Auf den Spuren des großen Arztes

Kapitel 1

Unser Vorbild

[AUDIO]

Während seines Erdendaseins wirkte unser Herr Jesus Christus in unermüdlicher Fürsorge zu Gunsten der Bedürfnisse der Menschheit. "Er hat unsre Schwachheit auf sich genommen, und unsre Krankheit hat er getragen" (Matthäus 8,17), um jeder menschlichen Not abzuhelfen. Die Last der Krankheit, des Elends und der Sünde wollte er von uns nehmen. Sein Ziel war, die Menschen völlig wiederherzustellen, das heißt, ihnen wieder Gesundheit, inneren Frieden und charakterliche Vollkommenheit zu schenken.

Die Sorgen und Bedürfnisse derer, die ihn um Hilfe baten, mögen ganz unterschiedlich gewesen sein, aber kein Heilungssuchender kam vergeblich zu ihm. Eine nie versiegende Quelle heilender Kräfte ging von ihm aus, die die Menschen an Körper, Geist und Seele gesunden ließ.

Die Tätigkeit des Heilands war nicht an bestimmte Zeiten oder Plätze gebunden. Seine Dienstbereitschaft kannte keine Grenzen. Kein Haus in Israel hätte die Menschenmengen fassen können, die zu ihm strömten. Die grünen Abhänge der galiläischen Berge, die Landstraßen, das Ufer des Sees Genezareth, die Synagogen und alle anderen Orte, wo man Kranke zu ihm brachte -- das waren seine Praxisräume. In jeder großen oder kleinen Ortschaft, durch die er wanderte, legte er seine Hände auf die Leidenden und heilte sie. Überall, wo die Menschen ihre Herzen seiner guten Nachricht öffneten, sicherte er ihnen die beständige Liebe ihres himmlischen Vaters zu. Tagsüber kümmerte er sich um die, die zu ihm kommen konnten; abends wandte er sich denen zu, die tagsüber den Lebensunterhalt für ihre Familien erarbeiten mußten.

Jesus trug die schwere Last der Verantwortung für die Erlösung der Menschheit. Er wußte: Alle sind verloren, wenn nicht ein durchgreifender Wandel hinsichtlich der menschlichen Grundsätze und Ziele geschieht. Das lastete wie eine Bürde auf seiner Seele, deren Gewicht keiner ermessen konnte. In seiner Kindheit und Jugend bis hin zum Mannesalter blieb er ganz auf sich gestellt, doch bei alledem war der Himmel ihm nahe. Tagein, tagaus erlebte er Prüfungen und Versuchungen, tagein, tagaus wurde er mit Bösem konfrontiert und sah dessen Macht über die, die er doch segnen und retten wollte. Dennoch versagte er nicht und wurde auch nicht mutlos.

In allem stellte er seine eigenen Wünsche zugunsten seines Auftrags konsequent zurück. Er verherrlichte sein Leben, indem er alles dem Willen seines Vaters unterordnete. Als seine Mutter ihn als Zwölfjährigen einmal in einer Rabbinerschule aufstöbern mußte, hielt sie ihm vor: "Mein Sohn, warum hast du uns das getan?" Da erwiderte er -- und das ist der Schlüssel zu seinem Lebenswerk: "Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?" Lukas 2,48.49.

Sein Leben bestand aus ständiger Selbstaufopferung. Er hatte keinen festen Wohnsitz; als ein Nichtseßhafter nutzte er das, was ihm hilfsbereite Freunde zur Verfügung stellten. Für uns führte er das Leben der Ärmsten, hielt er sich unter den Bedürftigen und Leidtragenden auf. Unauffällig und ohne Anerkennung lebte er unter den Menschen, für die er so viel getan hatte.

Immer war er geduldig und bereit, andere aufzumuntern; die Leidtragenden priesen ihn als einen Botschafter des Lebens und des Friedens. Er sah die Bedürfnisse von Männern und Frauen, von Kindern und jungen Leuten -- und alle lud er ein: "Kommt her zu mir!"

Während seines Dienstes widmete Jesus der Krankenheilung weitaus mehr Zeit als der Predigt. Eine Vielzahl von Wunderheilungen bestätigten die Wahrheit seines Ausspruchs, daß er nicht gekommen war, um zu zerstören, sondern um zu retten. Wohin er auch kam, eilte ihm die Nachricht seiner segensreichen Taten voraus. Und wenn er weiterzog, erfreuten sich alle, die sein Erbarmen erlebt hatten, ihrer Gesundheit und erprobten ihre neu gewonnenen Kräfte. Um die Geheilten bildeten sich dann Menschentrauben. Alle wollten aus erster Quelle hören, was Jesus vollbracht hatte. Seine Stimme war der erste Klang, den viele Gehörlose in ihrem Leben wahrnahmen, sein Name der erste, den sie je ausgesprochen, sein Gesicht das erste, in das Blindgeborene je geschaut hatten. Sollten sie Jesus nicht lieben, seinen Ruhm nicht weitersagen? Wenn er durch die Ortschaften zog, wirkte er wie ein Licht, das Leben und Freude ausstrahlte: "Das Land Sebulon und das Land Naphtali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen." (Matthäus 4,15.16, wo Jesaja 8,23 und 9,1 zitiert werden.)

Jesus nutzte jede Heilung als Gelegenheit, göttliche Grundsätze in Gemüt und Seele einzupflanzen. Das war das oberste Ziel seines Wirkens. Er schenkte körperliche Genesung, um so die Herzen der Menschen zum Empfang seiner Gnadenbotschaft bereit zu machen.

Der höchste Platz unter den jüdischen Lehrern hätte ihm durchaus gebührt, aber er trug lieber das Evangelium zu den Armen. Er ging von Ort zu Ort, damit man auf allen Wegen seine Worte der Wahrheit vernehmen konnte. Am See Genezareth, auf den Bergen, auf den Straßen der Städte, in den Synagogen -- überall hörte man seine Stimme, die die Schriften des Alten Testaments erklärte. Oft lehrte er außerdem im äußeren Hof des Jerusalemer Tempels, wo er auch die nicht jüdischen Zuhörer ansprechen konnte.

Aufmerksam lauschten ihm die Menschen. Warum? Weil seine Lehrweise so ganz anders war als die Schriftauslegung der Schriftgelehrten und Pharisäer. Die Rabbiner nämlich blieben der Auslegungstradition verhaftet, menschlichen Theorien und Spekulationen. Häufig wurde das, was Menschen über die Schriften gelehrt und geschrieben hatten, an die Stelle der Schrift selbst gesetzt. Jesus dagegen ließ das Wort Gottes wirken. Er antwortete den Fragenden mit einem klaren "Es steht geschrieben", "Was sagt die Schrift?", "Wie liest du?". Immer wenn bei freundlich Gesonnenen oder auch bei Gegnern ein Interesse spürbar wurde, zitierte er das göttliche Wort. Klar und kraftvoll verkündigte er die frohe Botschaft. Seine Worte erleuchteten die Lehren der Patriarchen und Propheten, so daß die Schriften des Alten Testaments den Menschen wie eine neue Offenbarung erschienen. Nie zuvor hatten seine Zuhörer im Wort Gottes eine solche Bedeutungstiefe wahrgenommen.

Niemals hat es einen Evangelisten wie Christus gegeben. Vorher Gottes Sohn, König des Himmels, erniedrigte er sich selbst durch die Annahme unserer Natur, um den Menschen dort zu begegnen, wo sie waren. Allen Leuten, den Reichen wie den Armen, den Freien und den Knechten, brachte Jesus, der Botschafter des Bundes, die Botschaft der Errettung. Sein Ruf als der große Arzt verbreitete sich in ganz Palästina. Die Kranken suchten die Orte auf, an denen man sein Kommen erwartete, um ihn um Hilfe anzurufen. Dorthin kamen aber auch viele, die einfach nur seine Lehre hören und von seiner Hand berührt werden wollten. So zog er von Ort zu Ort, predigte dabei die frohe Botschaft und heilte die Kranken -- er, der König der Herrlichkeit im niedrigen Gewand des Menschseins.

Regelmäßig besuchte er auch die großen jährlichen Feste des Volkes und sprach dort zu den vielen, die sich von den äußerlichen Ritualen so sehr gefangennehmen ließen, daß sie darüber deren tiefere Bedeutung vergaßen. Er richtete ihren Blick auf die Ewigkeit aus. Allen brachte er Reichtümer aus der Schatzkammer der himmlischen Weisheit. Und dabei redete er mit ihnen in einer so einfachen Sprache, daß sie ihn verstehen mußten. Er entwickelte seine ganz eigene Art, denen zu helfen, die Kummer hatten und Leid trugen. Mit einfühlsamem Herzen diente er den von Sünde kranken Seelen, brachte ihnen Heilung und Stärke.

Als der beste aller Lehrer suchte er die Menschen zu erreichen, indem er an ihre vertrautesten Gedankenverbindungen anknüpfte. Die Wahrheit bot er auf solche Weise dar, daß bei seinen Zuhörern wertvollste und angenehmste Erinnerungen geweckt wurden. Er ließ sie spüren, daß er sich ganz und gar mit ihren Interessen und ihrem Glück identifizierte. Seine Unterweisung war so frei von Nebensächlichem, seine Gleichnisse so treffend, seine Wortwahl so einfühlsam und erfreulich, daß seine Zuhörer begeistert waren. Die Schlichtheit und der Ernst, mit denen er sich an die Bedürftigen wandte, heiligten dabei jedes Wort.

Er führte fürwahr ein tätiges Leben! Tag für Tag hätten wir sehen können, wie er die einfachen Wohnungen des Mangels und Kummers betrat, um den Niedergeschlagenen Hoffnung und den Verzweifelten inneren Frieden zuzusprechen. Gütig, liebevoll und mitfühlend ging er umher, richtete die Gebeugten auf und tröstete die Trauernden. Wo er auch hinkam, brachte er Segen mit.

Bei aller Zuwendung zu den Armen vernachlässigte Jesus aber nicht die Kontakte zu den Wohlhabenden. Er suchte die Bekanntschaft mit dem reichen und gebildeten Pharisäer, dem jüdischen Obersten und dem römischen Hauptmann. Er nahm ihre Einladungen an, ging zu ihren Festen, lernte ihre Interessen und Beschäftigungen kennen, um so möglicherweise Zugang zu ihren Herzen zu gewinnen und ihnen die unvergänglichen Reichtümer aufzeigen zu können. Christus kam auf diese Welt, um zu zeigen, daß man als Mensch ein makelloses Leben führen kann, wenn man sich die Kraft dazu von oben schenken läßt. Mit unermüdlicher Geduld und einfühlsamer Hilfsbereitschaft begegnete er den bedürftigen Menschen. Mit dem freundlichen Appell seiner Gnade verbannte er Ruhelosigkeit und Zweifel aus der Seele, verwandelte er Feindseligkeit in Liebe und Unglauben in Vertrauen.

Als er mit einem "Folge mir nach" seine Mitarbeiter auswählte, standen die so Angesprochenen auf und folgten ihm stracks nach. Der Glanz der Welt trat in den Hintergrund. Beim Klang von Jesu Stimme verlor sich die Gier nach Besitz und Macht, und die Menschen erhoben sich befreit, um dem Heiland nachzufolgen.

Brüderliche Liebe

Für Jesus spielten nationale, gesellschaftliche oder konfessionelle Unterschiede keine Rolle. Die Schriftgelehrten und Pharisäer wollten aus den Geschenken Gottes ein räumlich begrenztes bzw. nationales Vorrecht machen und alle anderen Anhänger der weltweiten Familie Gottes davon ausschließen. Aber Christus kam, um jede Trennmauer niederzureißen. Er kam, um zu zeigen, daß sein Geschenk der Barmherzigkeit und Liebe genauso frei erhältlich ist wie die Atemluft, das Tageslicht oder der gedeihenbringende Regen.

Mit seinem Leben etablierte Jesus eine Religion, in der es keine Kasten mehr gibt, in der Juden und Nichtjuden, Freie und Abhängige in ein- und derselben Geschwisterschaft verbunden sind, in der vor Gott alle gleich dastehen. Die Wahl seiner Aufenthaltsorte war von keinerlei politischen Überlegungen beeinflußt. Er machte keinen Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen Israels Freunden und seinen Feinden. Jede Seele, die nach dem Wasser des Lebens suchte, bewegte sein Herz.

Er ging an keinem Menschen verächtlich vorbei, sondern war bestrebt, jedem seine Heilkraft anzubieten. In welcher gesellschaftlichen Gruppe er sich auch befand, lehrte er das, was der Zeit und den Umständen angemessen war. Jedes distanzierte Verhalten, jede Beleidigung, die Menschen ihren Mitmenschen antaten, machte Jesus nur noch sensibler für ihren Bedarf an seinem göttlichmenschlichen Mitgefühl. Selbst die rauhesten Gesellen und die, von denen man sich eigentlich gar nichts mehr versprach, wollte er mit Hoffnung erfüllen. Er versicherte ihnen, daß sie frei von Schuld werden konnten und kein Schrecken der Gesellschaft mehr zu sein brauchten. Sie konnten einen Charakter bekommen, der sie als Kinder Gottes auswies!

Oft begegneten ihm auch Menschen, die unter Satans Kontrolle geraten waren und sich aus eigener Kraft nicht mehr aus dessen Schlinge befreien konnten. Für diese Entmutigten, Kranken, ständig Versuchten, Gefallenen hatte Jesus dann Worte freundlichsten Mitgefühls, Worte, die der oder die Betreffende gerade brauchte und auch verstand. Er traf auch solche, die mit dem Feind der Menschen in härtester Auseinandersetzung standen. Diese ermutigte er, nicht aufzugeben, indem er ihnen den Sieg zusicherte. Engel Gottes stehen ihnen zur Seite und werden das Überwinden möglich machen!

Am Tisch der Zolleinnehmer saß er als ein geehrter Gast, denn durch seine teilnehmende und gesellschaftlich aufgeschlossene Art bewies er seinen Sinn für die Würde des Menschen; deshalb wollten sich auch diese Menschen seines Vertrauens würdig erweisen. Auf ihre suchenden Herzen trafen seine Worte mit gesegneter, lebenspendender Macht. Da wurden neue Impulse in ihnen wach; diesen sozial Verachteten eröffnete sich die Möglichkeit eines Neubeginns.

Jesus war Jude -- und hatte gleichwohl freien Umgang mit den Samaritern, womit er die pharisäisch-nationalistischen Verhaltensgewohnheiten seines Volkes gänzlich mißachtete. Wohl wissend um die Vorurteile der Juden nahm er die Gastfreundschaft jener verachteten Bevölkerungsgruppe an. Er übernachtete unter ihren Dächern, aß mit ihnen an ihren Tischen -- und zwar die Speisen, die ihre Hände zubereitet und serviert hatten --, lehrte auf ihren Straßen und verhielt sich ihnen gegenüber mit größter Freundlichkeit und Höflichkeit. Während er so ihre Herzen mit dem Band der Menschenfreundlichkeit zu sich zog, brachte ihnen seine göttliche Gnade die Errettung, die die Juden verwarfen.

Persönlicher Dienst

Christus ließ sich keine Gelegenheit entgehen, die Botschaft von der Errettung zu verkünden. Hören wir beispielsweise die wunderbaren Worte, die er am Jakobsbrunnen an die Samariterin richtete.

Er saß am Brunnen, als die Frau zum Wasserschöpfen kam. Zu ihrer Überraschung bat er sie um einen Gefallen: "Gib mir zu trinken", sagte er. Jesus wollte etwas Kühles trinken, und außerdem suchte er nach einer Möglichkeit, ihr das Wasser des Lebens zu geben. "Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser. (...) Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt." Johannes 4,7-14.

Wie sehr nahm Christus am Leben dieser einen Frau Anteil! Ernst und eindringlich redete er mit ihr! Nachdem die Frau Jesu Worte gehört hatte, ließ sie den Wasserkrug stehen, ging in die Stadt und sagte zu ihren Freunden: "Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei!" Wir lesen weiter, daß "viele der Samariter aus dieser Stadt an ihn glaubten". Johannes 4,29.39. Und wer kann den Einfluß abschätzen, den diese Worte in all den Jahren seit damals auf die Rettung von Seelen ausgeübt haben?

Überall, wo Herzen für die Annahme der Wahrheit offen sind, ist Christus bereit, sie in diese Wahrheit einzuführen. Er offenbart ihnen dann den Vater und den Dienst, der ihm angenehm ist, ihm, der den Menschen ganz und gar kennt. Zu solchen bereits aufgeschlossenen Menschen spricht Jesus nicht in Gleichnissen; zu ihnen sagt er direkt -- wie zu der Frau am Jakobsbrunnen: "Ich bin's, der mit dir redet." Johannes 4,26.