Wie Alles Begann

Kapitel 45

Der Fall Jerichos

[AUDIO]

Josua 5,13 bis 7,26.

Die Israeliten waren zwar in Kanaan einmarschiert, hatten es aber noch nicht unterworfen. Nach menschlichem Ermessen würde es einen langen und schwierigen Kampf geben, um das Land in Besitz zu nehmen. Es war von einem starken Volk bewohnt, das bereit war, sich gegen den Einfall von außen zu wehren. Die Angst vor der Gefahr, die sie alle bedrohte, verband die verschiedenen Stämme untereinander. Ihre Pferde, ihre eisernen Streitwagen, ihre Kenntnis des Landes und ihre Kriegserfahrung verschafften ihnen große Vorteile. Außerdem war das Land durch Festungen geschützt - "große Städte, ummauert bis an den Himmel" (5. Mose 9,1). Nur in der Gewissheit einer Stärke, die nicht ihre eigene war, konnten die Israeliten im bevorstehenden Kampf auf Erfolg hoffen.

Eine der stärksten Festungen des Landes - die große und reiche Stadt Jericho - lag unmittelbar vor ihnen, nicht weit von ihrem Lager bei Gilgal entfernt. Sie befand sich am Rande einer fruchtbaren Ebene, mit einer breiten Vielfalt tropischer Erzeugnisse sowie mit Palästen und Tempeln, in denen Luxus und Laster zuhause waren. Hinter ihren starken Festungsmauern bot sie dem Gott Israels die Stirn. Jericho war eines der Hauptzentren des Götzendienstes, bei dem insbesondere die Mondgöttin Astarte24 verehrt wurde. Hier konzentrierte sich alles, was in der Religion der Kanaaniter am abscheulichsten und erniedrigendsten war. Die Israeliten, in deren frischer Erinnerung noch die schrecklichen Folgen ihrer Sünde bei Bet-Peor waren, konnten nur mit Abscheu und Entsetzen auf diese heidnische Stadt blicken.

Josua Erhalt Göttliche Befehle

Josua sah in der Unterwerfung Jerichos den ersten Schritt zur Eroberung Kanaans. Zunächst aber suchte er die Zusicherung göttlicher Leitung, und sie wurde ihm gewährt. Er zog sich zum Nachdenken und Beten aus dem Lager zurück und bat den Gott Israels, seinem Volk voranzugehen. Plötzlich sah er einen bewaffneten Krieger von hochragender Gestalt vor sich, der in gebieterischer Haltung "ein bloßes Schwert in seiner Hand" hielt (Josua 5,13). Auf Josuas Anruf "Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden?", antwortete er: "Ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen." (Josua 5,13.14) Der gleiche Befehl, wie ihn Mose am Berg Sinai empfangen hatte, nämlich "Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig" (Josua 5,15; vgl. 2. Mose 3,5), offenbarte ihm den wahren Charakter des geheimnisvollen Fremden. Christus, der Hochgepriesene, stand vor dem Anführer Israels. Voller Ehrfurcht warf sich Josua nieder und betete ihn an. Da hörte er die Zusicherung: "Ich habe Jericho samt seinem König und seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben." (Josua 6,2) Dann erhielt er Anweisungen für die Einnahme der Stadt.

Eine Siebentägige Prozession Um Die Stadt

Josua befolgte die göttlichen Befehle und bot das Heer Israels auf. Es sollte kein Angriff erfolgen. Sie sollten nur die Stadt umrunden und dabei die Bundeslade tragen und mit Posaunen aus Widderhörnern blasen. Den Zug anführen sollte ein Trupp auserlesener Kriegsleute, die nicht durch eigenes Können und Tapferkeit siegen sollten, sondern durch Gehorsam gegenüber den Anweisungen, die Gott gegeben hatte. Ihnen folgten sieben Priester mit Posaunen. Dann kam die Bundeslade, die von einem Glanz göttlicher Herrlichkeit umgeben war und von Priestern getragen wurde, deren Kleidung auf ihren heiligen Dienst hindeutete. Ihnen folgte Israels Heer, jeder Stamm unter seinem Banner. So sah die Prozession aus, die um die zum Untergang verurteilte Stadt zog. Kein Laut war zu hören außer den Schritten der mächtigen Schar und dem feierlichen Schmettern der Posaunen, das von den umliegenden Bergen widerhallte und durch die Straßen Jerichos erscholl. War der Umzug vollendet, kehrte das Heer schweigend zu seinen Zelten zurück. Die Lade wurde wieder an ihren Platz in der Stiftshütte gebracht.

Staunend und mit wachsender Unruhe beobachteten die Wächter der Stadt jede Bewegung und meldeten alles ihrer Obrigkeit. Sie begriffen den Sinn dieser Darstellung nicht. Aber als sie das gewaltige Heer jeden Tag einmal mit der heiligen Lade und den begleitenden Priestern um ihre Stadt ziehen sahen, erfüllte das geheimnisvolle Geschehen Priester und Bewohner mit Schrecken. Wieder überprüften sie ihre starken Verteidigungsanlagen und waren sicher, dass sie auch dem mächtigsten Angriff erfolgreich widerstehen könnten. Viele spöttelten beim Gedanken, ihnen könnten diese sonderbaren Bekundungen irgendwie schaden. Andere wurden durch diesen täglichen Zug um ihre Stadt ehrfurchtsvoll. Sie erinnerten sich daran, dass einst das Rote Meer vor diesem Volk zurückgewichen war und der Jordan sich erst kürzlich für eine Durchquerung geöffnet hatte. Sie fragten sich, welche weiteren Wunder Gott noch für Israel tun würde.

Sechs Tage lang zogen die Scharen Israels um die Stadt. Dann kam der siebente Tag, und Josua ließ das Heer des Herrn im frühen Morgengrauen antreten. Nun erhielt es den Befehl, siebenmal um Jericho zu marschieren und bei einem gewaltigen Posaunenton ein lautes Kriegsgeschrei anzustimmen, denn Gott hatte ihm die Stadt übergeben.

Feierlich umschritt das gewaltige Heer die dem Untergang geweihten Befestigungen. Alle schwiegen. Man hörte nur den gemessenen Schritt vieler Füße und einen gelegentlichen Posaunenstoß, der die Morgenstille unterbrach. Die wuchtigen Mauern aus soliden Steinen schienen jeder Belagerung durch Menschen standzuhalten. Aber die Wächter auf den Festungswällen sahen mit steigender Angst, wie dem ersten Rundgang ein zweiter folgte, dann ein dritter, ein vierter, ein fünfter und ein sechster. Was mochte der Sinn dieser geheimnisvollen Bewegungen sein? Was für ein gewaltiges Ereignis stand ihnen bevor?

Sie brauchten nicht lange zu warten. Als der siebte Rundgang beendet war, blieb die lange Prozession stehen. Die Posaunen, die eine Zeitlang geschwiegen hatten, schallten nun mit ohrenbetäubendem Lärm, der sogar die Erde erzittern ließ. Da wankten die festen Steinmauern mit ihren massiven Türmen und Zinnen, hoben sich aus ihren Fundamenten und stürzten mit lautem Krachen zur Erde. Die Einwohner Jerichos waren vor schrecklicher Angst wie gelähmt, und die Scharen Israels drangen in die Stadt ein und besetzten sie.

Nicht aus eigener Kraft hatten die Israeliten den Sieg errungen. Die Eroberung war ausschließlich dem Herrn zu verdanken. Deshalb sollte die Stadt als "Erstlingsfrucht"25 des Landes mit allem, was sie enthielt, dem Herrn als Opfer zukommen. Es musste den Israeliten eindrücklich nahegebracht werden, dass sie bei der Eroberung Kanaans nicht für sich selbst kämpften, sondern einfach als Gottes Werkzeuge seinen Willen ausführten. Sie sollten nicht nach Reichtümern oder Eigenruhm streben, sondern nach der Verherrlichung Jahwes, ihres Königs. Vor der Einnahme war der Befehl gegeben worden: "Diese Stadt und alles, was darin ist, soll dem Bann des Herrn verfallen sein ... hütet euch vor dem Gebannten und lasst euch nicht gelüsten, etwas von dem Gebannten zu nehmen und das Lager Israels in Bann und Unglück zu bringen." (Josua 6,17.18)

Die Vernichtung Der Stadt Und Ihrer Bewohner

Alle Bewohner der Stadt und alle lebenden Wesen darin, "Männer und Frauen, Kinder und Alte, Rinder, Schafe und Esel" (Josua 6,21 GNB), sollten mit dem Schwert getötet werden. Nur die gläubige Rahab mit ihren Angehörigen blieb gemäß dem Versprechen der Kundschafter verschont. Die Stadt selbst wurde niedergebrannt. Ihre Paläste und Tempel, die großartigen Wohnhäuser mit allen verschwenderisch ausgestatteten Einrichtungen, die schmucken Behänge und die kostbaren Gewänder wurden den Flammen übergeben. Was jedoch nicht durch das Feuer zu vernichten war, "alles Silber und Gold samt dem kupfernen und eisernen Gerät", wurde für den Dienst an der Stiftshütte bestimmt (Josua 6,19). Grund und Boden der Stadt wurden verflucht, und Jericho sollte nie wieder als Festung aufgebaut werden. Jedem, der es wagen sollte, die Mauern wiederherzustellen, die Gottes Macht niedergerissen hatte, drohte ein Strafgericht. In Gegenwart des gesamten Volkes gab Josua die feierliche Erklärung ab: "Wer versucht, die Stadt Jericho wieder aufzubauen, den trifft der Fluch des Herrn. Wenn er die Fundamente legt, kostet es ihn seinen erstgeborenen Sohn. Wenn er die Tore einsetzt, kostet es ihn seinen Jüngsten." (Josua 6,26 GNB)

Die vollständige Vernichtung der Einwohner Jerichos war nur der Vollzug eines früheren Befehls durch Mose bezüglich Kanaans Bevölkerung: "Ihr dürft sie nicht verschonen, sondern müsst den Bann an ihnen vollstrecken." (5. Mose 7,2b GNB). "Aus den Städten dieser Völker jedoch ... darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen." (5. Mose 20,16 EÜ) Für viele scheinen diese Gebote dem Geist der Liebe und Barmherzigkeit, zu dem an anderen Stellen der Bibel eindringlich gemahnt wird, zu widersprechen. In Wahrheit sind sie aber das Gebot unendlicher Weisheit und Güte. Gott stand im Begriff, Israel in Kanaan anzusiedeln und dort ein Volk und eine Herrschaft als Offenbarung seines Reiches auf Erden aufzubauen. Sie sollten nicht nur Erben der wahren Religion sein, sondern auch deren Grundsätze in der ganzen Welt verbreiten. Die Kanaaniter hatten sich einem höchst widerwärtigen und herabwürdigenden Heidentum ergeben. Es war notwendig, das Land von allem zu reinigen, was die Erfüllung der gnädigen Absichten Gottes mit Sicherheit verhindern würde.

Die Bewohner Kanaans hatten reichlich Gelegenheit zur Umkehr gehabt. 40 Jahre zuvor hatten der Durchzug durch das Rote Meer und die Strafgerichte an Ägypten die unanfechtbare Macht des Gottes Israels bezeugt. Und erst kürzlich hatte der Untergang der Könige von Midian, Gilead und Baschan gezeigt, dass Jahwe über allen Göttern stand. Die Heiligkeit seines Charakters und seine Abscheu vor Sittenlosigkeit waren in den Gerichten über Israel wegen dessen Teilnahme an den widerwärtigen Bräuchen des Baal-Peor deutlich genug bekundet worden. Die Einwohner Jerichos kannten diese Ereignisse. Viele teilten Rahabs Überzeugung - obwohl sie ihr nicht folgen wollten -, dass Jahwe, der Gott Israels, "Gott oben im Himmel und unten auf Erden" ist (Josua 2,11). Wie bei den Menschen vor der Sintflut führte auch das Leben der Kanaaniter nur dazu, dass sie den Himmel lästerten und die Erde schändeten. Sowohl Liebe als auch Gerechtigkeit verlangten die sofortige Hinrichtung dieser Rebellen gegen Gott und Feinde der Menschen.

Sieg Durch Glauben

Wie leicht brachten die himmlischen Heere die Mauern Jerichos zum Einsturz, die Befestigungen dieser stolzen Stadt, die noch 40 Jahre zuvor den ungläubigen Kundschaftern so viel Schrecken eingejagt hatten! Der Mächtige in Israel hatte gesagt: "Ich habe Jericho ... in deine Hand gegeben." (Josua 6,2) Gegen dieses Wort war menschliche Stärke machtlos.

"Durch den Glauben fielen die Mauern Jerichos." (Hebräer 11,30) Gott offenbarte sich nur Josua, nicht der ganzen Gemeinde. Aber sie musste sich entscheiden, ob sie Josuas Worten glauben oder sie bezweifeln, den Befehlen des Herrn gehorchen oder seine Machtbefugnis ablehnen wollte. Die Israeliten konnten das Heer der Engel nicht sehen, das sie unter der Führung des Sohnes Gottes begleitete. Sie hätten einwenden können: "Was sollen diese sinnlosen Märsche und wie lächerlich ist doch der Auftritt mit der täglichen Umrundung der Stadtmauern und dem Blasen der Widderhörner! Das alles kann doch keine Auswirkung auf diese gewaltigen Befestigungen haben!" Aber gerade der Plan Gottes, diese Zeremonie so viele Tage lang vor dem Sturz der Mauern fortzusetzen, gab den Israeliten Gelegenheit, im Glauben zu wachsen. Es sollte sich ihnen tief ins Bewusstsein einprägen, dass ihre Kraft nicht in der Weisheit oder Macht von Menschen lag, sondern allein im Gott ihres Heils (vgl. Jes 17,10). Auf diese Weise sollte es ihnen zur Gewohnheit werden, sich ganz auf ihren göttlichen Führer zu verlassen.

Gott wird Großes an denen tun, die ihm vertrauen. Der Grund, weshalb sein Volk, das ihn bekennt, keine größere Kraft besitzt, liegt darin, dass es so viel auf die eigene Klugheit baut und dem Herrn keine Gelegenheit gibt, seine Macht zu ihren Gunsten zu offenbaren. Er will seinen gläubigen Kindern in allen schwierigen Lagen helfen, wenn sie nur ihr volles Vertrauen auf ihn setzen und ihm treu gehorchen.

Eine Unerwartete Niederlage

Bald nach dem Fall Jerichos beschloss Josua, Ai anzugreifen, eine kleine Stadt in den Bergschluchten wenige Kilometer westlich des Jordantals. Dorthin entsandte Kundschafter brachten die Nachricht, sie habe nur wenige Einwohner, deshalb genüge zu ihrer Eroberung eine kleine Streitmacht.

Der große Sieg, den Gott für sie erlangt hatte, hatte die Israeliten selbstsicher gemacht. Er hatte ihnen Kanaan verheißen, also fühlten sie sich sicher und vergaßen darüber, dass allein Gottes Hilfe ihnen Erfolg schenken konnte. Selbst Josua machte sich an die Planung der Eroberung von Ai, ohne Gott um Rat zu fragen.

Die Israeliten hatten begonnen, sich ihrer Stärke zu rühmen und mit Geringschätzung auf die Feinde zu sehen. Sie rechneten mit einem leichten Sieg und hielten 3000 Männer für ausreichend, um die Stadt einzunehmen. Diese stürmten zum Angriff los, ohne sich der Hilfe Gottes versichert zu haben. Sie rückten fast bis an das Stadttor vor. Doch dort stießen sie auf den entschlossensten Widerstand. Wegen der großen Anzahl und der gründlichen Vorbereitung ihrer Feinde gerieten sie in Panik. Verstört flohen sie den steilen Abhang hinunter, ungestüm verfolgt von den Kanaanitern. "Sie hatten sie nämlich von dem Tor bis zu den Steinbrüchen gejagt und am Abhang erschlagen." (Josua 7,5)

Wenn der zahlenmäßige Verlust auch gering war - nur 36 Mann wurden getötet -, war die Niederlage für die ganze Gemeinde entmutigend. "Die Israeliten waren vor Angst wie gelähmt, und ihr Mut schmolz dahin." (Josua 7,5 NLB) Erstmals waren sie im offenen Kampf auf die Kanaaniter gestoßen. Wenn bereits die Verteidiger dieser kleinen Stadt sie in die Flucht schlugen, was würde dann das Ergebnis der größeren Kämpfe sein, die ihnen bevorstanden? Josua sah in ihrem Misserfolg den Ausdruck göttlichen Missfallens und war voller Kummer und Befürchtungen. Er "zerriss seine Kleider und fiel auf sein Angesicht zur Erde vor der Lade des Herrn bis zum Abend samt den Ältesten Israels, und sie warfen Staub auf ihr Haupt" (Josua 7,6).

"Ach, Herr Herr", rief er, "warum hast du dies Volk über den Jordan geführt und gibst uns in die Hände der Amoriter, um uns umzubringen? ... Ach, Herr, was soll ich sagen, nachdem Israel seinen Feinden den Rücken gekehrt hat? Wenn das die Kanaaniter und alle Bewohner des Landes hören, so werden sie uns umringen und unseren Namen ausrotten von der Erde. Was willst du dann für deinen großen Namen tun?" (Josua 7,7-9)

Jahwe antwortete: "Steh auf! Warum liegst du da auf deinem Angesicht? Israel hat sich versündigt, sie haben meinen Bund übertreten, den ich ihnen geboten habe." (Josua 7,10.11a) Jetzt war die Zeit für schnelles, entschiedenes Handeln und nicht für Verzweiflung und Klagen gekommen. Es gab im Lager eine geheime Sünde, die es aufzuklären und zu beseitigen galt, ehe Gottes Gegenwart und Segen wieder bei seinem Volk sein konnten. "Ich werde euch nicht mehr beistehen, wenn ihr nicht alles vernichtet, was ihr gegen mein Verbot weggenommen habt." (Josua 7,12 GNB)

Der Eigentliche Grund Des Unglücks

Einer von denen, die Gottes Gericht vollstrecken sollten, hatte das Gebot des Herrn missachtet. Und für seine Schuld wurde das ganze Volk verantwortlich gemacht: "Sie ... haben von dem Gebannten genommen und gestohlen und haben's verheimlicht" (Josua 7,11). Josua erhielt Anweisung, wie der Schuldige aufzufinden und zu bestrafen sei: Das Los sollte benutzt werden, um ihn zu ermitteln. Der Sünder wurde nicht namentlich genannt. Die Angelegenheit wurde eine Zeitlang offen gelassen, damit das Volk die Verantwortung für die Sünde spürte und Zeit für eine Herzenserforschung und Demütigung vor Gott blieb.

Früh am Morgen versammelte Josua das Volk, nach Stämmen aufgeteilt. Die ernste, eindrucksvolle Zeremonie begann. Schritt für Schritt ging die Untersuchung voran. Immer näher kam für den Schuldigen der schreckliche Test. Erst wurde der Stamm vom Los getroffen, dann das Geschlecht, die Familie und schließlich der Mann selbst. Achan, der Sohn Karmis aus dem Stamm Juda, wurde vom Finger Gottes als derjenige bezeichnet, der Israels Unglück bei Ai verursacht hatte.

Um die Schuld zweifelsfrei festzustellen und keinen Anlass zur Behauptung zu liefern, Achan sei ungerecht bestraft worden, beschwor ihn Josua eindringlich, die Wahrheit einzugestehen. Darauf legte der niedergedrückte Mann ein umfassendes Geständnis ab: "Ja ... ich war es, der sich gegen den Herrn, den Gott Israels, vergangen hat. Ich sah unter den Beutestücken einen wertvollen babylonischen Mantel, 200 Silberstücke und einen Goldbarren, der gut ein halbes Kilo wiegt. Ich konnte nicht widerstehen und nahm es mir. Du wirst es alles in meinem Zelt vergraben finden." (Josua 7,20.21 GNB) Sofort wurden Boten dorthin geschickt, die an dem bezeichneten Platz die Erde aufgruben, "und sie fanden alles, wie er es beschrieben hatte. Sie brachten die Beutestücke zu Josua und ... legten sie vor der Bundeslade des Herrn nieder." (Josua 7,22.23 GNB)

Das Urteil wurde gesprochen und sofort vollstreckt. "Du hast uns ins Unglück gestürzt. Dafür stürzt der Herr auch dich jetzt ins Unglück." (Josua 7,25a GNB) Da das Volk für Achans Sünde mitverantwortlich gemacht worden war und unter ihren Folgen gelitten hatte, sollte es durch seine Vertreter auch an der Bestrafung teilhaben. "Ganz Israel steinigte ihn." (Josua 7,25b)

Dann wurde ein großer Steinhaufen über ihm errichtet - als Zeuge für seine Sünde und ihre Bestrafung. "Wegen dieses Vorfalls heißt das Tal bis heute Achor-Tal [Unglückstal]." (Josua 7,26 GNB) Im Buch der Chronik wird Achan in Erinnerung daran als derjenige erwähnt, "der Israel ins Unglück brachte" (1. Chronik 2,7).

Achan versündigte sich in Auflehnung gegen die ausdrücklichsten, ernstesten Warnungen Gottes und trotz der klaren Bekundungen seiner Macht. "Hütet euch vor dem Gebannten und lasst euch nicht gelüsten, etwas von dem Gebannten zu nehmen und das Lager Israels in Bann und Unglück zu bringen", war allen Israeliten öffentlich verkündigt worden (Josua 6,18). Dieser Befehl war unmittelbar nach dem wunderbaren Durchzug durch den Jordan ergangen, also nach der Anerkennung des Bundes durch die Beschneidung des Volkes, nachdem sie Passa gefeiert hatten und der Engel des Bundes, der Fürst über das Heer des Herrn, erschienen war. Danach war der Sturz Jerichos als Zeichen erfolgt, dass alle Übertreter des göttlichen Gesetzes bestimmt vernichtet werden. Diese Tatsache, dass Gottes Macht allein Israel den Sieg geschenkt und das Volk Jericho nicht aus eigener Kraft in Besitz genommen hatte, verlieh dem Befehl, sich nicht an der Beute zu vergreifen, zusätzliches Gewicht. Durch die Macht seines Wortes hatte der Herr diese Festung überwunden. Die Eroberung war sein Werk. Deshalb sollte die Stadt mit allem, was darin war, allein ihm überlassen werden.

Unter den Millionen Israeliten gab es nur einen einzigen Mann, der es in jener feierlichen Stunde des Triumphes und Gerichtes gewagt hatte, Gottes Gebot zu übertreten. Das wertvolle Kleidungsstück aus Babylon hatte Achans Habsucht erregt. Sogar als es ihn Auge in Auge dem Tod gegenüberstellte, bezeichnete er es noch als einen "kostbaren babylonischen Mantel" (Josua 7,21a). Eine Sünde führte zur nächsten, denn Achan eignete sich auch das Gold und Silber an, das für die Schatzkammer des Herrn bestimmt war. Er beraubte damit Gott der Erstlingsfrucht des Landes Kanaan.

Habsucht - Die Wurzel Vieler Übel

Achans todbringende Sünde hatte ihre Wurzel in der Habsucht, die eine der verbreitetsten Sünden ist, jedoch als unbedeutend angesehen wird. Andere Vergehen werden aufgedeckt und bestraft, aber wie selten hat die Übertretung des zehnten Gebotes auch nur eine Rüge zur Folge! Die Geschichte Achans sollte uns lehren, wie ungeheuerlich diese Sünde ist und wie schrecklich ihre Auswirkungen sind.

Habsucht ist ein Übel, das sich stufenweise entwickelt. Achan hatte die Gier nach Erwerb so lange genährt, bis sie zu einer Gewohnheit wurde, die ihn mit kaum mehr lösbaren Fesseln band. Als er diesem Übel nachgab, wäre er beim Gedanken, er könnte dadurch Unglück über Israel bringen, tief erschrocken gewesen. Aber sein Wahrnehmungsvermögen war durch die Sünde inzwischen abgestumpft. Als die Versuchung kam, wurde er ihre leichte Beute.

Werden nicht immer noch gleichartige Sünden angesichts ebenso ernster, ausdrücklicher Warnungen begangen? Uns ist es genauso deutlich verboten, Habgier zu hegen, wie es Achan untersagt war, sich Beute aus Jericho anzueignen. Gottes Wort sagt: "Habsucht ist so viel wie Götzendienst." (Kol 3,5b GNB) Wir werden gewarnt: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." (Matthäus 6,24) "Hütet euch vor aller Habgier." (Lukas 12,15) "Von ... Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein." (Ephe- ser 5,3) Wir haben das schreckliche Verhängnis eines Achan, eines Judas, eines Hananias und einer Saphira vor Augen. Zu alledem kennen wir das Unheil, das Luzifer verursachte, der "schöne Morgenstern" (Jesaja 14,12a), der den Glanz und die Seligkeit des Himmels für immer verwirkte, weil er eine höhere Stellung begehrte. Doch trotz dieser Warnungen breitet sich die Habgier stets weiter aus.

Überall sieht man ihre gefährlichen Spuren. Sie schafft Unzufriedenheit und Streit in den Familien, sie erregt Neid und Hass bei den Armen gegenüber den Reichen; sie führt zu gnadenloser Unterdrückung der Armen durch die Reichen. Und dieses Übel existiert nicht nur in der Welt, sondern auch in der Gemeinde. Wie alltäglich ist es, sogar hier Selbstsucht, Geiz, Übervorteilung, Nachlässigkeit in Almosen und Beraubung Gottes am "Zehnten und an der Opfergabe" vorzufinden (Maleachi 3,8, vgl. Elb.). Auch unter angesehenen Gemeindegliedern gibt es leider viele Achans. Mancher kommt regelmäßig zur Gemeinde und nimmt am Abendmahl teil, während sich in seinem Besitz unrechtmäßig erworbene Gewinne verbergen, Dinge, die Gott verflucht hat. Für einen "kostbaren babylonischen Mantel" opfern viele die Zustimmung ihres Gewissens und die Hoffnung auf den Himmel. Viele tauschen ihre Redlichkeit und ihre guten Fähigkeiten gegen einen Beutel Silbertaler ein. Das Schreien der notleidenden Armen bleibt unbeachtet. Die Verbreitung des Lichts des Evangeliums wird behindert. Der Spott der Menschen aus der Welt wird durch Praktiken angefacht, die das christliche Bekenntnis Lügen strafen. Dennoch häuft der habgierige Christ, der sich zu Jesus bekennt, weiterhin Schätze auf. Dazu sagt aber der Herr: "Darf ein Mensch Gott berauben? Ja, ihr beraubt mich!" (Maleachi 3,8a Elb.)

Achans Sünde brachte Unglück über das ganze Volk. Wegen der Sünde eines einzigen Menschen bleibt Gottes Missfallen so lange über seiner Gemeinde, bis das Unrecht herausgefunden und beseitigt ist. Was die Gemeinde am meisten fürchten sollte, sind nicht die offenen Gegner, die Ungläubigen und Spötter, sondern der Einfluss unaufrichtiger Menschen, die sich zu Christus bekennen. Sie sind es, die Gottes Segen zurückhalten und sein Volk schwächen.

Wenn eine Gemeinde Schwierigkeiten hat und in ihr Kälte und geistlicher Niedergang herrschen, die den Feinden Gottes Anlass zum Triumphieren geben, sollten die Gemeindeglieder nachforschen, ob nicht ein Achan im Lager ist, statt die Hände in den Schoß zu legen und den betrüblichen Zustand zu beklagen. Jeder suche in Demut und eingehender Selbstprüfung nach verborgenen Sünden, die Gottes Gegenwart ausschließen.

Ein Zu Spätes Bekenntnis

Achan gab seine Schuld erst zu, als es zu spät war. Sein Geständnis nützte ihm nichts mehr. Er hatte gesehen, wie Israels Kämpfer geschlagen und entmutigt von Ai zurückgekehrt waren. Doch er trat nicht vor, um seine Sünde zu bekennen. Er hatte gesehen, wie sich Josua und die Ältesten in unbeschreiblichem Kummer zur Erde beugten. Hätte er zu der Zeit sein Bekenntnis abgelegt, hätte er damit einen Beweis aufrichtiger Reue gegeben. Doch er schwieg weiter. Er hatte die öffentliche Bekanntgabe gehört, dass jemand schweres Unrecht begangen habe, und auch vernommen, worum es sich handelte. Aber seine Lippen blieben verschlossen. Dann erfolgte die feierliche Untersuchung. Wie mag er vor Angst gebebt haben, als sein Stamm angezeigt wurde, danach seine Sippe und schließlich seine Familie! Aber noch immer legte er kein Geständnis ab - bis Gottes Finger auf ihn wies. Erst jetzt, als er seine Sünde nicht länger verheimlichen konnte, gab er die Wahrheit zu. Wie häufig werden ähnliche Bekenntnisse abgelegt. Es ist ein großer Unterschied, ob man Tatsachen zugibt, die nachgewiesen worden sind, oder ob man Sünden bekennt, von denen man nur selbst und Gott etwas weiß. Achan hätte immer noch nichts eingestanden, wenn er nicht gehofft hätte, dadurch den Folgen seines Verbrechens zu entgehen. Nun aber hatten seine bekennenden Worte nur noch die Funktion, seine Bestrafung zu rechtfertigen. Es gab keine echte Reue über die Sünde, keine Buße, keine Sinnesänderung, keine Abscheu vor dem Bösen.

In gleicher Weise werden die Schuldigen einmal Geständnisse ablegen, wenn sie vor Gottes Gericht stehen, nachdem jeder Fall bezüglich Leben oder Tod entschieden worden ist. Die Folgen, die sich für jeden ergeben, werden ein Eingeständnis seiner Sünden bewirken. Es wird ihm durch ein furchtbares Bewusstsein der Verdammnis und ein schreckliches Warten auf das Gericht abgenötigt. Aber solche Bekenntnisse können den Sünder nicht retten.

Solange sie ihre Verfehlungen vor den Mitmenschen verheimlichen können, fühlen sich viele Menschen wie einst Achan sicher und bilden sich ein, Gott werde Unrecht nicht so streng bewerten. Viel zu spät werden ihre Sünden an den Tag kommen, an dem sie weder durch Opfer noch durch Gaben getilgt werden können. Wenn die Bücher des Himmels einmal aufgetan sind, wird Gott, der Richter, den Menschen nicht mit Worten schuldig sprechen. Er wird ihm einen durchdringenden und tadelnden Blick zuwerfen, und jede Untat im Leben wird in das Gedächtnis des Übeltäters deutlich eingeprägt. Niemand braucht wie in Josuas Tagen aus Stamm und Familie aufgespürt zu werden. Er wird seine Scham selbst bekennen. Die vor den Menschen verborgenen Sünden werden dann der ganzen Welt offen genannt.