Aus der Schatzkammer der Zeugnisse -- Band 1

Kapitel 103

Was den Geist schwächt

[AUDIO]

Meine Liebe zu dir veranlaßt mich, jetzt zu schreiben. Ich bin von der Last der Verantwortung überwältigt, die ich dadurch auf mich nehme, indem ich dir diese Dinge mitteile. Durch deine Lebensführung verschließt du dir selbst und deinen Kindern die Tore des Himmels; denn euer gegenwärtiger unvollkommener Charakter verbietet, daß du mit deinen Kindern jemals dort eingehen wirst. Meine Schwester, du spielst eine traurige Rolle und wirst im Leben scheitern. Heilige Engel schauen voll Trauer auf dich herab, und böse Geister blicken siegesgewiß vorwärts; sie sehen, wie du die Tugenden eines christlichen Charakters verlierst, schnell verlierst, während Satan an ihrer Stelle seine eigenen, bösen Wesenszüge einpflanzt.

Du liest Romane und Erzählungen, bis du schließlich selbst völlig in einer Scheinwelt lebst. Der Einfluß solchen Lesestoffes ist für Geist und Körper gleichermaßen schädlich. Der Verstand wird geschwächt. Die körperlichen Kräfte zeigen sich in erschreckender Weise überfordert. Zeitweise ist dein Gemüt kaum noch als gesund anzusprechen, weil deine Einbildungskraft durch diese erfundenen Erzählungen übermäßig erregt und angesteckt ist. Der Geist sollte so erzogen werden, daß sich seine gesamten Kräfte gleichmäßig entwickeln. Ein bestimmter Bildungsgang mag einzelne Fähigkeiten stärken. Aber zur gleichen Zeit bleiben andere Fähigkeiten unentwickelt, so daß sie nicht mehr eingesetzt werden können, sie sind gelähmt. Schlechtgewählter Lesestoff beeinträchtigt ganz erheblich das Gedächtnis. Als Folgen ergeben sich die Verstandeskräfte werden aus dem Gleichgewicht geworfen, wir werden nervös und fühlen uns abgespannt, ja unser gesamter Organismus ist völlig entkräftet. Wenn die Einbildungskraft ständig durch romanhaften Lesestoff überreizt und angeregt wird, erhebt sie sich bald zum Tyrannen, der alle anderen Geisteskräfte beherrscht, was dazu führt, daß die Betreffenden launisch und ihre Triebe verderbt werden.

Du bist geistig überfüttert. Dein Verstand wurde mit Wissenswertem aller Art vollgestopft, Politik, Geschichte, Theologie und auch Anekdoten, aber nur ein Teil kann von deinem mißhandelten Gedächtnis aufgenommen werden. Viel weniger Kenntnisse, von einem gutgeschulten Geist aufgenommen, wären weitaus wertvoller. Du hast versäumt, deinen Geist kräftig zu betätigen. Deshalb leidest du unter der beherrschenden Kraft deines Willens und deiner Stimmungen. Sie regieren dich, statt dir zu dienen. Die Folge ist, daß du deine körperlichen und geistigen Kräfte einbüßt.

Jahre hindurch glich dein Geist einem murmelnden Bach, der fast ganz mit Felsgestein und Unkraut angefüllt ist. Sein Wasser rann vergebens. Setztest du deine Kräfte für hohe Ziele ein, wärest du nicht so krank wie jetzt. Du glaubst, man müßte deinem launischen Geschmack und deinem übermäßigen Lesetrieb alle Freiheit lassen. Ich sah in deinem Zimmer um Mitternacht noch Licht brennen, während du in eine fesselnde Geschichte vertieft warst und damit dein schon übermäßig beanspruchtes Gehirn noch mehr reiztest. Diese Lebensweise hat deine Lebenskraft vermindert und dich körperlich, geistig und moralisch geschwächt. Deine unregelmäßige Lebensführung brachte Unordnung über dein Haus. Wenn dieser Zustand anhält, wird dein Geist in Schwachheit versinken. Du hast nicht nur die Gnadenzeit mißbraucht, die dir von Gott gewährt wurde, sondern auch deine Lebenszeit vergeudet.

Ungeeigneter Lesestoff und seine Folgen

Gott gibt uns Fähigkeiten, damit wir sie nutzbringend anwenden und nicht Mißbrauch mit ihnen treiben. Erziehung dient nur der Schulung der körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte, um allen Lebensnotwendigkeiten so gut wie möglich nachkommen zu können. Ungeeigneter Lesestoff lenkt die Erziehung in falsche Bahnen. Die Kraft zur Ausdauer und die Stärke und Lebendigkeit des Verstandes können abnehmen oder wachsen, je nachdem, wie sie eingesetzt werden. Vor dir liegt noch die Aufgabe, dich von deiner oberflächlichen Lektüre zu trennen. Schaff sie aus dem Haus! Wehre der Versuchung, daß sie nicht deine Phantasie vergifte, deine Nerven aus dem Gleichgewicht bringe und deine Kinder zugrunde richte! Durch vieles Lesen machst du es dir selbst unmöglich, deine Pflichten als Frau und Mutter zu erfüllen. Darüber hinaus wirst du dann tatsächlich nicht in der Lage sein, irgendwo Gutes zu tun.

Die Bibel wird nicht so durchforscht, wie es sein sollte; deshalb bist du auch nicht in der Schrift bewandert und zu allem guten Werk geschickt. Seichter Lesestoff fesselt das Gemüt und läßt das Lesen des Wortes Gottes wenig anziehend erscheinen. Du bemühst dich, andere glauben zu machen, daß du mit der Schrift vertraut seist. Du kannst jedoch gar nicht mit ihr vertraut sein, denn dein Verstand ist mit allerlei unnützem Zeug angefüllt. Der Umgang mit der Bibel erfordert nicht nur, daß wir denken und urteilen können, sondern verlangt auch, daß wir sie unter Gebet durchforschen. Es genügt nicht, oberflächlich darüber hinwegzugleiten. Während einige Abschnitte zu deutlich sind, um mißverstanden zu werden, sind andere schwieriger und erfordern sorgfältiges und geduldiges Studium. Gleich dem kostbaren Metall, das in den Hügeln und Bergen verborgen liegt, müssen die Edelsteine der Wahrheit, die die Heilige Schrift enthält, herausgesucht und in eines jeden Herz für den künftigen Bedarf bewahrt werden. Wenn doch alle ebenso beständig nach dem himmlischen Gold suchen wollten, wie nach dem vergänglichen!

Wenn du die Schrift mit dem ernsten Verlangen durchforschst, die Wahrheit kennenzulernen, wird Gott seinen Geist in dein Herz senken und deinen Sinn mit dem Licht seines Wortes erfüllen. Die Bibel legt sich selbst für uns Menschen hinreichend aus; eine Schriftstelle erklärt die andere. Wenn du die Schriftstellen vergleichst, die sich auf dieselben Dinge beziehen, wirst du eine Schönheit und Harmonie erkennen, von denen du dir niemals eine Vorstellung gemacht hast. Kein anderes Buch als dieses Buch der Bücher vermag den Geist so zu stärken und zu weiten, zu erheben und zu adeln. Das Studium der Heiligen Schrift verleiht dem Geist frische Kraft, der auf diese Weise mit Problemen in Berührung kommt, die ernsthaftes Denken erfordern. Wir werden veranlaßt, Gott zu bitten, uns das Verständnis für die offenbarten Wahrheiten zu schenken. Wenn es dem Geist überlassen bleibt, sich mit Allerweltsdingen zu befassen, statt tiefen und inhaltsreichen Gedanken nachzugehen, wird unser gesamtes Denken auf die Stufe des Gelesenen herabsinken und alle Spannkraft verlieren.

Menschen, die zu sorglos und gleichgültig sind, um sich zu tüchtigen, gutunterrichteten Mitarbeitern heranzuentwickeln, können nicht auf Gottes Wohlwollen bauen. Ein Christ sollte klüger sein und ein schärferes Urteil besitzen als ein sogenannter Weltmensch. Das Studium des Wortes Gottes weitet unausgesetzt das geistige Blickfeld und stärkt die Urteilskraft. Es gibt nichts, was den Charakter so läutert und erhebt und jede geistige Fähigkeit neu belebt, wie die ständige Tätigkeit des Verstandes, die gewichtigen und bedeutsamen Wahrheiten zu erfassen.

Der menschliche Geist verkümmert und wird geschwächt, wenn er nur im Alltagsleben aufgeht und sich niemals über die Stufe vergänglicher und gefühlsmäßiger Dinge erhebt, um in die Geheimnisse des Unsichtbaren einzudringen. Der Verstand wird allmählich das Niveau der Probleme erreichen, mit denen er sich ständig auseinandersetzt. Die Verstandeskräfte schrumpfen jedoch zusammen und büßen ihre Fähigkeiten ein, wenn sie brachliegen und sich nicht bemühen, an Erkenntnis zuzunehmen und die Offenbarungen göttlicher Macht in der Natur und in der Heiligen Schrift zu begreifen. Testimonies for the Church IV, 545.546 (1881).