Wie Alles Begann

Kapitel 1

Warum Liess Gott Die Sünde Zu?

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Hesekiel 28,12-17; Jesaja 14,12-14.

"Gott ist Liebe." (1. Johannes 4,16 Elb.) Sein Wesen und sein Gesetz sind Liebe. So war es immer, so wird es immer sein. "Der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt" (Jesaja 57,15), der so "wie früher über unsere Erde" schreitet (Habakuk 3,6 Hfa), ändert sich nicht. Bei ihm ist "keine Veränderung ... noch Wechsel des Lichts und der Finsternis" (Jakobus 1,17).

Jede Offenbarung der Schöpfermacht ist ein Ausdruck unendlicher Liebe. Die Herrschaft Gottes schließt die Fülle des Segens für alle Geschöpfe ein. Der Psalmist sagt: "Du hast einen gewaltigen Arm, stark ist deine Hand, und hoch ist deine Rechte. Gerechtigkeit und Gericht sind deines Thrones Stütze, Gnade und Treue gehen vor dir einher. Wohl dem Volk, das jauchzen kann! Herr, sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln; sie werden über deinen Namen täglich fröhlich sein und in deiner Gerechtigkeit herrlich sein. Denn du bist der Ruhm ihrer Stärke, und durch deine Gnade wirst du unser Haupt erhöhen. Denn dem Herrn gehört unser Schild und dem Heiligen in Israel unser König." (Psalm 89,14-19)

Die Geschichte des großen Kampfes zwischen Gut und Böse - von seinem Ursprung im Himmel bis zur endgültigen Niederwerfung der Rebellion und zur vollständigen Ausrottung der Sünde - ist ebenfalls eine Offenbarung der unwandelbaren Liebe Gottes.

Vollkommene Harmonie

Der Herrscher über das Universum war bei seinem schöpferischen Liebes- werk nicht allein. Er hatte einen Mitarbeiter, der seine Pläne würdigen und die Freude, seine Geschöpfe glücklich zu machen, mit ihm teilen konnte. "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott." (Johannes 1,1.2 Elb.) Christus, "das Wort", der "Eingeborene" (Johannes 1,14 Elb.) 1, war eins mit dem ewigen Vater (vgl. Johannes 10,30) - eins im Wesen und in den Absichten. Er war der Einzige, der alle Ratschlüsse und Vorhaben Gottes begreifen konnte. Er heißt: "Wunderbarer Ratgeber‹, ›Starker Gott‹, ›Ewiger Vater‹, ›Friedensfürst‹" (Jesaja 9,5 Hfa). Sein Ausgang ist "von Anfang und von Ewigkeit her gewesen" (Micha 5,1). Der Sohn Gottes sagte über sich selbst: "Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her ... Als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit." (Sprüche 8,22.23.29.30)

Der Vater wirkte bei der Erschaffung aller himmlischen Wesen durch seinen Sohn. "Denn in ihm ist alles geschaffen ... es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen." (Kolosser 1,16) Die Engel sind Gottes "dienstbare Geister" (Hebräer 1,14). Sie strahlen von dem Licht, das ständig von seiner Gegenwart ausgeht, und eilen auf raschen Flügeln dahin, um seinen Willen auszuführen. Aber der Sohn, der Gesalbte Gottes, "der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ... trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort" (Hebräer 1,3) und hat die Vormachtstellung über sie alle. "Ein herrlicher Thron, der von jeher alle Welt überragt" (Jeremia 17,12 GNB), war die Stätte seines Heiligtums. "Das Zepter der Gerechtigkeit" (Hebräer 1,8) war seines Reiches Zepter. "Hoheit und Pracht sind vor ihm, Macht und Herrlichkeit in seinem Heiligtum" (Psalm 96,6). "Gnade und Treue" gehen vor ihm einher (Psalm 89,15).

Die Grundlage der Herrschaft Gottes ist das Gesetz der Liebe. Das Glück aller vernunftbegabten Wesen hängt von der vollständigen Übereinstimmung mit diesen erhabenen Grundsätzen der Gerechtigkeit ab. Gott wünscht von allen seinen Geschöpfen, dass sie ihm aus Liebe dienen - aus einer Liebe, die der Wertschätzung seines Charakters entspringt. Er hat keinen Gefallen an erzwungenem Gehorsam. Allen gewährt er Willensfreiheit, damit sie ihm aus freien Stücken dienen können.

Solange alle Geschöpfe aus Liebe treu waren, herrschte im gesamten Universum vollkommene Eintracht. Es bereitete den himmlischen Heerscharen Freude, die Absichten ihres Schöpfers umzusetzen. Sie freuten sich, seine Herrlichkeit widerzuspiegeln und sein Lob zu verkündigen. Und solange die Liebe zu Gott bei ihnen den obersten Rang einnahm, war die Liebe zueinander voller Vertrauen und selbstlos. Nicht ein einziger Missklang störte die himmlische Harmonie. Aber dieser glückliche Zustand wurde von einer tiefgreifenden Veränderung betroffen. Es gab jemanden, der die Freiheit missbrauchte, die Gott seinen Geschöpfen gewährt hatte. Die Sünde entstand bei dem, der von Gott nach Christus2 mit der höchsten Ehrenstellung ausgezeichnet worden war. Unter allen Himmelsbewohnern genoss er nach Christus die größte Macht und Herrlichkeit. Luzifer, der "schöne Morgenstern" 3 (Jesaja 14,12), war der Erste der schirmenden Cherubim (vgl. Hesekiel 28,14a), heilig und unbefleckt. Er stand in der Gegenwart des erhabenen Schöpfers. Die Strahlen der Herrlichkeit, die unaufhörlich von dem ewigen Gott ausgehen und ihn verhüllen, ruhten auf ihm. "So spricht Gott, der Herr: O du Siegel der Vollendung, voller Weisheit und vollkommener Schönheit! In Eden, im Garten Gottes, warst du; mit allerlei Edelsteinen warst du bedeckt ... Du warst ein gesalbter, schützender Cherub, ja, ich hatte dich dazu eingesetzt; du warst auf dem heiligen Berg Gottes und du wandeltest mitten unter den feurigen Steinen. Du warst vollkommen in deinen Wegen vom Tag deiner Erschaffung an, bis Sünde in dir gefunden wurde" (Hesekiel 28,12-15 Schl.).

Der Ursprung Des Bösen

Ganz allmählich begann Luzifer dem Verlangen nach Selbsterhöhung nachzugeben. Die Heilige Schrift sagt: "Dein Herz wollte hoch hinaus wegen deiner Schönheit, du hast deine Weisheit zunichte gemacht um deines Glanzes willen." (Hesekiel 28,17 Elb.) "Du aber gedachtest in deinem Herzen: Ich will ... meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen; ich will ... gleich sein dem Allerhöchsten." (Jesaja 14,13.14) Obwohl Luzifer all seine Herrlichkeit von Gott erhalten hatte, betrachtete sie dieser mächtige Engel immer mehr als seinen Besitz. Obwohl er bereits mehr Ehre als jedes andere himmlische Wesen erhalten hatte, war er mit seiner Stellung nicht zufrieden. Er wagte es, für sich eine Verehrung anzustreben, die allein dem Schöpfer gebührt. Statt dazu beizutragen, dass alle Geschöpfe Gott in ihrer Zuneigung und Treue an die erste Stelle setzen, war es sein Bestreben, ihren Dienst und ihre Anhänglichkeit für sich zu gewinnen. Neidisch auf die Herrlichkeit, die der ewige Vater seinem Sohn gegeben hatte, strebte dieser Engelsfürst eine Macht an, die allein Christus vorbehalten war.

Nun war die vollkommene Eintracht im Himmel zerstört. Als Luzifers Neigung, sich selbst statt seinem Schöpfer zu dienen, bemerkt wurde, löste dies bei jenen, die der Ehre Gottes höchste Bedeutung beimaßen, Besorgnis aus. In der himmlischen Ratsversammlung redeten die Engel eindringlich mit Luzifer. Der Sohn Gottes führte ihm die Größe, Güte und Gerechtigkeit des Schöpfers und die heilige und unveränderliche Natur seines Gesetzes vor Augen. Gott selbst hatte die Ordnung im Himmel festgelegt. Dadurch, dass Luzifer davon abwich, würde er seinen Schöpfer entehren und sich selbst zugrunde richten. Doch die Warnung, die aus grenzenloser Liebe und Barmherzigkeit an ihn gerichtet wurde, erregte nur seinen Widerstand. Luzifer ließ es zu, dass seine Eifersucht auf Christus die Oberhand gewann. Er wurde noch entschlossener.

Die Absicht dieses Engelsfürsten bestand nun darin, dem Sohn Gottes die Vormachtstellung streitig zu machen, wodurch er die Weisheit und Liebe des Schöpfers in Frage stellte. Luzifer, der nach Christus der Erste unter den himmlischen Heerscharen war, stand im Begriff, die ganze Kraft seines überragenden Verstandes auf dieses Ziel zu richten. Aber Gott, der allen seinen Geschöpfen einen freien Willen verliehen hatte, warnte alle vor den verführerischen Spitzfindigkeiten, mit denen es möglich wäre, einen Aufruhr zu rechtfertigen. Noch vor Ausbruch des großen Streites sollten alle eine klare Vorstellung von dem Willen Gottes bekommen, dessen Weisheit und Güte die Quelle all ihrer Freude war.

Der König des Universums ließ die himmlischen Heerscharen zu sich kommen, um in ihrer Gegenwart die wahre Stellung seines Sohnes darzulegen und die Beziehung aufzuzeigen, die dieser zu allen geschaffenen Wesen unterhielt. Der Sohn Gottes saß mit dem Vater auf dem Thron, und die Herrlichkeit der ewigen, aus sich lebenden Gottheit schloss sie beide ein. Um den Thron standen die Engel, eine riesige, unzählbare Schar, "Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende" (Offenbarung 5,11 Elb.). Die ranghöchsten Engel, selbst Diener und Untertanen, erfreuten sich des Lichts, das von der Gegenwart Gottes auf sie schien. Vor allen versammelten Bewohnern des Himmels erklärte der König, dass außer Christus, dem Eingeborenen Gottes, niemand seine Absichten ganz begreifen könne. Ihm habe er die Durchführung der wichtigen Ratschlüsse seines Willens übertragen. Der Sohn Gottes hatte den Willen des Vaters schon bei der Erschaffung aller himmlischen Heerscharen ausgeführt (vgl. Kolosser 1,16). Ihm schuldeten sie ebenso wie Gott Verehrung und Treue. Christus solle auch bei der Erschaffung der Erde und ihrer Bewohner göttliche Macht ausüben. Doch dabei werde er nie im Gegensatz zu Gottes Plan seine eigene Macht und Erhöhung vor Augen haben, sondern vielmehr die Herrlichkeit seines Vaters preisen und dessen wohltätige und liebevolle Pläne ausführen.

Die Engel erkannten die Vormachtstellung von Christus mit Freuden an. Sie fielen in Anbetung vor ihm nieder und brachten ihm ihre Liebe und verehrung zum Ausdruck. Luzifer beugte sich mit ihnen, doch in ihm tobte ein fremdartiger, heftiger Konflikt. Wahrheit, Gerechtigkeit und Treue kämpften gegen Neid und Eifersucht. Der Einfluss der heiligen Engel schien Luzifer eine Zeitlang auf ihre Seite zu ziehen. Als Loblieder in melodischen Klängen aus Tausenden von frohen Stimmen zu Gott emporstiegen, schien der Geist des Bösen von ihm gewichen zu sein. Eine unaussprechliche Liebe durchflutete sein ganzes Wesen, und im Einklang mit den sündlosen Anbetern neigte sich sein Herz in Liebe dem Vater und dem Sohn zu. Doch dann überkam ihn erneut der Stolz auf seine eigene Herrlichkeit. Sein Verlangen nach einer Vorrangstellung kehrte zurück, und erneut gab er dem Neid auf Christus nach. Die hohen Ehren, die Luzifer verliehen waren, sah er nicht als besondere Gabe Gottes an; und deshalb fühlte er sich dem Schöpfer auch nicht zu Dank verpflichtet. Er sonnte sich in seinem Glanz und in seiner hohen Stellung und strebte danach, Gott gleich zu sein. Er wurde von den himmlischen Heerscharen geliebt und verehrt. Engel führten mit Freuden seine Befehle aus. Er übertraf sie alle an Weisheit und Herrlichkeit. Doch der Sohn Gottes stand über ihm, da er mit dem Vater bezüglich Macht und Autorität eins war. Er nahm an dessen Ratschlüssen teil, während Luzifer nicht in gleicher Weise in Gottes Absichten Einblick hatte. "Warum sollte Christus über allem stehen?", fragte dieser mächtige Engel. "Warum wird er höher geehrt als ich?"

Die Ausbreitung Der Rebellion Im Himmel

Luzifer verließ den Platz in der unmittelbaren Gegenwart des Vaters und versuchte, unter den Engeln einen Geist der Unzufriedenheit zu verbreiten. Er ging dabei mit undurchschaubarer Heimlichtuerei vor und verbarg eine Zeitlang seine wahre Absicht unter dem Deckmantel der Verehrung Gottes. Doch er begann Zweifel an den Gesetzen zu säen, von denen sich die himmlischen Wesen leiten ließen. Er gab zu verstehen, dass solche Gesetze vielleicht für die Bewohner der Welten notwendig seien; da aber die Engel viel höher stünden, brauchten sie keine derartigen Einschränkungen. Ihre eigene Weisheit sei eine ausreichende Orientierungshilfe. Sie könnten nichts tun, was Gott entehren würde, denn ihre Gedanken seien heilig. Sie könnten ebenso wenig Fehler begehen wie Gott selbst! Die Erhöhung des Sohnes Gottes auf die gleiche Stufe, wie der Vater sie innehat, stellte Luzifer als eine Ungerechtigkeit gegen ihn hin. Auch er habe Anspruch auf Verehrung und Ruhm, behauptete er. Wenn er als Engelsfürst seine rechtmäßige hohe Stellung einnehmen könnte, wäre das für das gesamte Himmelsheer von großem Vorteil. Es sei nämlich seine Absicht, allen wirkliche Freiheit zu gewähren. Aber nun sei es sogar mit der Freiheit vorbei, die sie bisher genossen hätten, denn ein absoluter Herrscher sei über sie gesetzt worden, dessen Autorität sich alle unterwerfen müssten. Solcherart waren die schwer durchschaubaren Täuschungen, die sich durch Luzifers List in den himmlischen Höfen schnell verbreiteten.

An der Stellung oder Vollmacht von Christus hatte sich allerdings nichts geändert. Aber Luzifers Neid, seine falsche Darstellung und seine Forderung nach Gleichberechtigung mit Christus machten es notwendig, die wahre Stellung von Gottes Sohn klarzustellen. Seit dem Anfang hatte sich an ihr nichts geändert. Dennoch ließen sich viele Engel von Luzifers Täuschungen blenden.

Dieser nutzte das liebevolle, treu ergebene Vertrauen aus, das ihm die Engel, die ihm unterstellt waren, entgegenbrachten. So gelang es ihm, sein eigenes Misstrauen und seine eigene Unzufriedenheit auf ihr Denken zu übertragen, ohne dass sie dabei sein eigentliches Ziel bemerkten. Luzifer hatte Gottes Absichten in einem falschen Licht dargestellt. Er hatte sie missdeutet und entstellt, um Widerspruch und Unzufriedenheit zu erzeugen. Mit List bewog er seine Zuhörer, ihre Gefühle zu äußern. Wenn diese dann seinem Ziel dienten, wiederholte er solche Äußerungen, um damit zu beweisen, dass auch die Engel nicht völlig mit der Herrschaft Gottes übereinstimmten. Zwar beteuerte er immer wieder seine vollkommene Treue zu Gott, wies aber zugleich darauf hin, dass Änderungen hinsichtlich der Ordnung und der Gesetze des Himmels nötig seien, um die Beständigkeit der göttlichen Herrschaft sicherzustellen. Angeblich ging es ihm nur darum, unzufriedene Engel für die Ordnung des Himmels zu gewinnen. In Wirklichkeit aber wollte er den Widerspruch gegen Gottes Gesetz schüren und seine eigene Unzufriedenheit in den Gedanken der Engel verankern. Während er so heimlich zu Zwietracht und Aufruhr anstachelte, erweckte er mit größter Raffinesse einen ganz anderen Anschein: Es sei sein einziges Ziel, Treue und Ergebenheit zu fördern sowie Eintracht und Frieden zu bewahren.

Der Geist der Unzufriedenheit, der auf diese Weise gesät wurde, tat sein unheilvolles Werk. Ohne dass es zu einem offenen Ausbruch kam, breitete sich unter den Engeln unmerklich eine Spaltung der Gefühle aus. Manche sympathisierten mit Luzifers Unterstellungen gegen die Herrschaft Gottes. Obwohl sie bisher in vollkommener Eintracht mit der göttlichen Ordnung gelebt hatten, waren sie jetzt unzufrieden und unglücklich, weil sie nicht in Gottes unerforschliche Ratschlüsse eindringen konnten. Auch sahen sie es nur ungern, dass Christus nach dem Willen Gottes eine erhöhte Stellung einnahm. Diese Gruppe von Engeln war gern bereit, Luzifers Forderung nach der gleichen Vollmacht, wie sie der Sohn Gottes besaß, zu unterstützen. Auf der anderen Seite aber betonten treue und ergebene Engel die Weisheit und Gerechtigkeit der göttlichen Ordnung und versuchten, den unzufriedenen Luzifer wieder mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu bringen. Christus war der Sohn Gottes. Er war schon eins mit dem Vater, bevor die Engel erschaffen wurden. Von Ewigkeit an stand er zur Rechten Gottes. Seine Vormachtstellung, die sich für seine Untergebenen so segensreich auswirkte, war bisher nie in Frage gestellt worden. Nie zuvor hatte jemand die Harmonie im Himmel gestört. Warum sollte jetzt Zwietracht herrschen? Die treuen Engel erkannten, dass diese Auseinandersetzung nur schreckliche Folgen haben würde. Deshalb flehten sie die Unzufriedenen eindringlich an und rieten ihnen, ihre Absicht aufzugeben und sich gegenüber Gott und seiner Herrschaft treu zu verhalten.

Gott Hat Mitgefühl Und Geduld

In seiner großen Gnade - wie es seinem göttlichen Wesen entspricht - trug Gott Luzifer lange mit Geduld. Der Geist der Unzufriedenheit war im Himmel bisher unbekannt. Er war etwas gänzlich Neues, etwas Fremdes, Geheimnisvolles, etwas Unerklärliches. Luzifer hatte anfangs die wahre Natur seiner Gefühle selbst nicht durchschaut. Eine Zeitlang hatte er sich gescheut, seine Gedanken in Worte zu fassen. Dennoch hatte er sie nicht verworfen. Es war ihm selbst nicht bewusst, wohin er trieb. Alle möglichen Anstrengungen, wie nur unendliche Liebe und Weisheit sie ersinnen können, wurden unternommen, um ihn von seinem Irrtum zu überzeugen. So wurde ihm nachgewiesen, dass seine Unzufriedenheit grundlos war. Ihm wurde auch gezeigt, wohin es führen würde, wenn er in seiner Auflehnung verharrte. Luzifer kam zur Überzeugung, dass er im Unrecht war. Er erkannte: "Der Herr ist gerecht in allen seinen Wegen und gnädig in allen seinen Werken." (Psalm 145,17) Er sah ein, dass Gottes Verordnungen gerecht sind und er sie vor allen Himmelsbewohnern als solche anerkennen sollte. Hätte er es getan, hätte er sich und viele Engel retten können. Zu dieser Zeit hatte er Gott noch nicht völlig die Treue aufgekündigt. Obschon er seine Stellung als schirmender Cherub verlassen hatte, hätte er doch wieder in seine ursprüngliche Stellung eingesetzt werden können, wenn er nur bereit gewesen wäre, zu Gott zurückzukehren, die Weisheit des Schöpfers anzuerkennen und den Platz einzunehmen, der in Gottes großem Plan für ihn bestimmt war. Die Zeit für eine endgültige Entscheidung war nun gekommen: Entweder er erkannte Gottes Vormachtstellung voll und ganz an oder er werde den offenen Aufruhr wagen. Beinahe hätte er den Entschluss zur Rückkehr gefasst, doch sein Stolz hinderte ihn daran. Für ihn, der eine so hohe Stellung besaß, bedeutete es ein zu großes Opfer, sich selbst einzugestehen, dass er sich geirrt hatte und sein Denken falsch war. Er wollte sich nicht der Autorität Gottes beugen, die er als ungerecht dargestellt hatte.

Der barmherzige Schöpfer hatte Mitleid mit Luzifer und seinen Anhängern. Er wollte sie vom Abgrund zurückreißen, in den sie gerade zu stürzen drohten. Doch sein Mitgefühl wurde falsch ausgelegt. Luzifer wies auf Gottes Langmut als Beweis für seine eigene Überlegenheit hin - ein Anzeichen dafür, dass der König des Universums letztlich doch auf seine Forderungen eingehen würde. Wenn die Engel nur fest zu ihm stünden, erklärte er, könnten sie noch alles gewinnen, was sie sich erhofften. Hartnäckig verteidigte er sein Vorgehen und verschrieb sich nun ganz dem großen Kampf gegen seinen Schöpfer. Auf diese Weise wurde Luzifer, der "Glanzstern, Sohn der Morgenröte" (Jesaja 14,12a Elb.), der in der Herrlichkeit Gottes vor dessen Thron seinen Dienst versah, wegen seiner Übertretung zu Satan, zum "Widersacher"4 Gottes und der heiligen Wesen und zum Zerstörer der Engel, die Gott seiner Obhut und Führung anvertraut hatte.

Satans Entscheidung Zur Offenen Rebellion

Mit Verachtung wies er die Begründungen und dringenden Bitten der treuen Engel zurück und prangerte diese als irregeleitete Sklaven an. Den Vorrang, der Christus gewährt wurde, bezeichnete er als einen Akt der Ungerechtigkeit. Dieser richte sich nicht nur gegen ihn persönlich, sondern gegen alle himmlischen Wesen. Er kündigte an, sich nicht länger dieser Beschneidung seiner und ihrer Rechte beugen zu wollen. Nie wieder werde er die Vorrangstellung von Christus anerkennen. Er sei entschlossen, die Ehre einzufordern, die ihm eigentlich zustehe, und alle anzuführen, die ihm folgen wollten. Er versprach allen, die sich ihm anschließen, eine neue und bessere Herrschaftsform, unter der alle ihre Freiheit genießen könnten. Eine große Anzahl von Engeln bekundete die Absicht, ihn als ihren Anführer anzuerkennen. Satan fühlte sich von der Bereitschaft geschmeichelt, mit der sein Angebot aufgenommen wurde. Er hoffte, alle Engel auf seine Seite ziehen zu können und "dem allerhöchsten Gott endlich gleich" zu werden (Jesaja 14,14b Hfa), sodass ihm alle himmlischen Heerscharen Gehorsam zollen würden.

Auch jetzt noch beschworen die treuen Engel ihn und seine Anhänger, sich Gott zu unterwerfen. Sie malten ihnen die unvermeidbaren Folgen aus, die sich aus ihrer Ablehnung ergeben würden: Gott, der sie erschaffen habe, sei auch in der Lage, ihre Macht zu überwinden und ihre rebellische Anmaßung schwer zu bestrafen. Kein Engel könne sich mit Erfolg gegen Gottes Gesetz stellen, das ebenso heilig wie Gott selbst sei. Die treuen Engel riefen alle auf, vor Luzifers verführerischer Beweisführung die Ohren zu verschließen. Sie forderten Luzifer und seine Anhänger auf, sich unverzüglich zu Gott zu begeben und ihm zu bekennen, dass es ein Fehler gewesen sei, seine Weisheit und Herrschaft in Frage zu stellen.

Viele waren geneigt, diesen Rat anzunehmen, ihre Untreue zu bereuen und sich wieder der Gunst des Vaters und des Sohnes zu erfreuen. Aber Luzifer hatte eine weitere Täuschung bereit. Der mächtige Rebell behauptete j etzt, dass die Engel, die sich ihm angeschlossen hatten, bereits zu weit gegangen seien, um umzukehren. Er kenne das göttliche Gesetz und wisse, dass Gott nicht vergibt. Wer sich von ihnen der Autorität des Himmels beuge, würde seiner Ehre beraubt und aus seiner Stellung entfernt werden. Was ihn selbst betreffe, so sei er entschlossen, die Vormachtstellung von Christus nie wieder anzuerkennen. Ihm und seinen Anhängern bleibe nichts anderes übrig, sagte er, als ihre Freiheit zu behaupten und mit Gewalt jene Rechte einzufordern, die man ihnen aus freien Stücken nicht habe zugestehen wollen.

Was Satan anging, traf es zu, dass er bereits zu weit gegangen war. Das galt aber nicht für jene, die sich von seinen Täuschungen hatten verführen lassen. Ihnen gaben die Ratschläge und das eindringliche Flehen der treuen Engel Grund zur Hoffnung. Hätten sie diese Warnungen beachtet, wäre es ihnen möglich gewesen, den Schlingen Satans zu entkommen. Doch Stolz, Liebe zu ihrem Führer und der Wunsch nach grenzenloser Freiheit konnten die Oberhand gewinnen. Die dringenden Bitten, auf Gottes Liebe und Gnade einzugehen, wurden schließlich verworfen.

Gott ließ es zu, dass Satan sein Werk fortsetzte, bis der Geist der Unzufriedenheit zu einem offenen Aufruhr anwuchs. Es war nötig, dass die Pläne voll zur Entfaltung kamen, damit alle deren wahre Natur und eigentliche Absicht erkennen konnten. Als schirmender Cherub hatte Luzifer eine hohe Stellung bekleidet. Die himmlischen Wesen liebten ihn, und er hatte großen Einfluss auf sie. Gottes Herrschaft umfasste nicht nur die Bewohner des Himmels, sondern alle Welten, die er geschaffen hatte. Luzifer war zu dem Schluss gekommen, er könne sie alle auf seine Seite ziehen, wenn es ihm gelänge, die Engel im Himmel für seine Rebellion zu gewinnen. Seine Sicht der Dinge hatte er geschickt dargelegt und war dabei ausgeklügelt und betrügerisch vorgegangen, um seine Ziele zu erreichen. Er verfügte über ein großes Täuschungsvermögen. In einen Deckmantel von Lügen gehüllt, hatte er sich einen Vorteil verschafft. Alles, was er tat, war derart geheimnisvoll, dass es für die Engel nur schwer zu erkennen war, wohin seine Handlungen wirklich führten. Solange diese nicht zur vollen Entfaltung gekommen waren, konnte nicht deutlich werden, wie böse sie wirklich waren; Satans Unzufriedenheit war nicht als Aufstand zu werten. Sogar die treuen Engel konnten seinen Charakter nicht völlig durchschauen oder erkennen, wohin sein Verhalten führen würde.

Die Göttliche Gerechtigkeit Entlarvt Satans Betrug

Luzifer gestaltete seine Versuchungen anfänglich so, dass er sich nicht selbst bloßstellte. Den Engeln, die er nicht ganz auf seine Seite ziehen konnte, warf er vor, den Belangen der himmlischen Wesen gleichgültig gegenüberzustehen. Er legte damit den treuen Engeln genau das zur Last, was er selbst tat. Seine Vorgehensweise bestand darin, sie mit fein gesponnenen Argumenten bezüglich der Absichten Gottes zu verwirren. Einfaches machte er geheimnisvoll, und Gottes klarste Aussagen zog er durch geschickte Verdrehungen in Zweifel. Und seine hohe Stellung, die so eng mit der Herrschaft Gottes verbunden war, verlieh seinen Ausführungen noch größeres Gewicht.

Gott konnte nur solche Mittel anwenden, die mit Wahrheit und Gerechtigkeit in Einklang standen. Satan dagegen tat, was Gott nicht tun konnte - sich der Schmeichelei und Täuschung zu bedienen. Er versuchte, Gottes Wort zu verdrehen und Gottes Herrschaft verzerrt darzustellen. Er behauptete, Gott sei ungerecht, wenn er den Engeln Gesetze auferlege. Gott gehe es nur um seine Selbsterhöhung, wenn er von seinen Geschöpfen Unterwerfung und Gehorsam verlange. Das alles machte es notwendig, den Bewohnern des Himmels und aller Welten zu zeigen, dass Gottes Herrschaft gerecht und sein Gesetz vollkommen ist. Satan hatte den Anschein vermittelt, er werde das Wohlergehen des Universums fördern. Deshalb war es so wichtig, dass überall der wahre Charakter dieses Thronräubers sowie seine tatsächlichen Absichten verstanden wurden. Damit er sich selbst durch seine bösen Taten entlarven konnte, musste ihm Zeit eingeräumt werden.

Die Zwietracht, die Satan selbst verursacht hatte, legte er nun Gottes Herrschaftsweise zur Last. Alles Böse - so behauptete er - sei die Folge der Art und Weise, wie Gott herrsche. Von sich behauptete Satan, er habe nur Gottes Gesetze verbessern wollen. Gott gestattete ihm deshalb, seine Behauptungen unter Beweis zu stellen und die Auswirkungen seiner vorgeschlagenen Veränderungen an Gottes Gesetz zu zeigen. Sein eigenes Werk musste ihn verdammen. Satan hatte von Anfang an vorgegeben, sich nicht in Aufruhr gegen Gott zu befinden. Das gesamte Universum musste den Betrüger entlarvt sehen.

Selbst als Satan aus dem Himmel ausgestoßen wurde, vernichtete ihn Gott in seiner unendlichen Weisheit nicht. Da Gott nur ein Dienst aus Liebe angenehm ist, muss die Treue seiner Geschöpfe auf der Überzeugung beruhen, dass er gerecht und gütig ist. Die Bewohner des Himmels und der Welten waren nicht darauf vorbereitet, das Wesen und die Folgen der Sünde zu begreifen, und hätten deshalb in der Vernichtung Satans nicht Gottes Gerechtigkeit erkennen können. Wäre er auf der Stelle vertilgt worden, hätten einige Gott aus Angst statt aus Liebe gedient. Der Einfluss des Betrügers wäre weder völlig ausgelöscht noch der rebellische Geist gänzlich ausgerottet worden. Zum Nutzen des ganzen Weltalls durch endlose Zeitalter musste Satan seine Grundsätze in vollem Umfang entwickeln können. Denn nur so würde es allen Geschöpfen möglich sein, seine Anklagen gegen die Regierung Gottes in ihrem wahren Licht zu beurteilen. Damit würden auch die Gerechtigkeit und Gnade Gottes und die Unveränderlichkeit seines Gesetzes für immer über alle Zweifel erhaben sein.

Satans Aufruhr sollte dem Universum für alle Zeiten eine Lehre sein - ein ewiger Beweis für das Wesen der Sünde und ihre schrecklichen Folgen. Die Entfaltung der Herrschaft Satans und deren Auswirkungen auf Menschen und Engel würden zeigen, zu welchen Folgen die Ablehnung der göttlichen Autorität führt. Sie bezeugt, dass das Wohlergehen aller Geschöpfe Gottes unmittelbar vom Bestand seiner Herrschaft abhängt. Folglich sollte die Geschichte dieser schrecklichen Rebellion für alle heiligen Wesen zu einem bleibenden Schutz werden. Sie sollte verhindern, dass Gottes Geschöpfe sich über die wahre Natur der Gesetzesübertretung täuschen lassen und vor dem Sündigen und dem Leid der Strafe bewahrt werden.

Gott, der in den Himmeln regiert, sieht das Ende von Anfang an. Vor ihm liegen die Geheimnisse der Vergangenheit und der Zukunft in gleicher Weise offen. Über das Leid, die Dunkelheit und das Verderben hinaus, die durch die Sünde entstanden sind, sieht er, was seine eigenen Absichten der Liebe und des Segens vollbringen werden. Obgleich "Wolken und Dunkel" um ihn her sind, bleiben doch "Gerechtigkeit und Gericht ... seines Thrones Stütze" (Psalm 97,2). Das werden die Bewohner des Universums - ob Gott treu oder von ihm abgefallen - eines Tages verstehen. "Seine Werke sind vollkommen; denn alles, was er tut, das ist recht. Treu ist Gott und kein Böses an ihm, gerecht und wahrhaftig ist er." (5. Mose 32,4)