Wie Alles Begann

Kapitel 6

Set Und Henoch

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1. Mose 4,17 bis 6,2.

Adam wurde ein weiterer Sohn geboren, auf den Gottes Verheißung und das geistliche Erstgeburtsrecht übergehen sollten. Sein Name Set bedeutet "eingesetzt" oder "Ersatz", "denn Gott hat mir ... einen andern Sohn gegeben für Abel, den Kain erschlagen hat", sagte seine Mutter (1. Mose 4,25). Set hatte eine edlere Gestalt als Kain oder Abel und war Adam ähnlicher als seine anderen Söhne. Mit seinem feinen Charakter trat er in Abels Fußstapfen, doch er besaß keine größere natürliche Tugendhaftigkeit als Kain. Über die Erschaffung Adams heißt es: "Als Gott Adam schuf, machte er ihn Gott ähnlich", aber nach dem Sündenfall zeugte Adam "einen Sohn ihm ähnlich, nach seinem Bild" (1. Mose 5,1b.3a Elb.). Während Gott Adam sündlos schuf, "nach seinem Bild" (1. Mose 1,27a Elb.), erbte Set - wie auch Kain - die sündhafte Natur seiner Eltern. Er erhielt aber ebenfalls Unterweisungen hinsichtlich des kommenden Erlösers und eines rechtschaffenen Lebens. Durch Gottes Gnade diente er seinem Schöpfer und ehrte ihn. Er bemühte sich - wie Abel es getan hätte, wenn er am Leben geblieben wäre -, das Denken seiner sündigen Mitmenschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie Gott verehrten und ihm gehorchten.

"Set zeugte auch einen Sohn und nannte ihn Enosch. Zu der Zeit fing man an, den Namen des Herrn anzurufen." (1. Mose 4,26) Die Treuen hatten Gott schon vorher angebetet, aber als sich die Menschen vermehrten, trat der Unterschied zwischen den beiden Gruppen deutlicher zutage. Die einen bekannten freimütig ihre Verbundenheit mit Gott, die anderen machten aus ihrer Verachtung und ihrem Ungehorsam kein Hehl.

Vor dem Sündenfall hielten unsere Voreltern den Sabbat, den Gott im Garten Eden eingesetzt hatte, und feierten ihn weiterhin nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies. Adam und Eva hatten die bitteren Folgen ihres Ungehorsams erlebt und gelernt, was jeder, der Gottes Gebote mit Füßen tritt, früher oder später erfahren wird: dass Gottes Gebote heilig und unveränderlich sind und die Strafe für ihre Übertretung gewiss verhängt wird. Alle Kinder Adams, die Gott treu blieben, ehrten den Sabbat. Aber Kain und seine Nachkommen achteten nicht den Tag, an dem Gott geruht hatte. Sie wählten ihre Arbeitsund Ruhezeiten, ohne auf Jahwes ausdrückliches Gebot zu achten.

Die Entwicklung Der Nachkommen Kains

Nachdem Kain von Gott verflucht worden war, verließ er sein Elternhaus und betrieb zunächst Ackerbau. Dann gründete er eine Stadt, der er den Namen seines ältesten Sohnes gab. Er hatte der Gegenwart Gottes den Rücken gekehrt und dachte nicht mehr an dessen Versprechen, Eden wiederherzustellen. Er strebte auf der Erde, die unter dem Fluch der Sünde stand, nach Besitz und Vergnügen. Damit stand Kain an der Spitze der breiten Gesellschaftsschicht, die den "Gott dieser Welt" (2. Korinther 4,4a) anbetet. Seine Nachkommen zeichneten sich in dem Bereich aus, der bloß mit dem irdischen und materiellen Fortschritt zu tun hat. Gott dagegen war ihnen gleichgültig, und seinen Absichten mit den Menschen standen sie ablehnend gegenüber. Zum Verbrechen des Mordes, für das Kain den Weg bereitet hatte, fügte Lamech, sein Nachkomme in der fünften Generation, die Vielehe hinzu. Prahlerisch und herausfordernd, wie er war, erkannte er doch Gott an - aber nur um aus der Schutzverheißung für Kain (vgl. 1. Mose 4,15) die Gewähr der eigenen Sicherheit abzuleiten. Abel hatte als Hirte gelebt und in Zelten oder Hütten gewohnt. Sets Nachkommen schlugen die gleiche Richtung ein und verstanden sich als "Gäste und Fremdlinge auf Erden". Sie sehnten "sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himmlischen" (Hebräer 11,13.16).

Eine Zeitlang lebten die beiden Menschengruppen voneinander getrennt. Das Geschlecht Kains verbreitete sich von seiner ersten Ansiedlung aus über die Ebenen und Täler, wo die Nachkommen Sets wohnten. Diese zogen sich daraufhin in die Berge zurück, um sich dem schädlichen Einfluss der Sippe Kains zu entziehen. Solange diese Trennung beibehalten wurde, bewahrten sie die unverfälschte Gottesanbetung. Aber im Laufe der Zeit wagten sie es immer mehr, sich mit den Bewohnern der Täler zu vermischen. Diese Vereinigung hatte äußerst schlimme Folgen. "Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren." (1. Mose 6,2) Die jungen Männer aus der Nachkommenschaft Sets, angezogen von der Schönheit der Töchter der Nachfahren Kains, erzürnten den Herrn, indem sie sich mit ihnen vermählten. Viele Gottesverehrer ließen sich von den Verlockungen, die sie ständig vor Augen hatten, zur Sünde verleiten. Dadurch verloren sie ihren besonderen, heiligen Charakter. Weil sie sich mit ihnen vermischt hatten, wurden sie ihnen im Denken und Handeln immer ähnlicher. Sie missachteten die Einschränkungen, die ihnen das siebte Gebot auferlegte, "und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten" (1. Mose 6,2). Die Nachkommen Sets gingen "den Weg Kains" (Judas 11). Sie dachten nur noch an weltliches Wohlergehen und Vergnügen und unterließen es, Gottes Gebote zu befolgen. Die Menschen fingen an, "sich unsinnige Vorstellungen von Gott zu machen, und ihr Verstand verfinsterte sich und wurde verwirrt." Deshalb "überließ er [Gott] sie ihren verwerflichen Gedanken, sodass sie tun, was sie nie tun sollten" (Römer 1,21.28 NLB) Wie tödlicher Aussatz breitete sich nun die Sünde über die Erde aus.

Adams Weiteres Wirken

Nahezu tausend Jahre lang lebte Adam unter den Menschen - ein Zeuge für die Folgen der Sünde. Treu versuchte er gegen die Flut des Bösen anzukämpfen. Er hatte von Gott den Auftrag erhalten, seine Nachkommen in den Wegen des Herrn zu unterweisen. Sorgfältig hütete er wie einen Schatz, was Gott ihm offenbart hatte, und gab es an die nachfolgenden Generationen weiter. Seinen Kindern und Kindeskindern bis in die neunte Generation schilderte er den heiligen, glücklichen Zustand der ersten Menschen im Paradies und wiederholte, wie es zu seinem Sündenfall gekommen war. Er berichtete von den Leiden, durch die Gott ihn gelehrt hatte, wie notwendig es ist, sich unbedingt an sein Gesetz zu halten, und erklärte ihnen, welche Vorkehrungen Gott in seiner Gnade getroffen hatte, um sie zu retten. Doch nur wenige achteten auf Adams Worte. Und oft musste er sich bittere Vorwürfe wegen seiner Sünde anhören, die so viel Leid über seine Nachkommen gebracht hatte.

Adams Leben war von Kummer, Demut und Reue geprägt. Als er Eden verließ, erfüllte ihn der Gedanke, sterben zu müssen, mit Schaudern. Als dann Kain, der erstgeborene Sohn, seinen Bruder ermordete, stand Adam zum ersten Mal der Wirklichkeit des Todes in der menschlichen Familie gegenüber. Schärfste Gewissensbisse plagten ihn wegen seiner eigenen Sünde. Als er durch Abels Tod und Kains Verbannung einen doppelten Verlust erlitt, wurde er durch Seelenqualen niedergedrückt. Er beobachtete die weit verbreitete Verdorbenheit, die schließlich zur Vernichtung der Erde durch eine Flut führte. Wohl war ihm das Todesurteil, das sein Schöpfer über ihn ausgesprochen hatte, anfangs schrecklich erschienen; aber nachdem er fast eintausend Jahre lang die Folgen der Sünde miterlebt hatte, erkannte er, dass es von Gott nur gnädig war, wenn er ein so kummer- und sorgenvolles Leben beendete.

Das Grosse Wissen Der Vorsintflutlichen Menschen

Trotz der Bosheit der vorsintflutlichen Welt war diese Periode keine Zeit der Unwissenheit und Barbarei, wie oft vermutet wird. Die damaligen Menschen hatten durchaus die Gelegenheit, einen hohen sittlichen und geistigen Stand zu erreichen. Sie verfügten über erstaunliche Körper- und Geisteskräfte. Ihre Möglichkeiten, zu religiösen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen, waren einzigartig. Es wäre falsch, aufgrund ihrer hohen Lebenserwartung auf eine späte geistige Reife zu schließen. Ihre Geisteskraft entwickelte sich schon früh. Wer in Ehrfurcht vor Gott und in Übereinstimmung mit seinem Willen lebte, nahm sogar sein ganzes Leben lang an Weisheit und Erkenntnis zu. Wenn man die berühmtesten Gelehrten unserer Zeit mit Menschen gleichen Alters aus der vorsintflutlichen Welt vergleichen würde, wären sie diesen Menschen an geistiger und körperlicher Stärke weit unterlegen. Als das Lebensalter der Menschen abnahm, ließen auch die körperlichen Kräfte und die geistigen Fähigkeiten nach. Heutzutage gibt es Menschen, die zwanzig bis fünfzig Jahre lang studieren, und die Welt lobt ihre Ergebnisse in den höchsten Tönen. Wie begrenzt aber würde das, was sie erreicht haben, erscheinen, wenn man es mit den Ergebnissen der Menschen vergleichen könnte, deren geistige und körperliche Kräfte sich jahrhundertelang entwickelt haben!

Natürlich haben die heutigen Menschen den Vorteil, auf den Errungenschaften ihrer Vorfahren aufbauen zu können. Menschen von überragendem Verstand haben geplant, geforscht und ihre Ergebnisse schriftlich festgehalten und dadurch ihr Werk der Nachwelt hinterlassen. Aber um wie viel größer sind selbst in dieser Hinsicht - und soweit es das rein menschliche Wissen betrifft - die Vorteile der Menschen aus jener alten Zeit! Jahrhundertelang lebte der Mann unter ihnen, der zum Bilde Gottes erschaffen worden war und den der Schöpfer persönlich als "sehr gut" bezeichnet hatte (vgl. 1. Mose 1,31a). Er war bezüglich der materiellen Welt in aller Weisheit unterrichtet worden. Von Gott selbst hatte Adam die Geschichte der Schöpfung erfahren. Adam seinerseits war Zeuge der Ereignisse, die sich über neun Jahrhunderte hinweg zutrugen, und gab sein Wissen an seine Nachkommen weiter. Die Menschen vor der Flut besaßen weder Bücher noch schriftliche Berichte, doch aufgrund ihrer guten körperlichen und geistigen Verfassung verfügten sie über ein ganz hervorragendes Erinnerungsvermögen. Deshalb waren sie in der Lage, alles, was ihnen mitgeteilt wurde, zu verstehen und in ihrem Gedächtnis zu speichern. Sie wiederum konnten alles Wissen unbeeinträchtigt an ihre Nachkommenschaft weitergeben. Jahrhundertelang lebten gleichzeitig sieben Generationen auf der Erde. So hatten sie die Gelegenheit, sich gegenseitig zu beraten, und jede Generation konnte aus dem Wissen und den Erfahrungen aller anderen Nutzen ziehen.

Die Vorteile der Menschen des damaligen Zeitalters, durch die Schöpfung Gotteserkenntnis zu gewinnen, sind bis heute unübertroffen. Es herrschte keine religiöse Finsternis, sondern es war eine Zeit großer Erkenntnis. Die ganze Welt konnte von Adam Unterweisung erhalten, und die Gottesfürch- tigen wurden zusätzlich von dem Sohn Gottes und den Engeln unterrichtet. Auch Eden, der Garten Gottes, blieb noch jahrhundertelang als stummer Zeuge der Wahrheit auf der Erde bestehen (vgl. 1. Mose 4,16b). Am Eingang des Paradieses, den Cherubim bewachten, offenbarte sich Gottes Herrlichkeit. Dorthin strömten die Menschen, um anzubeten. Dort errichteten sie Altäre und brachten ihre Opfer dar. Dort hatten auch Kain und Abel ihre Opfer gebracht, und Gott hatte sich herabgeneigt, um mit ihnen zu sprechen.

Kein Zweifler konnte die Existenz des Gartens Eden in Abrede stellen, solange die Menschen ihn sehen konnten und sein Eingang von wachsamen Engeln versperrt war. Der Ablauf der Schöpfung, der Zweck des Gartens, die Geschichte von den beiden Bäumen darin, die für das Schicksal der Menschheit eine so große Rolle gespielt hatten - das alles waren unbestreitbare Tatsachen. Auch die Existenz und höchste Autorität Gottes und die Verbindlichkeit seines Gesetzes waren Wahrheiten, die Menschen nur zögernd in Frage stellten, solange Adam unter ihnen lebte.

Henoch Wandelt Mit Gott

Trotz der überhandnehmenden Bosheit und Gottlosigkeit gab es fromme Menschen, auf die die Gemeinschaft mit Gott einen erhebenden und veredelnden Einfluss ausübte und die wie in himmlischer Gesellschaft lebten. Es waren Menschen mit großem Verstand und erstaunlichen Fähigkeiten. Sie hatten den großen und heiligen Auftrag, einen rechtschaffenen Charakter zu entwickeln und zu lehren, was ein gottesfürchtiges Leben ist - nicht nur im Hinblick auf die Menschen ihrer Zeit, sondern auch für spätere Geschlechter. Die Heilige Schrift nennt nur wenige dieser berühmten Männer, aber Gott hatte zu allen Zeiten treue Zeugen, Menschen, die ihn aufrichtig verehrten.

Von Henoch wird berichtet, dass er mit 65 Jahren einen Sohn zeugte. Danach wandelte er noch dreihundert Jahre lang mit Gott (vgl. 1. Mose 5,21.22). In seinen frühen Jahren hatte Henoch Gott geliebt, ihm ehrfürchtig gedient und seine Gebote gehalten. Er war ein Vertreter der gläubigen Linie, die den rechten Glauben bewahrte und zu den Vorfahren des versprochenen Nachkommen Evas gehörte. Aus Adams Mund hatte er die traurige Geschichte vom Sündenfall erfahren, aber auch die tröstliche Nachricht von Gottes Gnade, wie sie aus dessen Verheißung (vgl. 1. Mose 3,15) zu erkennen war. Deshalb verließ er sich auf den zukünftigen Erlöser. Nach der Geburt seines ersten Sohnes aber gewann Henoch eine noch tiefere Erfahrung: Er wurde in eine engere Beziehung zu Gott gezogen. Er verstand seine eigenen Verpflichtungen und die Verantwortung als ein Sohn Gottes viel besser. Als er die Liebe des Kindes zu seinem Vater und das schlichte Vertrauen in den väterlichen Schutz wahrnahm sowie die tiefe, sehnliche Zuneigung zum erstgeborenen Sohn verspürte, lernte er wichtige Dinge in Bezug auf die wunderbare Liebe Gottes zu den Menschen. Diese offenbart sich in der Hingabe seines eigenen Sohnes und im Vertrauen, dass Gottes Kinder in ihrem himmlischen Vater ruhen dürfen. Die unendliche, unergründliche Liebe Gottes in Christus war der Gegenstand seines Nachdenkens am Tag und in der Nacht. Und mit jeder Faser seines Herzens wollte er diese Liebe den Menschen, unter denen er lebte, offenbaren.

Henochs Wandel mit Gott zeigte sich weder in einem träumerischen Zustand noch in Visionen, sondern in den Pflichten seines täglichen Lebens. Er wurde kein Einsiedler, der sich von der Welt ganz zurückzog, denn er hatte in der Welt einen Auftrag von Gott zu erfüllen. In seiner Familie und in seinem Umgang mit anderen Menschen - als Ehemann und Vater, als Freund und Bürger - war er der standhafte und unerschütterliche Diener Gottes.

Henoch lebte im Einklang mit dem Willen Gottes. "Können etwa zwei miteinander wandern, sie seien denn einig untereinander?" (Amos 3,3) Dieser fromme Lebenswandel dauerte 300 Jahre lang an. Viele Christen wären wohl ernster und Gott hingegebener, wenn sie wüssten, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben hätten oder die Wiederkunft von Christus vor der Tür stünde. Aber Henochs Glaube wurde im Lauf der Jahrhunderte nur umso stärker und seine Liebe inniger.

Henoch war ein hochgebildeter Mann von scharfem Verstand und umfassendem Wissen. Gott zeichnete ihn durch besondere Offenbarungen aus. Dennoch blieb er einer der demütigsten Menschen. Er lebte in dauernder Gemeinschaft mit dem Himmel und hatte Gottes Größe und Vollkommenheit immer vor Augen. Je enger die Verbindung mit Gott war, desto stärker empfand er seine Schwachheit und Unvollkommenheit.

Betrübt über die zunehmende Bosheit der Gottlosen und aus Sorge, ihre Untreue könnte seine Ehrfurcht vor Gott mindern, vermied Henoch den dauernden Umgang mit ihnen. Er verbrachte viel Zeit in der Einsamkeit mit stillem Nachdenken und im Gebet. So wartete er vor dem Herrn und suchte nach einer klaren Erkenntnis seines Willens, um ihn dann auszuführen. Für ihn war das Gebet wie das Atmen der Seele. Er lebte eingetaucht in die himmlische Welt.

Henochs Wirken Für Die Menschen

Durch heilige Engel offenbarte Gott Henoch seine Absicht, die Welt durch eine Flut zu vernichten. Er erschloss ihm auch den Erlösungsplan in umfassenderer Weise. Durch den Geist der Weissagung führte er ihn durch die Generationen, die nach der Sintflut leben würden. So zeigte er ihm auch die bedeutenden Ereignisse, die in Verbindung mit dem zweiten Kommen von Christus und dem Ende der Welt geschehen werden.

Henoch beunruhigte das Schicksal der Toten. Es schien ihm, als ob die Gerechten wie die Bösen wieder zu Staub würden und damit für sie alles vorbei wäre. Er konnte nichts von einem Leben der Gerechten jenseits des Grabes erkennen. In einer prophetischen Schau erhielt er Informationen über den Tod von Christus und sah dessen zweites Kommen in Herrlichkeit, begleitet von allen heiligen Engeln, um sein Volk aus dem Grab zu erlösen (vgl. Matthäus 24,30.31). Er sah auch den verdorbenen Zustand der Welt zur Zeit der Wiederkunft von Christus: Es wird dann eine überhebliche, vermessene, eigenwillige Menschheit leben, die den alleinigen Gott und den Herrn Jesus Christus ablehnt, seine Sühne verachtet und das Gesetz Gottes mit Füßen tritt. Er sah, dass die Gerechten mit Ruhm und Ehre gekrönt, aber die Gottlosen aus Gottes Gegenwart verbannt und durch Feuer vernichtet werden.

Henoch wurde ein Prediger der Gerechtigkeit und verkündete, was Gott ihm offenbart hatte. Die Gottesfürchtigen suchten diesen heiligen Mann auf, um sich belehren zu lassen und mit ihm zu beten. Er wirkte auch in der Öffentlichkeit, um Gottes Botschaft allen, die sich warnen lassen wollten, zugänglich zu machen. Dabei beschränkten sich seine Bemühungen nicht auf die Nachkommen Sets. In dem Land, in dem Kain vor Gottes Gegenwart Zuflucht gesucht hatte, sprach der Prophet Gottes mit den Menschen über die wunderbaren Ereignisse, die ihm in der Vision gezeigt worden waren. Er sagte: "Siehe, der Herr kommt mit seinen vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle und zu strafen alle Menschen für alle Werke ihres gottlosen Wandels." (Judas 14.15)

Furchtlos prangerte er die Sünde an. Einerseits predigte er seinen Zeitgenossen die Liebe Gottes in Christus und ermahnte sie, doch ihre bösen Wege aufzugeben; andererseits tadelte er die herrschende Bosheit und warnte seine Zeitgenossen vor dem Gericht, das die Gesetzesübertreter gewiss heimsuchen werde. Aus Henoch sprach der Geist von Christus. Dieser äußert sich aber nicht nur in Worten der Liebe, des Mitleids und in dringenden Bitten; die Männer Gottes führen nicht nur milde Reden. Vielmehr legt Gott seinen Boten Wahrheiten in Herz und Mund, die scharf und durchdringend wie ein zweischneidiges Schwert sind (vgl. Hebräer 4,12).

Henochs Zuhörer verspürten die Macht Gottes, die aus seinem Diener sprach. Einige ließen sich warnen und gaben ihre Sünden auf. Aber die große Menge verspottete seine ernste Botschaft und ging nur umso dreister auf ihren bösen Wegen weiter. In den letzten Tagen der Geschichte haben Gottes Diener der Welt eine ähnliche Botschaft zu verkünden; auch sie wird mit Unglauben und Spott aufgenommen werden. Wie die Menschen, die vor der Sintflut lebten, Henochs warnende Worte in den Wind schlugen, wird die letzte Generation die Warnungen der Botschafter des Herrn auf die leichte Schulter nehmen.

Inmitten seines arbeitsreichen Lebens hielt Henoch unerschütterlich an der Gemeinschaft mit Gott fest. Je stärker und nachhaltiger seine Bemühungen wurden, desto häufiger und ernster betete er. Zu gewissen Zeiten zog er sich von aller Gesellschaft zurück. Eine Zeitlang weilte er unter den Menschen und bemühte sich, sie durch Belehrung und beispielhaftes Verhalten zu unterweisen. Dann zog er sich wieder zurück, um eine Weile in der Einsamkeit zu verbringen, weil er ein starkes Verlangen nach der Erkenntnis hatte, die nur Gott verleihen kann. Indem er auf diese Weise mit Gott Gemeinschaft pflegte, spiegelte Henoch immer mehr das Bild Gottes wider. Sein Angesicht war von demselben heiligen Licht verklärt, das auch aus dem Antlitz von Jesus leuchtete. Wenn er von solchen Begegnungen mit Gott zurückkehrte, nahmen selbst die Gottlosen mit Ehrfurcht den Abglanz des Himmels auf seinem Angesicht wahr.

Henoch Wird Zu Gott Entrückt

Die Bosheit der Menschen hatte nun ein solches Ausmaß erreicht, dass Gott ihre Vernichtung ankündigte. Jahr für Jahr wurde die Flut menschlicher Schuld gewaltiger, und die Wolken des göttlichen Gerichts ballten sich immer finsterer zusammen. Doch Henoch, der Zeuge des Glaubens, ging seinen Weg. Er warnte, bat, flehte und bemühte sich, die Wogen der Schuld zurückzudrängen und die Vergeltung abzuwenden. Obwohl seine sündigen vergnügungssüchtigen Mitmenschen seine Warnungen ignorierten, besaß er die Zusicherung, dass Gott sein Wirken guthieß. Treu kämpfte er weiter gegendie vorherrschende Bosheit, bis ihn Gott aus einer sündigen Welt in die reine Atmosphäre des Himmels versetzte. "Weil er mit Gott wandelte, nahm ihn Gott hinweg." (1. Mose 5,24)

Henochs Zeitgenossen hatten ihn verspottet, weil er in ihren Augen so töricht war, weder Gold noch Silber oder sonstigen Besitz anzuhäufen. Doch ihm hatten es die ewigen Schätze angetan. Er hatte die himmlische Stadt gesehen, er hatte im himmlischen Zion den König in seiner ganzen Herrlichkeit erblickt. Mit seinen Gedanken, seinem Herzen und in seinen Gesprächen war er schon im Himmel. Je schlimmer die Bosheit der Menschen wurde, desto größer war seine Sehnsucht nach dem Zuhause Gottes geworden. Obwohl er sich noch auf der Erde befand, lebte er im Glauben schon im Reich des Lichtes.

"Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen." (Matthäus 5,8) 300 Jahre lang hatte Henoch nach innerer Reinheit gestrebt, um im Einklang mit dem Himmel zu stehen. Drei Jahrhunderte lang war er mit Gott gewandelt. Tag für Tag hatte er sich nach einer engeren Verbindung mit ihm gesehnt. Immer enger und vertrauter war seine Gemeinschaft mit ihm geworden, bis Gott ihn zu sich nahm. Henoch hatte schon an der Schwelle zur Ewigkeit gestanden, nur noch einen Schritt vom Land der Seligkeit entfernt. Und nun öffneten sich dessen Tore. Das Leben mit Gott, das er so lange auf Erden geführt hatte, ging weiter, und er schritt durch die Tore der heiligen Stadt (vgl. Offenbarung 21,10b) - der erste Mensch, der sie betreten durfte!

Sein Fehlen machte sich auf der Erde bemerkbar. Man vermisste die Stimme, die Tag für Tag gewarnt und Unterweisung erteilt hatte. Einige - sowohl von den Gerechten als auch von den Gottlosen - hatten seine Entrückung miterlebt. Die Menschen, die ihn liebten, hofften, er sei an einen der Orte versetzt worden, wohin er sich gern zurückzog. Sie suchten nach ihm wie später die Prophetenschüler nach Elia - aber vergebens. Er sei nirgends zu finden, berichteten sie, denn Gott habe ihn entrückt.

Die Lehren Aus Henochs Entrückung

Durch Henochs Entrückung wollte Gott eine wichtige Lehre erteilen. Die Menschen standen nämlich in der Gefahr, wegen der furchtbaren Folgen der Sünde Adams mutlos zu werden. Sie fragten sich, was es nütze, den Herrn gefürchtet und seinen Geboten gehorcht zu haben, wenn ein schwerer Fluch auf der Menschheit laste und der Tod unser aller Schicksal sei. Aber die Unterweisungen, die Gott Adam gegeben und Set wiederholt hatte und die durch Henoch veranschaulicht wurden, fegten Hoffnungslosigkeit und Finsternis hinweg. Sie gaben den Menschen die Hoffnung, dass wie durch Adam der Tod aufgekommen war, durch den versprochenen Erlöser Leben und Unsterblichkeit möglich werden würden (vgl. Römer 5,12.17.18). Satan ließ die Menschen glauben, es gebe weder einen Lohn für die Gerechten noch eine Strafe für die Bösen und es sei den Menschen unmöglich, Gottes Gebote zu halten. Aber im Fall Henochs stellte Gott klar, "dass er denen, die ihn suchen, ihren Lohn gibt" (Hebräer 11,6). Er zeigt damit, was er für alle tun wird, die seine Gebote halten. Henoch lehrte die Menschen, dass es sehr wohl möglich ist, Gottes Gesetz zu befolgen. Selbst wer unter sündigen und verkommenen Menschen leben muss, kann durch Gottes Gnade der Versuchung widerstehen und rein und heilig werden. An Henochs Beispiel sahen sie, wie gesegnet solch ein Leben ist. Seine Entrückung war ein Beweis für die Wahrheit seiner Weissagung über das Jenseits: Wer gehorsam ist, empfängt als Lohn Freude, Herrlichkeit und unsterbliches Leben, aber die Übertreter ernten Verurteilung, Leid und Tod.

"Durch den Glauben wurde Henoch entrückt, damit er den Tod nicht sehe ... denn vor seiner Entrückung ist ihm bezeugt worden, dass er Gott gefallen habe." (Hebräer 11,5) Inmitten einer Welt, die wegen ihrer Bosheit zum Untergang bestimmt war, lebte er in so enger Gemeinschaft mit Gott, dass dieser ihn nicht unter die Macht des Todes fallen ließ. Der gottähnliche Charakter dieses Propheten stellt jenen Zustand der Heiligkeit dar, den alle erreichen müssen, die bei der Wiederkunft von Christus "von der Erde erlöst" werden (Offenbarung 14,3b NLB). Denn wie vor der Sintflut wird die Bosheit der Menschen überhandnehmen. Sie werden den Neigungen ihres verdorbenen Herzens und den Lehren einer trügerischen Weltanschauung folgen und sich gegen die Autorität des Himmels auflehnen. Aber wie Henoch werden Gottes Getreue nach innerer Reinheit und nach Übereinstimmung mit Gottes Willen streben, bis sie dem Charakter von Christus ähnlich geworden sind. Wie Henoch werden sie die Welt vor der Wiederkunft des Herrn und vor den Gerichten, die die Übertreter treffen werden, warnen. Durch ihre geheiligten Worte und ihr vorbildliches Verhalten werden sie die Sünden der Gottlosen verurteilen.

Wie Henoch in den Himmel aufgenommen wurde, bevor die Welt in den Fluten unterging, sollen die lebenden Gläubigen von der Erde entrückt werden, bevor diese durch Feuer vernichtet wird. Der Apostel Paulus schrieb: "Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune." (1. Korinther 15,51.52a) "Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel." (1. Thessalonicher 4,16a) "Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden." (1. Korinther 15,52b) "Zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch mit diesen Worten untereinander." (1. Thessalonicher 4,16b-18)