucht, darf also voll Vertrauen erwarten, dass das bedeutendste Ereignis der Weltgeschichte in der Schrift klar dargestellt wird.

Miller sagte: "Ich war völlig überzeugt, dass alle Schrift, von Gott eingegeben, nützlich ist (2. Timotheus 3,16), und dass sie nie aus menschlichem Willen hervorgebracht wurde (2. Petrus 1,21), sondern dass die heiligen Menschen Gottes vom Heiligen Geist getrieben geredet haben. Sie ist ›uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben‹ (Römer 5,4). Daher konnte ich die chronologischen Teile der Bibel genauso als einen Teil der Heiligen Schrift ansehen, und sie sind somit in gleicher Weise unserer ernsten Aufmerksamkeit wert wie irgendein anderer Schriftabschnitt. Ich dachte deshalb, wenn ich versuchte, zu verstehen, was Gott in seiner Barmherzigkeit für gut gefunden hatte, uns zu offenbaren, hätte ich kein Recht, die prophetischen Zeitangaben zu übergehen." (BMM, 75)

Die Weissagung, welche die Zeit der Wiederkunft Christi am deutlichsten zu enthüllen schien, war die in Daniel 8,14: "Bis 2300 Abende und Morgen vergangen sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden." Da Miller seinem Grundsatz folgte, dass sich das Wort Gottes selbst auslegt, entdeckte er dabei, dass in der symbolischen Prophetie ein Tag ein Jahr bedeutet (4. Mose 14,34 und Hesekiel 4,6). Er erkannte, dass sich der Zeitraum von 2300 prophetischen Tagen oder buchstäblichen Jahren weit über den Zeitraum des Alten Bundes hinaus erstreckte und sich folglich nicht auf das Heiligtum dieses Bundes beziehen konnte. Miller teilte die allgemeine Ansicht, dass im christlichen Zeitalter die Erde das Heiligtum sei. Deshalb deutete er die in Daniel 8,14 prophezeite Reinigung als die Läuterung der Erde mit Feuer vor der Wiederkunft Christi. Wenn also der richtige Ausgangspunkt für die 2300 Tage gefunden werden könnte, wäre nach seiner Meinung die Zeit der Wiederkunft relativ leicht zu berechnen. Damit wäre die Zeit des großen Endes offenbart, die Zeit, in der der gegenwärtige Zustand mit "all seinem Stolz und seiner Macht, seinem Gepränge und seiner Eitelkeit, seiner Gottlosigkeit und Unterdrückung ein Ende hat"; wenn der Fluch "von der Erde weggenommen, der Tod vernichtet, die Knechte Gottes, die Propheten, die Heiligen und alle, die seinen Namen fürchten, belohnt, und diejenigen, welche die Erde verderben, vernichtet werden." (BMM, 76)

Der Zeitraum Der 2300 Jahre

Mit neuer und größerer Ernsthaftigkeit untersuchte Miller die Prophezeiungen weiter. Ganze Tage und Nächte widmete er dem Studium jener Themen, die ihm so überragend wichtig erschienen und seine ganze Aufmerksamkeit fesselten. In Daniel 8 fand er keinen Hinweis auf den Ausgangspunkt für die 2300 Tage. Obwohl der Engel Gabriel das Gesicht erklären musste, legte er es nur teilweise aus. Als dem Propheten die schreckliche Verfolgung der Gemeinde gezeigt wurde, schwanden seine Kräfte. Mehr konnte er nicht ertragen, und der Engel verließ ihn erst einmal. "Und ich, Daniel, war erschöpft und lag einige Tage krank. Danach stand ich auf und verrichtete meinen Dienst beim König. Und ich wunderte mich über das Gesicht, und niemand konnte es mir auslegen." (Daniel 8,27)

Doch Gott hatte seinem Boten befohlen: "Lege diesem das Gesicht aus, damit er's versteht." (Daniel 8,16) Dieser Auftrag musste ausgeführt werden. Der Engel gehorchte, kehrte einige Zeit später zu Daniel zurück und sagte: "Jetzt bin ich ausgegangen, um dir zum rechten Verständnis zu verhelfen. ... So merke nun auf das Wort, damit du das Gesicht verstehst." (Daniel 9,22.23) Ein wichtiger Punkt in der Vision von Kapitel 8 war bis jetzt unerklärt geblieben, nämlich der Zeitraum der 2300 Tage. Deshalb nahm der Engel bei seiner Rückkehr das Thema wieder auf und widmete sich der Zeitfrage:

"Über dein Volk und über deine heilige Stadt sind 70 Wochen bestimmt. ... So wisse und verstehe: Vom Erlass des Befehls zur Wiederherstellung und zum Ausbau Jerusalems bis zu dem Gesalbten, dem Fürsten, vergehen 7 Wochen und 62 Wochen; Straßen und Gräben werden wieder gebaut, und zwar in bedrängter Zeit. Und nach den 62 Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden, und ihm wird nichts zuteil werden. ... Und er wird mit den Vielen einen festen Bund schließen eine Woche lang; und in der Mitte der Woche wird er Schlacht und Speiseopfer aufhören lassen." (Daniel 9,24-27 Schl.)

Der Engel wurde mit der ausdrücklichen Absicht zu Daniel gesandt, ihm den Teil des Gesichts zu erklären, den er im Kapitel 8 nicht verstanden hatte, nämlich die Aussage über die Zeit. "Bis 2300 Abende und Morgen vergangen sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden." (Daniel 8,14) Nachdem der Engel Daniel aufgefordert hatte, "so merke nun auf das Wort, damit du das Gesicht verstehst" (Daniel 9,23), sagte er weiter: "Siebzig Wochen sind verhängt über dein Volk und über deine heilige Stadt." (V. 24) Das hier mit "verhängt" übersetzte Wort heißt wörtlich "abgeschnitten". Der Engel sagte, dass 70 Jahrwochen, also 490 Jahre, abgeschnitten und für die Juden reserviert seien. Aber wovon waren sie abgeschnitten? Da die 2300 Tage die einzige Zeitspanne ist, die in Kapitel 8 erwähnt wird, muss es sich um die Periode handeln, von der die 70 Wochen abgeschnitten wurden. Die 70 Wochen müssen daher ein Teil der 2300 Tage sein und die beiden Zeitabschnitte müssen gleichzeitig beginnen. Nach Aussage des Engels sollten die 70 Wochen mit dem Datum des Befehls zum Wiederaufbau Jerusalems beginnen. Wenn das Datum dieses Befehls herausgefunden werden könnte, wäre auch der Ausgangspunkt des Zeitraums der 2300 Tage feststellbar.

Die 70 Jahrwochen Und Der Messias

Im siebten Kapitel des Buches Esra finden wir diesen Befehl (Esra 7,1216). Der umfassendste Befehl wurde vom persischen König Artaxerxes 457 v. Chr. erlassen. In Esra 6,14 heißt es jedoch, dass das Haus des Herrn in Jerusalem "nach dem Befehl des Kyrus, Darius und Arthasasta (Artaxerxes), der Könige in Persien" gebaut worden sei. Diese Könige verfassten, bestätigten und vervollständigten den Erlass. Diese Vollständigkeit, die die Prophezeiung verlangte, bestimmt daher den Anfang der 2300 Jahre. Nimmt man 457 v. Chr. als Zeitpunkt, an dem der Erlass vollständig formuliert war, so waren damit die Bedingungen für den Beginn der prophetischen 70 Wochen erfüllt.

"Vom Erlass des Befehls zur Wiederherstellung und zum Aufbau Jerusalems bis zu dem Gesalbten, dem Fürsten, vergehen 7 Wochen und 62 Wochen" (Daniel 9,25 Schl.) - also 69 Wochen oder 483 Jahre. Der Erlass des Artaxerxes trat im Herbst 457 v. Chr. in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an gerechnet erstreckten sich die 483 Jahre bis in den Herbst 27 n. Chr. 53 Zu jener Zeit ging die Weissagung in Erfüllung. Der "Gesalbte" bedeutet der "Messias". Im Herbst 27 n. Chr. wurde Christus von Johannes getauft und empfing die Salbung durch den Heiligen Geist. Der Apostel Petrus bezeugt, dass "Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft" (Apostelgeschichte 10,38). Und Jesus selbst erklärte: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen." (Lukas 4,18) Nach seiner Taufe "kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt" (Markus 1,14.15).

"Und er wird mit den Vielen einen Bund schließen eine Woche lang." (Daniel 9,27 Schl.) Die hier erwähnte Woche ist die letzte der 70. Sie entspricht den letzten sieben Jahren der Zeitspanne, die für die Juden bestimmt war. In der Zeit von 27 bis 34 n. Chr. verkündigte Jesus das Evangelium zuerst persönlich, dann durch seine Jünger besonders den Juden. Als die Apostel die frohe Botschaft vom Reich Gottes verkündigten, gab der Erlöser die Anweisung: "Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel." (Matthäus 10,5.6)

"In der Mitte der Woche wird er Schlacht und Speiseopfer aufhören lassen." (Daniel 9,27 Schl.) Im Jahre 31 n. Chr., dreieinhalb Jahre nach seiner Taufe, wurde Jesus Christus gekreuzigt. Mit dem großen Opfer auf Golgatha fand der Opferdienst ein Ende, der vier Jahrtausende lang auf das Lamm Gottes hingewiesen hatte. Der Typus traf auf den Antitypus, und der Opfer und Zeremoniendienst fand hier seine Erfüllung.

Die 70 Wochen oder 490 Jahre, die besonders für die Juden vorgesehen waren, endeten 34 n. Chr. Zu dieser Zeit besiegelte das Volk durch einen Beschluss des Hohen Rats seine Ablehnung des Evangeliums durch den Märtyrertod des Stephanus und die Verfolgung der Jünger Christi. Von diesem Zeitpunkt an war die Botschaft der Erlösung nicht mehr auf das auserwählte Volk beschränkt, sondern wurde der Welt verkündigt. Durch Verfolgungen wurden die Jünger gezwungen, Jerusalem zu verlassen. Sie "zogen umher und predigten das Wort. Philippus aber kam hinab in die Hauptstadt Samariens und predigte ihnen von Christus" (Apostelgeschichte 8,4.5). Unter göttlicher Leitung konnte Petrus dem Hauptmann von Cäsarea, dem gottesfürchtigen Kornelius, das Evangelium verkündigen, und der eifrige Paulus, nachdem er für den Glauben an Jesus gewonnen war, wurde beauftragt, die frohe Botschaft "in die Ferne zu den Heiden" zu tragen (Apostelgeschichte 22,21).

Die Zeit Des Endes Erkannt

Bis hierher haben sich die Angaben der Prophezeiung auffallend genau erfüllt, und der Beginn der 70 Wochen war außer Zweifel 457 v. Chr., ihr Ende 34 n. Chr. Durch diese Angaben ist es nicht schwierig, das Ende der 2300 Tage zu finden. Da 70 Wochen oder 490 Tage von den 2300 Tagen abgeschnitten sind, bleiben noch 1810 Tage übrig. Nach Ablauf von 490 Tagen müssen sich noch 1810 Tage erfüllen. Von 34 n. Chr. erstrecken sich die 1810 Jahre bis ins Jahr 1844. Folglich enden die 2300 Tage aus Daniel 8,14 im Jahre 1844. Nach dem Zeugnis des Engels Gottes sollte am Ende dieser großen prophetischen Zeitspanne "das Heiligtum wieder geweiht [gereinigt] werden." Damit war die Reinigung des Heiligtums, die nach allgemeiner Auffassung bei der Wiederkunft stattfinden sollte, zeitlich genau festgelegt.

Miller und seine Mitarbeiter glaubten anfangs, dass die 2300 Tage im Frühjahr 1844 endeten, während die Prophezeiung auf den Herbst jenes Jahres hinwies. Dieses Missverständnis brachte denen Enttäuschung und Ratlosigkeit, die an das frühere Datum für die Wiederkunft geglaubt hatten. Aber es beeinflusste in keiner Weise die Kraft des Arguments, dass die 2300 Tage im Jahr 1844 endeten und dass das große Ereignis der Reinigung des Heiligtums dann stattfinden musste.

Freude Und Verantwortung

Als Miller mit dem Studium der Heiligen Schrift begann, um zu beweisen, dass sie eine Offenbarung Gottes ist, hatte er nicht die geringste Ahnung, zu welchen Resultaten er schlussendlich kommen würde. Er konnte die Ergebnisse seiner Untersuchungen selbst kaum glauben. Doch der Beweis aus der Schrift war zu deutlich und zu zwingend, als dass er ihn zurückweisen konnte.

Als er 1818 zu der festen Überzeugung kam, dass Christus in ungefähr 25 Jahren erscheinen würde, um sein Volk zu erlösen, hatte er schon zwei Jahre Bibelstudium hinter sich. "Ich brauche nicht von der Freude zu reden", sagte Miller, "die mit dieser frohen Aussicht mein Herz erfüllte, oder von dem heißen Sehnen meiner Seele, einen Anteil an den Freuden der Erlösten zu haben. Die Bibel war nun für mich ein neues Buch. Sie war wirklich für mich ein Fest der Sinne; alles, was mir in ihren Lehren finster, geheimnisvoll oder dunkel erschienen war, wurde durch das helle Licht, das nun aus ihren heiligen Seiten hervorbrach, zerstreut. Oh, wie glänzend und herrlich zeigte sich die Wahrheit! Alle Widersprüche und Ungereimtheiten, die ich vorher in dem Wort gefunden hatte, waren verschwunden, und obwohl es noch viele Stellen gab, mit denen ich nicht zufrieden war, weil ich sie nicht völlig verstand, so war doch so viel Licht zur Erleuchtung meines vorher verfinsterten Gemütes daraus hervorgegangen, dass ich beim Studium der Heiligen Schrift eine Freude empfand, von der ich nie geglaubt hätte, dass ich sie durch ihre Lehren erlangen könnte" (BMM, 76.77).

"Bei der ernsten Überzeugung, dass sich so überwältigende Ereignisse in kurzer Zeit erfüllen sollten, wie sie in der Heiligen Schrift vorhergesagt waren, trat mit gewaltiger Macht die Frage an mich heran: Welche Verantwortung gegenüber der Welt liegt auf mir angesichts der Beweise, die mich überzeugt haben?" (BMM, 81) Er fühlte sehr deutlich, dass es seine Pflicht war, anderen das Licht weiterzugeben, das er empfangen hatte. Miller war sich sicher, dass er von den Gottlosen Widerstand zu erwarten hatte, doch er war zuversichtlich, dass sich alle Christen über die Hoffnung freuen würden, ihrem geliebten Erlöser zu begegnen. Seine einzige Befürchtung war, dass viele in Erwartung der herrlichen Erlösung, die in absehbarer Zeit geschehen sollte, die Lehre annehmen würden, ohne die Schriftstellen gründlich zu prüfen, die diese Wahrheit enthielten. Aus Furcht, er könnte sich irren und dadurch andere irreführen, zögerte er, seine Erkenntnis zu verkündigen. Deshalb prüfte er noch einmal die Ergebnisse seines Studiums und untersuchte sorgfältig jeden Einwand, der ihm in den Sinn kam. Aber durch das Licht des Wortes verschwanden diese wie der Nebel vor der Sonne. Nach fünfjähriger Prüfung war er von der Richtigkeit seiner Auslegung vollständig überzeugt.

Nun machte sich die Pflicht erneut bemerkbar, anderen nahezubringen, was die Schrift nach seiner Überzeugung so deutlich lehrte. Er sagte: "Wenn ich meinen Tätigkeiten nachging, verfolgte mich ständig der Gedanke: ›Geh und sage der Welt, in welcher Gefahr sie sich befindet.‹ Der Text stand immer vor mir: Wenn ich nun zu dem Gottlosen sage: ›Du Gottloser musst des Todes sterben! und du sagst ihm das nicht, um den Gottlosen vor seinem Wege zu warnen, so wird er, der Gottlose, um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Warnst du aber den Gottlosen vor seinem Wege, dass er von ihm umkehre, und er will von seinem Wege nicht umkehren, so wird er um seiner Sünde willen sterben, aber du hast dein Leben errettet.‹ (Hesekiel 33,8.9) Ich fühlte: wenn die Gottlosen gewarnt werden könnten, dann würde sich eine große Zahl von ihnen bekehren; wenn sie aber nicht gewarnt würden, könnte ihr Blut von meiner Hand gefordert werden." (BMM, 92)

Miller begann seine Ansichten privat überall zu verbreiten, wo er Gelegenheit dazu hatte, und betete, dass irgendein Prediger ihre Kraft erkennen und sich ihrer Verkündigung weihen würde. Er konnte sich aber der Überzeugung nicht erwehren, dass er die persönliche Pflicht hatte, die Warnung weiterzugeben. Ständig klangen ihm die Worte in den Ohren: "Geh und sage es der Welt; ihr Blut werde ich von deiner Hand fordern." Er trug diese Bürde noch weitere neun Jahre auf seinem Herzen, bis er 1831 zum ersten Mal die Beweggründe für seinen Glauben öffentlich vortrug.

Miller Verkündigt In Der Öffentlichkeit

So wie Elisa von seinen Ochsen auf dem Feld weggerufen wurde, um den Mantel der Weihe zum Prophetenamt zu empfangen, so wurde auch Miller von seinem Pflug weggerufen, um den Menschen die Geheimnisse des Gottesreichs zu erschließen. Zaghaft begann er sein Werk und führte seine Zuhörer Schritt für Schritt durch die prophetischen Zeitabschnitte bis zum zweiten Kommen Christi. Als er das große Interesse sah, das seine Worte hervorriefen, fühlte er sich mehr und mehr gestärkt und ermutigt.

Nur durch den Zuspruch seiner Glaubensbrüder, in deren Worten er den Ruf Gottes vernahm, willigte Miller ein, seine Ansichten öffentlich vorzutragen. Er war bereits 50 Jahre alt, an öffentliches Reden nicht gewöhnt und fühlte sich seiner Aufgabe nicht gewachsen. Aber von Anfang an wurde er in wunderbarer Weise gesegnet und konnte manchem Suchenden den Weg zur Errettung zeigen. Seinem ersten Vortrag folgte eine religiöse Erweckung, bei der mit Ausnahme von zwei Personen dreizehn Familien bekehrt wurden. Er wurde sofort gebeten, auch an anderen Orten zu sprechen, und fast überall folgte seinen Vorträgen eine Wiederbelebung des Werkes Gottes. Sünder bekehrten sich, Christen weihten sich aufs Neue, und Deisten und Ungläubige mussten die biblische Wahrheit und die christliche Religion anerkennen. Das Zeugnis derjenigen, unter denen er arbeitete, lautete: "Er erreicht eine Klasse von Menschen, die sich von andern Männern nicht beeinflussen lassen." (BMM, 138) Miller wollte mit seinen Predigten ein allgemeines Verständnis für die großen Themen des Glaubens wecken und der wachsenden Verweltlichung und Sinnlichkeit seiner Zeit entgegenwirken.

In fast jeder Stadt, in der er predigte, gab es Dutzende, manchmal sogar Hunderte von Bekehrungen. An vielen Orten öffneten protestantische Kirchen fast jeder Glaubensrichtung ihre Türen, und im Allgemeinen kamen die Einladungen von den Predigern der verschiedenen Gemeinden. Miller machte es sich zur unumstößlichen Regel, an keinem Ort zu sprechen, an den er nicht eingeladen wurde, doch er fand es unmöglich, auch nur die Hälfte der Einladungen anzunehmen, die ihn erreichten. Viele, die seine Ansicht über das genaue Datum der Wiederkunft Christi nicht annahmen, wurden doch überzeugt, dass die Wiederkunft Christi sicher und nahe war und sie sich darauf vorbereiten mussten. In einigen größeren Städten hinterließen seine Vorträge einen sichtbaren Eindruck. Schankwirte gaben ihren Handel auf und verwandelten ihre Trinkstuben in Versammlungssäle, Spielhöllen wurden geschlossen. Ungläubige, Deisten, Universalisten und selbst unverbesserliche Prasser bekehrten sich, von denen manche jahrelang kein Gotteshaus mehr betreten hatten. In den verschiedenen Glaubensgemeinschaften einzelner Stadtteile wurden fast stündlich Gebetsversammlungen durchgeführt. Geschäftsleute versammelten sich mittags zu Gebet und Lobgesang. Es kam nicht zu einer schwärmerischen Begeisterung, sondern die Menschen erfasste ein tiefgreifender, feierlicher Ernst. Wie die Reformatoren vor ihm zielte Miller mit seiner Arbeit darauf ab, den Verstand zu überzeugen und das Gewissen zu wecken statt lediglich Gefühle zu erregen.

Von seiner eigenen Baptistengemeinde erhielt Miller 1833 eine Predigerlizenz. Viele Prediger dieser Glaubensgemeinschaft billigten seine Tätigkeit, und mit ihrer formalen Bestätigung führte er sein Werk fort. Er reiste und predigte unaufhörlich, auch wenn sich seine persönlichen Tätigkeiten nur auf Neuengland (nordöstliche USA) und die Mittleren Staaten (Delaware, New Jersey, Maryland, Pennsylvania) beschränkten. Jahrelang bestritt er sämtliche Auslagen aus eigener Tasche. Auch später erhielt er nie genug, um damit die Reisespesen zu den Orten, an die er eingeladen wurde, ganz zu decken. So war seine Öffentlichkeitsarbeit weit davon entfernt, einen finanziellen Gewinn zu erbringen. Vielmehr belastete sie sein Vermögen, das in diesem Abschnitt seines Lebens beständig abnahm. Er war der Vater einer Großfamilie, aber da sie fleißig und genügsam waren, reichten die Erträge seiner Farm für ihren wie auch seinen Unterhalt aus.

Vorboten Des Kommens Christi

Zwei Jahre nach Millers erstem öffentlichen Vortrag über die Zeichen, die auf ein baldiges Erscheinen Christi hinwiesen, erfolgte 1833 das letzte Zeichen, das Christus als Vorbote seiner Wiederkunft angekündigt hatte. "Die Sterne werden vom Himmel fallen", hatte Jesus gesagt (Matthäus 24,29), und Johannes erklärte in der Offenbarung, als er in der Vision die Vorgänge erblickte, die den Tag Gottes ankündigen sollten: "Die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt wird." (Offenbarung 6,13) Diese Prophezeiung erfüllte sich treffend und eindrucksvoll durch den großen Meteorregen vom 13. November 1833. Das war das ausgedehnteste und eindrucksvollste Schauspiel fallender Sterne, von dem je berichtet wurde. "Der ganze Himmel über den gesamten Vereinigten Staaten war damals stundenlang in feuriger Bewegung. Noch nie hatte es von der ersten Ansiedlung an in jenem Lande eine Naturerscheinung gegeben, die von einem Teil der Bevölkerung mit so großer Bewunderung und von dem andern mit so viel Schaudern und Bestürzung betrachtet wurde. ... Die Erhabenheit und feierliche Pracht lebt noch heute bei vielen im Gedächtnis. ... Niemals ist Regen dichter zur Erde gefallen als jene Meteore. Im Osten, Westen, Norden und Süden, überall sah man das Gleiche. Mit einem Wort, der ganze Himmel schien in Bewegung zu sein. . Das Schauspiel, wie es Prof. Sillimans Journal schildert, war in ganz Nordamerika sichtbar. . Bei vollkommen klarem und heiterem Himmel dauerte das unaufhörliche Spiel blendend glänzender Lichtkörper am ganzen Himmel von zwei Uhr morgens bis zum Tagesanbruch." (DAP, XXVIII, § 1-5)

"Keine Sprache kann je der Pracht jenes herrlichen Schauspiels gerecht werden ... niemand, der es nicht selbst gesehen hat, kann sich eine angemessene Vorstellung von seiner Herrlichkeit machen. Es schien, als ob sich alle Sterne des Himmels an einem Punkt in der Nähe des Zenits gesammelt hätten und blitzschnell gleichzeitig in alle Richtungen des Horizontes geschossen würden; doch es hörte nicht auf: Tausende folgten schnell der Bahn, die Tausende schon durcheilt hatten, als seien sie für diese Gelegenheit erschaffen worden." (RCA, 13. Dezember 1833) "Ein genaueres Bild als das von einem Feigenbaum, der seine Feigen abwirft, wenn ein heftiger Wind durch ihn hindurchfährt, hätte man nicht zeichnen können." (PA, 26. November 1833)

Im New Yorker "Journal of Commerce" vom 14. November 1833 erschien ein ausführlicher Artikel über diese wundersame Naturerscheinung mit folgender Aussage: "Kein Weiser oder Gelehrter hat je, wie ich annehme, über eine Erscheinung wie die von gestern Morgen mündlich oder schriftlich berichtet. Vor 1800 Jahren hat ein Prophet sie genau vorausgesagt, so wir uns nur die Mühe geben wollten, unter einem Sternenfall fallende Sterne zu verstehen ... in dem allein möglichen Sinne, dass es buchstäblich wahr ist."

So erschien das letzte Zeichen seines Kommens, über das Jesus zu seinen Jüngern sagte: "Ebenso auch: wenn ihr das alles seht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist." (Matthäus 24,33) Nach diesen Zeichen sah Johannes als nächstes Ereignis, dass "der Himmel wie eine Schriftrolle" zurückwich, während die Erde erbebte, die Berge und Inseln bewegt wurden und die Gottlosen vor der Gegenwart des Menschensohnes entsetzt zu fliehen suchten (Offenbarung 6,12-17).

Viele Augenzeugen betrachteten den Sternenfall als den Vorboten des kommenden Gerichts, "als ein schreckliches Vorbild, einen sicheren Vorläufer, ein barmherziges Zeichen jenes großen und schrecklichen Tages" (PEA, "The Old Countryman", 26. November 1833). So wurde die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Erfüllung der Prophezeiungen gelenkt, und viele ließen sich durch die Botschaft von der Wiederkunft warnen.

Eine Weitere Prophetische Erfüllung

1840 erregte eine andere bemerkenswerte prophetische Erfüllung große Aufmerksamkeit. Zwei Jahre zuvor hatte Josiah Litch, einer der führenden Verkündiger der Wiederkunft, eine Auslegung von Offenbarung 9 veröffentlicht und den Fall des Osmanischen Reiches54 vorhergesagt. Nach seinen Berechnungen sollte diese Macht "1840, irgendwann im August" gestürzt werden, und nur einige Tage vor Erfüllung der Prophezeiung schrieb er: "Wenn wir zugeben, dass sich der erste Zeitabschnitt von 150 Jahren genau erfüllt hatte, ehe Konstantin XI. Palaiologos (auch Dragases genannt) mit der Erlaubnis der Türken den Thron bestieg, und dass die 391 Jahre und 15 Tage am Schluss des ersten Zeitabschnittes anfingen, so müssen sie am 11. August 1840 enden, sodass man erwarten darf, dass die osmanische Macht in Konstantinopel gebrochen werden wird. Und ich glaube gewiss, dass dies eintreten wird." (ST, 01. August 1840)

Genau an diesem Tag akzeptierte die Türkei durch ihre Gesandten den Schutz der alliierten Großmächte Europas und begab sich somit unter die Aufsicht christlicher Mächte. Dieses Ereignis erfüllte genau die Vorhersage. Als das bekannt wurde, kamen viele zur Überzeugung, dass Miller und seine Mitarbeiter die Prophezeiungen richtig auslegten. Dies gab der Adventbewegung einen wunderbaren Auftrieb. Gelehrte und angesehene Männer schlossen sich Miller an, predigten und veröffentlichten seine Ansichten, und von 1840 bis 1844 wurde die Bewegung schnell größer.

Aufkommender Widerstand

William Miller hatte durch Nachdenken und Studium große geistige Fähigkeiten erlangt. Diesen Fähigkeiten fügte er die Weisheit des Himmels hinzu, indem er sich mit der Quelle der Weisheit verband. Er war ein Mann großer Verdienste, der allen Menschen, die charakterliche Integrität und moralische Vorzüglichkeit schätzten, Respekt und Achtung abverlangte. Wahre Herzensgüte vereinigte er mit christlicher Demut und Selbstbeherrschung, war zu allen aufmerksam und liebenswürdig, bereit, andere Meinungen anzuhören und Argumente abzuwägen. Sachlich und leidenschaftslos prüfte er alle Theorien und Lehren am Wort Gottes, und sein gesundes Denken und seine gründliche Kenntnis der Schrift befähigten ihn, Irrtümer zu widerlegen und Falschheit bloßzustellen.

Dennoch konnte er sein Werk nicht ohne harten Widerstand weiterführen. Es erging ihm wie den Reformatoren vor ihm: Volkstümliche religiöse Lehrer nahmen die Wahrheiten nicht an, die Miller lehrte. Da diese ihre Auffassungen nicht durch die Schrift belegen konnten, mussten sie Zuflucht zu menschlichen Aussagen und Lehren sowie zu den Traditionen der Väter nehmen. Doch bei den Predigern der Adventwahrheit galt nur das Zeugnis der Schrift. "Die Bibel und die Bibel allein!", lautete ihre Losung. Weil ihren Gegnern die biblischen Argumente fehlten, griffen sie zu Hohn und Spott. Zeit, Geld und Talente wurden zur Verunglimpfung derer verwendet, deren einziges Vergehen es war, freudig die Wiederkunft ihres Herrn zu erwarten, ein heiliges Leben zu führen und andere zu ermahnen, sich auf das Erscheinen Christi vorzubereiten.

Viele heftige Anstrengungen wurden unternommen, um die Gedanken der Gläubigen von der Wiederkunft Jesu abzulenken. Das Studium der Prophezeiungen, die sich auf die Wiederkunft Christi und auf das Ende der Welt bezogen, wurde als Sünde hingestellt und als etwas, wofür sich Menschen schämen müssten. So untergrub die allgemeine Verkündigung das Vertrauen in das Wort Gottes und ihre Unterweisung nahm den Menschen den Glauben. Für viele bedeutete dies ein Freipass, um all das auszuleben, wonach ihre gottlose Natur verlangte. Die Urheber dieses Übels lasteten dann aber alles den Adventgläubigen an.

Während Miller verständige und aufmerksame Zuhörer scharenweise anzog, wurde er in der religiösen Presse selten erwähnt, und wenn, dann geschah es nur, um ihn ins Lächerliche zu ziehen oder ihn anzuschuldigen. Leichtsinnige und gottlose Menschen fühlten sich durch die Aussagen der religiösen Lehrer in ihrem Lebenswandel bestätigt und überhäuften Miller und sein Werk mit Vorwürfen, Witzeleien, Hohn und Spott. Der ergraute Mann, der sein behagliches Heim verlassen hatte, auf eigene Kosten von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf reiste und unermüdlich im Einsatz war, um die Welt vor dem nahenden Weltgericht zu warnen, wurde als Fanatiker, Lügner und vorwitziger Bursche verlacht und verspottet.

Die weltliche Presse jedoch war entrüstet und erhob Einspruch gegen die Verhöhnungen, Schmähungen und Verleumdungen, denen Miller ausgesetzt war. "Eine Sache von so weit reichender Bedeutung und furchtbaren Folgen" leichtfertig und mit unzüchtigen Reden zu behandeln, so erklärten weltlich gesinnte Männer, "hieße nicht nur, sich über die Gefühle ihrer Vertreter und Verteidiger zu belustigen", sondern auch "den Tag des Gerichts ins Lächerliche zu ziehen, Gott selbst zu verhöhnen und die Schrecken jenes Gerichts geringschätzig zu betrachten." (BMM, 183)

Der Anstifter allen Übels versuchte nicht nur, der Adventbotschaft entgegenzuwirken, sondern den Überbringer selbst zu vernichten. Miller stellte zwischen der Schriftwahrheit und den Herzen der Zuhörer einen praktischen Bezug her, tadelte ihre Sünden, störte ihre Selbstzufriedenheit, und seine eindeutigen und klaren Worte erregten ihre Feindschaft. Der Widerstand, mit dem Kirchenmitglieder seine Botschaft bekämpften, ermutigte die niedrigeren Volksschichten, noch weiterzugehen. Im Geheimen planten einige seiner Feinde, ihn beim Verlassen einer Versammlung zu ermorden. Doch unter der Menge befanden sich heilige Engel. Einer von ihnen erschien in der Gestalt eines Mannes, nahm den Diener des Herrn beim Arm und geleitete ihn durch den zornigen Pöbel hindurch in Sicherheit. Sein Werk war noch nicht beendet, deshalb mussten die Absichten Satans durchkreuzt werden.

Ungeachtet all diesen Widerstands wuchs das Interesse an der Adventbewegung immer mehr. Die Zuhörerschaft wuchs von Dutzenden über Hunderte zu Tausenden. In den verschiedenen Gemeinschaften nahm sie so sehr zu, dass sich der Widerstand sogar gegen diese Bekehrten richtete und Kirchengemeinden zu disziplinarischen Maßnahmen gegen Gemeindeglieder griffen, die Millers Ansichten teilten. All dies veranlasste ihn zu einer schriftlichen Erwiderung an die Adresse von Christen aller Gemeinschaften, in der er dazu aufforderte, ihm seine Irrtümer anhand der Schrift zu zeigen, falls seine Lehren falsch seien.

"Was haben wir geglaubt", sagte er, "das zu glauben uns nicht durch das Wort Gottes geboten ist, das, wie ihr selbst zugebt, die Regel, und zwar die einzige unseres Glaubens und Wandels ist? Was haben wir getan, was solche giftigen Anschuldigungen von der Kanzel und in der Presse gegen uns herausfordert und euch eine gerechte Ursache geben konnte, uns [Adventgläubige] aus euren Kirchen und eurer Gemeinschaft auszuschließen? ... Haben wir Unrecht, so zeigt uns, worin dies besteht, zeigt uns aus dem Worte Gottes, dass wir im Irrtum sind. Verspottet wurden wir genug, das kann uns nie davon überzeugen, dass wir Unrecht haben. Das Wort Gottes allein kann unsere Ansichten ändern. Unsere Schlussfolgerungen wurden bedacht und unter Gebet gezogen, weil wir die Beweise in der Heiligen Schrift fanden." (BMM, 250-252)

Wie Zur Zeit Noahs

Von Zeit zu Zeit wurden Warnungsbotschaften, die Gott durch seine Diener in die Welt sandte, mit ähnlicher Skepsis und Unglauben empfangen. Als Gott durch die Bosheit der Menschen veranlasst wurde, die Erde durch Wasser zu überfluten, gab er seine Absicht vorher bekannt, damit alle die Möglichkeit hatten, sich von ihren bösen Wegen abzuwenden. 120 Jahre lang hörten die Menschen den Warnungsruf, Buße zu tun, damit sie der Zorn Gottes nicht zerstöre. Aber die Botschaft war für sie wertloses Geschwätz, dem sie nicht glaubten. Durch ihre Boshaftigkeit erdreisteten sie sich, den Botschafter Gottes zu verschmähen, und klagten ihn sogar der Vermessenheit an. Wie konnte es ein einzelner Mensch wagen, gegen die Großen dieser Erde aufzustehen? Wenn die Botschaft Noahs wahr wäre, warum glaubte und erkannte sie dann nicht die ganze Welt? Was ist schon die Behauptung eines Einzelnen gegen die Weisheit Tausender! Sie glaubten weder der Warnung noch suchten sie Schutz in der Arche.

Spötter wiesen auf die Abläufe in der Natur hin, auf die unabänderliche Reihenfolge der Jahreszeiten, auf den blauen Himmel, aus dem noch nie Regen auf die Erde gefallen war, auf die grünen Felder, die vom frischen Tau der Nacht benetzt wurden, und riefen aus: "Redet er nicht in Fabeln?" - Verachtend erklärten sie den Prediger der Gerechtigkeit zu einem wilden Schwärmer. Noch begeisterter als zuvor gingen sie ihren Vergnügungen nach und blieben mehr denn je auf ihren bösen Wegen. Doch ihr Unglaube hielt das verkündete Ereignis nicht auf. Gott ertrug ihre Bosheit lange Zeit und gab ihnen reichlich Gelegenheit zur Buße, aber zur angekündigten Zeit kam das Gericht über jeden, der Gottes Gnade verworfen hatte.

Nach den Aussagen Christi soll zur Zeit seiner Wiederkunft ein ähnlicher Unglaube vorherrschen. Die Menschen zu Noahs Zeiten "beachteten es nicht, bis die Sintflut kam und raffte sie alle dahin; so wird es auch sein beim Kommen des Menschensohns", wie Christus selbst sagte (Matthäus 24,39). Wenn sich das bekennende Volk Gottes mit der Welt vereinigt, so lebt wie die Welt und wie sie verbotenen Vergnügungen nachgeht, wenn der Luxus der Welt auch in den Gemeinden der Gläubigen Einzug hält, wenn Hochzeitsglocken klingen und die Menschheit viele Jahre weltlichen Wohlstands erwartet, dann wird das Ende ihrer glänzenden Visionen und ihrer trügerischen Hoffnungen wie ein Blitz vom Himmel über sie kommen.

Wie Gott seinen Diener in die Welt sandte, um die Menschheit vor der kommenden Flut zu warnen, so sandte er erwählte Boten aus, um die Nähe des Endgerichts zu verkünden. Und wie die Zeitgenossen Noahs lachten und die Vorhersagen des Predigers der Gerechtigkeit verhöhnten, so verspotteten auch zu Millers Zeiten viele diese Warnung, auch solche, die sich zum Volk Gottes bekannten.

Warum waren die Lehre und die Predigt von der Wiederkunft Christi in den Kirchen so unbeliebt? Während die Ankunft des Herrn dem Übeltäter Leid und Verderben bringt, so bedeutet sie für den Gerechten Freude und Hoffnung. Diese große Wahrheit brachte den Treuen Gottes zu allen Zeiten Trost. Warum ist sie seinem bekennenden Volk sowie seinem Urheber zum "Stein des Anstoßes" und zum "Fels des Ärgernisses" geworden? Der Herr selbst gab seinen Jüngern die Verheißung: "Wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen." (Johannes 14,3) Weil Jesus die Verlassenheit und den Kummer seiner Nachfolger voraussah, beauftragte er seine Engel, sein Volk mit der Zusicherung zu trösten, dass er persönlich zurückkommen werde, und zwar so, wie er in den Himmel gefahren sei. Als die Jünger in den Himmel starrten, um einen letzten Blick auf den zu werfen, den sie liebten, wurde ihre Aufmerksamkeit auf die Worte gelenkt: "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen." (Apostelgeschichte 1,11) Durch die Botschaft des Engels wurde ihre Hoffnung neu belebt. Die Jünger "kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott" (Lukas 24,52. 53). Sie freuten sich nicht, weil sie von Jesus getrennt und in ihren Prüfungen und ihrem Kampf gegen die Versuchungen allein gelassen wurden, sondern weil ihnen der Engel versichert hatte, dass Jesus wiederkomme.

Unverständnis Statt Freude

Die Verkündigung der Wiederkunft Christi sollte wie damals, als Engel das Kommen des Erlösers den Hirten Bethlehems verkündigten, eine Botschaft großer Freude sein. Die sehnsüchtig Wartenden können diese biblisch begründete Verkündigung nur mit Freude begrüßen. Derjenige, auf dem ihre Hoffnung auf ewiges Leben beruht, würde wiederkommen, nicht um geschmäht, verachtet und verworfen zu werden wie bei seinem ersten Kommen, sondern in Macht und Herrlichkeit, um sein Volk zu erlösen. Wer Christus nicht liebt, wünscht sich, dass er wegbleiben möge, und es könnte keinen überzeugenderen Beweis dafür geben, dass die Kirchen sich von Gott entfernt haben, als die Verärgerung und Feindseligkeit, die durch diese vom Himmel gesandte Botschaft ausgelöst wurde.

Wer die Lehre von der Wiederkunft jedoch annahm, erkannte die Notwendigkeit der Umkehr und der Demut vor Gott. Manche zögerten lange, sich für Christus oder für die Welt zu entscheiden; nun fühlten sie aber, dass es an der Zeit war, einen festen Standpunkt einzunehmen. "Alles, was die Ewigkeit betrifft, nahm für sie eine ungewöhnliche Wirklichkeit an. Der Himmel wurde ihnen nahegebracht und sie fühlten sich vor Gott schuldig." (BMM, 146) Christen erwachten zu neuem geistlichem Leben. Ihnen wurde klar, dass die Zeit kurz war und bald getan werden musste, was sie für ihre Mitmenschen zu tun hatten. Irdisches trat in den Hintergrund, die Ewigkeit schien sich vor ihnen zu öffnen, und was zum ewigen Wohl oder Wehe des Menschen gehörte, ließ das Zeitliche verblassen. Der Geist Gottes ruhte auf ihnen und unterstützte den ernsten Aufruf an ihre Brüder sowie an die Sünder, sich auf den Tag Gottes vorzubereiten. Ihr Alltagsleben war ein stilles Zeugnis und ein ständiger Tadel für formalistische und ungeheiligte Kirchenglieder. Sie wollten in ihrer Jagd nach Vergnügungen, in ihrem Hang zum Gelderwerb und weltlicher Ehre nicht gestört werden. Dies erklärt die Feindschaft und den Widerstand gegen den Adventglauben und seine Verkündiger.

Da die Beweisführungen der prophetischen Zeitperioden unwiderlegbar waren, versuchten die Gegner, vom Studium dieses Themas dadurch abzuschrecken, dass sie lehrten, die Prophezeiungen seien versiegelt. So traten die Protestanten in die Fußspuren der Vertreter Roms. Während diese dem Volk die Bibel55 vorenthielten, behaupteten protestantische Kirchen, ein wichtiger Teil der Heiligen Schrift - nämlich die Wahrheiten, die sich insbesondere auf unsere Zeit beziehen - könnte nicht verstanden werden.

Prediger und Volk erklärten, die Weissagungen Daniels und der Offenbarung seien unverständliche Geheimnisse. Aber Christus lenkte die Aufmerksamkeit seiner Jünger auf die Worte des Propheten Daniel und auf Ereignisse, die in ihrer Zeit stattfinden sollten, als er sagte: "Wer das liest, der merke darauf!" (Matthäus 24,15) Der Behauptung, dass die Offenbarung ein Geheimnis sei, das nicht verstanden werden könne, wird schon durch den Titel dieses Buches widersprochen: "Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll. ... Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe." (Offenbarung 1,1-3)

Der Prophet sagt: "Selig ist, der da liest ...". Es gibt jedoch solche, die gar nicht lesen. Sie erhalten diesen Segen nicht. - "... und die da hören ...". Es gibt auch solche, die gar nichts über die Prophezeiungen hören wollen. Auch diese Gruppe erhält den Segen nicht. - ". und behalten, was darin geschrieben ist." Viele lehnen es ab, die in der Offenbarung enthaltenen Warnungen und Unterweisungen zu beherzigen.

Niemand aus diesen Gruppen kann die verheißenen Segnungen beanspruchen. Wer die Prophezeiungen ins Lächerliche zieht und über ihre feierlich gegebenen Sinnbilder spottet; wer sich weigert, sein Leben zu erneuern und sich auf das Kommen des Menschensohnes vorzubereiten, wird ohne Segen bleiben.

Wie können es Menschen mit Blick auf diese Zeugnisse wagen, zu behaupten, die Offenbarung sei ein Geheimnis und übersteige menschliches Verständnis? Geheimnisse werden dort offenbart, das Buch geöffnet. Das Studium der Offenbarung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Prophezeiungen Daniels. Beide Bücher enthalten außerordentlich wichtige Hinweise über die Ereignisse, die Gott den Menschen gegeben hat, die am Ende der Weltgeschichte ablaufen.

Johannes erhielt einen tiefen und spannenden Einblick in die Geschichte der Christengemeinde. Er sah die Gefahren und Konflikte des Volkes Gottes und seine endgültige Befreiung. Er berichtet von den letzten Botschaften, welche die Ernte der Erde zur Reife bringen sollen, entweder als Garben für den himmlischen Speicher oder als Brennholz für das Feuer der Vernichtung. Dinge von großer Bedeutung wurden ihm insbesondere für die letzte Gemeinde offenbart, damit die, die sich vom Irrtum ab und der Wahrheit zuwenden, über die Gefahren und Konflikte, die vor ihnen liegen, aufgeklärt werden können. Niemand braucht über das zukünftige Geschehen auf Erden im Ungewissen zu bleiben.

Warum herrscht über diesen wichtigen Teil der Heiligen Schrift dann allgemein so viel Unkenntnis? Warum herrscht eine allgemeine Abneigung gegen die Erforschung dieser Lehren? Das ist das Ergebnis eines wohl überlegten Plans des Fürsten der Finsternis, um den Menschen genau das vorzuenthalten, was seine Täuschungen offenlegt. Aus diesem Grund verkündigte Christus, der Verfasser der Offenbarung, einen Segen über alle, welche die Worte der Weissagung lesen, hören und beachten, weil er den Kampf voraussah, welcher wegen des Studiums der Offenbarung ausbrechen sollte.