Aus der Schatzkammer der Zeugnisse -- Band 1

Kapitel 39

Wahre Liebe

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Wahre Liebe äußert sich nicht in einer heftigen, feurigen und ungestümen Leidenschaft. Im Gegenteil; sie ist ihrer Natur nach ruhig und tief. Sie schaut über bloße Äußerlichkeiten hinweg und würdigt allein echte Werte. Sie ist vernünftig und einsichtsvoll. Ihre Hingabe ist echt und bleibt sich immer gleich. Gott prüft und erprobt uns in den alltäglichen Ereignissen, die das Leben mit sich bringt. Es sind die kleinen Dinge, die die Gesinnung des Herzens offenbaren; es sind die kleinen Aufmerksamkeiten und die zahllosen unscheinbaren Geschehnisse und einfachen Gefälligkeiten, die das ganze Lebensglück ausmachen. Der Verzicht auf freundliche, ermutigende, teilnahmsvolle Worte und auf die kleinen Gefälligkeiten läßt das Leben wenig lebenswert erscheinen. Dereinst wird sich zeigen, daß der Selbstverleugnung zugunsten der Wohlfahrt und des Glückes unseres Nächsten beim himmlischen Gericht große Bedeutung beigemessen wird. Ebenso wird die Tatsache offenbar werden, daß alle egoistischen Bestrebungen, ohne Rücksicht auf das Glück und Wohlergehen anderer, der Beachtung unseres himmlischen Vaters nicht entgangen sind.

Br. B., der Herr wirkt für dich und will dich auf dem Weg des Rechtes segnen und stärken. Du hast die Botschaft Gottes aufgenommen und solltest dir nun nach Möglichkeit alles Wissen über den Willen und das Werk Gottes aneignen, um vorbereitet zu sein, eine noch verantwortungsvollere Tätigkeit ausfüllen zu können, wenn Gott es von dir fordert, nachdem er erkannt hat, daß du dann seinen Namen auf diese Weise am besten verherrlichen kannst. Du mußt aber noch Erfahrungen sammeln. Du bist zu impulsiv und zu leicht durch irgendwelche Ereignisse zu beeinflussen. Gott wartet darauf, dich zu stärken, zu festigen und zurechtzurücken, wenn du von ihm, dem Unfehlbaren, ernstlich und bescheiden Weisheit erbittest. Er hat verheißen, daß du nicht vergeblich bitten sollst.

Wenn du anderen Menschen die Wahrheit vorträgst, unterliegst du der Gefahr, zu scharf zu sprechen; in einer Weise etwa, die mit deiner kurzen Erfahrung nicht in Einklang steht. Du begreifst die einzelnen Dinge sofort und vermagst ihre Tragweite leicht zu erkennen. Nicht alle sind so begabt wie du. Du bist nicht bereit, geduldig und ruhig auf diejenigen zu warten, die das Beweismaterial erst prüfen müssen, weil sie nicht so rasch zu urteilen vermögen wie du. Damit andere ebenso schnell begreifen und den Eifer und die Notwendigkeit des Handelns ebenso fühlen sollen wie du selbst, bist du in Gefahr, andere zu sehr zu nötigen. Erfüllen sich deine Erwartungen nicht, wirst du vielleicht entmutigt und aufrührerisch und wünschst eine Veränderung.

Der Veranlagung, zu verurteilen und niederzureißen, mußt du entgegenwirken. Halte dich von allem fern, was den Anschein eines anklägerischen Geistes erwecken könnte. Es gefällt Gott nicht, wenn irgendeiner seiner erfahrenen Diener von diesem Geist beherrscht wird. Es steht einem Jüngling gut an, Eifer und Begeisterung zu zeigen, vorausgesetzt, daß er demütig und bescheiden ist; wenn aber ein Jüngling, der nur wenige Jahre Erfahrung besitzt, einen unbesonnenen Eifer und einen anklägerischen Geist an den Tag legt, so wirkt das höchst unziemlich und abstoßend. Nichts vermag seinen Einfluß so schnell zu untergraben wie diese Charakterfehler. Sanftmut, Güte, Geduld, Selbstbeherrschung, Verträglichkeit, Duldsamkeit und Zuversicht, das sind die Früchte, die auf dem köstlichen Baum der Liebe gedeihen, der himmlischen Ursprungs ist. Dieser Baum wird bei entsprechender Pflege unverwelkbar sein. Seine Zweige werden nicht verdorren und seine Blätter nicht welken. Er ist unsterblich ewig und wird ständig vom Tau des Himmels benetzt.

Die Macht der Liebe

Liebe ist Macht. Geistige und sittliche Kräfte liegen in ihr beschlossen und können von ihr nicht getrennt werden. Die Macht des Reichtums drängt danach, zu verderben und zu zerstören; die Macht der Gewalt versucht, Schaden anzurichten, aber der Wert und die Vollkommenheit echter Liebe bestehen in dem Vermögen, Gutes und nichts als Gutes zu tun. Was immer aus echter Liebe getan wird, ist durchaus fruchtbar, sei es in den Augen der Menschen auch noch so gering oder verächtlich denn Gott schaut nicht so sehr nach dem Ergebnis unseres Handelns als vielmehr nach der Größe der Liebe, mit der es geschieht. Die Liebe ist von Gott. Das unbekehrte Herz kann diese Pflanze himmlischer Herkunft weder hervorbringen noch sichtbar machen. Sie lebt und gedeiht nur dort, wo Christus regiert.

Liebe kann nicht bestehen, ohne Ausdruck zu finden. Jede Tat macht sie größer, stärker und umfassender. Liebe wird den Sieg erringen, wenn Beweise und Autoritäten machtlos sind. Liebe arbeitet weder für Lohn noch Gewinn; doch Gott hat bestimmt, daß großer Gewinn die unausbleibliche Frucht jeder Liebestat ist. Liebe verströmt sich nach allen Seiten und ist schlicht und still in ihrer Wirksamkeit, aber sie ist stark und mächtig in ihrem Streben, Unheil zu überwinden. Ihr Einfluß wirkt begütigend und umgestaltend. Sie packt das Leben der Sünder und rührt ihre Herzen, wo alle anderen Mittel versagen. Wo auch immer die Macht des Verstandes, der Gewalt und des Zwanges angewandt wird und die Liebe offenbar ausgeschaltet ist, nehmen die Gefühle und der Wille der Menschen, die wir zu erreichen trachten, eine abwehrende, ja zurückweisende Haltung ein, und ihre Widerstandskraft nimmt zu. Jesus war der Friedensfürst. Er kam, um sich Widerstreben und Gewalt zu unterwerfen. Er verfügte über Weisheit und Stärke. Doch die von ihm benutzten Mittel zur Überwindung des Bösen waren die Weisheit und die Kraft der Liebe. Dulde nicht, daß irgend etwas dein Interesse von der augenblicklichen Arbeit ablenkt, bis Gott die Zeit für gekommen hält, dir eine andere Aufgabe im gleichen Bereich zu geben. Jage nicht nach dem Glück, denn es wird niemals gefunden werden, indem man es sucht. Geh deiner Pflicht nach, handle gewissenhaft, und sei demütig!

"Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch." Matthäus 7,12. Herrliche Segnungen wären das Ergebnis eines solchen Wandels. "Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden." Vers 2. Das sind starke Gründe, die uns drängen müßten, uns untereinander von ganzem Herzen inbrünstig zu lieben. Christus ist unser Vorbild. Er zog umher und tat Gutes. Er lebte, um anderen zum Segen zu werden. All seine Taten erwuchsen aus der Liebe, die seine Handlungen adelte. Uns ist nicht befohlen, uns selbst das zu sichern, was wir von anderen erwarten; wir sollen vielmehr anderen das zubilligen, was wir unter gleichen Umständen auch von ihnen erwarten. Das Maß, mit dem wir messen, wird in jedem Falle an uns selbst angelegt. Echte Liebe ist in ihrem Wesen einfach und schlicht und von allen anderen Zweckhandlungen verschieden. Das Verlangen, Einfluß zu gewinnen und von anderen geschätzt zu werden, kann ein wohlgeordnetes Leben und häufig einen einwandfreien Umgang ermöglichen. Selbstachtung mag uns helfen, allen bösen Schein zu meiden. Ein selbstsüchtiges Herz mag großherzige Taten vollbringen, die gegenwärtige Wahrheit anerkennen und äußerlich Demut und Liebe zeigen. Dennoch können die Motive trügerisch und unlauter sein. Alles Handeln, das einem solchen Herzen entspringt, entbehrt nicht nur der Frische des Lebens und der Früchte echter Frömmigkeit, sondern hat auch die Quellen unverfälschter Liebe verlassen. Liebe sollte gehegt und gepflegt werden, denn sie strahlt einen göttlichen Einfluß aus.

Der Himmel muß hier auf Erden beginnen. Wenn die Nachfolger Christi mit Demut und Güte erfüllt sind, werden sie erkennen, daß die Liebe ein Panier über ihnen ist, und ihre Frucht wird ihrer Kehle süß sein. Sie werden hier auf Erden versuchen, nach den Grundsätzen des Himmels zu leben, um sich für den Himmel droben vorzubereiten. Testimonies for the Church VII, 131 (1902).