Vom Schatten Zum Licht

Kapitel 20

Eine Grosse Erweckungs-Bewegung

[AUDIO]

In der Botschaft des ersten Engels aus Offenbarung 14 wird durch die Verkündigung der baldigen Wiederkunft Christi eine große religiöse Erweckung vorhergesagt. Johannes sieht "einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, allen Nationen und Stämmen und Sprachen und Völkern" (Offenbarung 14,6). "Mit großer Stimme" verkündete er die Botschaft: "Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen." (Offenbarung 14,7)

Weissagungen Entschlüsselt

Wenn gesagt wird, dass ein Engel diese Warnung verkündigt, ist das äußerst bedeutungsvoll. Es hat Gott in seiner Weisheit gefallen, den erhabenen Charakter des Werkes, das es auszuführen galt, mit der Reinheit, der Herrlichkeit und der Macht eines himmlischen Boten zu vergleichen, denn diese Botschaft würde von Macht und Herrlichkeit begleitet sein. "Und ich sah einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, allen Nationen und Stämmen und Sprachen und Völkern." (Offenbarung 14,6) Der Flug des Engels "mitten durch den Himmel" und seine "große Stimme", die eine Warnung an alle ist, "die auf Erden wohnen", weisen auf die Schnelligkeit und weltweite Ausdehnung dieser Bewegung hin.

Die Botschaft selbst wirft ein Licht auf die Zeit, in der diese Bewegung entstehen soll. Über sie sagt der Text, dass sie ein Teil des "ewigen Evangeliums" ist und den Beginn des Gerichts verkündigt. Die Heilsbotschaft wurde zu allen Zeiten gepredigt. Diese Botschaft hingegen ist ein Teil des Evangeliums, das erst in den letzten Tagen verkündigt werden konnte, denn erst dann würde es zutreffen, dass die Stunde des Gerichts gekommen ist. Die Prophetie berichtet über eine Reihe von Ereignissen, die zum Beginn des Gerichts hinführen. Dies wird insbesondere im Buch Daniel beschrieben. Den Abschnitt der Prophezeiung, der sich auf die letzten Tage bezieht, sollte Daniel verbergen und versiegeln "bis auf die letzte Zeit" (Daniel 12,9). Erst zu dieser Zeit konnte die Botschaft über das Gericht verkündigt werden, gegründet auf die Erfüllung dieser Prophezeiungen. Aber in der letzten Zeit, sagt der Prophet, werden viele sie "durchforschen und große Erkenntnis finden" (Daniel 12,4).

Der Apostel Paulus warnte die Gemeinde, die Wiederkunft Christi in seinen Tagen zu erwarten: Denn der Tag Christi kommt nicht, schrieb er, ohne dass zuvor "der Abfall" komme "und der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbart" werde (2. Thessalonicher 2,3 Elb.). Erst nach dem großen Abfall und der langen Regierungszeit des "Menschen der Gesetzlosigkeit" dürfen wir die Ankunft unseres Herrn erwarten. Der "Mensch der Gesetzlosigkeit", der auch als "Geheimnis der Gesetzlosigkeit" (V. 7), "Sohn des Verderbens" (V. 3) und "Gesetzesfeind" (V. 8 ZÜ) bezeichnet wird, ist das Papsttum, das, wie vorhergesagt, 1260 Jahre herrschen sollte. Diese Zeit endete 1798. Die Wiederkunft Christi konnte nicht vor dieser Zeit stattfinden. Paulus schließt in seine Vorhersage die ganze christliche Zeit bis 1798 ein. Erst nach dieser Zeit sollte die Botschaft von der Wiederkunft Christi verkündigt werden.

Eine solche Botschaft wurde in der Vergangenheit nie gepredigt. Wie wir gesehen haben, predigte Paulus sie nicht. Er wies seine Brüder bezüglich der Wiederkunft auf eine ferne Zukunft hin. Die Reformatoren verkündigten sie nicht. Martin Luther erwartete das Gericht ungefähr 300 Jahre nach seiner Zeit. Aber seit 1798 ist das Buch Daniel entsiegelt, die Prophezeiungen werden immer besser verstanden, und viele haben die ernste Botschaft vom nahenden Gericht verkündigt.

Wie die große Reformation im 16. Jahrhundert kam die Adventbewegung in verschiedenen Ländern der Christenheit gleichzeitig auf. Sowohl in Europa als auch in Amerika wurden Männer des Glaubens und Gebets zum Studium der Prophezeiungen geführt, durchforschten die inspirierten Berichte und fanden überzeugende Hinweise, dass das Ende aller Dinge nahe war. Unabhängig voneinander studierten einzelne Gruppen von Christen in verschiedenen Ländern die Heilige Schrift und kamen allein durch sie zu der Überzeugung, dass die Ankunft des Erlösers nahe bevorstand.

Ein Bekehrter Jude

1821, drei Jahre nachdem Miller die Prophezeiungen verstanden und auf die Zeit des Gerichts hingewiesen hatte, begann Dr. Joseph Wolff, der "Weltmissionar", das baldige Kommen des Herrn zu verkündigen. Wolff wurde in Deutschland geboren, war jüdischer Abstammung und Sohn eines Rabbiners. Schon in frühester Jugend war er von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugt. Da er einen regen und forschenden Geist hatte, hörte er den Gesprächen im Haus seines Vaters oft interessiert zu. Täglich trafen sich dort fromme Juden, die von den Hoffnungen und Erwartungen ihres Volkes sprachen, vom Kommen des Messias und der Wiederherstellung Israels. Als der Junge eines Tages den Namen Jesus von Nazareth hörte, fragte er, wer das sei. Die Antwort lautete: "Ein höchst begabter Jude, weil er aber vorgab, der Messias zu sein, verurteilte ihn das jüdische Gericht zum Tode." - "Warum ist Jerusalem zerstört", fuhr er fort, "und warum sind wir in Gefangenschaft?" - "Ach", antwortete der Vater, "weil die Juden die Propheten umbrachten." Dem Kind kam sofort der Gedanke: "Vielleicht war auch Jesus von Nazareth ein Prophet und die Juden haben ihn getötet, obgleich er unschuldig war." (WRE, I, 6 ff.) Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Weil es ihm verboten war, christliche Kirchen zu betreten, stand er oft draußen vor den Gebäuden, um den Predigten zuzuhören.

Bereits als er sieben Jahre alt war, prahlte er gegenüber einem älteren christlichen Nachbarn über den zukünftigen Triumph Israels beim Erscheinen des Messias, worauf der alte Mann freundlich zu ihm sagte: "Mein Junge, ich will dir sagen, wer der wirkliche Messias war: Es war Jesus von Nazareth ... den deine Vorfahren kreuzigten, wie sie vorzeiten auch andere Propheten umbrachten. Geh heim und lies das 53. Kapitel des Propheten Jesaja und du wirst überzeugt werden, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist." (WRE, I, 6 ff.) Sofort überkam ihn eine Ahnung, dass das stimmen könnte. Er ging nach Hause, las den betreffenden Abschnitt in der Bibel und wunderte sich, wie genau sich dieser in Jesus von Nazareth erfüllt hatte. Waren die Worte dieses Christen wahr? Der Knabe bat seinen Vater um eine Erklärung dieser Prophezeiungen, doch dieser hüllte sich daraufhin so sehr in Schweigen, dass der Junge es nie wieder wagte, das Thema zu erwähnen. Dadurch wurde jedoch sein Verlangen, mehr über den christlichen Glauben zu erfahren, noch stärker.

Das Wissen, das er suchte, wurde in seinem jüdischen Familienkreis absichtlich von ihm ferngehalten. Als er elf Jahre alt war, verließ er das Haus seines Vaters und zog in die Welt, um sich selbst eine gute Ausbildung zu verschaffen, sowie seine Religion und sein Lebenswerk zu wählen. Er fand eine Zeit lang bei Verwandten Unterkunft, wurde aber bald als Abtrünniger von ihnen vertrieben und musste allein und mittellos seinen Weg unter Fremden finden. Er zog von Ort zu Ort, studierte fleißig und gab Hebräischstunden, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Durch den Einfluss eines katholischen Lehrers wurde er zum katholischen Glauben geführt. Dadurch fasste er den Entschluss, Missionar unter seinem eigenen Volk zu werden. Einige Jahre später schrieb er sich am "Collegium pro fide propaganda" [Kollegium für Glaubenspropaganda] in Rom ein und setzte dort seine Studien fort. Hier brachte ihm sein unabhängiges Denken und seine offene Rede den Vorwurf der Ketzerei ein. Offen griff er die Missbräuche der Kirche an und forderte eine Erneuerung. Obwohl ihn die päpstlichen Würdenträger anfänglich mit besonderer Achtung behandelten, musste er Rom nach einiger Zeit verlassen. Unter Aufsicht der Kirche zog er von Ort zu Ort, bis es schließlich deutlich wurde, dass er sich nie dem Zwang der römischen Kirche unterwerfen würde. Er wurde für unverbesserlich erklärt, und man ließ ihn ziehen, wohin er wollte. Nun machte er sich auf den Weg nach England, wo er den protestantischen Glauben annahm und sich der anglikanischen Kirche anschloss. Nach zweijährigem Studium begann er 1821 sein Lebenswerk.

Als Wolff die große Wahrheit vom ersten Kommen Christi als "des Allerverachtetsten und Unwertesten, voller Schmerzen und Krankheit" (Jesaja 53,3) annahm, erkannte er aber auch, dass die Prophetie mit gleicher Deutlichkeit von dessen Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit spricht. Während Wolff versuchte, sein Volk zu Jesus von Nazareth, dem Verheißenen, zu führen und es auf sein erstes Erscheinen in Demut als ein Opfer für die Sünden der Menschen hinzuweisen, lehrte er auch Christi Wiederkunft als König und Erlöser.

Er sagte: "Jesus von Nazareth, der wahre Messias, dessen Hände und Füße durchbohrt wurden, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, der ein Mann der Schmerzen und Leiden war, der zum ersten Mal kam, nachdem das Zepter von Juda und der Herrscherstab von seinen (Judas) Füßen gewichen war, wird zum zweiten Mal kommen in den Wolken des Himmels mit der Posaune des Erzengels." (WFM, 62) Er wird "auf dem Ölberg stehen; und jene Herrschaft über die Schöpfung, die einst Adam zugewiesen war und von ihm verwirkt wurde (vgl. 1. Mose 1,26 und 3,17), wird Jesus gegeben werden. Er wird König sein über die ganze Erde. Das Seufzen und Klagen der Schöpfung wird aufhören, und Lob und Danklieder werden erschallen. ... Wenn Jesus in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen heiligen Engeln kommt ... werden die Toten in Christus zuerst auferstehen (1. Thessalonicher 4,16; 1. Korinther 15,23). Dies nennen wir Christen die erste Auferstehung. Danach wird die Tierwelt ihren Charakter ändern (Jesaja 11,6-9) und Jesus untertan werden (Psalm 8). Allgemeiner Friede wird herrschen. ... Der Herr wird wiederum auf die Erde herniederschauen und sagen: Siehe, es ist sehr gut." (WT, 378.379.294)

Prediger Der Wiederkunft

Wolff glaubte, dass die Ankunft des Herrn kurz bevorstand, und seine Interpretation der Prophetie wich nur um wenige Jahre von der vorhergesagten Zeit Millers ab. Jenen, die auf den Schrifttext "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand" (Matthäus 24,36) hinwiesen und daraus folgerten, dass Menschen nichts über die Nähe der Wiederkunft Christi wissen dürften, antwortete Wolff: "Sagte unser Herr, dass der Tag und die Stunde nie bekannt werden sollten? Hat er uns nicht Zeichen der Zeit gegeben, damit wir wenigstens das Herannahen seiner Wiederkunft erkennen könnten, so wie man an dem Feigenbaum, wenn er Blätter treibt, weiß, dass der Sommer nahe ist (Matthäus 24,32)? Sollen wir jene Zeit nie erkennen können, obgleich er uns selbst ermahnt, den Propheten Daniel nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen? Gerade im Buch Daniel heißt es, dass diese Worte bis auf die Zeit des Endes verborgen bleiben sollten (was zu seiner Zeit der Fall war) und dass viele darüber kommen (ein hebräischer Ausdruck für betrachten und nachdenken über die Zeit) und ›große Erkenntnis (hinsichtlich der Zeit) finden‹ würden (Daniel 12,4). Überdies will unser Herr damit nicht sagen, dass das Herannahen der Zeit unbekannt bleiben soll, sondern nur, dass niemand den bestimmten ›Tag und die genaue Stunde‹ weiß. Er sagt, es soll genügend durch die Zeichen der Zeit bekannt werden, um uns anzutreiben, uns auf seine Wiederkunft vorzubereiten, gleichwie Noah die Arche baute." (WFM, 62)

Über die volkstümliche Auslegung bzw. Missdeutung der Heiligen Schrift schrieb Wolff: "Der größere Teil der christlichen Kirche ist von dem klaren Sinn der Heiligen Schrift abgewichen und hat sich der trügerischen Lehre des Buddhismus zugewandt, die vorgibt, dass das zukünftige Glück der Menschen in einem Herumschweben in der Luft bestehe. Diese Leute nehmen an, dass man Heiden verstehen muss, wenn Juden dasteht; dass die Kirche gemeint sei, wenn sie Jerusalem lesen; dass es Himmel bedeute, wenn es heißt Erde; dass an den Fortschritt der Missionsgesellschaften zu denken sei, wenn vom Kommen des Herrn die Rede ist; und dass unter dem Ausdruck ›auf den Berg des Hauses Gottes gehen‹, eine große Versammlung der Methodisten zu verstehen sei." (WT, 96)

In den 24 Jahren von 1821 bis 1845 bereiste Wolff viele Länder. In Afrika besuchte er Ägypten und Abessinien; in Asien Palästina, Syrien, Persien, Buchara56 sowie Indien. Er besuchte auch die Vereinigten Staaten, und auf der Reise dorthin predigte er auf der Insel St. Helena. Im August 1837 traf er in New York ein. Nach Vorträgen in dieser Stadt predigte er in Philadelphia und Baltimore, dann reiste er nach Washington weiter. "Hier wurde mir", sagt er, "auf Vorschlag von Expräsident John Quincy Adams in einem der Häuser des Kongresses einstimmig die Benutzung des Kongresssaales für einen Vortrag zur Verfügung gestellt, den ich an einem Samstag in Gegenwart sämtlicher Mitglieder des Kongresses, des Bischofs von Virginia sowie der Geistlichkeit und der Bürger von Washington hielt. Die Mitglieder der Regierung von New Jersey und Pennsylvania zollten mir die gleiche Ehre. In ihrer Gegenwart hielt ich Vorlesungen über meine Forschungen in Asien sowie auch über die persönliche Regentschaft von Jesus Christus" (WT, 377).

Dr. Wolff reiste ohne den Schutz irgendeiner europäischen Regierung durch unzivilisierteste Länder. Oft geriet er in Not und war von zahllosen Gefahren umgeben. Er wurde verprügelt, musste hungern, wurde als Sklave verkauft und dreimal zum Tod verurteilt. Räuber überfielen ihn, und manchmal wäre er fast verdurstet. Einmal wurde ihm alles gestohlen, was er besaß, und er musste zu Fuß Hunderte von Kilometern durch ein Gebirge wandern, während ihm der Schnee ins Gesicht schlug und seine nackten Füße durch die Berührung mit dem gefrorenen Boden erstarrten.

Wenn man ihn davor warnte, unbewaffnet zu wilden und feindseligen Stämmen zu gehen, so erklärte er, dass er sehr wohl "mit Waffen ausgerüstet" sei, nämlich mit dem Gebet, "mit Eifer für Christus und mit Vertrauen auf seine Hilfe." "Ich habe auch", sagte er, "die Liebe zu Gott und meinem Nächsten im Herzen und trage die Bibel in meiner Hand." Wohin er auch ging, er hatte immer eine hebräische und eine englische Bibel bei sich. Über eine seiner späteren Reisen sagt er: "Ich ... hielt die Bibel offen in meiner Hand. Ich fühlte, dass meine Kraft in dem Buch lag und dass seine Macht mich erhalten würde." (AP, 192 ff.)

So mühte er sich beharrlich, bis die Gerichtsbotschaft über einen großen Teil der bewohnten Erde verbreitet war. Er verkündigte das Wort in verschiedenen Sprachen unter Juden, Türken, Parsen, Hindus und vielen anderen Völkern und Stämmen und prophezeite überall das kommende Reich des Messias.

Auf seiner Reise durch Buchara stieß er bei einem entlegenen und abgesonderten Volksstamm auf die Lehre von der baldigen Wiederkunft des Herrn. Von den Arabern des Jemen sagt er ferner, dass sie "im Besitz eines Buches sind, ›Seera‹ genannt, das von der Wiederkunft Christi und seiner Regierung in Herrlichkeit spricht, und sie erwarten 1840 große Ereignisse" (WT, 398/399). "Im Jemen ... verbrachte ich sechs Tage mit den Nachkommen Rechabs. Sie trinken keinen Wein, pflanzen keine Weinberge, säen keine Saat, wohnen in Zelten und gedenken der Worte Jonadabs, des Sohnes Rechabs. Es befanden sich auch Israeliten aus dem Stamm Dan bei ihnen ... die gemeinsam mit den Kindern Rechabs die baldige Ankunft des Messias in den Wolken des Himmels erwarten." (WT, 389)

Auf einen ähnlichen Glauben stieß ein anderer Missionar bei den Tataren. Ein tatarischer Priester fragte diesen Missionar, wann Christus wiederkomme. Als der Missionar antwortete, dass er davon nichts wisse, war der Priester über die Unwissenheit dieses professionellen Bibellehrers äußerst überrascht und erklärte seinen eigenen Glauben, der auf der Prophezeiung beruhte, dass Christus um 1844 wiederkommen würde.

Hoffnung Unter Anglikanern Und Jesuiten

In England fing man schon 1826 an, die Adventbotschaft zu predigen. Die Bewegung nahm keine so eindeutige Form an wie in Amerika. Der genaue Zeitpunkt der Wiederkunft wurde nicht generell gelehrt, aber die große Wahrheit von Christi baldigem Kommen in Macht und Herrlichkeit war sehr weit verbreitet und nicht nur unter Dissidenten und Nonkonformisten. Der englische Schriftsteller Mourant Brock berichtet von 700 anglikanischen Predigern, die das "Evangelium vom Reich" verkündigten. Die Botschaft von der Wiederkunft des Herrn im Jahre 1844 wurde auch in Großbritannien verkündigt. Publikationen der amerikanischen Adventbewegung waren weit verbreitet. Ihre Bücher und Zeitschriften wurden in England nachgedruckt. 1842 kehrte der gebürtige Engländer Robert Winter, der in den USA den Adventglauben angenommen hatte, in seine Heimat zurück und verkündigte dort das Kommen des Herrn. Viele schlossen sich seinem Werk an, und die Gerichtsbotschaft wurde in verschiedenen Teilen Englands verbreitet.

In Südamerika (in Chile) fand der spanische Jesuit Manuel Lacunza y Diaz inmitten barbarischer Unwissenheit und priesterlicher List seinen Weg zur Heiligen Schrift und damit zur Wahrheit von der baldigen Wiederkunft Christi. Einerseits fühlte er sich zur Verkündigung der Warnungsbotschaft gedrungen, andererseits wollte er der Zensur Roms entkommen, deshalb veröffentlichte er seine Ansichten unter dem Pseudonym "Rabbi Ben-Ezra" und gab sich als bekehrter Jude aus. Lacunza lebte im 18. Jahrhundert, doch sein Buch erschien erst 1811, zehn Jahre nach seinem Tod. 1825 wurde es ins Englische übersetzt, nachdem es seinen Weg nach London gefunden hatte. Durch diese Herausgabe stieg das erwachende Interesse Englands an der Wiederkunft Christi weiter an.

Hoffnung In Deutschland

In Deutschland wurde diese Lehre im 18. Jahrhundert von Johann Albrecht Bengel, einem berühmten Bibelgelehrten, Kritiker und Prälaten der lutherischen Kirche, gepredigt. Nach Beendigung seiner Schulzeit hatte Bengel "sich dem Studium der Theologie gewidmet, wozu ihn sein tief ernstes und frommes Gemüt von Natur aus hinzog, erweitert und verstärkt durch seine frühe Bildung und Erziehung. Wie andere denkende junge Männer vor und nach ihm hatte auch er mit religiösen Zweifeln und Schwierigkeiten zu kämpfen, und mit tiefem Gefühl spricht er von den vielen Pfeilen, die sein armes Herz durchbohrten und seine Jugend schwer erträglich machten" (EB, Art. J.A. Bengel, vgl. RE, II, 295-301). Später als Mitglied des Württembergischen Konsistoriums (der Landeskirchenbehörde) trat er für die Religionsfreiheit ein. "Indem er alle Rechte und Vorrechte der Kirche aufrechterhielt, befürwortete er, jede billige Freiheit denen zu gewähren, die sich aus Gewissensgründen gebunden fühlten, sich aus ihrer Gemeinschaft zurückzuziehen." (EB, Art. J.A. Bengel, vgl. RE, II, 295-301) Dieser Grundsatz hat sich in seiner näheren Heimat bis heute positiv ausgewirkt.

Während der Vorbereitung einer Predigt für einen Adventsonntag über Offenbarung 21 brach das Licht von Christi Wiederkunft bei Bengel durch. Wie nie zuvor entfalteten sich die Prophezeiungen der Apokalypse seinem Verständnis. Überwältigt von der Erkenntnis der erstaunlichen Bedeutung und einzigartigen Herrlichkeit der Szenen, die von dem Propheten dargestellt werden, sah er sich gezwungen, für eine gewisse Zeit etwas Distanz zu diesem Thema zu halten. Auf der Kanzel ergriff es ihn allerdings wieder in seiner ganzen Lebhaftigkeit und Stärke. Von nun an widmete er sich dem Studium der Prophezeiungen, besonders der Offenbarung, und war bald davon überzeugt, dass sie auf ein baldiges Kommen Christi hinwiesen. Das Datum, das er für die Wiederkunft errechnete, wich nur wenige Jahre von dem Termin ab, den Miller später vertrat.

Bengels Schriften wurden in der ganzen Christenheit verbreitet. Seine Ansichten über die Prophetie wurden im Herzogtum Württemberg und in gewissem Ausmaß auch in anderen Teilen Deutschlands allgemein gut aufgenommen. Die Bewegung ging nach seinem Tod weiter, und die Botschaft wurde gleichzeitig in Deutschland wie in anderen Ländern beachtet. Schon früh zogen einige Gläubige nach Russland und gründeten dort Siedlungen. Der Glaube an das baldige Kommen Jesu ist in diesen Kolonien immer noch zu finden.

Hoffnung In Frankreich Und In Der Schweiz

Auch in Frankreich und in der Schweiz schien das Licht. In Genf, wo Farel und Calvin die Reformationswahrheit verbreitet hatten, predigte Louis Gaussen über die Wiederkunft Christi. Als Schüler nahm Gaussen den Geist des Rationalismus auf, der im späten 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert ganz Europa durchdrang, und als er ins Predigtamt eintrat, war er nicht nur über den wahren Glauben unwissend, sondern neigte gar zur Skepsis. Seit seiner Jugend war er aber am Studium der Prophezeiungen interessiert. Als er das Werk "Histoire ancienne" [Alte Geschichte] von Charles Rollin las, wurde er auf das zweite Kapitel des Buches Daniel aufmerksam. Die wunderbare Genauigkeit, mit der sich die Prophezeiung erfüllt hatte, verblüffte ihn. Darin fand er ein Zeugnis für die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift, das ihm in den Auseinandersetzungen der späteren Jahre zum festen Anker wurde. Die Lehren des Rationalismus befriedigten ihn nicht mehr. Das Studium der Bibel und sein Forschen nach klarerer Erkenntnis führten ihn nach einiger Zeit zu einem festen Glauben.

Bei weiterem Nachforschen in den Prophezeiungen kam er zu der Überzeugung, dass die Wiederkunft des Herrn kurz bevorstand. Er war von dem Ernst und der Bedeutung dieser großen Wahrheit so beeindruckt, dass er sich entschloss, sie den Menschen zu verkündigen. Aber der Volksglaube, wonach die Prophezeiungen Daniels Geheimnisse seien, die man nicht verstehen könne, war für ihn ein schweres Hindernis auf seinem Weg. Schließlich tat er, was schon Farel vor ihm getan hatte, als dieser Genf evangelisierte: Er begann bei den Kindern, durch die er hoffte, das Interesse der Eltern zu gewinnen.

Als er später über diese Absicht sprach, sagte er: "Ich möchte dies so verstanden wissen, dass es nicht wegen der geringen Bedeutung, sondern im Gegenteil des hohen Wertes wegen ist, dass ich diese Sache in dieser vertraulichen Form darzustellen wünschte und mich damit an die Kinder wandte. Ich wollte gehört werden und hatte befürchtet, keine Aufmerksamkeit zu erregen, falls ich mich an die Erwachsenen wenden würde. ... Ich beschloss deshalb, zu den Jüngsten zu gehen. Ich versammelte eine Schar von Kindern um mich. Wenn die Zahl der Anwesenden zunimmt, wenn man sieht, dass sie zuhören, Gefallen daran finden, angezogen werden, dass sie das Thema verstehen und erklären können, dann werde ich sicherlich bald einen zweiten Kreis von Zuhörern haben, und die Erwachsenen ihrerseits werden sehen, dass es die Mühe lohnt, sich hinzusetzen und zu studieren. Geschieht das, dann ist die Sache gewonnen." (GPD, II, Vorwort)

Gaussen hatte Erfolg. Als er Kinder unterrichtete, hörten ihm auch ältere Leute zu. Die Emporen seiner Kirche waren mit aufmerksamen Zuhörern gefüllt, unter ihnen Gelehrte und Männer von Rang und Namen, Fremde und Ausländer, die Genf besuchten, und durch sie wurde die Botschaft in andere Gegenden getragen.

Durch diesen Erfolg ermutigt, veröffentlichte Gaussen seine Lehren in der Hoffnung, das Studium der prophetischen Bücher in den Kirchen der französischsprachigen Welt anzuregen. Er sagte: "Durch die Veröffentlichung des Lehrstoffs, der den Kindern beigebracht worden ist, appellieren wir an die Erwachsenen, die oft solche Bücher vernachlässigen unter dem falschen Vorwand, dass sie unverständlich seien. Wie können sie unverständlich sein, da eure Kinder sie verstehen? ... Ich hatte das dringliche Bestreben", fügte er hinzu, "die bekannten Weissagungen bei unseren Gemeinden, wenn möglich, allgemein bekannt zu machen. ... Es gibt in der Tat kein Studium, das, wie mir scheint, den Bedürfnissen der Zeit besser entspräche. . Hierdurch müssen wir uns vorbereiten auf die bevorstehende Trübsal und warten auf Jesus Christus."

Obwohl Gaussen einer der hervorragendsten und beliebtesten Prediger französischer Sprache war, wurde er doch nach einiger Zeit seines Amtes enthoben. Sein Hauptvergehen war, dass er der Jugend statt des Katechismus, eines faden und rationalistischen Kirchenhandbuchs fast ohne eine Ermutigung für einen positiven Glauben, Bibelunterricht gab. Später wurde er Lehrer an einer theologischen Schule, während er sonntags den Unterricht mit den Kindern fortsetzte und sie in der Heiligen Schrift unterwies. Seine Werke über die Prophezeiungen fanden ebenfalls ein großes Interesse. Von seinem Lehrstuhl aus, über die Presse sowie durch seine Lieblingsbeschäftigung als Lehrer von Kindern fanden seine Ausführungen noch jahrelang Beachtung und ermunterten viele zum Studium der Prophezeiungen, die zeigten, dass der Herr bald kommen werde.

Kinder Predigen In Skandinavien

Auch in Skandinavien wurde die Adventbotschaft gepredigt und fand ein breites Interesse. Viele wurden aus ihrem sorglosen Sicherheitsempfinden aufgeschreckt und bekannten ihre Sünden, ließen von ihnen ab und suchten im Namen Christi Vergebung. Aber die Geistlichkeit der Staatskirche widersetzte sich der Bewegung, und durch ihren Einfluss wurden einige, die die Botschaft verkündigten, ins Gefängnis geworfen. An vielen Orten, wo auf diese Weise die Prediger der Wiederkunft zum Schweigen gebracht wurden, sandte Gott seine Botschaft auf wunderbare Weise durch kleine Kinder. Da sie noch minderjährig waren, konnten sie von Gesetzes wegen nicht daran gehindert werden, und sie durften unbehelligt verkündigen.

Die Bewegung wurde besonders in Arbeiterkreisen gut aufgenommen, und die Leute versammelten sich meist in deren bescheidenen Wohnungen, um die Warnung zu hören. Die Kinderprediger kamen selbst aus armen Kleinbauernfamilien. Einige dieser Kinder waren nicht älter als sechs oder acht Jahre. Während sie durch ihr Leben bezeugten, dass sie ihren Erlöser liebten und sich bemühten, Gottes heiliges Gesetz zu halten, zeigten sie im Allgemeinen nur die Intelligenz und Fähigkeiten, die man normalerweise von Kindern ihres Alters erwarten kann. Standen sie aber vor den Leuten, wurde deutlich, dass sie von einem Einfluss bewegt wurden, der ihre natürlichen Gaben überstieg. Ihr Tonfall und ihr Auftreten änderten sich, und in feierlichem Ernst warnten sie vor dem Gericht mit Worten aus der Schrift: "Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!" (Offenbarung 14,7) Sie rügten die Sünden des Volks und verurteilten nicht nur seine Unmoral und seine Laster, sondern tadelten auch Verweltlichung und Abfall und forderten ihre Zuhörer auf, sich zu beeilen, um dem kommenden Zorn Gottes zu entkommen.

Mit Zittern hörten die Leute zu. Der Geist Gottes, der zu ihren Herzen sprach, überzeugte sie. Viele begannen mit neuem Eifer in der Heiligen Schrift zu forschen. Unmäßige und Unsittliche begannen einen neuen Lebenswandel, andere gaben ihre unredlichen Gewohnheiten auf. Der Auftritt der Kinder war so eindrücklich, dass sogar Geistliche zugeben mussten, dass die Hand Gottes diese Bewegung führte.

Gott wollte, dass die Nachricht von der Wiederkunft Christi auch in den skandinavischen Ländern verbreitet wurde, und als die Stimmen seiner Diener zum Schweigen gebracht wurden, legte er seinen Geist auf Kinder, damit das Werk durchgeführt würde. Als sich Jesus Jerusalem näherte und ihn eine jubelnde Menge umgab, die ihn frohlockend und mit Palmzweigen wedelnd als Sohn Davids ankündigte, forderten ihn die eifersüchtigen Pharisäer auf, das Volk zum Schweigen zu bringen. Doch Jesus antwortete ihnen, dass all dies die Erfüllung einer Prophezeiung sei und wenn diese schwiegen, die Steine reden würden. Das Volk ließ sich durch die Drohungen der Priester und Führer einschüchtern und schwieg, als der Zug durch die Tore Jerusalems zog, aber die Kinder im Tempelhof nahmen später den Ruf auf, schwangen ihre Palmzweige und riefen: "Hosianna dem Sohn Davids!" (Matthäus 21,9) Da wandten sich die Pharisäer verärgert an Jesus und sagten: "Hörst du auch, was diese sagen?" Er aber antwortete: "Ja! Habt ihr nie gelesen: (Psalm 8,3) ›Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet‹?" (Matthäus 21,16) So wie Gott durch Kinder auf das erste Kommen Christi hinwies, wirkte er auch durch sie, als die Botschaft seiner Wiederkunft verkündigt werden sollte. Gottes Wort muss sich erfüllen, dass die Nachricht von der Wiederkunft des Erlösers allen Völkern, Sprachen und Zungen verkündigt wird.

Grossveranstaltungen In Den Usa

William Miller und seine Mitarbeiter waren beauftragt, die Warnung in Amerika zu verkündigen. Dieses Land wurde zum Zentrum der großen Adventbewegung. Hier fand die Weissagung von der ersten Engelsbotschaft ihre unmittelbare Erfüllung. Die Schriften Millers und seiner Mitarbeiter wurden in weit entfernte Länder getragen. Wohin auch immer Missionare auf der ganzen Welt gekommen waren, überall wurde die frohe Botschaft von der baldigen Wiederkunft Christi hingetragen. Nah und fern wurde die Botschaft des ewigen Evangeliums verbreitet: "Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!"

Die Ankündigung der Wiederkunft Christi im Frühjahr 1844 prägte sich tief in die Herzen der Leute ein. Die Botschaft ging von Staat zu Staat und erregte überall großes Aufsehen. Viele waren davon überzeugt, dass die prophetischen Zeiträume richtig berechnet wurden. Eigene Meinungen wurden abgelegt und die Wahrheit freudig angenommen. Einige Prediger gaben ihre sektiererischen Ansichten und Gefühle auf, verzichteten auf ihre Gehälter und schlossen sich der Verkündigung der Wiederkunft an. Es waren jedoch verhältnismäßig wenige Prediger, die die Botschaft annahmen, deshalb wurde sie meist einfachen Laien übertragen. Landwirte verließen ihre Felder, Handwerker ihre Werkstätten, Händler ihre Waren, Fachleute ihre Positionen; und doch war die Anzahl derer klein, die das Werk auszuführen hatten. Der Zustand einer gottlosen Gemeinde und einer Welt, die in Bosheit versank, lastete schwer auf den treuen Wächtern. Willig ertrugen sie Mühen, Entbehrungen und Leiden, damit Menschen zur Umkehr und zum Heil geführt werden konnten. Obwohl sie durch Satan behindert wurden, ging das Werk stetig voran, und die Adventwahrheit wurde von Tausenden angenommen.

Überall wurde das eindringliche Zeugnis gehört, und es warnte weltliche wie kirchliche Sünder, dem kommenden Zorn zu entfliehen. Wie Johannes der Täufer, der Vorläufer Christi, legten die Prediger "die Axt den Bäumen an die Wurzel" (Lukas 3,9) und forderten von allen "Früchte, die der Umkehr entsprechen" (Lukas 3,8 ZÜ). Die ergreifenden Aufrufe standen in offensichtlichem Gegensatz zu den üblichen Zusicherungen von Frieden und Sicherheit, die von den Kanzeln herab ertönten. Das einfache, direkte Zeugnis der Schrift, ausgelöst durch die Kraft des Heiligen Geistes, bewegte etwas im Volk, und nur wenige konnten sich dem entziehen. Bekennende Christen wurden aus ihrer falschen Sicherheit gerissen. Sie erkannten ihren Abfall, ihren Weltgeist, ihren Unglauben, ihren Stolz und ihre Selbstsucht. Viele suchten den Herrn in Buße und Demut. Ihre Wünsche, die so lange nur auf Irdisches gerichtet waren, wurden nun auf den Himmel fixiert. Der Geist Gottes ruhte nun auf diesen Menschen, und einfältigen und demütigen Herzens stimmten sie in den Ruf ein: "Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!"

Sünder fragten weinend: "Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?" (Apostelgeschichte 16,30) Wer einen unlauteren Lebenswandel geführt hatte, war um Wiedergutmachung besorgt. Jedermann, der in Christus Frieden gefunden hatte, sehnte sich danach, die Segnungen anderen mitzuteilen. Die Eltern wandten sich ihren Kindern, Kinder ihren Eltern zu. Unnahbarkeit und Stolz wurden beseitigt. Man bereute Fehler zutiefst. Familienmitglieder kümmerten sich um das Heil derer, die ihnen wert und teuer waren. Oft hörte man ernste Fürbitten. In großer Angst flehten überall Menschen zu Gott. Viele rangen Nächte hindurch um Sündenvergebung oder um die Bekehrung von Verwandten und Nachbarn.

Menschen aller Klassen strömten zu den adventistischen Versammlungen. Reich und Arm, Hoch und Niedrig wollten aus verschiedenen Gründen die biblische Lehre von der Wiederkunft näher kennen lernen. Während seine Diener die Gründe ihres Glaubens erklärten, hielt der Herr Widerstand im Zaum. Oft waren die Werkzeuge schwach, aber der Heilige Geist gab seiner Wahrheit Macht. In den Versammlungen spürte man die Gegenwart der heiligen Engel, und täglich wurden neue Gläubige gewonnen. Wenn Beweise der baldigen Wiederkunft Christi wiederholt wurden, hörten große Mengen atemlos den ernsten Predigten zu. Himmel und Erde schienen sich einander zu nähern. Jung und Alt sowie auch Menschen in der Lebensmitte verspürten die Macht Gottes. Mit Lob auf den Lippen kehrten die Zuhörer in ihre Häuser zurück, und frohe Klänge tönten durch die Stille der Nacht. Niemand, der solche Versammlungen besucht hat, kann die Szenen ernsten Interesses vergessen.

Angeblich Im Ungewissen

Die Verkündigung der Wiederkunft Christi zu einer bestimmten Zeit rief bei allen Gesellschaftsklassen großen Widerstand hervor, vom Pastor auf der Kanzel bis zum verwegensten Sünder. Die Worte der Weissagung gingen in Erfüllung: "Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist." (2. Petrus 3,3.4) Viele, die sagten, dass sie ihren Erlöser liebten, erklärten, dass sie nichts gegen die Lehre von der Wiederkunft Christi einzuwenden hätten, sie seien lediglich gegen die Festsetzung einer bestimmten Zeit. Doch Gottes Auge sah alles und las auch in ihren Herzen. Sie wollten nichts hören von einer Wiederkunft Christi, um die Welt mit Gerechtigkeit zu richten. Sie waren treulose Diener, und ihre Werke würden in der Beurteilung Gottes, der die Herzen prüft, nicht bestehen; deshalb fürchteten sie sich, ihrem Herrn zu begegnen. Wie die Juden zur Zeit des ersten Kommens Christi waren sie nicht bereit, Jesus zu empfangen. Sie lehnten es nicht nur ab, auf die deutlichen Aussagen der Schrift zu hören, sondern machten sich über diejenigen lustig, die den Herrn erwarteten. Satan und seine Engel frohlockten und verspotteten Christus und seine heiligen Engel, weil seine bekennenden Gläubigen so wenig Liebe für ihren Herrn hatten und sein Kommen gar nicht wollten.

"Niemand weiß den Tag oder die Stunde" war das am meisten gebrauchte Argument der Gegner des Adventglaubens. Die Schrift sagt: "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater." (Matthäus 24,36) Dieser Text wurde klar und ausgewogen von denen erklärt, die auf den Herrn warteten, und dadurch wurde die falsche Auslegung ihrer Gegner deutlich. Christus hatte diese Worte während jener denkwürdigen Unterhaltung mit seinen Jüngern auf dem Ölberg ausgesprochen, nachdem er den Tempel zum letzten Mal besucht hatte. Die Jünger hatten die Frage gestellt: "Was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?" (Matthäus 24,3) Jesus nannte ihnen Zeichen und sagte: "Wenn ihr das alles seht, so wisst, dass es nahe vor der Tür ist." (Matthäus 24,33) Eine Aussage des Herrn darf nicht so ausgelegt werden, dass sie einer anderen widerspricht. Wenn auch niemand den Tag und die Stunde seiner Wiederkunft kennt, werden wir doch unterrichtet und sollten wissen, wann sie nahe ist. Es wird uns ferner gesagt, dass die Nichtbeachtung seiner Warnung bzw. die Vernachlässigung oder Zurückweisung des Wissens um die Nähe der Wiederkunft für uns ähnlich fatale Folgen haben wird wie für die Menschen in den Tagen Noahs, die nichts davon wissen wollten, wann die Flut kommen sollte. Das Gleichnis im selben Kapitel, das den treuen Knecht mit dem untreuen vergleicht und das Urteil über jenen ausspricht, der in seinem Herzen sagte, "Mein Herr kommt noch lange nicht" (Matthäus 24,48) zeigt, wie Christus diejenigen sieht und belohnt, die auf ihn warten und sein Kommen verkündigen, im Gegensatz zu jenen, die das ablehnen. "Darum wachet" (V. 42), sagt er. "Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht." (V. 46) "Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde." (Offenbarung 3,3)

Paulus spricht von Menschen, für die der Herr unerwartet erscheinen wird. "Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen ... und sie werden nicht entfliehen." Doch er fügt über diejenigen, welche die Warnung des Herrn beachten, hinzu: "Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis." (1. Thessalonicher 5,2-5)

Somit war deutlich erwiesen, dass es sich von der Schrift her nicht rechtfertigen lässt, über die Nähe der Wiederkunft Christi unwissend zu bleiben. Wer nach einer Entschuldigung suchte, um die Wahrheit zu verwerfen, überhörte einfach diese Erklärung, und kühne Spötter sowie vorgebliche Diener Christi wiederholten immer wieder die Worte: "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand!" Als Leute aufgeschreckt wurden und nach dem Weg des Heils fragten, stellten sich religiöse Lehrer zwischen sie und die Wahrheit und versuchten, durch falsche Auslegungen des Wortes Gottes ihre Ängste zu besänftigen. Untreue Wächter verbanden sich mit dem Werk des großen Betrügers und schrien: "Friede! Friede!", wo Gott nicht von Frieden gesprochen hatte. Wie bei den Pharisäern zur Zeit Christi weigerten sich viele, das Himmelreich zu betreten, und hinderten gleichzeitig andere daran, hineinzukommen. Das Blut dieser Menschen wird von ihrer Hand gefordert werden.

Standhaft Und Bereit

Die Demütigsten und Hingebungsvollsten in den Kirchen waren meist die Ersten, welche die Botschaft annahmen. Wer die Bibel selbst studierte, dem wurde der schriftwidrige Charakter der volkstümlichen Ansichten über die Prophezeiungen deutlich. Wo immer die Menschen nicht von der Geistlichkeit kontrolliert wurden, wo immer sie das Wort selbstständig erforschten, musste die Adventbotschaft nur mit der Schrift verglichen werden, um ihre göttliche Autorität zu bestätigen.

Viele wurden von ihren ungläubigen Brüdern verfolgt. Manche willigten ein, ihre Hoffnung zu verschweigen, nur um ihre Stellung in der Gemeinde behalten zu können. Andere fühlten aber, dass ihnen ihre Treue zu Gott verbot, die Wahrheiten zu verbergen, die der Herr ihnen anvertraut hatte. Nicht wenige wurden aus der Kirche ausgeschlossen, weil sie nichts anderes getan hatten, als ihren Glauben an die Wiederkunft Christi auszudrücken. Die folgenden Worte des Propheten waren Balsam für diejenigen, die eine solche Prüfung zu bestehen hatten: "Es sprechen eure Brüder, die euch hassen und verstoßen um meines Namens willen: Lasst doch den Herrn sich verherrlichen, dass wir eure Freude mit ansehen; doch sie sollen zuschanden werden." (Jesaja 66,5)

Mit größter Anteilnahme verfolgten Engel die Ergebnisse der Warnung. Wenn die Kirchen die Botschaft insgesamt verwarfen, wandten sich die Engel betrübt ab. Aber es gab viele, die wegen der Adventbotschaft noch nicht geprüft worden waren. Viele waren durch Ehemänner, Frauen, Eltern oder Kinder irregeleitet worden, zu glauben, dass es eine Sünde sei, den Ketzereien der Adventgläubigen auch nur zuzuhören. Engel wurden gebeten, treu über diese Menschen zu wachen, denn es sollte noch ein weiteres Licht vom Thron Gottes auf sie scheinen.

Mit unaussprechlichem Verlangen warteten alle, welche die Botschaft angenommen hatten, auf die Ankunft des Herrn. Die Zeit war nahe. Sie erwarteten diese Stunde in stillem Ernst und ruhten in freudiger Gemeinschaft mit Gott, in einem aufrichtigen Frieden, der ihnen in der ewigen Herrlichkeit zuteil werden sollte. Keiner, der diese Hoffnung und dieses Vertrauen miterlebte, kann jene kostbaren Stunden des Wartens vergessen. Schon einige Wochen vor der erwarteten Zeit wurden die meisten weltlichen Aktivitäten beendet. Die aufrichtig Gläubigen prüften jeden Gedanken und jede Gefühlsregung sorgfältig, als lägen sie auf ihrem Totenbett und müssten in wenigen Stunden die Augen schließen. Es wurden keine Kleider für die Himmelfahrt57 angefertigt, aber jedermann wollte die innere Klarheit haben, bereit zu sein, dem Erlöser zu begegnen. Ihr weißes Kleid war die Reinheit ihres Herzens - ein Charakter, der durch das versöhnende Blut Christi gereinigt wurde. Gäbe es im Volk Gottes doch heute noch den gleichen Geist, der die Herzen durchforscht, den gleichen entschlossenen Glauben! Wenn sie sich weiterhin vor dem Herrn so gedemütigt und ihre Bitten zum Gnadenthron geschickt hätten, wären sie jetzt im Besitz weit köstlicherer Erfahrungen. Es wird zu wenig gebetet, es gibt zu wenig wirkliche Sündenerkenntnis, und der Mangel an lebendigem Glauben hält manchen von der Gnade fern, die unser Erlöser doch so reichlich bereithält.

Gott wollte sein Volk prüfen. Seine Hand verdeckte einen Fehler bei der Auslegung der prophetischen Zeitketten. Die Adventgläubigen bemerkten diesen Irrtum nicht, er wurde auch nicht von den gelehrtesten ihrer Gegner aufgedeckt. Diese sagten: "Eure Berechnung der prophetischen Zeitabschnitte ist richtig. Irgendein großes Ereignis wird stattfinden, doch nicht das, was Mr. Miller vorhersagt, es ist die Bekehrung der Welt und nicht die Wiederkunft Christi." 58

Der erwartete Zeitpunkt verstrich, und Christus erschien nicht zur Befreiung seines Volkes. Alle, die aufrichtig in Glauben und Liebe auf den Herrn gewartet hatten, waren jetzt bitter enttäuscht. Gott aber hatte sein Ziel erreicht, er prüfte die Herzen derer, die vorgaben, auf Christi Wiederkunft gewartet zu haben. Unter ihnen waren viele, die von keinem höheren Beweggrund als von Angst getrieben wurden. Ihr Glaubensbekenntnis hatte weder ihre Herzen noch ihren Lebenswandel beeinflusst. Als das erwartete Ereignis ausblieb, erklärten diese Leute: "Wir sind nicht enttäuscht. Wir haben nie geglaubt, dass Christus wiederkommen würde." Sie gehörten zu den Ersten, die über den Schmerz der wahrhaft Gläubigen spotteten.

Doch Jesus und die himmlischen Heerscharen schauten mit Liebe und Anteilnahme auf die geprüften und treuen, aber enttäuschten Gläubigen herab. Hätte man den Vorhang beiseite schieben können, der die sichtbare Welt von der unsichtbaren trennt, so hätte man Engel sehen können, wie sie sich den standhaften Gläubigen näherten, um sie vor den Pfeilen Satans zu schützen.