Macht Und Ohnmacht

Kapitel 37

Nach Babylon In Die Gefangenschaft

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Jeremia 37 bis 39; 43,1-7 und 52 (bzw. 2. Könige 25).

"Zedekia lehnte sich gegen die Herrschaft des babylonischen Königs auf Darum zog Nebukadnezar mit seinem ganzen Heer nach Jerusalem, um die Stadt anzugreifen. Im 9. Regierungsjahr Zedekias ... begannen die Babylonier mit der Belagerung Jerusalems." (Jeremia 52,3b.4 Hfa; vgl. 2. Könige 25,1) Die Aussichten für Juda waren hoffnungslos. "Ich will gegen dich vorgehen", verkündete der Herr durch Hesekiel, "ich werde mein Schwert aus seiner Scheide ziehen, um den Gerechten wie den Gottlosen bei dir auszulöschen . es wird nicht mehr in seine Scheide zurückkehren . Jedes Herz [wird] verzagen, und alle Hände werden herabsinken ... Ich werde meinen Groll über dich ausgießen und das Feuer meines Zorns gegen dich anfachen. Ich werde dich grausamen Menschen ausliefern, deren Handwerk das Töten ist" (Hesekiel 21,8.10b.12b.36 NLB).

Die Ägypter rückten vor, um die belagerte Hauptstadt zu befreien. Um sie davon abzuhalten, gaben die Babylonier die Belagerung von Jerusalem für einige Zeit auf. Das veranlasste Zedekia zu neuer Hoffnung. Er sandte einen Boten zu Jeremia mit der Bitte, für das jüdische Volk zu beten.

Die furchterregende Antwort des Propheten lautete, dass die Babylonier zurückkehren und die Stadt zerstören würden. Das Machtwort Gottes war endgültig. Die unbußfertige Nation konnte die göttlichen Strafgerichte nicht mehr abwenden. "Redet euch nicht ein, die Babylonier würden endgültig abziehen!", warnte der Herr sein Volk. "Sie werden nicht abziehen. Selbst wenn ihr das ganze babylonische Heer in die Flucht schlagen könntet und nur ein paar Verwundete in ihren Zelten zurückblieben, sie würden aufstehen und diese Stadt niederbrennen!" (Jeremia 37,9.10 GNB) Der Überrest von Juda sollte in die Gefangenschaft gehen, um durch Not das zu lernen, was er unter günstigeren Verhältnissen nicht hatte lernen wollen. Gegen diesen Erlass des heiligen Wächters (vgl. Dan 4,10) gab es keine Berufung.

Die Rettung Der Bundeslade

Es gab in Jerusalem noch ein paar Rechtschaffene, denen die göttliche Absicht klargemacht worden war. Sie waren entschlossen, die heilige Bundeslade dem Zugriff roher Hände zu entziehen, denn sie enthielt die Steintafeln, auf denen die Zehn Gebote aufgezeichnet waren. Diesen Plan führten sie aus. Traurig und betrübt verbargen sie die Bundeslade in einer Höhle, wo sie vor dem Volk Israel und vor Juda wegen deren Sünden verborgen bleiben und nicht mehr an sie zurückgegeben werden sollte (vgl. 2. Makkabäer 2,4-7). Die Bundeslade ist immer noch in ihrem Versteck. Seitdem sie verborgen wurde, ist sie nie in ihrer Ruhe gestört worden.

Jeremia Wird Ins Gefängnis Geworfen

Viele Jahre lang hatte Jeremia als treuer Zeuge Gottes unter dem Volk gewirkt. Als nun die zum Untergang verdammte Stadt bald in die Hände der Heiden fallen sollte, sah er seine Arbeit als erledigt an und wollte Jerusalem verlassen. Doch der Sohn eines falschen Propheten hinderte ihn daran und behauptete, Jeremia wolle zu den Babyloniern überlaufen, weil er die Juden wiederholt gedrängt habe, sich ihnen zu ergeben. Der Prophet wies die erlogene Beschuldigung zwar zurück, doch "die Oberen wurden zornig über Jeremia und ließen ihn schlagen und warfen ihn ins Gefängnis" (Jeremia 37,15a).

Die Hoffnung, die bei den Fürsten und beim Volk aufgekommen war, als sich die Heere von Nebukadnezar nach Süden wandten, um den Ägyptern entgegenzutreten, erwies sich bald als grundlos. Das Wort des Herrn lautete: "Ich werde gegen dich vorgehen, Pharao, König von Ägypten." (Hesekiel 29,3a NLB) Man konnte die Macht der Ägypter nur noch mit einem zerbrochenen Schilfrohr vergleichen. "Alle Bewohner von Ägypten werden dann erkennen, dass ich der Herr bin, denn du bist für das Volk der Israeliten eine Stütze aus Schilfrohr gewesen." (Hesekiel 29,6 NLB) "Ich mache die Arme des Königs von Babel stark, die Arme des Pharao aber werden herabsinken. Und wenn ich dem König von Babel mein Schwert in die Hände lege und er es gegen Ägypten erhebt, werden sie erkennen, dass ich der Herr bin." (Hesekiel 30,25 NLB)

Zedekia Befragt Jeremia

Während die Fürsten von Juda vergeblich hilfesuchend nach Ägypten blickten, dachte König Zedekia voll banger Vorahnung an den Propheten Gottes, den man ins Gefängnis geworfen hatte. Nach etlichen Tagen rief ihn der König heimlich zu sich und fragte ihn: "Hast du eine neue Botschaft vom Herrn?" Jeremia antwortete: ">Ja ... Du wirst der Gewalt des babylonischen Königs ausgeliefert werden.‹ Dann fragte Jeremia den König: ›Welches Verbrechen habe ich begangen? Habe ich mich gegen dich, gegen deine Minister oder gegen das Volk in irgendeiner Weise falsch verhalten? Oder warum hast du mich ins Gefängnis werfen lassen? Wo sind jetzt deine Propheten, die dir fest zugesagt haben, dass der babylonische König weder dich noch dein Land angreifen wird? Nun bitte ich dich um eines, mein Herr und König: Lass mich nicht in das Verlies im Haus des Schreibers Jonatan zurückbringen, denn dort müsste ich mit Sicherheit sterben.‹ Da befahl König Zedekia, Jeremia statt im Verlies im Wachhof gefangen zu halten. Der König ordnete auch an, dass Jeremia jeden Tag einen Laib Brot aus der Bäckergasse erhalten sollte, solange es noch Nahrung in der Stadt gab. So blieb Jeremia im Wachhof." (Jeremia 37,17-21 NLB)

Der König wagte es nicht, offen zu zeigen, dass er etwas von Jeremia hielt. Aus Angst suchte er privat bei ihm Auskunft, aber er war nicht mannhaft genug, um der Missbilligung seiner Fürsten und des Volkes zu trotzen und sich dem Willen Gottes zu fügen, den ihm der Prophet verkündigt hatte.

Jeremia Fordert Unverdrossen Zur Unterwerfung Auf

Vom Gefängnishof aus rief Jeremia weiterhin zur Unterwerfung unter die babylonische Herrschaft auf. Widerstand bedeute den sicheren Tod. Die Botschaft des Herrn für Juda lautete: "Wer in Jerusalem bleibt, kommt durch Krieg, Hungersnot oder Pest um. Wer sich aber den Babyloniern ergibt, soll am Leben bleiben und in Sicherheit sein." Die Worte des Propheten waren klar und deutlich. Mutig erklärte er im Namen des Herrn: "Die Stadt Jerusalem wird mit Sicherheit der Gewalt des Heeres des babylonischen Königs ausgeliefert werden. Ja, jener wird Jerusalem erobern." (Jeremia 38,2.3 NLB)

Wütend über die wiederholten Ratschläge von Jeremia, die ihrer eigenen Widerstandspolitik entgegenstanden, legten die Fürsten schließlich heftige Beschwerde beim König ein. Sie behaupteten, der Prophet sei ein Staatsfeind, der mit seinen Reden das Volk entmutige und ins Unglück stürze, weshalb er hingerichtet werden solle.

Der feige König wusste, dass die Beschuldigungen falsch waren. Um jedoch jene, die hohe und einflussreiche Stellungen innehatten, günstig zu stimmen, tat er so, als glaubte er ihren Lügen, und übergab ihnen Jeremia, damit sie nach ihrem Gutdünken mit ihm verfahren konnten. "Da holten die Minister Jeremia aus seiner Zelle und ließen ihn an Seilen in die Zisterne des Prinzen Malkija hinab, die sich im Wachhof befand. Es war kein Wasser in der Zisterne, sondern Schlamm, in den Jeremia einsank." (Jeremia 38,6 NLB) Aber Gott erweckte ihm Freunde, die seinetwegen ein Gesuch an den König richteten. Daraufhin wurde er in den Wachhof zurückgebracht.

Eine Letzte Unterredung

Noch einmal ließ der König Jeremia heimlich zu sich holen und forderte ihn auf, ihm Gottes Absicht mit Jerusalem wahrheitsgetreu zu berichten. Je- remia antwortete: "Wenn ich dir die Wahrheit sage, lässt du mich bestimmt töten. Und auf meinen Rat hörst du ohnehin nicht." Der König traf daraufhin eine geheime Abmachung mit dem Propheten: "So wahr der Herr, der uns geschaffen hat, lebt: Ich lasse dich nicht töten und liefere dich auch nicht den Männern aus, die dich umbringen wollen." (Jeremia 38,15.16 NLB)

Der König hatte immer noch Gelegenheit zu zeigen, dass er die Warnungen Jahwes ernst nahm und somit die Strafgerichte abmildern konnte, die nun über die Stadt und die Nation hereinbrechen sollten. Die Botschaft an den König lautete: "Wenn du dich den babylonischen Heerführern ergibst, wirst du nicht getötet werden, und die Stadt soll nicht niedergebrannt werden. Ja, du und deine Familie sollen in diesem Fall am Leben bleiben. Solltest du dich aber den babylonischen Heerführern nicht ergeben, fällt diese Stadt den Babyloniern in die Hände - sie werden sie vollständig niederbrennen. Und du wirst ihnen nicht entkommen können." (Jeremia 38,17.18 NLB)

">Aber ich habe Angst, mich zu ergeben‹, sagte der König, ›man könnte mich den Judäern ausliefern, die schon vor einiger Zeit zu den Babyloniern übergelaufen sind. Wer weiß, was diese mir antun würden?‹ Jeremia antwortete: ›Nein, du wirst ihnen nicht ausgeliefert werden. Höre bei meinen Worten doch auf das, was der Herr dir sagt, dann wirst du am Leben bleiben - ja, es soll dir gut gehen.‹" (Jeremia 38,19.20 NLB)

So machte Gott sogar noch in letzter Stunde deutlich, dass er bereit war, denen Gnade zu erweisen, die sich seinen gerechten Bedingungen unterwerfen wollten. Hätte der König gehorcht, wäre das Leben des Volkes womöglich verschont geblieben, und Jerusalem wäre der Vernichtung durch Feuer entgangen. Aber Zedekia meinte, er sei zu weit gegangen, um umzukehren. Er hatte Angst vor den Juden, Angst vor Spott, Angst um sein Leben. Nach Jahren der Auflehnung gegen Gott hielt er es für unter seiner Würde, vor seinem Volk zuzugeben: Ich nehme das Wort des Herrn an, wie er es durch den Propheten Jeremia ausgesprochen hat; angesichts all dieser Warnungen wage ich keinen Krieg mit dem Feind.

Unter Tränen bat Jeremia den König, sich und sein Volk zu retten. Unter Seelenqual versicherte er ihm, dass er nicht mit dem Leben davonkommen werde, wenn er den Rat Gottes missachtete. Sein Besitz werde an die Babylonier fallen.

Aber der König hatte den falschen Weg eingeschlagen und wollte nicht mehr umkehren. Er entschied sich, dem Rat der falschen Propheten und jener Männer zu folgen, die er eigentlich verachtete und die ihrerseits den Schwächling belächelten, der so willig auf ihre Wünsche einging. Er opferte seine kostbare Freiheit und Menschenwürde und wurde zum Sklaven der öffentlichen Meinung. Zwar hatte er nicht absichtlich Böses vor, doch um das Rechte zu tun, fehlte ihm die Entschlossenheit. Er war vom Wert des Rates von Jeremia überzeugt, aber er besaß nicht das moralische Rückgrat zum Gehorsam. Die Folge war, dass er stetig in die falsche Richtung weitermarschierte.

Der König traute sich nicht einmal, seinen Höflingen und seinem Volk zu erzählen, dass er mit Jeremia eine Unterredung gehabt hatte - so sehr nahm ihn die Angst vor Menschen in Beschlag. Was für eine Zerstörung hätte abgewendet werden können, wenn Zedekia mutig erklärt hätte, er glaube den Worten des Propheten, die schon teilweise in Erfüllung gegangen waren! Er hätte sagen sollen: "Ich will dem Herrn gehorchen und die Stadt vor dem völligen Untergang retten. Menschenfurcht oder Menschengunst sollen mich nicht dazu verleiten, die Befehle Gottes zu missachten. Ich liebe die Wahrheit, hasse die Sünde und will dem Rat des Mächtigen in Israel folgen."

Einen solchen Mut hätte das Volk geachtet, und die Unentschlossenen hätten sich fest auf die Seite des Rechts gestellt. Gerade die Unerschrockenheit und Rechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens hätte seine Untertanen mit Bewunderung erfüllt und sie bewogen, treu zu ihm zu stehen. Er hatte genügend Unterstützung bekommen, und Juda wäre das unermessliche Leid des Blutbades, der Hungersnot und der Feuersbrunst erspart geblieben.

Ein Ende Mit Schrecken

Die Schwäche Zedekias war eine Sünde, für die er furchtbar bezahlen musste. Der Feind fegte wie eine unaufhaltsame Lawine daher und verwüstete die Stadt. Die israelitischen Kriegsleute flohen und wurden zerstreut; die Nation war erobert. König Zedekia wurde gefangengenommen, seine Söhne wurden vor seinen Augen erschlagen. Ihn führte man gefangen aus Jerusalem weg, seine Augen wurden ausgestochen, und nachdem er in Babylon angekommen war, ging er elend zugrunde (vgl. Jeremia 52,7-11). Der herrliche Tempel, der über vier Jahrhunderte den Gipfel des Berges Zion gekrönt hatte, wurde von den Babyloniern nicht verschont. "Dann legten sie Feuer an das Haus Gottes, rissen die Jerusalemer Stadtmauer ein, brannten alle Paläste nieder und zerstörten alle kostbaren Gerätschaften." (2. Chronik 36,19 NLB)

Als Jerusalem endgültig fiel, hatten viele den Horror der fast zweijährigen Belagerung zwar überlebt, kamen aber nun durch das Schwert um. Von den Übriggebliebenen wurden einige - insbesondere der Hohepriester, Regierungsbeamte und die Fürsten des Reiches - nach Babylon abgeführt und dort als Verräter hingerichtet. "Den Rest der Bewohner, die den Kampf überlebt hatten, ließ Nebukadnezar nach Babylonien wegführen. Dort mussten sie ihm und auch noch seinen Nachkommen als Sklaven dienen, bis die Perser an die Herrschaft kamen. Damit ging in Erfüllung, was der Herr durch den Propheten Jeremia vorausgesagt hatte: ›Das Land soll 70 Jahre lang brachliegen, bis alle Sabbatjahre nachgeholt sind, die Israel nicht eingehalten hat.‹" (2. Chronik 36,20.21 GNB).

Jeremia Bleibt Verschont

Über Jeremia wird berichtet: "König Nebukadnezar hatte Nebusaradan in Bezug auf Jeremia eine besondere Anweisung erteilt: ›Achte darauf, dass Jeremia nichts zustößt. Tu ihm ja nichts an; stattdessen erfülle ihm jeden Wunsch, den er äußern wird.‹" (Jeremia 39,11.12 NLB)

Nachdem ihn die babylonischen Beamten aus dem Gefängnis befreit hatten, zog es der Prophet vor, sein Los mit dem "Teil der ärmsten Leute" in Juda zu teilen, die von den Babyloniern zurückgelassen worden waren, "um die Weingärten und Felder zu bestellen" (2. Könige 25,12 NLB). Über diese setzten die Babylonier Gedalja als Statthalter ein. Nur einige Monate vergingen, da wurde der neu ernannte Statthalter auf verräterische Weise erschlagen. Die armen Leute, die viele Prüfungen über sich hatten ergehen lassen müssen, wurden nun von den selbst ernannten Führern überredet, in Ägypten Zuflucht zu suchen.

Gegen diesen Plan erhob Jeremia seine Stimme: "Ihr sollt nicht nach Ägypten ziehen." (Jeremia 43,2c; vgl. Kap. 42,19) Aber man hörte nicht auf den göttlichen Rat, und "die Leute aus Juda, die zuerst in die Nachbarländer geflohen und dann zurückgekehrt waren ... Männer, Frauen und Kinder ... [brachen] gegen den Befehl des Herrn ... auf und kamen nach Tachpanhes an der ägyptischen Grenze" (Jeremia 43,5-7 GNB).

Jeremia prophezeite den Übrigen, die gegen Nebukadnezar rebellierten und nach Ägypten flohen, nicht nur Unglück. Es gab auch Verheißungen der Vergebung für solche, die ihre Torheit bereuten und zur Umkehr bereit waren. Während der Herr diejenigen nicht verschonen wollte, die sich entgegen seinem Rat den verführerischen Einflüssen des ägyptischen Götzendienstes zuwandten, wollte er denen gnädig sein, die ihm treu blieben. "Eine geringe Anzahl Judäer soll dem Schwert und dem Hungertod in Ägypten entkommen und nach Hause zurückkehren. Dann wird es für den Überrest der Judäer, die nach Ägypten geflohen sind, klar auf der Hand liegen, wessen Worte wahr sind, meine oder ihre!" (Jeremia 44,28 NLB)

Die Klagelieder Jeremias

Seinen Kummer über die abgrundtiefe Verderbtheit derer, die das geistliche Licht der Welt hätten sein sollen, und seinen Schmerz über das Schicksal von Zion und über das Volk, das gefangen nach Babylon geführt wurde, brachte der Prophet in seinen Klageliedern zum Ausdruck. Sie sollen daran erinnern, wie töricht es ist, sich um menschlicher Weisheit willen vom Rat des Herrn abzuwenden. Trotz des Untergangs konnte Jeremia noch sagen: "Von Gottes Güte kommt es, dass wir noch leben." Sein beständiges Gebet lautete: "Lasst uns unser Leben überprüfen und wieder umkehren zu dem Herrn!" (Klagelieder 3,22.40 GNB)

Als Juda noch als Königreich bestand, hatte Jeremia Gott gefragt: "Hast du denn Juda verworfen oder einen Abscheu gegen Zion?" Er war mutig genug zu bitten: "Aber um deines Namens willen verwirf uns nicht!" (Jeremia 14,19.21) Weil der Prophet völlig überzeugt war, dass es Gottes ewige Absicht war, aus einem Durcheinander Ordnung zu schaffen und den Völkern der Erde und dem ganzen Universum seine Gerechtigkeit und Liebe zu offenbaren, war er vertrauensvoll für die eingetreten, die sich von der Bosheit zur Rechtschaffenheit bekehren könnten.

Nun aber war Jerusalem völlig zerstört. Das Volk Gottes war in Gefangenschaft. Von Kummer überwältigt, rief der Prophet aus: "Ach, wie einsam ist die Stadt geworden, die früher voller Menschen war! Einst war sie bei allen Völkern geachtet, jetzt gleicht sie einer schutzlosen Witwe. Sie, die Herrin über viele Länder, muss nun als Sklavin Frondienst leisten. Sie weint und klagt die ganze Nacht, Tränen laufen ihr über die Wangen. Von den Liebhabern, die sie einst begehrten, kommt nicht einer, um sie zu trösten. Alle Freunde sind ihr untreu geworden und haben sich gegen sie gewandt. Nach langer Zeit der Not und Bedrängnis wurden die Leute von Juda weggeführt. Die Verfolger trieben sie in die Enge und setzten ihnen grausam zu. Unter fremden Völkern müssen sie wohnen und können nirgendwo Ruhe finden. Die Wege zum Zionsberg liegen verlassen; sie trauern, weil niemand zum Fest kommt. Die Tore der Stadt sind trostlose Trümmer, die Priester des Tempels seufzen vor Gram, bedrückt sind die Mädchen, die früher dort sangen, Jerusalem selbst leidet tödliche Qualen. Die Feinde sind auf dem Gipfel des Glücks. Sie haben endlich erreicht, was sie wollten. Der Herr hat der Stadt dieses Leid geschickt als Strafe für ihre vielen Vergehen. Ihre Kinder hat der Feind geraubt und als Gefangene vor sich hergetrieben." (Klagelieder 1,1-5 GNB)

"Ach, der Zorn des Herrn liegt auf der Zionsstadt wie eine schwere, dunkle Wolke. Jerusalem, die Zierde Israels, hat er vom Himmel auf die Erde gestürzt. An seinem Gerichtstag nahm er keine Rücksicht darauf, dass Zion der Fußschemel seines Thrones war. Die Dörfer und Felder Israels hat er schonungslos vernichtet. Alle befestigten Städte in Juda hat er zornig niedergerissen. Dem Königreich und seinen Fürsten hat er ein schändliches Ende bereitet. In seinem Zorn hat er alles zerschlagen, wodurch Israel stark und mächtig war. Im Augenblick, als die Feinde kamen, zog er die schützende Hand von uns zurück. Er setzte Israel in Flammen wie ein Feuer, das nach allen Seiten frisst. Wie ein Feind hielt er den Bogen gespannt, seine rechte Hand bereit zum Schuss; so tötete er unsere blühende Jugend, die ganze Freude unserer Augen. Er goss seinen Zorn wie einen Feuerstrom über das Heiligtum der Zionsgemeinde." (Klagelieder 2,1-4 GNB)

"Jerusalem, du geliebte Stadt, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll! Mit welchem Schicksal soll ich deines vergleichen, um dich zu trösten, du Jungfrau Zion! Dein Schaden ist unermesslich wie das Meer! Kann dich noch jemand heilen?" (Klagelieder 2,13 GNB)

"Herr, vergiss nicht, was uns zugestoßen ist! Sieh doch, wie sie uns schmähen und beschimpfen! Das Land, das du uns gabst, ist in fremder Hand, Ausländer wohnen in unseren Häusern. Unsere Väter sind im Krieg gefallen, und unsere Mütter sind Witwen geworden ... Unsere Väter sündigten - sie leben nicht mehr; wir aber müssen nun die Folgen tragen. Sklaven sind Herren über uns geworden, und niemand befreit uns aus ihrer Gewalt ... Unsere Herzen sind schwach und krank geworden und unsere Augen von Tränen trüb . Du aber, Herr, bleibst König für immer, dein Thron steht für alle Zeiten fest! Willst du uns wirklich für immer vergessen und fern von uns bleiben, solange wir leben? Herr, bringe uns wieder zurück zu dir, damit wir uns wieder zu dir hinkehren! Lass es uns ergehen wie in früheren Zeiten und gib uns neues Leben! Oder hast du uns ganz verstoßen? Soll dein Zorn nie ein Ende nehmen?" (Klagelieder 5,1-3.7.8.17.19-22 GNB)