Wir haben einen Fürsprecher

Kapitel 4

Die Wirkung der Göttlichen Gerichtsbotschaft im 19. Jahrhundert

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Einen schlichten Landmann, der zunächst der Bibel zweifelnd gegenüberstand, aber dennoch von dem aufrichtigen Verlangen erfüllt war, die Wahrheit zu erkennen, erwählte Gott, die Botschaft von der Wiederkunft Christi zu verkündigen. Gleich vielen anderen Glaubensmännern hatte William Miller in seiner Jugend Armut kennengelernt, sich dabei aber zu einem strebsamen, bescheidenen Menschen entwickelt. Seine Familienangehörigen zeichneten sich durch Freiheitsliebe, Ausdauer und patriotisches Denken aus -- Eigenschaften, die auch seinen Charakter bestimmten. Sein Vater war Hauptmann in der amerikanischen Revolutionsarmee, und die Entbehrungen, die Miller in seiner Kindheit und Jugend ertragen mußte, hatten wohl die Ursache in der Abwesenheit des Vaters während jener stürmischen Zeit.

William Miller, ein gesunder und kräftiger Mann, zeigte bereits in seiner Kindheit eine außergewöhnliche Begabung. Sein reger Geist war ständig bestrebt, sich ein umfangreiches gutes Wissen anzueignen. Wenn es ihm auch nicht möglich war, eine akademische Bildung zu erlangen, hatte er doch viel Freude am Studieren. Seine Gewohnheit, alles gründlich zu durchdenken, schenkte ihm ein gesundes Urteilsvermögen und verhalf ihm zu einem umfassenden Wissen. Man schätzte ihn wegen seines vorbildlichen Charakters, er war bekannt als aufrichtiger, hilfsbereiter Mensch. Durch seine Tatkraft und seinen Fleiß erwarb er sich schon früh sein Auskommen; dennoch gab er es nicht auf, weiterhin zu studieren. Er bekleidete mit Erfolg verschiedene Ämter; der Weg zu Reichtum und Ansehen in dieser Welt schien ihm offen zu stehen.

Seine Mutter war eine fromme Frau, und er selbst war bereits in seiner Kindheit empfänglich für den christlichen Glauben. Doch in seiner Jugend geriet Miller in die Gesellschaft von Deisten (sie vertraten die Ansicht, daß Gott zwar die Welt geschaffen habe, aber auf ihre Erhaltung keinen weiteren Einfluß nimmt -- eine zuerst in England im 17. Jahrhundert vertretene Anschauung), die einen starken Einfluß auf ihn ausübten, zumal sie vorbildliche Bürger, freundliche und wohltätige Leute waren. Da sie inmitten einer christlichen Umwelt lebten, waren sie in gewissem Maße davon geprägt worden. Die Vorzüge, durch die sie Achtung und Vertrauen gewannen, hatten sie im Grunde genommen der Bibel zu verdanken, und doch waren diese guten Gaben so verfälscht worden, daß sie einen Einfluß ausübten, der dem Worte Gottes entgegenwirkte. Durch den Umgang mit ihnen kam Miller schließlich dahin, ihre Anschauungen zu teilen. Die damals allgemein übliche Auslegung der Schrift bot ihm unüberwindliche Denkschwierigkeiten. Doch auch seine neue Glaubensüberzeugung, die Gottes Wort beiseite setzte, konnte ihm nichts Besseres bieten, und so blieb er in seinem Herzen unbefriedigt. Immerhin bekannte er sich ungefähr zwölf Jahre lang zu diesen Auffassungen. Als er vierunddreißig Jahre alt war, kam er durch die Wirkung des Heiligen Geistes zu der Erkenntnis, daß er ein Sünder ist. In seinem bisherigen Glauben hatte er die Gewißheit einer Seligkeit jenseits des Grabes nicht finden können. Die Zukunft erschien ihm düster und unheimlich.

Mit diesem Zustand quälte sich Miller mehrere Monate lang herum, bis folgendes geschah. "Plötzlich", so berichtet er selbst, "wurde ich von dem Wesen des Heilandes tief beeindruckt. Es leuchtete mir ein, daß es einen gibt, der so gut und barmherzig sein konnte, sich selbst für unsere Übertretungen zu opfern und dadurch vom Tod für unsere Sünden zu erretten. Ich fühlte, wie barmherzig ein solches Wesen sein müsse und stellte mir vor, daß ich mich diesem Retter in die Arme werfen und seiner Gnade vertrauen könnte. Aber die Frage quälte mich: Wie kann bewiesen werden, daß es ein solches Wesen gibt? Ich erkannte, daß außerhalb der Bibel kein Nachweis für die Wirklichkeit eines solchen Heilandes oder gar für ein zukünftiges Dasein zu finden war.

Nur die Bibel berichtet von einem Heiland, wie ich ihn brauchte. Konnte ein nichtinspiriertes Buch Grundsätze entwickeln, die den Bedürfnissen einer in Sünde gefallenen Welt so vollkommen entsprachen? Für mich gab es nun keine andere Antwort, als daß die Heilige Schrift eine Offenbarung Gottes sein muß. So wurde mir die Bibel zur Freude, und in Jesus fand ich meinen Freund. Der Heiland wurde für mich der Auserkorene unter vielen Tausenden, und die Heilige Schrift, die zuvor dunkel und voller Widersprüche schien, erwies sich als meines Fußes Leuchte und als ein Licht auf meinem Wege. Ruhe und Zufriedenheit zogen in mein Herz. Ich erkannte Gott, den Herrn, als einen Fels inmitten der Stürme des Lebens. Fortan widmete ich mich ganz der Bibel, und ich kann sagen, daß ich sie mit großer Freude durchforschte. Ich fand, daß mir noch nicht die Hälfte gesagt worden war, und ich konnte es nicht fassen, daß ich ihre Schönheit und Herrlichkeit nicht eher gesehen hatte. Unverständlich war mir nur, daß ich sie je hatte ablehnen können. In ihr wurde alles offenbart, was mein Herz sich wünschen konnte; sie bot ein Heilmittel für jeden Schaden meiner Seele an. Bald verlor ich den Gefallen an anderem Lesestoff, und mein Herz sehnte sich, die Weisheit zu erlangen, die von Gott kommt." Bliß, Memoirs of William Miller 65-67.

Öffentlich bekannte sich Miller zu der Glaubensüberzeugung, die er zuvor verachtet hatte. Seine ungläubigen Freunde aber waren nicht müßig, die Beweise ins Feld zu führen, die er zuvor selbst oft genug gegen die göttliche Autorität der Heiligen Schrift angewandt hatte. Er konnte darauf zunächst nichts entgegnen, sagte sich aber, daß die Bibel, wenn sie Gottes Wort ist, sich selbst verteidigen müsse. Was zur Belehrung des Menschen gegeben war, mußte auch seinem Verständnis angepaßt sein. Miller entschloß sich daher, die Heilige Schrift zu durchforschen, um herauszufinden, wie es sich wirklich mit den scheinbaren Widersprüchen verhält.

So bemühte er sich, alle vorgefaßten Meinungen abzulegen und verglich Bibelstelle mit Bibelstelle, ohne irgendwelche Kommentare heranzuziehen. Lediglich der angegebenen Parallelstellen und einer Konkordanz bediente er sich. Regelmäßig und planvoll betrieb er dieses Studium. Mit dem ersten Buch Mose begann er, und unter bedächtigem Lesen der Verse ging er nicht schneller voran, als sich ihm der Sinn der Texte erschloß, so daß ihm nichts unklar blieb. War ihm eine Stelle unverständlich, dann verglich er sie mit anderen, die in irgendeiner Beziehung zu dem betrachteten Thema standen. Jedes Wort prüfte er bezüglich seiner Bedeutung für den Inhalt der Bibelstelle, und wenn seine Auffassung darüber mit allen verwandten Schriftaussagen übereinstimmte, war für ihn die Schwierigkeit überwunden. So fand er immer wieder, daß es für eine Stelle der Heiligen Schrift, die schwer zu verstehen ist, eine Erklärung in einem andern Teil der Schrift gibt. Da er unter ernstem Gebet um göttliche Erleuchtung in der Schrift forschte, wurde das, was ihm vorher dunkel erschienen war, nun seinem Verständnis klar. Er erfuhr die Wahrheit des Psalmwortes: "Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Unverständigen." Psalm 119,130.

Das Studium der Weissagungen

Mit großer Aufmerksamkeit studierte er das Buch Daniel und die Offenbarung, wobei er in gleicher Weise wie beim Studium der andern Teile der Heiligen Schrift vorging. Zu seiner großen Freude fand er, daß die prophetischen Bilder und Gleichnisse zu deuten waren. Dabei stellte er fest, daß die Weissagungen, sofern sie schon in Erfüllung gegangen waren, buchstäblich eingetroffen waren. All die verschiedenen Zeichen, Bilder und Gleichnisse konnten entweder in ihrem unmittelbaren Zusammenhang erklärt oder durch Hinweise an anderen Stellen der Schrift näher bestimmt werden, so daß sie buchstäblich verstanden werden konnten. Miller sagt dazu: "So wurde mir die Gewißheit, daß die Bibel eine Kette offenbarter Wahrheit ist, so deutlich und klar mitgeteilt, daß selbst der einfache Mann sie erkennen kann." Bliß 70. Seine Anstrengungen wurden belohnt: Immer klarer öffnete sich seinem Verständnis die Wahrheit, und immer deutlicher konnte er die großen Umrisse der Weissagungen erkennen. Engel des Himmels lenkten seine Gedanken und führten ihn zum Verständnis des Wortes Gottes.

Indem er die Weissagungen, die sich noch erfüllen sollten, danach beurteilte, wie Prophezeiungen in der Vergangenheit eingetroffen waren, gewann er die Überzeugung, daß die damals verbreitete Auffassung von einer tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden, einem Millenium vor dem Ende der Welt, nicht mit dem Wort Gottes übereinstimmte. Diese Lehre, die von einem tausendjährigen Reich der Gerechtigkeit und des Friedens vor der persönlichen Wiederkunft des Herrn ausgeht, schiebt den Tag des Gerichtes Gottes weit in die Zukunft hinaus. So angenehm diese Lehre auch vielen gewesen sein mag, so steht sie doch im Widerspruch zu den Lehren Christi und seiner Apostel. Sie hatten vielmehr angekündigt, daß Weizen und Unkraut miteinander wachsen sollten bis zur Ernte, dem Ende der Welt, und daß es "mit den bösen Menschen und Betrügern je länger, je ärger" wird. "In den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen"; das Reich der Finsternis wird bestehen bis zur Ankunft des Herrn, "und alsdann wird der Frevler offenbart werden, welchen der Herr Jesus umbringen wird mit dem Hauch seines Mundes und wird ihm ein Ende machen durch seine Erscheinung." Matthäus 13,30.38-41; 2.Timotheus 3,1.13; 2.Thessalonicher 2,8.

Die Lehre von einer Bekehrung der ganzen Welt und einer geistlichen Herrschaft Christi auf Erden wurde weder von den Aposteln noch von der Urgemeinde verkündigt. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts bürgerte sich diese Ansicht ein. Wie jeder andere Irrtum, hatte auch dieser gefährliche Folgen. Er führte die Menschen zu der Ansicht, daß die Wiederkunft des Herrn erst in ferner Zukunft zu erwarten sei. Das hielt sie davon ab, die Zeichen des nahen Kommens Christi zu beachten und erzeugte in ihnen ein Gefühl der Sorglosigkeit und Sicherheit, das keineswegs begründet war. So wurden viele dazu verleitet, die notwendige Vorbereitung auf die Begegnung mit ihrem Herrn zu vernachlässigen.

Miller aber erkannte, daß die Heilige Schrift ganz deutlich die persönliche und buchstäbliche Erscheinung Christi lehrt. Paulus sagt: "Denn er selbst, der Herr, wird mit befehlendem Wort mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel." 1.Thessalonicher 4,16. Und Jesus erklärt: Dann werden sie "kommen sehen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit". "Denn wie der Blitz ausgeht vom Aufgang und leuchtet bis zum Niedergang, so wird auch sein das Kommen des Menschensohnes". Matthäus 24,30.27. Die Heere des Himmels werden ihn begleiten, und "des Menschen Sohn wird kommen in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm"; "er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten". Matthäus 25,31; Matthäus 24,31.

Bei Jesu Erscheinen werden die gerechten Toten auferweckt und die gerechten Lebenden verwandelt werden. Paulus sagt dazu: "Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit." 1.Korinther 15,51-53.

Und in seinem Brief an die Thessalonicher sagt er, nachdem er ihnen das Kommen des Herrn vor Augen gestellt hatte: "Die Toten in Christus werden auferstehen zuerst. Danach wir, die wir leben und übrigbleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft, und werden so bei dem Herrn sein allezeit." 1.Thessalonicher 4,16.17.

Erst zur Zeit der persönlichen Wiederkunft Christi wird sein Volk das Reich ererben. Der Herr sagte: "Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, gleichwie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!" Matthäus 25,31-34. Aus diesen angeführten Schriftworten ist zu ersehen, daß bei der Wiederkunft des Menschensohnes die Toten unverweslich auferstehen und die Lebenden verwandelt werden. Durch diese Verwandlung werden sie zubereitet, in das Reich Gottes einzugehen; denn Paulus schreibt: "Fleisch und Blut können nicht das Reich Gottes ererben; auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche." 1.Korinther 15,50. In seinem gegenwärtigen Zustand ist der Mensch sterblich; das Reich Gottes aber ist unverwelklich, ewig. Darum kann der Mensch, so wie er ist, das Reich Gottes nicht ererben. Wenn aber Jesus kommt, wird er seinem wartenden Volk Unsterblichkeit verleihen; dann ruft er sie, das Reich einzunehmen, das ihnen zugesprochen ist.

Diese Aussagen der Schrift waren für Miller deutliche Beweise dafür, daß die Ereignisse, von denen man damals annahm, daß sie vor der Wiederkunft Christi stattfänden, so die allgemeine Friedensherrschaft und die Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, erst mit der Wiederkunft Christi eintreten werden. Ferner fand er, daß alle Zeichen der Zeit sowie der Zustand der Welt durchaus der prophetischen Darstellung der letzten Tage entsprachen. Allein durch das Studium der Bibel kam er zu der Schlußfolgerung, daß die Zeit der Geschichte auf dieser Erde ihrem Abschluß nahe ist.

Die Bedeutung biblischer Zeitangaben

"Ein anderer Beweis, der mich in meinem Nachdenken wesentlich beeinflußte", sagte Miller, "waren die Zeitangaben der Heiligen Schrift ... Ich erkannte, daß vorhergesagte Ereignisse, die sich bereits in der Vergangenheit erfüllt hatten, tatsächlich zur bestimmten Zeit eingetroffen waren. Die hundertzwanzig Jahre bis zur Sintflut (1.Mose 6,3), die sieben Tage, die ihr vorangingen, und die vierzig Tage des prophezeiten Regens (1.Mose 7,4); der vierhundertjährige Aufenthalt der Kinder Abrahams im fremden Land (1.Mose 15,13); die drei Tage in den Träumen des Mundschenken und des Bäckers in Ägypten (1.Mose 40,12-20); die sieben Jahre Pharaos (1.Mose 41,28-54); die vierzig Jahre in der Wüste (4.Mose 14,34); die dreieinhalb Jahre Hungersnot (1.Könige 17,1; vgl. Lukas 4,25); die siebzigjährige Gefangenschaft (Jeremia 25,11); die sieben Zeiten Nebukadnezars (Daniel 4,13-16) und die sieben Wochen, die für die Juden bestimmt waren. Daniel (9,24-27). Die durch diese Zeiten begrenzten Ereignisse waren einst alle geweissagt worden und hatten sich dann in Übereinstimmung mit den Prophezeiungen erfüllt." Bliß 74.75.

Als Miller bei seinem Bibelstudium verschiedene prophetische Zeitabschnitte fand, die seinem Verständnis gemäß bis zur Wiederkunft Christi reichten, gewann er die Überzeugung, daß es sich um vorher bestimmte Zeiten handelte, die Gott seinen Knechten offenbart hatte. Mose sagt: "Was verborgen ist, ist des HERRN, unseres Gottes; was aber offenbart ist, das gilt uns und unsern Kindern ewiglich." Und durch den Propheten Amos erklärt der Herr, er "tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluß den Propheten, seinen Knechten". 5.Mose 29,28; Amos 3,7. Die aufmerksamen Leser des Wortes Gottes dürfen deshalb gewiß sein, für die gewaltigsten Ereignisse der menschlichen Geschichte deutliche Hinweise in den Schriften der Bibel zu finden.

Miller sagte: "Da ich völlig davon überzeugt war, daß ‚alle Schrift von Gott eingegeben ist' und daß ‚nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht' wurde, sondern daß ‚die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist', und ‚uns zur Lehre geschrieben' ist, ‚auf daß wir durch Geduld und den Trost der Schrift die Hoffnung festhalten' (2.Timotheus 3,16; 2.Petrus 1,21; Römer 15,4), konnte ich auch die prophetischen Zeiten der Bibel unserer ernsten Aufmerksamkeit genauso wert achten wie jeden andern Teil der Heiligen Schrift. So kam ich in meinen Bemühungen um Verständnis des Wortes Gottes schließlich dahin, daß wir keineswegs berechtigt sind, die prophetischen Zeitangaben zu übergehen, wenn es Gott für gut befunden hat, sie uns zu offenbaren." Bliß 75.

Die Weissagung des Propheten Daniel in Kapitel 8,14

Die Weissagung Daniels (Daniel 8,14) schien die Zeit der Wiederkunft Christi am deutlichsten zu offenbaren: "Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen vergangen sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden." Seinem Grundsatz folgend, das Wort Gottes sich selbst auslegen zu lassen, entdeckte Miller, daß ein Tag in der prophetischen Bildersprache ein wirkliches Jahr bedeutet (4.Mose 14,34; Hesekiel 4,6). Ihm wurde klar, daß sich der Zeitraum von zweitausenddreihundert prophetischen Tagen oder wirklichen Jahren weit über den Alten Bund hinaus erstreckt und sich somit nicht auf das Heiligtum dieses Bundes beziehen kann. Miller teilte die damals übliche Auffassung, daß im christlichen Zeitalter die Erde das Heiligtum sei. Darum verstand er unter der Reinigung des Heiligtums in Daniel 8,14 die Reinigung der Erde durch Feuer beim zweiten Kommen Christi. Er schlußfolgerte: Wenn der richtige Ausgangspunkt für die zweitausenddreihundert Tage gefunden wäre, könnte man auch ohne Schwierigkeit die Zeit der Wiederkunft Christi feststellen.

Mit neuem Eifer und tiefem Ernst setzte Miller die Prüfung der Weissagungen fort und verbrachte Tag und Nacht mit dem Studium der Dinge, die ihm so überaus wichtig und bedeutungsvoll waren. Im 8. Kapitel des Buches Daniel konnte er keinen Anhaltspunkt für den Beginn der zweitausenddreihundert Tage finden. Obgleich einst der Engel Gabriel beauftragt worden war, Daniel das Gesicht zu erklären, gab er ihm nur eine teilweise Auslegung. Als dem Propheten die schrecklichen Verfolgungen offenbart wurden, die über die Gemeinde kommen sollten, schwanden seine Kräfte. Mehr konnte er nicht ertragen, und deshalb verließ ihn der Engel für einige Zeit. Daniel "ward erschöpft und lag einige Tage krank ... und ich wunderte mich über das Gesicht", sagt er, "und niemand konnte es mir auslegen". Daniel 8,27.

Gott aber hatte seinem Boten befohlen: "Lege diesem das Gesicht aus, damit er's versteht!" Daniel 8,16. Dieser Auftrag mußte erfüllt werden. Der Engel kehrte später zu Daniel zurück und sagte: "Daniel, jetzt bin ich ausgegangen, um dir zum rechten Verständnis zu verhelfen. So merke nun auf das Wort, damit du das Gesicht verstehst." Daniel 9,22. Ein wichtiger Punkt des Gesichtes in Kapitel 8 war noch nicht erklärt worden: der Zeitraum der zweitausenddreihundert Tage. Deshalb befaßte sich der Engel, als er mit der Erläuterung des Gesichtes fortfuhr, hauptsächlich mit diesem Anliegen.

"Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um die Übertretung zum Abschluß zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen ... So wisse denn und verstehe: Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen. Straßen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden, und zwar in Drangsal der Zeiten. Und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben ... Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schließen für eine Woche; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen." Daniel 9,24-27 (EB).

Der Engel war zu Daniel gesandt worden, um ihm zu erklären, was in dem Gesicht aus Kapitel 8 noch unverständlich geblieben war: nämlich die Zeitangabe: "Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen vergangen sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden." Nachdem der Engel Daniel aufgefordert hatte: "So merke nun auf das Wort, damit du das Gesicht verstehst", sagte er weiter: "Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt."

Das hier mit "bestimmt" übersetzte Wort kann auch nach dem Wortstamm mit "abschneiden" wiedergegeben werden. Siebzig Wochen sind also vierhundertneunzig Jahre, die nach dem Wort des Engels abgeschnitten wurden und besonders für die Juden bestimmt waren. Wovon aber waren sie abgeschnitten? Da die zweitausenddreihundert Tage die einzige in Kapitel 8 erwähnte Zeitspanne sind, so müssen auch die siebzig Wochen von diesem Zeitraum abgeschnitten sein, also zu den zweitausenddreihundert Tagen gehören. Beide Zeitabschnitte müssen den gleichen Ausgangspunkt haben. Der Beginn der siebzig Wochen sollte nach der Erklärung des Engels mit dem Ausgehen des Befehls zum Wiederaufbau Jerusalems zusammenfallen. Läßt sich das Datum dieses Befehls feststellen, dann ist auch der Ausgangspunkt der großen Zeitspanne der zweitausenddreihundert Tage gefunden.

Im Buch Esra steht dieser Befehl verzeichnet. Esra 7,12-16. Er wurde in seiner vollständigen Form von Artaxerxes (hebräisch: Arthahsastha), dem König von Persien, im Jahre 457 v. Chr. erlassen. In Esra 6,14 heißt es jedoch, daß das Haus des Herrn zu Jerusalem gebaut worden sei "nach dem Befehl des Cyrus, Darius und Arthahsastha (Artaxerxes), der Könige von Persien". Diese drei Könige verfaßten, bestätigten und vervollständigten den Erlaß und schufen die Voraussetzung zur Erfüllung der Weissagung. Damit wurde der Ausgangspunkt für die zweitausenddreihundert Jahre festgesetzt. Wenn man ausgeht vom Jahr 457 v. Chr., dem Zeitpunkt, als der Erlaß in seiner umfassenden Form gegeben wurde, Jerusalem wieder aufzubauen, wird offenkundig, daß sich jede Einzelheit der Weissagung hinsichtlich der siebzig Wochen erfüllt hat.

"Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen. Straßen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden" -- also neunundsechzig Wochen oder vierhundertdreiundachtzig Jahre. Der Erlaß des Arthahsastha trat im Herbst des Jahres 457 v. Chr. in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an gerechnet, erstreckten sich die vierhundertdreiundachtzig Jahre bis in den Herbst des Jahres 27 n. Chr. Zu jener Zeit ging die Weissagung in Erfüllung. Das Wort "Messias" bedeutet "der Gesalbte". Im Herbst des Jahres 27 n. Chr. wurde Christus von Johannes getauft und empfing die Salbung des Heiligen Geistes. Der Apostel Petrus bestätigt, daß Gott "diesen Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft." Apostelgeschichte 10,38. Und der Heiland selbst erklärte: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen." Lukas 4,18 (EB). Nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer "kam Jesus nach Galiläa, predigte das Evangelium des Reiches Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt ..." Markus 1,14.15 (EB).

"Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schließen für eine Woche ..." Die hier erwähnte Woche ist die letzte der siebzig; es sind also die letzten sieben Jahre der den Juden besonders zugemessenen Zeitspanne. Während dieser Zeit von 27 bis 34 hat Christus erst persönlich und dann durch seine Jünger das Evangelium vor allem seinem Volk gepredigt. Als die Apostel mit der frohen Botschaft vom Reiche Gottes hinausgingen, lautete die Anweisung des Heilandes: "Gehet nicht auf einen Weg der Nationen, und gehet nicht in eine Stadt der Samariter; gehet aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." Matthäus 10,5.6 (EB).

"Und in der Mitte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer abschaffen." Im Jahre 31 n. Chr., dreieinhalb Jahre nach seiner Taufe, wurde der Herr gekreuzigt. Mit der Darbringung dieses großen heiligen Opfers auf Golgatha hörte der Opferdienst auf, der viertausend Jahre lang auf das Lamm Gottes hingewiesen hatte. Das Sinnbild war in der Erfüllung aufgegangen. Alle Opfer und Gaben des Zeremonialgesetzes hatten damit ihren Abschluß gefunden.

Die für die Juden bestimmten siebzig Wochen oder vierhundertneunzig Jahre liefen, wie gezeigt wurde, im Jahre 34 n. Chr. ab. In dieser Zeit besiegelte die jüdische Nation die Verwerfung des Evangeliums durch den Beschluß des Hohen Rates, der zur Steinigung des Stephanus und zur Verfolgung der Jünger Christi führte. Von dieser Zeit an war die Heilsbotschaft nicht länger auf das auserwählte Volk beschränkt, sondern wurde nun der ganzen Welt verkündigt. Die Jünger, die der Verfolgung wegen aus Jerusalem flohen, "zogen umher und predigten das Wort. Philippus aber kam hinab in die Hauptstadt Samariens und predigte ihnen von Christus". Apostelgeschichte 8,4.5. Unter göttlicher Führung verkündigte Petrus einem Hauptmann in Cäsarea, dem gottesfürchtigen Kornelius, das Evangelium; und Paulus, nun für den Glauben an Jesus gewonnen, erhielt den Auftrag, die frohe Botschaft "ferne unter die Heiden" zu tragen. Apostelgeschichte 22,21.

Soweit ist jede Einzelheit der Weissagung Daniels auffallend genau erfüllt. Der Anfang der siebzig Wochen ist also zweifellos auf 457 v. Chr. zu legen und das Ende auf 34 n. Chr. Auf Grund dieser Angaben ist es nicht schwer, das Ende der zweitausenddreihundert Tage zu ermitteln. Da die siebzig Wochen oder vierhundertneunzig Tage von den zweitausenddreihundert abgeschnitten sind, verbleiben noch achtzehnhundertzehn Tage. Nach Ablauf der vierhundertneunzig Tage hatten sich noch achtzehnhundertzehn Tage zu erfüllen. Vom Jahre 34 n. Chr. reichen achtzehnhundertzehn Jahre bis zum Jahre 1844. Folglich enden die zweitausenddreihundert Tage von Daniel 8,14 im Jahre 1844. Nach dem Ablauf dieser großen prophetischen Zeitspanne sollte entsprechend dem Zeugnis des Engels Gottes "das Heiligtum wieder geweiht werden". Somit war die Zeit der Weihe des Heiligtums -- damals allgemein als das Ereignis verstanden, das mit der Wiederkunft Christi zusammenfällt --, genau bestimmt worden.

Miller und seine Mitarbeiter dachten zunächst, daß die zweitausenddreihundert Tage im Frühjahr 1844 endeten, die Weissagung dagegen deutet auf den Herbst jenes Jahres hin. Dieses Mißverständnis führte bei denen, die die Zeit der Wiederkunft Christi zu dem früheren Termin angenommen hatten, zu Enttäuschung und Verwirrung. Aber dies beeinträchtigte durchaus nicht die Kraft der Beweisführung, daß die zweitausenddreihundert Tage im Jahre 1844 zu Ende gingen und daß damit auch das große Ereignis, die "Weihe" des Heiligtums, stattfinden mußte.

Die verpflichtende Verantwortung zur Weitergabe gewonnener Erkenntnis

Als Miller sich dem Studium der Heiligen Schrift zuwandte, um zu beweisen, daß sie eine Offenbarung Gottes ist, hatte er keine Ahnung davon, zu welchen Ergebnissen er kommen würde. Aber die schriftgemäßen Beweise waren so klar und überzeugend, daß er sie nicht hätte beiseite schieben können.

Nachdem er zwei Jahre auf das Erforschen der Bibel verwandt hatte, kam er im Jahre 1818 zu der Überzeugung, daß Christus in ungefähr fünfundzwanzig Jahren zur Erlösung seines Volkes erscheinen würde. "Ich brauche nicht zu betonen", sagte Miller, "wie diese herrliche Aussicht mein Herz freudig stimmte und welch heißes Sehnen in mir aufstieg, Anteil zu haben an der Freude der Erlösten. Die Bibel war für mich ein ganz neues Buch geworden. Was mir auf den Blättern der Bibel zuvor dunkel, geheimnisvoll oder zweifelhaft erschien, war nun durch das helle Licht, das in mir aufgegangen war, völlig gewichen. Wie leuchtend und herrlich war mir die Wahrheit aufgegangen! Alle vermeintlichen Widersprüche und Ungereimtheiten, die ich zuvor in Gottes Wort gesehen hatte, waren verschwunden. Wenn es auch noch viele Abschnitte gab, über die ich kein volles Verständnis erlangt hatte, so war mir doch so viel Licht bei meinem Forschen aufgegangen, daß die dunklen Zweifel gewichen waren. Ich hatte solch eine Freude am Studium der Heiligen Schrift, wie ich sie nicht im entferntesten aus ihren Lehren erwartet hätte." Bliß 76.77.

"Fest davon überzeugt, daß die bedeutsamen Ereignisse, wie sie in der Heiligen Schrift vorhergesagt waren, sich in Kürze erfüllen sollten, drängte sich mir mit Macht die Frage auf, welche Pflicht ich angesichts der Schriftbeweise, die mich selbst ergriffen hatten, der Welt gegenüber habe" (Bliß 81). Miller begriff, daß es seine Pflicht sei, das Licht, das er empfangen hatte, andern mitzuteilen. Er wußte, daß er den Widerspruch der Ungläubigen zu erwarten hatte; er war aber zuversichtlich, daß sich alle Christen freuen würden, bald dem Heiland, den sie liebten, begegnen zu können. Seine einzige Sorge bestand darin, daß viele in der großen Freude auf die herrliche und so nahe bevorstehende Erlösung diese Lehre annehmen könnten, ohne hinreichend die Schriftstellen geprüft zu haben, die auf diese Wahrheit hinwiesen. Darum zögerte er noch, seine Erkenntnis weiterzugeben. Falls er sich selbst irrte, sollten nicht andere verführt werden. Erneut überprüfte er die Beweise für seine Schlußfolgerungen; und jede Schwierigkeit, die sich ihm entgegenstellte, untersuchte er sorgfältig. Dabei erlebte er, daß sich vor dem Licht des Wortes Gottes alle Einwände auflösten wie der Nebel vor den Sonnenstrahlen. Nach fünf Jahren, die er in dieser Weise zugebracht hatte, war er von der Richtigkeit seiner Auslegung völlig überzeugt.

Da drängte sich ihm mit neuer Gewalt die Verantwortung auf, anderen die Erkenntnis weiterzureichen, die nach seiner Überzeugung die Heilige Schrift klar lehrte.

Miller begann seine Ansichten im stillen zu verbreiten, so wie sich jeweils die Gelegenheit dazu bot. Er betete darum, daß andere Prediger die Kraft dieser Botschaft erkennen und sich ihrer Ausbreitung widmen mögen. Dennoch konnte er die Überzeugung nicht aus seinem Herzen verbannen, daß er bei der Verkündigung der Warnungsbotschaft persönlich seine Pflicht zu erfüllen habe. Immerzu standen ihm die Worte vor Augen: Geh und sage es der Welt; sonst werde ich ihr Blut von deiner Hand fordern. -- Er wartete weitere neun Jahre, und immer noch lag es wie eine Last auf seiner Seele, bis er schließlich im Jahre 1831 zum erstenmal öffentlich die Gründe seines Glaubens darlegte.

Der Anbruch einer religiösen Erweckung

Durch die Bitten seiner Glaubensbrüder, aus deren Worten er den Ruf Gottes vernahm, ließ sich Miller endlich bewegen, seine Ansichten in der Öffentlichkeit zu verkündigen. Er war nun fünfzig Jahre alt, hatte keine Übung in der Rede und litt unter dem Gefühl, der vor ihm liegenden Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Aber von Anfang an wurde sein Mühen um die Errettung von Seelen gesegnet. Sein erster Vortrag löste eine Erweckung aus, durch die dreizehn Familien bekehrt wurden. Unmittelbar darauf bat man ihn, auch an andern Orten zu predigen, und fast überall zeigte sich eine Belebung des Glaubens. Sünder wurden bekehrt, Christen zu größerer Hingabe ermutigt und Ungläubige zur Anerkennung der Bibelwahrheit und des christlichen Bekenntnisses geführt. Diejenigen, unter denen Miller arbeitete, bezeugten: "Er erreicht selbst Menschen, die sich sonst nie durch andere beeinflussen lassen." Bliß 138. Seine Predigt zielte darauf ab, allgemeines Verständnis für die Bedeutung der biblischen Glaubenslehren zu erwecken und der überhandnehmenden Weltlichkeit und Sinnenlust jener Zeit entgegenzutreten.

Nahezu in jeder Stadt wurden durch seine Predigt viele, an etlichen Orten sogar Hunderte bekehrt. An vielen Orten öffneten ihm protestantische Kirchen fast aller Bekenntnisse die Tore. Miller erhielt Einladungen von Predigern verschiedener Gemeinden. Es war aber sein unabänderlicher Grundsatz, nur dort zu wirken, wohin er eingeladen wurde. Doch bald sah er sich außerstande, auch nur der Hälfte der Aufforderungen nachzukommen, die an ihn gerichtet wurden.

Beweise göttlicher Führung

Viele, die Millers Ansichten über die genaue Zeit des zweiten Advents Christi nicht annahmen, wurden doch überzeugt von der Gewißheit und Nähe des Kommens Jesu und der Notwendigkeit, sich darauf vorzubereiten. Nachhaltige Wirkung zeigte Millers Arbeit in einigen Städten. Schnapshändler gaben ihre Geschäfte auf und verwandelten die Trinkstuben in Versammlungsräume; Spielhöllen wurden geschlossen; selbst verkommenste Menschen bekehrten sich. Viele von ihnen hatten jahrelang kein Gotteshaus mehr betreten. Sie änderten nun ihre Gesinnung. Nicht wenige Gemeinschaften führten in den einzelnen Stadtteilen zu verschiedenen Zeiten Gebetsversammlungen ein. Geschäftsleute kamen mittags zu Gebet und Lobgesang zusammen. Es herrschte keine schwärmerische Erregung, sondern ein feierlicher Ernst hatte die Gemüter ergriffen. Millers Wirken überzeugte gleich dem der Reformatoren mehr den Verstand und erweckte eher das Gewissen, als daß es Gefühle erregte.

Im Jahre 1833 wurde Miller von der Baptistengemeinde, der er angehörte, als Prediger beglaubigt. Viele Prediger seiner Gemeinschaft billigten seine Tätigkeit und bestätigten sie, so daß er weiter wirken konnte. Er reiste und predigte unaufhörlich, wenn auch seine Arbeit hauptsächlich auf die Gebiete von Neuengland und die mittleren Staaten beschränkt blieb. Jahrelang bestritt er sämtliche Unkosten aus seinem eigenen Vermögen; auch später hatte er niemals so viele fremde Mittel zur Verfügung, um die Reisekosten nach den verschiedenen Orten, wohin er geladen wurde, zu decken. Seine öffentliche Arbeit brachte ihm keinen finanziellen Gewinn; im Gegenteil: sie belastete ihn so, daß sich seine Mittel immer mehr verringerten. Er war Vater einer großen Familie. Nur da alle Familienmitglieder genügsam und fleißig waren, reichten die Erträge seiner Farm sowohl für die Familie als auch für Millers eigenen Unterhalt aus.

Das letzte Zeichen

Im Jahre 1833, zwei Jahre nachdem Miller angefangen hatte, die baldige Wiederkunft Christi öffentlich zu verkündigen, erschien das letzte Zeichen, das nach Christi Worten vor seiner Wiederkunft eintreten sollte. Jesus hatte gesagt. "Die Sterne werden vom Himmel fallen", und Johannes erklärte in der Offenbarung, als er im Gesicht die Vorgänge schaute, die den Tag Gottes ankündigen sollten: "Die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, gleichwie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von großem Wind bewegt wird". Matthäus 24,29; Offenbarung 6,13. Diese Weissagung erfüllte sich in auffallender und eindrucksvoller Weise durch den großen Meteorregen vom 13. November 1833. Es war der ausgedehnteste und wunderbarste Sternenfall, von dem je berichtet worden ist. "Das ganze Himmelsgewölbe über den Vereinigten Staaten war damals stundenlang in feuriger Bewegung. Noch nie hatte sich in jenem Lande eine Naturerscheinung gezeigt, die von dem einen Teil der Bevölkerung mit so großer Bewunderung und von dem andern mit so viel Schaudern und Bestürzung wahrgenommen wurde." "Noch heute erinnern sich einige ganz lebhaft dieser einzigartigen Pracht. Niemals ist Regen in solcher Stärke zur Erde gefallen wie jene Meteore; und in allen Himmelsrichtungen war die gleiche Erscheinung zu beobachten. Mit einem Wort: das ganze Himmelsgewölbe schien in Bewegung zu sein ... Das Schauspiel, wie Prof. Sillimans Journal es schildert, war in ganz Nordamerika sichtbar ... Bei vollkommen klarem und heiterem Himmel dauerte dieses Spiel blendend glänzender Lichtkörper am ganzen Himmel von zwei Uhr bis zum Tagesanbruch." (Devens, "American Progress of The Great Events of the Greatest Century", Kapitel 28, 1.-5. Abschnitt) Im New Yorker Handelsblatt vom 14. November 1833 erschien ein ausführlicher Artikel über diese wunderbare Naturerscheinung. Da heißt es: "Kein Weiser oder Gelehrter hat je, wie ich annehme, mündlich oder schriftlich eine solche Erscheinung wie die von gestern morgen berichtet. Ein Prophet aber hat sie vor achtzehnhundert Jahren genau vorausgesagt. Nicht buchstäblich ‚fallende Sterne', sondern ein Meteorenregen ist in der Weissagung angekündigt. Das ist ihr eigentlicher Sinn."

So erschien das letzte jener Zeichen seines Kommens, von denen Jesus seinen Jüngern gesagt hatte: "So auch ihr; wenn ihr das alles sehet, so wisset, daß es nahe vor der Tür ist." Matthäus 24,33. Als nächstes großes Ereignis, das nach diesen Zeichen geschehen sollte, sah Johannes, daß "der Himmel entwich, wie ein Buch zusammengerollt wird", während die Erde erbebte, die Berge und Inseln bewegt wurden. "Und die Könige der Erde und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Knechte und alle Freien ... sprachen: Verberget uns vor dem Angesicht des, der auf dem Thron sitzt." Offenbarung 6,14-17.

Viele Augenzeugen jenes Sternenfalls sahen darin ein Vorzeichen des kommenden Gerichts, "ein schreckliches Vorbild, einen sicheren Vorläufer, ein barmherziges Zeichen jenes großen und schrecklichen Tages". Portland Advertiser 26.11.1833. Auf diese Weise wurde die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Erfüllung der Weissagung gelenkt, und viele beachteten fortan die Botschaft von der Wiederkunft Christi.

Allein die Bibel

William Miller besaß große geistige Gaben, geschult durch gründliches Denken und Forschen. Durch den Glauben kam er in Verbindung mit der Quelle der Weisheit und empfing dadurch himmlische Weisheit. Er war ein Mann, der Ansehen und Achtung genoß, wo Rechtschaffenheit des Charakters und eine sittlich klare Haltung geschätzt wurden. Er vereinte wahre Herzensgüte mit christlicher Demut, war beherrscht, aufmerksam, liebenswürdig und bereit, die Meinung anderer zu hören und ihre Gründe zu prüfen. Sachlich und besonnen verglich er Gedankengänge und Lehren mit dem Worte Gottes. Sein gesundes Denken und seine gründliche Bibelkenntnis befähigten ihn, Irrtümer aufzudecken und Lügen zurückzuweisen.

Dennoch begegnete William Miller in seinem Wirken heftiger Widerstand. Es erging ihm wie den Reformatoren. Die Wahrheit, die er verkündigte, wurde von den beim Volk beliebten religiösen Lehrern abfällig aufgenommen. Da sie aber nicht in der Lage waren, ihre Auffassung durch die Heilige Schrift zu stützen, waren sie gezwungen, ihre Zuflucht zu menschlichen Aussprüchen und Lehren sowie den Überlieferungen der Väter zu nehmen. Bei den Predigern der Adventbotschaft aber galt allein Gottes Wort. "Die Bibel und die Bibel allein!" war ihr Losungswort. Mangelnde biblische Beweise ersetzten die Gegner oft durch Hohn und Spott. Zeit, Geld und Fähigkeiten wurden eingesetzt, um die zu verunglimpfen, denen man nur das eine nachsagen konnte, daß sie mit Freuden die Wiederkunft ihres Herrn erwarteten und danach trachteten, ein heiliges Leben zu führen und andere zu ermahnen, sich ebenfalls auf sein Erscheinen vorzubereiten.

Der Urheber alles Bösen versuchte aber nicht nur der Adventbotschaft entgegenzuarbeiten, sondern auch den Botschafter selbst zu beseitigen. Miller bezog die biblische Wahrheit stets ganz praktisch auf die Herzen seiner Zuhörer. Er nannte die Sünde beim Namen und beunruhigte die Selbstzufriedenen; seine klaren, treffenden Worte erregten Feindschaft. Durch den offenen Widerstand von Kirchengliedern wurden zweifelhafte Kräfte aufgewiegelt, bis zum äußersten zu gehen. Man schmiedete einen Plan, ihn beim Verlassen der Versammlung umzubringen. Doch heilige Engel weilten unter der Volksmenge, und einer von ihnen in der Gestalt eines Mannes nahm den Diener Gottes am Arm und geleitete ihn sicher durch den feindseligen Mob. Millers Werk war noch nicht vollendet, und Satan und seine Helfer durften ihren Plan nicht ausführen.

Ungeachtet allen Widerstandes wuchs ständig die Aufgeschlossenheit für die Adventbewegung Die Zahl der Zuhörer war auf Hunderte und Tausende angewachsen. Die verschiedenen Gemeinschaften hatten großen Zuwachs bekommen. Nach einiger Zeit aber zeigte sich der Geist des Widerstands auch gegenüber den Bekehrten, und Kirchenleitungen begannen diejenigen zu maßregeln, die Millers Ansichten teilten. Das veranlaßte Miller, einen offenen Brief an die Christen aller Gemeinschaften zu richten, in dem er nachdrücklich darauf bestand, ihm seine Fehler aus der Bibel nachzuweisen, falls er im Irrtum sei.

"Was glauben wir denn anders", so sagte er, "als was uns durch das Wort Gottes geboten wird, das nach euren eigenen Aussagen die Richtschnur, und zwar die einzige unseres Glaubens und Wandels sein soll? Was haben wir getan, daß ihr von den Kanzeln und mit euren Schriften solche giftigen Anschuldigungen gegen uns veröffentlicht, die euch eine Handhabe geben, uns aus euren Kirchen und Gemeinschaften auszuschließen? Haben wir unrecht, so zeigt uns, worin unser Irrtum besteht; beweist uns durch das Wort Gottes, wo unser Fehler liegt. Verspottet werden wir genug; das aber kann uns nicht davon überzeugen, daß wir unrecht haben. Allein das Wort Gottes kann unsere Auffassung ändern. Unsere Schlußfolgerungen sind auf der Grundlage der Heiligen Schrift sorgfältig unter Gebet durchdacht worden." Bliß 250-252.

Unterschiedliche Aufnahme der Botschaft

Warum war den Kirchen die Predigt der Wiederkunft Christi so wenig willkommen? Die Ankunft des Herrn wird über den Ungerechten Wehe und Verderben bringen, während sie für den Gerechten Freude und Hoffnung bedeutet. Diese Wahrheit ist durch alle Zeitalter der Trost der Gottseligen gewesen. Warum wurde sie nun gerade den Gläubigen zu einem Stein des Anstoßes und einem Fels des Ärgernisses? Der Heiland selbst hatte seinen Jüngern verheißen: "Wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen." Johannes 14,3. Der Erlöser hatte seinen Engeln befohlen, die Jünger mit der Versicherung zu trösten, daß er persönlich wiederkommen werde, und zwar ebenso, wie er gen Himmel gefahren war. Als sie zum Himmel aufschauten, um einen letzten Blick auf den zu werfen, den sie liebten, hörten sie die bedeutsamen Worte: "Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen." Apostelgeschichte 1,11. Durch die Botschaft der Engel wurde ihre Hoffnung neu entfacht. Die Jünger "kehrten wieder nach Jerusalem mit großer Freude und waren allewege im Tempel und priesen Gott". Lukas 24,52.53. Sie freuten sich nicht darüber, daß Jesus von ihnen getrennt war und sie nun mit ihren Kämpfen, Prüfungen und Versuchungen allein in der Welt standen, sondern sie frohlockten über die Zusicherung, daß Jesus wiederkommen werde.

Die Verkündigung des Kommens Christi sollte deshalb so wie damals, als die Engel den Hirten von Bethlehem die gute Botschaft brachten, eine Botschaft großer Freude sein. Wer Jesus wahrhaftig als seinen Heiland liebt, wird diese auf Gottes Wort gegründete Botschaft freudig begrüßen: Er, der Mittelpunkt unserer Hoffnung auf ein ewiges Leben, wird wiederkommen, -- nicht, um wie bei seinem ersten Erscheinen geschmäht, verachtet und verworfen zu werden, sondern in Macht und Herrlichkeit, um sein Volk zu erlösen. Wer aber den Heiland nicht liebt, wird ihn auch nicht herbeisehnen. Es kann keinen deutlicheren Beweis für den Abfall der Kirchen von Gott geben als die Erbitterung und Feindseligkeit, mit der sie dieser von Gott gesandten Botschaft begegnen.

Wer die Adventbotschaft annahm, wurde dadurch zur Reue und Buße vor Gott geführt. Viele hatten zuvor eine unentschiedene Haltung zwischen Christus und der Welt eingenommen, nun aber spürten sie, daß es Zeit sei, einen festen Standpunkt zu beziehen. "Alles, was die Ewigkeit angeht, bekam für sie eine ungewöhnliche Wirklichkeit. Der Himmel wurde ihnen nahegebracht, und sie fühlten sich vor Gott schuldig." Bliß 146. Viele Christen wurden zu neuem geistlichem Leben erweckt. Sie erkannten, daß die Zeit kurz sei und daß bald getan werden müsse, was sie für ihre Mitmenschen tun sollten. Das Vergängliche trat in den Hintergrund, die Ewigkeit stand vor ihren Augen, und das Heil der Seele ließ alle zeitlichen Fragen zur Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfen. Gottes Geist, der sie ergriffen hatte, bekräftigte die ernsten Aufrufe an ihre Brüder und an die Sünder, sich auf den Tag Gottes vorzubereiten. Das stille Zeugnis ihres täglichen Lebens wurde zu einem ständigen Vorwurf für unbekehrte Kirchenglieder, die ein ungeheiligtes Leben führten. Sie wollten in ihrer Vergnügungssucht, ihrer Jagd nach Geld und weltlicher Ehre nicht gestört werden. Das war die Ursache der Feindseligkeit und des Widerstandes gegen die Adventbotschaft und ihre Verkünder.

Die Ablehnung des prophetischen Wortes

Da die Beweisführung hinsichtlich der prophetischen Zeitabschnitte nicht erschüttert werden konnte, versuchten die Gegner von der Untersuchung dieser Fragen abzulenken, indem sie lehrten, die Weissagungen seien versiegelt.

Theologen und Kirchenglieder erklärten, die Weissagungen Daniels und der Offenbarung seien unverständliche Geheimnisse. Christus aber hatte seine Jünger auf die Worte Daniels, die sich in ihrer Zeit erfüllen sollten, hingewiesen und gesagt: "Wer das liest, der merke auf!" Matthäus 24,15. Und die Behauptung, daß die Offenbarung ein Geheimnis sei, das nicht verstanden werden könne, wird schon durch den Titel dieses Buches widerlegt: "Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll ... Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe." Offenbarung 1,1.3.

Wie können Menschen angesichts dieses Zeugnisses der göttlichen Eingebung lehren, daß die Offenbarung ein Geheimnis sei, das über den Bereich des menschlichen Verständnisses hinausgehe? Sie ist offenbartes Geheimnis, ein geöffnetes Buch. Das Studium der Offenbarung lenkt die Gedanken hin auf die Weissagungen Daniels. Beide vermitteln außerordentlich wichtige Lehren, die Gott den Menschen im Blick auf die letzten Ereignisse der Geschichte dieser Erde gegeben hat.

Dem Apostel Johannes wurde ein tiefer Einblick in die künftigen Erfahrungen der Gemeinde gewährt. Er schaute die Gefahren, Kämpfe und schließlich die Errettung des Volkes Gottes. Er hörte die Worte der letzten Botschaften, die auf Erden die Ernte zur Reife bringen werden, entweder als Garben für die himmlischen Scheunen oder als Spreu für das Feuer der Vernichtung. Besonders wichtige Lehren wurden ihm für die letzte Gemeinde offenbart. Dadurch sollten alle, die sich vom Irrtum zur Wahrheit hinwenden, auf die bevorstehenden Gefahren und Kämpfe vorbereitet werden. Niemand braucht über das zukünftige Geschehen auf Erden im unklaren zu sein.

Doch warum besteht dann weitverbreitete Unkenntnis über diesen wichtigen Teil der Heiligen Schrift? Weshalb die allgemeine Abneigung, ihre Lehren zu prüfen? Das ist die Folge von Satans wohlberechnetem Plan, der als Fürst der Finsternis vor den Menschen verbergen möchte, was seinen Betrug enthüllt. Deshalb hat Christus, der den Kampf gegen das Studium der Offenbarung voraussah, all denen seinen Segen verheißen, die die Worte der Weissagung lesen, hören und behalten.