Wie Alles Begann

Kapitel 20

Josef In Ägypten

[AUDIO]

1. Mose 39,1 bis 41,46.

Unterdessen war Josef mit denen, die ihn gefangen hielten, auf dem Weg nach Ägypten. Als sich die Karawane der Südgrenze Kanaans näherte, konnte der junge Mann in der Ferne die Hügel erkennen, zwischen denen die Zelte seines Vaters standen. Beim Gedanken an seinen liebevollen Vater weinte er in seiner Einsamkeit und Not bittere Tränen. Erneut liefen die Ereignisse bei Dotan vor seinem inneren Auge ab. Er sah seine zornigen Brüder und spürte, wie sie ihre hasserfüllten Blicke auf ihn richteten. In seinen Ohren klangen noch die beleidigenden Worte nach, mit denen sie sein angstvolles Flehen beantwortet hatten. Zitternd schaute er in die Zukunft. Wie sehr hatte sich seine Lage doch verändert! Aus einem zärtlich geliebten Sohn war ein verachteter und hilfloser Sklave geworden! Und wie würde sich sein Schicksal im fremden Land, in das er zog, gestalten - allein und ohne Freunde? Eine Zeitlang ließ sich Josef von seinem Schmerz und seiner Angst überwältigen.

Aber durch Gottes Vorsehung sollte dem jungen Josef sogar diese Erfahrung zum Segen werden. In nur wenigen Stunden lernte er, was ihn Jahre nicht hätten lehren können. Wie innig und herzlich die Liebe seines Vaters zu ihm auch gewesen war, hatte dieser durch seine Parteilichkeit und Gefälligkeiten doch falsch an ihm gehandelt. Die unkluge Bevorzugung durch den Vater hatte seine Brüder verärgert und zur grausamen Tat getrieben, die Josef nun von seinem Zuhause trennte. Das falsche Verhalten seines Vaters hatte auch in Josefs Charakter Auswirkungen hinterlassen. Fehler waren gefördert worden, die nun berichtigt werden mussten. Josef war anspruchsvoll und überheblich geworden. An die liebevolle Fürsorge seines Vaters gewöhnt, sah er sich nun unvorbereitet, mit den vor ihm liegenden Schwierigkeiten fertigzuwerden. Wie sollte er das bittere, verachtete Leben eines Fremdlings und Leibeigenen ertragen?

Dann aber wandten sich seine Gedanken dem Gott seines Vaters zu. Schon als Kind hatte man ihn gelehrt, diesen Gott zu lieben und zu ehren. Oft hatte er im Zelt seines Vaters zugehört, wenn dieser von seiner Traumvision erzählte, die er als Flüchtling und Verbannter erhalten hatte, nachdem er von Zuhause geflohen war. Er hatte von den Verheißungen gehört, die Jakob von Gott empfangen hatte, und wie sie in Erfüllung gegangen waren - wie Engel in der Stunde der Not gekommen waren, um ihn zu unterweisen, zu trösten und zu beschützen. Und er hatte vom Erlöser erfahren, den Gott aus Liebe für die Menschheit vorgesehen hatte. All dies wurde ihm nun deutlich bewusst. Josef gewann die feste Überzeugung, dass der Gott seiner Vorfahren auch sein Gott sein werde. Dort auf dem Weg vertraute er sich ganz diesem Gott an und betete, dass der Beschützer Israels im Land seiner Verbannung mit ihm sein möge.

Er war ganz vom festen Entschluss durchdrungen, Gott treu zu bleiben und sich unter allen Umständen so zu verhalten, wie es sich für einen Untertan des Königs im Himmel geziemte. Er nahm sich vor, dem Herrn mit ungeteiltem Herzen zu dienen, die Prüfungen, die mit seinem Los zusammenhingen, tapfer zu ertragen und jede Pflicht treu zu erfüllen. Was Josef an diesem einen Tag erlebt hatte, war zum Wendepunkt in seinem Leben geworden. Die Tragödie dieses Tages hatte aus einem verwöhnten Jugendlichen einen besonnenen, mutigen und selbstbeherrschten Mann gemacht.

Josefs Dienst Im Hause Potifars

Nach der Ankunft in Ägypten verkaufte man Josef an Potifar, den Oberbefehlshaber der königlichen Leibwache. In dessen Dienst blieb er zehn Jahre lang. Hier war er einer Vielzahl von außergewöhnlichen Versuchungen ausgesetzt. Er befand sich mitten im Götzendienst. Diese Anbetung falscher Götter war ganz von königlichem Prunk und Pomp umgeben und wurde vom Wohlstand und der Kultur des zivilisiertesten Landes jener Zeit getragen. Doch Josef bewahrte sich seine Bescheidenheit und seine Treue zu Gott. Wohin er auch blickte und was er auch hörte, es umgab ihn Lasterhaftigkeit. Aber er nahm davon keine Notiz. Er gestattete es seinen Gedanken nicht, bei unerlaubten Dingen zu verweilen. Sein Wunsch, die Gunst der Ägypter zu gewinnen, konnte ihn nicht dazu bewegen, seine Grundsätze zu verheimlichen. Hätte er das getan, wäre er den Verlockungen erlegen. Aber er schämte sich des Glaubens seiner Vorfahren nicht und versuchte gar nicht zu verbergen, dass er Jahwe verehrte.

"Der Herr war mit Josef, sodass er ein Mann wurde, dem alles glückte ... Und sein Herr sah, dass der Herr mit ihm war; denn alles, was er tat, das ließ der Herr in seiner Hand glücken." (1. Mose 39,2.3) Potifars Vertrauen zu Josef wurde täglich größer. Schließlich machte er ihn zu seinem Verwalter und erteilte ihm uneingeschränktes Verfügungsrecht über alles, was ihm gehörte. "Sein Herr überließ Josef alles und kümmerte sich zu Hause um nichts mehr außer um sein eigenes Essen." (1. Mose 39,6 GNB)

Dass alles gedieh, was Josef anvertraut war, beruhte nicht auf einem besonderen Wunder. Vielmehr belohnte Gott seinen Fleiß, seine Mühe und seine Tatkraft mit dem göttlichen Segen. Josef selbst schrieb seinen Erfolg der Gunst Gottes zu, und selbst sein heidnischer Herr hielt das für das Geheimnis seines beispiellosen Wohlstands. Ohne andauernde und zielgerichtete Anstrengungen hätte sich aber kein Erfolg einstellen können. So wurde Gott durch die Treue seines Dieners verherrlicht. Es war seine Absicht, dass sich der Gläubige durch seine Reinheit und Aufrichtigkeit deutlich von den Götzendienern unterscheidet, damit Gottes Gnade wie ein Licht inmitten der Dunkelheit des Heidentums aufleuchtete.

Josefs Sanftmut und Treue überzeugten den Oberbefehlshaber, der in ihm schließlich mehr einen Sohn als einen Sklaven sah. So kam Josef mit Männern von Rang und Gelehrsamkeit in Berührung und erwarb sich Kenntnisse in den Naturwissenschaften, den Sprachen und in der Politik - alles in allem eine Ausbildung, wie sie der zukünftige Ministerpräsident Ägyptens haben musste.

Eine Heikle Versuchung Mit Folgen

Aber Josefs Glaube und Lauterkeit sollten erst noch ihre Feuerprobe bestehen. Die Frau seines Herrn wollte den jungen Mann dazu verführen, Gottes Gesetz zu übertreten. Bislang war es ihm gelungen, sich von der Verderbtheit, die in diesem heidnischen Land anzutreffen war, nicht anstecken zu lassen. Wie aber sollte er sich bei dieser Versuchung verhalten? Sie kam so plötzlich, so stark und so verführerisch! Josef wusste genau, welche Folgen es hätte, wenn er sich ihr widersetzte. Einerseits käme es zu Heimlichtuerei, Gunsterweisen und Belohnungen, andererseits warteten Schande, Gefängnis oder gar der Tod auf ihn. Sein ganzes zukünftiges Leben hing von seiner augenblicklichen Entscheidung ab. Würde Josef an seinen Grundsätzen festhalten? Würde er Gott auch jetzt noch treu bleiben? Mit unaussprechlicher Sorge verfolgten die Engel das Geschehen.

Josefs Antwort zeigt die Kraft religiöser Grundsätze. Er wollte das Vertrauen seines irdischen Herrn nicht missbrauchen und seinem Herrn im Himmel treu bleiben - ungeachtet aller Folgen. Unter den prüfenden Augen Gottes und heiliger Engel nehmen sich viele Menschen Freiheiten heraus, die sie sich in Gegenwart ihrer Mitmenschen niemals zuschulden kommen lassen würden. Aber Josef dachte zuerst an Gott. "Wie sollte ich denn nun ein solch großes Übel tun und gegen Gott sündigen?", sagte er (1. Mose 39,9).

Wenn wir uns angewöhnen würden, immer daran zu denken, dass Gott alles, was wir tun und sagen, wahrnimmt, über unsere Worte und Taten zuverlässig Bericht führt und wir alles einmal verantworten müssen, würden wir uns vor der Sünde fürchten. Mögen sich die Jugendlichen immer dessen bewusst sein, dass sie sich in Gottes Gegenwart befinden - ganz gleich, wo sie sind und was sie tun. Nichts von unserem Verhalten bleibt unbemerkt. Wir können unser Tun vor dem Allerhöchsten nicht verbergen. Selbst strenge menschliche Gesetze werden oft unbemerkt übertreten, weshalb auch keine Strafe erfolgt. Aber in Bezug auf Gottes Gesetz verhält es sich anders. Die dunkelste Nacht ist kein Deckmantel für den Schuldigen. Er meint vielleicht, unbeobachtet zu sein, aber bei allem, was er tut, gibt es einen unsichtbaren Zeugen. Die tatsächlichen Beweggründe des Menschen liegen Gott offen zur Prüfung vor. Jede Tat, jedes Wort, jeder Gedanke wird eigens vermerkt, als gäbe es nur einen einzigen Menschen auf der ganzen Welt und würde der Himmel seine ganze Aufmerksamkeit nur auf ihn lenken.

Josef büßte für seine Anständigkeit. Denn die Frau, die ihn verführen wollte, rächte sich an ihm und bezichtigte ihn des üblen Verbrechens einer Vergewaltigung. Deshalb wurde er ins Gefängnis geworfen. Hätte Potifar die Anschuldigungen, die seine Frau gegen Josef vorbrachte, geglaubt, hätte der junge Hebräer sein Leben verloren. Aber seine Bescheidenheit und Rechtschaffenheit, die sein bisheriges Verhalten ausgezeichnet hatten, bewiesen seine Unschuld. Um aber die Ehre seines Hauses zu retten, lieferte ihn Potifar der Schande und Gefangenschaft aus.

Josefs Dienst Im Gefängnis

Anfangs behandelten die Gefängniswärter Josef sehr streng. Der Psalmist beschreibt es so: "Man zwängte seine Füße in eiserne Fesseln, ein eiserner Ring umschloss seinen Hals, bis sich dann seine Voraussage erfüllte und das Wort des Herrn seine Unschuld erwies." (Psalm 105,18.19 GNB) Josefs wahrer Charakter zeigte sich gerade auch im dunklen Kerker. Er verlor weder seinen Glauben noch seine Geduld. Die Jahre seines treuen Dienstes wurden ihm auf grausamste Art vergolten doch dies machte ihn weder mürrisch noch misstrauisch. Er hatte den Frieden, den ein reines Gewissen verleiht, und vertraute seinen Fall Gott an. Er dachte nicht weiter über das erlittene Unrecht nach, sondern vergaß seinen eigenen Kummer, indem er versuchte, das Leid der anderen zu lindern. Selbst im Gefängnis fand er eine Aufgabe. In dieser Schule des Elends bereitete ihn Gott auf größere Aufgaben vor, und Josef sträubte sich nicht gegen diese notwendige Erziehungsmaßnahme. Im Gefängnis sah er die Folgen von Unterdrückung und Gewaltherrschaft sowie die Auswirkungen von Verbrechen. Daraus lernte er, gerecht, mitfühlend und barmherzig zu sein. Das wiederum bereitete ihn darauf vor, später einmal Macht mit Weisheit und Mitgefühl auszuüben.

Allmählich gewann Josef das Vertrauen des Gefängnisaufsehers, der ihm schließlich sogar die Betreuung aller Insassen übergab. Die Art und Weise wie er im Gefängnis handelte - die Redlichkeit seines alltäglichen Lebens und sein Mitgefühl für jene, die von Kummer und Verzweiflung geplagt wurden - bereitete ihm den Weg zu seinem späteren Erfolg und Ansehen. Jeder Lichtschein, den wir auf andere werfen, fällt auf uns selbst zurück. Jedes freundliche und teilnahmsvolle Wort, das zu Traurigen gesprochen wird, jede Hilfeleistung, um das Los Unterdrückter zu erleichtern, und jede Gabe an Notleidende werden, wenn sie aus dem richtigen Beweggrund geschehen, Segnungen für den Geber zur Folge haben.

Josef Deutet Die Träume Von Königlichen Beamten

Auch der oberste Bäcker und der oberste Mundschenk des Königs waren wegen irgendwelcher Vergehen ins Gefängnis geworfen worden und kamen unter Josefs Aufsicht. Eines Morgens beobachtete er, dass sie sehr traurig aussahen. Als er sich freundlich nach dem Grund erkundigte, erfuhr er, dass sie seltsame Träume gehabt hatten und gern deren Bedeutung wüssten. "Nur Gott kann Träume deuten", entgegnete Josef. "Erzählt mir, was ihr geträumt habt." (1. Mose 40,8 NLB) Nachdem jeder seinen Traum kundgetan hatte, erklärte Josef: In drei Tagen wird der Mundschenk wieder in sein Amt eingesetzt und dem Pharao wie früher den Becher reichen. Aber der oberste Bäcker wird auf Befehl des Königs hingerichtet. In beiden Fällen trat ein, was Josef vorausgesagt hatte.

Der Mundschenk erklärte Josef seine tiefste Dankbarkeit, sowohl für die ermutigende Auslegung seines Traumes als auch für die zahlreichen freundlichen Aufmerksamkeiten. Als Gegenleistung bat Josef darum, der Mundschenk möge seinen Fall vor den König bringen. Dabei wies er mit ergreifenden Worten darauf hin, dass er selbst ungerechterweise in Gefangenschaft sei: "Denk an mich, wenn es dir wieder gut geht! Erzähle dem Pharao von mir und bitte ihn, mich hier herauszuholen. Denn ich wurde aus meiner Heimat, dem Land der Hebräer, entführt. Und jetzt sitze ich hier im Gefängnis, obwohl ich nichts Unrechtes getan habe." (1. Mose 40,14.15 NLB)

Der Obermundschenk erlebte die Erfüllung seines Traumes in allen Einzelheiten. Aber nachdem er die Gunst des Königs zurückgewonnen hatte, dachte er nicht mehr an seinen Wohltäter. Noch zwei Jahre blieb Josef im Gefängnis. Die Hoffnung, die in ihm geweckt worden war, erlosch allmählich. Zu allen bisherigen Prüfungen kam nun noch der bittere Stachel des Undanks hinzu.

Josefs Deutung Der Träume Des Pharao

Aber eine göttliche Hand stand im Begriff, ihm die Gefängnistore zu öffnen. Ägyptens König hatte eines Nachts zwei Träume, die offenbar auf dasselbe Ereignis hinwiesen und ein großes Unglück anzukündigen schienen. Weil er ihre Bedeutung nicht herausfinden konnte, versetzten sie ihn ständig in Unruhe. Die Zauberer und Weisen seines Reiches konnten ihm die Träume nicht erklären. Immer größere Ratlosigkeit und Verzweiflung trieben den König um, und im Palast breiteten sich Angst uns Schrecken aus. In der allgemeinen Aufregung fiel dem Mundschenk der Inhalt seines eigenen Traumes wieder ein, und er erinnerte sich an Josef. Nun kamen ihm Gewissensbisse wegen seiner Vergesslichkeit und Undankbarkeit. Sofort meldete er dem König, wie sein eigener Traum und der des Oberbäckers von einem hebräischen Gefangenen gedeutet worden waren und wie sich die Voraussagen genau erfüllt hatten.

Es war für den Pharao demütigend, sich von den Zauberern und Weisen seines Reiches abzuwenden und bei einem Fremden, noch dazu bei einem Sklaven, Rat zu holen. Aber er war bereit, die bescheidenste Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn er nur von seiner Unruhe befreit werden könnte. Sofort ließ er Josef holen. Der legte seine Sträflingskleidung ab und rasierte sich, weil sein Barthaar in der langen Zeit seiner Haft und Schmach lang geworden war. Dann führte man ihn vor das Angesicht des Königs.

"Letzte Nacht hatte ich einen Traum", erzählte ihm der Pharao, "und keiner kann mir sagen, was er bedeutet. Doch ich habe gehört, dass du Träume deuten kannst, deshalb habe ich dich rufen lassen."

Josef antwortete dem Pharao: "Es steht nicht in meiner Macht, das zu tun, Majestät ... nur Gott kann es. Aber er wird ... [dem Pharao] sicher etwas Gutes ankündigen." (1. Mose 41,15.16 NLB) Josefs Antwort offenbarte seine Demut und sein Gottvertrauen. Bescheiden wies er die Ehre zurück, selbst eine höhere Weisheit zu besitzen. "Es steht nicht in meiner Macht, das zu tun." Gott allein kann diese Geheimnisse enthüllen.

Dann fing der Pharao an, seine Träume zu erzählen: "Ich stand am Ufer des Nils", sagte er. "Plötzlich stiegen sieben fette, gesunde Kühe aus dem Fluss und begannen am Ufer zu weiden. Dann stiegen sieben weitere Kühe aus dem Fluss. Sie waren dünn und ausgemergelt - ich habe in ganz Ägypten noch nie so hässliche Tiere gesehen. Diese mageren Kühe fraßen die sieben fetten auf, die zuerst aus dem Wasser gestiegen waren. Aber danach waren sie trotzdem noch genauso hässlich und mager wie zuvor! Dann erwachte ich. Ich schlief wieder ein und hatte einen zweiten Traum. An einem Halm wuchsen sieben schöne, pralle Ähren. Nach ihnen wuchsen sieben verkümmerte, vom Ostwind vertrocknete Ähren aus dem Halm. Und die vertrockneten Ähren verschlangen die schönen! Ich habe die Träume meinen Wahrsagern erzählt, aber keiner von ihnen konnte mir sagen, was sie bedeuten." (1. Mose 41,17-24 NLB)

Josef erwiderte: "Beide Träume des Pharao bedeuten das Gleiche. Gott verkündet dem Pharao, was er vorhat." (1. Mose 41,25) Zuerst werden sieben Jahre voller Überfluss kommen. Felder und Gärten werden weit mehr tragen als je zuvor. Auf diese Zeit wird aber eine siebenjährige Hungersnot folgen. "Dann wird man nichts mehr vom Überfluss im Land merken wegen des Hungers, der danach kommt; denn er wird sehr drückend sein." (1. Mose 41,31 EÜ) Die Wiederholung des Traumes wies sowohl auf die Gewissheit als auch auf die Nähe seiner Erfüllung hin. Deshalb riet Josef: "Nun sehe sich der Pharao nach einem klugen, weisen Mann um und setze ihn über Ägypten. Der Pharao möge handeln: Er bestelle Bevollmächtigte über das Land und besteuere Ägypten mit einem Fünftel in den sieben Jahren des Überflusses. Die Bevollmächtigten sollen alles Brotgetreide der kommenden guten Jahre sammeln und auf Weisung des Pharao Korn speichern; das Brotgetreide sollen sie in den Städten sicherstellen. Das Brotgetreide soll dem Land als Rücklage dienen für die sieben Jahre der Hungersnot, die über Ägypten kommen werden. Dann wird das Land nicht an Hunger zugrunde gehen." (1. Mose 41,33-36 EÜ)

Diese Auslegung war vernünftig und logisch, und die Maßnahmen, die Josef vorschlug, schienen so einleuchtend und klug, dass es an ihrer Richtigkeit nichts zu deuteln gab. Aber wer sollte mit der Durchführung dieses Planes beauftragt werden? Von einer klugen Wahl hing die Erhaltung des ganzen Volks ab. Der König machte sich Sorgen. Eine Zeitlang wurde beraten, wer dafür geeignet wäre. Durch den Mundschenk hatte der Monarch von der Weisheit und Umsicht erfahren, die Josef in der Verwaltung des Gefängnisses an den Tag gelegt hatte. Ganz offensichtlich verfügte dieser Mann über außergewöhnliche Fähigkeiten. Der Mundschenk, der voller Selbstvorwürfe war, wollte seine frühere Undankbarkeit wieder gutmachen, indem er seinen Wohltäter aufs Wärmste empfahl. Weitere Nachforschungen des Königs bestätigten die Richtigkeit seines Berichts. Josef war der einzige Mensch im ganzen Königreich, der die Weisheit besaß, auf die drohende Gefahr hinzuweisen, und der wusste, welche Vorbereitungen zu treffen waren, um ihr zu begegnen. Der König war letztlich davon überzeugt, dass Josef am besten dafür geeignet war, die Pläne, die er ja selbst vorgeschlagen hatte, auch umzusetzen. Offensichtlich stand er unter dem Einfluss einer göttlichen Kraft, und keiner der königlichen Beamten besaß die Fähigkeiten, die Staatsgeschäfte während dieser Krise zu führen. Dass Josef ein Hebräer und Sklave war, fiel angesichts seiner Weisheit und seines gesunden Urteilsvermögens wenig ins Gewicht. "Wie könnten wir einen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist wie in diesem?", sagte der König zu seinen Ratgebern (1. Mose 41,38).

Josefs Einsetzung Ins Höchste Staatsamt

Es wurde entschieden, Josef zu ernennen. Der Pharao machte die erstaunliche Ankündigung: "Nachdem dich Gott dies alles hat erkennen lassen, ist keiner so verständig und weise wie du. Du sollst über mein Haus sein, und deinem Mund soll mein ganzes Volk sich fügen; nur um den Thron will ich größer sein als du." (1. Mose 41,39.40 Elb.) Dann bekleidete er ihn mit den Insignien des hohen Amtes: "Der Pharao nahm seinen Siegelring von seiner Hand und steckte ihn an Josefs Hand, und er kleidete ihn in Kleider aus Byssus und legte die goldene Kette um seinen Hals. Und er ließ ihn auf dem zweiten Wagen fahren, den er hatte, und man rief vor ihm her: Werft euch nieder!" (1. Mose 41,42.43 Elb.)

"Er setzte ihn zum Herrn über sein Haus, zum Herrscher über alle seine Güter, dass er seine Fürsten unterwiese nach seinem Willen und seine Ältesten Weisheit lehrte." (Psalm 105,21.22) Aus dem Gefängnis wurde Josef zum Herrscher über ganz Ägypten eingesetzt. Das war eine höchst ehrenvolle Stellung, aber mit Schwierigkeiten und Verantwortung verbunden. Man steht nicht ohne Gefahr in stolzer Höhe. Ein Sturm kann zwar der bescheidenen Blume im Tal nichts anhaben, entwurzelt aber den stattlichen Baum auf dem Berg. Wer sich in einem bescheidenen Dasein seine Redlichkeit bewahrt hat, kann doch durch die Versuchungen, die Erfolg und Ansehen mit sich bringen, leicht in den Abgrund stürzen. Aber Josefs Charakter bestand die Prüfung im Wohlergehen wie vorher im Unglück. Er blieb Gott im Palast Pharaos genauso treu, wie er es in der Gefängniszelle gewesen war. Er war noch immer ein Fremdling in einem heidnischen Land, getrennt von seinen Angehörigen, die den Herrn verehrten. Aber er glaubte fest, dass Gottes Hand seine Schritte gelenkt hatte. Im ständigen Vertrauen auf ihn verrichtete er treu seine Amtspflichten. Durch Josef wurden der König und die führenden Männer Ägyptens auf den wahren Gott hingewiesen. Auch wenn sie an ihrem Götzendienst festhielten, lernten sie doch die Grundsätze zu achten, die sich im Wesen und Verhalten des Anbeters Jahwes offenbarten.

Das Geheimnis Der Charakterstärke Josefs

Wie wurde Josef befähigt, eine solche Charakterfestigkeit, Aufrichtigkeit und Weisheit zu erwerben? Schon in jungen Jahren hatte er sich daran gewöhnt, mehr der Pflicht als seiner Neigung zu folgen. Die Rechtschaffenheit, das schlichte Vertrauen und der edle Charakter des Jugendlichen trugen im Erwachsenenalter Früchte. Eine einfache Lebensweise hatte die gesunde Entwicklung der körperlichen und geistigen Kräfte begünstigt. Die Gemeinschaft mit Gott durch dessen Werke und das Nachdenken über die großen Wahrheiten, die den Erben des Glaubens anvertraut waren, hatten seine geistliche Haltung entfaltet und veredelt sowie seinen Verstand geweitet und gestärkt, wie das kein anderes Studium hätte leisten können. Gewissenhafte Pflichterfüllung in jeder Lebenslage - in den kleinsten wie in den größten Dingen - hatte bei ihm jede Fähigkeit zum größtmöglichen Nutzen entwickelt. Wer in Übereinstimmung mit dem Willen des Schöpfers lebt, bewirkt an sich selbst die beste und edelste Bildung des Charakters. "Ehrfurcht vor dem Herrn zu haben ist Weisheit und dem Bösen aus dem Wege zu gehen ist Erkenntnis." (Hiob 28,28 NLB)

Nur wenige machen sich klar, welch einen Einfluss kleine Dinge im Leben auf die Charakterentwicklung ausüben. Nichts, womit wir zu tun haben, ist wirklich unbedeutend. Die verschiedenen Umstände, denen wir Tag für Tag begegnen, sollen unsere Treue prüfen und uns zu größeren Aufgaben befähigen. Durch Grundsatztreue im Alltagsleben gewöhnt sich unser Verstand daran, die Pflicht über Neigung und Vergnügen zu stellen. Jemand, der so erzogen ist, schwankt nicht wie ein Schilfrohr im Wind zwischen Recht und Unrecht. Er erfüllt zuverlässig seine Pflichten, weil ihm Treue und Wahrheitsliebe zu guten Gewohnheiten geworden sind. Durch Treue in den kleinen Dingen erhält man die Stärke, auch größere Aufgaben treu zu erfüllen.

Ein aufrichtiger Charakter ist wertvoller als das "Gold aus Ofir" (1 Kön 10,11a; vgl. 9,28). Ohne ihn kann es niemand zu ehrenhaftem Ansehen bringen. Aber ein Charakter ist weder erblich, noch kann man ihn käuflich erwerben. Sittliche Stärke und hohe geistige Fähigkeiten sind keine Ergebnisse des Zufalls. Die kostbarsten Gaben sind wertlos, wenn sie nicht verbessert werden. Die Herausbildung eines edlen Charakters ist das Werk einer ganzen Lebenszeit und das Ergebnis von eifrigen und beharrlichen Bemühungen. Gott schenkt uns dazu die Gelegenheiten, aber der Erfolg hängt davon ab, wie wir sie nutzen.