Aus der Schatzkammer der Zeugnisse -- Band 2

Kapitel 12

Christliche Einigkeit

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"Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, durch den Namen unsers Herrn Jesu Christi, daß ihr allzumal einerlei Rede führet und lasset nicht Spaltungen unter euch sein, sondern haltet fest aneinander in einem Sinne und in einerlei Meinung." 1.Korinther 1,10.

Einigkeit macht stark, Trennung schwächt. Wenn alle, die an die gegenwärtige Wahrheit glauben, einig sind, dann üben sie einen spürbaren Einfluß aus. Satan begreift das gut. Nie zuvor war er entschlossener als heute, die Wahrheit Gottes dadurch unwirksam zu machen, daß er Verbitterung und Zwietracht im Volke Gottes erregt.

Die Welt ist gegen uns, die großen Kirchen sind gegen uns, bald werden auch die Landesgesetze gegen uns sein. Wenn es je eine Zeit gegeben hat, in der sich das Volk Gottes zusammenschließen sollte, dann ist es jetzt. Gott hat uns besondere Wahrheiten für diese Zeit anvertraut, um sie der Welt bekanntzumachen. Die letzte Gnadenbotschaft wird jetzt verkündet. Wir haben es mit Männern und Frauen zu tun, die dem Gericht verfallen sind. Wie vorsichtig sollten wir in allen Worten und Taten sein und unserm großen Vorbild genau folgen, damit unser Beispiel Menschen zu Christus führe! Mit welcher Sorgfalt sollten wir trachten, andern die Wahrheit so darzubieten, daß sie allein durch ihre Schönheit und Schlichtheit bewogen werden, sie anzunehmen! Wenn unsere Charaktere von ihrer heiligenden Kraft zeugen, werden wir für andere ein nie erlöschendes Licht sein -- lebendige Briefe, die allen Menschen bekannt sind und von ihnen gelesen werden. Wir dürfen unter keinen Umständen durch Unterstützung von Uneinigkeit, Mißhelligkeit und Streit Satan Raum geben.

In seinem letzten Gebet vor seiner Kreuzigung war es unsers Heilandes besonderes Anliegen, daß unter seinen Jüngern Einigkeit und Liebe herrschen mögen. Trotz der Kreuzesqual, die ihm bevorstand, galt seine Sorge nicht sich selbst, sondern denen, die er zurückließ, um sein Werk auf Erden fortzuführen. Die schwersten Prüfungen erwarteten sie, aber Jesus sah, daß ihnen die größte Gefahr aus Verbitterung und Spaltung erwachsen würde. Deshalb betete er:

"Heilige sie in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, du habest mich gesandt." Johannes 17,17-21.

Dieses Gebet Christi schließt alle seine Nachfolger bis ans Ende der Tage ein. Unser Heiland sah die Prüfungen und Gefahren seines Volkes voraus. Er achtet sehr wohl auf die Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen, die seine Gemeinde beunruhigen und schwächen. Er schaut mit tieferer Anteilnahme und zarterem Mitgefühl auf uns herab als irdische Eltern auf ein eigensinniges, leidendes Kind. Er fordert uns auf, von ihm zu lernen. Er erbittet unser Vertrauen. Er bittet uns, unsre Herzen seiner Liebe zu erschließen. Er hat gelobt, unser Helfer zu sein.

Sichere geistliche Leitung

Als Christus gen Himmel fuhr, ließ er sein Werk auf Erden in den Händen seiner Diener, der Unterhirten. "Und er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern, daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Dienstes, dadurch der Leib Christi erbaut werde, bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi." Epheser 4,11-13.

Als unser Heiland seine Diener aussandte, verlieh er den Menschen Gaben, denn durch jene teilt er der Welt die Botschaft vom ewigen Leben mit. Dies Mittel hat Gott bestimmt, die Heiligen in der Erkenntnis und wahren Heiligkeit vollkommen zu machen. Die Diener Christi sollen nicht nur die Wahrheit verkünden, sie sollen auch über die Seelen wachen als solche, die Gott dafür Rechenschaft ablegen müssen. Sie sollen tadeln, zurechtweisen und mit aller Langmut und Weisheit ermahnen.

Alle, die durch die Arbeit der Diener Gottes gefördert wurden, sollten sich mit ihnen ihrer Fähigkeit gemäß in der Arbeit der Seelenrettung vereinen. Das ist die Aufgabe aller wahrhaft Gläubigen, der Prediger wie der Gemeindeglieder. Stets sollten sie das erhabene Ziel vor Augen haben und versuchen, ihre Stellung in der Gemeinde auszufüllen und mit allen in Ordnung, Eintracht und Liebe zusammenzuarbeiten.

Das Christentum ist weder selbstsüchtig noch engherzig. Seine Grundgedanken strahlen überallhin aus und sind kämpferisch. Christus stellt es als das hellscheinende Licht, das erhaltende Salz, den umformenden Sauerteig dar. Mit Eifer, Ernst und Hingabe werden die Diener Gottes danach trachten, die Wahrheit nah und fern zu verkünden. Doch werden sie darüber nicht versäumen, sich auch um die Stärke und Einigkeit der Gemeinde zu bemühen. Sie werden sorgfältig darauf achten, daß sich nicht bei günstiger Gelegenheit Zwietracht und Spaltungen einschleichen.

Jüngst sind Menschen unter uns aufgestanden, die behaupten, Diener Christi zu sein, ihre Arbeit aber ist der Einigkeit abträglich, die unser Herr in der Gemeinde gestiftet hat. Sie haben eigene Pläne und Arbeitsmethoden. Sie möchten Veränderungen in der Gemeinde einführen, die zu ihren Vorstellungen vom Fortschritt passen, und sie bilden sich ein, auf diese Weise große Erfolge zu erzielen. Diese Menschen hätten es nötig, in der Schule Christi eher Schüler als Lehrer zu sein. Sie sind immer in Unruhe, bestrebt, irgend etwas Großes zu vollbringen, etwas, das ihnen Ehre einbringt. Sie hätten es nötig, die nützlichste aller Lehren zu erfassen: Demut und Glaube an Jesus. Einige beobachten ihre Mitarbeiter und mühen sich eifrig, deren Fehler herauszustellen. Statt dessen sollten sie vielmehr ernstlich bemüht sein, sich selbst auf den bevorstehenden großen Kampf vorzubereiten. Der Heiland fordert sie auf: "Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen." Matthäus 11,29.

Lehrer der Wahrheit, Missionare, Gemeindebeamte könnten für ihren Meister ein gutes Werk tun, wenn sie sich nur durch Gehorsam gegen die Wahrheit reinigen wollten. Jeder lebendige Christ wird ein uneigennütziger Arbeiter Gottes sein. Der Herr hat uns die Erkenntnis seines Willens geschenkt, damit wir für andere zu Quellen des Lichtes werden. Wenn Christus in uns bleibt, können wir nicht anders, als für ihn tätig sein. Es ist unmöglich, bei Gott in Gunst zu stehen, sich der Wohltat der Heilandsliebe zu erfreuen, und dennoch gleichgültig gegenüber der Gefahr derer zu sein, die in ihren Sünden sterben. "Darin wird mein Vater geehrt, daß ihr viel Frucht bringet." Johannes 15,8.

Paulus ermahnt dringend zu Einigkeit und Liebe

Paulus bat die Epheser dringend, Einigkeit und Liebe zu bewahren: "So ermahne nun euch ich Gefangener in dem Herrn, daß ihr wandelt, wie sich's gebührt eurer Berufung, mit der ihr berufen seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe und seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen." Epheser 4,1-6.

Der Apostel ermahnt seine Brüder, in ihrem Leben die Kraft der Wahrheit zu bekunden, die er ihnen dargeboten hatte. In Sanftmut und Güte, Geduld und Liebe sollten sie durch ihr Beispiel den Charakter Christi und die Segnungen seiner Erlösung vorleben. Es gibt nur einen Leib und einen Geist, einen Herrn, einen Glauben. Als Glieder des Leibes Christi werden alle Gläubigen von demselben Geist und derselben Hoffnung belebt. Trennungen in der Gemeinde machen dem Christentum vor der Welt Schande und bieten den Feinden der Wahrheit Gelegenheit, ihre Lebensweise zu rechtfertigen. Die Unterweisungen des Paulus wurden nicht nur für die Gemeinde seiner Tage geschrieben. Gott wollte, daß sie auch uns gesandt würden. Was tun wir nun, um die Einigkeit durch das Band des Friedens zu erhalten?

Als der Heilige Geist auf die Urgemeinde ausgegossen wurde, liebten sich die Brüder untereinander. "Sie ... nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der Herr aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeinde." Apostelgeschichte 2,46.47. Diese einfachen Christen waren gering an Zahl, sie besaßen weder Reichtum noch Ansehen, und doch übten sie einen mächtigen Einfluß aus. Das "Licht der Welt" strahlte aus ihnen. Sie waren ein Schrecken für die Übeltäter, denen ihr Wesen und ihre Lehre bekannt wurden. Deshalb wurden sie von den Gottlosen gehaßt und bis an den Tod verfolgt.

Gottes unveränderter Maßstab

Der Maßstab der Frömmigkeit ist heute derselbe wie in den Tagen der Apostel. Weder die Verheißungen noch die Forderungen Gottes haben etwas von ihrer Kraft eingebüßt. In welchem Zustand aber befindet sich das bekenntliche Volk Gottes, verglichen mit der ersten Christenheit? Wo sind Geist und Kraft Gottes, die damals die Predigt des Evangeliums begleiteten? Ach, "wie ist das Gold so gar verdunkelt und das feine Gold so häßlich geworden"! Klagelieder 4,1.

Der Herr pflanzte seine Gemeinde wie einen Weinstock auf fruchtbares Land. Mit zartester Fürsorge nährte und pflegte er ihn, damit er Früchte der Gerechtigkeit hervorbringe. Er sagt: "Was sollte man doch mehr tun an meinem Weinberge, das ich nicht getan habe an ihm?" Aber dieser Weinstock aus Gottes Pflanzung neigte sich zur Erde und verflocht seine Ranken mit menschlichen Stützen. Seine Zweige breiteten sich weit und breit aus, aber er trägt die Frucht eines wilden Weinstocks. Der Herr des Weinberges sagt: "Warum hat er denn Herlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte?" Jesaja 5,4.

Der Herr hat seiner Gemeinde große Segnungen verliehen. Die Gerechtigkeit fordert, daß sie diese Gaben mit Zinsen zurückerstattet. Da die Schätze der Wahrheit, die ihr anvertraut wurden, zugenommen haben, sind auch ihre Verpflichtungen gewachsen. Statt sich aber auf Grund dieser Gaben zu bessern und der Vollkommenheit näherzukommen, ist sie von dem, was sie in ihrer früheren Erfahrung erreicht hatte, wieder abgefallen. Die Veränderung ihres geistlichen Zustandes ist allmählich und fast unmerklich gekommen. Als sie nach der Anerkennung und Freundschaft der Welt zu trachten begann, verringerte sich ihr Glaube; ihr Eifer wurde matt, und ihre glühende Hingabe wich toter Förmlichkeit. Jeder Schritt auf die Welt zu war ein Schritt von Gott weg. Als Stolz und weltlicher Ehrgeiz gepflegt wurden, wich der Geist Christi, und Wettstreit, Zank und Zwietracht kamen auf, die Gemeinde zu zerrütten und zu schwächen.

Paulus schreibt an seine Brüder in Korinth: Ihr seid noch fleischlich. "Denn sintemal Eifer und Zank und Zwietracht unter euch sind, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise?" 1.Korinther 3,3. Für Gemüter, die durch Neid und Streit zerrüttet sind, ist es unmöglich, die geistlichen Wahrheiten des Wortes Gottes in ihrer Tiefe zu verstehen. "Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich gerichtet sein." 1.Korinther 2,14. Wir können göttliche Offenbarung ohne die Hilfe des Geistes, der das Wort gegeben hat, nicht richtig verstehen oder schätzen.

Wer dazu bestimmt ist, die geistlichen Belange der Gemeinde zu überwachen, sollte bemüht sein, ein gutes Vorbild zu sein und keinen Anlaß zu Neid, Eifersucht oder Mißtrauen zu geben. Bekundet daher stets den gleichen Geist der Liebe, Achtung und Höflichkeit, den ihr auch bei euren Brüdern zu unterstützen wünscht. Beachtet auch sorgfältig die Unterweisungen des Wortes Gottes. Hemmt jede Bekundung von Feindseligkeit oder Unfreundlichkeit, jätet das Unkraut der Bitterkeit aus. Entsteht zwischen Brüdern Verdruß, so befolgt die Weisung des Heilandes genau. Macht jede mögliche Anstrengung, um eine Aussöhnung zu bewirken. Sollten die Parteien aber hartnäckig bei ihrem Zwist beharren, dann sollten sie ihrer Ämter enthoben werden, bis sie sich wieder vertragen.

Eine Zeit zur Prüfung der Herzen

Legt Gott der Gemeinde Prüfungen auf, prüfe sich jedes Glied, ob die Ursache der Schwierigkeit nicht bei ihm selbst zu suchen ist. Geistlicher Stolz, der Wunsch zu befehlen, das ehrgeizige Verlangen nach Auszeichnung oder nach einer Stellung, fehlende Selbstbeherrschung, das Dulden von Leidenschaften oder Vorurteilen, unbeständiges oder fehlendes Urteil können die Gemeinde beunruhigen und ihren Frieden stören.

Oft verursachen Schwätzer Schwierigkeiten und vergiften mit ihren geflüsterten Anspielungen harmlose Gemüter und bringen die besten Freunde auseinander. Leider unterstützen viele die Unheilstifter in ihrer schlimmen Tätigkeit, wenn sie mit offenen Ohren und bösen Herzen dabeistehen und sagen: "Erzähl uns was ... wir wollen es schon weitererzählen." Nachfolger Christi, duldet diese Sünde nicht in eurer Mitte. Kein christlicher Elternteil sollte erlauben, daß im Kreise seiner Familie Klatsch wiederholt wird oder Bemerkungen gemacht werden, die Gemeindeglieder herabsetzen.

Christen sollten es als eine religiöse Pflicht ansehen, den Geist des Neides und der Eifersucht zu unterdrücken. Sie sollten sich über das höhere Ansehen oder den größeren Wohlstand ihrer Brüder freuen, selbst wenn dadurch der eigne Charakter oder die eignen Leistungen anscheinend in den Schatten gestellt werden. Gerade Stolz und Ehrgeiz, die Satan in seinem Herzen nährte, verbannten ihn aus dem Himmel. Diese Übel sind in unserer gefallenen Natur tief eingewurzelt, und wenn wir sie nicht ausreißen, werden sie alle guten und edlen Eigenschaften überschatten und Neid und Zank als Früchte des Unheils hervorbringen.

Laßt uns mehr nach wahrer Frömmigkeit als nach Größe trachten. In wem der Geist Christi lebt, der wird von sich selbst bescheiden denken. Er wird uneigennützig für die Reinheit und das Gedeihen der Gemeinde wirken und bereit sein, seine eigenen Neigungen und Wünsche preiszugeben, ehe er Zwietracht unter den Brüdern verursacht.

Satan trachtet ständig danach, im Volke Gottes Mißtrauen, Entfremdung und Bosheit zu entfachen. Oft haben wir das Empfinden, daß unsere Rechte verletzt werden, obwohl wir in Wirklichkeit keinen Grund dafür haben. Wer sich selbst mehr liebt als Christus und sein Werk, der wird seine eigenen Interessen an die erste Stelle setzen und zu beinahe jedem Hilfsmittel greifen, sie zu wahren und zu verfechten. Wenn er sich von seinen Brüdern beleidigt fühlt, wird er sogar vor Gericht gehen, statt der Vorschrift des Heilandes zu folgen.

Prozesse zwischen Brüdern

Stolz und Selbstachtung hindern sogar viele, die gewissenhafte Christen zu sein scheinen, persönlich zu denen zu gehen, die sie für Irrende halten, damit sie mit ihnen die Angelegenheit im Geiste Christi besprechen und füreinander beten. Wortwechsel, Zank und Prozesse zwischen Gemeindegliedern sind eine Schande für die Sache der Wahrheit. Wer solchen Weg geht, setzt die Gemeinde dem Spott ihrer Feinde aus und gibt den Mächten der Finsternis Anlaß zu triumphieren. Er durchbohrt die Wunden Christi aufs neue und gibt ihn der öffentlichen Schande preis. Wer die Autorität der Gemeinde nicht achtet, verachtet Gott, der sie der Gemeinde gab.

Paulus schreibt an die Galater: "Wollte Gott, daß sie auch ausgerottet würden, die euch verstören! Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen! Allein sehet zu, daß ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebet; sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt, in dem: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.' So ihr euch aber untereinander beißet und fresset, so sehet zu, daß ihr nicht untereinander verzehrt werdet. Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen." Galater 5,12-16.

Irrlehrer hatten den Galatern Lehren gebracht, die dem Evangelium Christi widersprachen. Paulus versuchte, diese Irrtümer zu enthüllen und zu berichtigen. Er wünschte sehr, daß die Irrlehrer aus der Gemeinde ausgeschlossen würden, aber ihr Einfluß hatte so viele Gemeindeglieder ergriffen, daß es gefährlich schien, etwas gegen sie zu unternehmen. Es bestand die Gefahr, daß Streit und Trennung entstanden, die die geistlichen Belange der Gemeinde zerstört hätten. Deshalb versuchte der Apostel, seinen Brüdern einzuprägen, wie wichtig es sei, daß man einander in Liebe zu helfen versuche.

Er erklärte ihnen, daß alle Forderungen des Gesetzes, die unsre Pflicht den Mitmenschen gegenüber herausstellen, in der gegenseitigen Liebe erfüllt werden. Er warnte sie davor, Haß und Streit zu dulden, sich in Parteien zu trennen und sich wie die unvernünftigen Tiere gegenseitig zu beißen und zu verschlingen. Dadurch kämen zeitliches Unglück und ewiges Verderben über sie. Es gab nur eine Möglichkeit, diese schrecklichen Dinge zu verhüten, und das war, wie der Apostel ihnen einschärfte, "im Geist zu wandeln", in unablässigem Gebet die Führung des Heiligen Geistes zu suchen, der sie zu Liebe und Einigkeit leiten würde.

Wenn Satan die Herrschaft gewinnt

Ein Haus, das in sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. Wenn Christen sich streiten, dringt Satan ein, um zu herrschen. Wie oft hat er mit der Zerstörung des Friedens und der Eintracht in den Gemeinden Erfolg gehabt! Welche wilden Streitigkeiten, wieviel Bitterkeit und Haß hat manchmal eine geringfügige Kleinigkeit entfesselt! Wie viele Hoffnungen wurden vernichtet, wie viele Familien durch Uneinigkeit und Streit auseinandergerissen!

Paulus ermahnte seine Brüder, sich davor zu hüten, daß sie die Fehler anderer wohl tadelten, selbst aber ebenso große Sünden begingen. Er wies warnend darauf hin, daß Haß, Eifersucht, Zorn, Zank, Aufruhr, Glaubensabfall und Neid genau so Werke des Fleisches sind wie Lüsternheit, Ehebruch, Trunkenheit und Mord und daß sie den Schuldigen ebenso das Tor des Himmels verschließen.

Christus sagt: "Wer der Kleinen einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde." Markus 9,42. Wer durch vorsätzlichen Betrug oder schlechtes Beispiel einen Jünger Christi verführt, macht sich einer schweren Sünde schuldig. Wer ihn zum Gegenstand der Verleumdung oder des Spottes macht, beleidigt Jesus. Unser Heiland vermerkt jedes Unrecht, das seinen Nachfolgern zugefügt wird.

Wie wurden die bestraft, die vor alters das, was Gott sich als heilig erwählt hatte, geringschätzten? Belsazar und seine tausend Gewaltigen entweihten die goldenen Gefäße Jahwes und lobten die Götzen Babylons. Der Gott aber, den sie herausforderten, war Zeuge des unheiligen Vorfalls. Mitten in ihrer gotteslästerlichen Heiterkeit erschien eine bleiche Hand und schrieb geheimnisvolle Zeichen an die Wand des Palastes. Voller Entsetzen hörten der König und die Höflinge ihren Urteilsspruch durch den Diener des Allerhöchsten.

Laßt jene, die an der Verleumdung und Herabsetzung der Diener Christi Freude haben, bedenken, daß Gott Zeuge ihrer Taten ist. Ihr verleumderischer Angriff entweiht nicht leblose Gefäße, sondern den Charakter von Menschen, die Christus mit seinem Blut erkauft hat. Die Hand, die im Palast Belsazars die Schrift auf die Wand schrieb, führt gewissenhaft Bericht über jede Ungerechtigkeit oder Bedrückung gegenüber dem Volke Gottes.

Die heilige Geschichte enthält treffende Beispiele, wie der Herr mit eifersüchtiger Sorge über seinen schwächsten Kindern wacht. Während der Wüstenwanderung Israels wurden die Schwachen und Müden, die auf dem Wege zurückgeblieben waren, heimtückisch und grausam von den Amalekitern angegriffen und erschlagen. Später führte Israel Krieg gegen die Amalekiter und besiegte sie. "Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe das zum Gedächtnis in ein Buch und befiehl's in die Ohren Josuas; denn ich will den Amalek unter dem Himmel austilgen, daß man sein nicht mehr gedenke." 2.Mose 17,14. Kurz vor seinem Tode wiederholte Moses den Befehl, damit er von der Nachkommenschaft nicht vergessen werde: "Gedenke, was dir die Amalekiter taten auf dem Wege, da ihr aus Ägypten zoget, wie sie dich angriffen auf dem Wege und schlugen die letzten deines Heeres, alle die Schwachen, die dir hinten nachzogen, da du müde und matt warst, und fürchteten Gott nicht ... Du sollst das Gedächtnis der Amalekiter austilgen unter dem Himmel. Das vergiß nicht!" 5.Mose 25,17-19.

Wie soll sich Gott, der schon die Grausamkeit eines heidnischen Volkes so hart strafte, denen gegenüber verhalten, die sich zu seinem Volke zählen, aber die eigenen Brüder befehden, die als Arbeiter in seinem Werk müde und matt geworden sind? Satan gewinnt über alle, die sich seiner Herrschaft überlassen, große Macht. Gerade die Hohenpriester und Ältesten -- die religiösen Lehrer des Volkes -- drängten die mörderische Schar vom Richthaus nach Golgatha. Unter den Namenschristen gibt es auch heute Menschen, die von demselben Geist erfüllt sind, der nach der Kreuzigung unseres Heilandes schrie. Mögen die Übeltäter daran denken, daß für alle ihre Taten ein Zeuge lebt, ein heiliger Gott, der die Sünde haßt. Er wird alle ihre Werke vor Gericht bringen, auch die verborgenen.

"Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. Es stelle sich ein jeglicher unter uns also, daß er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung. Denn auch Christus hatte nicht an sich selber Gefallen." Römer 15,1-3. Da Christus in unserer Schwachheit und Sündhaftigkeit Mitleid mit uns hatte und uns half, sollen auch wir mit anderen Mitleid empfinden und ihnen helfen. Viele sind von Zweifel verwirrt, von Krankheit geplagt, schwach im Glauben und unfähig, das Unsichtbare zu erfassen. Aber ein Freund, den sie sehen können, der an Christi Statt zu ihnen kommt, kann als Bindeglied ihren zitternden Glauben an Gott festigen. Das ist ein gesegnetes Werk! Mögen wir uns weder durch Stolz noch durch Selbstsucht davon abhalten lassen, das Gute, das wir tun können, im Namen Christi und im Geiste der Liebe und Vorsicht zu vollbringen.

Bringt die Gefallenen wieder zurück

"Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilt würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist ihr, die ihr geistlich seid; und siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versucht würdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Galater 6,1.2. Hier wird uns unsere Pflicht abermals klar vor Augen gestellt. Wie können die bekenntlichen Nachfolger Christi diese vom Geist gegebenen dringenden Ermahnungen so leichtfertig behandeln?

Vor kurzem bekam ich einen Brief, in dem man mir erzählte, wie ein Bruder seine Schweigepflicht verletzt hatte. Obgleich es ein unbedeutender Vorfall war, der Jahre zurücklag, und kaum wert war, darüber nachzudenken, stellte die Schreiberin doch fest, daß es ihr Vertrauen zu jenem Bruder für immer vernichtet hatte. Wenn das Leben jener Schwester rückblickend keine größeren Fehler aufwiese, dann wäre das tatsächlich ein Wunder, denn die menschliche Natur ist sehr schwach. Ich habe gelebt und lebe noch in Gemeinschaft mit Geschwistern, die schwerer Sünden schuldig geworden sind und die ihre Sünden nicht einmal jetzt so sehen, wie Gott sie sieht. Aber der Herr hat Geduld mit diesen Menschen, warum sollte ich sie dann nicht auch haben? Er wird seinen Geist veranlassen, an ihren Herzen zu arbeiten, daß ihnen die Sünde so erscheint wie Paulus -- überaus sündig.

Wir kennen unser eigenes Herz nur schlecht und haben nur wenig Sinn für unser persönliches Bedürfnis der Gnade Gottes. Deshalb hegen wir so wenig jenes zarte Mitleid, das Jesus uns gegenüber offenbarte und das wir untereinander üben sollten. Denkt daran, daß die Geschwister schwache, irrende Sterbliche sind wie wir selbst. Gesetzt den Fall, ein Bruder hat sich durch Unbedachtsamkeit von der Versuchung überraschen lassen und im Gegensatz zu seinem sonstigen Betragen irgendeinen Fehler begangen. Wie sollten wir uns dann ihm gegenüber verhalten? Wir erfahren aus der Bibel, daß Männer, die Gott für große und gute Taten benutzte, schwere Sünden begingen. Der Herr ging daran nicht vorüber, ohne zu tadeln, er verwarf aber seine Diener auch nicht. Wenn sie bereuten, dann vergab er ihnen gnädiglich, offenbarte ihnen seine Gegenwart und wirkte weiterhin durch sie. Laßt die armen, schwachen Sterblichen bedenken, wie sehr sie der Nachsicht und des Mitleids von seiten Gottes und ihrer Geschwister bedürfen. Mögen sie sich hüten, andere zu richten und zu verdammen. Beachtet die Anweisung des Apostels: Ihr, die ihr geistlich seid; helfet ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist und siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest. Galater 6,1. Wir können in der Versuchung fallen und die ganze Nachsicht benötigen, die wir hier gegen den Schuldigen üben sollen. "Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden." Matthäus 7,2.

Der Apostel fügt eine Warnung für die hinzu, die sich für unabhängig halten und auf sich selbst vertrauen: "So aber sich jemand läßt dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst ... Denn ein jeglicher wird seine Last tragen." Galater 6,3.5. Wer sich seinen Brüdern im Urteil und in der Erfahrung überlegen dünkt, ihren Rat und ihre Erfahrung verachtet, beweist damit, daß er in einer gefährlichen Täuschung befangen ist. Das Herz ist trügerisch. Der Mensch prüfe seinen Charakter und sein Leben am biblischen Maßstab. Gottes Wort wirft unfehlbares Licht auf den Lebensweg des Menschen. Trotz vieler Einflüsse, die den Menschen ablenken und verwirren, werden alle, die Gott aufrichtig um Weisheit bitten, den richtigen Weg finden. Jeder Mensch muß schließlich für sich selbst stehen oder fallen ohne Rücksicht auf die Meinung seiner Freunde oder Gegner, ohne Rücksicht auf menschliches Urteil, aber entsprechend seinem wahren Charakter vor dem Angesichte Gottes. Die Gemeinde kann warnen, raten und ermahnen, aber sie kann niemanden zwingen, den richtigen Weg zu wählen. Wer in der Mißachtung des Wortes Gottes beharrt, muß an seiner eignen Sündenlast tragen, sich vor Gott allein verantworten und die Folgen seiner Handlungsweise auf sich nehmen.

Der Herr hat uns in seinem Wort bestimmte, unmißverständliche Anweisungen gegeben, durch deren Beobachtung wir die Einheit und Harmonie in der Gemeinde erhalten können. Geschwister, gebt ihr acht auf diese dringenden Ermahnungen des Geistes? Seid ihr Bibelleser und zugleich Täter des Wortes? Bemüht ihr euch, das Gebet Christi um die Einigkeit seiner Nachfolger auszuleben? "Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einerlei gesinnt seid untereinander nach Jesu Christo, auf daß ihr einmütig mit einem Munde lobet Gott." Römer 15,5.6. "Seid vollkommen, tröstet euch, habt einerlei Sinn, seid friedsam! so wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein." 2.Korinther 13,11.

Gottes Bau -- "Ihr seid Gottes Ackerwerk und Gottes Bau." 1.Korinther 3,9. Dieses Beispiel zeigt den menschlichen Charakter, der Zug um Zug bearbeitet werden muß. Jeden Tag arbeitet Gott an seinem Bau, Schlag auf Schlag, um das Gefüge vollkommen zu machen, damit es ein heiliger Tempel für ihn werde. Der Mensch soll Gottes Mitarbeiter sein und jeder Arbeiter gerade das werden, wozu Gott ihn bestimmt. Mit reinen, edlen Taten baut er sein Leben, damit sein Charakter am Ende ein gleichmäßiges Gefüge darstellen kann, einen schönen Tempel, den Gott und Menschen ehren. In diesem Gebäude gibt es keinen Riß, denn es gehört dem Herrn. Jeder Stein muß genau gesetzt werden, damit er den auf ihm lastenden Druck aushalten kann. Ein Stein, der falsch liegt, wird das ganze Gebäude gefährden. Dir und allen andern Arbeitern erteilt Gott die Warnung: "Gib acht, wie du baust, damit dein Haus der Prüfung des Sturmes standhalten kann, weil es auf den ewigen Felsen gegründet ist. Bau auf sicherem Grund, damit du dich auf den Tag der Prüfung vorbereiten kannst, an dem alle so erscheinen, wie sie wirklich sind."

Diese Warnung hat mir Gott gegeben als für eure Wohlfahrt besonders notwendig. Er liebt euch mit unermeßlicher Liebe. Er liebt eure Glaubensbrüder, und er arbeitet mit ihnen zu demselben Zweck wie mit euch. Seine Gemeinde auf Erden muß göttliches Ebenmaß vor der Welt annehmen als ein Tempel aus lebendigen Steinen, von denen jeder Licht ausstrahlt. Sie soll das Licht der Welt sein als eine Stadt auf einem Berge, die nicht verborgen sein kann. Sie ist auf Steinen errichtet, die dicht beieinanderliegen, ein Stein zum andern passend, die ein festes, gediegenes Gebäude bilden. Nicht alle Steine haben die gleiche Form oder Größe. Manche sind groß, andere sind klein, aber jeder muß seinen Platz ausfüllen. Und der Wert jedes Steines ist danach bestimmt, wieviel Licht er ausstrahlt. Das ist Gottes Absicht. Er wünscht, daß alle seine Mitarbeiter die ihnen zugewiesenen Plätze in dem Werk für diese Zeit ausfüllen.

Wir leben in den Gefahren der letzten Tage. Jede körperliche und geistige Fähigkeit müssen wir pflegen, denn alle sind nötig, die Gemeinde zu einem Bau zu gestalten, der die Weisheit des großen Architekten verkörpert. Die uns von Gott verliehenen Gaben sind sein und sollen in der rechten Beziehung zueinander gebraucht werden, um ein vollkommenes Ganzes zu werden. Gott verleiht uns die Gaben und Kräfte des Geistes, der Mensch bildet daraus den Charakter. Testimonies for the Church VIII, 173.174 (1904).