Diener des Evangeliums

Kapitel 8

Eine Lehre für unsre Zeit

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Henochs und Johannes des Täufers Erfahrungen sind derart, wie die unsrigen sein sollten. Viel mehr, als es geschieht, sollten wir das Leben dieser Männer betrachten -- des einen, der in den Himmel versetzt wurde, ohne den Tod gesehen zu haben; des andern, der vor dem ersten Kommen Christi berufen war, den Weg des Herrn zu bereiten und seine Steige richtig zu machen.

Henochs Erfahrung

Von Henoch steht geschrieben, daß er fünfundsechzig Jahre alt war, als er einen Sohn zeugte und darauf dreihundert Jahre ein göttliches Leben führte. Während dem ersten Teil seines Lebens hatte er Gott gefürchtet und geliebt und seine Gebote gehalten. Nach der Geburt seines erstgebornen Kindes machte er eine höhere Erfahrung; er wurde in eine engere Verbindung mit Gott gezogen. Als er des Kindes Liebe zu seinem Vater, das einfache Vertrauen auf seinen Schutz sah, als er die tiefe Zärtlichkeit seines eigenen Herzens gegen den Erstgebornen empfand, da wurde dies ihm zum köstlichen Anschauungsunterricht von der wunderbaren Liebe Gottes zu den Menschen in der Hingabe seines Sohnes und von dem Vertrauen, welches Gottes Kinder in ihren himmlischen Vater setzen können. Die unermeßliche, unergründliche Liebe Gottes durch Christum wurde der Gegenstand seines Nachdenkens Tag und Nacht. Mit aller Kraft seiner Seele versuchte er, den Leuten, unter denen er wohnte, jene Liebe zu offenbaren.

Henochs Wandel mit Gott bestand nicht etwa in einer Entzückung oder einem Gesicht, sondern übertrug sich auf alle Pflichten seines täglichen Lebens. Er wurde kein Einsiedler, der sich gänzlich von der Welt abschloß; hatte er doch gerade in der Welt ein Werk für Gott zu tun. In seiner Familie und in Unterhaltungen mit andern, als Ehemann und Vater, als Freund und Bürger war er der standhafte, unveränderliche Diener Gottes.

Inmitten eines sehr tätigen Lebens hielt er beharrlich den Verkehr mit Gott aufrecht. Je schwerer und drängender die Arbeit war, desto beständiger und ernstlicher waren seine Gebete. Er zog sich zu gewissen Zeiten von aller Gesellschaft zurück. Hatte er eine zeitlang unter den Menschen verweilt und sich bemüht, ihnen durch Lehren und Beispiel nützlich zu sein, dann zog er sich zurück, um eine geraume Zeit die Einsamkeit zu genießen, denn ihn hungerte und dürstete nach jener wahren Erkenntnis, die Gott allein mitteilen kann.

Durch einen solchen Verkehr mit Gott spiegelte sich in Henoch mehr und mehr das göttliche Bild wider. Sein Gesicht erglänzte von einem heiligen Licht, ja von dem Licht, das auf Jesu Angesicht leuchtet. Wenn er von einem solchen Umgang mit Gott zurückkam, nahmen selbst die Gottlosen mit heiligem Schaudern die Eindrücke des Himmels auf seinem Angesicht wahr.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde sein Glaube stärker, seine Liebe inniger. Ihm war das Gebet, was das Atmen dem Körper ist. Er lebte in der Atmosphäre des Himmels.

Als ihm die Ereignisse der Zukunft enthüllt wurden, wurde er ein Prediger der Gerechtigkeit, der allen, die den Warnungsworten lauschen wollten, Gottes Botschaft überbrachte. Gerade in dem Lande, wo Kain versucht hatte, vor der Gegenwart Gottes zu fliehen, verkündigte der Prophet Gottes die wunderbaren Offenbarungen, die ihm im Gesicht mitgeteilt worden waren. "Siehe," erklärte er, "der Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle und zu strafen alle Gottlosen um alle Werke ihres gottlosen Wandels." Judas 14.15.

Die Kraft Gottes, die das Wirken seines Knechtes begleitete, wurde von allen, die ihn hörten, verspürt. Einige achteten auf die Warnungen und wandten sich von ihren Sünden ab, aber die Menge spottete über die feierliche Botschaft. Gottes Diener sollen der Welt in den letzten Tagen eine ähnliche Botschaft bringen, die auch von der Mehrheit mit Unglauben und Spott aufgenommen werden wird.

Als ein Jahr nach dem andern vorüberging, wurde die Flut der menschlichen Sünde immer größer und die Wolken des göttlichen Gerichts wurden immer dunkler. Aber Henoch, der Glaubenszeuge, verfolgte seinen Pfad, warnte, bat, lehrte und bemühte sich, den Strom der Übertretungen einzudämmen und die Pfeile der Rache aufzuhalten.

Die Menschen jenes Geschlechts spotteten über die Torheit dessen, der nicht danach trachtete, Gold und Silber anzuhäufen oder hier Besitztümer zu sammeln; Henochs Herz war auf ewige Schätze gerichtet. Er hatte die himmlische Stadt geschaut, hatten den König in seiner Herrlichkeit inmitten von Zion gesehen, und je mehr die herrschende Bosheit um sich griff, desto sehnlicher verlangte ihn nach der Stadt Gottes. Während er noch auf Erden weilte, lebte er durch den Glauben in dem Reich des Lichts.

"Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen." Matthäus 5,8. Dreihundert Jahre hatte Henoch nach Reinheit des Herzens getrachtet, auf daß er im Einklang mit dem Himmel sein möchte. Drei Jahrhunderte hatte er ein göttliches Leben geführt. Tag für Tag hatte er sich nach einer engeren Verbindung mit Gott gesehnt; immer inniger war sein Verkehr mit ihm geworden, bis Gott ihn zu sich nahm. Er hatte an der Schwelle der Ewigkeit gestanden, nur ein Schritt noch zwischen ihm und dem Lande der Gesegneten; aber jetzt hatten sich die Tore geöffnet, der so lange auf Erde geführte Wandel mit Gott wurde fortgesetzt, und er ging ein durch die Tore der heiligen Stadt -- der erste der Menschenkinder, der sie betreten durfte.

"Durch den Glauben ward Henoch weggenommen, daß er den Tod nicht sähe, ... denn vor seinem Wegnehmen hat er Zeugnis gehabt, daß er Gott gefallen habe." Hebräer 11,5.

Zu einer solchen Gemeinschaft beruft der Herr auch uns. Wie Henoch müssen auch die Menschen, welche bei der Wiederkunft Christi erlöst werden, einen heiligen Charakter haben.

Johannes des Täufers Erfahrung

Johannes wurde in seinem Wüstenleben von Gott gelehrt. Er studierte Gottes Offenbarungen in der Natur und unter der Führung des Heiligen Geistes auch die Schriften der Propheten. Tag und Nacht war Christus sein Studium, so daß Gemüt, Herz und Seele mit dem herrlichen Bilde erfüllt wurden.

Er schaute den König in seiner Schöne und verlor sich selbst aus den Augen; er sah die Majestät der Heiligkeit und erkannte seine eigene Untüchtigkeit und Unwürdigkeit. Er sollte Gottes Botschaft verkünden, sollte in Gottes Kraft und in seiner Gerechtigkeit dastehen. Er wurde zubereitet, als Botschafter des Himmels ohne Menschenfurcht aufzutreten; denn er hatte auf das Göttliche geschaut. Er konnte furchtlos vor irdischen Herrschern stehen, denn er hatte sich zitternd vor dem König aller Könige gebeugt.

Nicht mit sorgfältig aufgebauten Beweisführungen oder feingesponnenen Theorien verkündigte Johannes seine Botschaft. Erschreckend und ernst und doch voll Hoffnung erscholl seine Stimme aus der Wüste: "Werdet anderen Sinnes; denn nahegekommen ist das Königreich der Himmel." Mit einer neuen, seltsamen Macht bewegte sie die Menschen. Das ganze Volk wurde aufgerüttelt. Scharenweise zog die Menge nach der Wüste hinaus.

Ungelehrte Bauern und Fischersleute von der Umgegend, römische Soldaten von den Baracken des Herodes, Hauptleute mit ihren Schwertern an der Seite, bereit alles niederzuhauen, das irgendwie nach Aufruhr aussah, die habsüchtigen Zolleinnehmer von ihren Zollbuden und die scheinheiligen Priester vom Hohen Rat -- alle horchten wie gebannt, und alle, selbst der Pharisäer und der Sadduzäer sowie der kalte, unempfindliche Spötter, gingen hinweg, ohne zu sticheln und durchdrungen von dem Bewußtsein ihrer Sünden. Herodes hörte die Botschaft in seinem Palast, und der stolze, durch Laster verhärtete Herrscher zitterte bei dem Ruf zur Buße.

In unserm Zeitalter, eben vor der Wiederkunft Christi in den Wolken des Himmels, soll ein solches Werk wie das des Johannes getan werden. Gott will Männer haben, die ein Volk vorbereiten, das bestehen kann an dem großen Tage des Herrn. Die Botschaft, die dem öffentlichen Lehramt Christi vorausging, war: Ändert euren Sinn, ihr Zöllner und Sünder; ändert euren Sinn, ihr Pharisäer und Sadduzäer; "werdet anderen Sinnes, denn nahegekommen ist das Königreich der Himmel." Als ein Volk, das an Christi baldiges Kommen glaubt, haben wir eine Botschaft zu bringen: "Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott." Amos 4,12.

Unsre Botschaft muß ebenso bestimmt sein wie die des Johannes. Er tadelte Könige wegen ihrer Übertretungen. Wenngleich sein Leben gefährdet war, zögerte er nicht, Gottes Wort kundzutun. Ebenso getreulich müssen wir unser Werk in dieser Zeit verrichten.

Um aber eine gleiche Botschaft wie Johannes geben zu können, müssen wir wie er eine geistliche Erfahrung machen. Dasselbe Werk muß in uns vollzogen werden. Wir müssen Gott schauen, und indem wir auf ihn schauen, unser eignes Selbst aus dem Auge verlieren.

Von Natur besaß Johannes Fehler und Schwachheiten wie andre Menschen, aber die Berührung der göttlichen Liebe hatte ihn umgestaltet. Als seine Jünger zu ihm kamen, nachdem Jesus sein Lehramt begonnen hatte und klagten, daß alle Welt dem neuen Lehrer anhinge, bewies Johannes, wie klar er sein Verhältnis zum Messias verstand und wie freudig er den begrüßte, für den er den Weg bereitet hatte.

"Ein Mensch kann nichts nehmen," sagte er, "es werden ihm denn gegeben vom Himmel. Ihr selbst seid meine Zeugen, daß ich gesagt habe, ich sei nicht Christus, sondern vor ihm her gesandt. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen." Johannes 3,27-30.

Indem Johannes im Glauben auf den Erlöser blickte, hatte er die Höhe der Selbstverleugnung erstiegen. Er versuchte nicht, die Menschen an sich zu ziehen, sondern ihre Gedanken höher und höher zu lenken, bis sie sich versenkten in das Lamm Gottes. War er selbst doch nur eine Stimme, ein Ruf in der Wüste gewesen. Jetzt nahm er freudig die Stille und Zurückgezogenheit an, damit aller Augen auf das Licht des Lebens gerichtet werden möchten.

Wer seinem Beruf als Botschafter Gottes treu ist, wird keine Ehre für sich selbst suchen. Die Eigenliebe wird verschlungen in der Liebe zu Christo. Er erkennt, daß es seine Aufgabe ist, wie Johannes der Täufer zu verkündigen: "Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt." Johannes 1,29.

Die Seele des Propheten, von dem eignen Ich entleert, wurde mit dem göttlichen Licht erfüllt. In Worten, die beinahe ein Ebenbild von den Worten Christi waren, legte er Zeugnis von der Herrlichkeit des Herrn ab. "Der von oben her kommt," sagte er, "ist über alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle." "Denn welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Worte." Johannes 3,31.34.

Diese Herrlichkeit Christi sollen alle seine Nachfolger mit ihm teilen. Der Heiland konnte sagen: "Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat." Johannes 5,30. Und Johannes erklärte: "Gott gibt den Geist nicht nach dem Maß." So ist es mit den Nachfolgern Christi. Wir können das Licht vom Himmel nur dann aufnehmen, wenn wir willens sind, vom eignen Ich entleert zu werden, können den Charakter Gottes nur dann erkennen und Christum im Glauben annehmen, wenn wir darauf eingehen, jeden Gedanken in den Gehorsam Christi gefangen zu geben. Allen, die dies tun, wird der Heilige Geist ohne Maß gegeben. In Christo "wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid vollkommen in ihm." Kolosser 2,9.10.

Johannes verbrachte sein Leben nicht in Trägheit, nicht sich kasteiend in Traurigkeit oder eigennütziger Absonderung. Er ging von Zeit zu Zeit unter die Menschen und war ein aufmerksamer Beobachter alles dessen, was in der Welt vorging. Von seinem ruhigen Ort der Zurückgezogenheit aus erwartete er die Entfaltung der Ereignisse. Mit einem von dem Heiligen Geist erleuchteten Blick erforschte er die Charaktere der Menschen, damit er verstehen möchte, ihre Herzen mit der himmlischen Botschaft zu erreichen. Er war sich der Wichtigkeit seiner Mission wohl bewußt. In der Einsamkeit, durch Nachdenken und Gebet versuchte er seine Seele für das vor ihm liegende Lebenswerk zu stärken.