Auf den Spuren des großen Arztes

Kapitel 5

Heilung für die Seele

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Viele von denen, die Jesus um Hilfe baten, hatten ihre Erkrankung selbst verursacht -- und doch weigerte er sich nicht, sie zu heilen. Wenn seine Kraft dann in diese Menschen strömte, wurden sie sich ihrer Sünden bewußt, und dann waren sie von ihrer geistlichen Krankheit ebenso geheilt wie von ihrer körperlichen.

So erging es auch dem Gelähmten von Kapernaum. Wie der Aussätzige hatte er jede Hoffnung auf Gesundung verloren. Seine Krankheit war das Ergebnis eines Lebens voller Sünde, und seine Leiden wurden durch Gewissensbisse noch bitterer. Vergeblich hatte er sich an die Pharisäer und Ärzte um Hilfe gewandt. Sie erklärten ihn für unheilbar, prangerten ihn als Sünder an und verkündeten ihm, daß er unter dem Zorn Gottes sterben werde.

Da war der Gelähmte in Verzweiflung versunken. Aber dann hörte er von Jesus. Andere -- genauso sündig und hilflos wie er -- waren geheilt worden. So wuchs auch bei ihm der Glaube, daß er geheilt werden konnte, wenn man ihn zum Heiland tragen würde. Seine Hoffnung schwand jedoch wieder, als er sich an die Ursache seiner Krankheit erinnerte -- und doch konnte er die Möglichkeit der Heilung nicht mehr aus seinem Denken verdrängen.

Seine größte Sehnsucht war die Befreiung von der Last der Sünde. Deshalb wollte er dringend Jesus treffen und von ihm die Zusicherung erhalten, daß ihm vergeben sei und er mit dem Himmel Frieden habe. Dann wollte er zufrieden sein, entweder zu leben oder zu sterben, ganz nach Gottes Willen.

Es galt, keine Zeit zu verlieren. Sein verkümmerter Körper zeigte schon Vorboten des Todes. Eindringlich bat er seine Freunde, ihn auf dem Bett zu Jesus zu tragen, und gern taten sie das. Aber die Menschenmenge, die sich im Haus und vor dem Haus versammelt hatte, in dem der Heiland gerade lehrte, stand derart dicht beisammen, daß es für den Kranken und seine Freunde unmöglich war, auch nur so weit an ihn heran zu kommen, daß sie seine Stimme hörten. Jesus lehrte gerade im Haus des Petrus. Wie sie es gewohnt waren, saßen Jesu Jünger ganz nah bei ihm; außerdem "saßen auch Pharisäer und Schriftgelehrte da, die gekommen waren aus allen Orten in Galiläa und Judäa und aus Jerusalem". Lukas 5,17. Einige davon waren als Spitzel gekommen, die unbedingt einen Anklagegrund gegen Jesus finden wollten. Dahinter drängte sich die kunterbunte Menge: die Eifrigen, die Ehrerbietigen, die Neugierigen und die Ungläubigen. Verschiedene Nationalitäten und alle Schichten der Gesellschaft waren vertreten.

"Und die Kraft des Herrn war mit Jesus, daß er heilen konnte." Lukas 5,17. Der göttliche Geist des Lebens schwebte über der Versammlung, aber die Pharisäer und Gelehrten merkten nichts von seiner Gegenwart. Sie meinten, daß es ihnen an nichts fehle; außerdem war die Heilung nicht für sie gedacht: "Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen." Lukas 1,53.

Immer aufs neue versuchten die Träger des Gelähmten, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen -- aber vergeblich. Der Kranke sah in unsäglichem seelischem Schmerz um sich: Sollte er jetzt die Hoffnung aufgeben, da doch die ersehnte Hilfe so nah war? Auf seinen Vorschlag hin trugen ihn die Freunde dann auf das Dach des Hauses, deckten es ab und ließen ihn direkt zu Jesu Füßen herab.

Die Predigt wurde unterbrochen. Der Heiland blickte in das traurige Gesicht und sah die bittenden Augen auf sich gerichtet. Er wußte sehr wohl, was diese beladene Seele wollte -- war er es doch, der das Gewissen des Kranken aufgerüttelt hatte, als er noch zu Hause war. Nachdem er seine Sünden bereute und an Jesu Macht glaubte, ihn gesund zu machen, hatte ihn die Gnade des Heilands gesegnet. Jesus hatte den ersten Glaubensschimmer zu der Überzeugung wachsen sehen, daß er die einzige Möglichkeit der Rettung für ihn, den Sünder, war. Mit jedem Versuch, in seine Nähe zu gelangen, wuchs diese Überzeugung. Es war Christus selbst, der den Leidtragenden zu sich gezogen hatte. Und jetzt sagte der Heiland -- mit Worten, die in den Ohren des Kranken wie Musik klangen: "Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben." Matthäus 9,2.

Da fällt die Last der Schuld wie ein Stein von der Seele des Kranken. Zweifel gibt es nun nicht mehr. Jesu Worte enthüllen seine Macht, tief ins Herz zu sehen. Wer kann nun noch seine Kraft zur Vergebung von Sünden leugnen? Hoffnung nimmt deshalb die Stelle der Verzweiflung ein und Freude die der Depression. Die körperlichen Schmerzen des Mannes sind verschwunden, sein ganzes Wesen ist verwandelt. Ohne noch eine weitere Bitte auszusprechen, liegt er in friedvoller Stille auf seinem Bett -- zu glücklich, um zu reden.

Mit atemloser Spannung beobachten viele jede Bewegung in diesem außergewöhnlichen Geschehen. Viele spüren: Christi Worte sind auch eine Einladung an mich! Sind sie nicht auch seelisch krank aufgrund von Sünden? Streben sie nicht auch danach, von dieser Last befreit zu werden?

Die Pharisäer aber fürchteten um ihren Einfluß auf die Menge und sagten deshalb in ihrem Innersten: "Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?" Markus 2,7. Da schaute Jesus sie fest und durchdringend an -- was sie kleinlaut zurückweichen ließ -- und sagte: "Warum denkt ihr so Böses in euren Herzen? Was ist denn leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden die Sünden zu vergeben -- sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, hebe dein Bett auf und geh heim!" Matthäus 9,4-6.

Und dann stellte sich der, der auf einer Trage zu Jesus gebracht worden war, mit der Gelenkigkeit und Agilität eines Jugendlichen auf seine eigenen Füße; darauf "nahm er sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, so daß sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen". Markus 2,12.

Nichts geringeres als die Kraft des Schöpfers war notwendig, um diesen zerfallenden Körper zu heilen. Der, der einer aus Erde vom Acker geformten Menschengestalt Leben einhauchte, hatte auch dem todgeweihten Gichtbrüchigen wieder Leben eingeflößt. Und dieselbe Macht, die dem Körper wieder Leben verlieh, hatte auch das Herz erneuert. Er, der bei der Schöpfung "sprach, und es geschah", der "gebot, und es stand da" (Psalm 33,9), hatte der Seele, die in Schuld und Sünden zugrunde gegangen war, wieder Leben zugesprochen. Die Heilung des Körpers war mithin ein äußerer Beweis der Macht, die das Herz erneuert hatte. Christus gebot dem Gelähmten, aufzustehen und zu gehen, "damit ihr wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden". Markus 2,10.

Der Gichtbrüchige fand in Jesus Heilung sowohl für die Seele als auch für den Körper. Aber er brauchte Gesundheit für seine Seele, bevor er die Gesundung des Körpers überhaupt wertschätzen konnte. Bevor die physische Krankheit heilbar war, mußte Christus erst der Seele helfen, mußte sie von Sünden befreien. -- Diese Lehre sollten wir nicht übersehen. Heutzutage gibt es Tausende mit körperlichen Erkrankungen, die sich wie der Gelähmte nach der Botschaft "Deine Sünden sind dir vergeben" sehnen. Die Last der Sünde mit ihren ruhelosen und unbefriedigten Wünschen legt die Basis für ihre Krankheiten. Sie können keine Erleichterung finden, bis sie zu dem kommen, der die Seele heilt. Der Friede, den nur Jesus vermitteln kann, wird dann der Seele wieder Kraft und dem Körper wieder Gesundheit geben.

Die Wirkung der Heilung des Gichtbrüchigen auf die versammelten Menschen war, als ob sich der Himmel geöffnet und die Herrlichkeiten einer besseren Welt enthüllt hätte. Als der Geheilte seinen Weg durch die Menge nahm, dabei Gott bei jedem Schritt Dank sagte und das Bett trug, als wäre es federleicht, wichen die Leute zurück, um ihm Platz zu machen; voller Ehrfurcht starrten sie ihn an und flüsterten einander zu: "Wir haben heute seltsame Dinge gesehen." Lukas 5,26.

Im Heim des ehemals Gelähmten brach großer Jubel aus, als er zu seiner Familie zurückkehrte und dabei das Bett, auf dem er kurze Zeit zuvor schweren Schrittes weggetragen worden war, nun selbst trug -- und das mit Leichtigkeit. Sie umringten ihn mit Freudentränen in den Augen -- sie wagten kaum, ihren Augen zu trauen. Mit wiederhergestellter körperlicher Kraft stand er vor ihnen. Jene Arme, die sie leblos-schlaff gesehen hatten, gehorchten nun seinem Willen. Die Haut, zuvor verkümmert und aschgrau, war jetzt wieder frisch und rosig. Sein Gang wirkte wieder fest und sicher. Sein Gesicht strahlte vor Freude und Hoffnung. Ein Ausdruck von Lauterkeit und Frieden trat an die Stelle der Anzeichen von Sünde und Leid. Freudiger Dank stieg aus diesem Heim zu Gott auf; Gott wurde durch seinen Sohn verherrlicht, der Hoffnungslosen wieder Hoffnung und Kraftlosen wieder Kraft gegeben hatte. Dieser Mann und seine Familie waren bereit, ihr Leben Jesus zu weihen. Da verdunkelte kein Zweifel ihren Glauben, kein Unglaube störte ihre Treue zu Ihm, der ihr düsteres Heim wieder erhellt hatte.

"Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, ... so daß du wieder jung wirst wie ein Adler. Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden ... Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat ... Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten. Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, daß wir Staub sind." Psalm 103,1-14.

"Willst du, daß ich dich gesund mache?"

"Es ist aber zu Jerusalem bei dem Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Bethesda und hat fünf Hallen, in welchen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Verdorrte, die warteten, wann sich das Wasser bewegte." Johannes 5,2.3 (Luther 1912).

Zu bestimmten Zeiten bewegte sich das Wasser dieses Teichs, und man glaubte, dies sei das Wirken einer übernatürlichen Macht; wer dann als erster in dieses Wasser käme, würde geheilt werden, welche Krankheit er auch immer habe. Hunderte von Leidenden kamen deshalb an diesen Ort; aber wenn sich dann das Wasser bewegte, waren es so viele, die zum Teich hasteten, daß sie über Männer, Frauen und Kinder trampelten, die schwächer waren als sie. Viele konnten einfach nicht nahe genug an den Teich herankommen; manche, die es doch geschafft hatten, starben an seinem Rand. Man hatte Hallen rings um den Platz erbaut, um die Kranken tagsüber vor der Sonnenhitze und nachts vor der Kälte zu schützen. Viele verbrachten die Nächte in diesen Hallen und krochen dann tagein, tagaus an den Rand des Teichs, in der vergeblichen Hoffnung auf Genesung.

Jesus weilte gerade in Jerusalem, allein in Meditation und Gebet, und kam dabei zu dem Teich. Dort sah er nun die Kranken in ihrem elenden Zustand, wie sie auf das Ereignis warteten, das sie für ihre einzige Heilungschance hielten. Am liebsten hätte er all diese Kranken gesund gemacht. Aber -- es war Sabbat. Viele waren auf dem Weg zum Tempel, um anzubeten, und Jesus wußte, daß eine solche Heilungstat am Ruhetag das Vorurteil der Juden sehr aufstacheln würde. Seine Zeit des öffentlichen Wirkens konnte dann jäh zu Ende gehen.

Jedoch bemerkte der Heiland da einen Fall ganz besonderen Elends: einen Mann, der seit achtunddreißig Jahren hilflos krank war. Sein Leiden war zum größten Teil das Ergebnis seiner eignen üblen Lebensgewohnheiten und wurde deshalb als ein Gericht Gottes angesehen. Allein, von Freunden längst verlassen, in dem Glauben, er sei von Gottes Gnade ausgeschlossen, hatte der Kranke lange Jahre des Elends zugebracht. Als man wieder einmal eine Bewegung des Wassers erwartete, trugen ihn jene, die mit seiner Hilflosigkeit Mitleid hatten, in die Hallen rings um den Teich. Aber im entscheidenden Moment hatte er niemanden, der ihm in das Wasser geholfen hätte. Oft hatte er die Bewegung des Wassers vor Augen, konnte aber nie weiter kommen als nur bis zum Rand des Teichs. Andere, die stärker als er waren, stiegen vor ihm hinein. Der arme und hilflose Kranke konnte mit der selbstsüchtig drängelnden Menge nicht konkurrieren. Die erfolglosen Versuche, das eine Ziel zu erreichen, seine Angst und die dauernden Enttäuschungen zehrten schnell auch den Rest seiner Kraft auf.

Da lag also der Kranke auf seiner Matte und hob immer wieder den Kopf, um zum Teich zu blicken, als sich ein freundliches, mitfühlendes Gesicht über ihn beugte. Überrascht vernahm er die Frage: "Willst du gesund werden?" Hoffnung keimte in seinem Herzen. Er spürte: Irgendwie wird mir jetzt geholfen. Aber schnell erlosch die aufkeimende Hoffnung wieder. Erinnerte er sich doch, wie oft er vergeblich versucht hatte, in den Teich zu kommen -- und inzwischen bestand wenig Aussicht, bei der nächsten Bewegung des Wassers überhaupt noch am Leben zu sein. Traurig wandte er sich ab, wobei er sagte: "Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein."

Da spricht Jesus zu ihm: "Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!" Johannes 5,6-8. Mit neuer Hoffnung schaut der Kranke nun auf Jesus. Der Ausdruck dieses Gesichts, der Ton dieser Stimme sind ohne Beispiel. Liebe und Macht scheinen von seiner bloßen Gegenwart auszuströmen: Der Glaube des Kranken richtet sich an Christi Worten wieder auf. Ohne weitere Fragen wächst in ihm der Wille, zu gehorchen -- und weil er dies tut, folgt der Körper dem Willen nach. Jeden Nerv und jeden Muskel erfüllt neues Leben, kraftvolle Bewegung kehrt in die kranken Gliedmaßen zurück. Er springt auf, geht seinen Weg mit festem, leichtem Schritt, lobt dabei Gott und freut sich über seine wiedererhaltene Kraft.

Jesus hatte dem Kranken nicht ausdrücklich göttliche Hilfe zugesichert. Der Mann hätte also sagen können: "Herr, wenn du mich gesund machen willst, dann will ich deinem Wort gehorchen." Er hätte sich von skeptischen Gedanken lähmen lassen können -- und damit seine einzige Heilungschance vertan. Aber nein! Er vertraute bedingungslos Jesu Wort, glaubte daran, daß er schon geheilt war, ohne das geringste Zögern strengte er sich an zu gehen, und Gott gab ihm die Kraft dazu. Er wollte gehen, also konnte er es auch; auf das Wort Christi hin handelte er prompt und wurde deshalb geheilt.

Durch die Sünde sind wir von der lichten Gegenwart Gottes getrennt. Unsere Seele ist gelähmt. Aus uns selbst heraus sind wir ebensowenig imstande, ein heiliges Leben zu führen, wie der Kranke nicht fähig war zu gehen. Viele erkennen diese Ohnmacht; sie sehnen sich nach dem geisterfüllten Leben, das ihnen eine harmonische Verbindung mit Gott ermöglicht, und strengen sich eifrig an, ein solches Leben zu führen. Aber vergeblich! Voller Verzweiflung rufen sie dann aus: "Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" Römer 7,24. Dabei brauchen sie in ihrer Verzweiflung nur aufzuschauen. Der Heiland beugt sich zu denen, die er mit seinem eigenen Blut erlöst hat, und fragt unaussprechlich einfühlsam und mitleidsvoll: "Willst du, daß ich dich gesund mache?" Er fordert dich auf, gesund und mit innerem Frieden aufzustehen. Warte also nicht darauf, daß du schon vorab fühlst, gesund gemacht zu sein -- vertraue dem Wort des Heilands. Füge dich ganz unter seinen Willen, und indem du auf Jesu Wort hin handelst, bekommst du Kraft.

Was auch immer die üble Gewohnheit sein mag, die üble Neigung, der du fortgesetzt nachgegeben hast, die deine Gedanken oder deinen Körper gefangen hält -- Christus kann und will dich von ihr befreien. Er will deine Seele wieder lebendig machen, die "tot durch Übertretungen" ist. Epheser 2,1. Dieser Gefangenen, die durch Schwächen, Unglücksfälle und die Ketten der Sünde gebunden ist, will er die Freiheit wiedergeben.

Die beständige Neigung zur Sünde hat deine Verbindung zu den Quellen des Lebens vergiftet; aber Christus sagt zu dir: "Ich will deine Sünden wegnehmen und dir dafür Frieden geben. Ich habe dich mit meinem eigenen Blut erkauft -- du bist mein! Meine Gnade wird deine geschwächte Willenskraft stärken; deine ständig nötige Reue über die immer gleichen Fehler will ich dir ersparen." Wenn Versuchungen Sturm gegen dich laufen, wenn Sorgen und Schwierigkeiten dich erdrücken wollen, wenn du, deprimiert und entmutigt, wieder einmal dabei bist, völlig verzweifelt aufzugeben -- dann schau auf Jesus, und die Dunkelheit um dich herum wird vom hellen Glanz seiner Gegenwart vertrieben. Wenn Sünde in deiner Seele die Macht ergreifen will und dich das Gewissen plagt -- dann schau auf den Heiland: Seine Gnade ist ausreichend, um die Sünde zu beherrschen. Wende dein dankbares Herz hin zu ihm. Finde Halt in der Hoffnung, die vor dir steht. Christus wartet ja nur darauf, dich in seine Familie aufzunehmen. Seine Stärke will deiner Schwäche zu Hilfe kommen, er möchte dich bei jedem Schritt führen. Leg deine Hand in die seine und laß dich von ihm führen.

Glaube nie, daß Jesus weit weg sei -- er ist dir immer nah. Seine liebevolle Gegenwart umgibt dich! Suche ihn als den einen, der innig wünscht, daß du ihn findest. Er will von dir nicht nur am Saum seines Gewandes berührt werden, sondern in beständiger Gemeinschaft mit dir leben.

"Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!"

Das Laubhüttenfest war gerade zu Ende. Die Priester und Rabbiner in Jerusalem hatten mit ihren Attacken gegen Jesus keinen Erfolg gehabt; gegen Abend "ging jeder heim. Jesus aber ging zum Ölberg." Johannes 7,53; 8,1. Nach der Aufregung und Verwirrung in der Stadt, die von einer sensationslüsternen Menschenmenge und verräterischen Schriftgelehrten verursacht worden war, suchte Jesus die Ruhe der Olivengärten, wo er mit Gott allein sein konnte. Aber früh am Morgen kehrte er zum Tempel zurück; als sich dort dann wieder Menschen um ihn scharten, setzte er sich und lehrte sie.

Doch bald wurde er unterbrochen: eine Gruppe von Pharisäern und Schriftgelehrten näherte sich ihm. Sie zerrten eine völlig verstörte Frau mit sich, die sie lautstark anklagten, das siebte Gebot verletzt zu haben. Sie stießen sie in die Nähe Jesu und sagten in heuchlerischer Ehrerbietung: "Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?" Johannes 8,4.5.

Ihr vorgetäuschter Respekt sollte die eigentliche Absicht verschleiern, ihn so oder so in die Falle zu locken. Würde Jesus die Frau freisprechen, könnte man ihn der Verachtung des mosaischen Gesetzes beschuldigen. Würde er sie dagegen des Todes schuldig erklären, dann könnte man ihn bei den Römern verklagen, weil er sich eine Autorität anmaßte, die nur der Besatzungsmacht zustand.

Jesus blickte auf die Menschengruppe, auf die zitternde Frau in ihrer Scham und in die harten Gesichter der "Ehrenmänner", denen jegliches Mitleid fehlte. Diese peinliche Inszenierung erregte seinen Widerwillen. Ohne erkennen zu lassen, ob er die Frage überhaupt gehört hatte, bückte er sich, sah auf den Boden und fing an, in dessen Staub zu schreiben.

Ungeduldig über sein scheinbares Zögern oder seine Gleichgültigkeit, rückten die Ankläger noch näher heran, um seine Aufmerksamkeit für ihren "Rechtsfall" zu erzwingen. Als sie aber genauer hinschauten, was Jesus da auf den Boden schrieb, wurden sie ganz still. Denn dort waren die geheimen Sünden ihres eigenen Lebens zu lesen.

Jesus erhob sich, richtete seinen Blick auf die Ankläger und sagte: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Johannes 8,7. Dann bückte er sich erneut und schrieb weiter in den Staub.

Somit hatte er das mosaische Gesetz nicht beiseite gesetzt und sich andererseits nicht die Autorität Roms angemaßt; dennoch waren die Angreifer geschlagen. Denn nun, nachdem ihre Masken vorgetäuschter Heiligkeit heruntergerissen waren, standen sie schuldbeladen und verurteilt in der Gegenwart göttlicher Reinheit. Vor Angst zitternd, daß die geheimen Sünden ihres Lebens einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden könnten, stahlen sie sich mit gesenkten Köpfen und niedergeschlagenen Augen davon und ließen ihr Opfer beim Heiland zurück, der Mitleid mit ihr hatte.

Jesus stand nun wieder auf, sah die Frau an und fragte: "Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr." Johannes 8,10.11.

Während des gesamten Geschehens hatte die Frau eingeschüchtert und voller Angst vor Jesus gestanden. Seine Worte "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie" waren ihr wie das Todesurteil vorgekommen. Sie wagte nicht mehr, dem Heiland ins Gesicht zu blicken, sondern erwartete schweigend ihr Schicksal. Erstaunt sah sie dann aber, daß ihre Ankläger wortlos und verunsichert davongingen. Schließlich hörte sie von Jesus diese Worte der Hoffnung: "So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr." Ihr Herz wurde angerührt; sie warf sich Jesus zu Füßen, versicherte ihm unter Tränen ihre dankbare Liebe und bekannte dann bitter weinend ihre Sünden.

Und das war der Anfang eines neuen Lebens für sie, eines anständigen Lebens in innerem Frieden, das nun Gott geweiht war. Mit der Aufrichtung dieser gefallenen Seele hat Jesus ein größeres Wunder getan als mit der Heilung schlimmster körperlicher Krankheiten -- hatte er doch die Krankheit der Seele geheilt, die in den ewigen Tod führt. Diese bereuende Frau wurde eine seiner zuverlässigsten Nachfolgerinnen. Mit einer Liebe und Hingabe, die sich selbst aufopferte, bewies sie ihre Dankbarkeit für seine vergebende Gnade. Die Welt hatte für diese Sünderin nichts als Verachtung übrig, aber der sündlose Eine empfand Mitleid mit ihrer Schwachheit und streckte ihr seine helfende Hand entgegen. Die heuchlerischen Pharisäer hatten sich aufs Anprangern konzentriert, Jesus dagegen bat sie: "Geh hin und sündige hinfort nicht mehr."

Jesus kennt die Lebensumstände eines jeden Menschen. Je größer die Schuld des Sünders ist, desto mehr braucht er den Heiland. Sein Herz voll göttlicher Liebe und Mitempfinden fühlt sich am meisten zu denen hingezogen, die am hoffnungslosesten in den Schlingen des Feindes gefangen sind. Hat er doch mit seinem eigenen Blut die Befreiung der ganzen Menschheit besiegelt.

Jesus will die, die mit einem derart hohen Preis freigekauft worden sind, nicht zum Objekt der Versuchungen des Feindes werden lassen. Er will nicht, daß wir überwältigt werden und verlorengehen. Der die Löwen in der Grube bändigte und mit seinen getreuen Zeugen im Feuer umherging, ist ebenso bereit, für uns einzutreten, um jedes Übel in unserem Charakter zu besiegen. Er steht heute vor dem Gnadenthron und bringt vor Gott die Gebete derer dar, die ihn um Hilfe bitten. Er weist keinen zurück, der unter Tränen bereut; bereitwillig vergibt er allen, die ihn um Vergebung und Heilung bitten. Keinem hält er die begangenen Fehler vor; vielmehr lädt er jede zitternde Seele ein, wieder Mut zu fassen. Jeder, der es möchte, darf sich an Gottes Stärke wieder aufrichten und Frieden mit ihm machen -- und Gott wird ebenfalls Frieden schließen.

Die Seelen, die bei ihm Vergebung und Hilfe suchen, erhebt Jesus über die, die anklagen und streitsüchtig reden. Kein Mensch und kein gefallener Engel kann diese Seelen dann noch beschuldigen, denn Christus verbindet sie mit seiner eigenen göttlichmenschlichen Natur. Sie stehen neben dem Opferlamm in dem Licht, das vom Thron Gottes ausgeht. Das Blut Jesu Christi "macht uns rein von aller Sünde" 1.Johannes 1,7. "Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt." Römer 8,33.34.

"Der Raub soll dem Gewaltigen entrissen werden"

Jesus bewies, daß er über Wind und Wellen und auch über Menschen, die von Dämonen besessen waren, uneingeschränkte Gewalt hatte. Er, der den Sturm zum Schweigen und die aufgewühlte See zur Ruhe brachte, gab auch den Seelen Frieden, die völlig von Satan überwältigt waren.

In der Synagoge von Kapernaum sprach Jesus gerade von seinem Auftrag, die Gefangenen der Sünde zu befreien. Da wurde er von einem Schrei des Schreckens unterbrochen. Ein Besessener lief aus der Menge heraus nach vorn und rief: "Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu vernichten. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!" Markus 1,24. Jesus aber bedrohte den bösen Geist und sagte: "Verstumme und fahre aus von ihm! Und der böse Geist warf ihn mitten unter sie und fuhr von ihm aus und tat ihm keinen Schaden." Lukas 4,35.

Auch hier lag die Ursache für das Leiden dieses Mannes in seiner eigenen Lebensführung. Er war von den Vergnügungen der Sünde fasziniert gewesen und hatte deshalb aus seinem Leben einen einzigen großen Karneval gemacht: Unmäßigkeit und Leichtfertigkeit verzerrten die edlen Eigenschaften seines Wesens, und schließlich konnte Satan völlige Kontrolle über ihn gewinnen. Seine Reue kam zu spät. Als er soweit war, daß er Reichtum und Vergnügungen geopfert hätte, um seine verlorene menschliche Würde zurückzugewinnen, war er dem Griff des Bösen schon hilflos ausgeliefert.

In der Gegenwart des Heilands wuchs nun in ihm der Wunsch nach Befreiung -- aber der Dämon widersetzte sich zunächst noch der Macht Christi. Als der Mann versuchte, Jesus um Hilfe zu bitten, legte der böse Geist ihm seine Worte in den Mund, so daß er in großer Furcht die oben zitierten Worte schrie. Der Besessene begriff teilweise, daß er in der Gegenwart des Einen war, der ihn befreien konnte, aber als er versuchte, in die Reichweite dieser mächtigen Hand zu gelangen, hielt ihn der Wille eines anderen zurück, und die Worte eines anderen sprachen aus ihm.

Der Kampf zwischen der Macht Satans und seiner eigenen Sehnsucht nach Befreiung war fürchterlich. Fast schien es, als ob der geplagte Mensch sein Leben verlieren würde in dem Kampf mit dem Feind, der der Ruin seiner menschlichen Würde gewesen war. Aber der Heiland sprach in der ihm eigenen Vollmacht und befreite den Gefangenen. Der eben noch Besessene stand nun in neugewonnener Freiheit und Selbstbeherrschung vor der verwunderten Menge.

Voller Freude pries er Gott für seine Erlösung. Seine Augen, die eben noch im Irrsinn geflackert hatten, leuchteten nun in wiedererlangter Vernunft und waren voller Tränen der Dankbarkeit. Die Menge jedoch begriff vor Erstaunen erst einmal gar nichts. Als sie aber ihre Sprachlosigkeit überwunden hatten, riefen die Menschen einander zu: "Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! Er gebietet auch den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm!" Markus 1,27.

Auch heute gibt es viele Menschen, die genauso unter der Gewalt übler Geister stehen wie damals der Besessene in Kapernaum. Alle, die willentlich Gottes Gebote übertreten, stellen sich damit unter die Herrschaft Satans. Viele lassen sich auf das Böse ein in der Vorstellung, nach Belieben wieder damit aufhören zu können; aber man wird immer weiter gelockt, bis man sich von einem Willen beherrscht sieht, der stärker als der eigene ist. Dessen geheimnisvoller Macht kann man nun nicht mehr entrinnen. Geheime Sünden, übermächtige üble Gewohnheiten können einen dann so gefangenhalten, wie es bei dem Besessenen in Kapernaum der Fall war.

Und doch ist dieser Zustand nicht hoffnungslos. Gott wird nicht zum Herrn unserer Seele, wenn wir das nicht wollen, aber jeder hat die Freiheit zu wählen, welcher Macht er die Herrschaft über sich gewähren will. Und keiner ist so tief gesunken, keiner so verdorben, daß er von Christus nicht mehr befreit werden könnte. Der Besessene von Kapernaum konnte anstelle eines Gebets nur die Worte Satans aussprechen, doch die unausgesprochene Bitte des Herzens wurde erhört. Kein Schrei einer Seele in Not wird ungehört bleiben, auch wenn er sich nicht mehr in Worten ausdrücken kann. Alle, die ihr Leben der Macht Gottes unterstellen, werden nicht mehr der Macht Satans und auch nicht mehr der Schwachheit ihrer eigenen Natur überlassen. "Kann man auch einem Starken den Raub wegnehmen? Oder kann man einem Gewaltigen seine Gefangenen entreißen? So aber spricht der Herr: Nun sollen die Gefangenen dem Starken weggenommen werden, und der Raub soll dem Gewaltigen entrissen werden. Ich selbst will deinen Gegnern entgegentreten und deinen Söhnen helfen." Jesaja 49,24.25.

Wunderbar wird die Verwandlung sein, die mit jedem geschieht, der im Glauben dem Heiland die Tür seines Herzens öffnet.

"Ich habe euch Macht gegeben"

Wie die zwölf Apostel empfingen auch die siebzig Jünger, die Christus später aussandte, übernatürliche Gaben als eine Beglaubigung ihres Auftrags. Nachdem sie nun ihr Werk ausgeführt hatten, kamen sie voller Freude wieder zu Jesus und berichteten: "Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen." Und Jesus antwortete: "Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz." Lukas 10,17.18.

Seit damals dürfen Nachfolger Jesu Satan als einen besiegten Feind betrachten. Am Kreuz hat Jesus für sie den Sieg errungen, und er wollte, daß sie diesen Sieg als ihren eigenen annehmen. Schließlich hatte er ihnen doch zugesichert: "Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden." Lukas 10,19.

Die Allmacht des Heiligen Geistes ist die Verteidigungsinstanz für jede reuige Seele. Keinen, der sich in Reue und Gläubigkeit auf seinen Schutz beruft, wird Christus in die Gewalt des Feindes geraten lassen. Jawohl, Satan ist ein mächtiges Wesen -- aber Gott sei Dank, haben wir einen mächtigeren Heiland, der den Bösen aus dem Himmel geworfen hat. Satan freut sich, wenn wir ausgiebig über seine Machtfülle diskutieren -- warum reden wir statt dessen nicht über Jesus? Warum verherrlichen wir nicht seine Macht und Liebe?

Der Regenbogen der Verheißung, der den Thron des Höchsten umgibt, bezeugt für immer, daß "Gott die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" Johannes 3,16. Er bezeugt dem Universum, daß Gott seine Kinder in ihrem Kampf gegen das Böse niemals verlassen wird. Er bietet uns Stärke, Sicherheit und Schutz, solange der Thron Gottes selbst besteht.