Auf den Spuren des großen Arztes

Kapitel 6

Gerettet, um zu dienen

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Es geschah eines Morgens am See Genezareth. Jesus und seine Jünger hatten nach einer stürmischen Nacht auf dem Wasser das Ufer erreicht; die Strahlen der aufgehenden Sonne berührten den See und das Land wie eine Verheißung des Friedens. Aber als sie am Ufer aus dem Boot steigen, empfängt sie ein Anblick, der schlimmer ist als der sturmgepeitschte See in der Nacht.

Aus einem Versteck zwischen den Gräbern stürzen zwei Besessene auf sie zu, als ob sie sie in Stücke reißen wollten. An diesen Männern hängen noch Teile der Ketten, die sie zerrissen haben, als sie aus dem Gefängnis geflohen sind. Ihre aufgerissene Haut blutet, ihre Augen starren zwischen langen und zottigen Haaren hindurch; sie weisen nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen auf, sehen wilden Tieren ähnlicher als Menschen.

Die Jünger und ihre Begleiter fliehen entsetzt; aber dann bemerken sie, daß Jesus nicht mehr bei ihnen ist, und wenden sich nach ihm um: Er steht weiterhin dort, von wo sie weggelaufen sind. Er, der den Sturm bändigte, der zuvor Satan begegnet war und ihn besiegt hatte, flieht nun auch nicht vor diesen Dämonen. Als die Besessenen zähneknirschend und mit Schaum vor dem Mund auf ihn zustürzen, hebt Jesus die Hand, die den Wellen Ruhe befohlen hatte -- und die Männer können nicht näher kommen. Sie stehen vor ihm, wutschnaubend, aber machtlos.

Voller Autorität gebietet er nun den unreinen Geistern, aus den Männern auszufahren. Die Unglücklichen erkennen, daß ihnen hier einer nahe ist, der sie von den quälenden Geistern befreien kann. Sie fallen dem Heiland zu Füßen, um ihn um Gnade anzuflehen -- aber als sie ihren Mund öffnen, reden die Dämonen aus ihnen und schreien: "Was willst du von uns, du Sohn Gottes? Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe es Zeit ist?" Matthäus 8,29. Doch Jesus befiehlt den Dämonen, ihre Opfer zu verlassen, und sofort geschieht mit den Besessenen eine wunderbare Verwandlung. Ihr Denken gewinnt wieder Vernunft, ihre Augen drücken wieder Verständigkeit aus. Die Gesichtszüge, die so lange unter dem Einfluß Satans verzerrt waren, werden plötzlich sanftmütig, die blutbefleckten Hände finden Ruhe, und die Männer beginnen, Gott zu loben.

Inzwischen sind die Dämonen, nachdem sie aus ihren menschlichen Behausungen vertrieben wurden, in eine Herde Schweine gefahren und haben diese einen Uferabhang hinunter in den Tod gestürzt. Die Hüter der Herde laufen entsetzt davon, um dieses Ereignis weiterzuerzählen; da strömt die ganze Bevölkerung zusammen, um Jesus zu sehen. Waren doch die zwei Besessenen der Schrecken des ganzen Landstrichs gewesen; nun sind diese Männer vernünftig gekleidet und wieder ganz bei Sinnen. Sie sitzen zu Füßen Jesu, hören seinen Worten zu und rühmen den Namen dessen, der sie gesund gemacht hat. Aber die Menschenmenge, die diese wunderbare Szene erlebt, freut sich zunächst gar nicht. Der Verlust der Schweine erscheint ihnen nämlich gewichtiger als die Befreiung dieser Gefangenen Satans. Voller Schrecken drängen sie sich um Jesus und bitten ihn, er möge doch ihre Gegend verlassen. Er erfüllt diese Bitte und steigt sofort in ein Schiff, um zum gegenüberliegenden Ufer zu fahren.

Ganz anders ist es um das Empfinden der beiden Geheilten bestellt. Sie möchten auf jeden Fall bei ihrem Befreier bleiben; in seiner Gegenwart fühlen sie sich sicher vor den Dämonen, die sie gequält und vieler guter Lebensjahre beraubt haben. Als Jesus im Begriff ist, in das Schiff zu steigen, bleiben sie dicht an seiner Seite, ja knien vor ihm nieder und flehen darum, bei ihm bleiben zu dürfen, um weiter seinen Worten lauschen zu können. Jesus aber fordert sie auf, in ihre Heimat zurückzukehren und zu erzählen, was der Herr Großes an ihnen getan hat.

Das also ist es, was sie tun sollen -- in einer heidnischen Heimat von den Segnungen berichten, die sie durch Jesus erfahren haben. Es fällt ihnen schwer, sich von ihrem Heiland zu trennen. Vom Zusammentreffen mit ihren heidnischen Landsleuten haben sie nur Schwierigkeiten zu erwarten. Außerdem macht sie die lange Zeit, die sie außerhalb menschlicher Gesellschaft verbracht haben, nicht gerade fähiger für diese Aufgabe. Doch als Jesus ihnen ihre Pflicht vor Augen führt, gehorchen sie bereitwillig.

So berichteten sie nicht nur ihren eigenen Familien und Nachbarn von Jesus, sondern gingen auch durch das ganze Zehn-StädteLand; überall bezeugten sie seine Rettermacht und verkündeten, wie er sie von den Dämonen befreit hatte.

Obwohl die Gerasener zunächst nichts von Jesu Lehre wissen wollten, überließ er sie nicht der Dunkelheit, die sie sich erwählt hatten. Denn als sie ihn baten, ihre Gegend wieder zu verlassen, hatten sie seine Botschaft noch nicht gehört; sie wußten also gar nicht, was sie da zurückwiesen. Deshalb sandte er ihnen das Licht auf andere Weise, und zwar durch jene, denen sie bereitwilliger zuhören würden.

Satan vernichtete die Schweine, um damit die Bevölkerung gegen den Heiland aufzubringen und die Verkündigung der frohen Botschaft in dieser Gegend zu verhindern. Aber andererseits weckte gerade dieses Ereignis diese Region in einer Weise auf, wie es kein anderer Vorfall hätte bewirken können, und lenkte so die Aufmerksamkeit aller auf Christus. Der Heiland selbst ging weg, aber die von ihm geheilten Männer blieben als Zeugen seiner Macht zurück. Diese ehemaligen Werkzeuge des Fürsten der Finsternis wurden zu Trägern des Lichts, zu Botschaftern des Sohnes Gottes. Als Jesus später in das Zehn-Städte-Land zurückkehrte, scharten sich die Menschen um ihn, und drei Tage lang hörten Tausende aus allen umliegenden Gegenden die Botschaft der Erlösung.

Die zwei Geheilten waren die ersten Missionare, die Christus zur Verbreitung des Evangeliums in die Zehn-Städte-Region aussandte. Nur kurze Zeit hatten diese Männer seinen Worten gelauscht; vor diesem Zusammentreffen mit Jesus war ihnen nicht eine einzige Predigt von ihm zu Ohren gekommen. Deshalb konnten sie die Menschen nicht so unterrichten wie die Jünger, die tagein, tagaus mit Jesus zusammen waren. Aber sie konnten erzählen, was sie wußten, was sie selbst von der Macht des Heilands gesehen, gehört und gespürt hatten. Und das ist es, was jeder tun kann, dessen Herz von der Gnade Gottes angerührt worden ist. Das ist das Zeugnis, zu dem unser Herr aufruft -- und an dessen Mangel die Welt zugrunde zu gehen droht.

Nicht als eine leblose Theorie soll das Evangelium vermittelt werden, sondern als eine lebendige Kraft, die das Leben verändert. Gott will durch das Zeugnis seiner Diener deutlich machen, daß Menschen durch seine Gnade einen christusähnlichen Charakter erhalten und sich der Gewißheit seiner großen Liebe erfreuen können. Er kann erst zufrieden sein, wenn alle, die die Erlösung annehmen möchten, zurückgewonnen und wieder in ihre heiligen Vorrechte als seine Söhne und Töchter eingesetzt sind.

Sogar jene, deren Lebensweise ihn in höchstem Maße beleidigt hat, nimmt er gern wieder an. Wenn sie bereuen, gibt er ihnen von seinem göttlichen Geist und sendet sie dann ins Lager der Ungläubigen, um dort seine Gnade zu verkünden. Auch heute noch werden Seelen, die zu Werkzeugen Satans erniedrigt worden sind, durch die Macht Christi in Botschafter der Gerechtigkeit verwandelt und ausgesandt zu erzählen, was für große Dinge der Herr für sie getan und wie er sich ihrer erbarmt hat.

"Dich rühme ich immerdar"

Nachdem die Frau aus Kapernaum durch die Berührung im Glauben geheilt worden war, wünschte Jesus, daß sie den erhaltenen Segen auch als einen solchen bekannte. Die Gaben, die das Evangelium anbietet, sollen nicht im geheimen angenommen oder genossen werden. "Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr, und ich bin Gott." Jesaja 43,12.

Unser Bekenntnis seiner Treue ist das von Gott erwählte Mittel, um der Welt Christus zu offenbaren. Wir sollen seine Gnade bekennen, wie sie uns von heiligen Menschen vergangener Zeiten bekannt gemacht worden ist; aber am wirksamsten wird die Bezeugung unserer eigenen Erfahrungen sein.

Wir sind Zeugnisse für Gott, indem wir mit unserer Person das Wirken einer Macht aufzeigen, die göttlich ist. Jeder einzelne hat seinen Lebensweg, der sich von dem aller anderen unterscheidet, und seine eigenen Erfahrungen mit Gott, die von denen der anderen grundsätzlich verschieden sind. Gott will, daß mein Lobpreis zu ihm aufsteigt, als einer, der auch unverwechselbar als der meine erkennbar ist. Diese wertvollen Bekenntnisse zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade üben, wenn sie von einem christusähnlichen Leben bekräftigt werden, eine unwiderstehliche Macht zur Errettung von Seelen aus.

Es dient zu unserem eigenen Vorteil, wenn wir alles, was wir Gott verdanken, in unserem Gedächtnis lebendig erhalten. Dadurch wird unser Glaube gestärkt, von Gott immer mehr zu erbitten und zu erhalten. In dem kleinsten Segen, den wir selbst von Gott empfangen, liegt eine größere Ermutigung für uns, als in allen Berichten, die wir vom Glauben und der Erfahrung anderer lesen können. Die Seele, die dankbar auf die Gnade Gottes reagiert, wird einem gut bewässerten Garten gleichen: Er wird rasch gedeihen, und die Herrlichkeit des Herrn wird an ihm wahrgenommen werden.

"Wie soll ich dem Herrn vergelten all seine Wohltat, die er an mir tut? Ich will den Kelch des Heils nehmen und des Herrn Namen anrufen. Ich will meine Gelübde dem Herrn erfüllen vor all seinem Volk." Psalm 116,12-14.

"Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin. Mein Reden möge ihm wohlgefallen. Ich freue mich des Herrn." Psalm 104,33.34.

"Wer kann die großen Taten des Herrn alle erzählen und sein Lob genug verkündigen?" Psalm 106,2.

"Danket dem Herrn und rufet an seinen Namen; verkündigt sein Tun unter den Völkern! Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern! Rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen!" Psalm 105,1-3.

"Denn deine Güte ist besser als Leben; meine Lippen preisen dich. So will ich dich loben mein Leben lang und meine Hände in deinem Namen aufheben. Das ist meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann; wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich, wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach. Denn du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich." Psalm 63,4-8.

"Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was können mir Menschen tun? Ich habe dir, Gott, gelobt, daß ich dir danken will. Denn du hast mich vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, daß ich wandeln kann vor Gott im Licht der Lebendigen." Psalm 56,12-14.

"Du Heiliger Israels. Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen. Auch meine Zunge soll täglich reden von deiner Gerechtigkeit" Psalm 71,22-24.

"Denn du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an ... Dich rühme ich immerdar." Psalm 71,5.6.

"Ich will deinen Namen kundmachen von Kind zu Kindeskind; darum werden dir danken die Völker immer und ewig." Psalm 45,18.

"Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch"

Die Einladung des Evangeliums darf nicht nur einer ausgesuchten kleinen Anzahl von Menschen angeboten werden, die wir für würdig erachten, diese Einladung zu empfangen. Die Botschaft muß allen gebracht werden. Wenn Gott seine Kinder segnet, tut er das nicht allein um ihretwillen, sondern auch um der Welt willen. Wenn er uns also seine Gaben verleiht, dann deshalb, damit wir sie durch ihre Weitergabe vervielfältigen.

Die Samariterin, die mit Jesus am Jakobsbrunnen redete, brachte sofort, nachdem sie ihn als den Heiland erkannt hatte, andere Menschen zu ihm. Damit erwies sie sich als eine wirkungsvollere Missionarin als Jesu eigene Jünger. Diese nämlich hielten Samaria nicht für ein lohnendes Arbeitsfeld.

Ihre Gedanken waren statt dessen auf ein großartiges und in der Zukunft liegendes Werk fixiert. Sie nahmen nicht wahr, daß es jetzt und hier um sie herum eine Ernte einzubringen gab. Mit Hilfe der Frau aber, die sie verachtet hatten, wurde die Bevölkerung einer ganzen Stadt dazu bewegt, Jesus zuzuhören. Sie trug das Licht sofort zu ihren Landsleuten.

Diese Frau repräsentiert die Arbeitsweise eines Glaubens an Christus, der sofort praktisch tätig wird. Jeder wahre Jünger wird als ein potentieller Missionar in das Reich Gottes hineingeboren. Sobald er den Heiland kennenlernt, will er auch andere mit ihm bekannt machen. Die rettende und heiligende Wahrheit kann er dann einfach nicht mehr für sich behalten.

Wer vom Wasser des Lebens getrunken hat, wird selbst zu einer Quelle des Lebens. Der Empfänger wird zum Geber. Die Gnade Christi in der Seele ist wie eine Quelle in der Wüste, die hervorquillt, um allen zu trinken zu geben, und die besonders jene, die am Rand des Todes stehen, begierig das Wasser des Lebens aufnehmen läßt.

Wenn wir diese Arbeit tun, werden wir reicher gesegnet, als wenn wir nur zu unserem eigenen Nutzen tätig werden. Durch die Verbreitung der guten Nachricht von der Erlösung werden wir selbst dem Heiland nahe kommen.

Von denen, die seine Gnade empfangen, sagt der Herr folgendes: "Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein." Hesekiel 34,26. "Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen." Johannes 7,37.38.

Wer etwas geschenkt bekommt, soll es auch an andere weitergeben. Von überall her kommen doch Hilferufe. Gott ruft uns alle auf, unseren Mitmenschen freudig zu dienen. Unvergängliche Kronen und ein himmlisches Reich warten auf uns, wenn wir einer Welt, die an ihrer Unwissenheit zugrunde zu gehen droht, die Gute Nachricht bringen.

"Sagt ihr nicht selber: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und seht auf die Felder, denn sie sind reif zur Ernte. Wer erntet, empfängt schon seinen Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit sich miteinander freuen, der da sät und der da erntet." Johannes 4,35.36.

"Siehe, ich bin bei euch alle Tage"

Drei Jahre lang hatten die Jünger das Vorrecht, die persönliche Gegenwart Jesu zu erleben. Tag für Tag gingen und redeten sie mit ihm, hörten sie seine ermutigenden Worte an die Mühseligen und Beladenen und sahen die Offenbarungen seiner Macht an den Kranken und Leidenden.

Als die Zeit des Abschieds kam, gab Jesus ihnen Gnade und Vollmacht, dieses Werk in seinem Namen weiterzuführen. Sie sollten nun das Licht seines Evangeliums der Liebe und Heilkraft verbreiten. Und der Heiland versprach, stets mit ihnen zu sein. Durch den Heiligen Geist würde er ihnen sogar näher sein als zur Zeit seiner persönlichen Gegenwart unter den Menschen.

Die Arbeit, die die Jünger dann getan haben, ist beispielhaft für uns. Jeder Christ soll ein Missionar sein. Voller Mitgefühl sollen wir den Hilfsbedürftigen dienen und jede Gelegenheit nutzen, das Elend der leidenden Menschheit zu lindern.

Da gibt es für alle etwas zu tun. Niemand braucht das Gefühl zu haben, daß es für ihn keine Möglichkeit gäbe, für Christus zu arbeiten. Der Heiland identifiziert sich mit jedem Menschenkind. Damit wir wieder Mitglieder der himmlischen Familie werden können, wurde er ein Mitglied der irdischen Familie. Er ist der Sohn eines Menschen und somit ein Bruder jedes Sohnes und jeder Tochter Adams. Seine Nachfolger dürfen sich nicht über die zugrunde gehende Welt erhaben fühlen. Sie sind immer noch Teil der großen Menschheitsfamilie, und der Himmel betrachtet sie sowohl als Geschwister der Sünder wie der Heiligen.

Millionen und Abermillionen von Menschen leben in Krankheit, Unwissenheit und Sünde. Sie haben noch nie etwas von Christi Liebe gehört. Stellen wir uns vor, wir wären in ihrer Lage und sie in der unsrigen -- was würden wir dann sehnlichst von ihnen erwarten? Genau das sollen wir für sie tun, soweit es in unserer Macht steht. Christi Lebensregel, gemäß der jeder von uns im Gericht entweder bestehen oder verurteilt werden wird, lautet: "Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!" Matthäus 7,12.

Mit allem, was uns gegenüber anderen Vorteile verschafft -- sei es Ausbildung und Lebensart, ein edler Charakter, christliche Erziehung oder religiöse Erfahrung -- stehen wir in der Schuld der weniger Begünstigten und sollen ihnen dienen, soweit es in unserer Macht steht. Wenn wir stark sind, ist es unsere Aufgabe, die Hände der Schwachen stärken.

Engel der Herrlichkeit, die stets das Angesicht des Vaters im Himmel sehen, haben Freude daran, seinen Kindern zu dienen. Engel sind immer gegenwärtig, wo sie dringend gebraucht werden; sie sind bei denen, die die härtesten Gefechte mit ihrem Ich auszutragen haben, und bei denen, die allen Mut verloren haben. Schwachen und zitternden Seelen mit unschönen Charakterzügen gilt ihre besondere Aufmerksamkeit. Was selbstsüchtige Menschen als Zumutung betrachten, nämlich denen zu dienen, die elend und in jeder Hinsicht niederen Charakters sind, das sehen sündlose Wesen des Himmels vorrangig als ihre Aufgabe.

Jesus wollte nicht im Himmel verweilen, während wir verloren waren. Er entschied sich freiwillig für ein Leben der Anfeindungen und Beleidigungen und für einen Tod in Schande. Er, dem die unermeßlichen Reichtümer des Himmels gehörten, wurde arm, damit wir durch seine Armut reich werden konnten. Und wir sollen seinem Beispiel folgen.

Wer ein Kind Gottes geworden ist, sollte sich von nun an als ein Glied in der Kette ansehen, die vom Himmel bis in diese Welt hinabreicht, um sie zu retten, als ein Teil des Planes Jesu zur Suche und Rettung Verlorener.

Viele halten es für ein besonderes Vorrecht, die Plätze aufzusuchen, wo Jesus auf Erden weilte, zu gehen, wo er ging, auf den See zu schauen, an dem er so gern lehrte, und die Hügel und Täler zu betrachten, auf denen seine Augen so oft ruhten. Aber wir brauchen nicht nach Nazareth, Kapernaum oder Bethanien zu reisen, um in den Fußspuren Jesu zu gehen.

Seinen Spuren können wir auch in unserer unmittelbaren Nähe folgen: am Bett eines Kranken, in den Hütten der Armen, auf den verstopften Straßen unserer Großstädte und an jedem Platz, wo Menschen Trost und Hilfe brauchen.

Es ist unsere Aufgabe, den Hungernden Nahrung zu geben, die Bedürftigen mit Kleidung auszustatten und den Kranken und Geplagten zu helfen. Wir sollen den Verzweifelnden dienen und den Hoffnungslosen wieder Mut machen.

Durch unseren selbstlosen Dienst wird sich die Liebe Christi bei der Bekehrung eines Ungerechten wirksamer erweisen als Waffengewalt oder Gerichtsandrohung. Diese sind notwendig zur Abschreckung potentieller Gesetzesbrecher, aber der liebevolle Missionar kann mehr tun als das. Oft wird ein Herz, das durch Bestrafung nur noch härter würde, unter der Liebe Christi schmelzen.

Der Missionar wird nicht nur körperliche Krankheiten heilen, sondern den Sünder außerdem zu dem Großen Arzt führen, der auch die Seele vom Aussatz der Sünde zu reinigen vermag. Durch seine Nachfolger möchte Gott zu den Kranken, den Unglücklichen und von bösen Geistern Besessenen sprechen. Mit Hilfe seiner menschlichen Werkzeuge will er ein Tröster sein, wie ihn die Welt sonst nicht kennt.

Der Heiland hat sein kostbares Leben hingegeben, um eine Gemeinde zu gründen, die den Leidenden, Traurigen und Versuchten dient. Eine Gruppe von Gläubigen mag arm, ungebildet und unbekannt sein -- aber mit der Kraft Christi können sie in Familien, in ihrer Stadt und selbst in weiter entfernten Gegenden doch ein Werk vollbringen, dessen Ergebnisse bis in die Ewigkeit reichen.

Den heutigen Nachfolgern Christi gelten die folgenden Worte Jesu nicht weniger als den ersten Jüngern: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker." Matthäus 28,18.19. "Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur." Markus 16,15.

Und auch uns gilt das Versprechen seiner Gegenwart: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Matthäus 28,20.

Heutzutage strömen keine neugierigen Menschenmengen mehr an einsamen Plätzen zusammen, um Jesus zu sehen und zu hören. Im Lärm unseres Straßenverkehrs wird seine Stimme nicht wahrgenommen. Es ertönt kein Ruf: "Jesus von Nazareth geht vorbei." Lukas 18,37. Und doch gilt dieses Wort auch heute noch. Denn Christus geht unsichtbar durch unsere Straßen. Mit seiner Botschaft der Gnade kommt er in unsere Häuser. Er möchte mit allen zusammenarbeiten, die in seinem Namen dienen wollen. Er ist mitten unter uns, um zu heilen und zu segnen, wenn wir ihn nur aufnehmen.

"So spricht der Herr: Ich habe dich erhört zur Zeit der Gnade und habe dir am Tage des Heils geholfen und habe dich behütet und zum Bund für das Volk bestellt, daß du das Land aufrichtest und das verwüstete Erbe zuteilst, zu sagen den Gefangenen: Geht heraus! und zu denen in der Finsternis: Kommt hervor!" Jesaja 49,8.9.

"Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!" Jesaja 52,7.

"Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes." Jesaja 52,9.10.