Wie Alles Begann

Kapitel 37

Der Geschlagene Fels

[AUDIO]

4. Mose 20,1-13.

Aus dem geschlagenen Felsen am Berg Sinai ergoss sich zum ersten Mal der Lebensstrom, der die Israeliten in der Wüste erfrischte (vgl. 2. Mose 17,5.6). Wo immer sie es auf ihrer Wanderung benötigten, erhielten die Israeliten Wasser durch ein gnädiges Wunder Gottes. Das Wasser floss aber nicht für immer aus dem Sinai. Wo sie auch gerade waren - in der Nähe ihres Lagers sprudelte es aus Felsspalten hervor.

Durch die Kraft seines Wortes ließ Christus den erfrischenden Bach für Israel strömen: "Und tranken denselben geistlichen Trank. Sie tranken ja aus dem geistlichen Felsen, der mit ihnen ging, und dieser Felsen war Christus." (1. Korinther 10,4 GNB) Er war die Quelle aller zeitlichen und geistlichen Segnungen. Christus, der wahre Fels, war auf all ihren Wegen bei ihnen. "Sie litten keinen Durst, als er sie in der Wüste leitete. Er ließ ihnen Wasser aus dem Felsen fließen, er spaltete den Fels, dass Wasser herausrann." (Jesaja 48,21) "Bäche liefen in der dürren Wüste." (Psalm 105,41)

Der geschlagene Fels war ein Sinnbild für Christus, durch das uns die wertvollsten geistlichen Wahrheiten vermittelt werden. Wie das Leben spendende Wasser aus dem geschlagenen Felsen floss, so kommt von Christus, der "von Gott geschlagen" war und "um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen" wurde (Jesaja 53,4.5), der Strom des Heils für eine verlorene Menschheit. Wie der Felsen nur einmal geschlagen wurde, "so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen" (Hebräer 9,28). Unser Erlöser musste kein zweites Mal geopfert werden. Wer Rettung und seinen Segen sucht, braucht nur in seinem Namen darum zu bitten. Sein tiefes Verlangen darf er ihm reumütig vorlegen. Durch solch ein Gebet verweist der Sünder beim himmlischen Herrscher auf die Wunden des Gekreuzigten. Dann wird das Leben spendende Blut frisch seine Wirkung entfalten, wie es durch die Wasserbäche, die für Israel in der Wüste geflossen sind, bildhaft dargestellt wurde.

Noch nach der Einnahme Kanaans feierten die Israeliten das fließende Wasser in der Wüste mit großen Freudenkundgebungen. Zur Zeit, als Christus lebte, wurde diese Feier zu einer höchst eindrucksvollen Zeremonie. Sie fand während des Laubhüttenfestes statt, wozu sich die Bevölkerung aus dem ganzen Land in Jerusalem versammelte. An jedem der sieben Festtage zogen die Priester mit Musik und dem Chor der Leviten hinaus, um in einem goldenen Gefäß Wasser aus der Quelle Siloah zu schöpfen. Die Menge der Gläubigen folgte ihnen, und wer in die Nähe der Quelle gelangen konnte, trank daraus. Es ertönten Jubellieder: "Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen." (Jesaja 12,3) Dann trugen die Priester das Wasser zum Tempel - unter Trompetenschall und Jubelgesang: "Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem." (Psalm 122,2) Schließlich wurde das Wasser über dem Brandopferaltar ausgegossen, wozu Loblieder erklangen. Dabei stimmte die Menge als triumphierender Chor in das Spiel der Musikinstrumente und in den tief tönenden Trompetenschall ein.

Wasser Als Sinnbild Der Erlösung

Der Erlöser benutzte diese symbolische Feier, um die Gedanken des Volkes auf die Segnungen zu lenken, die er ihnen bringen wollte. "Am letzten Tag des Festes, welcher der höchste war", trat er auf und rief durch die Tem- pelvorhöfe: "Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen." Johannes gab dazu die Erklärung: "Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten." (Johannes 7,3739) Das frische Wasser, das aus einem trockenen und unfruchtbaren Boden hervorsprudelt, das wüste Land erblühen lässt und den Sterbenden Leben spendet, ist ein Symbol für die göttliche Gnade, die nur Christus schenken kann. Sie ist wie lebendiges Wasser. Sie reinigt, erfrischt und stärkt den inneren Menschen. Wer mit Christus verbunden ist, besitzt eine nie versiegende Quelle der Gnade und Kraft. Jesus macht das Leben froh und erleuchtet den Weg aller, die ihn wirklich suchen. Die Liebe, die sie von ihm erhalten, äußert sich in guten Werken und führt zum ewigen Leben. Sie wird aber nicht nur den Menschen, die diese Liebe verströmen, zum Segen. Der Strom lebendigen Wassers wird sich bei ihnen in gerechten Worten und Taten äußern, um alle um sie herum zu erfrischen, die danach verlangen.

Dasselbe Bild hatte Christus schon im Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen benutzt: "Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt." (Johannes 4,14) Christus vereint beide typologischen Symbole in sich: Er ist der Fels und das lebendige Wasser.

Dieselben schönen und ausdruckvollen Bilder finden sich in der ganzen Bibel. Jahrhunderte vor dem ersten Kommen des Messias wies Mose auf ihn hin als den "Fels des Heils" für Israel (vgl. 5. Mose 32,15). Der Psalmist sang: "Mein Erlöser" (Psalm 19,15), "der Fels meiner Stärke" (Psalm 62,8), "mein Fels und meine Burg" (Psalm 71,3). Er nannte ihn "einen hohen Felsen" (Psalm 61,3). In Davids Lied wird Gottes Gnade als "frisches Wasser" zwischen grünen Auen geschildert, auf die der himmlische Hirte seine Herde führt (vgl. Psalm 23,2). "Du tränkst sie mit Wonne", sagte er, "wie mit einem Strom. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens." (Psalm 36,9.10) Und der weise Salomo verkündete: "Die Quelle der Weisheit ist ein sprudelnder Bach." (Sprüche 18,4) Für Jeremia war Christus "die lebendige Quelle" (Jere- mia 2,13), und Sacharja nannte ihn "einen offenen Quell ... gegen Sünde und Befleckung" (Sacharja 13,1).

Jesaja bezeichnete ihn als einen "Fels der Ewigkeiten" (Jesaja 26,4 Elb.) und als "Schatten eines großen Felsens im trockenen Land" (Jesaja 32,2). Er schrieb Gottes wunderbare Zusagen nieder, die anschaulich an das frische Wasser erinnerten, das für Israel geflossen war: "Die Elenden und Armen suchen Wasser, und es ist nichts da, ihre Zunge verdorrt vor Durst. Aber ich, der Herr, will sie erhören; ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen." (Jesaja 41,17) "Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre." (Jesaja 44,3) "Es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Land." (Jesaja 35,6) Die Einladung lautet: "Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!" (Jesaja 55,1) Auf den letzten Seiten der Heiligen Schrift wird diese Einladung wiederholt. Der "Strom [des] lebendigen Wassers, klar wie Kristall", geht aus von "dem Thron Gottes und des Lammes", und ihr gnadenvoller Aufruf erschallt durch die Jahrhunderte: "Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst." (Offenbarung 22,1.17)

Eine Glaubensprüfung

Unmittelbar bevor die Israeliten Kadesch erreichten, versiegte der erfrischende Wasserstrom, der sich so viele Jahre neben ihrem Lager ergossen hatte. Der Herr wollte sein Volk prüfen, ob es seiner Fürsorge vertraute oder dem Unglauben seiner Väter folgte.

Kanaans Berge waren bereits in Sicht. Nach wenigen Tagesmärschen würden sie an der Grenze des versprochenen Landes stehen. Es war nicht mehr weit bis Edom, dessen Bewohner die Nachkommen Esaus waren. Durch ihr Land führte der vorgezeichnete Weg nach Kanaan. Mose hatte den Auftrag erhalten: "Wendet euch nach Norden. Und gebiete dem Volk und sprich: Ihr werdet durch das Land eurer Brüder, der Söhne Esaus, ziehen, die auf dem Seir wohnen, und sie werden sich vor euch fürchten. ... Speise sollt ihr für Geld von ihnen kaufen, damit ihr zu essen habt, und Wasser sollt ihr für Geld von ihnen kaufen, damit ihr zu trinken habt." (5. Mose 2,3.4.6) Diese Anweisungen erklärten ausreichend, warum ihre Versorgung mit Wasser aufgehört hatte. Sie waren im Begriff, durch ein reich bewässertes, fruchtbares Land zu ziehen, geradewegs auf Kanaan zu. Gott hatte ihnen eine ungehinderte Reise durch Edom mit der Möglichkeit zugesagt, Nahrung und genügend Wasser für das Volk zu kaufen. Deshalb hätte das Versiegen des wunderbaren Wasserstromes eigentlich ein Anlass zur Freude sein sollen, denn es war ein Zeichen dafür, dass die Wüstenwanderung zu Ende ging. Wären sie nicht durch ihren Unglauben wie mit Blindheit geschlagen gewesen, hätten sie das auch verstanden. Aber das, was eine Bestätigung dafür sein sollte, dass Gott sein Versprechen erfüllt, nahmen sie zum Anlass, um zu zweifeln und zu murren. Das Volk schien alle Hoffnung verloren zu haben, dass Gott sie jemals in den Besitz des Landes Kanaan bringen könnte. Es schrie lautstark nach den Wohltaten der Wüstenwanderung.

Bevor Gott den Israeliten erlaubte, Kanaan zu betreten, mussten sie zeigen, dass sie seinen Zusagen vertrauten. Das Wasser versiegte, bevor sie Edom erreichten. Nun hatten sie für kurze Zeit Gelegenheit, "im Glauben" voranzugehen "und nicht im Schauen" (2. Korinther 5,7). Aber schon die erste Prüfung entfesselte dieselbe rebellische, undankbare Einstellung, die ihren Vätern eigen war. Kaum hörte man im Lager den Ruf nach Wasser, vergaßen sie auch schon die Hand, die so viele Jahre lang ihre Bedürfnisse gestillt hatte. Statt Gott um Hilfe zu bitten, murrten sie gegen ihn und riefen in ihrer Verzweiflung: "Ach, dass wir umgekommen wären, als unsere Brüder umkamen vor dem Herrn!" (4. Mose 20,3) Das heißt, sie hätten lieber zu denen gehört, die bei Korachs Aufstand umgekommen waren.

Ihre Anklagen richteten sich gegen Mose und Aaron: "Warum habt ihr die Gemeinde des Herrn in diese Wüste gebracht, dass wir hier sterben mit unserem Vieh? Und warum habt ihr uns aus Ägypten geführt an diesen bösen Ort, wo man nicht säen kann, wo weder Feigen noch Weinstöcke noch Granatäpfel sind und auch kein Wasser zum Trinken ist?" (4. Mose 20,4.5)

Da gingen Mose und Aaron zur Tür des Heiligtums und warfen sich vor Gott nieder. Abermals erschien "die Herrlichkeit des Herrn", und Mose erhielt den Befehl: "Nimm den Stab und versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und redet zu dem Felsen vor ihren Augen; der wird sein Wasser geben. So sollst du ihnen Wasser aus dem Felsen hervorbringen ..." (4. Mose 20,6.8)

Das Schwerwiegende Vergehen Von Mose

Die beiden Brüder - nun bereits betagte Männer - traten vor das Volk. Mose hielt den Stab Gottes in der Hand. Lange hatten sie Israels Aufsässigkeit und Halsstarrigkeit ertragen. Nun aber war auch Moses Geduld zu Ende. "Hört doch, ihr Widerspenstigen!", rief er, "Werden wir für euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?" (4. Mose 20,10 Elb.) Und statt mit dem Felsen zu reden, wie Gott geboten hatte, schlug er ihn zweimal mit dem Stock.

Das Wasser sprudelte mehr als reichlich hervor und stillte den Durst der Menge. Aber ein großes Unrecht war geschehen. Mose hatte aus Verärgerung so geredet. Seine Worte waren ein Ausdruck menschlicher Leidenschaft statt heiliger Entrüstung darüber, dass Gott entehrt worden war. "Hört doch, ihr Widerspenstigen!", hatte er gerufen. Diese Beschuldigung traf zwar zu, aber nicht einmal die Wahrheit darf unbeherrscht oder ungeduldig ausgesprochen werden. Als Gott Mose geboten hatte, Israel seine Rebellion vorzuhalten, hatten ihn die Worte geschmerzt und waren nur schwer zu ertragen, doch Gott hatte ihm die Kraft gegeben, die Botschaft auszurichten. Als er aber den Israeliten von sich aus Vorwürfe machte, betrübte er damit den Geist Gottes und schadete dem Volk. Hierbei fehlte es Mose offensichtlich an Geduld und Selbstbeherrschung. So gab er den Israeliten Anlass, sich zu fragen, ob er wohl in der Vergangenheit immer unter Gottes Leitung gestanden habe. Sie konnten somit ihre eigenen Sünden entschuldigen, denn nun hatte sogar Mose wie sie Gott erzürnt. Seine Führung, meinten sie, habe schon von Anfang an Anlass zu Rüge und Tadel geboten. Jetzt hatten sie den Vorwand gefunden, um jeden Tadel zurückzuweisen, den Gott durch seinen Diener an sie gerichtet hatte.

Mose hatte in dieser Situation mangelndes Gottvertrauen bewiesen. "Werden wir für euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?", hatte er gefragt (4. Mose 20,10 Elb.), als ob der Herr nicht zu seinen Zusagen stünde. "Weil ihr nicht an mich geglaubt", erklärte der Herr den beiden Brüdern, "und mich den Israeliten nicht als heilig vor Augen gestellt habt, darum sollt ihr diese Versammlung nicht ins Land bringen." (4. Mose 20,12 ZÜ) Als das Wasser versiegte, hatten das Murren und die Rebellion des Volkes auch ihren eigenen Glauben an die Erfüllung des Versprechens Gottes ins Wanken gebracht. Die erste Generation hatte um ihres Unglaubens willen in der Wüste sterben müssen. Doch derselbe Geist zeigte sich in ihren Kindern. Würden auch sie die Erfüllung der Verheißung Gottes nicht erleben? Erschöpft und entmutigt hatten sich Mose und Aaron keine Mühe mehr gegeben, sich dem Strom der allgemeinen Meinung entgegenzustemmen. Hätten sie selbst standhaften Glauben an Gott bewiesen, hätten sie dem Volk diese Angelegenheit in einem solchen Licht darstellen können, dass es diese Glaubensprüfung bestehen konnte. Durch schnelle, entschiedene Ausübung der Amtsbefugnis, die ihnen als Anführern übertragen war, hätten sie das Murren unterdrücken können. Es war ihre Pflicht, jede mögliche Anstrengung zu unternehmen, um eine bessere Lage zu schaffen, bevor sie Gott um sein Eingreifen baten. Wie viel Unheil wäre doch verhütet worden, wenn sie dem Murren bei Kadesch sofort Einhalt geboten hätten!

Durch sein übereiltes Handeln nahm Mose der Lehre, die Gott seinem Volk erteilen wollte, die Kraft. Der Felsen - ein Symbol für Christus (vgl. 1. Korinther 10,4b) - war einmal geschlagen worden (vgl. 2. Mose 17,6), wie der Messias einmal geopfert werden sollte. Beim zweiten Mal hätte es ausgereicht, mit dem Felsen zu reden, so wie wir um Gottes Segnungen im Namen seines Sohnes nur zu bitten brauchen. Weil Mose aber den Felsen ein zweites Mal schlug, wurde die christusbezogene Bedeutung dieses wunderschönen Bildes zerstört.

Moses Tat -- Eine Anmassung

Aber noch mehr: Mose und Aaron hatten sich eine Macht angemaßt, die ausschließlich Gott zusteht. Die Notwendigkeit göttlichen Eingreifens machte diese Not zu einer feierlichen Angelegenheit, die die beiden Führer Israels hätten nutzen sollen, um dem Volk Ehrfurcht vor Gott einzuprägen und den Glauben an seine Macht und Güte zu stärken. Als sie aber ärgerlich ausriefen: "Werden wir für euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?", setzten sie sich an die Stelle Gottes. Sie taten so, als ob die Macht dazu bei ihnen läge, bei Männern mit menschlichen Schwächen und Leidenschaften. Vom ständigen Murren und Aufbegehren der Israeliten müde geworden, hatte Mose seinen allmächtigen Helfer aus den Augen verloren. Ohne die göttliche Stärke aber war er auf sich gestellt und beeinträchtigte seinen Lebensbericht durch einen Ausbruch menschlicher Schwäche. Der Mann, der am Ende seines Lebenswerkes lauter, treu und selbstlos hätte dastehen können, war zuletzt doch überwältigt worden. Gerade als Gott vor den Israeliten gepriesen und verherrlicht werden sollte, wurde er vor dem versammelten Volk entehrt.

Bei diesem Vorfall sprach Gott kein Urteil über die aus, die Mose und Aaron durch ihr böses Verhalten so verärgert hatten. Der ganze Vorwurf traf allein die beiden Führer. Die Vertreter Gottes selbst hatten ihm nicht die notwendige Ehre erwiesen. Mose und Aaron hatten sich verletzt gefühlt und die Tatsache aus dem Auge verloren, dass das Volk nicht gegen sie, sondern gegen Gott aufbegehrte. Indem sie nur auf sich selbst schauten und mit sich selbst Mitleid empfanden, fielen sie in Sünde, ohne es zu merken, und versäumten es, das Volk mit seiner großen Schuld vor Gott zu konfrontieren.

Von Kanaan Ausgeschlossen

Das Urteil, das Gott augenblicklich fällte, war bitter und zutiefst demütigend. "Der Herr aber sprach zu Mose und Aaron: Weil ihr nicht an mich geglaubt habt und mich nicht geheiligt habt vor den Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht ins Land bringen, das ich ihnen geben werde." (4. Mose 20,12) Sie mussten wie die rebellischen Israeliten sterben, bevor der Jordan überschritten wurde. Hätten Mose und Aaron viel von sich gehalten oder sich angesichts einer Warnung oder eines Tadels Gottes wütende Gefühle erlaubt, wäre ihre Schuld noch viel größer gewesen. Aber man konnte ihnen keine willentliche oder absichtliche Sünde zur Last legen. Sie waren von einer plötzlichen Versuchung überwältigt worden und hatten das auch gleich von Herzen bereut. Gott nahm ihre Reue an. Doch wegen des Schadens, den ihre Sünde unter dem Volk anrichtete, konnte er ihnen die Strafe nicht erlassen.

Mose verheimlichte das Urteil, das über ihn gefällt wurde, nicht, sondern erzählte den Israeliten, dass er sie nicht ins Land Kanaan führen dürfe, weil er es versäumt habe, Gott die Ehre zu geben. Er mahnte sie, nicht die schwere Strafe zu vergessen, die Gott über ihn verhängt hatte. Sie mögen auch bedenken, wie Gott ihr Murren bewerten muss, wenn er einem einzigen Mann die Gerichte zur Last legt, die sie durch ihre Sünden über sich gebracht hatten. Er berichtete ihnen, wie er Gott angefleht habe, ihm die Strafe zu erlassen, doch vergeblich. "Der Herr war erzürnt auf mich um euretwillen", sagte er, "und erhörte mich nicht." (5. Mose 3,26)

Bei jeder Schwierigkeit oder Prüfung hatten die Israeliten sogleich Mose vorgeworfen, sie aus Ägypten geführt zu haben, als ob Gott damit nichts zu tun gehabt hätte. Wenn sie sich auf der langen Wanderung über die Beschwernisse unterwegs beklagt und gegen ihre Anführer aufbegehrt hatten, hatte Mose ihnen immer wieder gesagt, dass sich ihr Aufbegehren gegen Gott richte und dieser, nicht er selbst, ihre Befreiung bewirkt habe. Aber seine voreiligen Worte vor dem Felsen "Werden wir euch wohl Wasser hervorbringen können?" (4. Mose 20,10) waren gleichsam das Eingeständnis, dass ihre Anschuldigungen zutrafen. Dies bestärkte sie in ihrem Unglauben und rechtfertigte ihr Murren. Diesen Eindruck wollte der Herr ein für alle Mal beseitigen, indem er Mose verbot, das Gelobte Land zu betreten. Dies war ein unmissverständlicher Beweis dafür, dass nicht Mose ihr Führer war, sondern der mächtige Engel, von dem der Herr gesagt hatte: "Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Weg und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe. Hüte dich vor ihm und gehorche seiner Stimme ... weil mein Name in ihm ist." (2. Mose 23,20.21)

"Der Herr war erzürnt auf mich um euretwillen" (5. Mose 3,26), erklärte Mose. Weil jeder in Israel auf ihn sah, warf seine Sünde einen Schatten auf Gott, der Mose zum Führer seines Volkes bestimmt hatte. Die Sünde war im ganzen Volk bekannt. Wenn Gott sie einfach hätte durchgehen lassen, wäre der Eindruck entstanden, dass bei den Verantwortlichen Unglaube und Ungeduld - in der Erregung geäußert - mit Nachsicht behandelt würden. Als aber bekannt wurde, dass Mose und Aaron wegen dieser einen Sünde nicht das Land Kanaan betreten dürfen, erkannte das Volk, dass es bei Gott "kein Ansehen der Person" gibt (Römer 2,11) und er den Übertreter ganz gewiss bestrafen wird.

Eine Lehre Für Die Zukunft

Die Geschichte Israels wurde für kommende Generationen als Lehre und Warnung aufgezeichnet. Die Menschen aller künftigen Zeiten sollten den Gott des Himmels als einen unparteiischen Herrscher ansehen, der in keinem Fall Sünde gutheißt. Aber nur wenige erkennen, wie überaus abscheulich Sünde tatsächlich ist. Sie bilden sich ein, dass Gott viel zu gut sei, um den Übertreter zu bestrafen. Im Licht der biblischen Geschichte wird allerdings deutlich, dass ihn gerade seine Güte und Liebe dazu veranlassen, die Sünde als ein Übel zu behandeln, das sich verhängnisvoll auf den Frieden und das Glück des Universums auswirkt.

Nicht einmal die Redlichkeit und Treue von Mose konnten die Vergeltung für sein Unrecht abwenden. Zwar hatte Gott dem Volk größere Übertretungen vergeben, aber er konnte die Sünde der Führer nicht genauso behandeln wie die der Geführten. Er hatte Mose mit größerer Ehre bedacht als irgendeinen anderen Menschen auf Erden. Er hatte ihm seine Herrlichkeit offenbart und durch ihn seine Rechtsordnungen an Israel vermittelt. Aber gerade deshalb, weil Mose so großes Licht und große Erkenntnis besaß, wog seine Sünde umso schwerer. Treue in der Vergangenheit kann keine einzige unrechte Tat sühnen. Je größer die Erkenntnis und die Vorzüge sind, die einem Menschen zuteilwerden, desto größer ist seine Verantwortung, umso schwerer wiegen seine Übertretungen und desto größer ist seine Strafe.

In den Augen seiner Mitmenschen hatte sich Mose keines großen Vergehens schuldig gemacht. Seine Sünde war ein gewöhnlicher Vorfall. Ein Psalmist sagte, "dass ihm unbedachte Worte entfuhren" (Psalm 106,33). Menschlichem Urteilsvermögen mag das geringfügig erscheinen. Aber wenn Gott wegen dieser Sünde mit seinem treusten, hoch geachteten Diener so streng verfuhr, wird er sie auch bei anderen nicht entschuldigen. Der Geist der Selbsterhöhung und die Neigung, andere Gläubige zu kritisieren, missfallen dem Herrn. Wer sich diesen Übeln hingibt, wirft Zweifel auf das Wirken Gottes und liefert misstrauischen Menschen einen Vorwand für ihren Unglauben. Je bedeutender die Stellung ist und je weiter der Einfluss reicht, desto nötiger ist es, sich in Geduld und Demut zu üben.

Satan frohlockt, wenn er Kinder Gottes - insbesondere jene in verantwortlichen Ämtern - dazu verleiten kann, sich selbst die Ehre, die Gott gebührt, anzurechnen. Dann hat er einen Sieg errungen. Genau das hatte auch ihn zu Fall gebracht. Auf diese Weise ist er sehr erfolgreich, andere ins Verderben zu führen. Damit wir gegen seine Täuschungen gewappnet sind, hat Gott uns in seinem Wort viele Lehren vermittelt, die vor der Gefahr der Selbsterhöhung warnen. Es gibt keine Regung unserer menschlichen Natur, keine Fähigkeit unseres Verstandes, keine Neigung unseres Herzens, die nicht in jedem Augenblick unter der Leitung des Heiligen Geistes stehen sollte.

Es gibt keinen Segen, den Gott schenkt, und keine Prüfung, die er zulässt, die Satan nicht benutzen kann und wird, um uns zu versuchen, zu belästigen und zugrunde zu richten, sobald wir ihm den geringsten Vorteil bieten. Deshalb sollten wir - wie groß unsere geistliche Erkenntnis auch sein mag und wie sehr wir Gottes Gunst und Segen genießen dürfen - stets in Demut vor Gott unser Leben führen und ihn im Glauben darum bitten, jeden Gedanken zu lenken und jede Neigung zu steuern.

Wer sich zur Frömmigkeit bekennt, steht unter der heiligen Verpflichtung, auf seine Gedanken zu achten und selbst bei der größten Herausforderung Selbstbeherrschung zu üben. Die Lasten, die Mose zu tragen hatte, waren sehr schwer. Nur wenige werden so hart auf die Probe gestellt wie er - doch das konnte seine Sünde nicht entschuldigen. Gott hat für die Gläubigen umfassende und mehr als ausreichende Vorkehrungen getroffen. Wenn sie sich auf seine Stärke verlassen, werden sie niemals zum Spielball äußerer Umstände. Selbst die größte Versuchung kann eine Sünde nicht entschuldigen. Wie groß der Druck auch sein mag, der auf uns ausgeübt wird - die Übertretung ist immer unsere eigene Tat. Keine Macht der Erde noch der Hölle kann jemanden zwingen, Böses zu tun. Satan greift uns zwar an unseren Schwachstellen an, aber wir brauchen uns nicht überwinden zu lassen. Wie schwer oder unerwartet der Angriff auch sein mag - Gott hat uns seine Hilfe zur Verfügung gestellt, und in seiner Stärke können wir überwinden (vgl. 1. Korinther 10,13; Epheser 1,19).