Diener des Evangeliums

Kapitel 6

Christus unser Vorbild

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Unser Heiland Jesus Christus kam in diese Welt, um unermüdlich den Bedürfnissen des Menschen zu dienen. "Er hat unsre Schwachheiten auf sich genommen und unsre Seuchen hat er getragen" (Matthäus 8,17), damit er in jeglicher Not der Menschheit dienen könne. Er kam, um die Last der Krankheit, des Elends und der Sünde zu entfernen. Seine Aufgabe war, den Menschen eine allumfassende Wiederherstellung zu bringen, ihnen Gesundheit, Frieden und einen vollkommenen Charakter zu verleihen.

Sehr verschieden waren die Umstände und Bedürfnisse derer, die seine Hilfe suchten, aber keiner, der zu ihm kam, ging hinweg, ohne daß ihm geholfen war. Es ging ein Strom heilender Kraft von ihm aus, und die Menschen wurden gesund an Leib, Seele und Geist.

Das Werk des Heilandes war nicht an Zeit oder Ort gebunden; sein Mitleid kannte keine Grenzen. Sein Werk der Heilung und Belehrung nahm solch großen Umfang an, daß kein Gebäude in Palästina groß genug war, die Mengen zu fassen, die sich um ihr scharten. An den grünen Abhängen der Berge Galiläas, auf den Landstraßen, am Ufer des Sees, in den Schulen und überall, wo nur Kranke zu ihm gebracht werden konnten, war sein Krankenhaus. In jeder von ihm bereisten Stadt, jedem Flecken, jedem Dorf legte er die Hände auf die Leidenden und heilte sie. Überall, wo Herzen für seine Botschaft bereit waren, tröstete er sie durch die Versicherung der Liebe ihres himmlischen Vaters. Den ganzen Tag diente er denen, die zu ihm kamen, und am Abend schenkte er solchen seine Aufmerksamkeit, die tagsüber arbeiten mußten, um den Unterhalt für ihre Familien zu erwerben.

Jesus trug die schwere Bürde der Verantwortlichkeit für die Errettung der Menschen. Er wußte, daß alle verloren sein würden, wenn nicht ein entschiedener Umschwung in den Grundsätzen und Zielen des Menschengeschlechts stattfände. Dies war die Last seiner Seele, und niemand konnte es würdigen, wie schwer sie auf ihm ruhte. Er ging allein durch seine Kindheit, seine Jugend und sein Mannesalter. In seiner Gegenwart sein zu können, bedeutete den Himmel. Täglich mußte er Prüfungen und Versuchungen begegnen, täglich wurde er mit allerlei Übeln in Berührung gebracht und war Zeuge von deren Macht auf die Seelen, die er zu segnen und zu retten suchte. Dennoch wurde er nicht müde noch entmutigt.

In allen Dingen ordnete er seine Wünsche seiner Mission unter. Er verherrlichte sein Leben, indem er alles dem Willen seines Vaters untertänig machte. Als seine Mutter ihn als Knaben unter den Schriftgelehrten sitzend fand und ihn fragte: "Mein Sohn, warum hast du uns das getan?" antwortete er -- und seine Antwort ist des Schlüssel zu seinem Lebenswerk --: "Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?" Lukas 2,48.49.

Sein Leben war eine beständige Selbsthingabe. Er besaß kein Heim in dieser Welt, außer wenn Freunde ihn aus Güte als einen Wanderer aufnahmen. Er kam, um unsertwillen das Leben der Ärmsten zu führen und unter den Bedürftigen und Leidenden zu wandeln und zu wirken. Unerkannt und ungeehrt verkehrte er mit und unter dem Volk, für das er so viel getan hatte.

Er war stets geduldig und heiter, und die irgendwie litten, begrüßten ihn als den Boten des Lebens und Friedens. Er sah die Bedürfnisse der Erwachsenen, der Jugend und der Kinder, und an alle ließ er die Einladung ergehen: "Kommet her zu mir."

Während seiner Missionsarbeit verwandte Jesus mehr Zeit aufs Heilen der Kranken als aufs Predigen. Seine Wunder bezeugten die Wahrheit seiner Worte, daß er nicht gekommen sei zu verderben sondern zu retten. Wo er sich auch hinwandte, ging ihm die Kunde von seiner Barmherzigkeit voraus. Wo er vorübergegangen war, er freuten sich alle, die seines Mitleids teilhaftig geworden waren, der Gesundheit und erprobten ihre neugewonnenen Kräfte. Große Mengen versammelten sich um sie, um von ihren Lippen zu vernehmen, welche Werke der Herr vollbracht hatte. War doch seine Stimme der erste Klang gewesen, den viele jemals vernommen, sein Name das erste Wort, das sie je gesprochen, sein Angesicht das erste, in das sie je geschaut hatten! Warum sollten sie Jesum nicht lieben und seinen Ruhm verkündigen? Sein Gang durch Städte und Dörfer war einem lebendigen Strom gleich, der Leben und Freude verbreitet.

Jedes Werk der Heilung benutzte der Heiland als Gelegenheit, in Herz und Seele göttliche Grundsätze einzupflanzen. Dies war das Ziel seiner Arbeit. Er teilte irdische Segnungen mit, um Menschenherzen geneigt zu machen, das Evangelium seiner Gnade anzunehmen.

Christus hätte den höchsten Platz unter den Lehrern des jüdischen Volkes einnehmen können; er zog es aber vor, den Armen das Evangelium zu verkündigen. Er ging von Ort zu Ort, damit auch die Menschen an den Hecken und Zäunen das Wort der Wahrheit hören möchten. An dem See, auf den Bergen, in den Straßen der Stadt, in der Schule wurde seine Stimme vernommen, indem er die Schrift auslegte. Oft lehrte er im Vorhof des Tempels, damit die Heiden seine Worte vernehmen konnten.

Die Lehre Christi war den Schriftauslegungen der Schriftgelehrten und Pharisäer so unähnlich, daß sie die Aufmerksamkeit des Volkes fesselte. Die Rabbiner hielten sich bei der Überlieferung, bei menschlicher Lehre und Klügelei auf. Oft wurde das, was Menschen über die Schrift gelehrt und geschrieben hatten, an die Stelle der Heiligen Schrift selbst gesetzt. Der Gegenstand der Lehre Christi aber war das Wort Gottes. Er begegnete den Fragestellern mit einem klaren: "Es steht geschrieben", "Was sagt die Schrift?", "Wie liesest du?" War irgendwo durch Freund oder Feind Aufmerksamkeit erweckt, so führte er das Wort vor. Deutlich und kräftig verkündigte er das Evangelium. Seine Worte gossen eine Flut von Licht über die Lehren der Patriarchen und Propheten, und die Heilige Schrift erschien seinen Zuhörern wie eine neue Offenbarung; nie zuvor hatten sie eine solch tiefe Bedeutung in dem Worte Gottes erkannt.

Einfachheit in der Lehrweise Christi

Einen solchen Evangelisten wie Christum gab es noch nie. Er war die Majestät des Himmels, aber er erniedrigte sich selbst und nahm unsre Natur an, damit er den Menschen da begegnen konnte, wo sie waren. Allem Volk, reich und arm, frei und gebunden, brachte Christus, der Engel des Bundes, die Botschaft des Heils. Sein Ruf als der große Arzt verbreitete sich durch ganz Palästina. Die Kranken kamen nach den Orten, wo sie vermuteten, er werde hindurchkommen, damit sie ihn um Hilfe bitten konnten. Ebenso machten es viele, die begierig waren, seine Worte zu hören oder von seiner Hand berührt zu werden. So ging er, der König der Herrlichkeit, in dem geringen Gewande der Menschheit von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, predigte das Evangelium und heilte die Kranken.

Er wohnte den großen jährlichen Festen des Volkes bei und redete zu der von den äußerlichen Zeremonien ganz in Anspruch genommenen Menge von himmlischen Dingen und eröffnete ihnen die Ewigkeit. Allen brachte er Kleinode aus dem Schatzhaus der Weisheit. Er redete in so einfacher Sprache, daß sie ihn verstehen mußten, half in seiner ihm eigenen Art und Weise allen, die in Kummer und Betrübnis waren, und diente mit zarter, liebreicher Güte der sündenkranken Seele und brachte ihr Heilung und Kraft.

Als der größte aller Lehrer suchte er Zugang bei den Leuten auf dem Wege, mit dem sie am meisten vertraut waren. Er brachte ihnen die Wahrheit auf eine solche Weise, daß sie seinen Hörern stets mit den heiligsten Erinnerungen und Empfindungen verflochten waren. Er lehrte auf eine solche Art, daß sie fühlten, wie vollständig er ihre Interessen und ihr Wohlergehen zu den seinigen machte. Seine Belehrung war so persönlich, seine Beispiele waren so passend, seine Worte so teilnahmsvoll und freundlich, daß seine Zuhörer entzückt waren. Die Einfachheit und der Ernst in seiner Unterhaltung mit den Bedürftigen heiligte jedes seiner Worte.

Kein Unterschied zwischen reich und arm

Welch ein tätiges Leben führte er! Tag für Tag konnte man ihn die dürftigen Behausungen des Mangels und des Kummers betreten sehen, wo er den Niedergeschlagenen Hoffnung, den Bedrückten Frieden brachte. Gütig, mit einem Herzen voll Liebe und Mitleid ging er umher, richtete die Niedergebeugten auf und tröstete die Traurigen. Wohin er kam, verbreitete er Segen.

Während Jesus den Armen diente, trachtete er gleichzeitig danach, den Reichen nahe zu kommen. Er suchte die Bekanntschaft des vermögenden und gebildeten Pharisäers, des jüdischen Edlen und des römischen Obersten. Er nahm ihre Einladungen an, wohnte ihren Festen bei, machte sich mit ihren Neigungen und Beschäftigungen vertraut, damit er Zugang zu ihren Herzen finden und ihnen die unvergänglichen Reichtümer offenbaren könne.

Christus kam auf diese Welt, um zu zeigen, daß der Mensch, wenn er die Kraft aus der Höhe annimmt, ein unbeflecktes Leben führen kann. Mit unermüdlicher Geduld und teilnehmender Hilfsbereitschaft suchte er den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen. Durch eine sanfte Berührung der Gnade verbannte er Zweifel und Unruhe aus der Seele, verwandelte Feindschaft in Liebe und Unglauben in Vertrauen ...

Jesus machte keinen Unterschied nach Nationalität, Rang oder Glaubensbekenntnis. Die Pharisäer und Schriftgelehrten wollten gern die Himmelsgaben auf einen Ort und ein Volk beschränken und die übrigen der Gottesfamilie in der Welt davon ausschließen; aber Jesus kam, um jede Scheidewand niederzureißen. Er kam um zu zeigen, daß die Gaben der Barmherzigkeit und der Liebe so unbeschränkt sind wie die Luft, das Licht oder der Regen, der die Erde erfrischt.

Das Leben Christi gründete eine Religion, in welcher es keine Kaste gibt, eine Religion, durch welche Juden und Heiden, Freie und Gefangene in allgemeiner Brüderschaft verbunden, alle gleich vor Gott sind. Seine Handlungsweise wurde von keiner Klugheit beeinflußt; er machte keinen Unterschied zwischen Nachbarn und Fremden, zwischen Freunden und Feinden. Eine jede Seele, die nach dem Wasser des Lebens dürstete, bewegte sein Herz.

An keinem menschlichen Wesen ging Jesus achtlos vorüber, sondern suchte das rettende Heilmittel bei jeder Seele anzuwenden. In welcher Gesellschaft er sich auch befand, führte er eine Lehre vor, die der Zeit und den Umständen angemessen war. Jede Vernachlässigung oder Beleidigung, welche sich die Menschen gegen ihre Mitmenschen zu Schulden kommen ließen, überzeugten ihn nur mehr von dem Bedürfnis seiner göttlich-menschlichen Teilnahme. Er suchte die rauhesten und am wenigsten Versprechenden mit Hoffnung zu erfüllen, indem er ihnen versicherte, daß sie ohne Tadel und rein werden und einen Charakter erlangen könnten, wodurch sie als Kinder Gottes offenbar würden.

Er kam oft mit Seelen zusammen, welche unter Satans Herrschaft geraten waren und keine Kraft besaßen, sich aus seinen Fesseln zu befreien. Zu solch einer entmutigten, kranken, versuchten, gefallenen Seele sprach Jesus Worte des zärtlichen Mitleids, Worte, wie sie gerade nötig waren und verstanden werden konnten. Er traf andere, welche im ernsten Handgemenge mit dem Seelenfeinde kämpften. Solche ermutigte er, auszuharren und versicherte ihnen, daß sie gewinnen würden, denn es seien Engel Gottes an ihrer Seite und würden den Sieg verleihen.

An dem Tisch der Zöllner saß er als ein geehrter Gast und zeigte durch seine Teilnahme und Geselligkeit, daß er die Würde der Menschheit erkannte, und die Leute verlangten danach, seines Vertrauens würdig zu werden. Seine Worte fielen mit gesegneter, lebengebender Kraft in ihre dürstenden Herzen. Neue Regungen wurden in ihnen erweckt, und diesen Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft öffnete sich die Möglichkeit eines neuen Lebens.

Obgleich er ein Jude war, verkehrte Jesus doch offen und frei mit den Bewohnern von Samaria, indem er die pharisäischen Sitten seines Volkes nicht beachtete. Trotz ihrer Vorurteile nahm er die Gastfreundschaft dieses verachteten Volkes an. Er schlief mit ihnen unter ihrem Dach, aß mit ihnen an einem Tisch, nahm von der Nahrung, die von ihren Händen bereitet und vorgelegt wurde, lehrte in ihren Straßen und behandelte sie mit der größten Freundlichkeit und Höflichkeit. Und während er ihre Herzen durch das Band menschlicher Teilnahme an sich zog, brachte ihnen seine göttliche Gnade das Heil, welches die Juden verwarfen. In den Fußspuren des großen Arztes 19-28.