Macht Und Ohnmacht

Kapitel 52

Nehemia, Ein Mann Der Stunde

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Nehemia 1,1 bis 2,9.

Nehemia, ein Jude im Exil, hatte am persischen Hof eine einflussreiche Ehrenstellung inne. Als Mundschenk des Königs hatte er freien Zutritt zu ihm. Aufgrund seiner Stellung und wegen seiner Fähigkeiten und Treue wurde er zum Freund und Ratgeber des Monarchen. Obwohl er ein Günstling des Königs war und ihn Prunk und Pracht umgaben, vergaß er weder seinen Gott noch sein Volk. Mit tiefstem Interesse richtete sich sein Herz beim Beten Richtung Jerusalem. Seine Hoffnungen und Freuden waren mit dem Wohlergehen dieser Stadt verbunden. Durch seinen Aufenthalt am persischen Hof war dieser Mann bestens für das Werk, zu dem er berufen werden sollte, vorbereitet. Durch ihn beabsichtigte Gott, seinem Volk im Land seiner Vorväter Segen zu bringen.

Durch Boten aus Judäa erfuhr dieser israelitische Patriot, dass für Jerusalem, die erwählte Stadt, schwere Zeiten gekommen waren. Die Heimkehrer litten unter Anfechtungen und Vorwürfen. Der Tempel und Teile der Stadt waren zwar wieder aufgebaut, doch wurden die weiteren Bauarbeiten behindert. Der Dienst im Tempel wurde gestört, und das Volk war in ständiger Alarmbereitschaft, weil die Mauern der Stadt noch weitgehend in Trümmern lagen.

Nehemias Gebete

Bekümmert darüber verlor Nehemia jede Lust auf Essen und Trinken. Er "weinte und trug Leid tagelang und fastete". In seinem Gram wandte er sich an den göttlichen Helfer und "betete vor dem Gott des Himmels" (Nehemia 1,4). Aufrichtig bekannte er seine und seines Volkes Sünden und bat Gott, sich der Sache Israels anzunehmen, dem Volk wieder Mut und Kraft zu schenken und beim Aufbau der verwüsteten Städte Judas zu helfen.

Als Nehemia betete, erstarkten sein Glaube und sein Mut. Er brachte heilige Argumente vor. Er verwies auf die Schmach, die Gott zugefügt würde, wenn sein Volk nun, da es zu ihm zurückgekehrt war, in Schwachheit und Bedrängnis allein gelassen würde. Er hielt dem Herrn dessen eigene Verheißung vor: "Wenn ihr euch aber zu mir bekehrt und meine Gebote haltet und sie tut, so will ich, auch wenn ihr versprengt wäret bis an des Himmels Ende, euch doch von da sammeln und euch an den Ort bringen, den ich erwählt habe, damit mein Name dort wohne." (Nehemia 1,9, vgl. 5. Mose 30,4.5)

Diese Verheißung war Israel durch Mose gegeben worden, ehe es das Land Kanaan betrat, und in all den Jahrhunderten wurde sie nicht verändert. Nun war das Volk in Reue und im Glauben zu seinem Gott zurückgekehrt, weshalb sie immer noch galt.

Oft hatte Nehemia für sein Volk vor Gott sein Herz ausgeschüttet. Aber als er nun betete, reifte in seinem Verstand ein heiliger Entschluss. Er wollte selbst den Wiederaufbau der Mauern Jerusalems übernehmen und sich die Wiederherstellung der nationalen Stärke Israels zur Aufgabe machen, falls er die Zustimmung des Königs und die notwendige Hilfe bei der Beschaffung von Geräten und Material erhalten würde. Er bat den Herrn, ihm die Gunst des Königs zu erwirken, damit dieser Plan ausgeführt werden konnte. "Lass mich doch heute Erfolg haben", flehte er, "und hilf, dass der König mir gnädig ist!" (Nehemia 1,11b GNB)

Die Unterredung Mit Dem König Artaxerxes

Vier Monate lang wartete Nehemia auf eine günstige Gelegenheit, um dem König seine Bitte vorzutragen. Obwohl sein Herz voller Kummer war, versuchte er, während dieser Zeit in der Gegenwart des Königs heiter zu wirken. In den Hallen der Pracht und des Luxus mussten alle fröhlich und glücklich erscheinen. Kein Gesicht eines königlichen Dieners durfte von Kummer gezeichnet sein. Doch Nehemias Stunden der Zurückgezogenheit waren menschlichen Blicken verborgen. Seine vielen Gebete, Bekenntnisse und Tränen wurden nur von Gott und seinen Engeln gehört und gesehen.

Schließlich konnte der Kummer, der das Herz dieses Patrioten bedrückte, nicht länger verborgen bleiben. Schlaflose Nächte und von Sorgen erfüllte Tage hinterließen Spuren auf seinem Antlitz. Der König, der stets ängstlich auf seine Sicherheit bedacht war, las in den Gesichtern und durchschaute jede Verstellung. Er sah, dass eine verborgene Schwierigkeit seinen Mundschenk bedrängte. "Warum siehst du so bedrückt aus? Du bist doch nicht etwa krank!", fragte er. "Nein, irgendetwas belastet dich!" (Nehemia 2,2 Hfa)

Die Frage erfüllte Nehemia mit Befürchtungen. Würde der König nicht zornig sein, wenn er hörte, dass die Gedanken seines Hofbeamten in weiter Ferne bei dessen Volk weilten, während dieser äußerlich seinen Dienst versah? Würde er dafür gar sein Leben verlieren? Wurde sein geliebter Plan, Jerusalems Stärke wiederherzustellen, jetzt zunichte gemacht? Mit bebenden Lippen und Tränen in den Augen offenbarte er die Ursache seines Kummers: "Der König möge ewig leben! Kann ich denn fröhlich aussehen? Die Stadt, in der meine Vorfahren begraben sind, ist verwüstet, und ihre Tore sind vom Feuer zerstört." (Nehemia 2,3 GNB)

Der Bericht vom Zustand Jerusalems erweckte die Anteilnahme des Monarchen, ohne dessen Argwohn wachzurufen. Bei der nächsten Frage kam die günstige Gelegenheit, auf die Nehemia lange gewartet hatte: "Was erbittest du von mir?" Aber der Gottesmann wagte nicht zu antworten, ehe er Weisung von einem Höheren als Artaxerxes erbeten hatte. Er musste eine heilige Aufgabe erfüllen, für die er die Hilfe des Königs benötigte. Er erkannte, dass viel davon abhing, wie er die Angelegenheit vortrug, damit er dessen Zustimmung und Unterstützung gewann. "Ich flehte zum Gott des Himmels", berichtet er (Nehemia 2,4 NLB). Mit diesem kurzen Gebet kam Nehemia in die Gegenwart des Königs aller Könige und gewann eine Macht für sich, die Herzen wie Wasserströme lenken kann.

Gebete In Notlagen

Zu beten, wie es Nehemia in der Stunde seiner Not tat, ist ein Mittel, das Christen in Lebenslagen zur Verfügung steht, in denen andere Gebetsarten vielleicht unmöglich sind. Arbeitende, die im geschäftigen Treiben des Lebens stehen und von Ratlosigkeit bedrängt oder fast überwältigt werden, können eine Bitte um göttliche Führung zum Herrn emporsenden. Reisende können sich so dem Schutz des Himmels anbefehlen, wenn irgendeine Gefahr droht. In Zeiten einer plötzlichen Schwierigkeit oder Gefährdung kann das Herz seinen Hilfeschrei hinauf zu dem richten, der versprochen hat, seinen treuen Gläubigen zu Hilfe zu kommen, wann immer sie ihn anrufen. In jeder Lage, unter allen Umständen, kann ein von Kummer und Sorgen niedergedrückter oder von heftiger Versuchung angegriffener Mensch Unterstützung, Gewissheit und Beistand in der beständigen Liebe und Kraft des bundestreuen Gottes finden.

Nehemia Erhält Die Unterstützung Des Königs

Als Nehemia in jenem Augenblick zum König aller Könige betete, fasste er Mut, um König Artaxerxes von seinem Wunsch zu erzählen, für einige Zeit von seinen Pflichten am Hof entbunden zu werden. Er bat um die Vollmacht, die noch zerstörten Plätze Jerusalems wieder aufzubauen und es erneut zu einer starken, befestigten Stadt zu machen. Folgen von großer Tragweite für die jüdische Nation hingen von dieser Bitte ab. "Weil die gütige Hand meines Gottes über mir war, gewährte mir der König meine Bitte", schrieb Nehemia später (Nehemia 2,8 NLB).

Mit dieser Zusage traf Nehemia mit Umsicht und Weitblick die nötigen Vorkehrungen, um den Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Er ließ keine Vorsichtsmaßnahme aus, damit sein Plan nicht gefährdet wurde. Nicht einmal seine eigenen Landsleute weihte er in seine Pläne ein. Während er wusste, dass sich viele über seinen Erfolg freuen würden, befürchtete er doch, dass einige durch Unvorsichtigkeit den Neid ihrer Feinde erregen und vielleicht sein Unternehmen vereiteln könnten.

Da der König so wohlwollend auf seine Bitte eingegangen war, fühlte sich Nehemia ermutigt, nach noch weiterer Unterstützung zu fragen. Um seiner Mission Ansehen und Vollmacht zu verleihen und sich während der Reise des Schutzes sicher zu sein, beantragte und erhielt er militärisches Geleit. Er verschaffte sich königliche Briefe an die Statthalter der Provinzen jenseits des Euphrat - des Gebietes, das er auf seinem Weg nach Judäa durchqueren musste. Er erhielt auch ein Schreiben an den Aufseher der königlichen Wälder auf dem Libanongebirge, das diesen anwies, ihm das benötigte Bauholz zu liefern. Um jeder Gelegenheit zur Beschwerde vorzubeugen, dass er seine Vollmacht überschritten habe, achtete Nehemia genauestens darauf, dass die ihm gewährten Sonderrechte für jeden klar verständlich beschrieben wurden.

Nehemia, Ein Beispiel Für Alle Christen

Dieses Beispiel von Weitblick und entschlossenem Handeln sollte eine Lehre für alle Christen sein. Gottes Kinder sollen nicht nur vertrauensvoll beten, sondern auch fleißig und vorausschauend arbeiten. Sie begegnen vielen Schwierigkeiten und behindern oft das Wirken der Vorsehung Gottes, weil sie Vorsicht und sorgfältige Bemühungen für etwas halten, was wenig mit dem Glauben zu tun habe.

Als Nehemia vor dem Herrn geweint und gebetet hatte, sah er seine Pflicht nicht als erledigt an. Er verband seine Bitten mit einem heiligen Streben nach dem Gelingen seines Unternehmens. Sorgfältige Überlegungen und gut ausgereifte Pläne sind heute für die Durchführung geistlicher Unternehmungen genauso wichtig wie in der Zeit, als man die Mauern Jerusalems wieder aufbaute.

Nehemia wollte nicht mit Ungewissheiten leben. Die fehlenden Mittel erbat er von denen, die sie beisteuern konnten. Auch heute noch will der Herr die Herzen solcher Menschen bewegen, die seine Güter besitzen, damit das Werk der Wahrheit gefördert wird. Wer für Gott arbeitet, soll die Hilfe von anderen, die er dazu willig macht, in Anspruch nehmen. Diese Gaben können Wege öffnen, auf denen das Licht der Wahrheit in viele Länder, in denen noch Finsternis herrscht, gelangen kann. Die Spender glauben vielleicht nicht an Christus und kennen seine Botschaft nicht, doch ihre Gaben sollten deshalb nicht zurückgewiesen werden.