Wie Alles Begann

Kapitel 72

Absaloms Aufstand Gegen David

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2. Samuel 13,1 bis 19,9.

Der Übeltäter solle die Schuld "vierfach bezahlen" - das war Davids Urteil gewesen, das er unwissentlich über sich aussprach, als er die Geschichte des Propheten Nathan gehört hatte (2. Samuel 12,6). Und nach seinem eigenen Urteil sollte er gerichtet werden. Vier seiner Söhne mussten sterben. Der Verlust eines jeden von ihnen war eine Folge der väterlichen Sünde.

Amnons Schandtat Und Absaloms Rache

Amnon verliebte sich in seine Halbschwester Tamar. Schließlich "überwältigte und vergewaltigte" er sie (2. Samuel 13,14b NLB). Dieses schändliche Verbrechen seines Erstgeborenen ließ David jedoch ungestraft und ungerügt durchgehen. Das Gesetz verbot Blutschande und verlangte die Todesstrafe für Ehebrecher (vgl. 3. Mose 18,9; 20,17). Amnons ungeheuerlicher Frevel ließ ihn also doppelt schuldig werden. Aber David, der sich wegen seiner eigenen Sünde selbst verdammte, brachte es nicht fertig, den Übeltäter zur Rechenschaft zu ziehen.

Zwei volle Jahre lang verheimlichte Absalom, der von Kind auf der Beschützer seiner so übel behandelten Schwester war, seine Racheabsichten, aber nur um am Ende umso sicherer zuzuschlagen. Auf einem Fest der Königssöhne ließ er den betrunkenen, blutschänderischen Amnon erschlagen (vgl. 2. Samuel 13,28.29).

Damit war David von einem zweiten Strafgericht heimgesucht worden. Man überbrachte ihm die furchtbare Nachricht, "Absalom habe alle Söhne des Königs erschlagen, dass nicht einer von ihnen übrig geblieben sei. Da stand der König auf und zerriss seine Kleider und legte sich auf die Erde, und alle seine Großen, die um ihn standen, zerrissen ihre Kleider." (2. Samuel 13,30.31) Als die anderen Söhne des Königs bestürzt nach Jerusalem zurückkehrten, berichteten sie ihrem Vater die Wahrheit: Nur Amnon war ermordet worden. Und sie "weinten und klagten. Auch der König und seine Diener brachen in Tränen aus." (2. Samuel 13,36 NLB) Absalom floh zu König Talmai von Geschur, dem Vater seiner Mutter (vgl. 2. Samuel 3,3).

Wie den anderen Söhnen Davids war auch Amnon gestattet worden, seinen selbstsüchtigen Neigungen nachzugeben. Amnon hatte sich jeden Wunsch seines Herzens erfüllt, ungeachtet der Forderungen Gottes. Trotz seiner großen Sünde hatte Gott viel Geduld mit ihm. Zwei Jahre lang wurde ihm Gelegenheit zur Reue gewährt, doch er lebte weiter in Sünde, und schuldbeladen ereilte ihn der Tod. Nun wartet das schreckliche Urteil des jüngsten Gerichts auf ihn.

David hatte es versäumt, Amnons Frevel zu bestrafen. Wegen dieser Pflichtvergessenheit des königlichen Vaters und der Unbußfertigkeit des Sohnes ließ der Herr den Dingen ihren natürlichen Lauf und hielt Absalom nicht zurück. Wenn Eltern oder Herrscher ihre Pflicht versäumen, die Bosheit zu bestrafen, wird sich Gott selbst der Sache annehmen. Er zieht seine bändigende Macht nach und nach von den Werkzeugen des Bösen zurück, sodass im Zuge der folgenden Ereignisse Sünde mit Sünde bestraft wird.

Joab Erwirkt Absaloms Rückkehr

Davids ungerechtfertigte Nachsicht gegenüber Amnon hatte noch weitere böse Folgen, denn damit begann die Entfremdung zwischen Absalom und seinem Vater. Als Absalom nach Geschur geflohen war, realisierte David, dass das Verbrechen seines Sohnes auf irgendeine Weise bestraft werden müsste, und so verweigerte er ihm das Recht auf eine Rückkehr. Doch dies führte dazu, dass die heillose Verstrickung, in die der König geraten war, eher schlimmer als besser wurde. Absalom - tatkräftig, ehrgeizig, rücksichtslos und durch sein Exil von der Teilhabe an den Regierungsangelegenheiten ausgeschlossen - machte sich bald daran, gefährliche Ränke zu schmieden.

Nach zwei Jahren beschloss Joab, eine Versöhnung zwischen Vater und Sohn herbeizuführen. In dieser Absicht sicherte er sich die Hilfe einer Frau aus Tekoa, die für ihre Weisheit bekannt war. Joab wies sie an, sich bei David als Witwe auszugeben, deren zwei Söhne ihr einziger Trost und ihre Stütze gewesen waren. Im Streit habe der eine den anderen erschlagen, und nun forderten alle Verwandten, der Überlebende solle dem Bluträcher ausgeliefert werden. "Sie wollen", sagte die Mutter, "mir also den letzten Sohn und Erben nehmen, sodass der Name meines Mannes und seine Familie vom Angesicht der Erde verschwinden werden." (2. Samuel 14,7 NLB) Diese Bitte berührte das Herz des Königs und er versprach der Frau, ihrem Sohn königlichen Schutz zu gewähren.

Nachdem sie ihm wiederholt Zusagen für die Sicherheit des jungen Mannes abgerungen hatte, bat sie den König um Verzeihung und erklärte, dass er als jemand gesprochen habe, der selbst schuldig sei, weil er seinen verbannten Sohn nicht nach Hause zurückhole. "Wir alle müssen irgendwann sterben", sagte sie, "unser Leben ist wie Wasser, das auf dem Boden verschüttet wurde und nicht wieder eingesammelt werden kann. Aber Gott löscht das Leben nicht aus, sondern versucht den Verbannten heimzuholen, damit er nicht weiter von ihm verstoßen bleibt!" (2. Samuel 14,14 NLB) Diese feinfühlige und ergreifende Darstellung der Liebe Gottes zum Sünder - die sogar vom rauen Krieger Joab stammte - ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, wie vertraut die Israeliten mit den großen Wahrheiten der Erlösung waren. Dem König wurde erneut bewusst, wie nötig er Gottes Barmherzigkeit hatte. Er konnte dem Aufruf nicht widerstehen. Joab erhielt den Auftrag: "So geh hin und bringe meinen Sohn Absalom zurück." (2. Samuel 14,21)

Absalom durfte zwar nach Jerusalem zurückkehren, aber nicht am Königshof oder vor seinem Vater erscheinen. Allmählich begann David, die üblen Folgen seiner Nachsichtigkeit gegenüber seinen Kindern zu erkennen. So sehr er diesen hübschen, begabten Sohn liebte, hielt er es um Absaloms und des Volkes willen doch für notwendig, deutlich zu zeigen, wie verabscheuungswürdig seine Freveltat war. Zwei Jahre lang lebte Absalom in seinem eigenen Haus, aber vom Königshof verbannt. Seine Schwester Tamar wohnte bei ihm. Ihre Anwesenheit hielt die Erinnerung an das nicht wiedergutzumachende Unrecht, das sie erlitten hatte, wach.

Absalom Macht Sich Beim Volk Beliebt

In der öffentlichen Einschätzung galt der Prinz nicht als Übeltäter, sondern als Held. Diesen Vorteil nutzte er aus, um die Herzen des Volkes für sich zu gewinnen. Aufgrund seiner persönlichen Erscheinung gewann er schnell die Bewunderung aller, die ihm begegneten. "Kein Mann in Israel war so schön und so bewundert wie Absalom. Er war vom Scheitel bis zur Sohle vollkommen." (2. Samuel 14,25 NLB) Es war nicht klug vom König, einen Mann wie Absalom - ehrgeizig, ungestüm und leidenschaftlich - zwei Jahre lang über vermeintliche Missstände nachgrübeln zu lassen (vgl. 2. Samuel 15,2-4). Und dass David ihm zwar erlaubt hatte, nach Jerusalem zurückzukehren, ohne ihm jedoch zu erlauben, in seine Gegenwart zu treten, trug Absalom das Mitgefühl des Volkes ein.

Die ständige Erinnerung an seine eigene Übertretung des Gesetzes Gottes schien David moralisch zu lähmen. Vor seiner großen Sünde war er mutig und entschlossen gewesen; aber nun war er schwach und unentschlossen. Sein Einfluss beim Volk hatte nachgelassen. All dies begünstigte die Absichten seines missratenen Sohnes.

Absalom verdankte es dem Einfluss Joabs, dass er schließlich wieder in der Gegenwart seines Vaters erscheinen durfte. Aber obwohl eine äußerliche Versöhnung zustande kam, hielt Absalom an seinen ehrgeizigen Plänen fest. Er nahm einen beinahe königlichen Status an, indem er Wagen und Pferde benutzte und sich mit einer Leibwache von 50 Männern umgab. Während der König immer mehr das Alleinsein und die Zurückgezogenheit suchte, warb Absalom eifrig um die öffentliche Gunst.

Davids Teilnahmslosigkeit und Unentschlossenheit übertrug sich auf seine Untergebenen. Die Rechtspflege wurde nur nachlässig gehandhabt. Urteile wurden verschleppt. Geschickt nutzte Absalom jeden Anlass der Unzufriedenheit zu seinem Vorteil. Tag für Tag konnte man ihn in vornehmer Haltung am Stadttor sitzen sehen, wo eine Schar von Bittstellern darauf wartete, ihre Nöte dem König vorzutragen, damit er Abhilfe schaffe.

Absalom mischte sich unter sie, hörte sich ihre Beschwerden an und brachte sein Mitgefühl für ihre Sorgen und sein Bedauern über die unbefriedigende Arbeit der Regierung zum Ausdruck. Hatte er sich die Geschichte eines Israeliten angehört, erwiderte er: "Du bist wirklich im Recht. Aber beim König ist niemand, der sich damit befassen wird." Und er fügte hinzu: "Ich wünschte, ich wäre der Richter in diesem Land. Dann könnten die Leute mit ihren Streitfällen zu mir kommen, und ich würde ihnen Gerechtigkeit verschaffen!" Und wenn sich die Menschen vor ihm verneigen wollten, ließ Absalom es nicht zu, sondern umarmte und küsste sie." (2. Samuel 15,3-5 NLB)

Absaloms Vorbereitungen Zum Aufstand

Durch solch listige Anspielungen schürte der Prinz eine rasch um sich greifende Unzufriedenheit mit der Regierung. Das Lob für Absalom breitete sich aus. Allgemein sah man in ihm den Erben des Königreiches. Stolz schaute das Volk auf ihn, denn man hielt ihn dieses hohen Amtes für würdig. So wurde der Wunsch nach seiner Thronübernahme geweckt. "Auf diese Weise stahl er dem König die Herzen der Männer Israels." (2. Samuel 15,6 GNB) Aber David - geblendet durch die Zuneigung zu seinem Sohn - ahnte nichts. Den fürstlichen Aufwand, den Absalom betrieb, fasste David so auf, als sollte damit seinem Hof Ehre erwiesen werden und als Ausdruck der Freude über die Aussöhnung.

Als das Volk auf die kommenden Ereignisse innerlich vorbereitet war, sandte Absalom heimlich ausgesuchte Männer zu den Stämmen, um die Vorkehrungen für einen Aufstand zu koordinieren. Vorerst aber sollten seine verräterischen Pläne unter dem Deckmantel religiöser Hingabe verborgen bleiben. Er wolle in Hebron ein Gelübde einlösen, das er vor langer Zeit im Exil abgelegt habe. Zum König sagte er: "Ich möchte nach Hebron gehen, um das Gelübde zu erfüllen, das ich dem Herrn gegeben habe. Als ich noch in Ge- schur in Syrien war, habe ich, dein ergebener Diener, dem Herrn versprochen: ›Wenn du mich nach Jerusalem zurückbringst, will ich dir ein Dankopfer dar- bringen.‹" (2. Samuel 15,7.8 GNB) Erfreut über diesen Beweis der Frömmigkeit seines Sohnes entließ ihn der liebevolle Vater mit seinem Segen. Damit war die Verschwörung ausgereift. Dieser krönende Akt der Scheinheiligkeit sollte nicht nur den König täuschen, sondern auch das Vertrauen des Volkes zu Absalom sichern, um es auf diese Weise zum Aufstand gegen den König zu führen, den doch Gott eingesetzt hatte.

Absalom brach nach Hebron auf. "Zweihundert Bürger aus Jerusalem begleiteten Absalom nach Hebron; sie waren als Festgäste eingeladen und gingen ahnungslos mit. Von Absaloms Plan wussten sie nichts." (2. Samuel 15,11 GNB) Diese Männer begleiteten Absalom und dachten nicht im Entferntesten daran, dass sie ihre Liebe zum Königssohn in einen Aufstand gegen den Vater hineinziehen würde. Unmittelbar nach der Ankunft in Hebron rief Absalom Ahitofel zu sich, einen der wichtigsten Ratgeber Davids. Er stand im Ruf großer Weisheit und sein Urteil hielt man für so weise und verlässlich, wie das eines Orakels. Ahitofel schloss sich den Verschwörern an. Mit seiner Unterstützung schien Absaloms Erfolg gesichert zu sein, zumal nun viele einflussreiche Männer aus allen Teilen des Landes zu ihm überliefen. Als die Posaune ertönte und den Aufstand bekannt machte, verbreiteten Agenten des Königssohnes im ganzen Land die Nachricht, Absalom sei König geworden. Daraufhin scharte sich eine große Volksmenge um ihn.

Davids Reaktion Auf Den Aufstand

Unterdessen drang die Schreckensnachricht bis zum König nach Jerusalem. David schreckte plötzlich auf und sah, dass in nächster Nähe seines Thrones ein Aufstand ausgebrochen war. Sein eigener Sohn, den er so geliebt und dem er vertraut hatte, trachtete danach, ihm die Krone zu entreißen und wollte ihm zweifellos auch das Leben nehmen. In dieser großen Gefahr schüttelte David die Schwermut ab, die ihn so lange bedrückt hatte. Mit dem Eifer seiner früheren Jahre bereitete er sich vor, dieser schrecklichen Notlage zu begegnen. Bei Hebron, nur gut 30 Kilometer entfernt, hatte Absalom seine Streitmacht gesammelt. Bald würden die Rebellen vor den Toren Jerusalems stehen.

Von seinem Palast aus blickte David auf seine Hauptstadt. "Schön ragt empor der Berg Zion, daran sich freut die ganze Welt ... die Stadt des großen Königs." (Psalm 48,3) Ihn schauderte beim Gedanken, dass sie Gemetzel und Verwüstung erleben sollte. War es richtig, dass er alle königstreuen Untertanen zu Hilfe rief, um mit ihnen seine Hauptstadt zu verteidigen? Durfte er in Jerusalem ein Blutbad zulassen? Er entschied: Die erwählte Stadt sollte die Schrecken eines Krieges nicht erleben. Er wollte Jerusalem verlassen, um dann die Treue seines Volkes auf die Probe zu stellen. Die Israeliten erhielten so die Gelegenheit, sich zu seiner Unterstützung zu sammeln. In dieser schweren Krise war er es Gott und seinem Volk schuldig, die ihm vom Himmel verliehene Autorität aufrechtzuerhalten. Den Ausgang des Kampfes überließ er Gott.

Davids Auszug Aus Jerusalem

Gedemütigt und schmerzerfüllt schritt David durch das Tor hinaus aus der Stadt Jerusalem. Die Auflehnung seines geliebten Sohnes hatte ihn vom Thron, aus seinem Palast und aus der Nähe der Lade Gottes vertrieben. In einem langen, traurigen Zug schloss sich ihm das Volk an wie zu einem Begräbnis. Davids Leibwache, die Kreter und Pleter, und 600 Gatiter unter dem Befehl Ittais begleiteten den König. In der ihm eigenen Selbstlosigkeit wollte David diese Fremden, die einst Schutz bei ihm gesucht hatten, nicht mit in sein Unglück hineinziehen. Er war überrascht, dass sie seinetwegen zu diesem Opfer bereit waren. Darum sagte der König zu Ittai: "Warum kommst du mit uns? Kehr um und bleib bei König Absalom, denn du bist Gast in Israel, ein Fremder in der Verbannung. Du bist erst gestern gekommen und jetzt sollst du mit uns flüchten? Ich weiß ja nicht einmal, wo ich hingehen werde. Kehr um und geh mit deinen Landsleuten zurück. Der Herr sei mit seiner Liebe und Treue bei dir." (2. Samuel 15,19.20 NLB)

Ittai antwortete: "So wahr der Herr lebt und so wahr mein Herr und König lebt, ich werde mit dir gehen, wohin du auch gehst, auch wenn es mich das Leben kosten sollte." (2. Samuel 15,21 NLB) Diese Männer hatten sich vom Heidentum zur Anbetung Jahwes bekehrt, und in edler Gesinnung blieben sie jetzt ihrem Gott und ihrem König treu. In seiner scheinbar ausweglosen Lage nahm David ihre Ergebenheit dankbar an. Sie zogen über den Bach Kid- ron der Wüste entgegen.

Noch einmal hielt der Zug an. Eine Gruppe Männer in heiligen Gewändern näherte sich ihnen. "Auch Zadok war mit den Leviten bei ihm, die die Bundeslade Gottes trugen." (2. Samuel 15,24 NLB) Davids Begleiter sahen dies als gutes Vorzeichen an. Die Anwesenheit dieser heiligen Lade war für sie ein Unterpfand ihrer Errettung und des letztendlichen Sieges. Sie würde dem Volk Mut machen, sich dem König anzuschließen. Ihr Fehlen in Jerusalem hingegen müsste Absaloms Anhänger erschrecken.

Der Anblick der Bundeslade ließ für einen kurzen Augenblick Davids Herz vor Freude und Hoffnung höher schlagen. Aber bald bewegten ihn andere Gedanken. Als berufener Herrscher über Gottes Erbe trug er eine heilige Verantwortung. Nicht persönlicher Vorteil, sondern Gottes Ehre und das Wohl seines Volkes mussten bei Israels König an erster Stelle stehen. Gott, der zwischen den Cherubim der Bundeslade weilte, hatte von Jerusalem gesagt: "Dies ist die Stätte meiner Ruhe." (Psalm 132,14) Ohne göttliche Ermächtigung hatten weder Priester noch der König das Recht, das Zeichen seiner Gegenwart von dort zu entfernen. David war sich bewusst, dass sein Herz und Leben mit Gottes Geboten in Übereinstimmung sein mussten, sonst würde die Lade eher Unheil als Glück bringen. Noch immer stand ihm seine große Sünde vor Augen. Und er erkannte in dieser Verschwörung das gerechte Gericht Gottes. Das Schwert, das nicht mehr von seinem Haus ablassen sollte, war blank gezogen. Er kannte den Ausgang des Kampfes nicht. Ihm stand es aber nicht zu, die heiligen Gesetzestafeln, die den Willen des göttlichen Herrschers verkörperten, aus der Hauptstadt wegzubringen, denn sie waren die Verfassung des Reiches und die Grundlage für dessen Wohlergehen. Deshalb gebot er Zadok: "Bring die Lade wieder in die Stadt! Wenn der Herr mit mir Erbarmen hat, bringt er mich eines Tages zurück und lässt mich die Lade und den Ort, an dem sie steht, wiedersehen. Wenn er aber sagt: ›Ich habe kein Gefallen mehr an dir‹, dann soll er mit mir machen, was er für richtig hält." (2. Samuel 15,25.26 GNB)

Weiter sagte David: "Bist du nicht der Seher?" (2. Samuel 15,27a Elb. Anm.) - also ein von Gott berufener Lehrer des Volkes. "Kehr du in Frieden in die Stadt zurück mit deinem Sohn Ahimaaz und Abjatar mit seinem Sohn Jonatan. Ich werde an den Furten des Jordan Halt machen und dort auf Nachricht von euch warten." (2. Samuel 15,27.28 NLB) In der Stadt könnten ihm die Priester gute Dienste leisten, wenn sie die Bewegungen und Absichten der Rebellen beobachteten und durch ihre Söhne Ahimaaz und Jonatan dem König heimlich davon Bericht geben würden.

Als die Priester nach Jerusalem umkehrten, schien sich auf die im Auszug begriffene Menge ein tiefer Schatten zu legen. Ihr König war ein Flüchtling, sie selbst waren Vertriebene und sogar die Lade Gottes hatte sie verlassen. Dunkel und unheilvoll lag die Zukunft vor ihnen. "David stieg den Ölberg hinauf. Er ging barfuß, hatte sein Gesicht verhüllt und weinte. Auch alle, die ihn begleiteten, verhüllten ihr Gesicht und weinten. Unterwegs wurde David gemeldet: "Auch Ahitofel steht auf der Seite der Verschwörer um Absalom!" (2. Samuel 15,30.31a GNB) Erneut musste David in diesem Unglück die Folgen seiner Sünde erkennen. Das Überlaufen Ahitofels, dieses außergewöhnlich fähigen und klugen politischen Kopfes, war die Rache für die Schmach, die seiner Familie durch das Unrecht an Batseba, seiner Enkelin, zugefügt worden war.

"Da sagte David: ›Mach doch, Herr, den Rat Ahitofels zur Torheit!‹" (2. Samuel 15,31b Elb.) Als er auf der Anhöhe des Ölbergs angekommen war, beugte er sich nieder zum Gebet, brachte seine Seelenlast vor Gott und flehte demütig um göttliches Erbarmen. Seine Bitten schienen augenblicklich erhört zu werden, denn der Arkiter Huschai, ein kluger und fähiger Ratgeber, der sich als aufrichtiger Freund Davids bewährt hatte, kam jetzt mit zerrissenen Kleidern und Erde auf dem Haupt zu ihm, um das Los des entthronten, flüchtigen Königs zu teilen. Wie durch göttliche Erleuchtung erkannte David, dass er gerade diesen treuen, redlichen Mann in der Hauptstadt brauchte, um die Anliegen des Königs in den Ratsversammlungen zu unterstützen. Auf Davids Bitte hin ging Huschai nach Jerusalem zurück, um Absalom seine Dienste anzubieten und Ahitofels listige Ratschläge zu vereiteln.

Ungerechtfertigte Beschuldigungen

Mit diesem Lichtblick in der Dunkelheit setzten der König und seine Begleiter ihren Weg fort, den Osthang des Ölbergs hinunter, durch felsige, trostlose Einöden und Bergschluchten auf dem steinigen, abschüssigen Weg zum Jordan hin. "Als König David an Bahurim vorüberzog, kam aus dem Dorf ein Mann heraus und verfluchte sie. Es war Schimi, der Sohn Geras, aus der Sippe Sauls. Er bewarf David und seine Leute mit Steinen, obwohl alle Krieger den König umgaben. ›Fort mit dir, du Mörder, du Übeltäter!‹, schrie er fluchend. ›Der Herr bestraft dich dafür, dass du Saul und seine Familie ermordet hast. Du hast ihm den Thron gestohlen und jetzt hat der Herr ihn deinem Sohn Absalom gegeben. Nun trifft dich das Unglück, und du hast es verdient, du Mörder!‹" (2. Samuel 16,5-8 NLB)

Solange es David gut gegangen war, hatte Schimi weder durch Worte noch durch Taten zu erkennen gegeben, dass er kein ergebener Untertan war. Als sich aber der König im Elend befand, offenbarte dieser Benjaminit seine wahre Gesinnung. Während David den Thron innehatte, zollte er ihm die nötige Ehre, aber in seiner Erniedrigung fluchte er ihm. Er war falsch und egoistisch und unterstellte anderen seine Charaktereigenschaften. Von Satan beeinflusst ließ er seinen Hass nun an demjenigen aus, den Gott heimgesucht hatte. Der Geist, der einen veranlasst, über jemand im Elend zu triumphieren, ihn zu verunglimpfen oder zu kränken, ist der Geist Satans.

Schimis Anschuldigungen gegen David waren völlig unberechtigt, und dadurch verleumdete er ihn böswillig und grundlos. David hatte weder Saul noch dessen Familie Unrecht getan. Als Saul völlig in seiner Gewalt war und er ihn hätte töten können, hatte er nur einen Zipfel von seinem Umhang abgeschnitten - und selbst dabei hatte er sich vorgeworfen, dem Gesalbten des Herrn gegenüber respektlos gehandelt zu haben.

Sogar als David von Saul wie ein wildes Tier gejagt wurde, hatte er seine Achtung vor dem menschlichen Leben eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Während er sich in der Höhle Adullam verborgen hielt, wanderten eines Tages seine Gedanken zurück in die unbekümmerte Freiheit seiner Jugendjahre, und er rief aus: "Wer will mir Wasser zu trinken holen aus dem Brunnen am Tor in Bethlehem?" (2. Samuel 23,15) Bethlehem war zu jener Zeit in den Händen der Philister. Drei seiner Krieger durchbrachen daraufhin die Lagerwache, um ihrem Herrn Wasser aus Bethlehem zu bringen. David wollte es aber nicht trinken. "Der Herr bewahre mich davor, es zu trinken", rief er. "Dieses Wasser ist so kostbar wie das Blut dieser Männer, die dafür ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben." (2. Samuel 23,17 NLB) Ehrerbietig goss er das Wasser aus als Opfergabe für Gott. David war ein Mann des Krieges gewesen, der über weite Strecken seines Lebens von Gewalt umgeben war. Aber nicht viele, die durch solch traumatische Situationen gegangen sind, wurden von dem verhärtenden und demoralisierenden Einfluss dieser Erlebnisse so wenig beeinträchtigt, wie David.

Davids Neffe Abischai, einer seiner tapfersten Hauptleute, konnte Schi- mis Schmähworte nicht mehr länger mit anhören. "Warum darf dieser tote Hund meinen Herrn, den König, verfluchen?", rief er empört. "Lass mich ihm den Kopf abschlagen!" (2. Samuel 16,9 NLB) Aber der König verbot es ihm mit den Worten: "Mein eigener Sohn will mich töten, hätte da nicht dieser Mann aus dem Stamm Benjamin sehr viel mehr Grund dazu? Deshalb lasst ihn in Ruhe, er soll mich verfluchen, denn der Herr hat es ihm aufgetragen. Vielleicht wird der Herr ja mein Elend sehen und wird mich segnen, statt die Flüche wahr werden zu lassen." (2. Samuel 16,11.12 NLB)

Die Wahren Ursachen Des Geschehens

Sein Gewissen hielt David bittere und demütigende Wahrheiten vor. Während sich seine treuen Untertanen über die plötzliche Wende des königlichen Geschicks wunderten, war sie für ihn kein Geheimnis. Schon so oft hatte er eine Vorahnung auf eine solche Stunde gehabt. Dabei hatte er sich immer gefragt, weshalb Gott mit seinen Sünden so lange Geduld hatte und die verdiente Strafe hinauszögerte. Nun befand er sich auf dieser eiligen, kummervollen Flucht, barfuß und in Sackleinen statt in Königsgewänder gekleidet. Während die lauten Klagerufe seiner Begleiter von den Hügeln widerhallten, dachte er an seine geliebte Hauptstadt, an jenen Ort, an dem er seine Sünde begangen hatte. Doch er erinnerte sich an die Güte und Langmut Gottes und blieb nicht gänzlich ohne Hoffnung. Er glaubte, dass der Herr auch weiter mit ihm barmherzig umgehen werde.

Schon mancher Übeltäter hat seine Sünde mit dem Hinweis auf Davids Fall zu entschuldigen versucht. Aber wie wenige gibt es, die Davids Reue und Demut aufbringen! Wie wenige würden Tadel und Vergeltung mit so viel Geduld und Stärke tragen wie er! Er hatte seine Sünde bekannt und sich danach jahrelang bemüht, als treuer Diener Gottes seine Pflicht zu tun. Er hatte am Aufbau des Reiches gearbeitet, das unter seiner Herrschaft stark geworden und zu nie gekanntem Wohlstand gekommen war. Er hatte reichlich Baumaterial zur Errichtung des Hauses Gottes zusammengetragen. Sollte nun seine ganze Lebensarbeit vergebens gewesen sein? Sollten die Früchte jahrelanger hingebungsvoller Mühe, das durch Geistesgröße, Hingabe und Staatskunst aufgebaute Werk, in die Hände seines unbesonnenen, verräterischen Sohnes übergehen, der weder Gottes Ehre noch Israels Wohl beachtete? Es wäre ganz natürlich gewesen, wenn David in diesem großen Elend gegen Gott gemurrt hätte.

Aber er sah die Ursache seiner Schwierigkeiten in seinen eigenen Verfehlungen. Die Worte des Propheten Micha atmen den Geist, der Davids Herz bewegte: "Ist um mich herum auch alles dunkel, ist doch der Herr selbst mein Licht. Ich habe gesündigt und muss nun den Zorn des Herrn ertragen, bis er meine Sache in die Hand nimmt und mir zu meinem Recht verhilft." (Micha 7,8.9 NLB) Und der Herr verließ David nicht. Eines der edelsten Kapitel seines Lebens wurde geschrieben: David erwies sich unter schrecklichem Unrecht und unter Beleidigungen dennoch demütig, selbstlos, großzügig und nachgiebig. Niemals war Israels Herrscher in den Augen des Himmels so wahrhaft groß wie in der Stunde seiner tiefsten äußerlichen Demütigung.

Hätte Gott David für seine Sünde ungestraft und in Frieden und Wohlergehen auf dem Thron belassen, obwohl er doch die göttlichen Grundsätze verletzt hatte, könnten Skeptiker und Ungläubige seine Geschichte - nicht ganz zu Unrecht - für ihre Kritik am biblischen Glauben heranziehen. Aber in der Erfahrung, durch die er David gehen ließ, zeigt der Herr, dass er Unrecht weder dulden noch entschuldigen kann. Und Davids Geschichte lässt uns auch die großen Ziele erkennen, die Gott in seinem Umgang mit der Sünde verfolgt. Sie ermöglicht es uns, selbst durch die dunkelsten Gerichte hindurch zu verfolgen, wie Gott mit seinen barmherzigen und wohltätigen Plänen ans Ziel gelangt. Gott ließ David die Zuchtrute spüren, aber er vernichtete ihn nicht. Der Schmelzofen soll läutern, aber nicht verzehren. Der Herr sagt: "Wenn sie meine Ordnungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen; aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden und meine Treue nicht brechen." (Psalm 89,32-34)

Absalom In Jerusalem Und Ahitofels Ratschläge

Bald, nachdem David Jerusalem verlassen hatte, zog Absalom mit seinem Heer ein und nahm die Festung Israels kampflos in Besitz. Einer der Ersten, die den frisch gekrönten Monarchen begrüßten, war Huschai. Der Königssohn war überrascht und erfreut darüber, dass sich ihm der alte Freund und Ratgeber seines Vaters anschloss. Absalom war sich seines Erfolges sicher. Bis jetzt waren ihm seine Pläne geglückt. Im Wunsch, seinen Thron zu festigen und das Vertrauen des Volkes zu gewinnen, hieß er Huschai an seinem Hof willkommen.

Absalom war nun von einer großen Streitmacht umgeben, aber das waren zumeist unausgebildete Männer, die bis dahin noch keinen Kampf erlebt hatten. Ahitofel wusste sehr wohl, dass Davids Lage keineswegs hoffnungslos war, denn noch war ihm ein großer Teil des Volkes treu ergeben. Er war umgeben von bewährten Kriegern, die fest zu ihrem König hielten, und fähige, erfahrene Feldherren befehligten sein Heer. Ahitofel war sich auch darüber im Klaren, dass nach dem ersten Sturm der Begeisterung zugunsten des neuen Königs irgendwann ein Rückschlag erfolgen werde. Sollte der Aufstand fehlschlagen, könnte sich Absalom wieder mit seinem Vater versöhnen. Ahitofel selbst, der oberste Berater Absaloms, würde dann als Hauptschuldiger des Aufstandes dastehen und ihn würde die härteste Strafe treffen. Um ein Zurückweichen Absaloms unmöglich zu machen, legte er ihm etwas nahe, was in den Augen des ganzen Volkes eine Versöhnung ausschließen musste. Dieser durchtriebene, charakterlose Staatsmann drängte Absalom mit teuflischer List, dem Verbrechen der Rebellion noch das der Blutschande hinzuzufügen. Vor aller Augen sollte er die Nebenfrauen seines Vaters zu sich nehmen, wie das bei Völkern des Orients Sitte war, und damit verdeutlichen, dass er dessen Thron bestiegen hatte. Und Absalom folgte dem niederträchtigen Vorschlag. Auf diese Weise erfüllte sich das Wort Gottes durch den Propheten an David: "So spricht der Herr: ›Aus deiner eigenen Familie lasse ich Unglück über dich kommen. Du wirst mit ansehen müssen, wie ich dir deine Frauen wegnehme und sie einem anderen gebe ... Was du heimlich getan hast, will ich im Licht des Tages geschehen lassen und ganz Israel wird es sehen." (2. Samuel 12,11.12 GNB) Nicht dass Gott diese gottlosen Taten veranlasst hätte, aber wegen Davids Sünde setzte er seine Macht nicht ein, um sie zu verhindern.

Ahitofel hatte großes Ansehen wegen seiner Klugheit genossen, aber was ihm völlig fehlte, war die Erleuchtung, die von Gott kommt. "Die Ehrfurcht vor dem Herrn ist der Anfang der Weisheit." (Sprüche 9,10a NLB) Ahitofel besaß diese Erfurcht jedoch nicht, wie sonst hätte er den Erfolg des Verrats auf einem Verbrechen der Blutschande aufbauen können? Menschen, die im Herzen verdorben sind, planen Böses, als ob es keine göttliche Vorsehung gäbe, die ihre Absichten durchkreuzen kann. "Der Herr im Himmel lacht, er spottet nur über sie." (Psalm 2,4 GNB) Er sagt: "Wenn ihr meine Ratschläge von euch weist und auf keine von meinen Warnungen hört, dann müsst ihr die Folgen tragen und auslöffeln, was ihr euch eingebrockt habt. Alle, die sich nichts sagen lassen, gehen an ihrer Halsstarrigkeit zugrunde, und die Sorglosen und Selbstsicheren bringt ihr Eigensinn ums Leben." (Sprüche 1,30-32 GNB)

Nachdem sein Plan zum Schutz der eigenen Sicherheit erfolgreich war, drängte Ahitofel Absalom zu sofortigem Handeln gegen David. "Ich will mir 12000 Mann auswählen", sagte er zu ihm, "und mit ihnen noch in dieser Nacht hinter David herjagen. Dann bekomme ich ihn zu fassen, solange er noch erschöpft und entmutigt ist. Wenn ich ihn in diesem Zustand überfalle, werden alle seine Leute davonlaufen und ich kann ihn töten, ohne weiteres Blut zu vergießen. Ich werde dir dann alle seine Leute zuführen." (2. Samuel 17,1-3 GNB) Absaloms Ratgeber hießen diesen Plan gut. Hätte man ihn befolgt, wäre David bestimmt getötet worden, es sei denn, der Herr hätte unmittelbar zu seiner Rettung eingegriffen. Aber eine höhere Weisheit als die des berühmten Ahitofel lenkte die Ereignisse. "Der Herr aber hatte ... angeordnet ... den guten Rat Ahitofels zunichtezumachen, damit der Herr das Unheil über Absalom brächte." (2. Samuel 17,14b Elb.)

Huschai Macht Ahitofels Rat Zunichte

Huschai war zur Beratung nicht hinzugezogen worden. Unaufgefordert wollte er sich nicht selbst aufdrängen, um nicht in Spionageverdacht zu geraten. Doch nachdem die Versammlung auseinandergegangen war, legte ihm Absalom selbst, der eine hohe Meinung vom Urteil des väterlichen Ratgebers hatte, Ahitofels Plan vor. Huschai erkannte, dass David verloren wäre, wenn der vorgeschlagene Plan ausgeführt werden würde. Darum sagte er: "Diesmal hat Ahitofel dir keinen guten Rat gegeben. Du kennst deinen Vater und seine Leute; sie sind geübte Kämpfer. Im Augenblick sind sie wahrscheinlich gereizt wie eine Bärin, der man ihre Jungen weggenommen hat. Und bedenke, dass dein Vater ein Krieger ist. Er wird die Nacht nicht bei seinen Leuten verbringen. Wahrscheinlich hat er sich bereits in einem Erdloch oder irgendwo anders versteckt." (2. Samuel 17,7-9 NLB) Huschai argumentierte: Falls Absaloms Streitmacht David sofort verfolge, würden sie ihn nicht gefangen nehmen können; und sollten seine Leute einen Rückschlag erleiden, würde sie das eher entmutigen und Absaloms Sache schaden. "Denn jeder in Israel weiß, was für ein mächtiger Mann dein Vater ist, und wie mutig seine Krieger sind." (2. Samuel 17,10 NLB) Dann schlug er ihm einen Plan vor, der dem eitlen, selbstsüchtigen Wesen Absaloms mit seinem Hang zur Machtdarstellung gefiel: "Ich schlage vor, du versammelst das ganze israelitische Heer, von Dan bis Beerscheba, das so zahllos ist wie der Sand am Meer. Du selbst musst die Truppen aber in den Kampf führen. Wenn wir dann David irgendwo finden, werden wir über ihn herfallen, wie der Tau auf den Boden fällt, sodass von ihm und seinen Männern keiner am Leben bleibt. Und wenn er sich in irgendeine Stadt flüchtet, dann sollen alle Männer Israels Seile um die Stadt legen und wir schleifen sie bis ins nächste Tal, sodass kein Stein auf dem anderen bleibt." (2. Samuel 17,11-13 NLB)

"Da sagten Absalom und alle Männer Israels: ›Der Rat des Arkiters Huschai ist besser als der von Ahitofel.‹" (2. Samuel 17,14 NLB) Aber einer ließ sich nicht täuschen: Ahitofel sah klar, worauf dieser verhängnisvolle Fehler Absaloms hinauslief, und erkannte, dass die Sache des Rebellen verloren war. Und er wusste: Welches Schicksal Absalom auch treffen mochte - für ihn, der ein Ratgeber bei seinem schlimmsten Verbrechen gewesen war, gab es keine Hoffnung. Ahitofel hatte Absalom zum Aufstand ermutigt. Um seinen Vater zu entehren, hatte er Absalom zu einer Tat von abscheulichster Bosheit geraten. Er hatte vorgeschlagen, David zu töten und sogar die Ausführung vorbereitet. Er hatte sich selbst die letzte Möglichkeit zur Versöhnung mit König David genommen. Und nun bevorzugte sogar Absalom den Rat eines anderen! Eifersüchtig, zornig und verzweifelt zog Ahitofel "zurück in seine Heimatstadt, brachte seine Angelegenheiten in Ordnung und erhängte sich." (2. Samuel 17,23 NLB) Das war das Ergebnis der Weisheit eines Mannes, der bei all seiner Begabung Gott nicht zu seinem Ratgeber gemacht hatte. Satan verführt Menschen mit schmeichelhaften Versprechungen, doch schließlich wird jeder erfahren: "Der Lohn der Sünde ist der Tod." (Römer 6,23 Elb.)

David Zieht Sich Über Den Jordan Zurück

Da sich Huschai nicht sicher war, ob der wankelmütige König seinen Rat befolgen werde, verlor er keine Zeit und forderte David unverzüglich auf, über den Jordan zu fliehen. Den obersten Priestern, die mit Hilfe ihrer Söhne diese Nachricht übermitteln sollten, ließ er sagen: "So und so hat Ahitofel Absalom und den Ältesten in Israel geraten, ich aber habe so und so geraten ... Lasst David sagen: Bleibe nicht über Nacht an den Furten der Wüste, sondern geh gleich hinüber, damit der König nicht vernichtet werde und das ganze Volk, das bei ihm ist." (2. Samuel 17,15.16)

Die jungen Männer wurden zwar verdächtigt und verfolgt, aber es gelang ihnen, ihren gefährlichen Auftrag zu erfüllen. David, der nach dem ersten Tag seiner Flucht von Anstrengung und Kummer erschöpft war, erfuhr die Nachricht, dass er noch in der Nacht über den Jordan ziehen müsse, weil sein Sohn ihm nach dem Leben trachtete.

Welche Gefühle mögen den Vater und König, dem so schweres Unrecht zugefügt wurde, in dieser schrecklichen Gefahr bewegt haben? Er, ein "tapferer Mann und tüchtig zum Kampf" (1. Samuel 16,18), ein König, dessen Wort Gesetz war, verraten von seinem Sohn, den er so geliebt hatte, dem er nachgegeben und dem er unklugerweise vertraut hatte, fühlte sich auch von seinen Untertanen, die ihm durch die starken Bande von Ehre und Treue verpflichtet waren, beleidigt und im Stich gelassen. Mit was für Worten hat David seinen Empfindungen Ausdruck verliehen? In der dunkelsten Stunde der Heimsuchung setzte er sein Vertrauen auf Gott und sprach:

"Ach, Herr, wie sind meiner Feinde so viel und erheben sich so viele gegen mich! Viele sagen von mir: Er hat keine Hilfe bei Gott. Aber du, Herr, bist der Schild für mich, du bist meine Ehre und hebst mein Haupt empor. Ich rufe mit meiner Stimme zum Herrn, so erhört er mich von seinem heiligen Berge.

Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich. Ich fürchte mich nicht vor vielen Tausenden, die sich ringsum wider mich legen ... Bei dem Herrn findet man Hilfe. Dein Segen komme über dein Volk!" (Psalm 3,2-7.9)

In der Dunkelheit der Nacht setzten David und alle, die bei ihm waren - Krieger und Staatsmänner, Alte und Junge, Frauen und Kinder - über den tiefen, reißenden Fluss. "Bei Tagesanbruch waren alle auf der anderen Seite." (2. Samuel 17,22 NLB)

David und seine Streitkräfte zogen sich nach Mahanajim zurück, der ehemaligen Residenz Isch-Boschets. Es war eine stark befestigte Stadt, umgeben von gebirgiger Landschaft, die in Kriegszeiten ein guter Rückzugsort war. Das ganze Gebiet war gut mit Vorräten versorgt und die Bevölkerung David gegenüber freundlich gesinnt. Hier schlossen sich ihm noch viele an, während wohlhabende Stammesangehörige reichlich für Nahrung und andere benötigte Güter sorgten.

Die Niederschlagung Des Aufstands

Huschais Rat hatte seinen Zweck erfüllt und David die Möglichkeit zum Entkommen geboten, aber der unbesonnene und ungestüme Königssohn ließ sich nicht lange zurückhalten und brach bald zur Verfolgung seines Vaters auf. "Absalom überquerte inzwischen mit dem gesamten israelitischen Heer den Jordan." (2. Samuel 17,24 NLB) Er ernannte Amasa, den Sohn von Davids Schwester Abigal (vgl. 1. Chronik 2,16), zum Oberbefehlshaber seiner Truppen. Zwar verfügte er über ein großes Heer, aber es war zu undiszipliniert und schlecht geschult, um sich mit den erprobten Kriegern seines Vaters messen zu können.

David teilte seine Streitmacht in drei Abteilungen ein und unterstellte je eine dem Befehl von Joab, Abischai und Ittai, dem Gatiter. Zunächst war es seine Absicht gewesen, selbst das Heer ins Feld zu führen, aber dagegen wandten sich seine Offiziere, Ratgeber und das Volk ganz entschieden. "Du darfst nicht mitkommen", sagten sie. "Wenn wir umkehren und fliehen müssen - selbst wenn die Hälfte von uns stirbt -, werden Absaloms Truppen nichts darauf geben. Du bedeutest ihnen so viel wie 10.000 von uns, und es ist besser, du bleibst hier in der Stadt und schickst uns Hilfe, wenn wir sie benötigen. ›Wenn ihr das für das Beste haltet, will ich es tun‹, stimmte der König schließlich zu." (2. Samuel 18,3.4 NLB)

Von den Stadtmauern aus konnte man die langen Reihen der Rebellenarmee gut überblicken. Eine riesige Menge begleitete den Thronräuber. Im Vergleich dazu wirkte Davids Truppe wie eine Handvoll Leute. Beim Anblick der gegnerischen Streitkräfte dachte der König aber nicht in erster Linie an die Krone und das Königreich, auch nicht an sein eigenes Leben, das vom Ausgang der Schlacht abhing. Das Herz des Vaters hing voll Liebe und Mitleid an seinem rebellischen Sohn. Als die Truppen durch die Stadttore hinauszogen, ermutigte David seine treuen Krieger, im Vertrauen auf den Gott Israels auszuziehen, der ihnen den Sieg verleihen werde. Aber selbst dabei konnte er seine Liebe zu Absalom nicht unterdrücken. Als Joab, der die erste Heeresgruppe befehligte, an seinem König vorbeimarschierte, neigte dieser Sieger in 100 Schlachten sein stolzes Haupt, um die letzte Anweisung des Monarchen zu hören, der ihm mit bebender Stimme sagte: "Verfahrt mir schonend mit meinem Sohn Absalom!" Abischai und Ittai erhielten denselben Auftrag: "Verfahrt mir schonend mit meinem Sohn Absalom!" Und das ganze Kriegsvolk hörte es." (2. Samuel 18,5a) Diese Besorgtheit des Königs, die anscheinend ausdrückte, dass ihm Absalom teurer war als das Königreich, sogar wichtiger als seine ihm treu gebliebenen Untertanen, steigerte noch die Entrüstung der Krieger gegen den aufrührerischen Sohn.

Ein Wald in der Nähe des Jordan wurde zum Kampfplatz, in dem die große Anzahl der Krieger für Absalom nur nachteilig war. In den Dickichten und Sümpfen des Waldes geriet diese disziplinlose Truppe in Verwirrung und war nicht mehr zu führen. "Die israelitischen Truppen wurden von Davids Männern zurückgeschlagen und erlitten eine schwere Niederlage: An jenem Tag fielen 20.000 Mann." (2. Samuel 18,7 NLB)

Als Absalom erkannte, dass der Kampf verloren war, wandte er sich zur Flucht. Da verfing sich sein Haupt in den verästelten Zweigen eines Baumes. Das Maultier lief unter ihm weg, und er blieb als hilflose Beute seiner Feinde am Baum hängen. In dieser Verfassung fand ihn ein Krieger, der ihn jedoch aus Angst vor dem Unwillen des Königs verschonte, jedoch Joab berichtete, was er gesehen hatte. Joab wurde durch keine Bedenken zurückgehalten. Er war mit Absalom befreundet gewesen und hatte zweimal dessen Aussöhnung mit David zuwege gebracht. Sein Vertrauen war schmählich missbraucht worden. Ohne die Vorteile, die Absalom durch Joabs Vermittlung erlangt hatte, hätte dieser Aufstand mit all seinen Schrecken niemals stattfinden können. Nun lag es in Joabs Hand, den Anstifter all dieses Unheils auf einen Schlag zu vernichten. "Da nahm Joab drei Stäbe [Pfeile] in seine Hand und stieß sie Absalom ins Herz ... Und sie nahmen Absalom und warfen ihn im Wald in eine große Grube und legten einen sehr großen Haufen Steine auf ihn." (2. Samuel 18,14-17)

Auf diese Weise kamen die beiden Anstifter der Rebellion in Israel ums Leben. Ahitofel hatte Selbstmord verübt. Der Königssohn Absalom, dessen strahlende Schönheit einmal Israels Stolz gewesen war, war in der Kraft seiner Jugend dahingerafft worden. Seinen Leichnam hatte man in eine Grube geworfen und zum Zeichen ewiger Schande mit einem Steinhaufen bedeckt. Schon zu seinen Lebzeiten hatte sich Absalom im Königstal ein kostspieliges Grabmal errichten lassen, doch das einzige Denkmal, das die Stelle seines Grabes anzeigte, war jener Steinhaufen in der Wildnis.

Davids Trauer Über Den Tod Absaloms

Nachdem der Anführer des Aufstands umgekommen war, ließ Joab sein Heer durch Posaunenschall von der Verfolgung der fliehenden Feinde zurückhalten und sandte sofort Boten mit der Nachricht zum König.

Der Wächter auf der Stadtmauer hielt Ausschau in Richtung des Schlachtfeldes und entdeckte einen einzelnen Läufer. Bald darauf tauchte ein zweiter auf. Als der erste näher kam, meldete der Wächter dem König, der am Tor wartete: "›Der erste Mann scheint Ahimaaz, der Sohn des Zadok, zu sein. Ich erkenne ihn an der Art, wie er läuft‹ ... ›Er ist ein guter Mann und kommt mit guten Nachrichten‹, antwortete der König. Da rief Ahimaaz dem König zu: ›Sieg!‹ Er warf sich vor dem König zu Boden und sagte: ›Gepriesen sei der Herr, dein Gott, der die Aufrührer, die es wagten, sich gegen meinen Herrn, den König, zu erheben, in deine Hand gegeben hat.‹" Auf die ungeduldige Frage des Königs: "Was ist mit meinem Jungen, mit Absalom?" gab Ahimaaz eine ausweichende Antwort (2. Samuel 18,27-29 NLB).

Der zweite Bote erschien und rief: "Ich habe gute Nachrichten für meinen Herrn, den König. Der Herr hat dir heute den Sieg gegeben über alle, die sich gegen dich erhoben haben." Wieder kam von den Lippen des Vaters die eindringliche Frage: "Was ist mit meinem Jungen, mit Absalom?" Unfähig, die schlimme Nachricht zu verheimlichen, antwortete der Bote: "So wie ihm sollte es allen deinen Feinden ergehen, allen, die dir Böses wollen und sich gegen dich erheben!" (2. Samuel 18,31.32 NLB) Das genügte. David fragte nicht weiter. Gebeugten Hauptes "erbebte der König und ging hinauf in das Obergemach des Tores und weinte, und im Gehen rief er: Mein Sohn Absalom! Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!" (2. Samuel 19,1)

Als sich die siegreich heimkehrenden Truppen der Stadt näherten, widerhallten die Hügel von ihrem Triumphgeschrei. Aber am Tor erstarb der Jubel auf ihren Lippen. Die Banner in ihren Händen senkten sich, und mit niedergeschlagenen Blicken kamen sie eher wie Besiegte als wie Sieger daher. Denn der König erwartete sie nicht zur Begrüßung. Vielmehr hörte man aus dem Raum über dem Tor seine wehklagende Stimme: "Mein Sohn Absalom! Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!"

"Als die Truppen vom Kummer des Königs um seinen Sohn hörten, verkehrte sich ihre Freude über den Sieg in tiefe Trauer. Sie schlichen an jenem Tag in die Stadt zurück, als ob sie sich schämten und in der Schlacht geflohen wären." (2. Samuel 19,3.4 NLB)

Joab aber war entrüstet. Gott hatte ihnen allen Grund zu Jubel und Freude geschenkt. Die gefährlichste Rebellion, die es je in Israel gegeben hatte, war niedergeschlagen worden. Und da wurde dieser große Sieg um jenes Mannes willen in Trauer verwandelt, dessen Verbrechen das Blut Tausender tapferer Männer gekostet hatte. Der derbe, raue Feldhauptmann drang zum König vor und sagte kühn: "Wir haben heute dein Leben und das Leben deiner Söhne, Töchter gerettet und du beschämst uns durch dein Verhalten. Du scheinst diejenigen zu lieben, die dich hassen, und die zu hassen, die dich lieben. Heute hast du deutlich gezeigt, dass dir deine Heerführer und Krieger nichts bedeuten. Seit heute weiß ich: Wenn Absalom am Leben und wir alle tot wären, wärst du zufrieden. Jetzt geh hinaus und gratuliere dem Heer, denn ich schwöre beim Herrn, wenn du es nicht tust, wird nicht ein einziger Mann heute Nacht hier bleiben. Das wäre schlimmer für dich als alles, was du bisher erleben musstest." (2. Samuel 19,6-8 NLB)

So hart und sogar grausam der Vorwurf für den tief bekümmerten König war - David grollte deswegen nicht. Er sah ein, dass sein Feldherr Recht hatte, und ging zum Tor hinunter. Dort grüßte er seine tapferen Krieger, als sie an ihm vorbeimarschierten, mit Worten des Lobes und der Anerkennung.