Für die Gemeinde geschrieben -- Band 2

Kapitel 25

Standhaftigkeit im Leid

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Die Frage nach dem Leid

Gegen Ende des Jahres 1891 reiste Ellen G.White im Auftrag der Generalkonferenz nach Australien, um dort die neu aufgenommene Arbeit zu unterstützen. Ihr Aufenthalt dauerte neun Jahre. Bald nach ihrer Ankunft wurde sie von einer schmerzhaften und langwierigen Krankheit heimgesucht. Die folgenden Abschnitte zeigen, mit welcher inneren Kraft sie dieser Anfechtung begegnete. Beachtenswert ist vor allem, was sie persönlich aus dieser Erfahrung gelernt hat.

Die Herausgeber

Jedesmal wenn ich Post machte, hatte ich 100 bis 200 Seiten zu schreiben. Das meiste davon konnte ich nur schreiben, nachdem man mich, durch Kissen abgestützt, in eine halb sitzende, halb liegende Lage brachte. Mitunter saß ich auch auf einem ausgepolsterten, unbequemen Stuhl.

Meine Hüfte und die Lendenwirbel schmerzen so sehr, daß ich kaum aufrecht sitzen kann. Wenn ich hier (Australien) einen solchen Stuhl finden könnte, wie Ihr sie im Sanatorium habt, würde ich ihn sofort kaufen, selbst wenn ich dafür 30 Dollar bezahlen müßte ... Es kostet mich große Anstrengung, aufrecht zu sitzen oder den Kopf geradezuhalten. Das geht nur, wenn mir die Kissen und die Rücklehne des Sessels den nötigen Halt geben. Das also ist meine augenblickliche Verfassung.

Dennoch bin ich nicht entmutigt. Ich fühle mich täglich von Gottes Hand getragen. In den schmerzerfüllten, langen Nächten, wenn mich der Schlaf flieht, suche ich Trost im Gebet. Wenn ich wegen der entsetzlichen Nervenschmerzen nicht mehr ein noch aus wußte, erfüllte plötzlich der Friede Christi mein Herz, so daß ich nur noch danken konnte. Ich weiß, daß Jesus mich liebt -- und ich liebe ihn. Manchmal schlief ich drei Stunden in der Nacht, hin und wieder auch mal vier, aber meist waren es nur zwei Stunden. Dennoch schien in diesen langen australischen Nächten die Dunkelheit um mich herum hell zu sein, und ich genoß die erquickende Gemeinschaft mit Gott.

Als ich mir zum ersten Mal meiner Hilflosigkeit bewußt wurde, machte ich mir Vorwürfe, daß ich diese Reise überhaupt auf mich genommen hatte. Warum war ich nicht in Amerika geblieben? Warum mußte soviel Geld für die Überfahrt bezahlt werden, wenn ich doch nichts ausrichten konnte? Am liebsten hätte ich mir die Bettdecke über den Kopf gezogen und bitterlich geweint. Manchmal tat ich das auch, aber ich habe mir den Luxus von Tränen nicht lange leisten können. Ich fing an, mit mir selber zu sprechen und sagte: "Ellen G.White, was ist los mit dir? Bist Du nicht nach Australien gekommen, weil die Generalkonferenz Dich hierher geschickt hat und Du der Überzeugung warst, daß dort eine Aufgabe zu erfüllen sei? Bist Du nicht immer gegangen, wenn man Dich irgendwohin rief?" "Ja", mußte ich mir selbst antworten. "Warum bist Du dann aber so enttäuscht und fühlst Dich verlassen? Merkst Du nicht, daß der Widersacher sein Spiel mit Dir treibt?" Ich sagte zu mir selbst: "Ja, ich glaube, so ist es!", wischte mir die Tränen ab und machte mir selbst Mut: "Nun reicht es! Ich will mich nicht mehr mit den dunklen Seiten abgeben. Was immer auf mich zukommt -- Leben oder Sterben --, ich vertraue ganz dem, der mich erlöst hat."

Von dieser Zeit an glaubte ich fest daran, daß der Herr alles richtig machen würde. Während der folgenden acht Monate meiner Hilflosigkeit konnten mich weder Hoffnungslosigkeit noch Zweifel überwinden. Ich lernte alles, was mir begegnete, als einen Teil des Planes Gottes anzunehmen. Irgendwie mußte es zum Wohl der Menschen in diesem Land, zum Wohl der Kinder Gottes in Amerika und zu meinem eigenen Besten zusammenwirken. Ich kann nicht erklären, warum ich so empfand -- ich glaubte es einfach! Ich sagte mir: "Sei mitten in den schlimmen Anfechtungen fröhlich, vertraue deinem himmlischen Vater und zweifle nicht an seiner Liebe". Ich fühlte, daß Gott mir Tag und Nacht nahe war; deshalb preise ich den Herrn -- und dieses Lob kommt aus einem dankerfüllten Herzen. Brief 18a, 1892.

Überlegungen zu Zeiten der Anfechtung

Gebet und Salbung -- aber keine spontane Heilung

21.Mai 1892. Wieder habe ich eine peinigende, fast schlaflose Nacht hinter mir. Gestern kamen Bruder (A.G.) Daniells mit seiner Frau, Bruder (G.C.) Tenny mit seiner Frau und die Brüder Stockton und Smith auf meine Bitte hin zu uns, um für mich um Heilung zu beten. Wir hatten eine ernste Gebetsgemeinschaft und wurden reichlich gesegnet. Seitdem geht es mir besser, aber von völliger Heilung kann nicht die Rede sein. Ich habe alles getan, um mich an die Weisungen der Bibel zu halten, nun muß ich auf das warten, was der Herr tun wird. Ich bin davon überzeugt, daß er mich zu einer Stunde, die er für angemessen hält, heilen wird. Ich halte mich einfach im Glauben an die Verheißung: "Bittet, so werdet ihr nehmen." Johannes 16,24.

Ich glaube, daß Gott unsere Gebete erhört. Ich hoffte, daß sich mein Zustand unverzüglich bessern würde, und aus meiner begrenzten Sicht heraus dachte ich, daß Gott dadurch auch verherrlicht würde. Die Gebetsgemeinschaft hat mich innerlich aufgerichtet, und ich werde an der Zusage festhalten: "Ich bin dein Erlöser; ich will dich heilen." Manuskript 19, 1892.

Nicht die Beherrschung verlieren

23.Juni 1892. Wieder liegt eine Nacht hinter mir. Ich habe nicht mehr als drei Stunden geschlafen. Die Schmerzen waren erträglicher als gewöhnlich, aber ich war ruhelos und nervös. Nachdem ich mich eine Zeitlang vergeblich bemüht hatte einzuschlafen, suchte ich Gottes Angesicht im Gebet. Ich erinnerte mich an die Verheißung Jesu: "Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan." Matthäus 7,7. Ich bat den Herrn inständig um Trost und um den Frieden, der nur von ihm kommen kann. Ich sehnte mich nach dem Segen des Herrn und hoffte, daß ich trotz der entsetzlichen Schmerzen die Beherrschung nicht verlieren würde. Ich wage es nicht mehr, auch nur einen Augenblick auf meine eigene Kraft zu vertrauen.

In dem Augenblick, als Petrus seine Augen von Christus abwandte, versank er im Wasser des Sees. Er erkannte die Gefahr, blickte wieder zu Jesus hin und schrie: "Rette mich, Herr, ich versinke!" Da streckte der Herr seine Hand aus, die immer zur Hilfe bereit ist; Petrus griff zu und wurde gerettet ...

Ich muß in meinem Heim täglich neu Gottes Frieden suchen und in ihm bleiben ... Auch wenn der Körper schmerzt und die Nerven überreizt sind, haben wir nicht die Freiheit, uns gehenzulassen. Wir sollten auch nicht meinen, andere müßten ständig auf uns Rücksicht nehmen und sich dauernd um uns kümmern. Wenn wir unserer Ungeduld freien Lauf lassen, vertreiben wir den Geist Gottes und öffnen Satan die Tür.

Natürlich suchen wir nach Entschuldigungen für unsere Selbstsucht, unsere unschönen Gedanken und ungeduldigen Worte, aber das treibt uns nur weiter in die Arme des Bösen; es wird zur Gewohnheit und macht zunehmend anfälliger für Versuchungen. Sehr schnell finden wir uns auf dem Territorium Satans wieder -- schwach, mutlos, besiegt.

Wenn wir uns selbst vertrauen, kommen wir unweigerlich zu Fall. Christus sagt: "Bleibet in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt." Johannes 15,4.

Was ist das für eine Frucht, die wir hervorbringen sollen? "Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit; gegen all dies ist das Gesetz nicht." Galater 5,22.23.

Als ich mich mit diesen Gedanken befaßte, wurde mir erschreckend bewußt, wie oft ich es versäumt hatte, meine Seele ganz in der Liebe Gottes zu bewahren. Der Herr tut nichts für uns gegen unseren Willen. Als Christus den Vater bat: "Erhalte sie in deinem Namen!", bedeutete das nicht, daß wir nichts dazu tun sollten, in seiner Liebe zu bleiben und den Glauben an Gott zu bewahren. Wenn wir durch Christus mit Gott leben, vertrauen wir seinen Verheißungen und gewinnen im Aufblick zu ihm ständig neue Kraft. Was könnte unser Herz ängstigen und unser Vertrauen erschüttern, wenn wir unsere Augen auf Christus gerichtet halten und dadurch seinem Wesen ähnlicher werden? Kann solch ein Mensch sich noch von seinen Schwächen entmutigen lassen oder sich in seinem Denken nur um sich selber drehen? Sollte er sich von nichtigen Dingen den inneren Frieden rauben lassen? Wer Christus im Herzen hat, kann nicht unzufrieden sein. Seine Gedanken geraten nicht auf Abwege, weil er weiß, daß Jesus jeden einzelnen kennt und daß ihm jeder, für den er sein Leben gelassen hat, wichtig ist. Schließlich hat Gott gesagt: "Ich will ..., daß ein Mann kostbarer sein soll als feinstes Gold und ein Mensch wertvoller als Goldstücke aus Ofir." Jesaja 13,11.12. Damit ist das Verlangen unserer Seele gestillt. Diese Zusage sollte uns auch dazu veranlassen, anderen zu vergeben, weil Gott sich uns so gnädig zugewandt und uns vergeben hat.

Das Glück des Lebens setzt sich aus vielen kleinen Teilen zusammen. Jedem ist es möglich, christliches Feingefühl zu entwickeln. Nicht die überragenden Begabungen machen unser Leben sinnvoll, sondern unsere täglichen Pflichten. Dazu kann ein freundlicher Blick gehören, die demütige Gesinnung, eine zufriedene Grundhaltung oder die ungeheuchelte Anteilnahme am Wohlergehen der Mitmenschen. Das sind die Dinge, die unser christliches Leben befruchten. Christi Liebe kann unser Herz nicht ausfüllen, ohne daß davon im täglichen Leben etwas zu sehen ist. Seine Liebe wird uns davor bewahren, daß wir das Glück in der Erfüllung eigensüchtiger Wünsche und auf eigenen Wegen suchen. Daß die Gesundheit des Körpers weitaus stärker von der Gesundheit des Herzens abhängt, übersehen leider viele.

Manche meinen, sie müßten eigentlich mehr Einfluß haben oder eine bedeutendere Position einnehmen. Weil das nicht der Fall ist, fühlen sie sich übergangen, unterbewertet und gefallen sich als Märtyrer. Natürlich macht solche Einstellung unglücklich, aber wer ist denn dafür verantwortlich? Doch wohl nicht die anderen! Eins steht fest: Ein freundliches und warmherziges Wesen ist dem Menschen dienlicher als Klugheit und Begabung, die mit Unzufriedenheit gepaart sind. Manuskript 19, 1892.

Jesus kennt unsere Sorgen und Schmerzen

26.Juni 1892. Ich bin froh, wenn der Morgen graut, denn die Nächte sind lang und zermürbend. Wenn ich nicht schlafen kann, ist es mir ein Trost, daß der, der niemals schläft, auch über mich wacht. Es ist ein beglückender Gedanke, daß Jesus all unsere Schmerzen und Sorgen kennt. Alles, was uns anficht, hat auch er erdulden müssen. Wir haben Freunde, die solche inneren Nöte und körperlichen Schmerzen, wie wir sie durchmachen müssen, nicht kennen. Sie sind niemals krank und können sich deshalb auch nicht wirklich in die Empfindungen eines Kranken hineindenken. Bei Jesus ist das anders, er ist der große Arzt und Helfer, der jede unserer Regungen mitempfindet. Er war selber Mensch und hat eine neue Zeit eingeläutet, in der Gerechtigkeit und Mitgefühl ihren Platz haben. Manuskript 19, 1892.

"Mache mich zu einem gesunden, fruchtbaren Zweig"

29.Juni 1892. Mein Gebet nach dem Erwachen lautet: Jesus, bewahre heute dein Kind! Nimm mich unter deinen Schutz. Mache aus mir einen gesunden, fruchtbringenden Zweig am lebendigen Weinstock. "Ohne mich", sagt Christus, "könnt ihr nichts tun." Johannes 15,5. Mit und durch Christus dagegen sind alle Dinge möglich.

Er, der einst von unzähligen Engelscharen verehrt wurde und von himmlischer Musik umgeben war, wurde als Mensch nicht müde, sein Ohr für die Sorgen und Nöte seiner Kinder offenzuhalten. Er trocknete ihre Tränen und sprach ihnen mitfühlend Trost zu, so daß sie ihrer Sorgen nicht mehr gedachten und ihre Trauer vergaßen. Die Taube, die anläßlich seiner Taufe über Jesus schwebte, ist ein Zeichen für sein gütiges Wesen. Manuskript 19, 1892.

"Kein unfreundliches Wort möge über meine Lippen kommen"

30.Juni 1892. Eine ermüdend lange Nacht liegt fast hinter mir. Ich habe immer noch große Schmerzen, dennoch bin ich gewiß, daß mein Heiland mich nicht verlassen hat. Mein Gebet lautet: Hilf mir, Jesus, daß ich trotz aller Beschwernisse nichts sage, was dich entehren könnte. Kein unfreundliches Wort soll über meine Lippen kommen. Manuskript 19, 1892.

"Ich will mich nicht beklagen"

6.Juli 1892. Ich bin so dankbar, daß ich mich mit all meinen Ängsten und Zweifeln an den Herrn wenden kann. Ich fühle mich unter seinem Schutz geborgen. Ein Ungläubiger fragte einmal einen jungen Gläubigen: "Wie groß ist eigentlich der Gott, den du verehrst?" "So groß", war die Antwort, "daß er die ganze Welt ausfüllt, und doch so klein, daß er in jedem geheiligten Herzen Platz hat"

Du teurer Heiland, ich sehne mich nach Errettung. "Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir." Psalm 42,1. Ich möchte Jesus gern noch mehr begreifen. Ich lasse sein sündloses Leben an meinem inneren Auge vorüberziehen und denke über seine Aufgaben nach. Wie oft habe ich diese Worte schon nachgesprochen: "Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." Matthäus 11,28.

Ich habe fast immer Schmerzen. Dennoch will ich mich nicht beklagen, um mich nicht selbst als Christ unglaubwürdig zu machen. Ich bin gewiß, daß meine Leidenslektion letztlich auch zur Ehre Gottes beiträgt. Zumindest kann sie andere davor warnen, ihre Arbeit ständig unter Bedingungen zu verrichten, die der Gesundheit nicht zuträglich sind. Manuskript 19, 1892.

"Der Herr ist meine Stärke"

7.Juli 1892. Die leitenden Brüder bitten mich oft um Rat. Der Herr gibt mir dann immer wieder neu die Kraft, die notwendigen Briefe zu schreiben.

Ich bin mir sicher, daß mein langwieriges Leiden am Ende auch der Verherrlichung Gottes dient. Ich will mich also nicht beklagen. Wenn ich nachts wachliege, kommt es mir manchmal vor, als würde Jesus auf mich herabschauen. Das 51. Kapitel des Jesajabuches ist mir überaus wertvoll geworden. Wenn ich diesen Schriftabschnitt lese, fasse ich Hoffnung und empfange jedesmal die Gewißheit: Er trägt alle unsere Last! Manuskript 19, 1892.

Nur nicht aufgeben

10.Juli 1892. Um fünf Uhr früh habe ich Emily1 geweckt, damit sie Feuer macht und mir beim Ankleiden hilft. Ich bin Gott dankbar, daß ich in dieser Nacht besser geschlafen habe als sonst. Schlaflose Stunden nutze ich meist zum Gebet und zum Nachdenken. Natürlich bedrängt mich auch die Frage, warum sich mein Gesundheitszustand immer noch nicht gebessert hat. Muß ich die monatelange Krankheit etwa als Mißfallensbekundung Gottes darüber werten, daß ich nach Australien gegangen bin? Hier muß ich ganz entschieden sagen: Nein! Vor meiner Abreise aus Amerika habe ich zwar hin und wieder geglaubt, Gott wolle meines Alters und meiner Überarbeitung wegen nicht, daß ich in ein so fernes Land reise. Damals habe ich einfach den Auftrag der Generalkonferenz angenommen, wie ich das immer tue, wenn ich nicht von Gott selber eine direkte Weisung bekomme. Als ich nach Australien kam, waren die Geschwister hier ziemlich hilflos, so daß ich in den ersten Wochen so hart wie nie zuvor in meinem Leben arbeiten mußte. Gott ließ mich wissen, daß es meine Hauptaufgabe sei, über die Notwendigkeit der persönlichen Frömmigkeit zu sprechen ...

Nun lebe ich in Australien und glaube, daß ich genau dort bin, wo der Herr mich haben will. Deshalb denke ich trotz meines schmerzlichen Leidens nicht ans Aufgeben. Ich habe die innere Gewißheit, daß ich Jesu Kind bin und daß der Herr mir nahe ist. Sobald Dunkelheit aufkommt, wird sie wieder vertrieben durch die Sonne der Gerechtigkeit. Wer könnte die Schmerzen, die mich plagen, besser verstehen als der, dem kein Leid unbekannt ist? Mit wem sollte ich meine Not besprechen, wenn nicht mit ihm, der unseren Mangel kennt und weiß, wie er denen helfen kann, die in Versuchung geraten?

Manchmal bete ich so inständig um Heilung, daß mir fast die Sinne schwinden, dennoch scheint es so, als würde Gott nicht antworten. In solchen Augenblicken macht mir dann der Herr bewußt, daß er trotz allem bei mir ist. Es ist so, als sagte er zu mir: "Kannst du denn dem nicht vertrauen, der dich mit seinem Blut erkauft hat? Du bist in meine Hand gezeichnet." Das macht mich innerlich ruhig und gibt mir neuen Mut. Es ist fast so, als höbe mich jemand aus mir selbst heraus und stellte mich in die Gegenwart Gottes. Manuskript 19, 1892.

Gott weiß, was gut ist

14. Juli 1892. Als mich die Krankheit, an der ich nun schon seit Monaten leide, überfiel, verwirrte es mich, daß meine Gebete um Heilung nicht erhört wurden. Dennoch zweifle ich nicht daran, daß sich die Verheißung "Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig" (2.Korinther 12,9) an mir in jeder Hinsicht erfüllt hat. Die Stunden meiner Schmerzen waren auch Stunden des Gebets; denn ich wußte, an wen ich mich in meiner Bedrängnis wenden konnte. Ich empfinde es als großes Vorrecht, daß ich nicht von meiner Schwachheit abhängig bin, sondern auf eine unbegrenzte Kraft zurückgreifen kann. Deshalb sind die Verheißungen Gottes für mich allezeit der feste Grund, auf dem ich sicher stehen kann.

In Liebe und Vertrauen will ich Jesus mein Herz übergeben. Er weiß, was gut für mich ist. Meine schmerzerfüllten Nächte wären allerdings einsam und unerträglich, könnte ich nicht die Verheißung in Anspruch nehmen: "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen." Psalm 50,15. Manuskript 19, 1892.

Lehren aus den Monaten des Leidens

Ich bin durch große Trübsal gegangen und habe Schmerzen, Leid und Hilflosigkeit ertragen müssen. Das hat mir freilich auch Erfahrungen gebracht, die wertvoller sind als Gold. Damals, als ich dachte, ich sollte den Plan aufgeben, die Gemeinden in Australien und Neuseeland zu besuchen, habe ich mich ernstlich gefragt, ob ich Amerika wirklich verlassen sollte. Ich wurde von starken Schmerzen heimgesucht. Nachts tauchten noch die Erinnerungen an das auf, was wir bei der Rückkehr von Europa nach Amerika durchzumachen hatten. Ich war in jener Zeit unsicher, und meine Gedanken kreisten ständig um Schwierigkeiten, Leid und Belastungen. Ich fragte mich, was das alles zu bedeuten hätte.

Als ich dann aber auf das Geschehen der letzten Jahre zurückschaute und auf die Aufgaben, die Gott mir übertragen hatte, wurde mir deutlich, daß er mich nie im Stich gelassen hatte. Oft war mir Gott auf ungewöhnliche Weise begegnet. Ich hatte nie Ursache zur Klage, sondern durfte erleben, daß sich wertvolle Erfahrungen wie goldene Fäden durch mein Leben zogen.

Der Herr wußte genau, was für mich gut war, und ich spürte, daß er mich immer wieder ganz in seine Nähe zog. Deshalb will ich mich hüten, ihm vorzuschreiben, was er für mich zu tun hat. In den Anfängen meines Leidens habe ich das in meiner Hilflosigkeit getan. Aber es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, daß auch mein Leiden ein Teil seines Planes sein mußte. Er zeigte mir auch, daß ich trotz der unerträglichen Schmerzen eine Lage finden konnte, in der mein beträchtliches Schreibpensum zu bewältigen war. Von meiner Ankunft in diesem Land bis zur Stunde habe ich ungefähr 1600 Manuskriptseiten geschrieben.

"Ich weiß, an wen ich glaube"

Während der vergangenen neun Monate habe ich nachts kaum mehr als zwei Stunden geschlafen. Das war eine Zeit, in der Dunkelheit über mich hereinzubrechen drohte. Aber im Gebet erlebte ich die Gegenwart Gottes und empfing seinen Trost. Ich spürte, wie sich die Verheißung an mir erfüllte: "Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch." Jakobus 4,8. Der Herr machte es wieder hell in mir. Jesus war mir ganz nahe, und ich fand, daß seine Gnade ausreichte, mein Leben mit Zuversicht und Dank zu erfüllen. Von ganzem Herzen konnte ich sagen: "Ich weiß, an wen ich glaube." 2.Timotheus 1,12.

"Gott ist treu, der euch nicht versuchen läßt über eure Kraft, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende nimmt, daß ihr es ertragen könnt." 1.Korinther 10,13. Durch Jesu Kraft konnte ich alles überwinden und behielt den Sieg.

Ich weiß nicht, was Gott damit erreichen will, daß er mich in solche Anfechtungen geraten läßt. Er wird wissen, was für mich gut ist. Deshalb vertraue ich mich meinem treuen Schöpfer mit Leib, Seele und Geist an.

"Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, er kann mir bewahren, was mir anvertraut ist, bis an jenen Tag." 2.Timotheus 1,12. Wenn wir uns darin üben würden, größeres Vertrauen, mehr Liebe und Geduld in unseren himmlischen Vater zu setzen, würde unser tägliches Leben auch mehr bestimmt werden von Zuversicht und Frieden.

Der Herr will nicht, daß wir uns in Sorge verzehren, sondern möchte, daß wir auf seine Hilfe warten. Manchmal kommt es uns vor, als seien wir nicht auf dem richtigen Weg, weil uns keine erhebenden Gefühle bewegen. Dann suchen wir nach irgendwelchen Zeichen, die auf diese Situation passen. Aber es geht nicht um Gefühle, sondern um Glauben.

Wandle im Glauben

Wenn wir aus dem Wort Gottes erkannt haben, was der Herr von uns will, müssen wir im Glauben danach handeln, ob wir uns danach fühlen oder nicht. Wir beleidigen Gott, wenn wir ihm nicht vertrauen, obwohl er uns unzählige Zeichen seiner Liebe gegeben hat. Das Opfer seines Sohnes ist Beweis genug, an ihn zu glauben und unsere Hoffnung ohne Wenn und Aber auf ihn zu setzen.

Schaue auf Jesus und wende dich ihm im Gebet zu. Halte dich an seine Stärke, auch wenn du in dir nur Schwachheit entdeckst. Geh in der Gewißheit voran, daß keins deiner Gebete am Thron Gottes ungehört bleibt. Der Herr kann die nicht enttäuschen, die sich im Vertrauen an ihn wenden. Man kann Gott auch dann innerlich ein Danklied singen, wenn man traurig und niedergeschlagen ist. Wenn ich so etwas sage, dann greife ich das nicht aus der Luft. Irgendwann zerteilt sich der Nebel und die Wolken des Leides zerreißen; dann wird es wieder hell in deinem Herzen, und Freude wird dein Leben erfüllen. Die bedrückende Macht der Finsternis wird verdrängt werden von dem hellen Schein der Gegenwart Gottes.

Wenn wir unserem Glauben nur mehr Ausdruck verleihen und uns mehr über Gottes Güte, Geduld und Liebe freuen würden, wüchse uns auch die Kraft zu, die in den Worten unseres Herrn Jesus Christus verborgen liegt. Wenn Eltern schon danach fragen, was sie Gutes für ihre Kinder tun können, wieviel mehr wird Gott daran liegen, seinen Kindern den Heiligen Geist zu senden.

Wir sollten uns täglich neu Gott zur Verfügung stellen und darauf vertrauen, daß er unser Opfer annimmt. Und das sollte nicht davon abhängen, ob Glaube und Gefühle miteinander übereinstimmen. Beides ist ja oft so weit voneinander entfernt wie der Osten vom Westen. Wenn der Glaube gefragt ist, darf man nicht auf Gefühle setzen. Wenn wir uns im Gebet Gott zuwenden, dann sollten wir unabhängig vom Gefühl unserem Gebet entsprechend handeln. Unsere Glaubensgewißheit ziehen wir aus dem, was Gott in seinem Wort verheißen hat, nicht aus unseren Gefühlen.

Deshalb preise ich Dich, o Gott, denn du hast deine Verheißungen immer an mir wahr werden lassen. Du hast dich mir offenbart, darum will ich ganz dir gehören und deinen Willen tun.

Seid wachsam und treu wie Abraham, damit sich nicht die Raubvögel über euer Opfer hermachen, das ihr Gott darbringen wollt. Bewacht eure Gedankenwelt, daß nicht etwa Zweifel aus euch hervorbrechen, die dem Bösen dienen und das Licht Gottes verdunkeln. Vielmehr sollte das Leben unseres auferstandenen Herrn jeden Tag neu in uns Gestalt gewinnen.

Der Weg zum Himmel ist schmal und unbequem

Wie sieht unser Weg ins Reich Gottes aus? Es ist ganz gewiß kein bequemer Weg. Er ist schmal und unwegsam, voller Konflikte und Anfechtungen, gepflastert mit Kummer und Leid. Jesus Christus, unser Führer, hat nie darüber hinweggetäuscht, daß es ein Weg des Kampfes ist: "Ringt darum, daß ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können." Lukas 13,24.

Und an anderer Stelle heißt es: "In der Welt habt ihr Angst." Johannes 16,33. Die Apostel waren überzeugt: "Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen." Apostelgeschichte 14,22. Sollten wir bei alledem nur das Entmutigende im Auge behalten? ...

Sammelt die Verheißungen

Über allem Bedrohlichen stehen Jesus und das Leben, das er schenken will: ein Leben voller Gnade und Verheißungen, ein Leben, in dem Ordnung herrscht und das reich ist an Segnungen. Er ist die Mitte, die Herrlichkeit, der Wohlgeruch -- das Leben ansich. "Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Johannes 8,12. Der Weg, den die Erlösten zu gehen haben, ist ein königlicher Weg -- kein Weg der Entmutigung. Das wäre er nur, wenn Christus nicht mit uns ginge, der gesagt hat: "Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen." Johannes 14,18.

Laßt uns täglich auf die Fülle der Verheißungen schauen und zusammentragen, was der Herr uns zugesagt hat. Im Nachdenken darüber können wir froh werden.

"Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Herr, daß du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!" Jesaja 12,1-6.

Ist das nicht ein königlicher Weg, den die Erlösten des Herrn gehen dürfen? Könnte es einen Weg geben, der besser oder sicherer wäre? Nein, und abermals nein! Weil das so ist, laßt uns Gottes Weisungen für diesen Weg beachten und in Treue einen Fuß vor den anderen setzen. Der Herr wird unser Schutz sein und mit seinem Schild die tödlichen Pfeile Satans auffangen.

Natürlich werden wir es unterwegs mit Versuchungen zu tun haben. Sorgen werden uns ergreifen und Dunkelheit wird uns bedrohen. Wer wird uns in seine Arme nehmen, wenn das Herz vor Furcht verzagen möchte? Wer wird uns ermutigen und an die Worte der Hoffnung erinnern? Wer wird seine Hand gnädig über die ausbreiten, die sich nach Schutz sehnen? Wer verleiht uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und wer tilgt unsere Sünde? Wer vertreibt den Nebel und lichtet das Dunkel durch den Glanz seiner Gegenwart? Wer anders könnte das alles für uns tun als Jesus Christus? Weil das so ist, laß ihn deine Liebe spüren und preise ihn. "Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!" Philipper 4,4. Ist Christus tatsächlich heute noch dieser lebendige Heiland? "Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes." Kolosser 3,1. Ja, wir sind mit Christus auferstanden, er ist unser Leben. Seine Liebe und Gnade hat uns erwählt und angenommen, schenkt uns Vergebung unserer Sünden und hat uns vor Gott gerechtfertigt. Darum laßt uns dem Herrn die Ehre geben. Brief 7, 1892.