Wie Alles Begann

Kapitel 54

Simson

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Richter 13 bis 16.

Inmitten des weit verbreiteten Abfalls gab es treue Anbeter Gottes, die fortfuhren, ihn um die Befreiung Israels anzuflehen. Obwohl es schien, als käme keine Antwort, obwohl Jahr für Jahr die Hand der Unterdrücker immer schwerer auf dem Land lastete, sorgte Gottes Vorsehung bereits für Hilfe. Gleich in den ersten Jahren der Unterdrückung durch die Philister wurde ein Kind geboren, durch das Gott die Macht dieser Feinde demütigen wollte.

Am Rand des Hügellandes, von dem man die Philisterebene überschauen konnte, lag die kleine Stadt Zora. Hier wohnte die Familie Manoachs aus dem Stamm Dan, eine der wenigen Familien, die bei der allgemein vorherrschenden Abtrünnigkeit Jahwe treu geblieben war. Eines Tages erschien Manoachs kinderloser Frau der "Engel des Herrn" mit der Botschaft, sie werde einen Sohn bekommen, durch den Gott anfangen werde, Israel zu befreien (Richter 13,3). Im Hinblick darauf gab ihr der Engel Anweisungen für die eigene zukünftige Lebensweise und die Behandlung des Kindes: "Achte darauf, dass du weder Wein noch andere alkoholische Getränke zu dir nimmst und auch keine unreinen Speisen isst." (Richter 13,4 NLB) Dasselbe Verbot galt von Anfang an auch für das Kind mit dem Zusatz, sein Haar nicht zu schneiden, denn das Kind sollte von Geburt an ein Geweihter Gottes sein (vgl. 4. Mose 6,2-5).

Die Frau ging zu ihrem Mann, beschrieb ihm den Engel und wiederholte dessen Botschaft. Voller Sorge, sie könnten bei der ihnen anvertrauten wichtigen Aufgabe etwas falsch machen, betete ihr Mann: "Bitte, Herr, lass doch den Gottesmann noch einmal zu uns kommen! Er soll uns genau sagen, was wir mit dem Kind, das er uns angekündigt hat, machen sollen." (Richter 13,8 GNB)

Als der Engel daraufhin nochmals erschien, erkundigte sich Manoach genau: "Wie sollen wir mit dem Jungen umgehen?" Der Engel wiederholte seine vorher gegebenen Anweisungen: "Deine Frau soll alle meine Anweisungen beachten. Sie darf keine Trauben oder Rosinen essen, keinen Wein oder andere alkoholische Getränke zu sich nehmen und keine unreinen Speisen essen. Sie soll alles beachten, was ich ihr angewiesen habe." (Richter 13,12-14 NLB)

Die Verantwortung Der Eltern

Gott hatte für das verheißene Kind Manoachs eine wichtige Aufgabe. Es galt, seine Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln. Deshalb mussten die Lebensgewohnheiten von Mutter und Kind sorgfältig festgelegt werden. Sie soll "Wein oder andere alkoholische Getränke" nicht trinken, lautete die Unterweisung des Engels für Manoachs Frau, "und keine unreinen Speisen essen. Sie soll alles beachten, was ich ihr angewiesen habe." (Richter 13,14 NLB) Die Gewohnheiten einer Mutter werden sich auf das Kind auswirken - sei es zum Wohl oder zum Unheil. Sie muss sich grundsätzlich beherrschen sowie Mäßigkeit und Selbstverleugnung üben, wenn sie auf das Wohlergehen ihres Kindes bedacht ist. Unkluge Berater werden ihr vielleicht einreden, sie müsse jedem Wunsch und Verlangen nachgeben, doch das ist verkehrt und schädlich. Mit feierlichem Ernst verpflichtet Gottes Gebot eine Mutter zur Selbstbeherrschung.

Und wie die Mütter sind auch die Väter in diese Verantwortung einbezogen. Beide Elternteile vererben ihre geistigen und körperlichen Veranlagungen und Neigungen an ihre Kinder. Als Folge elterlicher Unmäßigkeit fehlt es Kindern oft an körperlicher Stärke und geistiger und moralischer Kraft. Trinker und Raucher können und werden ihr unersättliches Verlangen, ihr unreines Blut und ihre gereizten Nerven an ihre Kinder weitergeben. Undisziplinierte Menschen reichen ihre gottlosen Begierden und sogar grässliche Krankheiten an ihre Nachkommen weiter. Und da die Kinder weniger Kraft besitzen, den Versuchungen zu widerstehen, als die Eltern hatten, geht es mit jeder Generation weiter bergab. Eltern sind nicht nur in hohem Maß für den Hang zur Gewalttätigkeit und die abartigen Neigungen ihrer Kinder verantwortlich, sondern auch in vielen Fällen für die Schwächen derer, die taub, blind, krank oder geistig behindert geboren werden.

Jeder Vater und jede Mutter sollte sich die Frage stellen: "Wie sollen wir uns gegenüber dem Kind, das uns geboren werden wird, verhalten?" Viele nehmen die Auswirkungen der vorgeburtlichen Einflüsse viel zu leicht. Aber die Unterweisung, die der Himmel jenen israelitischen Eltern gab - und dann noch sehr klar und feierlich wiederholte -, zeigt, wie unser Schöpfer die Sache sieht.

Erziehung Zur Selbstbeherrschung

Es genügte nicht, dass das verheißene Kind von seinen Eltern gute Anlagen erben sollte. Eine sorgfältige Erziehung und die Entwicklung richtiger Gewohnheiten sollten sich anschließen. Gott ordnete an, dass der zukünftige Richter und Retter Israels schon von Kindheit an strikte Enthaltsamkeit lernen musste. Er sollte von Geburt an ein Nasiräer sein, dem der Genuss von Wein und sonstigen berauschenden Getränken für immer untersagt war (vgl. 4. Mose 6,2.3). Kinder sollen schon von klein auf Mäßigkeit, Selbstverleugnung und Selbstbeherrschung lernen.

Die Anweisung des Engels schloss auch ein, "nichts Unreines [zu] essen". Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen (vgl. 3. Mose 11) war nicht bloß eine zeremonielle oder willkürliche Vorschrift, sondern beruhte auf den Prinzipien der Gesunderhaltung. Auf die Befolgung dieser Unterscheidung kann man in hohem Maß die Jahrtausende lange staunenswerte Lebenskraft des jüdischen Volkes zurückführen. Die Grundsätze der Mäßigkeit dürfen nicht nur auf den Gebrauch von alkoholischen Getränken angewandt werden. Der Verzehr von Genussmitteln und schlecht verdaulicher Nahrung ist häufig ebenso gesundheitsschädigend. In vielen Fällen legt dies den Keim zur Trunksucht. Wahre Mäßigkeit lehrt uns, alles Schädliche völlig zu meiden und das, was der Gesundheit dient, wohlüberlegt zu gebrauchen. Nur wenige sind sich ausreichend bewusst, wie sehr ihre Ernährungsgewohnheiten mit ihrer Gesundheit, ihrem Charakter, ihrer Nützlichkeit in dieser Welt und ihrem ewigen Schicksal zu tun haben. Die Esslust sollte jederzeit unter der Herrschaft der moralischen und geistigen Kräfte stehen. Der Körper sollte dem Geist dienen und nicht der Verstand dem Körper untergeordnet sein.

Eine Verbindung, Die Gott Nicht Gutheisst

Gottes Verheißung an Manoach erfüllte sich genau wie vorgesehen. Ihm wurde ein Sohn geboren, dem er den Namen Simson gab. Als der Junge heranwuchs, zeigte es sich, dass er über außergewöhnliche Körperkräfte verfügte. Simson selbst und seine Eltern wussten genau, dass er das nicht seinen gut ausgebildeten Muskeln verdankte, sondern der Tatsache, dass er ein Nasiräer war, wofür er als Sinnbild ungeschorenes Haar trug. Hätte Simson die göttlichen Befehle ebenso gewissenhaft befolgt wie seine Eltern, wäre sein Leben edler und glücklicher verlaufen! Aber sein Umgang mit Götzendienern verdarb ihn. Die Stadt Zora lag dicht an der Grenze zum Land der Philister, und Simson stand bald in freundschaftlichem Kontakt mit ihnen. So kam es in seinen jungen Jahren zu Vertraulichkeiten, deren Einfluss sein ganzes Leben verdüsterte. Eine junge Frau aus Timna gewann Simsons Zuneigung, und er beschloss, sie zu heiraten. Seine gottesfürchtigen Eltern versuchten, ihn davon abzubringen, aber er gab ihnen lediglich zur Antwort: "Sie gefällt mir." (Richter 14,3c NLB) Schließlich gaben sie seinem Wunsch nach. Die Hochzeit fand statt.

Gerade als er ins Mannesalter kam, in dem er seinen göttlichen Auftrag durchführen sollte - zu der Zeit also, in der er Gott vor allem hätte treu sein müssen -, verband er sich mit Israels Feinden. Er fragte weder danach, ob er Gott mit der Wahl dieser jungen Frau ehrte, noch ob er sich damit in eine Lage brachte, in der er seiner Lebensaufgabe nicht gerecht werden konnte. Gott hat allen, die sich an erster Stelle darum bemühen, ihn zu ehren, Weisheit zugesagt. Aber es gibt keine Verheißung für diejenigen, die entschlossen sind, sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen.

Wie viele machen es ähnlich wie Simson! Wie oft werden Ehen zwischen Gläubigen und Gottlosen geschlossen, bei denen nur die Zuneigung den Ausschlag bei der Partnerwahl gab! Die Beteiligten fragen weder Gott um Rat, noch haben sie seine Ehre im Blick. Gerade bei der Eheschließung sollte der christliche Glaube einen beherrschenden Einfluss ausüben, aber allzu oft haben die Beweggründe, die zur Verbindung führen, nichts mit christlichen Grundsätzen zu tun.

Satan bemüht sich ständig, seine Macht über Gottes Volk zu vergrößern, indem er es dazu verleitet, Bindungen mit seinen Untertanen einzugehen. Um das zu erreichen, versucht er, im Herzen unheilige Begierden zu wecken. Aber der Herr hat in seinem Wort sein Volk deutlich davor gewarnt, sich mit denen zusammenzutun, die ihn nicht lieben. "Zieht nicht an einem Strang mit Leuten, die nicht an Christus glauben. Was haben denn Gottes Gerechtigkeit und die Gesetzlosigkeit dieser Welt miteinander zu tun? Wie passen Licht und Finsternis zusammen? Was hat Christus mit dem Teufel gemeinsam? Oder was verbindet einen Glaubenden mit einem Ungläubigen?" (2. Korinther 6,14.15 Hfa)

Beim Hochzeitsfest wurde Simson mit denen, die den Gott Israels hassten, noch vertrauter. Wer solche Beziehungen freiwillig aufnimmt, wird nicht darum herumkommen, sich bis zu einem gewissen Grad den Sitten und Gewohnheiten seiner Gefährten anzupassen. Die auf solche Weise verbrachte Zeit ist mehr als vergeudet, denn es werden Ansichten geäußert, die dazu neigen, feste Grundsätze zu durchbrechen und den inneren Halt zu schwächen.

Auseinandersetzungen Mit Den Philistern

Die Ehefrau, um derentwillen Simson Gottes Gebot übertreten hatte, übte noch vor dem Abschluss der Hochzeitsfeierlichkeiten Verrat an ihrem Mann. 31Empört über ihr niederträchtiges Verhalten verließ Simson sie kurzerhand und kehrte allein nach Zora in sein Zuhause zurück. Als sein Zorn nachgelassen hatte, ging er wieder zu seiner Frau. Doch er erfuhr, dass sie inzwischen einem anderen Mann gegeben worden war. Aus Rache verwüstete Simson daraufhin alle Felder und Weinberge der Philister. Diese waren darüber so erzürnt, dass sie die Frau umbrachten, obwohl ihre Drohungen sie erst zum Verrat getrieben hatten, mit dem das Ganze begonnen hatte.

Simson hatte seine erstaunliche Kraft schon unter Beweis gestellt, als er ganz allein einen jungen Löwen tötete und 30 Männer aus Aschkelon erschlug (vgl. Richter 14,5.6.19). Die barbarische Ermordung seiner Frau und deren Familie versetzte ihn in eine solche Wut, dass er die Philister eigenhändig angriff und sie "gründlich zusammenschlug - ein gewaltiger Schlag". Dann zog er sich in Sicherheit zurück und fand "in der Felsspalte von Etam" im Gebiet von Juda Schutz (Richter 15,8 Elb.).

Bis dorthin verfolgte ihn eine starke Streitmacht. Die Bewohner Judäas kamen in ihrer großen Angst zu der feigen Übereinkunft, ihn an seine Feinde auszuliefern. Deshalb zogen 3000 Männer vom Stamm Juda zu ihm hinauf. Trotz dieser großen Übermacht hätten sie es nicht gewagt, in seine Nähe zu kommen, wenn sie nicht sicher gewesen wären, dass er ihnen als seinen Landsleuten nichts antun werde. Simson willigte ein, dass man ihn fesselte und den Philistern übergab. Aber zuerst verlangte er den Männern Judas das Versprechen ab, ihn nicht anzugreifen und zu zwingen, sie zu vernichten. Er ließ sich mit zwei neuen Stricken binden und in das Lager seiner Feinde führen, wo darüber großer Jubel herrschte. Aber noch während ihr Jubelschrei von den Hügeln widerhallte, "geriet der Geist des Herrn über ihn". Er zerriss die starken neuen Stricke, als wären es "Fäden, die das Feuer versengt" (Richter 15,14 GNB) hatte. Dann ergriff er die erstbeste Waffe, die ihm unter die Hände kam. Es war zwar nur ein Eselskinnbacken, aber dieser half ihm mehr als ein Schwert oder Speer. Er schlug auf die Philister mit solcher Gewalt ein, dass sie in panischem Schrecken flohen und 1000 Erschlagene auf dem Feld zurückließen.

Wären die Israeliten bereit gewesen, sich Simson anzuschließen und den Sieg auszunützen, hätten sie sich damals von der Macht ihrer Unterdrücker befreien können. Aber sie waren mutlos und feige geworden. Den Befehl Gottes zur Enteignung der Heiden hatten sie nicht ausgeführt und stattdessen bei ihren entwürdigenden Bräuchen mitgemacht und ihre Grausamkeiten geduldet und - solange es sie nicht selbst betraf - ihre Ungerechtigkeit gebilligt. Sobald sie aber selbst von den Tyrannen unterdrückt wurden, nahmen sie die Erniedrigung kampflos hin. Dieser wären sie entkommen, wenn sie Gott gehorcht hätten. Selbst als der Herr ihnen Befreier erweckte, ließen sie diese nicht selten im Stich und schlossen sich ihren Feinden an.

Simson Als Richter Israels

Nach seinem Sieg machten die Israeliten Simson zum Richter. Er regierte Israel 20 Jahre lang. Doch ein falscher Schritt bereitet schon den Weg für den nächsten. Simson hatte Gottes Gebot übertreten, als er sich eine Frau von den Philistern nahm und wagte sich erneut unter sie, die jetzt seine Todfeinde waren, um einer unerlaubten Leidenschaft nachzugeben. Im Vertrauen auf seine große Kraft, die den Philistern solchen Schrecken eingejagt hatte, ging er kühn nach Gaza, um eine Prostituierte jenes Ortes zu besuchen. Die Einwohner der Stadt erfuhren von seiner Anwesenheit und sannen auf Rache. Ihr Feind war innerhalb der Mauern der am stärksten befestigten aller ihrer Städte eingeschlossen. Die Philister waren sich ihrer Beute sicher und warteten nur noch den Morgen ab, um ihren Triumph zu vollenden. Um Mitternacht wurde Simson wach. Die anklagende Stimme seines Gewissens weckte in ihm Reue, als er daran dachte, dass er sein Gelübde als Nasiräer gebrochen hatte. Aber trotz seiner Sünde hatte Gottes Barmherzigkeit ihn nicht verlassen. Wieder konnte er sich durch seine ungeheure Kraft befreien. Er ging zum Stadttor, riss es samt Pfosten und Riegeln aus seiner Verankerung und trug es auf einen Hügel auf dem Weg nach Hebron.

Delila, Die Betrügerische Geliebte

Aber selbst dieses knappe Entrinnen brachte Simson nicht von seinem verkehrten Weg ab. Zwar wagte er sich nicht wieder mitten unter die Philister, aber er suchte weiterhin seine sinnlichen Freuden, die ihn schließlich ins Verderben führten. Bald "gewann er eine Frau im Tal Sorek lieb", unweit von seinem Geburtsort; "ihr Name war Delila", die Verzehrerin (Richter 16,4 Elb.). Das Tal Sorek war für seine Weinberge berühmt. Auch diese bedeuteten für den wankelmütigen Nasiräer eine Versuchung. Er hatte sich bereits dem Weingenuss hingegeben und somit ein weiteres Band zerrissen, das ihn an die Reinheit und an Gott gebunden hatte. Die Philister beobachteten das Treiben ihres Feindes sehr genau. Da er sich durch seine neue Bindung weiter erniedrigte, beschlossen sie, ihn durch Delila völlig zugrunde zu richten.

Eine Abordnung führender Männer aus allen Gebieten der Philister wurde ins Tal Sorek gesandt. Sie wagten ihn nicht anzugreifen, solange er im Besitz seiner großen Stärke war, wollten aber - falls möglich - das Geheimnis seiner Kraft erfahren. Deshalb bestachen sie Delila, um es ausfindig zu machen. Sie sollte es ihnen verraten.

Als die Verräterin Simson mit ihren Fragen bearbeitete, täuschte er sie mit der Erklärung, er werde schwach wie andere Menschen, wenn man ihn auf bestimmte Weise behandle. Als sie dies ausprobierte, wurde der Betrug aufgedeckt. Da warf sie ihm Unwahrhaftigkeit vor und sagte: "Wie kannst du sagen, dass du mich liebst, wenn du mir nicht vertraust? Du hast mich jetzt drei Mal getäuscht und mir noch immer nicht gesagt, was dich so stark macht." (Richter 16,15 NLB) Dreimal erhielt Simson den eindeutigen Beweis, dass die Philister mit seiner Liebhaberin im Bunde waren, um ihn zu vernichten. Aber jedes Mal, wenn ihr Plan misslang, tat sie die Sache als Scherz ab, und er verdrängte unbedacht seine Angst.

Tag für Tag bedrängte ihn Delila, bis "er es nicht mehr aushielt" (Richter 16,16 NLB), doch eine geheimnisvolle Kraft hielt ihn an ihrer Seite. Schließlich wurde er überwunden und verriet sein Geheimnis: "Noch nie in meinem Leben sind mir die Haare geschnitten worden. Seit meiner Geburt bin ich dem Herrn geweiht. Wenn man mir die Haare abschneidet, verliere ich meine Kraft und bin nicht stärker als irgendein anderer Mensch." (Richter 16,17 GNB) Sofort sandte sie einen Boten zu den Fürsten der Philister und forderte sie dringend auf, unverzüglich zu ihr zu kommen. Während der Krieger schlief, schnitt man ihm die schwere Menge seines Haares ab. Dann rief sie, wie sie es schon dreimal getan hatte: "Philister über dir, Simson!" (Richter 16,20a) Als er plötzlich erwachte, wollte er seine Kraft wie früher anwenden und sie vernichten. Aber die kraftlos gewordenen Arme versagten den Dienst, und er begriff, "dass der Herr von ihm gewichen war" (Richter 16,20b). Als er geschoren war, fing Delila an, ihn zu ärgern und ihm Schmerzen zuzufügen, um seine Kraft auf die Probe zu stellen, denn die Philister trauten sich nicht an ihn heran, ehe sie nicht restlos überzeugt waren, dass ihn seine Stärke verlassen hatte. Dann ergriffen sie ihn, stachen ihm beide Augen aus und nahmen ihn mit nach Gaza. Hier wurde er im Gefängnis mit Ketten gebunden und zu schwerer Arbeit gezwungen.

Ein Gefangener Der Philister

Was für eine Veränderung für den einstigen Richter und Helden Israels! Nun war er schwach, blind, gefangen und zu niedrigstem Dienst verurteilt. Nach und nach hatte er alle Bedingungen seiner heiligen Berufung verletzt. Gott hatte lange Geduld mit ihm gehabt. Aber als sich Simson der Macht der Sünde so weitgehend gebeugt hatte, dass er sein Geheimnis preisgab, verließ ihn der Herr. In seinem langen Haar lag keine Kraft, es war ein Zeichen seiner Treue zu Gott. Während er sich seiner Leidenschaft hingab, opferte er dieses Zeichen und verlor damit auch den Segen, für den es stand.

In Leid und Erniedrigung und als Belustigung für die Philister wurde sich Simson seiner Schwäche mehr als je zuvor bewusst. Sein Elend führte ihn zur Reue. Als sein Haar nachwuchs, kehrte seine Kraft allmählich zurück, aber seine Feinde hegten keine Befürchtungen, denn sie sahen in ihm nur einen gefesselten, hilflosen Gefangenen.

Die Philister schrieben ihren Sieg ihren Göttern zu. Triumphierend spotteten sie über den Gott Israels. Sie veranstalteten ein Fest zu Ehren des Fischgottes Dagon, des Beschützers des Meeres. Aus dem gesamten Philister-Land kamen Stadt- und Landvolk und seine Fürsten zusammen. Scharen von Anbetern füllten den riesigen Tempel und drängten sich auf den Dachgalerien. Überall herrschte Feststimmung. Auf den Prunk des Opferritus folgten Musik und ein Festgelage. Dann wurde Simson als krönendes Siegeszeichen für Dagons Macht hereingeführt. Triumphgeschrei begrüßte sein Erscheinen. Das Volk und die Herrscher spotteten über sein Elend und huldigten dem Gott, der den, "der unser Land verwüstete und viele von uns erschlug", überwunden habe (Richter 16,24b).

Simsons Letzter Sieg

Nach einer Weile tat Simson so, als wäre er müde, und bat, sich an die beiden Hauptsäulen lehnen zu dürfen, die das Tempeldach trugen. Dann betete er still: "Allmächtiger Herr, erinnere dich an mich. O Gott, gib mir noch ein einziges Mal Kraft, damit ich, o Gott, mich an den Philistern für den Verlust meiner Augen rächen kann." (Richter 16,28 NLB) Danach umfasste er die Säulen mit seinen kräftigen Armen. Mit dem Ruf: "Ich will sterben mit den Philistern!" beugte er sich. Das Dach stürzte ein und begrub mit lautem Krachen die große Menschenmenge unter sich, "sodass es mehr Tote waren, die er durch seinen Tod tötete, als die er zu seinen Lebzeiten getötet hatte" (Richter 16,30).

Das Götzenbild und seine Anbeter - Priester und Bauern, Krieger und Edelleute - wurden gemeinsam unter den Trümmern des Dagon-Tempels begraben. Und mitten unter ihnen lag auch die Riesengestalt Simsons, den Gott zum Befreier seines Volkes ausersehen hatte. Die Nachricht vom schrecklichen Geschehen drang bis nach Israel. Da kamen seine Verwandten von ihren Hügeln herab und bargen - ohne auf Widerstand zu stoßen - den Leichnam des gefallenen Helden "und brachten ihn hinauf und begruben ihn im Grab seines Vaters Manoach zwischen Zora und Eschtaol" (Richter 16,31).

Gottes Verheißung, Simson werde "anfangen, Israel aus der Hand der Philister zu retten" (Richter 13,5c Elb.), hatte sich erfüllt. Aber wie düster und schrecklich ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, der Gott zur Ehre und zur Verherrlichung seines Volkes hätte dienen können! Wäre Simson seiner göttlichen Berufung treu geblieben, hätte Gott ihn dadurch ehren und erhöhen können, dass er seine Absichten durch ihn verwirklichte. Aber Simson gab den Versuchungen nach und erwies sich des Vertrauens nicht würdig. Darum endete seine Sendung mit Niederlage, Sklavendienst und Tod.

Wahre Stärke Zeigt Sich In Der Beherrschung Der Eigenen Begierden

Körperlich war Simson der stärkste Mensch auf Erden, aber in Bezug auf Selbstbeherrschung, Rechtschaffenheit und Standhaftigkeit gehörte er zu den schwächsten. Viele halten starke Leidenschaften irrtümlich für das Zeichen eines starken Charakters, aber in Wahrheit ist der Mensch, der sich von seinen Begierden beherrschen lässt, ein Schwächling. Die wahre Größe eines Menschen lässt sich an der Stärke der Gefühle messen, die er beherrscht, nicht an der Stärke der Gefühle, die ihn beherrschen.

Simsons Leben war unter Gottes fürsorglicher Obhut gestanden, damit er für die Aufgabe vorbereitet war, zu der er berufen wurde. Seit frühester Kindheit umgaben ihn Verhältnisse, die günstige Voraussetzungen für die Entwicklung körperlicher Stärke, geistiger Fähigkeiten und moralischer Reinheit boten. Aber durch seinen schlechten Umgang ließ er den Halt an Gott - den einzigen Schutz des Menschen - fahren und wurde von der Flut des Bösen fortgerissen. Auch wer seine Pflicht erfüllt, wird in Versuchungen geraten, aber er kann gewiss sein, dass Gott ihn bewahren wird (vgl. 1. Korinther 10,13). Wer sich jedoch absichtlich unter die Macht der Versuchung begibt, wird früher oder später zu Fall kommen.

Gerade bei denen, die Gott als seine Werkzeuge für besondere Aufgaben benutzen möchte, wendet Satan all seine Verführungskünste an. Er greift uns stets an unseren schwachen Stellen an und nutzt unsere charakterlichen Mängel, um die Herrschaft über den ganzen Menschen zu gewinnen. Und er weiß, dass es ihm gelingen wird, wenn wir diese Charaktermängel hegen. Aber niemand braucht sich besiegen zu lassen. Der Mensch muss nicht allein mit seinen schwachen Kräften die Macht des Bösen überwinden. Hilfe ist vorhanden und wird jedem gewährt, der wirklich danach verlangt. Die Engel Gottes, die Jakob in seiner Vision die Leiter auf- und niedersteigen sah (vgl. 1. Mose 28,12), helfen jedem Menschen, der es nur will, zum höchsten Himmel emporzusteigen.