Wie Alles Begann

Kapitel 48

Die Aufteilung Kanaans

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Josua 10,36 bis 11,23; 13,1-14; 14,6-15; 17,11-18; 19,49 bis 21,8 und 22,1-34 sowie 4. Mose 35.

Dem Sieg bei Bet-Horon folgte bald die Eroberung Südkanaans. "So schlug Josua das ganze Land auf dem Gebirge und im Süden und im Hügelland und an den Abhängen ... und unterwarf alle diese Könige mit ihrem Land auf einmal; denn der Herr, der Gott Israels, stritt für Israel. Und Josua kehrte ins Lager nach Gilgal zurück mit ganz Israel." (Josua 10,40.42.43) Die Stämme Nordpalästinas wurden durch den Erfolg des israelitischen Heeres in Angst versetzt und verbündeten sich gegen Israel. An der Spitze dieses Bundes stand Jabin, der König von Hazor, einer Landschaft westlich des Meromsees. "Sie alle kamen mit ihren Kriegsleuten." Dieses Heer war viel größer als alle anderen, auf die Israel in Kanaan bis dahin gestoßen war - "die so unzählbar waren wie die Sandkörner am Meeresstrand. Auch viele Streitwagen mit Pferden brachten sie mit. Sie vereinigten ihre Truppen gegen Israel und schlugen bei den Quellen von Merom ihr gemeinsames Lager auf." (Josua 11,4.5 GNB) Nochmals erhielt Josua eine Botschaft der Ermutigung von Gott: "Fürchte dich nicht vor ihnen! Denn morgen um diese Zeit will ich sie alle vor Israel dahingeben und sie erschlagen; ihre Rosse sollst du lähmen und ihre Wagen mit Feuer verbrennen." (Josua 11,6)

Die Vernichtung Der Bewohner Des Nordens

In der Nähe des Meromsees überfiel Josua das Lager der Verbündeten und fügte ihnen eine vernichtende Niederlage zu. "Der Herr gab sie in die Hände Israels, und sie schlugen sie und jagten ihnen nach ... bis niemand mehr unter ihnen übrig blieb." (Josua 11,8) Die Streitwagen und Pferde, die der Stolz der Kanaaniter gewesen waren, sollten sich die Israeliten jedoch nicht aneignen. Auf Gottes Befehl wurden die Wagen verbrannt und die Pferde gelähmt und dadurch kampfunfähig gemacht. Nicht auf Streitwagen oder Pferde sollten sich die Israeliten verlassen, sondern auf den Herrn, ihren Gott (vgl. 5. Mose 20,1).

Eine Stadt nach der andern wurde eingenommen und Hazor, das Bollwerk der Verbündeten, verbrannt. Die Kämpfe zogen sich noch einige Jahre hin, aber am Ende war Josua der Herr über Kanaan, "und das Land war zur Ruhe gekommen vom Krieg" (Josua 11,23).

Obwohl die Macht der Kanaaniter gebrochen worden war, hatte man ihnen nicht allen Besitz entrissen. Im Westen hielten die Philister entlang der Meeresküste noch eine fruchtbare Ebene; im Norden lag das Gebiet der Sido- nier, die auch den Libanon besaßen; und im Süden, Richtung Ägypten, war das Land ebenfalls noch von Israels Feinden besetzt.

Dennoch sollte Josua den Kampf nicht fortsetzen. Ehe er die Befehlsgewalt über das Volk Israel niederlegte, gab es für ihn noch eine andere Aufgabe zu erfüllen. Das ganze Land, sowohl die bereits eroberten als auch die noch nicht unterworfenen Gebiete, sollte unter Israels Stämmen aufgeteilt werden. Und es war dann die Pflicht eines jeden Stammes, das ihm als Erbe zugewiesene Gebiet selbst noch völlig zu unterwerfen. Vertrauten sie Gott, würde er ihre Feinde vor ihnen vertreiben. Er verhieß ihnen noch größere Besitztümer, wenn sie seinen Bund treu hielten.

Die Landzuweisung An Die Stämme Israels

Die Aufteilung des Landes war Josua zusammen mit dem Hohenpriester Eleasar und den Stammesoberhäuptern anvertraut worden. Jedem Stamm wurde sein Gebiet durch das Los zugewiesen. Mose selbst hatte die Außengrenzen des Landes, das unter die Stämme aufgeteilt werden sollte, festgelegt, sobald sie im Besitz Kanaans wären. Auch hatte er aus jedem Stamm einen Fürsten zur Überwachung der Verteilung bestimmt (vgl. 4. Mose 34). Der Stamm Levi, der für den Dienst am Heiligtum ausersehen war, wurde in diese Landverteilung nicht mit einbezogen; 48 Städte aber in verschiedenen Stammesgebieten des gesamten Landes wurden den Leviten als Erbteil zugewiesen (vgl. Josua 21).

Kalebs Anspruch Auf Ein Besonderes Erbteil

Bevor man mit der Verteilung des Landes begann, meldete Kaleb, begleitet von den Obersten seines Stammes, einen besonderen Anspruch an. Neben Josua war er jetzt der älteste Mann in Israel. Die beiden waren die einzigen Kundschafter gewesen, die positiv über das Land der Verheißung berichtet und das Volk ermutigt hatten, hinaufzuziehen und es im Namen des Herrn einzunehmen (vgl. 4. Mose 14,6-9). Nun erinnerte Kaleb Josua daran, was ihm Mose damals als Lohn für seine Treue verheißen hatte: "Das Land, das dein Fuß betreten hat, soll dein und deiner Nachkommen Erbteil sein für immer, weil du dem Herrn, meinem Gott, treulich gefolgt bist." (Jo- sua 14,9) Deshalb äußerte er die Bitte, ihm Hebron als Besitz zu geben. Dort war jahrelang Abrahams, Isaaks und Jakobs Wohnort gewesen. Dort, in der Höhle von Machpela, lagen sie auch begraben. In Hebron wohnten die gefürchteten Enakiter, deren furchterregende Erscheinung den Kundschaftern einen solchen Schrecken eingejagt hatte, dass ihretwegen ganz Israel der Mut vergangen war. Gerade diesen Ort erwählte sich Kaleb im Vertrauen auf die Kraft Gottes zum Erbteil.

"Der Herr hat mich bis jetzt am Leben erhalten, wie er es versprochen hat", sagte er. "Vor 45 Jahren gab er Mose während der Wüstenwanderung Israels diese Zusage für mich. Heute bin ich 85 Jahre alt. Ich bin immer noch so stark wie damals, als Mose mich auf Kundschaft schickte, und ich bin heute noch rüstig und genauso gut im Kampf wie damals. Deshalb bitte ich dich, mir das Bergland zu geben, das der Herr mir an diesem Tag versprochen hat. Du wirst dich erinnern: Damals kundschafteten wir aus, dass dort die Ana- kiter [Enakiter] in großen, befestigten Städten leben. Doch wenn der Herr mit mir ist, werde ich sie aus dem Land vertreiben, wie der Herr gesagt hat." (Josua 14,10-12 NLB) Die Obersten des Stammes Juda unterstützten diese Bitte. Da Kaleb selbst zum Vertreter dieses Stammes für die Verteilung des Landes berufen war, hatte er beschlossen, seine Forderung gemeinsam mit diesen Männern vorzutragen. Es sollte nicht so aussehen, als habe er seine Autorität zu seinem eigenen Vorteil genutzt.

Sein Anspruch wurde sofort gewährt. Die Eroberung der Festung der Riesen konnte keinem Zuverlässigeren anvertraut werden. "Da segnete ihn Josua und gab Kaleb, dem Sohn Jefunnes, Hebron zum Erbteil ... weil er dem Herrn, dem Gott Israels, treulich gefolgt war." (Josua 14,13.14) Kalebs Glaube war noch ebenso stark wie damals, als er dem ungünstigen Bericht der anderen Kundschafter widersprach. Er hatte auf Gottes Zusage vertraut, dass er sein Volk in den Besitz Kanaans bringen werde, und ihm rückhaltlos gehorcht. Mit seinem Volk hatte er die lange Wüstenwanderung ertragen und die Enttäuschungen und Beschwernisse der Schuldiggewordenen geteilt. Doch er klagte niemals darüber, sondern rühmte Gottes Gnade, die ihn in der Wüste bewahrt hatte, als seine Brüder hinweggerafft wurden. In allen Mühsalen, Gefahren und Plagen der Wüstenwanderung und während der Kriegsjahre seit dem Einzug in Kanaan hatte der Herr ihn behütet. Und noch jetzt, mit über 80 Jahren, war seine Lebenskraft ungemindert. Er erbat sich kein Land, das bereits erobert war, sondern den Ort, den die Kundschafter vor allen anderen für uneinnehmbar gehalten hatten. Mit Gottes Hilfe wollte er den Riesen, deren Stärke einst Israels Glauben ins Wanken gebracht hatte, die Festung entreißen. Es ging Kaleb bei diesem Wunsch nicht um Ehre oder Selbstverherrlichung. Dem tapferen alten Kriegsmann lag daran, dem Volk ein Beispiel zu setzen, das Gott ehrt und die Stämme ermutigt, das Land, das ihre Väter für uneinnehmbar gehalten hatten, vollständig zu erobern.

Kaleb erhielt endlich das Erbteil, nach dem er sich über 40 Jahre lang gesehnt hatte. Im Vertrauen auf Gott "vertrieb [er] von dort die drei Söhne En- aks" (Josua 15,14). Sein Eifer erlahmte auch nicht, nachdem er für sich und seine Familie Besitz erworben hatte. Er ließ sich nicht einfach nieder, um nun das Erbe zu genießen, sondern drängte auf weitere Eroberungen zum Besten des Volkes und zur Ehre Gottes.

Die Feiglinge und Aufrührer waren in der Wüste umgekommen, aber die beiden gerechten Kundschafter aßen von den Trauben am Bach Eschkol. Jedem wurde entsprechend seinem Glauben gegeben. Die Ungläubigen hatten ihre Befürchtungen bestätigt gesehen. Trotz Gottes Verheißungen hatten sie behauptet, es sei unmöglich, Kanaan einzunehmen - und sie nahmen es auch nicht in Besitz. Aber jene, die Gott vertrauten und nicht so sehr auf die Schwierigkeiten sahen, die sich ihnen in den Weg stellen würden, sondern vielmehr auf die Hilfe und Stärke des Allmächtigen bauten, betraten das verheißene Land. Jene ehrenwerten Männer "haben durch den Glauben Königreiche bezwungen ... sind der Schärfe des Schwerts entronnen, aus der Schwachheit zu Kräften gekommen, sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Flucht geschlagen" (Hebräer 11,33.34). "Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube." (1. Johannes 5,4 Elb.)

Unzufriedenheit Bei Den Nachkommen Josefs

Einen ganz anderen Geist als Kaleb bei der Verteilung des Landes verriet die Forderung der Nachkommen Josefs, des Stammes Ephraim zusammen mit dem halben Stamm Manasse. In Anbetracht ihrer großen Anzahl verlangten sie einen doppelten Gebietsanteil. Ihnen war der reichste Teil des Landes zugesprochen worden, einschließlich der fruchtbaren Ebene Scharon. Viele wichtige Städte im Tal waren allerdings noch im Besitz der Kanaaniter. Die Stämme schreckten vor der Mühe und Gefahr zurück, ihren Anteil noch zu erobern. Stattdessen forderten sie zusätzlich bereits unterworfenes Gebiet. Der Stamm Ephraim war einer der größten in Israel und dazu noch der, dem Josua selbst angehörte. Seine Mitglieder fühlten sich deshalb zu besonderen Ansprüchen berechtigt. "Warum hast du uns nur einen einzigen Teil des Landes als Erbteil gegeben, obwohl der Herr uns doch gesegnet und zu einem so großen Volk gemacht hat?", fragten sie ihn (Josua 17,14 NLB).

Aber Josua blieb unnachgiebig und wich nicht von der strengen Gerechtigkeit ab. Er antwortete: "Wenn ihr ein so großes Volk seid und euch das Bergland von Ephraim zu klein ist, dann geht in den Wald auf dem Gebiet der Pe- risiter und Refaiter und macht dort Land für euch urbar." (Josua 17,15 NLB)

Die Antwort zeigte den wahren Grund ihrer Beschwerde: Es fehlte ihnen an Glauben und Mut, die Kanaaniter zu vertreiben. "Das Bergland reicht uns nicht aus", sagten sie, "und die Kanaaniter im Flachland rund um Bet-Schean mit seinen Tochterstädten und im Tal Jesreel haben eiserne Streitwagen." (Josua 17,16 NLB)

Gott hatte Israel seine Hilfe versprochen, und hätten die Ephraimiter Kalebs Glaubensmut besessen, hätte ihnen kein Feind widerstehen können. Ihrem offensichtlichen Wunsch, Mühen und Gefahren aus dem Weg zu gehen, begegnete Josua mit Festigkeit. "Weil ihr ein so großes und starkes Volk seid", sagte er. "Ihr werdet aber auch die Gebirgsausläufer besitzen, denn ihr werdet die Kanaaniter vertreiben, obwohl sie stark sind und eiserne Streitwagen haben." (Josua 17,17.18 NLB) So führte er ihre eigenen Argumente gegen sie an. Wären sie ein großes Volk, wie sie behaupteten, dann wären sie auch durchaus in der Lage, sich ebenso wie ihre Brüder durchzusetzen. Mit Gottes Hilfe brauchten sie die eisernen Streitwagen nicht zu fürchten.

Das Heiligtum Kommt In Die Mitte Des Landes

Bis dahin war Israels Hauptquartier in Gilgal gewesen. Dort stand auch das heilige Zelt. Nun sollte es an einen ständigen Aufenthaltsort gebracht werden, nach Silo, einer kleinen Stadt im Gebiet Ephraims. Sie lag etwa in der Mitte des Landes und war von allen Stämmen leicht zu erreichen. Dieses Gebiet war bereits völlig unterworfen, sodass die Anbeter Gottes nicht belästigt werden konnten. "Als das Land erobert war, versammelten sich alle Israeliten in Silo und errichteten dort das heilige Zelt." (Josua 18,1 Hfa) Die Stämme, die noch in Gilgal lagerten, folgten dem heiligen Zelt nach Silo und schlugen dort ihre eigenen Zelte auf. Hier lebten sie, bis sie sich auf ihre Besitzungen verteilten.

Rund 300 Jahre blieb die Bundeslade in Silo, bis sie wegen der Sünden des Hauses Eli in die Hände der Philister fiel und Silo zerstört wurde (vgl. 1. Samuel 4,1-11). Sie kam nie wieder dorthin zurück. Der Heiligtumsdienst wurde schließlich in den neuerbauten Tempel in Jerusalem verlegt; Silo wurde damit bedeutungslos. Heute kennzeichnen nur noch Ruinen den Platz, wo es einst lag. Viel später wurde sein Schicksal Jerusalem zur Warnung vorgehalten. "Geht doch einmal hinunter nach Silo, dorthin, wo früher mein Heiligtum stand", sprach der Herr durch den Propheten Jeremia, "seht doch, was wegen der bösen Taten meines Volkes Israel mit ihm geschehen ist! Deshalb werde ich diesen Tempel, in dem ihr euch in Sicherheit wähnt, diesen Ort, den ich euch und euren Vorfahren gab, genauso zerstören, wie ich es mit meinem Heiligtum in Silo getan habe." (Jeremia 7,12.14 NLB)

Josua Erhält Als Letzter Sein Erbteil

"Als sie das ganze Land ausgeteilt" und alle Stämme ihr Erbteil erhalten hatten, stellte auch Josua seine Forderung. Wie Kaleb hatte er ebenfalls eine besondere Verheißung bezüglich seines Erbes erhalten. Doch er bat nicht um eine große Provinz, sondern um eine einzige Stadt. Und sie "gaben ihm ... die Stadt, die er forderte ... Dann baute er die Stadt auf und wohnte darin." (Josua 19,49.50) Man nannte sie Timnat-Serach, "der Teil, der übrig bleibt", als ein dauerndes Zeugnis für den edlen Charakter und die Selbstlosigkeit des Eroberers. Statt sich die Kriegsbeute als Erster anzueignen, stellte er seine Ansprüche zurück, bis selbst der Geringste aus seinem Volk versorgt war.

Die Einrichtung Der Freistädte

Sechs der Städte, die den Leviten zugewiesen worden waren - auf jeder Seite des Jordan drei - wurden zu Freistädten bestimmt. Dorthin konnte ein Totschläger zu seiner Sicherheit fliehen. Schon Mose hatte bestimmt: Ihr sollt "Städte auswählen, die euch als Freistädte dienen sollen. Wer aus Versehen einen Menschen getötet hat, kann dorthin fliehen. . Ein Mörder darf nur hingerichtet werden, wenn die Gemeinschaft ihn dazu verurteilt hat." (4. Mose 35,11.12 NLB) Diese barmherzige Einrichtung war wegen der Blutrache nötig, einer alten Sitte, bei der die Bestrafung des Mörders dem nächsten Verwandten oder Erben des Getöteten zufiel. War die Schuld klar erwiesen, brauchte man nicht auf die Gerichtsverhandlung durch die Obrigkeit zu warten. Der Rächer konnte den Schuldigen überallhin verfolgen und töten, wo er ihn fand (vgl. 4. Mose 35,19). Der Herr hielt es nicht für angebracht, diesen Brauch damals abzuschaffen, aber er traf eine Sicherheitsmaßnahme für diejenigen, die ohne Absicht getötet hatten.

Die Freistädte waren so verteilt, dass sie aus jeder Gegend des Landes in einem halben Tag zu erreichen waren. Die dahin führenden Straßen sollten immer in gutem Zustand sein (vgl. 5. Mose 19,3). Überall sollten Wegweiser stehen, die in deutlicher, auffallender Schrift das Wort "Zuflucht" trugen, damit der Flüchtige keinen Augenblick aufgehalten wurde. Jeder - ob Israelit, ein ansässiger oder ein durchreisender Fremdling - konnte sich diese Einrichtung zunutze machen.

Auch wenn dadurch die Unschuldigen nicht übereilt getötet wurden, sollten die schuldigen Täter ihrer Strafe nicht entgehen. Die zuständige Obrigkeit sollte den Fall des Flüchtlings unparteiisch prüfen, und nur wenn er vom vorsätzlichen Mord freigesprochen wurde, sollte er den Schutz der Freistadt genießen. Ein Schuldiger wurde dem Rächer ausgeliefert. Und wer berechtigt war, den Schutz zu beanspruchen, konnte ihn nur unter der Bedingung erhalten, dass er im zugewiesenen Zufluchtsort blieb. Bewegte er sich außerhalb der vorgeschriebenen Grenzen und der Bluträcher fand ihn, bezahlte er die Missachtung der göttlichen Vorkehrung mit dem Leben (vgl. 4. Mose 35,2528). Beim Tod des Hohenpriesters aber konnten alle ehemals Schutzsuchenden in Freiheit zu ihrem Besitz zurückkehren.

Bei einer Anklage wegen Mordes durfte der Beschuldigte nicht auf die Aussage eines einzigen Zeugen hin verurteilt werden, selbst dann nicht, wenn die Umstände als starke Indizien gegen ihn sprachen. Der Herr befahl: "Wer einen Menschen erschlägt, den soll man töten auf den Mund von Zeugen hin. Ein einzelner Zeuge aber soll keine Aussage machen, um einen Menschen zum Tode zu bringen." (4. Mose 35,30; vgl. 5. Mose 19,15) Christus hatte Mose diese Anweisungen für Israel gegeben, und als er selbst auf Erden weilte, lehrte er seine Jünger, wie man mit Irrenden umgeht. Er wiederholte ihnen gegenüber, dass eines einzigen Menschen Zeugnis nicht zum Freispruch oder zur Verurteilung genügen soll. Die Ansicht und Meinung eines einzelnen Menschen soll keine strittigen Punkte entscheiden. In all solchen Angelegenheiten sollen sich zwei oder mehrere zusammentun und gemeinsam die Verantwortung tragen, "sodass alles, was du sagst, von zwei oder drei Zeugen bestätigt werden kann" (Matthäus 18,16 NLB).

Wurde der Angeklagte des Mordes für schuldig befunden, rettete ihn weder Sühne noch Lösegeld. "Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden." (1. Mose 9,6) "Ihr sollt kein Sühnegeld nehmen für das Leben des Mörders; denn er ist des Todes schuldig und soll des Todes sterben." (4. Mose 35,31) "Selbst wenn er an meinem Altar Schutz sucht, sollt ihr ihn von dort wegholen und töten", lautete Gottes Befehl (2. Mose 21,14b Hfa), denn "das Land kann nicht entsühnt werden vom Blut, das darin vergossen wird, außer durch das Blut dessen, der es vergossen hat" (4. Mose 35,33). Die Sicherheit und Reinheit der Nation verlangten, dass bei Mord hart durchgegriffen wurde. Menschliches Leben, das allein Gott verleihen kann, musste mit aller Sorgfalt geschützt werden.

Die Freistädte, die Gott für sein Volk im Altertum bestimmte, symbolisierten die Zuflucht, die Christus bietet. Derselbe barmherzige Retter, der jene irdischen Freistädte einrichten ließ, schuf durch das Opfer seines eigenen Lebens den Übertretern des göttlichen Gesetzes eine sichere Zuflucht, die sie vor dem zweiten Tod bewahren soll. 26 Keine Macht der Welt kann die Menschen, die ihn um Vergebung bitten, aus seiner Hand reißen. "So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind", versicherte Paulus (Römer 8,1) und fragte: "Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt" (Römer 8,34), damit wir "einen starken Trost hätten, die wir unsere Zuflucht dazu genommen haben, die vorhandene Hoffnung zu ergreifen." (Hebräer 6,18 Elb.)

Wer in die Freistadt flüchtete, durfte nicht lange zögern. Es galt, Familie und Beschäftigung zu verlassen. Er hatte keine Zeit, seinen Lieben Lebewohl zu sagen. Sein Leben stand auf dem Spiel. Da musste alles andere hinter diesem einen Ziel zurückstehen - die Stadt zu erreichen, wo er sicher war. Vergessen war die Müdigkeit, Schwierigkeiten blieben unbeachtet. Der Flüchtling durfte nicht wagen, seinen Schritt auch nur einen Augenblick zu verlangsamen, bevor er innerhalb der rettenden Stadtmauern war.

So ist auch der Sünder dem ewigen Tod preisgegeben, bis er Zuflucht in Christus findet. Und so wie Zögern und Sorglosigkeit den Flüchtenden um seine einzige Überlebenschance bringen konnten, können Verzögerungen und Gleichgültigkeit das Verderben des Menschen bedeuten. Satan, der große Widersacher, ist jedem Übertreter des heiligen Gesetzes auf der Spur. Wer sich seiner Gefahr nicht bewusst wird und nicht ernsthaft in der ewigen Zuflucht Schutz sucht, fällt dem Verderber zum Opfer.

Jeder Flüchtling, der die Freistadt irgendwann verließ, war dem Bluträcher ausgeliefert. Auf diese Weise wurden die Menschen gelehrt, sich an die Anordnungen zu halten, die die unendliche Weisheit zu ihrer Sicherheit vorgesehen hatte. Ebenso genügt es nicht, wenn der Sünder an die Vergebung in Christus glaubt; er muss durch Glauben und Gehorsam in Christus bleiben. "Denn wenn wir mutwillig sündigen27, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein furchtbares Erwarten des Gerichts und der Eifer eines Feuers, das die Widersacher verzehren wird." (Hebräer 10,26.27 Elb.)

Ein Umstrittener Altar Jenseits Des Jordan

Zwei Stämme Israels - Gad und Ruben - hatten zusammen mit der Hälfte des Stammes Manasse ihr Erbteil bereits erhalten, ehe sie den Jordan überschritten (vgl. 4. Mose 32). Für ein Hirtenvolk waren die weiten Hochebenen und reichen Wälder von Gilead und Baschan mit dem ausgedehnten Weideland für die Herden ein Anreiz, den nicht einmal Kanaan selbst zu bieten hatte. Die zweieinhalb Stämme wollten sich darum dort niederlassen und hatten ihr Wort gegeben, ihren Anteil an bewaffneten Männern zu stellen und die anderen Stämme über den Jordan zu begleiten (vgl. 4. Mose 32,1619). Gemeinsam wollten sie mit ihnen kämpfen, bis auch die anderen ihr Erbteil in Besitz genommen hatten. Sie erfüllten diese Verpflichtung gewissenhaft. Als die zehn Stämme in Kanaan einzogen, führten "die bewaffneten Krieger der Stämme Ruben und Gad und des halben Stammes Manasse ... den Zug der Israeliten über den Jordan an ... etwa 40.000 zogen in der Gegenwart des Herrn durch den Fluss in Richtung der Ebene von Jericho zum Kampf." (Josua 4,12.13 NLB) Sie kämpften jahrelang tapfer an der Seite ihrer Brüder. Nun war die Zeit für sie gekommen, in das ihnen zugeteilte Land heimzukehren. Und wie sie gemeinsam gekämpft hatten, hatten sie auch die Beute mit ihren Brüdern geteilt: Sie kehrten nun zurück "mit großem Gut ... mit sehr viel Vieh, Silber, Gold, Kupfer, Eisen und Kleidern" (Josua 22,8). Davon sollten sie denen abgeben, die bei den Familien und Herden geblieben waren.

Sie wohnten nun ziemlich weit vom Heiligtum des Herrn entfernt. Deshalb betrachtete Josua ihre Abreise mit Sorge, denn er wusste, wie stark bei ihrem abgesonderten Wanderleben die Versuchungen sein würden, in die Gewohnheiten der heidnischen Stämme zu verfallen, die an den Grenzen ihres Landes lebten.

Während Josua und mit ihm einige andere Oberhäupter bange Ahnungen bedrückten, erreichte sie auch schon eine seltsame Nachricht. Nahe der Stelle, wo Israel das Wunder des Durchzugs durch den Jordan erlebt hatte, hatten die zweieinhalb Stämme einen großen Altar errichtet, ähnlich dem Brandopferaltar in Silo. Gottes Gesetz verbot aber bei Todesstrafe jeden anderen Opfergottesdienst als den am Heiligtum (vgl. 3. Mose 17,8.9). Falls das der Zweck dieses Altars war und man ihnen erlauben würde, ihn stehen zu lassen, würde er das Volk vom wahren Glauben abbringen.

Die Vertreter des Volkes kamen in Silo zusammen. In der Hitze ihrer Aufregung und Entrüstung schlugen sie vor, sogleich gegen die Schuldigen Krieg zu führen. Aber unter dem Einfluss der Besonneneren beschloss man, erst eine Abordnung hinzuschicken und von den zweieinhalb Stämmen eine Erklärung für ihr Verhalten zu verlangen. Dazu wählte man zehn Fürsten, aus jedem Stamm einen. An ihrer Spitze stand Pinhas, der sich schon in der Sache mit Peor durch seinen Eifer ausgezeichnet hatte.

Es war ein Fehler der zweieinhalb Stämme, ohne jede Erklärung etwas getan zu haben, was einen so schweren Verdacht hervorrufen musste. Da die Abgesandten davon ausgingen, dass ihre Brüder Schuld auf sich geladen hatten, machten sie ihnen sofort heftige Vorwürfe. Sie bezichtigten sie der Rebellion gegen den Herrn und erinnerten sie an das Gericht, mit dem die Israeliten heimgesucht worden waren, als sie sich mit dem Baal von Peor eingelassen hatten. Im Namen von ganz Israel bot Pinhas den Nachkommen von Gad und Ruben Folgendes an: Wenn sie nicht ohne einen Opferaltar in diesem Landesteil wohnen wollten, wäre man bereit, den Landbesitz und die Vorrechte auf der anderen Seite des Jordan mit ihnen zu teilen.

Die Befurchtungen Werden Zerstreut

Die Beschuldigten gaben als Erklärung zur Antwort, ihr Altar sei nicht als Opferstätte gedacht, sondern einfach als Zeugnis dafür, dass sie denselben Glauben hätten wie ihre Brüder in Kanaan, auch wenn sie durch den Fluss voneinander getrennt seien. Sie hätten befürchtet, dass ihre Kinder in Zukunft vom Heiligtum ausgeschlossen werden könnten, da sie keinen Anteil in Kanaan besaßen. Dann sollte dieser Altar, der nach dem Vorbild des Altars Jahwes in Silo errichtet worden war, das Zeugnis dafür sein, dass seine Erbauer ebenfalls Anbeter des lebendigen Gottes waren.

Diese Erklärung nahmen die Abgesandten mit großer Freude an und überbrachten sie sofort ihren Auftraggebern. Jeder Gedanke an einen Krieg war damit aufgegeben, und das Volk vereinte sich in Freude und im Lobpreis Gottes.

Die Angehörigen der Stämme Gad und Ruben setzten nun eine Inschrift auf den Altar, die den Zweck seiner Errichtung deutlich machte: "Er ist ein Zeichen zwischen uns, das bezeugt, dass der Herr unser Gott ist." (Josua 22,34b GNB) Auf diese Weise bemühten sie sich, künftigen Missverständnissen vorzubeugen und alles auszuräumen, was einen Anlass zur Versuchung geben könnte.

Streitigkeiten In Der Rechten Gesinnung Regeln

Wie oft entstehen aus einfachen Missverständnissen ernste Schwierigkeiten - selbst bei denen, die sich von den besten Beweggründen leiten lassen. Und welche ernsten und schicksalhaften Folgen können sie haben, wenn man es an der nötigen Höflichkeit und Nachsicht fehlen lässt! Die zehn Stämme dachten daran, wie Gott im Fall Achans ihre fehlende Wachsamkeit bei der Aufdeckung von Sünden getadelt hatte. Diesmal beschlossen sie, rasch durchzugreifen. Aber indem sie ihren früheren Fehler zu vermeiden suchten, waren sie in das andere Extrem verfallen. Statt höflich nachzufragen, um erst einmal die Umstände der Angelegenheit zu erfahren, hatten sie ihre Brüder getadelt und verurteilt. Hätten die Männer Gads und Rubens im selben Geist reagiert, wäre es zum Krieg gekommen. Während es einerseits wichtig ist, keine Nachlässigkeit im Umgang mit Sünden aufkommen zu lassen, ist es andererseits ebenso wichtig, schroffe Verurteilungen und grundlose Verdächtigungen zu vermeiden.

Während viele Menschen beim geringsten Tadel bezüglich ihres eigenen Verhaltens sehr empfindlich reagieren, verfahren sie allzu hart mit denen, die sich ihrer Meinung nach im Irrtum befinden. Durch Tadel und Vorwürfe bringt man niemanden von seinem verkehrten Standpunkt ab. Viele werden dadurch noch weiter vom rechten Weg vertrieben und dazu geführt, sich gegen die Offenlegung ihrer Schuld zu verhärten. Eine freundliche Einstellung und ein höfliches, nachsichtiges Verhalten können die Irrenden retten und "eine Menge von Sünden bedecken" (Jak 5,20b Elb.).

Die Weisheit, die die Rubeniter und ihre Gefährten an den Tag legten, ist nachahmenswert. Obwohl sie sich aufrichtig für die Sache des wahren Glaubens einsetzen wollten, wurden sie ungerechterweise und hart gerügt. Trotzdem brachten sie keinen Groll zum Ausdruck. Höflich und geduldig hörten sie sich die Vorwürfe ihrer Brüder an, ehe sie versuchten, sich zu verteidigen. Dann erklärten sie ausführlich ihre Beweggründe und bewiesen ihre Unschuld. Auf diese Weise wurde das Problem, aus dem so ernste Folgen zu entstehen drohten, freundschaftlich geregelt.

Auch unter einer falschen Anklage können es sich diejenigen, die im Recht sind, leisten, ruhig und rücksichtsvoll zu bleiben. Gott kennt all das, was Menschen missverstehen und verkehrt deuten. Darum dürfen wir unsere Sache getrost in seine Hände legen. Er wird jene, die ihr Vertrauen auf ihn setzen, so gewiss rechtfertigen, wie er Achans Schuld heimsuchte. Wer vom Geist des Herrn angetrieben wird, wird jene Liebe besitzen, die "langmütig und freundlich" ist (1 Kor 13,4a).

Gott will, dass unter seinem Volk Eintracht und brüderliche Liebe herrschen. Kurz vor seiner Kreuzigung betete Christus darum, dass seine Jünger eins seien, wie er mit dem Vater eins ist, damit die Welt glaubt, dass Gott ihn gesandt hat (vgl. Johannes 17,21b). Dieses wunderbare, ergreifende Gebet wirkt weiter durch die Jahrhunderte bis in unsere Zeit. Denn seine Worte lauteten: "Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden." (Johannes 17,20) Wir sollen zwar keinen einzigen Grundsatz der Wahrheit opfern, aber es sollte unser ständiges Ziel sein, diese Einheit zu erreichen. Das ist der Beweis unserer Jüngerschaft. Jesus erklärte: "An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid." (Johannes 13,35 GNB) Der Apostel Petrus ermahnte die Gemeindeglieder: "Euch allen schließlich sage ich: Haltet in derselben Gesinnung zusammen und habt Mitgefühl füreinander! Liebt euch gegenseitig als Brüder und Schwestern! Seid gütig und zuvorkommend zueinander! Vergeltet Böses nicht mit Bösem und gebt Beleidigungen nicht wieder zurück! Im Gegenteil, segnet eure Beleidiger, denn Gott hat euch dazu berufen, seinen Segen zu empfangen." (1. Petrus 3,8.9 GNB)