Aus der Schatzkammer der Zeugnisse -- Band 1

Kapitel 97

Botschafter Jesu Christi

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Christi Botschafter haben eine ernste und bedeutende Aufgabe, die manche allzusehr von der leichten Seite nehmen. Christus ist unser Diener im himmlischen Heiligtum. Zugleich ist er auch durch seine Bevollmächtigten der Diener seiner Gemeinde auf Erden. Er spricht zum Volk durch auserwählte Menschen und treibt sein Werk durch sie voran, als ob er selbst, wie in den Tagen seiner Erniedrigung, sichtbar auf Erden lebte. Wenn auch Jahrhunderte dahingegangen sind, die Zeit hat seine Abschiedsverheißung an seine Jünger nicht verändert: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Matthäus 28,20. Von Christi Himmelfahrt bis auf den heutigen Tag sind von Gott berufene und von ihm ermächtigte Menschen zu Glaubenslehrern geworden. Christus, der wahre Hirte, nimmt sein Werk durch diese ihm untergeordneten Hirten wahr. Dadurch gewinnt die Stellung der Verkünder des Wortes Gottes sehr an Bedeutung. An Christi Statt bitten sie das Volk: Laßt euch mit Gott versöhnen!

Die Kinder Gottes sollten ihre Prediger nicht nur als öffentliche Redner und Wortführer ansehen, sondern als Christi Botschafter, die ihre Kraft und Weisheit von dem Haupt der Gemeinde empfangen. Das von Christi Boten verkündete Wort geringzuschätzen und zu mißachten, ist nicht nur unehrerbietig gegenüber diesen Menschen, sondern auch gegenüber dem Meister, der sie gesandt hat. Der Prediger steht an Christi Statt, und die Stimme des Heilandes sollte aus dem Munde seines Stellvertreters gehört werden.

Predigt Christus!

Viele unserer Prediger haben einen großen Fehler begangen, indem sie ihre Vorträge ganz auf eine logische Beweisführung aufbauten. Es gibt Menschen, die das Lehrgebäude der Wahrheit vernehmen und von den angeführten Tatsachen beeindruckt sind. Wird ihnen dann in einem Teil des Vortrages Christus als Heiland der Welt dargestellt, kann der ausgestreute Same aufgehen und Frucht tragen zur Ehre Gottes. Aber wie oft wird versäumt, die Menschen auf das Kreuz Christi hinzuweisen. Manche lauschen vielleicht zum letzten Male einer Predigt, und etliche werden vielleicht niemals wieder Gelegenheit haben die Wahrheit Zug um Zug so planmäßig entfaltet und so klar auf das praktische Leben angewandt zu hören. Diese verpaßte goldene Gelegenheit ist für immer dahin. Wäre Christus und seine erlösende Liebe in Verbindung mit den Lehren der Wahrheit verkündigt worden, hätten diese Menschen auf seine Seite gebracht werden können.

Es gibt mehr Menschen, als wir annehmen, die Verlangen haben, den Weg zu Christus zu finden. Viele hören volkstümliche Predigten, die von der Kanzel herab gehalten werden, und wissen daraufhin nicht besser als zuvor, Jesus, seinen Frieden und seine Ruhe zu finden, nach denen sich ihr Herz sehnt. Alle Prediger, die der Welt die letzte Gnadenbotschaft verkündigen, sollten daran denken, daß Christus als einzige Zuflucht des Sünders gepriesen werden muß. Viele Prediger halten es für unnötig, aus einem durch die Liebe Gottes völlig überwältigten Herzen Buße und Glauben zu predigen. Für sie ist es selbstverständlich, daß ihre Zuhörer mit dem Evangelium vertraut sind. Nach ihrer Meinung muß man ihnen die Dinge in der verschiedenartigsten Weise vortragen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Zeigen sich ihre Zuhörer interessiert, halten sie das für einen Beweis ihres Erfolges. Die Menschen sind hinsichtlich des Erlösungsplanes unwissender und müssen über diese äußerst wichtige Frage mehr belehrt werden als über irgendein anderes Thema.

Alle, die sich versammeln, um der Wahrheit zu lauschen, sollten es wie Kornelius und seine Freunde in der Erwartung tun, Nutzen daraus zu ziehen: "Nun sind wir alle hier gegenwärtig vor Gott, zu hören alles, was dir von Gott befohlen ist."

Belehrende Vorträge sind wesentlich, damit jeder die Lehre kennenlerne und den Aufbau der Wahrheit Glied für Glied, zu einem vollkommenen Ganzen vereint, erkenne. Doch sollte niemals ein Vortrag gehalten werden, ohne Christus und seinen Kreuzestod als Grundlage des Evangeliums darzustellen. Gleichfalls heißt es, die gepredigten Wahrheiten praktisch anzuwenden, um den Menschen den Eindruck zu vermitteln, daß die Lehre Christi nicht Ja und Nein ist, sondern Ja und Amen in Jesus Christus.

Nachdem der lehrhafte Teil der Wahrheit dargestellt worden ist, folgt die schwierigere Aufgabe. Die Menschen müssen in den praktischen Wahrheiten unterwiesen werden, die sich auf ihr alltägliches Leben beziehen. Sie müssen erkennen und empfinden, daß sie Sünder sind und es nötig haben, sich zu Gott zu bekehren. Was Christus sagte, was er tat und lehrte, muß ihnen in nachdrücklichster Weise nahegebracht werden.

Doch die Arbeit des Predigers beginnt erst dann, wenn sich das Verständnis der Menschen der Wahrheit geöffnet hat. Christus ist unser Mittler und Hoherpriester, der in der Gegenwart des Vaters seinen Dienst versieht. Er wurde Johannes als Lamm gezeigt, das erwürgt worden ist, gleichsam gerade, als es sein Blut für die Sünder vergoß. Wenn Gottes Gesetz dem sündigen Menschen vor Augen gestellt wird und ihm die Verworfenheit seiner Sünden zeigt, sollte er auf Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt, hingewiesen werden. Zu den vornehmsten Aufgaben gehört es, die Buße vor Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus zu lehren. Damit stimmt die Arbeit des Vertreters Christi mit dem Wirken des Erlösers im himmlischen Heiligtum überein.

Lehrt praktische Frömmigkeit!

Die Prediger würden viel mehr Herzen erreichen, wenn sie auf die praktische Frömmigkeit stärkeren Nachdruck legten. Wenn sie sich bemühen, die Wahrheit in neue Gebiete einzuführen, enthalten ihre Vorträge häufig zuviel Theorie. Die Menschen sind unentschlossen. Sie erkennen die zwingende Kraft der Wahrheit und sind eifrig darauf bedacht, eine sichere Grundlage zu erlangen. Wenn sich zeigt, daß sie dafür empfänglich sind, ist es vor allem anderen an der Zeit, ihrem Gewissen den Glauben Christi nahezubringen. Aber allzuoft wurde eine Vortragsreihe beendet, ohne daß jene für die Menschen so notwendige Aufgabe erfüllt worden war. Diese Bemühungen glichen zu sehr dem Opfer Kains. Kain fehlte das zum Opfer gehörige Blut, um es vor Gott angenehm zu machen. Es war recht, daß Kain ein Opfer brachte, aber alles, was seinem Opfer einen Wert verliehen hätte, ließ er weg -- das Blut der Versöhnung.

Es ist eine traurige Tatsache, daß viele Menschen deshalb mehr Nachdruck auf theoretische als auf praktische Frömmigkeit legen, weil Christus nicht in ihren Herzen wohnt. Sie stehen nicht in lebendiger Verbindung mit Gott. Viele Seelen entscheiden sich für die Wahrheit angesichts der überzeugenden Kraft der Beweise, ohne jedoch bekehrt zu sein. Außer belehrenden Vorträgen gab es keine, die eine praktische Frömmigkeit verkündeten. Denn solche Vorträge sollen dazu dienen, in den Hörern durch die Darstellung des großartigen Aufbaus der Wahrheit Liebe zum Urheber der Wahrheit und das Verlangen zu wecken, durch Gehorsam geheiligt zu werden. Die Arbeit des Predigers ist nicht vollendet, bis er seinen Hörern nachdrücklich die Notwendigkeit einer charakterlichen Umwandlung im Sinn und Geiste der lauteren Grundsätze der Wahrheit nahegelegt hat, die sie empfangen haben.

Ein formaler Scheinglaube ist zu verabscheuen, weil Jesus Christus nicht im Mittelpunkt steht. Christus hielt schlichte, bündige, eindringliche und praktische Reden. Seine Botschafter haben in jeder ihrer Reden seinem Beispiel zu folgen. Christus und sein Vater waren eins; Christus fügte sich mit Freuden allen Forderungen seines Vaters. Er war gesinnt wie Gott. Der Erlöser war das vollkommene Vorbild. In ihm offenbarte sich das Wesen des Herrn. Der Himmel wurde in menschliche Natur eingeschlossen, und diese wiederum in den Schoß unendlicher Liebe.

Wenn Prediger bereit sind, demütig zu Jesu Füßen zu sitzen, werden sie bald das Wesen Gottes richtig erkennen. Dann werden sie auch fähig sein, andere Menschen im gleichen Geist zu lehren. Manche treten ohne tiefe Liebe zu Gott oder ihren Mitmenschen ins Predigtamt ein. Egoismus und Nachsicht gegen sich selbst beherrschen das Leben solcher Prediger. Während diese ungeheiligten, treulosen Wächter sich selbst dienen, statt die Herde zu speisen und ihren seelsorgerlichen Aufgaben nachzukommen, geht das Volk wegen mangelnder geeigneter Unterweisung zugrunde.

Rüttelt die Menschen auf!

In jedem Vortrag sollten die Hörer nachdrücklich aufgefordert werden, ihren Sünden zu entsagen und sich Christus zuzuwenden. Die allgemeinhin üblichen Sünden und Schwächen unserer Zeit müssen wir verurteilen und statt ihrer praktische Frömmigkeit einschärfen. Für den Prediger gilt, mit tiefem Ernst bei der Sache zu sein und die Worte, die er verkündet, von Herzen mitzuempfinden. Unmöglich der Gedanke, daß er sein Mitgefühl für die Männer und Frauen unterdrückte, für die Christus gestorben ist. Der Meister sagte: "Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen." Psalm 69,10. Der gleiche Eifer sollte seine Stellvertreter beseelen.

Ein unermeßlich großes Opfer wurde für die Menschheit dargebracht. Für jede Seele, die die Erlösung nicht annimmt, wurde es jedoch vergeblich dargebracht. Wie wichtig ist es dann, daß derjenige, der die Wahrheit verkündigt, sie in der vollen Erkenntnis der auf ihm ruhenden Verantwortung verkündigt. Besorgt, mitfühlend und zuvorkommend sollte sein Verhalten gegenüber anderen Menschen sein, denn der Heiland der Welt hat zu erkennen gegeben, daß er ihnen solch hohen Wert beimißt. Die von Christus gestellte Frage lautete: "Welcher ist aber nun ein treuer und kluger Knecht, den der Herr gesetzt hat über sein Gesinde?" Matthäus 24,45. Jesus fragt: "Welcher ist es?" Für jeden Diener des Evangeliums ist es notwendig, diese Frage seinem eigenen Herzen vorzulegen. Wenn er die ernsten Wahrheiten betrachtet und sein Geist das von dem treuen und klugen Knecht entworfene Bild schaut, sollte seine Seele bis in ihre letzten Tiefen aufgerüttelt werden.

Täter des Worts

Jedem Menschen ist eine bestimmte Aufgabe anvertraut; nicht ein einziger wird davon entbunden. Entsprechend seinen Fähigkeiten hat jeder sein Teil auszuführen. Wer die Wahrheit verkündigt, ist verpflichtet, sorgfältig und unter Gebet die Aufnahmefähigkeit aller Menschen kennenzulernen, die die Wahrheit annehmen. Dann erst soll er diese unterweisen und ihnen Schritt für Schritt vorangehen. Er soll darauf hinwirken, daß sich diese der auf ihnen ruhenden Verantwortung bewußt werden, um die Aufgabe auszuführen, die Gott für sie bereit hat. Es gilt, mit allem Nachdruck ihnen immer und immer wieder einzuprägen, daß kein Mensch imstande ist, Versuchungen zu widerstehen, den Absichten Gottes zu entsprechen und das Leben eines Christen zu führen, es sei denn, er nimmt seine Arbeit auf, ganz gleich, ob sie groß oder klein ist, und führt sie treu und gewissenhaft durch. Außer dem Besuch der Gemeinde und dem Hören des Wortes Gottes haben alle eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Sie müssen die Wahrheit, die sie aufgenommen haben, in die Tat umsetzen und ihre Grundsätze auf das tägliche Leben übertragen. Sie müssen ohne Unterlaß für Christus wirken, nicht aus eigennützigen Motiven, sondern einzig und allein im Hinblick auf Christi Ehre, der jedes Opfer brachte, um sie vom Verderben zu erretten.

Prediger sollten den Menschen, die die Wahrheit angenommen haben, einschärfen, daß Christus in ihren Heimen wohnen muß und daß sie seine Gnade und Weisheit brauchen, um ihre Kinder anleiten und beaufsichtigen zu können. Das ist ein Teil der Aufgabe, die zu erfüllen Gott ihnen überlassen hat diese Kinder zu erziehen, sie zur Ordnung anzuhalten und ihnen strikten Gehorsam beizubringen. Das freundliche und höfliche Wesen des Predigers sollte an seiner Behandlung der Kinder erkennbar sein. Er darf niemals vergessen, daß sie Männer und Frauen im kleinen sind, jüngere Glieder von des Herrn Gesinde. Sie können dem Meister sehr nahestehen und lieb sein. Wenn sie in geeigneter Weise erzogen und herangebildet werden, vermögen sie ihm sogar in ihrer Jugend zu dienen. Christus ist über jedes barsche, harte und unüberlegte Wort zu Kindern betrübt, und nicht immer werden ihre Rechte berücksichtigt. Häufig werden sie so behandelt, als seien sie keine Persönlichkeiten, die einer geeigneten Entfaltung bedürfen, um in keine falsche Richtung zu geraten und Gottes Vorhaben nicht mißlingen zu lassen.

Timotheus kannte von Kindheit an die Heilige Schrift, und diese Kenntnis bot ihm Schutz gegen die ihn umgebenden bösen Einflüsse und gegen die Versuchung, Vergnügen und Erfüllung eigennütziger Wünsche der Pflicht vorzuziehen. Solch einen Schutz brauchen alle unsere Kinder, und ein Teil der Aufgabe der Eltern und der Botschafter Christi sollte darin bestehen, dafür zu sorgen, daß die Kinder in Gottes Wort unterrichtet werden.

Vollkommenheit in Christus

Wenn der Prediger die Billigung seines Herrn finden will, muß er gewissenhaft seine Aufgabe erfüllen und "darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu". Er sollte in seiner Arbeitsweise nicht den Eindruck erwecken, als sei es von geringer Bedeutung, ob Menschen die Wahrheit annehmen und wahre Frömmigkeit üben oder nicht. Vielmehr soll die Gewissenhaftigkeit und Selbstaufopferung, die in seinem Leben zutage tritt, so beschaffen sein, daß der Sünder zu der Überzeugung gelangt, daß ewige Interessen auf dem Spiel stehen und seine Seele in Gefahr schwebt, wenn er nicht der um seinetwillen geschehenen Arbeit entspricht. Wer aus Irrtum und Finsternis zur Wahrheit und ans Licht gebracht worden ist, muß sich gewaltig wandeln. Wenn dem Gewissen nicht eingeschärft wird, wie notwendig eine sorgfältige Umgestaltung ist, gleicht er dem Mann, der in den Spiegel des Gesetzes Gottes schaute, seine charakterlichen Mängel entdeckte, davonging und vergaß, wie er gestaltet war. Die Seele muß der Verantwortung aufgeschlossen bleiben, oder sie wird noch gleichgültiger werden, als es vor ihrer Erweckung der Fall war.

Die Arbeit der Botschafter Christi ist weitaus umfassender und verantwortungsvoller, als viele ahnen. Sie sollten mit ihrem Erfolg unter keinen Umständen zufrieden sein, bis sie Gott durch ihre ernsthaften Anstrengungen und durch seinen Segen brauchbare Christen zuführen können, die einen echten Sinn für ihre Verantwortung besitzen und bereit sind, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Bemühungen und Belehrungen haben zur Folge, daß solche Männer und Frauen zur Mitarbeit herangezogen werden, die charakterfest sind und eine so tiefe Überzeugung besitzen, daß sie sich durch keine eigennützige Eigenschaft an ihrer Aufgabe hindern, ihren Glauben schmälern oder sich von ihrer Pflicht abhalten lassen.

Wenn der Prediger die seiner Fürsorge anvertrauten Menschen recht unterwiesen hat und sich nun zu anderen Arbeitsfeldern begibt, wird sich das zurückgelassene Werk nicht auflösen, sondern es wird so gefestigt sein, daß es sicher bestehen bleibt. Nur wenn die Menschen, die die Wahrheit empfangen haben, gründlich bekehrt sind und sich ihr Leben und Charakter vollständig gewandelt haben, kann sich die Seele an den ewigen Felsen klammern; sonst vergeht die Wirkung bald, das Neue verblaßt, nachdem die Bemühungen des Predigers aufgehört haben. Die Wahrheit verliert ihre Wunderkraft. Diese Menschen befleißigen sich keines heiligenden Einflusses mehr und sind trotz ihres Glaubensbekenntnisses nicht besser als die andern.

Es wundert mich, daß wir trotz zahlreicher leuchtender Vorbilder für das, was der Mensch sein und vollbringen kann, nicht mehr angespornt werden, den guten Werken der Gerechten nachzueifern. Nicht alle können eine hervorragende Stellung bekleiden; dennoch mögen alle brauchbar sein und die Fähigkeiten besitzen, Vertrauensstellungen auszufüllen. Sie können sich durch beharrliche Treue weit nützlicher machen, als sie im entferntesten annehmen. Wer die Wahrheit annimmt, sollte nach einem klaren Verständnis der Schrift und nach einer Erfahrung mit dem lebendigen Erlöser trachten. Der Verstand sollte gebildet und das Gedächtnis geübt werden. Jegliche geistige Trägheit ist Sünde, und geistlicher Schlaf bedeutet Tod.

Lenkt die Gemüter auf Jesus!

Ach, verfügte ich doch über eine ausreichende Sprachgewalt, um meine Mitarbeiter am Evangelium so zu beeindrucken, wie ich es wünschte! Meine Brüder, ihr handhabt die Worte des Lebens; ihr verkehrt mit Seelen, die höchster Entfaltung fähig sind, wenn sie in die richtige Bahn gelenkt werden. In den durchgeführten Vorträgen wurde aber zuviel das eigene Ich in den Vordergrund gestellt. Der gekreuzigte Christus, der gen Himmel gefahrene Christus und der wiederkommende Christus sollte das Gemüt des Predigers erfüllen, es so erweichen und fröhlich machen, daß er den Menschen diese Wahrheiten in Liebe und mit tiefem Ernst darzustellen wünscht. Der Prediger tritt dann völlig zurück, und Jesus wird verherrlicht. Die Menschen werden von diesen Themen, die alle Aufmerksamkeit beanspruchen, so beeindruckt sein, daß sie darüber sprechen und sie rühmen, statt den Prediger zu loben, der nur Werkzeug ist. Wenn sie aber, während sie den Prediger loben, dem verkündigten Wort wenig Interesse entgegenbringen, kann er erkennen, daß sein eigenes Herz von der Wahrheit nicht geheiligt ist. Er spricht zu seinen Hörern nicht in solch einer Weise, daß Jesus geehrt und seine Liebe gepriesen würde.

Christus sprach: "Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." Matthäus 5,16. Laßt euer Licht so leuchten, daß der Ruhm nicht auf euch, sondern auf Gott zurückfällt. Wenn euch aber der Ruhm zuteil wird, wohlan, so möget ihr zittern und euch schämen, denn das erhabene Ziel ist zunichte gemacht; nicht Gott, sondern der Knecht wurde gepriesen. Laßt euer Licht also leuchten! Diener Christi, gib acht, wie dein Licht leuchtet! Strahlt es himmelwärts und offenbart es die Hoheit Christi, dann leuchtet es richtig. Richtet sich jedoch das Licht auf euch, stellt ihr euch selbst in den Vordergrund und zieht ihr die Menschen an, daß sie euch bewundern sollen, so wäre es besser für euch, gänzlich zu schweigen; denn euer Licht leuchtet in eine falsche Richtung.

Lebendige Stellvertreter Christi

Diener Christi, ihr könnt mit Gott verbunden sein, wenn ihr wacht und betet. Eure Worte seien mit Salz gewürzt, und christliche Sinnesart und wahre Würde durchdringe euer Verhalten. Wenn Gottes Friede in euch herrscht, wird seine Kraft eure Herzen nicht nur stärken, sondern sie erweichen, so daß ihr wirkliche Stellvertreter Christi werdet. Das Volk, das die Wahrheit bekennt, wird Gott abtrünnig. Jesus wird bald kommen, und sie sind nicht bereit. Der Prediger selbst muß einen höheren Glaubensstand erreichen, eine festere Glaubensüberzeugung, eine lebendige und nachdrückliche Erfahrung, die nicht stumpf und abgedroschen ist wie die der angeblichen Bekenner.

Gottes Wort stellt euch eine hohe Aufgabe. Möchtet ihr durch Fasten und unter Gebet stehenden Mühen dahin gelangen, einen vollendeten und beständigen christlichen Charakter zu entwickeln. "Tut gewisse Tritte mit euren Füßen, daß nicht jemand strauchle wie ein Lahmer." Hebräer 12,13. Eine enge Verbindung mit Gott wird eurer Arbeit jene Lebenskraft verleihen, die das Gewissen aufrüttelt, den Sünder von seinen Sünden überführt und ihn zu dem Ausruf veranlaßt: "Was soll ich tun, daß ich selig werde?"

Der Auftrag, den Christus seinen Jüngern unmittelbar vor seiner Himmelfahrt gab, lautete: "Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Matthäus 28,19.20. "Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden." Johannes 17,20. Der Auftrag erreicht diejenigen, die seinem Wort glauben werden, das durch seine Jünger verkündigt wird. Alle, die von Gott berufen sind, Botschafter für ihn zu sein, sollten die Beispiele über praktisches Christentum, die ihnen Christus in seinem Wort gegeben hat, aufgreifen und sie die Menschen lehren.

Christus öffnete seinen Jüngern die Schrift, begann bei Mose und den Propheten, unterwies sie in allen Dingen, die sich auf ihn bezogen, und erläuterte ihnen die Prophezeiungen. Die Apostel gingen in ihrer Predigt zurück bis in die Tage Adams, führten ihre Hörer durch die prophetische Geschichte, endeten bei Christus und seiner Kreuzigung und riefen die Sünder auf, zu bereuen und sich von ihren Sünden abzukehren und sich zu Gott hinzuwenden. Die heutigen Stellvertreter Christi sollten ihrem Beispiel folgen und in jeder Predigt Christus als den Erhabenen preisen, der alles und in allen ist.

Eine bekehrte Predigerschaft

Äußerer Schein ergreift nicht nur das Namenschristentum, sondern nimmt auch in beunruhigendem Ausmaß unter den Menschen zu, die die Gebote Gottes zu halten bekennen und nach dem baldigen Erscheinen Christi in den Wolken des Himmels Ausschau halten. Engherzige Ansichten sind unangebracht für uns. Wir sollten unsere Möglichkeiten, Gutes zu tun, nicht beschränken. Doch wir haben darauf zu achten, daß wir, während wir unseren Einfluß ausweiten und unsere Pläne ausdehnen, so wie die Vorsehung die Wege öffnet, ernsthafter die Abgötterei der Welt meiden. Während wir uns stärker darum bemühen, unsere Brauchbarkeit zu steigern, müssen wir auch entsprechend danach trachten, göttliche Weisheit zu erhalten, um alle Zweige des Werkes nach Gottes Anordnung und nicht nach weltlichen Gesichtspunkten weiterzuführen. Wir sollten keine weltlichen Gewohnheiten nachahmen, sondern das Äußerste aus den Möglichkeiten herausschöpfen, die Gott in unsere Macht gegeben hat, um die Wahrheit unter den Menschen zu verbreiten.

Wir sind ein Volk. Wenn unsere Werke mit unserem Glaubensbekenntnis übereinstimmen, werden wir viel mehr erreichen als jetzt. Hätten wir noch Männer so voller Hingabe und gleicher Glaubenskraft wie Elia, wir erlebten, daß sich Gott uns offenbarte, wie er sich einst den heiligen Männern offenbart hat. Wir würden die gleichen Ergebnisse erzielen, wenn wir Männer wie Jakob hätten, die mit Gott in ernsthaftem Glauben ringen und ihre eigene Unzulänglichkeit erkannt haben. Als Antwort auf das Gebet des Glaubens wird der Mensch mit göttlicher Kraft erfüllt.

In der Welt gibt es nur wenig Glauben. Es sind nicht viele, die unter Gottes Augen leben. Wie können wir erwarten, daß sich Gott den Menschen offenbaren wird, wenn man sein Wort geringschätzig behandelt und unsere Herzen durch die Wahrheit nicht geheiligt werden? Wie können wir dann mehr Kraft erwarten? Menschen, die kaum halb bekehrt sind, die sich auf sich selbst verlassen und von sich eingenommen sind, predigen anderen die Wahrheit. Aber Gott wirkt nicht mit ihnen, weil sie im Herzen und im Leben nicht geheiligt sind. Sie wandeln nicht demütig vor Gott. Wir brauchen Prediger, die gründlich bekehrt sind, dann werden wir erleben, wie alle unsere Bemühungen von Gottes Licht und Kraft unterstützt werden.

Die Wächter, die vor alters auf den Mauern Jerusalems und anderer Städte postiert waren, bekleideten eine sehr verantwortungsvolle Stellung. Von ihrer Pflichttreue hing die Sicherheit aller Menschen in diesen Städten ab. Wenn Gefahr vermutet wurde, durften sie weder am Tage noch des Nachts schweigen. Ihre Aufgabe war es, sich gegenseitig in kurzen Zeitabständen anzurufen, um festzustellen, ob noch alle wach und unverletzt seien. Auf einigen Erhöhungen wurden Posten aufgestellt; von dort aus konnten sie die wichtigen zu bewachenden Stellen überblicken. Entsprechend der Lage ließen sie Warnungs- oder Freudenrufe ertönen. Diese wurden von einem zum andern weitergegeben. Jeder wiederholte die Worte, bis der Ruf die ganze Runde um die Stadt gemacht hatte.

Diese Wächter stellen das Predigtamt dar, von dessen Pflichttreue die Rettung von Seelen abhängt. Die Haushalter über Gottes Geheimnisse sollten wie Wächter auf den Mauern Zions stehen, und wenn sie die drohende Gefahr anrücken sehen, ist es ihre Aufgabe, das Warnsignal ertönen zu lassen. Sollten sie jedoch schläfrige Wachen mit so erstarrten geistlichen Sinnen sein, daß sie die Gefahr weder sehen noch erkennen und Gottes Kinder darin umkommen, dann wird Gott deren Blut von den Händen der Wächter fordern.

Die heilige Verantwortung der Wächter

"Und nun, du Menschenkind, ich habe dich zu einem Wächter gesetzt über das Haus Israel, wenn du etwas aus meinem Munde hörst, daß du sie von meinetwegen warnen sollst." Hesekiel 3,7. Die Wächter müssen in der unmittelbaren Gegenwart Gottes leben, um sein Wort zu hören und von seinem Geist ganz erfüllt zu werden, damit das Volk nicht vergeblich auf sie zu schauen braucht. "Wenn ich nun zu dem Gottlosen sage: Du Gottloser mußt des Todes sterben! und du sagst ihm solches nicht, daß sich der Gottlose warnen lasse vor seinem Wesen, so wird wohl der Gottlose um seines gottlosen Wesens willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Warnest du aber den Gottlosen vor seinem Wesen, daß er sich davon bekehre, und er will sich nicht von seinem Wesen bekehren, so wird er um seiner Sünde willen sterben, und du hast deine Seele errettet." Hesekiel 3,8.9. Die Botschafter Christi sollten sich hüten, durch ihre Pflichtvergessenheit ihre eigenen Seelen und die Seelen der Menschen zu verlieren, die sie hören.

Mir wurden die Gemeinden, die angeblich die Gebote Gottes halten und nach dem zweiten Kommen Christi ausschauen, in verschiedener Verfassung gezeigt. Es herrscht unter ihnen beunruhigend viel Gleichgültigkeit, Hochmut, Weltliebe und kaltes Formenwesen. Und was ihre mangelnde Frömmigkeit betrifft, so sind sie das Volk, das fast schon dem alten Israel ähnelt. Viele Menschen erheben den hohen Anspruch, fromm zu sein, sie sind jedoch -- bar jeder Selbstbeherrschung. Begierden und Leidenschaften haben das Übergewicht das Ich ist in den Vordergrund getreten. Viele sind eigenwillig und gebieterisch, sie verhalten sich anmaßend, hochmütig und prahlerisch und sind ganz und gar ungeheiligt. Gleichwohl sind einige dieser Personen Prediger, die mit heiligen Wahrheiten umgehen. Wenn sie nicht Buße tun, wird ihr Leuchter von seiner Stätte weggestoßen werden. Offenbarung 2,5. Der über den unfruchtbaren Feigenbaum ausgesprochene Fluch des Heilandes ist eine Predigt für alle Formenmenschen und prahlerischen Scheinheiligen, die mit Hoffnung erweckenden Blättern vor die Welt treten, aber der Frucht ermangeln. Welch ein Tadel für die Menschen, die den Schein eines gottseligen Wesens haben, aber dessen Kraft in ihrem unchristlichen Leben verleugnen! Er, der den vornehmsten der Sünder behutsam behandelte und wahre Demut und Buße niemals zurückstieß, trat jenen mit schneidender Schärfe entgegen, die überheblich auf ihre Frömmigkeit pochten, aber ihren Glauben durch ihre Werke verleugneten.