Wie Alles Begann

Kapitel 44

Die Überquerung Des Jordan

[AUDIO]

Josua 1,1 bis 5,12.

Die Israeliten waren sehr traurig, weil ihr Anführer verstorben war. 30 Tage lang fanden besondere Feierlichkeiten statt, um seiner gebührend zu gedenken (vgl. 5. Mose 34,8). Bis zu seinem Ableben hatten sie den Wert seiner weisen Ratschläge, seiner väterlichen Güte und seines unerschütterlichen Glaubens nie richtig begriffen. Nun erinnerten sie sich mit neuer und tieferer Wertschätzung an die Belehrungen, die sie zu seinen Lebzeiten von ihm erhalten hatten.

Mose war tot, aber sein Einfluss starb nicht mit ihm. Er dauerte an und beeinflusste die Herzen seines Volkes. Die Erinnerung an dieses heilige, selbstlose Leben wurde lange hoch geschätzt und formte mit stiller, überzeugender Kraft sogar das Leben jener, die früher seine Worte vernachlässigt hatten. Wie der Glanz der sinkenden Sonne noch lange Zeit die Bergspitzen vergoldet, nachdem sie schon hinter den Hügeln verschwunden ist, wirft auch das Wirken von reinen, heiligen und guten Menschen Licht auf die Welt, lange nachdem sie selbst hingeschieden sind. Ihre Werke, ihre Worte und ihr Beispiel bleiben immer lebendig. "Der Gerechte wird nimmermehr vergessen." (Psalm 112,6)

Obwohl die Israeliten über ihren großen Verlust trauerten, wussten sie doch, dass sie nicht verlassen waren. Über der Stiftshütte stand am Tag die Wolken- und in der Nacht die Feuersäule. Das gab ihnen die Gewissheit, dass Gott auch in Zukunft ihr Führer und Helfer bleiben würde, wenn sie seine Gebote befolgten.

Josua Als Neuer Führer

Nun war Josua der anerkannte Führer Israels. Er hatte sich vor allem als Krieger ausgezeichnet. Seine Gaben und Tugenden waren gerade in dieser Zeit der Geschichte seines Volkes besonders wertvoll. Mutig, entschlossen und beharrlich, schnell handelnd, unbestechlich, bei seinem Einsatz für die ihm Anvertrauten keine Rücksicht auf persönliche Interessen nehmend und vor allem von einem lebendigen Glauben an Gott beseelt - das waren die Charakterzüge des Mannes, den Gott dazu berufen hatte, Israels Heere bei ihrem Einzug in das Gelobte Land zu befehligen. Während der Wanderung in der Wildnis hatte Josua Mose als eine Art Premierminister gedient. Durch seine ruhige, ehrliche Treue, seine Standhaftigkeit, wenn andere wankten, und seine Entschlossenheit, die Wahrheit auch inmitten von Gefahren hochzuhalten, hatte er - selbst bevor ihn Gott in diese Stellung berief - bewiesen, dass er der geeignete Mann war, um Moses Nachfolger zu werden.

Mit großer Sorge und mangelndem Selbstvertrauen blickte Josua auf die vor ihm liegende Aufgabe, aber seine Befürchtungen schwanden, als ihm Gott versicherte: "Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein ... denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe ... Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe." (Josua 1,5.6.3) Bis zu den Höhen des Libanon weit im Norden, bis zu den Küsten des Mittelmeeres und bis an das Ufer des Euphrat im Osten sollte alles ihnen gehören.

Zu diesem Versprechen kam die Ermahnung hinzu: "Sei mutig und entschlossen! Bemühe dich darum, das ganze Gesetz zu befolgen, das dir mein Diener Mose gegeben hat. Weiche nicht davon ab! ... Sag dir die Gebote immer wieder auf! Denke Tag und Nacht über sie nach, damit du dein Leben ganz nach ihnen ausrichtest. Dann wird dir alles gelingen, was du dir vornimmst." (Josua 1,7.8 Hfa)

Die Israeliten lagerten noch am Ostufer des Jordan, der als erstes Hindernis die Einnahme Kanaans erschwerte. "Mach dich nun auf", war Gottes erste Botschaft an Josua, "und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe." (Josua 1,2) Gott gab keine Anweisungen, wie die Überquerung vor sich gehen sollte. Aber Josua wusste, dass Gott für alles, was er seinem Volk befahl, auch einen Weg bahnen würde. In diesem Vertrauen traf der furchtlose Heerführer sogleich Vorkehrungen für den Weitermarsch.

Kundschafter In Jericho

Wenige Kilometer jenseits des Flusses, ihrem Lagerplatz genau gegenüber, lag Jericho. Diese große, stark befestigte Stadt war in der Tat der Schlüssel zum ganzen Land, stellte aber für Israels Erfolg ein gewaltiges Hindernis dar. Deshalb schickte Josua zwei junge Männer als Kundschafter in die Stadt. Sie sollten etwas über ihre Bevölkerung, ihre Verteidigungskraft und die Stärke ihrer Befestigungen in Erfahrung bringen. Die Bewohner waren aufgeschreckt und argwöhnisch und daher ständig auf der Hut, was den Auftrag der Boten sehr gefährlich machte. Doch Rahab, eine Einwohnerin Jerichos, rettete sie unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Als Dank für diese Freundlichkeit versprachen ihr die beiden Schutz, falls die Stadt erobert werden sollte.

Wohlbehalten kehrten die Kundschafter mit der Nachricht zurück: "Der Herr hat uns das ganze Land in unsere Hände gegeben, und es sind auch alle Bewohner des Landes vor uns feige geworden." (Josua 2,24) Man hatte ihnen in Jericho gesagt: "Wir haben gehört, wie der Herr das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordan getan habt, wie ihr an ihnen den Bann vollstreckt habt. Und seitdem wir das gehört haben, ist unser Herz verzagt, und es wagt keiner mehr vor euch zu atmen; denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden." (Josua 2,10.11)

Nun erließ Josua den Befehl, sich für den Abmarsch vorzubereiten. Das Volk sollte sich für drei Tage mit Nahrung versorgen und das Heer sich kampfbereit machen. Alle billigten seine Pläne von ganzem Herzen und sicherten ihm ihr Vertrauen und ihre Unterstützung zu: "Wir wollen alles tun, was du uns gesagt hast, und hingehen, wohin du uns schickst. Wir wollen dir gehorchen, wie wir Mose gehorcht haben. Möge der Herr, dein Gott, mit dir sein, wie er mit Mose war." (Josua 1,16.17 NLB)

Der Durchzug Durch Den Jordan

Die große Schar verließ das Lager im Akazienhain von Schittim und stieg zum Jordanufer hinunter. Aber alle wussten, dass es ohne Gottes Hilfe hoffnungslos war, den Fluss zu überqueren. In dieser Jahreszeit - es war Frühling - hatte die Schneeschmelze im Gebirge den Jordan so anschwellen lassen, dass er über die Ufer getreten war. Deshalb konnten sie nicht an den üblichen Furten übersetzen. Es war Gottes Wille, dass die Überquerung des Flusses auf wunderbare Weise geschah. Auf seine Anweisung hin gebot Josua dem Volk, sich zu heiligen: Sie mussten ihre Sünden ablegen und sich auch äußerlich reinigen, denn "morgen wird der Herr Wunder unter euch tun", sagte er (Josua 3,5). Die Bundeslade - das Zeichen der Gegenwart Gottes - sollte der Menge vorangehen. Sobald sie sahen, dass sie von den Priestern aus der Mitte des Lagers zum Fluss getragen wurde, sollten die Israeliten aufbrechen und hinter ihr herziehen. Josua sagte ihnen die Umstände des Durchzuges genau voraus und erklärte: "Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter ... Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan." (Josua 3,10.11)

Zur festgesetzten Zeit begann der Vormarsch. Die Bundeslade, getragen auf den Schultern der Priester, zog voran. Das Volk hatte die Anweisung erhalten, etwas zu warten, sodass der Abstand zwischen Lade und Volk fast einen Kilometer betrug. Alle beobachteten gespannt, wie die Priester zum Jordanufer hinunterstiegen. Diese gingen mit der heiligen Lade ruhig auf den wilden, stark angeschwollenen Strom zu. Als die Träger jedoch ihre Füße ins Wasser setzten, wurde die Flut oberhalb dieses Ortes plötzlich zurückgehalten, während unterhalb der Stelle das Wasser abfloss. Das Flussbett lag nun offen da.

Auf Gottes Befehl schritten die Priester bis zur Mitte der Stromrinne und hielten dort an, während die ganze Schar herunterkam und zum anderen Ufer hinüberging. Auf diese Weise wurde allen Israeliten die Tatsache bewusst gemacht, dass die Macht, die für sie das Jordanwasser zum Stehen brachte, dieselbe war, die ihren Vätern 40 Jahre zuvor den Weg durch das Rote Meer gebahnt hatte. Erst als alle drüben angekommen waren, wurde auch die Lade auf das Westufer getragen. Kaum hatte sie einen sicheren Platz erreicht und kaum hatten "die Füße der Priester das Trockene berührt" (Josua 4,18 ZÜ), brausten auch schon die aufgestauten Wassermassen heran. Wieder freigesetzt, rauschten sie in unwiderstehlicher Kraft im natürlichen Flussbett dahin.

Ein Denkmal Des Durchzuges

Kommende Generationen sollten ein Zeugnis für dieses große Wunder erhalten. Während die Priester mit der Bundeslade noch mitten im Jordan standen, nahmen zwölf Männer - aus jedem Stamm einer, die vorher dazu bestimmt waren - jeder einen Stein aus dem Flussbett, wo die Priester standen, und trugen sie auf die Westseite des Flusses. Aus diesen Steinen sollten die Israeliten im ersten Lagerplatz jenseits des Jordan ein Mahnmal errichten. Gott befahl ihnen, ihren Kindern und Enkeln immer wieder von der Errettung zu erzählen, die er für sie vollbracht hatte, damit, wie Josua es ausdrückte, "alle Völker auf Erden die Hand des Herrn erkennen, wie mächtig sie ist, und den Herrn, euren Gott, fürchten allezeit" (Josua 4,24).

Dieses Wunder war sowohl für die Hebräer als auch für ihre Feinde von großer Bedeutung. Dem Volk sicherte es Gottes andauernde Gegenwart und fortwährenden Schutz zu - ein Beweis, dass er durch Josua für sie wirken würde, wie er es einst durch Mose getan hatte. Solche Gewissheit brauchten sie gerade jetzt zur inneren Stärkung, wo sie sich anschickten, das Land zu erobern - eine gewaltige Aufgabe, die 40 Jahre zuvor den Glauben ihrer Väter ins Wanken gebracht hatte. Vor der Überquerung des Jordan hatte der Herr seinem Diener Josua erklärt: "Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein." (Josua 3,7) Das Ergebnis bestätigte die Verheißung. "An diesem Tag machte der Herr Josua in den Augen aller Israeliten zu einem bedeutenden Mann, und bis ans Ende seines Lebens achteten sie ihn, wie sie Mose geachtet hatten." (Josua 4,14 NLB)

Dieser Machtbeweis Gottes sollte auch die Angst der umliegenden Völkerschaften vor Israel steigern und dem Volk zu einem leichteren und vollständigen Triumph verhelfen. Als die Könige der Amoriter und Kanaaniter die Nachricht erreichte, Gott habe vor den Israeliten die Wasser des Jordan angehalten, packte sie panische Angst. Die Israeliten hatten bereits die fünf Könige von Midian geschlagen, den mächtigen Amoriter-König Sihon sowie Og von Baschan. Jetzt erfüllte der Durchzug durch den angeschwollenen und reißenden Jordan alle umliegenden Völker mit Angst und Schrecken. Die Kanaaniter, ganz Israel und auch Josua selbst hatten damit einen unmissverständlichen Beweis erhalten, dass der lebendige Gott - der König Himmels und der Erde - unter seinem Volk weilt und es nicht im Stich lassen oder aufgeben werde (vgl. 5. Mose 31,6.8).

Beschneidung Und Passa Wieder Eingesetzt

Unweit des Jordan schlugen sie ihr erstes Lager in Kanaan auf. Josua "beschnitt die Israeliten" dort. Als sie "in Gilgal das Lager aufgeschlagen hatten, hielten sie Passa" (Josua 5,3.10). Die Aussetzung der Beschneidung seit dem Aufruhr bei Kadesch hatte das Volk ständig daran erinnert, dass es seinen Bund mit Gott gebrochen hatte, denn sie war ja als dessen Zeichen eingesetzt worden. Und die Aufgabe des Passafestes - die Erinnerung an ihre Befreiung aus Ägypten - war ein Zeichen des Missfallens Gottes über ihr Verlangen, in das Land der Versklavung zurückzukehren. Aber nun waren die Jahre vorüber, in denen Gott sie verworfen hatte. Er erkannte erneut Israel als sein Volk an, und das Bundeszeichen wurde wieder eingesetzt. Die Beschneidung wurde an allen vollzogen, die in der Wüste geboren worden waren. Der Herr sagte zu Josua: "Heute habe ich die Schande Ägyptens von euch abgewälzt." (Josua 5,9) Als Hinweis darauf wurde der Lagerplatz Gilgal genannt, was "Wegrollen" oder "Abwälzen" bedeutet.

Heidnische Völker hatten Gott und sein Volk geschmäht, weil die Israeliten Kanaan nicht gleich - wie erwartet - nach dem Auszug aus Ägypten in Besitz genommen hatten. Ihre Feinde hatten triumphiert, weil die Israeliten so lange in der Wüste umhergezogen waren. Sie hatten voll Spott behauptet, der Gott Israels sei unfähig, sie in das versprochene Land zu bringen. Nun aber hatte der Herr seine Macht und Gnade in auffallender Weise offenbart, indem er seinem Volk den Weg durch den Jordan bahnte. Nun hatten seine Feinde keinen Grund mehr, es zu verhöhnen.

"Am 14. Tag des Monats am Abend" feierten sie in der Ebene von Jericho das Passa. Und sie "aßen vom Getreide des Landes am Tag nach dem Passa, nämlich ungesäuertes Brot und geröstete Körner. An eben diesem Tag hörte das Manna auf, weil sie jetzt vom Getreide des Landes aßen, sodass Israel vom nächsten Tag an kein Manna mehr hatte. Sie aßen schon von der Ernte des Landes Kanaan in diesem Jahr." (Josua 5,10-12) Die lange Zeit ihrer Wüstenwanderung war zu Ende. Israel hatte endlich den Boden des verheißenen Landes betreten.